Wirksame Bildungsinvestitionen
Folgen unzureichender Bildung für die Gesundheit
Andreas Mielck, Markus Lüngen, Martin Siegel, Katharina Korber
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Inhalt
Vorwort 4
1 Einleitung 6
2 ModellzumZusammenhangzwischenBildungundGesundheit 10
3 StandderempirischenForschungzumZusammenhangzwischenBildung 13
undGesundheit
3.1 Morbidität,MortalitätundLebensqualität 13
3.2 GesundheitsrelevanteVerhaltensweisenundLebensverhältnisse 14
3.3 ZusammenhängemitweiterenIndikatorendessozialenStatus 17
3.4 Fazit 17
4 EmpirischeAnalysezumZusammenhangzwischenunzureichenderBildung 18
undGesundheitsrisiko
4.1 VorstellungderDaten 19
4.2 Variablen 22
4.3 ZusammenhangzwischenunzureichenderBildungundMorbidität 23
bzw.Gesundheitsverhalten–DarstellungderKrankheitshäufigkeiten
4.4 ZusammenhangzwischenunzureichenderBildungundMorbidität 26
bzw.Gesundheitsverhalten–multivariateAnalyse
5 ErgebnisseundSchlussfolgerungen 31
Literatur 33
ÜberdieAutoren 36
Impressum 37
Wirksame Bildungsinvestitionen
Folgen unzureichender Bildung für die Gesundheit
Andreas Mielck, Markus Lüngen, Martin Siegel, Katharina Korber
4
Vorwort
MenschenmitniedrigererBildungsindzumeistkränkerundsterbendeutlichfrüheralsMenschen
mithöheremBildungsstand.DiesesPhänomen,inderForschungmitdemBegriff„sozialeUngleich-
heit“beschrieben,istGegenstanddervorliegendenStudie.DiedifferenziertenAnalysenuntersuchen
denspezifischenEffektvonBildungaufGesundheit.Siezeigen,dassPersonenohneAusbildungs-
abschlusshäufigeralsandererauchenundsichwenigerbewegen..DasiezudeminderRegelnur
eingeringesEinkommenerzielenodergarvonArbeitslosigkeitbetroffensind,verstärkensichdie
Effekteauf ihreGesundheitnoch: IhrRisiko,vonklassischenVolkskrankheitenwieDiabetesoder
Herzkreislauf-ErkrankungenbetroffenzuseinoderunterAdipositaszuleiden,istdeutlicherhöht.
EinAusbildungsabschlussentscheidetmaßgeblichüberTeilhabechanceninunsererGesellschaft.
JedesJahrstarteninDeutschlandaber150.000jungeMenschenohneeinenAusbildungsabschluss
insBerufsleben–unterden24-bis35-Jährigengiltdassomitfür1,5MillionenMenschen.Über
einViertelvonihnenverfügtzwarübereinenRealschulabschlussundhättesicherlichdieVoraus-
setzung füreineAusbildungmitgebracht.OhneAusbildungsabschlussaberhabendiese jungen
MenschenihrLebenlangSchwierigkeitenbeiderJobsuche,sindhäufigervonArbeitslosigkeitoder
geringfügigerBeschäftigungbetroffenundmüssenoftmiteinemgeringenEinkommenzurecht-
kommen.DaswirktsichauchaufweitereBereicheihresLebensaus:Werwenigerverdient,wohnt
meistinViertelnmitwenigerGrünflächen,Sport-undFreizeitmöglichkeiten.GesundesEssen,Ver-
einsmitgliedschaften,Sportausrüstung,medizinischeZusatzleistungen–alldieseDingesindmit
einemniedrigenEinkommenunvereinbar.Hinzukommtbeidenunzureichendgebildetenjungen
MenschenoftnochmangelndesWissenübereinengesundenLebensstil.Esistdahernichtverwun-
derlich,dassPersonenmitgeringerBildungauchhäufigervonKrankheitenbetroffensindundeine
geringereLebenserwartunghabenalsPersonenmithöhererBildung.
ZieldervorliegendenStudiewaresursprünglich,kausaleZusammenhängezwischenfehlenderBil-
dungundGesundheitaufzudeckenunddaraufaufbauendFolgekostenunzureichenderBildungfür
unserGesundheitssystemzuberechnen.Essolltedafürsensibilisiertwerden,dassSparenander
Bildungteuerist–nichtnurwiebereitsvonfrüherenStudienderBertelsmannStiftungbewiesen
mitBlickaufdieBelastungderöffentlichenHaushalte,dieFolgendurchhöhereKriminalitätoder
entgangenesWirtschaftswachstum,sondernebenauchimGesundheitswesen.Voneinersolchen
Berechnungbzw.KostenschätzungmusstenwirallerdingsAbstandnehmen.FehlendeDaten,lange
ZeitverzögerungenbeimAuftretenderEffektesowieschwervergleichbarebiografischeBildungs-
undLebensverläufesinddieentscheidendenHürden,dienichtüberwundenwerdenkonnten.Dar-
aufwirdinderStudieausführlicheingegangen.
DochauchwennhierkeinekonkretenBeträgealsBeleggeliefertwerdenkonnten,dasssichInves-
titioneninfaireBildungschancenmittel-bislangfristigdurchgeringereAusgabenimGesundheits-
wesenrechnen,soliefertdieStudiedennochHinweise,woMaßnahmenzurPräventionundGesund-
heitsförderungansetzensollten–nämlichbeidenLebensverhältnissenvonKindern,Jugendlichen
Vorwort
5
Vorwort
und jungen Erwachsenen. Die Gesundheitspolitik versucht derzeit stark, über Programme und
Maßnahmen das individuelle Gesundheitsverhalten zu verändern. Dieses Ziel sowie einzelne
MaßnahmensindmitSicherheitauchsinnvollundderGesundheitdienlich.DieserAnsatzblendet
allerdingsaus,dassgesundheitsrelevanteVerhaltensweisenganzmaßgeblichdurchdieLebensver-
hältnissegeprägtwerden.Vielmehrwirdunterstellt, dassdas individuelleGesundheitsverhalten
weitgehendfreigewähltundverändertwerdenkann.AberfehlendeGrünflächeninderWohnumge-
bungerschwerensportlicheAktivitätendeutlichundeinniedrigesEinkommenmachteinegesunde
Ernährungungleichschwieriger.WirksamePrävention,dieindividuelleVerhaltensweisenbeeinflus-
senwill,müsstedaherzuallererstbeidenindividuellenLebensverhältnissenansetzen.
Lebensverhältnissekönnenmaßgeblichdadurchverbessertwerden,dassjungeMenscheneinePer-
spektiveaufechteunddauerhafteTeilhabeamArbeitsmarktundanderGesellschafterhalten.Jeder
JugendlichemussdieChanceaufeineberuflicheQualifikationerhalten.Daserfordertkonsequente
VeränderungenimgesamtenBildungssystemundeinebesondereFörderungundUnterstützungder
Kinder,diewirheuteimBildungssystemzurücklassen.AngefangenbeigutenKrippenundKitas
überinklusive(Ganztags-)SchulenbishineininsBerufsbildungssystem–überallmüssendieKinder
undJugendlichenimMittelpunktstehen,bestmöglich individuellgefördertundbegleitetwerden.
EinefaireRessourcensteuerungsichertdabei,dassmehrMitteldorthinfließen,wodieProbleme
amgrößtensind–alsoinsbesondereinBildungsinstitutioneninsozialenBrennpunkten.Bisherige
ProblemebeimÜbergangvonderSchuleineineAusbildungkönnenbeseitigtwerden,wennsichder
MaßnahmendschungelimsogenanntenÜbergangssystemlichtet.Jugendliche,dienochnichtfitfür
dieAusbildungsind,benötigeneineindividuelleBegleitungmitaufeinanderaufbauendenMaßnah-
men,dieihneneineklareundverbindlichePerspektiveaufeineanschließendeAusbildungeröffnen.
Ausbildungswilligeund-fähigeJugendlichebraucheneineGarantieaufeinenAusbildungsplatz.
PräventionindiesemweitgedachtenSinnegehtdamitdeutlichüberklassischegesundheitspoliti-
scheMaßnahmenhinaus.BildungspolitikistzugleichauchGesundheitspolitik–dasbestätigtdie
vorliegendeStudieeinmalmehr.DieseErkenntnissolltepolitischenEntscheidungsträgerneinen
weiterenAnreizliefern,dasAusmaßunzureichenderBildungdurchwirksamePräventionspolitik
entschiedenzureduzieren.
Dr. Jörg Dräger,
Mitglied des Vorstands
der Bertelsmann Stiftung
Anette Stein,
Programmdirektorin
Wirksame
Bildungsinvestitionen
6
1 Einleitung
Personenmitgeringerschulischerund/oderberuflicherBildungsindhäufigervonKrankheitbetrof-
fenalsPersonenmithöhererBildung.AuchdieMortalität istbei ihnenbesondershoch.Sohaben
45-JährigeMännermitAbituroderFachabiturimDurchschnitteineum5,3JahrehöhereLebenser-
wartungalsgleichaltrigeMännermitHauptschulabschlussoderohneSchulabschluss(Lampertu.a.
2011:252). InderwissenschaftlichenDiskussionsinddieseZusammenhängemehrfachempirisch
belegtworden.SiewerdenunterdemBegriff„gesundheitlicheUngleichheit“diskutiert.DochdasAus-
maßderUngleichheithängtauchvonFaktorenwieAlter,GeschlechtundspezifischerErkrankungab.
BeieinigenErkrankungenwirdsogareinumgekehrterZusammenhanggefunden,d.h.hiererkran-
kenhöhergebildeteMenschenhäufiger(z.B.beiAllergien).Insgesamtgesehenzeigtdievorliegende
Forschungslageaberdeutlich,dassMorbiditätundMortalitätbeiPersonenmitniedrigemsozialem
Status(z.B.mitgeringerBildungund/oderniedrigemEinkommen)zumeistbesondershochsind.
AuchinDeutschlandwirddiesegesundheitlicheUngleichheitimmermehralszentralesgesund-
heitspolitischesProblemwahrgenommen.ZahlreichePublikationenkonnteneinegesundheitliche
BenachteiligungvonMenschenmitniedrigemsozialenStatusnachweisen,nichtnurbeigesund-
heitlichenRisikofaktoren(z.B.Rauchen,Übergewicht)undbeiden„Volkskrankheiten“(z.B.Dia-
betesMellitus,Herzkreislauf-Erkrankungen), sondernauchbeiLebensqualitätund -erwartung.
BisheristesjedocherstinAnsätzengelungen,dieseUngleichheitenzuerklären.FürdiePlanung
gezielter Interventionsmaßnahmen zur Verringerung der Ungleichheiten wäre dies aber sehr
wichtig–dochvondiesemZielsindwirnochweitentfernt.
Die ursprüngliche Intention unserer Arbeit war es, an diesem Punkt anzusetzen: Der Zusam-
menhang zwischen unzureichendenBildungschancenundgesundheitlicherUngleichheit sollte
näheruntersuchtunddaraufaufbauendsolltendieFolgekostenunzureichenderBildungfürdie
GesellschaftimBereichGesundheitberechnetwerden.DieStudieentstandimRahmendesPro-
jektes „Folgekosten unzureichender Bildung“ der Bertelsmann Stiftung. Ansatzpunkt unserer
ForschungwardieAnnahme,dassdieerhöhteMorbiditätvonunzureichendgebildetenPersonen
miterheblichenMehrausgabenimGesundheitsbereichverbundenist.WennesimRahmenbil-
dungspolitischerReformengelingenwürde,dieunzureichendeBildunginDeutschlanddeutlich
zureduzieren,solltediesdanndazuführen,dassmehrMenscheneingesundesLebenmithöherer
LebensqualitätvorsichhabenundFolgekostenimGesundheitsbereicheingespartwerdenkönn-
ten.AlsunzureichendgebildethabenwirinunsererStudiejungeErwachsenedefiniert,denenes
nichtgelungenist,eineBerufsausbildungabzuschließenoderdasAbiturzumachen.DieseDefi-
nitionwurdegewählt,daderAbschlusseinerBerufsausbildungbzw.dasAbiturinDeutschland
dieVoraussetzungdafürbildet,dassjungenMenschendauerhafteineIntegrationindenArbeits-
marktgelingenkann(Funckeu.a.2010).OhneBerufsausbildungisthingegendasArbeitslosig-
keitsrisikodeutlicherhöht,eskönnenzumeistnurgeringeErwerbseinkommenerzieltwerden,so
dassimmerwiederdieAbhängigkeitvonsozialenTransfersdroht.AuchdieTeilhabechancenam
sozialenundgesellschaftlichenLebensinddamitdeutlicheingeschränkt.
Einleitung
7
Einleitung
WährendesinanderengesellschaftlichenTeilbereichengelungenist,Folgekostenunzureichender
Bildungzuberechnen(siehedieStudienvonWößmannundPiopiunik2009,EntorfundSieger
2010sowieAllmendingeru.a.2011),hatsichdiesesVorhabenimBereichGesundheitalsdeutlich
schwierigererwiesen.DashatmehrereGründe:
ErstensistesmitdenderzeitinDeutschlandverfügbarenDatenschwierig,denZusammenhang
zwischenBildungundGesundheitdetailliert zuuntersuchenodergareineUrsache-Wirkungs-
Beziehungherzustellen.DieEffekteunzureichenderBildungaufLebensstilundGesundheiteines
Menschenzeigensichnichtvonheuteaufmorgen–oftliegenJahrzehntezwischendem(Nicht-)
ErreicheneinesSchul-oderAusbildungsabschlussesunddemdarausresultierendenGesundheits-
verhaltenbzw.denresultierendenLebensumständeneinerseitsundderErkrankungandererseits
(siehehierzubeispielweiseSassi2010,Foresight2007).Nicht jedePersonmitunzureichender
BildungführteinenungesundenLebensstil,nichtjedePersonmiteinemungesundenLebensstil
erkrankt,undnicht jedeerkranktePersonverursacht inüberschaubarenZeiträumennennens-
werteZusatzkostenimGesundheitswesen.
EinenPaneldatensatz,derPersonenvonihrerSchul-oderAusbildungslaufbahnbisinshoheAlter
begleitetundDatenzuBildung,ArbeitsmarktteilhabeundGesundheitliefert,gibtesinDeutsch-
landnicht.Verwendetman,wieinunseremFall,Querschnittsdaten,somussmansichübermögli-
cheVerzerrungenimKlarensein:DieimDatensatzenthaltenenjungenMenschenwerden,wenn
überhaupt,erstinvielenJahrendieFolgenihresderzeitigenBildungs-undGesundheitsverhaltens
spüren. Die bereits erkrankten älteren Menschen wiederum entstammen einer Generation, in
derBildungsabschlüsseeinenganzanderenStellenwerthattenalsheute.Währendvoreinigen
JahrzehntenderHaupt-bzw.VolksschulabschlussdieRegelwarunddaherfüreineTeilhabeam
Arbeitsmarktausreichte,isterheuteeherdieAusnahmeundbietetfürsichgenommendeutlich
geringereChancenaufeinensicherenundausreichendbezahltenJob.InwieweitsomitPersonen
derheutigenGeneration„60+mitVolksschulabschluss“nochmiteinerzukünftigenGeneration
„60+“vergleichbarist,diegegenwärtigeinealsunzureichenddefinierteBildungskarrieredurch-
läuft, muss deutlich in Zweifel gezogen werden. In dem uns vorliegenden Datensatz ergeben
sich zusätzlich zu den bereits erwähnten Schwierigkeiten dahingehend Probleme, dass in der
StichprobePersonenohneAusbildungsabschlussbzw.Abiturunterrepräsentiertsindundsichfast
ausschließlichaufdieälterenGenerationenkonzentrieren.
Zweitens scheitert eine Folgekostenberechnung daran, dass es derzeit für Deutschland nicht
möglich ist, einem Zusammenhang zwischen unzureichender Bildung und dem Auftreten von
Gesundheitsrisiken bzw. Erkrankungen die Folgekosten zuzuordnen. Zum einen gibt es hier
offenbar zwei wissenschaftliche Diskussionsstränge, die sich kaum gegenseitig berühren: Die
SozialepidemiologenkonzentrierensichaufArtundAusmaßdergesundheitlichenUngleichheit,
und die Gesundheitsökonomen auf Kosten und Nutzen der gesundheitlichen Versorgung. For-
schungsansätze,diebeideSträngeverbinden,liegenbisherkaumvor–hierbestehtdringender
Forschungsbedarf.Zumanderenbeträgt–wiebereitserwähnt–derZeitabstandzwischendem
8
AuftretendesRisikofaktors,demBeginnderErkrankungunddemAnfallenmöglicherFolgekosten
häufigmehrereJahrzehnte.AusdiesenGründenkönnenaufderGrundlageheutevorliegender
DatenkaumFolgekostenunzureichenderBildungfürdenBereichGesundheitberechnetwerden.
Um trotzallerobengenanntenSchwierigkeitendennochzumindesteinegrobeSchätzungvon
KostenimGesundheitssystemaufgrundunzureichenderBildungvornehmenzukönnen,erschien
esaufdenerstenBlicksinnvoll,beiderKrankheitselbstanzusetzen.DieIdeewar,dieBerechnung
aufAngabenzurKrankheitshäufigkeitproBildungsgruppeundzudenGesundheitsausgabenpro
Patientzustützen.DabeisolltendieGesundheitsausgabenproPatientnachMöglichkeitgetrennt
für jede Bildungsgruppe vorliegen. Nach eingehender Literaturrecherche und Datenanalyse
erwiessichjedochauchdiesesVorgehenalsnichttragfähig(nähereszurLiteraturrecherchefindet
sichinMielcketal.2012).EsfehlenDaten,diedetailliertdenZusammenhangzwischenBildung
undGesundheitsverhaltensowieErkrankungenund ihreBehandlungenbeleuchten.Aberauch
AngabenzudenKostenbzw.GesundheitsausgabenbeibestimmtenErkrankungenliegennursehr
bruchstückhaftvor.ZudemkönnenFolgekosteninganzunterschiedlichenBereichendesGesund-
heitswesensanfallen,z.B.inderKranken-undPflegeversicherungoderalsdirekteMehrausgaben
beidenPatientenselbst.AuchdieKomplexitätderFinanzströmeimGesundheitswesenmachteine
exakteZuordnungeinzelnerKostenanteileoffenbarnahezuunmöglich.EinenachBildungsgrup-
pendifferenzierteBetrachtungvonGesundheitsausgabenistunseresWissenskaumvorhanden.
DaherhabenwirvondemursprünglichenZielderStudie,FolgekostenunzureichenderBildungim
Gesundheitsbereichzuberechnenbzw.zumindestabzuschätzen,Abstandnehmenmüssen.Daes
unsdennochwichtigwar,zuzeigen,dass„unzureichendeBildung“einenEinflussaufGesundheit
undGesundheitsverhaltenhat,habenwirunsdaraufbeschränkt,denZusammenhangzwischen
BildungundGesundheitnäherzubeleuchten.
Dabei beschreitet die eigene Analyse aus mehreren Gründen Neuland: Die von uns gewählte
DefinitionfürunzureichendeBildung„schulischeBildungbishöchstenszumRealschulabschluss,
aberkeineformaleberuflicheQualifikation“istinderbisherigenForschungnichtüblich.Dasliegt
hauptsächlichdaran,dassDatenz.B.zumfehlendenHauptschulabschlussleichterverfügbarsind
und bisher Forschung zum Ausmaß unzureichender Bildung kaum mit Gesundheitsforschung
verbundenwurde.
FernerbasiertunsereForschungaufDatenausdem„HealthcareAccessPanel(HCAP)“vonTNS
Infratest,München,ausdemJahr2007.DerDatensatzzeichnetsichdurcheinehoheFallzahl(ca.
20.000PersoneninderAltersgruppe25bis79Jahre)unddiedetaillierteErfassunggesundheit-
licherRisikenundErkrankungenaus.DennochistauchdieserDatensatzausdenbeschriebenen
Gründen mit Problemen hinsichtlich der Repräsentativität und der Übertragbarkeit der Ergeb-
nissebehaftet.
Einleitung
9
Einleitung
UnsereAnalysenkonzentrierensichaufdreibesonderswichtigegesundheitlicheRisikofaktoren
(Adipositas1,Bewegungsmangel,Rauchen)undzweibesondersrelevantechronischeKrankheiten
(DiabetesMellitus,Herzkreislauf-Erkrankungen).AußerdemverwendenwireinmultivariatesVer-
fahren,dasinderGesundheitsforschungsonochnichtüblichist:DerEinfluss„unzureichender
Bildung“aufGesundheitwirdineinemkomplexenModellbeigleichzeitigerstatistischerKontrolle
weitererVariablenuntersucht.
AlsGrundlageunserereigenenAnalysewirdimFolgenden(Abschnitt2)zunächsteinModellzum
Zusammenhang zwischenBildungundGesundheit vorgestellt.Danachwerdendiewichtigsten
Erkenntnisse aus der Literatur über Art und Ausmaß des Zusammenhangs zwischen Bildung
undGesundheitimÜberblickdargestellt(Abschnitt3).InAbschnitt4werdendanndieeigenen
Datenanalysenvorgenommen.DieErgebnissewerdeninAbschnitt5zusammengefasstundinter-
pretiert.
1 AuchalsFettleibigkeitoderFettsuchtbezeichnet.
10
Modell zum Zusammenhang zwischen Bildung und Gesundheit
2 ModellzumZusammenhangzwischenBildungundGesundheit
Indenvergangenen Jahrenhäufensich inDeutschlandnichtnurdieArmutsberichte, sondern
auchdieBerichteüberdenZusammenhangzwischendersozialenUngleichheiteinerseitsund
demGesundheitszustandandererseits.IneinerkaummehrüberschaubarenVielzahlvonArbei-
tenist immerwiedergezeigtworden,dassPersonenmitgeringerBildungund/oderniedrigem
EinkommenzumeisteinenbesondersschlechtenGesundheitszustandaufweisen,dasssiekränker
sind und früher sterben als Personen mit höherem sozialen Status (Mielck 2005, Richter und
Hurrelmann2009).InderwissenschaftlichenDiskussionwirddieserZusammenhangzwischen
Sozialstatus und Morbidität bzw. Mortalität als „gesundheitlicheUngleichheit“ bezeichnet. Der
sozialeStatuswirddabeiüberverschiedeneIndikatorenerfasst,vorallemüberschulischeund
beruflicheBildung,beruflichePosition,EinkommenundArbeitslosigkeit.ImMittelpunktdervor-
liegendenStudiestehtderIndikatorschulischeundberuflicheBildung;dieIndikatorenhängen
aberselbstverständlichengmiteinanderzusammen.Etwasüberspitzt formuliert lässtsichzum
Beispiel sagen: Unzureichende schulische und/oder berufliche Bildung macht arbeitslos, und
Arbeitslosigkeitmachtarm.
DieErklärungdergesundheitlichenUngleichheitistkomplexeralsaufdenerstenBlickerscheinen
mag.EsstelltsichzumBeispieldieFrage,warumjemandmitniedrigerBildungkränkeristals
jemandmithöhererBildung,wennbeidenichthungernoderfrierenmüssen.DieMerkmaleder
sozialenUngleichheitbeeinflussendenGesundheitszustandhäufignichtdirekt(wiez.B.dasRau-
chen),sonderneherindirektüberandereFaktoren.ÜberdiemitdemSozialstatusverbundenen
LebensbedingungenundVerhaltensweisensindvielfältigeEinflüsseaufdenGesundheitszustand
möglich.Esistdahersehrschwierig,dieseFaktorenempirischzuanalysierenundvoneinander
klarzuunterscheiden.WeiterführendeStudien(Laaksonenetal.2008,Lynchetal.2006)weisen
daraufhin,dasssichetwa50ProzentdergesundheitlichenUngleichheitnichtdurchdasGesund-
heitsverhalten(z.B.Rauchen,Bewegung)erklärenlassen.StudienausDeutschlandkommenzu
einemganzähnlichenErgebnis(Nageletal.2008).DieVermutungliegtnahe,dassessichbei
diesem„Rest“vorallemumMerkmalederArbeits-undWohnverhältnissehandelt(z.B.Lärmund
LuftverschmutzunginderWohnumgebung).DassauchdiesedurchBildungbeeinflusstwerden,
dürfteunbestreitbarsein.
BeiderErklärunggesundheitlicherUngleichheitenwirdzumeistzwischenzweigrundlegenden
Hypothesenunterschieden:
Dersozio-ökonomischeStatusbeeinflusstdenGesundheitszustand(„Armutmachtkrank“).
DerGesundheitszustandbeeinflusstdensozio-ökonomischenStatus(„Krankheitmachtarm“).
11
Modell zum Zusammenhang zwischen Bildung und Gesundheit
DiemeistenAutorengehendavonaus,dassinDeutschlandderersteErklärungsansatzwichtiger
istalsderzweite.Dementsprechend istmiteinerVielzahlvonAnsätzenversuchtworden,den
Einflussdessozio-ökonomischenStatusaufdenGesundheitszustandzuerklären.
Abbildung1zeigtdenZusammenhangzwischenBildungundGesundheitszustandinschematisch
vereinfachterForm.DieWirkungverläuftübermehrereZwischenstufen.Bildungprägtdiegesell-
schaftlichenTeilhabechancen,aberauchdiegesundheitsrelevantenLebensverhältnisseundVer-
haltensweisen.TeilhabechancenundLebensverhältnissebzw.Verhaltensweisenbeeinflussensich
zudemgegenseitig.EskannselbstverständlichauchRückwirkungendesGesundheitszustandes
aufdieTeilhabechancengeben(z.B.beiArbeitslosigkeitinFolgeeinerchronischenErkrankung),
undauchdieLebensverhältnisseundVerhaltensweisenkönnensichdurchKrankheitverändern
(z.B.durchvermehrtenAlkoholkonsuminFolgeeinerDepression).
Abbildung 1: Schematische Darstellung des Zusammenhangs zwischen Bildung und Gesundheit
Quelle: Eigene Darstellung.
Bildung
Häufigkeit und Schwere von Erkrankungen
Gesundheitliche Ressourcenund Belastungen
• Lebensverhältnisse (z.B. Grünflächen in Wohnumgebung, Umweltverschmutzung)
• Verhaltensweisen (z.B. Rauchen, sportliche Betätigung)
• soziale Unterstützung
Teilhabechancen
• beruflicher Einstieg
• berufliche Aufstiegsmöglichkeiten
• Arbeitslosigkeit
• Einkommen
12
Zusammenfassung
InähnlicherFormbeschreibenauchdieAusführungendes3.Armuts-undReichtumsberichtsder
BundesregierungdiesetheoretischenZusammenhänge:„BildunghataufdieGesundheitverschie-
deneAuswirkungen.DurchdenengenZusammenhangzwischenformalenBildungsabschlüssen
undderStellunginderArbeitsweltergebensichBezügezuberufsbezogenenBelastungenund
Entwicklungsmöglichkeiten sowie zur Einkommenssituation. Bildung drückt sich außerdem in
Wissen und Handlungskompetenz aus, die eine gesundheitsförderliche Lebensweise und den
UmgangmitBelastungssituationenunterstützen.EinewichtigeRollespielendabeiEinstellungen,
ÜberzeugungenundWerthaltungen,diesichbereitsfrühimLebenunterdemEinflussderelterli-
chenErziehungundderBildungsinstitutionenentwickeln“(BMAS2008:102).
Die schematischeDarstellung (sieheAbbildung1)kannnurdie allgemeinenZusammenhänge
verdeutlichen.FürspezifischeAnalysenisteserforderlich,dieverschiedenenMerkmalesogenau
wiemöglichzudefinieren.DasbetrifftnatürlichauchdasMerkmal„unzureichendeBildung“.Im
Folgendenwirddannvon „unzureichenderBildung“gesprochen,wennbei einer erwachsenen
PersonschulischeBildungbishöchstenszumRealschulabschluss,aberkeineformaleberufliche
Qualifikationvorhandenist(siehehierzuauchAllmendingeru.a.2011sowieFunckeu.a.2010).
DaBildunglautdemobendargestelltenModellvorallemüberTeilhabechancen,Verhaltenund
LebensverhältnisseaufGesundheiteinwirkt,musseineAbgrenzungvon„unzureichender“und
„ausreichender“BildungdemauchRechnungtragen.DiehiergewählteDefinitionhatdenVorteil,
dasssiedieArbeitsmarktchancenindenMittelpunktstellt,unddamitdieAussichtaufeingesi-
chertesErwerbseinkommen,aufAnerkennungundsozialeTeilhabe.Beidenbishervorliegenden
empirischenStudienzurgesundheitlichenUngleichheitwirdzurDefinitiondesMerkmals„Bil-
dung“ häufig nur die schulische Bildung herangezogen, zum Beispiel mit der Unterscheidung
zwischen Hauptschulabschluss, Mittlerer Reife und Abitur. Der Schulabschluss allein bietet in
DeutschlandindenmeistenFällenaberkeineGarantiefüreineerfolgreicheIntegrationinden
Arbeitsmarkt. Vielmehr haben Personen ohne Abitur und Ausbildungsabschluss ein deutlich
erhöhtesArbeitslosigkeitsrisiko(Funckeu.a.2010).
13
Stand der empirischen Forschung zum Zusammenhang zwischen Bildung und Gesundheit
3 StandderempirischenForschungzumZusammenhangzwischenBildungundGesundheit
AnhandbereitsvorliegenderempirischerStudiensollnunderimvorherigenAbschnittdargestellte
theoretischeZusammenhangzwischenBildungundGesundheitauchempirischbelegtwerden.
ZunächstwerdendieZusammenhängeimHinblickaufMorbidität,MortalitätundLebensqualität
dargestellt.2DerzweiteAbschnittkonzentriertsichaufdiegesundheitsrelevantenVerhaltenswei-
senundLebensverhältnisse(d.h.aufdiemöglichenBindegliederzwischenBildungundGesund-
heitszustand). ImdrittenAbschnittwirdderBlickerweitertaufandereMerkmaledessozialen
Status,dieengmitBildungzusammenhängen,wieEinkommenundArbeitslosigkeit.
3.1 Morbidität,MortalitätundLebensqualität
ZusammenhängezwischenBildungundGesundheitszustandsind internationalund inDeutsch-
landbereitsempirischinmehrerenStudienuntersuchtworden(siehehierzubeispielsweiseOECD
2007).AllerdingsistdiehierverwendeteDefinitionfür„unzureichendeBildung“dabeinurselten
verwendetworden.EineAusnahmestelltdabeidiefolgendeStudiedar:BeiihrerAuswertungvon
DatenderAOKMettmannhabenPeterundGeyer(1999)dieAngabenzurDiagnose„ersterHerz-
infarkt“(ICD-9,410)ausgewertet:BeidenMännernausderGruppe„Haupt-oderRealschule,aber
ohneabgeschlosseneBerufsausbildung“istdasHerzinfarkt-Risikodemnachfastviermalsohoch
wiebeidenMännernausderGruppe„Abituroder(Fach-)Hochschulabschluss“.BeiFrauenzeigt
sicheingleichgerichteter,jedochdeutlichschwächererZusammenhang.IneinerweiterenAnalyse
derDatenwerdenUnterschiedebeiderErstdiagnoseallerischämischerErkrankungen3untersucht
(Peter et al. 2003). Das Risiko einer ischämischen Erkrankung ist bei Männern mit „unzurei-
chenderBildung“demnachca.sechsmalhöheralsbeiMännernmitAbitur,Fachhochschul-oder
Universitätsabschluss.BeiFrauenwirdeindreifacherhöhtesRisikogefunden.WeitereAnalysen
(Geyer et al. 2006) dieser Daten beziehen sich auf die Diagnose „Diabetes Typ 2“ und auf die
Gesamtmortalität(d.h.dieMortalitätunabhängigvonderTodesursache).AuchhieristdasRisiko
inderGruppe„unzureichendeBildung“immerdeutlichhöheralsinderoberenBildungsgruppe
(Abitur,Fachhochschul-oderUniversitätsabschluss).EineähnlicheAnalyseliegtauchaufBasisvon
DatenausderGmünderErsatzkasse(GEK,jetzt„BARMERGEK“)vor.IneinemBeobachtungszeit-
raumvonfünfJahrenzeigtsichdortbeiMännernohneberuflicheAusbildungeineca.doppeltso
hoheMortalitätsratewiebeiMännernmitberuflicherAusbildung(Lampertetal.2005).Diefrüher
häufigvertreteneAnsicht, dassHerzinfarkt vor allemeine „Manager-Krankheit“ ist, gilt in den
Gesundheitswissenschaftenschonlangealswiderlegt.Eskonntewiederholtgezeigtwerden,dass
PersonenmitniedrigemsozialenStatuseinembesondersgroßenHerzinfarktrisikoausgesetztsind.
2 DerBegriff„Morbidität“umfasstunterschiedlichegesundheitlicheProblemeundKrankheiten,derBegriff„Mortalität“unterschiedlicheTodesursa-chen,undderBegriff„Lebensqualität“dieindividuelleBewertungdesGesundheitszustandes.
3 ErkrankungendurchmangelndeDurchblutung(z.B.Schlaganfall,Infarkt).
14
Stand der empirischen Forschung zum Zusammenhang zwischen Bildung und Gesundheit
In den meisten anderen Studien wird Bildung abweichend klassifiziert, z.B. in Hauptschulab-
schluss,MittlereReifeundAbitur.AuchdieseStudienzeigen,dassdieuntereBildungsgruppe
zumeisteinebesondershoheMorbiditätaufweist(Mielcketal.2005).Bundesweitrepräsentative,
aktuelleDatenzurgesundheitlichenLagederErwachseneninDeutschlandliegenausderStudie
„GesundheitinDeutschland(GEDA)“vor(RKI2010).ZwischenJuli2008undJuni2009wurden
ca.21.000MännerundFrauen(Alterab18Jahre)telefonischbefragt.DieAnalysenzeigen:Die
meistengesundheitlichenBeschwerdentreteninderunterenBildungsgruppebesondershäufig
auf.AufdieFrage,wiemandeneigenenGesundheitszustandeinschätzt,wirdindieserGruppe
besondersoftmit„schlecht“geantwortet.DasgleicheBildzeigtsichbeichronischenErkrankun-
gen,alsozumBeispielbeiHerzkreislauf-Erkrankungen,Diabetes,KrebsoderchronischenAtem-
wegserkrankungen:diePrävalenzistinderunterenBildungsgruppebesondershoch.
ZusätzlichzuMorbiditätundMortalitätkannauchdieLebensqualitätbetrachtetwerden.Diewis-
senschaftlicheDiskussionüber„gesundheitsbezogeneLebensqualität“wirdhäufigauchinDeutsch-
landunterdemenglischenBegriff„HealthRelatedQualityofLife(HRQL)“4geführt.DerZusammen-
hangmitBildungistinDeutschlandbishervoralleminzweiStudienuntersuchtworden(Königet
al.2005,Mielcketal.2010).UnterschiedenwurdendabeidiebeidenBildungsgruppen„niedrig“
(Hauptschule)und„hoch“(MittlereReife,Fachhochschulreife,Abitur).InderneuerenStudiewird
dieLebensqualitätübereineSkalazwischen„0“und„100“gemessen;derWert„0“gibtdabeiden
schlechtestenundderWert„100“denbestenGesundheitszustandan.DieAnalysenmachendeut-
lich,dassdieuntereBildungsgruppedieniedrigstenHRQL-Werteaufweist.Derempirischgemes-
seneWertliegtinderunterenBildungsgruppebei75,3.Inderoberenliegterdagegenbei82,6und
damitdeutlich–undauchstatistischsignifikant–näheramMaximalwertvon100(Mielcketal.
2010).BesondersinteressantistdieFrage,obsichdieHRQL-Werteauchdannunterscheiden,wenn
beideBildungsgruppenvongleichenchronischenErkrankungenbetroffensind.Hierbeizeigtsich,
dassauchbeieinerderartigenBeschränkungderAnalyseauferkranktePersonendieHRQL-Werte
inderunterenBildungsgruppezumeistniedrigersindalsinderoberen.Wennz.B.nurdiePerso-
nenbetrachtetwerden,dieunterKopfschmerzenoderMigräne leiden, siehtman inderunteren
GruppeeinenWertvon69,8und inderoberenvon84,6.DemnachsindPersonenmitniedriger
Bildungoffenbardoppeltbelastet:DasErkrankungsrisikoistbeiihnenbesondershochundwenn
eineErkrankungvorliegt,istihregesundheitsbezogeneLebensqualitätbesondersniedrig.
3.2 GesundheitsrelevanteVerhaltensweisenundLebensverhältnisse
DiemeistenempirischenErgebnisseübersozialeUnterschiedebeidengesundheitlichenRisiken
und Ressourcen liegen zu den folgenden Themen vor: Rauchen, Übergewicht, Bluthochdruck,
Hypercholesterinämie5undMangelansportlicherBetätigung.DieBetonungdieserfünfFaktoren
istvorallembegründetinihrerBedeutungfürdieEntwicklungkardiovaskulärerErkrankungen.
4 DerBegriff„gesundheitsbezogeneLebensqualität“(bzw.HealthRelatedQualityofLife)umfasstdieindividuelleBewertungdesGesundheitszustandes.5 ZuhoheGesamtmengeanCholesterinimBlut.
15
Stand der empirischen Forschung zum Zusammenhang zwischen Bildung und Gesundheit
VorallemzumRauchengibtesausreichendForschungmiteindeutigemErgebnis.Unabhängig
davon,obdersozialeStatusüberdieBildung,dasEinkommenoderdieberuflicheStellungdefi-
niertwird,dasRauchenistindenunterenStatusgruppenbesondersweitverbreitet,sowohlbei
JugendlichenalsauchbeiErwachsenen.FürdenRisikofaktor„Übergewicht“zeigenStudieneinen
ähnlich klaren Zusammenhang mit dem sozialen Status. Sie bestätigen, dass Übergewicht vor
allemindenunterenStatusgruppenverbreitetist.
FürKinderundJugendlichekonnteimRahmenderKiGGS-Studiebelegtwerden,dasssichKin-
derausstatus-niedrigenFamilienbesonderswenigsportlichbetätigenundAdipositasbeiihnen
besondershäufigist.Abbildung2zeigteinähnlichesBildauchbeimRauchen.
Abbildung 2: Rauchen bei Kindern und Jugendlichen (Altersgruppe 14-17 Jahre)
0
10
20
30
40
50
Angaben in Prozent
Hauptschule
42,246,6
31,4 33,5
17,623,1
Realschule
Jungen
Mädchen
Gymnasium
Quelle: Lampert und Thamm 2007 (KiGGS-Studie).
Viele Studien belegen, dass sich dieser Zusammenhang zwischen gesundheitlichen Risiken
(geringesportlicheBetätigung,Adipositas,Rauchenetc.)undBildungauchbeiErwachsenenfort-
setzt.6EinevergleichbareAnalysemitderindiesemBerichtverwendetenDefinitionfür„unzurei-
chendeBildung“(schulischeBildungbishöchstenszumRealschulabschluss,aberkeineformale
beruflicheQualifikation)liegtunseresWissensjedochnochnichtvor.Eskannaberdavonausge-
gangenwerden,dassRisikenwiegeringesportlicheBetätigung,AdipositasundRauchenauchin
dersodefiniertenunterenBildungsgruppebesondershäufigvorhandensind.
6 BeimRauchengehtjedochdiePrävalenzdesRauchensmitzunehmendemAlterzurück;eindeutlichersozialerGradientistvorallemindenjüngerenAltersgruppenvorhanden.
16
Zusammenfassendkannfestgehaltenwerden,dasssicheinerheblicherTeildergesundheitlichen
UngleichheitaufUnterschiedeimGesundheitsverhaltenzurückführenlässt.Esistz.B.bekannt,
dass die untere Bildungsgruppe bei den Herzkreislauf-Erkrankungen zumeist eine besonders
hohePrävalenzaufweist,unddassindieserGruppeauchdieverhaltensbezogenenRisikofaktoren
fürdieseErkrankungen(Rauchenetc.)besondershäufigvorhandensind.Arbeiten,diesichspe-
ziellaufdenZusammenhangzwischen„unzureichenderBildung“imhierdefiniertenSinnund
Morbiditätbzw.Mortalitätkonzentrieren,lassensichallerdingskaumfinden.
BeiderDiskussiongesundheitsrelevanterVerhaltensweisendarf abernicht vergessenwerden,
dassdiesesVerhaltenzumTeilmaßgeblichdurchdieLebensverhältnissegeprägtwird,d.h.durch
das Zusammenwirken von Belastungen und Ressourcen. Die Lebensverhältnisse können den
Gesundheitszustanddirektbeeinflussen,zumBeispieldurchdasWohnenaneinerlautenStraße.
ÜberdasGesundheitsverhaltensindaberauchindirekteEinflüssemöglich.Sokönnenfehlende
GrünflächeninderWohnumgebungsportlicheAktivitäterschweren.Empirischbelegtsinddiese
Zusammenhänge jedocherstansatzweise (Mielck2005).Dasgilt insbesondere fürKinderund
Jugendliche.EineStudiederBertelsmannStiftunggibtjedochHinweisedarauf,dassAnsätzezur
VerbesserungdeskindlichenWohnumfeldesaucheinenBeitragzurGesundheitsförderungvon
Kindernleistenkönnen(BertelsmannStiftung2010).
ImZentrumderderzeitigenPräventionsmaßnahmenstehtdieZielsetzung,vorallemdasGesund-
heitsverhaltenzuverbessern(z.B.keinRauchen,regelmäßigekörperlicheBewegung).Esbesteht
keinZweifeldaran,dassdieseZielesinnvollundderGesundheitdienlichsind.Kritisiertwerden
kannjedochdiehäufigeAusblendungweitererMöglichkeitenderPräventionundGesundheitsför-
derung.AusgehendvondergrobenZweiteilunginVerhaltens-undVerhältnis-Präventionmuss
gefragtwerden,warumsichvielederzeitigeBemühungenaufeineÄnderungdesindividuellen
Verhaltenskonzentrieren.ZwarzeigtdieForschungeineneindeutigenZusammenhangzwischen
GesundheitsverhaltenundErkrankung–nebendemVerhaltenspielenaberauchdieLebensver-
hältnisseeineentscheidendeRolle.
BeimThema„gesundheitlicheUngleichheit“istdieeinseitigeBetonungderVerhaltens-Prävention
daherbesondersbrisant.ZumeinenwirdbeidiesemPräventionsansatzunterstellt,dassdasindi-
viduelle Gesundheitsverhalten weitgehend frei gewählt werden kann. Es spricht jedoch vieles
dafür, dass eine bessere Bildung, ein höherer beruflicher Status und ein höheres Einkommen
objektivundsubjektivmitgrößerenHandlungsspielräumenverbundensind.Eswäredemnach
„unfair“, bei den Personen aus der unteren Statusgruppe die gleiche Flexibilität im Verhalten
vorauszusetzenwiebeidenPersonenausdermittlerenoderoberenStatusgruppe.Zumanderen
bestehtdieGefahr,dassdurchdieFokussierungaufdasindividuelleVerhalten„dasOpferzum
Schuldigen“gemachtwird.EinederartigeSchuldzuweisungkannschnellzueinerzusätzlichen
DiskriminierungunddamitzueinerzusätzlichengesundheitlichenBelastungführen.Wichtigist
daherausunsererSicht,nichtnurbeimGesundheitsverhalten,sondernauchbeidenLebensver-
hältnissenanzusetzen.
Stand der empirischen Forschung zum Zusammenhang zwischen Bildung und Gesundheit
17
DarüberhinauskanndieFragestellungnochineineandereRichtungerweitertwerden:Bisher
istvorallemaufdieDiskussionübergesundheitsgefährdendeFaktorenhingewiesenworden.Für
gesundheitsförderndeFaktoren liegenausDeutschlandnurvergleichsweisewenigeempirische
Studienvor.InderPublicHealthForschungwirdunterschiedenzwischendenindividuellenund
densozialenRessourcen.BeidensozialenRessourcenstehtdieHilfeundUnterstützungdurch
andereMenschenimMittelpunkt,d.h.dasThema„sozialeUnterstützung“.7DerForschungsstand
lässtsichwiefolgtzusammenfassen:Esisthinreichendbelegt,dasssozialeUnterstützungeinen
positiven Einfluss auf den Gesundheitszustand ausübt. In Bezug auf status-spezifische Unter-
schiede wird zumeist vermutet, dass status-niedrige Personen weniger soziale Unterstützung
erhalten(undgeben)alsstatus-hohe.InzwischenliegenauchersteempirischeBelegezurUnter-
stützungdieserVermutungvor(RKI2010).
3.3 ZusammenhängemitweiterenIndikatorendessozialenStatus
NebenBildungkönnenselbstverständlichauchdieanderenMerkmaledersozialenUngleichheit
denGesundheitszustandbeeinflussen,insbesonderedieChancenaufdemArbeitsmarktunddie
Einkommenshöhe.DieMerkmalebedingenundverstärkensichoftgegenseitig.DieZusammen-
hängezwischenBildung,ErwerbstätigkeitundEinkommenwerdenineinerVielzahlvonPubli-
kationenthematisiert. Im„Bildungsbericht2010“stehtzumBeispiel:„Die inunterschiedlichen
Abschnitten einer Bildungsbiografie eingeschlagenen Wege unterscheiden sich insbesondere
nachGeschlecht,sozialerHerkunftundMigrationsstatus.SieführenzuDisparitätenderBildungs-
beteiligungunddamitzuUnterschiedenindenBildungs-undLebenschancen.[…]Einezentrale
Herausforderung besteht daher darin, allen jungen Menschen über ein dem gesellschaftlichen
EntwicklungsniveauangemessenesBildungsniveaudiesozialeundgesellschaftlicheTeilhabezu
ermöglichen“(AutorengruppeBildungsberichterstattung2010:13).UmeinumfassendesBilddes
EinflussesvonBildungerhaltenzukönnen,sollendaherimFolgendenauchdieZusammenhänge
zwischenArbeitslosigkeitundEinkommeneinerseitsundGesundheitszustandandererseitskurz
skizziertwerden.DennBildungkanndenGesundheitszustandauchindirektüberdieseMerkmale
beeinflussen.
Arbeitslosigkeit istzweifellosmiteinemdeutlicherhöhtengesundheitlichenRisikoverbunden.
NacheinerStudiederEuropäischenUnionbefindetsichArbeitslosigkeitunterdenzehnbedeut-
samstenUrsachen fürgesundheitlicheBelastungenüberhaupt (Diderichsenetal.1997). Insbe-
sonderebei jungenPersonen,welchenochnieeine festeArbeitsstellehattenodernurniedrig
bezahlte Tätigkeiten ausübten, ist das Risiko für Depression und Selbstmordversuche deutlich
erhöht(Bartleyetal.2004).AuchinDeutschlandwirdintensivüberdiegesundheitlichenFolgen
vonArbeitslosigkeitdiskutiert(Weberetal.2007).IneinerPublikation(RKI2009)istderUnter-
schiedzwischenArbeitslosenundNicht-ArbeitslosenbeiKontrolleweitererVariablenuntersucht
7 IndenGesundheitswissenschaftenumschreibtderBegriff„sozialeUnterstützung“dieUnterstützungdurchFreundeundVerwandte.
Stand der empirischen Forschung zum Zusammenhang zwischen Bildung und Gesundheit
18
worden.DemnachistderGesundheitszustandbeiArbeitslosenzumeistauchdannschlechterals
bei Nicht-Arbeitslosen, wenn der Einfluss von Alter, Schulbildung und Einkommen statistisch
kontrolliertwird.
DerZusammenhangzwischenEinkommenundGesundheitszustandwurdeschonrelativhäufig
untersucht.DasEinkommenwirddabeioftals„Pro-Kopf-Haushaltsnettoeinkommen“gemessen
(Netto-EinkommenallerHaushaltsmitgliedergeteiltdurchdieAnzahlderPersonenimHaushalt).
Um(Einkommens-)Armutberechnenzukönnen,wirdjedochdas„Äquivalenz-Einkommen“benö-
tigt.DabeiwirddasNetto-EinkommenallerPersonenineinemHaushaltaddiertundanschließend
nachAnzahlundauchnachAlterderHaushaltsmitgliedergewichtet.WenneinePersonineinem
Haushaltlebt,dernurübermaximal60ProzentdesdurchschnittlichenÄquivalenz-Einkommens
verfügt,dannkanndiesePersonals„einkommensarm“bezeichnetwerden. Im3.Armuts-und
Reichtumsbericht der Bundesregierung (BMAS 2008) wird hierfür der Begriff „Armutsrisiko“
verwendet.Bezogenauf dieAltersgruppe „45 Jahre oder älter“ zeigenempirischeStudien aus
DeutschlandzumBeispiel,dassHerzinfarkt,SchlaganfallundDiabetesmellitusbeiPersonenmit
niedrigem Einkommen häufiger auftreten als bei den oberen Einkommensgruppen (Kroll und
Lampert2010).EinbesondersprägnantesErgebnis liegt zurLebenserwartungvor (Lampert et
al.2007):AufBasisdesÄquivalenz-EinkommenswurdenfünfEinkommensgruppenunterschie-
den(maximal60ProzentdesdurchschnittlichenÄquivalenz-Einkommens,61-80Prozent,81-100
Prozent,101-150Prozent,mehrals150Prozent).DieuntereGruppekanndabeials„arm“und
dieobereGruppeals„reich“bezeichnetwerden.DieAnalysenzeigen,dassdieMännerausder
„reichen“Gruppeca.zehnJahrelängerlebenalsdieMännerausder„armen“Gruppe.BeiFrauen
zeigtsicheinUnterschiedvonca.achtJahren.
3.4Fazit
DieinunseremGrundmodell(Abbildung1)skizziertenZusammenhängelassensichempirisch
zumindestansatzweisebelegen.EskannkeinZweifeldaranbestehen,dassinDeutschlandMen-
schenmitniedrigerBildungzumeistkränkersindundfrühersterbenalsMenschenmithöherem
Bildungsstand.AuchandereMerkmaledersozialenUngleichheit,insbesondereArbeitslosigkeit
undEinkommen,gehenmiterhöhtengesundheitlichenBelastungeneinher.DadieseMerkmale
ihrerseitsvomBildungsstandabhängen,kannBildungauchüberdiesenindirektenZusammen-
hangzuerhöhterMorbiditätundMortalitätführen.
Stand der empirischen Forschung zum Zusammenhang zwischen Bildung und Gesundheit
19
Empirische Analyse zum Zusammenhang zwischen unzureichender Bildung und Gesundheitsrisiko
4 EmpirischeAnalysezumZusammenhangzwischenunzureichenderBildungundGesundheitsrisiko
DieindenvorherigenKapitelnzusammengestelltentheoretischenErläuterungenundempirische
ForschungsergebnisselassenaufeinenklarenZusammenhangzwischenunzureichenderBildung
undGesundheitsrisikoschließen.UmdenZusammenhangzwischenunzureichenderBildungin
unsererDefinitionundGesundheitnäherzubeleuchten,wirdnuneineeigeneempirischeAnalyse
aufBasisdes„HealthcareAccessPanels“vorgenommen.DiegesundheitlicheBelastungwirddabei
anhandausgewählterchronischerKrankheiten(DiabetesMellitus,Herzkreislauf-Erkrankungen)
undausgewählterRisikofaktoren(Adipositas,Bewegungsmangel,Rauchen)dargestellt.
DaeineumfassendeUntersuchungallerErkrankungenundgesundheitsrelevantenVerhaltens-
weisenandieserStellenichtmöglichist,wurdenbeispielhaftDiabetesMellitusundHerzkreislauf-
Erkrankungenausgewählt.Siegehörenzudensogenannten„Volkskrankheiten“.Anihrergroßen
BedeutungfürdasGesundheitswesenbestehtschonwegenihrerhohenPrävalenzkeinZweifel:
DieDiabetesprävalenzlag2009bei7,3Prozent,diePrävalenzKoronarerHerzerkrankungenlag
imselbenJahrbei7,8Prozent(siehehierzuRKI2010).DieobengenanntenRisikofaktorenhängen
zudemengmitDiabetesMellitusundHerzkreislauf-Erkrankungenzusammen(z.B.Hauner2009,
Schneideretal.2010,Mons2011,HelmertundStrube2004).Adipositastrittdabeizunehmend
bereitsinsehrjungenJahrenauf,waswiederumdazuführenkann,dassauchadipositasbedingte
Folgeerkrankungenhäufigerauftreten(Wolfenstetter2006).
4.1VorstellungderDaten
DieempirischenUntersuchungenbasierenaufdem2007er„HealthcareAccessPanel(HCAP)“von
TNSInfratestMünchen,einer freiwilligen,postalischenBefragung.DarinwerdenHaushaltezu
ihremdemographischenundsozioökonomischenHintergrundbefragt.ProHaushaltwurdedurch
TNSInfratestjeweilseinePersonausgewählt,diezuihrergesundheitlichenSituationsowieihrer
InanspruchnahmevonundZufriedenheitmitVersorgungsleistungenbefragtwurde.DerDatensatz
umfasstinsgesamt27.049Personenzwischen18und79Jahren.DaerstabeinemAltervon25
JahrenvoneinemabgeschlossenenBildungswegausgegangenwerdenkann(Funckeetal.2010),
wurden jüngere Personen (insgesamt 1.653 Personen) aus dem Datensatz entfernt. Weiterhin
liegtderFokusderUntersuchungenaufdengesetzlichVersicherten,sodass1.788Befragtemit
privater Vollversicherung ausgeschlossen wurden. Wegen fehlender Angaben konnten darüber
hinaus3.632derverbleibenden23.608Beobachtungennichtverwendetwerden.Fürdieweiteren
Analysenverbleibendamit19.976Personen.
8 AdipositasistzumeineneinbedeutenderRisikofaktorfürErkrankungenwieDiabetesmellitusundHerzkreislauf-Erkrankungen,zumanderenaberaucheineeigenständigechronischeGesundheitsstörung.
9 UnterPrävalenzverstehtmandieHäufigkeiteinerErkrankung.EinePrävalenzvon10ProzentbedeutetzumBeispiel,dassjederZehntevondieserErkrankungbetroffenist.
20
Empirische Analyse zum Zusammenhang zwischen unzureichender Bildung und Gesundheitsrisiko
Tabelle 1 zeigt die Verteilung der Personen auf die verschiedenen Bildungsabschlüsse. Die
Gruppemit „unzureichenderBildung“ (höchstensRealschulabschluss, aberkeineBerufsausbil-
dung)umfasst insgesamt929überwiegendweiblichePersonen(siehe fettgedruckteZahlen in
derTabelle),diessindinsgesamtca.fünfProzentderStichprobe.DamitsindindiesemDatensatz
unzureichendgebildetePersonenohneAusbildungsabschlussbzw.Abiturdeutlichunterrepräsen-
tiert.Sokommenz.B.Allmendingeretal.(2011:32)zudemErgebnis,dass15,4Prozentder25bis
34-Jährigenals„unzureichendgebildet“zubezeichnensind.DiesedeutlicheVerzerrungdesfür
unsrelevantenMerkmals„unzureichendeBildung“mussbeiderInterpretationderAnalyseergeb-
nisseberücksichtigtwerden.
Tabelle 1: Fallzahlen (ungewichtet) pro Bildungsgruppe
Berufsausbildungkeine
Berufsausbildungmittlere
Berufsausbildunghöhere
Berufsausbildunggesamt
Schulbildung weiblich männl. weiblich männl. weiblich männl. weiblich männl.
höchstens Hauptschulabschluss
497 204 2.565 2.545 34 44 3.096 2.793
Realschulabschluss208 20 4.591 2.454 209 166 5.008 2.640
(Fach-)Hochschulreife
69 39 1.548 1.022 1.978 1.783 3.595 2.844
Gesamt 774 263 8.704 6.021 2.221 1.993 11.699 8.277
Quelle: Healthcare Access Panel, eigene Berechnungen.
ZudemhatDeutschland,ebensowiedieanderenIndustrieländer,imletztenJahrhunderteineBil-
dungsexpansionerlebt.WährendzuvorfürdenGroßteilderBevölkerungderHaupt-oderVolks-
schulabschlussalsNormgalt,hatsichnachfolgendderAnteilvonPersonen,dieihreSchullauf-
bahnmit(Fach-)Hochschulreifebeenden,deutlicherhöht(unddementsprechendauchderAnteil
derer,dieanschließendeinenakademischenGraderwerben).Hinzukommt,dasssichauchdas
RollenverständnisindenFamilienimletztenJahrhundertstarkveränderthat:MitderBildungs-
expansionbegannendeutlichmehrFrauen,höhereSchul-undBerufsabschlüsseanzustreben.Bei
derUntersuchungdesZusammenhangszwischenBildungundGesundheitszustandistesdaher
besonderswichtig,dieVerteilungvonAlterundGeschlechtzuberücksichtigen.Tabelle2zeigt
dieAltersverteilung innerhalbder einzelnenBildungsgruppenanhandvonDurchschnitts- und
Median-Alter(Median-Alter:dieHälftederStichprobeisthöchstenssoalt).
21
Empirische Analyse zum Zusammenhang zwischen unzureichender Bildung und Gesundheitsrisiko
InderGruppe„keineBerufsausbildung“sinddieFrauendeutlichälteralsdieMänner.Zudem
lässtsichablesen,dassdieHälftederFrauenindieserGruppeüber66Jahrealt ist,dieHälfte
derMännerüber48Jahre.DieseAltersstrukturkehrtsichimDatensatzmithöhererSchul-und
Berufsausbildungtendenziellum.DarausergibtsichdieFrage,wiesich„unzureichendeBildung“
aufdieAlters-undGeschlechtsgruppenverteilt.Tabelle3zeigt,dass indemhierverwendeten
DatensatzderAnteilunzureichendgebildeterPersonenmitdemAlterdeutlichsteigt.Zudemist
derAnteilvonFrauenohneAusbildungsabschlussbzw.AbiturmitzunehmendemAlterdeutlich
größeralsinderGruppederMänner.
Tabelle 2: Durchschnittsaltera pro Bildungsgruppe
Medianalter in Klammern
Berufsausbildungb keine Berufsausbildung
mittlereBerufsausbildung
höhereBerufsausbildung
gesamt
Schulbildung weiblich männl. weiblich männl. weiblich männl. weiblich männl.
höchstens Hauptschulabschluss
60,4(66)
50,1(48)
57,2(59)
54,2(55)
66,3(70)
67,1(70)
58,0(60)
54,1(55)
Realschul-abschluss
52,2(52)
37,7(35)
46,2(44)
45,6(44)
49,3(49)
54,9(57)
46,6(45)
46,1(45)
(Fach-)Hochschulreife
48,9(47)
44,4(45)
40,6(39)
43,7(41)
48,2(47)
50,4(50)
45,0(42)
47,9(46)
Gesamt57,8(61)
48,4(47)
49,1(48)
49,0(48)
48,7(48)
51,2(52)
49,8(49)
49,5(48)
Anmerkung: a) Durchschnitts-Alter (Median-Alter in Klammern darunter)b) mittlere Berufsausbildung: abgeschlossene Berufsausbildung außer Akademiker, höhere Berufsausbildung: Akademiker
Quelle: Healthcare Access Panel 2007, eigene Berechnungen.
Tabelle 3: Anteil von Personen mit unzureichender Bildung nach Alter und Geschlecht
Angaben in Prozent
Alter weiblich männlich gesamt
25 - 29 Jahre 3,47 (40) 4,05 (23) 3,66 (63)
30 - 39 Jahre 3,22 (96) 2,33 (47) 2,86 (143)
40 - 49 Jahre 4,80 (126) 3,03 (56) 4,07 (182)
50 - 59 Jahre 8,02 (197) 2,90 (50) 5,90 (247)
60 - 69 Jahre 8,50 (186) 2,03 (34) 5,69 (220)
70 - 79 Jahre 20,20 (60) 3,22 (14) 10,11 (74)
Gesamt 6,03 (705) 2,71 (224) 4,65 (929)
Anmerkung: Die Tabelle zeigt den Anteil unzureichend gebildeter Personen nach Alter und Geschlecht in Prozent mit den absoluten Zahlen in Klam-mern dahinter.
Quelle: Healthcare Access Panel 2007, eigene Berechnungen.
22
UmtrotzdieserVerteilungunzureichendgebildeterPersonenimDatensatzmöglichstkonsistente
Ergebnissezuerhalten,werdenmögliche„Kohorteneffekte“beachtetundkritischdiskutiertwer-
denmüssen.MitKohorteneffektisthiergemeint,dassz.B.dieGruppederheute60-bis69-Jäh-
rigenmit„unzureichenderBildung“früherineineranderengesellschaftlichenUmgebunggelebt
hatalsdieheute25-bis29-Jährigenmit„unzureichenderBildung“.Dementsprechendsindauch
diegesundheitlichenBelastungenundRessourcenvonPersonenmit„unzureichenderBildung“
abhängigvonderjeweiligenAltersgruppe.DasMerkmal„unzureichendeBildung“istinunserer
Stichprobebesondersbeidenüber60-Jährigenzubeobachten.DerKohorten-Effekthatsomitzur
Folge,dassdieErgebnisseunsererAnalysennursehreingeschränktaufdieGenerationübertra-
genwerdenkönnen,dieheuteeine„unzureichendeBildung“aufweist.Esistzuvermuten,dass
diejungenErwachsenenmit„unzureichenderBildung“heutenocherheblichmehralsfrühervon
dergesellschaftlichen„Norm“gesundheitsförderlichenVerhaltensabweichen,weilsieheutestär-
kergesellschaftlichausgegrenztwerden.Dieswürdedazuführen,dass„unzureichendeBildung“
heuteeinengrößerenEinflussaufdasAuftretenvonErkrankungenhabendürfte.UnsereErgeb-
nissestellendaherinsgesamtehereineUnter-alseineÜberschätzungderZusammenhängedar.
4.2 Variablen
Neben„unzureichenderBildung“gehenindiefolgendenUntersuchungenEinkommen,berufliche
Situation,FamilienstandsowieAlterundGeschlechtalssozioökonomischeKontrollvariablenein.
DieseKontrollvariablenbeugendemsogenannten„OmittedVariableBias“vor(d.h.,dassSchätz-
ergebnissedurchdasAuslassenwichtigerEinflussfaktorenverzerrtseinkönnen).Beispielsweise
könnteeinehoheoderniedrigeInanspruchnahmevonmedizinischenLeistungennichtnurdurch
dasBildungsniveau,sondernauchdurchdasEinkommenverursachtwerden.WürdedasEinkom-
meninderBetrachtungaußerAchtgelassenwerden,könntendieErgebnisseimHinblickaufden
EinflussderVariablen„Bildung“verzerrtseinundzufalschenRückschlüssenführen.Dajedoch
auchdasEinkommenwiederumvomBildungsstandabhängt,istessehrschwierig,dengenauen
EinflussderbeidenVariablenauseinanderzuhalten.GleichesgiltfürdieberuflicheSituation.Zur
ErklärungdesAuftretensvonErkrankungen(DiabetesMellitusundHerzkreislauf-Erkrankungen)
werdenzudemdieRisikofaktorenAdipositas,BewegungsmangelundRauchenindasSchätzmo-
delleinbezogen:SiebildendasGesundheitsverhaltenab,welcheslautdemtheoretischenModell
ebenfallseinenEinflussaufdasErkrankungsrisikohabendürfte.InsgesamtkanndieRegressi-
onsanalysealsodieverschiedenenEinflussmöglichkeitenvonBildungaufGesundheitrelativgut
abbilden:DurchdieVariable„unzureichendeBildung“wirdderdirekteEinflussvonBildungauf
Gesundheitüberprüft,durchdieVariablen„Einkommen“und„beruflicheSituation“derindirekte
EinflussüberTeilhabechancenundLebensumständeundüberdieVariablen„Rauchen“,„Bewe-
gungsmangel“und„Adipositas“derindirekteEinflussdesGesundheitsverhaltens.
Empirische Analyse zum Zusammenhang zwischen unzureichender Bildung und Gesundheitsrisiko
23
DasEinkommenwurdeinfünfgleichgroßeGruppen(Quintile)eingeteilt,entsprechenddesNetto-
Pro-Kopf-EinkommensdesHaushaltes.DasersteQuintilumfasstdabeidie20ProzentderHaus-
haltemitdemniedrigstenEinkommenunddientspäterindermultivariatenAnalysealsReferenz-
kategorie(d.h.wirdbeiderInterpretationderErgebnissealsVergleichskategorieherangezogen).
DieberuflicheSituationwird inmehrerenGruppenaufgegliedert,wobei „Erwerbstätigkeit“die
Referenzkategoriedarstellt.WeitereKategoriensindArbeitslosigkeit,Berufsunfähigkeit,Rentner
unddieKategorieHausfrau/-mann.10
Lebensstilund-einstellungkönnensichbeiSingles,Geschiedenen,VerheiratetenundVerwitwe-
tendeutlichvoneinanderunterscheiden,daherwirdfürdenFamilienstandkontrolliert(Referenz-
kategorieist„Verheiratet“).Umalters-undgeschlechtsbedingteVerzerrungenzuvermeiden,wird
fürjedeAltersgruppenachMännernundFrauenunterschieden.11
4.3 ZusammenhangzwischenunzureichenderBildungundMorbiditätbzw.Gesundheitsverhalten–DarstellungderKrankheitshäufigkeiten
IneinemerstenSchrittsolldieeinfacheVerteilungderKrankheitshäufigkeiten(„Prävalenzen“)für
dieausgewähltenIndikatorenzurMorbidität(DiabetesMellitus,chronischeHerzkreislauf-Erkran-
kungen)undzudenRisikofaktoren(Adipositas,Bewegungsmangel,Rauchen)nachBildung,Alter
undGeschlechtdargestelltwerden.ZwargebendiesedeskriptivenStatistikenkeinenAufschluss
überUrsache-Wirkungs-Beziehungen,dochsieveranschaulichenbereitseindrucksvoll,dassbei
denKrankheitshäufigkeitengroßeUnterschiedezwischendeneinzelnennachBildung,Alterund
GeschlechtdifferenziertenGruppenbestehen.
BetrachtetmandiePrävalenzvonDiabetesMellitus(Tabelle4),sowirddeutlich,dassderAnteil
der an Diabetes erkrankten Personen in nahezu allen Alters- und Geschlechtsgruppen für die
„unzureichend gebildeten“ Personen (mit Ausnahme der Frauen zwischen 60 und 79 Jahren)
deutlicherhöhtist.MitzunehmendemAltersteigtdiePrävalenzvonDiabetesMellitusan.
Empirische Analyse zum Zusammenhang zwischen unzureichender Bildung und Gesundheitsrisiko
10 Das Einkommen wurde nur in Einkommensklassen abgefragt, so dass eine Verwendung des exakten Einkommens nicht möglich ist. InhaltlichsprichtfürunserVorgehen,dassmansoverschiedeneEinkommensgruppendirektmiteinandervergleichenkann(z.B.dieunterstemitderoberstenEinkommensgruppe).MethodischbietetdieseKlassifizierungdenVorteil,dassmannichtdie (inderRealitätkaumzutreffende)Annahmeeineslinearenoder exponentiellenZusammenhangs zwischenEinkommenundErkrankungsrisiko treffenmuss.Berufsunfähigkeitwirdgesondert be-trachtet,dasieinderRegeldurchBehinderungoderschwereKrankheitbegründetist.EineZurechnungzuanderenGruppenkönntedemnachzuVerzerrungenführen.DadieGruppederRentneraufgrundihreshöherenAltershäufigeinehöhereRisikofaktoren-BelastungundeinenschlechterenallgemeinenGesundheitszustandhaben,werden„Rentner“alseigeneVariableeinbezogen.DieseVariablekorreliertnatürlichmitderentsprechen-denAlterskategorie.Hausfrauen/-männerunterscheidensichvondenBerufsunfähigenoderArbeitslosen.Vermutlichgehensie freiwilligkeinerErwerbstätigkeitnach(wennsieeineErwerbstätigkeitaufnehmenwollten,würdensiesicheherals„arbeitslos“bezeichnen).DieseEinteilungmagzunächstetwas„fein“erscheinen,sieführtjedochzueinermöglichstgroßenHomogenitätinnerhalbdereinzelnenGruppen.Würdemanbeispiels-weiseRentnerundArbeitslosezusammenfassen,hättemanzwareinerelativgroßeGruppe.Esistjedochdavonauszugehen,dasssichRentnerundArbeitslosebezogenaufihreLebenssituationgrundlegendvoneinanderunterscheiden.
11 DurchdiesesVorgehenkannfür jedeAlters-undGeschlechtsgruppeeineigenerEffektgeschätztwerden,sodassrestriktiveAnnahme(wiebei-spielsweisedieeineslinearenZusammenhangszwischenAlterundErkrankungsrisiko)vermiedenwerdenkönnen.AuchdürftekaumvoneinemhomogenenZusammenhangzwischenGeschlechtundErkrankungsrisikenüberalleAltersgruppenhinwegauszugehensein.
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BezogenaufdiechronischenHerzkreislauf-Erkrankungen(Bluthochdruck,Durchblutungsstörun-
genamHerzenundHerzinsuffizienz)unterscheidensichbeiMännernunter30JahrendiePräva-
lenzenzwischendenbeidenBildungsgruppenkaum(sieheTabelle5).IndenoberenAltersgrup-
penistbeiFrauenundMännerneinebesondershohePrävalenzinderGruppe„unzureichende
Bildung“zuerkennen.
Tabelle 4: Prävalenz von Diabetes Mellitus nach Bildunga, Alter und Geschlecht
Angaben in Prozent
Frauen Männer Frauen und Männer
Bildung unzureichend ausreichend unzureichend ausreichend unzureichend ausreichend
25 - 29 Jahre 2,29 0,99 3,15 1,04 2,71 1,01
30 - 39 Jahre 6,15 1,78 6,75 1,37 6,39 1,58
40 - 49 Jahre 4,58 3,60 2,83 4,19 3,93 3,88
50 - 59 Jahre 11,84 8,13 16,48 11,29 13,06 9,71
60 - 69 Jahre 13,79 14,38 22,38 18,19 15,16 16,28
70 - 79 Jahre 16,25 17,59 27,86 19,84 17,52 18,69
Gesamt 11,88 7,15 12,09 8,90 11,93 8,00
Anmerkung: a) Unzureichende Bildung: Personen mit höchstens Realschulabschluss und ohne abgeschlossene Berufsausbildung, ausreichende Bildung: alle anderen.
Quelle: Healthcare Access Panel 2007, eigene Berechnungen.
Tabelle 5: Prävalenz von chronischen Herzkreislauf-Erkrankungen nach Bildunga, Alter und Geschlecht
Angaben in Prozent
Frauen Männer Frauen und Männer
Bildung unzureichend ausreichend unzureichend ausreichend unzureichend ausreichend
25 - 29 Jahre - 2,94 3,15 3,67 1,54 3,28
30 - 39 Jahre 8,74 5,11 24,13 6,42 14,74 5,74
40 - 49 Jahre 14,10 14,15 24,75 15,79 18,04 14,94
50 - 59 Jahre 30,78 31,46 39,78 34,86 33,16 33,16
60 - 69 Jahre 53,61 45,17 58,87 49,26 54,45 47,21
70 - 79 Jahre 67,62 57,72 72,07 50,00 68,10 53,95
Gesamt 42,61 24,38 35,82 26,21 40,95 25,27
Anmerkung: a) Unzureichende Bildung: Personen mit höchstens Realschulabschluss und ohne abgeschlossene Berufsausbildung, ausreichende Bildung: alle anderen.
Quelle: Healthcare Access Panel 2007, eigene Berechnungen.
Empirische Analyse zum Zusammenhang zwischen unzureichender Bildung und Gesundheitsrisiko
12 FürunzureichendgebildeteFrauenunter30liegeninunseremDatensatzkeineFällevonHerzkreislauferkrankungenvor.
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AdipositasgiltalswesentlicherRisikofaktorfürDiabetesMellitusundchronischeHerzkreislauf-
Erkrankungen. Tabelle 6 stellt die Anteile der Personen dar, die nach WHO-Einteilung (Body-
Maß-Index>30)alsadipösbezeichnetwerden.Frauensindzumeist stärkervonFettleibigkeit
betroffenalsMänner.ÜberalleAltersgruppenhinwegweisendie„unzureichendgebildeten“eine
höherePrävalenzaufalsdie„ausreichendgebildeten“Frauen.AuchbeiMännernist(außerinder
Altersgruppe70-79Jahre)einähnlichesBildzuerkennen.
Tabelle 6: Prävalenz von Adipositasa nach Bildungb, Alter und Geschlecht
Angaben in Prozent
Frauen Männer Frauen und Männer
Bildung unzureichend ausreichend unzureichend ausreichend unzureichend ausreichend
25 - 29 Jahre 18,33 13,60 13,99 11,78 16,20 12,75
30 - 39 Jahre 28,93 17,94 41,84 16,23 33,96 17,12
40 - 49 Jahre 26,45 21,80 24,93 22,11 25,89 21,95
50 - 59 Jahre 33,27 26,86 35,11 27,54 33,75 27,20
60 - 69 Jahre 31,35 25,91 29,04 24,48 30,98 25,20
70 - 79 Jahre 28,01 25,64 12,21 27,60 26,29 26,60
Gesamt 29,23 22,34 27,64 22,15 28,84 22,25
Anmerkung: a) Body-Mass-Index > 30b) Unzureichende Bildung: Personen mit höchstens Realschulabschluss und ohne abgeschlossene Berufsausbildung, ausreichende Bildung: alle anderen.
Quelle: Healthcare Access Panel 2007, eigene Berechnungen.
Tabelle7zeigtdieVerteilungbeimRisikofaktor„Bewegungsmangel“(hierdefiniertals„sportliche
AktivitätselteneralseinmalproWoche“).DiePrävalenz ist inderGruppe„unzureichendeBil-
dung“immerdeutlichhöheralsinderGruppe„ausreichendeBildung“,undzwarbeiFrauenund
MännerninallenAltersgruppen.DieUnterschiedesindhiersogarnochgrößeralsbeiAdipositas.
Empirische Analyse zum Zusammenhang zwischen unzureichender Bildung und Gesundheitsrisiko
26
Tabelle 8: Anteil Rauchera nach Bildungb, Alter und Geschlecht
Angaben in Prozent
Frauen Männer Frauen und Männer
Bildung unzureichend ausreichend unzureichend ausreichend unzureichend ausreichend
25 - 29 Jahre 65,40 31,99 76,63 36,30 70,90 34,01
30 - 39 Jahre 58,75 31,27 63,69 36,12 60,68 33,60
40 - 49 Jahre 54,29 34,82 66,61 37,86 58,84 36,28
50 - 59 Jahre 38,51 31,25 45,98 35,04 40,48 33,14
60 - 69 Jahre 19,42 14,23 26,77 17,94 20,59 16,09
70 - 79 Jahre 6,10 6,31 17,50 11,39 7,35 8,79
Gesamt 28,54 26,65 51,54 30,46 34,13 28,51
Anmerkung: a) regelmäßiges oder gelegentliches Rauchenb) Unzureichende Bildung: Personen mit höchstens Realschulabschluss und ohne abgeschlossene Berufsausbildung, ausreichende Bildung: alle anderen.
Quelle: Healthcare Access Panel 2007, eigene Berechnungen.
Tabelle 7: Bewegungsmangela nach Bildungb, Alter und Geschlecht
Angaben in Prozent
Frauen Männer Frauen und Männer
Bildung unzureichend ausreichend unzureichend ausreichend unzureichend ausreichend
25 - 29 Jahre 77,66 41,09 63,26 45,52 70,61 43,17
30 - 39 Jahre 71,00 47,19 67,66 50,50 69,70 48,78
40 - 49 Jahre 58,79 43,75 76,12 53,78 65,19 48,57
50 - 59 Jahre 68,05 46,05 68,60 57,30 68,20 51,66
60 - 69 Jahre 54,20 40,73 65,02 49,37 55,93 45,05
70 - 79 Jahre 55,57 45,12 73,48 51,82 57,52 48,39
Gesamt 60,24 44,30 69,97 52,14 62,61 48,12
Anmerkung: a) sportliche Aktivität seltener als einmal pro Woche b) Unzureichende Bildung: Personen mit höchstens Realschulabschluss und ohne abgeschlossene Berufsausbildung, ausreichende Bildung: alle anderen.
Quelle: Healthcare Access Panel 2007, eigene Berechnungen.
Empirische Analyse zum Zusammenhang zwischen unzureichender Bildung und Gesundheitsrisiko
Rauchenwurdedefiniertals„regelmäßigesodergelegentlichesRauchen“.DieAnalysenzeigen,
dassdieWahrscheinlichkeitzurauchenmitansteigendemAlterabnimmt.Vorallemweisensie
erneut darauf hin, dass Personen mit „unzureichender Bildung“ deutlich höhere Prävalenzen
aufweisenalsPersonenmit„ausreichenderBildung“(Tabelle8).DieeinzigeAusnahme(beialler-
dingssehrniedrigenPrävalenzen)isthierbeiFrauenzwischen70und79Jahrenzusehen.
27
4.4 ZusammenhangzwischenunzureichenderBildungundMorbiditätbzw.Gesundheitsverhalten–multivariateAnalyse
ImvorigenAbschnittwurdegezeigt,dasssich„unzureichendgebildete“PersonenbezüglichMor-
biditätundGesundheitsverhaltendeutlichvondenPersonenmit„ausreichenderBildung“unter-
scheiden. Anhand dieser Ergebnisse lassen sich besonders betroffene Gruppen identifizieren.
EineAussagedarüber,obunzureichendeBildungeineUrsachefürhöhereKrankheitshäufigkeiten
ist,lässtsichjedochmiteinerreindeskriptivenDarstellungnichttreffen.Willmandiekomple-
xenZusammenhängemethodischbessererfassen (undzudemUrsache-Wirkungs-Beziehungen
abschätzen),somüssendieverschiedenenEinflussfaktorenineinemmultivariatenAnalysemodell
gemeinsamberücksichtigtwerden.SelbstverständlichkannauchbeimultivariatenAnalysenaus
statistischsignifikantenZusammenhängennochnichtzwingendaufKausalitätgeschlossenwer-
den.ImUnterschiedzurreindeskriptivenDarstellung(sieheoben)bietetdiemultivariateAnalyse
jedochdieMöglichkeit,dieZusammenhängebeigegenseitigerstatistischerKontrollederverschie-
denenEinflüssezuüberprüfen.WirverwendenhiereinsimultanesMehrgleichungsmodell;dieser
vergleichsweiseneuemethodischeAnsatzwurdeunseresWissensfürDeutschlandbishernoch
nichtangewandt.
ImMittelpunktderBetrachtungstehtdieErklärungskraftderVariablen„unzureichendeBildung“.
DieweiterenVariablen(Einkommen,Berufstätigkeit,Familienstand,AlterundGeschlecht)fließen
alsKontrollvariablenein–sowirdversucht,dendirektenEinflussvon„unzureichenderBildung“
getrenntvonanderenEinflüssenzuerfassen.DaEinkommenundBerufstätigkeitjedochmaßgeb-
lichvomBildungsstandabhängen, isteinescharfeTrennungschwierig.ErweisensichEinkom-
menundBerufstätigkeitalssignifikant,wäredieseinHinweisaufdenimtheoretischenModell
dargestelltenindirektenEinflussvonBildungüberTeilhabechancenundLebensverhältnisseauf
Gesundheit.BeidenAngabenzuDiabetesundHerzkreislauf-Erkrankungenwerdenalszusätzli-
cheKontrollvariablenauchAngabenüberdiegesundheitlichenRisikofaktoreneinbezogen.Dem
theoretischenModellnachdürfteBildungeinendirektenEinflussaufdasGesundheitsverhalten
(d.h.diegesundheitlichenRisikofaktorenRauchen,BewegungsmangelundAdipositas)habenund
überdieseRisikofaktorenwiederumeinenindirektenEinflussaufdieErkrankungen.
Dakaumdavonausgegangenwerdenkann,dassdieRisikenfürRauchen,Bewegungsmangel,Adi-
positas,Herzkreislauf-ErkrankungenundDiabetesMellitusunabhängigvoneinanderverteiltsind,
wirdeinmultivariatesProbit-Modellverwendet,umfürjedenBefragteneinindividuellesRisiko
abschätzenzukönnen(eineErläuterungdesModellsfindetsichinMielcku.a.2012).Anhandder
Regressionskoeffizienten kann geschätzt werden, welche Einflussfaktoren statistisch messbare
Auswirkungenhaben.DabeiwerdenalleVariableneinbezogen:„unzureichendeBildung“(Refe-
Empirische Analyse zum Zusammenhang zwischen unzureichender Bildung und Gesundheitsrisiko
13 Wiebereitserwähnt,lassensichauchindiesemModell„nur“statistischeundkeinekausalenZusammenhängeaufdecken.EinstatistischerZusam-menhangzwischen„unzureichenderBildung“underhöhterMorbiditätistdemnachnochkeinBeweisfüreinenkausalenZusammenhang.Dazuwä-renStudienerforderlich,indenenUrsacheundFolgezuunterschiedlichenZeitpunktenerfasstwordensind.EineDatenbasis,diediesermöglichenwürde,gibtesfürDeutschlandjedochleidernicht.
28
Tabelle 9: Partielle Effekte der multivariaten Regression
Angaben in Prozentpunkten
Diabeteschronische
Herzkreislauf-Erkrankungen
AdipositasBewegungs-
mangelRauchen
Bildung
unzureichende Bildung 0,00 3,22 3,13 13,95 12,55
Einkommen „(Referenzkategorie 1. Quintil)“
2. Quintil -0,97 -1,20 -1,38 -2,39 -1,98
3. Quintil -2,06 -1,26 -3,79 -6,33 -1,87
4. Quintil -1,56 -2,44 -6,14 -7,25 -3,51
5. Quintil (höchstes) -3,10 -3,37 -8,14 -14,37 -7,52
Berufstätigkeit (Referenzkategorie: Erwerbstätig)
Arbeitslos 2,42 2,68 6,81 8,15 6,95
Hausfrau/-Mann, Mutterschutz, Studenten
3,01 0,16 -0,38 3,16 -4,87
Rentner 5,38 7,29 4,08 -4,72 -5,96
berufsunfähiga 11,79 14,05 12,82 10,34 4,42
Familienstand (Referenzkategorie: Verheiratet)
Ledig 2,56 0,23 -1,88 -8,52 3,74
geschieden, getrennt lebend
1,38 -1,32 -1,35 -4,93 10,42
Verwitwet 0,94 -0,54 3,32 -2,14 5,53
Kohorten (Referenzkategorie: 30-39, weiblich)
25 - 29, weiblich -2,44 -5,74 -5,16 -4,58 0,97
25 - 29, männlich -1,57 -2,12 -6,50 1,06 4,54
30 - 39, männlich -0,38 4,30 -0,92 4,37 4,71
40 - 49, weiblich 4,02 14,95 3,44 -4,44 1,55
40 - 49, männlich 5,55 16,95 4,24 6,70 5,51
50 - 59, weiblich 10,53 30,80 7,19 -3,40 -2,30
50 - 59, männlich 15,06 33,58 8,54 8,38 2,39
60 - 69, weiblich 12,52 38,30 2,20 -6,74 -14,71
60 - 69, männlich 18,28 41,79 2,21 3,03 -9,22
70 - 79, weiblich 14,65 47,31 0,10 -2,06 -23,60
70 - 79, männlich 19,21 40,31 4,11 6,23 -14,71
Risikofaktoren
Bewegungsmangel 2,38 4,89
Rauchen -0,85 -2,21
Adipositas 10,04 19,19
Anmerkung: Die Tabelle zeigt die durchschnittlichen partiellen Effekte als Mittelwert der individuellen Effekte. Statistisch signifikante Effekte (5%-Niveau) sind fett hervorgehoben. Ein Test auf gegenseitige Abhängigkeit der erklärenden Variablen (Multikollinearität) hat gezeigt, dass hier keine daraus resultie-renden Verzerrungen zu befürchten sind. Die Referenzgruppe pro Variable ist oben im Text aufgeführt.a) Betrachtet man die Ergebnisse für Berufsunfähigkeit, so zeigt sich (verglichen mit erwerbstätigen Personen) eine 12- bis 14 Prozentpunkte höhere
Wahrscheinlichkeit für Diabetes, chronische Herzkreislauf-Erkrankungen und Adipositas. Dabei handelt es sich jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach um umgekehrte Kausalität: Es ist gut möglich, dass Diabetes Mellitus und Herzkreislauf-Erkrankungen zu Berufsunfähigkeit führen und nicht um-gekehrt.
Quelle: Healthcare Access Panel 2007, eigene Berechnungen.
Empirische Analyse zum Zusammenhang zwischen unzureichender Bildung und Gesundheitsrisiko
29
renzgruppe„ausreichendeBildung“),Einkommen(eingeteilt inQuintile,Referenzgruppe„nied-
rigsteEinkommensgruppe“),Berufstätigkeit(Referenzgruppe„Erwerbstätigkeit“),Familienstand
(Referenzgruppe„verheiratet“),AlterundGeschlechtundbeibeidenKrankheitenzusätzlichauch
dieverschiedenenRisikofaktoren.13
Tabelle9zeigtdieErgebnissedermultivariatenAnalyse.DerEinflussunzureichenderBildung
stelltsichjenachKrankheitsformbzw.Risikofaktorganzunterschiedlichdar.SoliegtdieWahr-
scheinlichkeitzurauchenbeieinerPersonmit„unzureichenderBildung“um12,55Prozentpunkte
höheralsbeieinerPersonmit„ausreichenderBildung“,wennbeidePersonenbezogenaufdie
anderenVariablenkeineUnterschiedeaufweisen.MitanderenWorten:Vergleichtmanzweigleich
altePersonengleichenGeschlechtsindergleichenEinkommensgruppemitgleichemBerufssta-
tusundFamilienstand,diesichnurdurchdenBildungsstatusunterscheiden,soliegt(lautdem
zugrunde liegenden Modell) die geschätzte Wahrscheinlichkeit zu rauchen bei der Person mit
„unzureichenderBildung“um12,55ProzentpunktehöheralsbeiderPersonmit„ausreichender
Bildung“.DiegleicheLesartgilt füralle inTabelle9aufgeführtenEffekte(negativeVorzeichen
bedeuten,dasssichdieWahrscheinlichkeitenentsprechendreduzieren).
Unzureichend gebildete Personen treiben demnach auch signifikant seltener Sport als ausrei-
chendGebildete:BewegungsmangelistbeieinerunzureichendgebildetenPersonum13,95Pro-
zentpunktehäufigeralsbeieineransonstengleichen,ausreichendgebildetenPerson.DasRisiko,
aneinerchronischenHerzkreislauf-Erkrankungzuleiden,liegtbeiunzureichendGebildetenum
3,22 Prozentpunkte über dem einer ausreichend gebildeten Person – der Zusammenhang mit
unzureichenderBildungisthierdeutlichschwächerausgeprägt.BezogenaufDiabetesundAdipo-
sitaslassensich(beigleichzeitigerKontrollederanderenVariablen)keinesignifikantenEffekte
derBildungsvariablenfeststellen.
IndeneinfachenHäufigkeitsvergleicheninAbschnitt4.3isteinklarerhöhtesgesundheitliches
Risikobeiden„unzureichendGebildeten“gefundenworden(vgl.Tabellen4bis8).UmdenÜber-
gang von diesen einfachen Vergleichen bis hin zu den multivariaten Modellen (vgl. Tabelle 9)
verdeutlichenzukönnen,sindeinigeweitereAnalysendurchgeführtworden(sieheMielcku.a.
2012).Diesezeigen,dassderZusammenhangzwischenBildungundDiabetesMellitusdeutlich
schwächerwird,sobalddieVariable„Berufstätigkeit“indasModellaufgenommenwird.Berufs-
tätigkeit erklärt also offenbar einen großen Teil des Zusammenhangs zwischen Bildung und
Gesundheitszustand.EineweiteredeutlicheVerringerungdesZusammenhangszwischenBildung
undDiabetes istzusehen,wennzusätzlichauchnochAdipositas,BewegungsmangelundRau-
chenkontrolliertwerden.DieseverhaltensbezogenenRisikofaktorenerklärenalsoeinenweite-
rengroßenAnteildesZusammenhangszwischenBildungundDiabetes.DieseArtmultivariater
Analysenverdeutlichensomit,dassdieVariable„unzureichendeBildung“eherindirektmitdem
GesundheitszustandzusammenhängtundzwarüberandereVariablenwieBerufstätigkeitoder
Gesundheitsverhalten.DieseindirektenZusammenhängewurdenbereitsimtheoretischenModell
sovermutet.
Empirische Analyse zum Zusammenhang zwischen unzureichender Bildung und Gesundheitsrisiko
30
Tabelle 9 zeigt, dass ein höheres Einkommen mit einer geringeren Wahrscheinlichkeiten der
untersuchten Krankheiten (Diabetes Mellitus, Herzkreislauf-Erkrankungen) und Risikofaktoren
(Adipositas,Bewegungsmangel,Rauchen)einhergeht.AuchdiesisterneuteinHinweisaufden
indirektenEinflussvonBildung:DerBildungsstandhatAuswirkungenaufdieEinkommenshöhe,
diesewiederumaufTeilhabechancenundLebensverhältnisse–undbeidesstehtinZusammen-
hangmitGesundheitundGesundheitsverhalten.
BetrachtetmandenEinflussderRisikofaktorenBewegungsmangel,RauchenundAdipositas,so
wirddeutlich,dassvorallemAdipositaseinehohegesundheitlicheBedeutunghat.Nachstatis-
tischerKontrollederanderenVariablenerhöhtAdipositasdasRisikovonDiabetesMellitusum
ca.10ProzentpunkteunddasRisikofürHerzkreislauf-Erkrankungensogarumca.19Prozent-
punkte.BeiBewegungsmangelundRauchenistdagegeneindeutlichgeringererEffektzusehen.
DaBewegungsmangelundAdipositasengmiteinanderzusammenhängen,könntedieKontrolle
von Bewegungsmangel zu einer Verringerung des beobachteten Effekts von Adipositas führen
(undumgekehrt).Erstaunlichist,dassRauchenkeinenodersogareinen(statistischjedochnicht
signifikanten!)risikoverringerndenEinflussaufdieuntersuchtenErkrankungenhat.
DieErgebnissefürAlterundGeschlechtmüssenjeweilsinRelationzurReferenzkategorie–also
30bis39-jährigenFrauen–gesehenwerden.Eszeigtsich,dassMännerundFraueneinmitdem
AltersteigendesDiabetesrisikohaben,MännerjedochdurchschnittlicheinetwashöheresRisiko
tragen.BeiHerzkreislauf-ErkrankungenistebenfallsfürbeideGeschlechtereinesteigendeAlters-
prävalenzerkennbar;dieseistderTabellezuFolgeauchhierbeidenMännernetwashöheralsbei
denFrauen.BeiAdipositassinddieUnterschiedezwischenMännernundFrauengeringeralsbei
denvorherbetrachtetenRisiken.DasRisikofürBewegungsmangelistbeiMännerndeutlichhöher
alsbeiFrauen,ebensodasRisikozurauchen.
Empirische Analyse zum Zusammenhang zwischen unzureichender Bildung und Gesundheitsrisiko
31
Ergebnisse und Schlussfolgerungen
5 ErgebnisseundSchlussfolgerungen
Dieersten,einfachenAnalyseninAbschnitt4.3habenbestätigt,waszuvorschoninanderenArbei-
tengezeigtwurde:PersonenmitgeringerBildungweiseneinenbesondersschlechtenGesundheits-
zustandunderhöhtegesundheitlicheRisikofaktorenauf.DieeigenemultivariateAnalysebeleuch-
tet diese Ergebnisse jedoch differenzierter. Auch nach Kontrolle weiterer Einflussfaktoren hat
unzureichendeBildungeinenstatistisch signifikantenEinflussaufHerzkreislauf-Erkrankungen,
Bewegungsmangel und Rauchen. Gerade für die beiden Indikatoren des Gesundheitsverhaltens
„Bewegungsmangel“und„Rauchen“istdieserdirekteZusammenhangmitdemMerkmal„unzurei-
chendeBildung“auchimmultivariatenModellsehrdeutlich.ImFallevonDiabetesundAdipositas
kanneinsolcherdirekterZusammenhangnichtnachgewiesenwerden.Indirektbeeinflusstunzu-
reichendeBildungjedochalleErkrankungenundRisikofaktorenüberEinkommenundBerufstä-
tigkeit(d.h.TeilhabechancenundLebensverhältnisse):ArbeitslosigkeitundgeringesEinkommen
gehenfürallebetrachtetenErkrankungen(Diabetes,Herzkreislauf-Erkrankungen)undVerhaltens-
variablen(Rauchen,Bewegungsmangel,Adipositas)mitdeutlichenRisikoerhöhungeneinher.
Diealters-undgeschlechtsbedingteVerteilungsowohldesMerkmals „unzureichendeBildung“
alsauchdergesundheitlichenBelastungsmerkmaleführtjedochdazu,dassdieAussagekraftdes
Analysemodellsbeschränkt ist.Wichtig isthiervorallemdiebereitsobenerwähnteÄnderung
derBildungsstrukturinDeutschlandindenvergangenenJahrzehnten.Demnachistessehrgut
möglich,dasssichdieAlterskohorteninihrenStrukturen,ErwerbsbiographienundLebensläufen
erheblichundsystematischvoneinanderunterscheiden.14Obenwurdeauchbereitserläutert,dass
indenältestenKohortenbesondersvielenachunsererDefinition„unzureichendGebildete“zu
finden sind. Ältere Personen mit „unzureichender Bildung“, an denen wir heute die unmittel-
barenFolgen fehlender Bildungbeobachten könnten, erlebten in ihrerKinder- und Jugendzeit
abereineanderegesellschaftlicheSituation,alswirsieheutebeiKindernundJugendlichenmit
„unzureichender Bildung“ vorfinden. Unklar bleibt, ob sich die gegenwärtig junge Generation
mit„unzureichenderBildung“vonihrenAltersgenossenmit„ausreichenderBildung“deutlicher
unterscheidenwirdalswiresheutebeiälterenAltersgruppensehen.Möglicherweisewerdendie
Unterschiede zwischendenunzureichendundausreichendgebildetenGruppenviel deutlicher
sein,daPersonenohneAbituroderAusbildungsabschlussheuteschlechtereArbeitsmarkt-und
TeilhabechancenhabenalsesfrüherderFallwar.
14 UmdieBedeutungeinesmöglichenKohorteneffektszuüberprüfenwurdedieRegressionmiteinem„gekürzten“Datensatzwiederholt.DafürwurdenbeiderRegressiondie60-bis79-Jährigennichtberücksichtigt,umVerzerrungendurchveränderteGesellschafts-undBildungsstrukturenzuverrin-gern.DasichdieErgebnissejedochinhaltlichnurmarginalvondeneninTabelle9unterscheiden,wirdaufdiesenAnsatznichtweitereingegangen.
32
Ergebnisse und Schlussfolgerungen
DahermüssendieErgebnissemitgroßerVorsichtinterpretiertwerden.Dievonunsberechneten
EffekteunzureichenderBildungaufErkrankungenundgesundheitlicheRisikofaktorensindwahr-
scheinlichsonichtaufdiegesamteBevölkerungübertragbar.Leidergibtesderzeitaberkeinen
besserenDatensatz,denwiranstelledesvorliegendenDatenmaterialshättenverwendenkönnen.
SolcheDatenwärendringenderforderlich,umdembestehendenForschungsbedarfindiesemFeld
nachkommenunddenZusammenhangzwischenBildungundGesundheitbesserverstehenzu
können.Füreinewirksame,präventiveGesundheits-undBildungspolitikwärensolcheErkennt-
nisseeingroßerFortschritt.
VermehrteInvestitioneninBildungkönnenvermutlichnursehrlangfristigzugeringerenAusga-
benimGesundheitswesenführen.AucheinkonkretesEinsparpotenzialeinerBildungsreformim
GesundheitsbereichkannaufgrundderobenskizziertenProblemeeinerFolgekostenberechnung
heutenichtbeziffertwerden.DennochsolltederinderLiteraturaufgezeigteundinunsererAna-
lysebestätigtedirekteund indirekteZusammenhangzwischenBildungundGesundheitgenug
AnlassfürpolitischeAkteuresein,sichstärkerdafüreinzusetzen,diegesundheitlicheUngleich-
heitzuverringern.PolitischeAbsichtserklärungenzufindenistnichtschwer.Sieverdeutlichen,
dassdie„Botschaft“beiden(gesundheits)-politischenAkteurendurchausangekommenistund
siediegesundheitlicheUngleichheitalsschwerwiegendesProblemernstnehmen.
DochwomüsstenMaßnahmenzurVerringerungdieserUngleichheitansetzen?Bisherkannaus
der vorliegenden Forschung und unserer eigenen Analyse lediglich als Handlungsempfehlung
abgeleitetwerden,dasssichAnsatzpunktefürPräventionnichtnurbeimGesundheitsverhalten
des Einzelnen bieten. Vielmehr sollte auch bei den Lebensverhältnissen und Teilhabechancen
derBetroffenenangesetztwerden.InepidemiologischenStudienistwiederholtgezeigtworden,
wiestarkGesundheitsverhaltenund-zustanddurchdiegegenwärtigenundauchdurchdiefrü-
herenLebensverhältnissegeprägtwerden.Eswäredemnachwenigwirksamundauch„unfair“,
dieUrsachenfüreineErkrankungalleinbeimGesundheitsverhaltendesErkranktenzusuchen.
Lebensverhältnisse und Teilhabechancen können sich aber nachhaltig nur verbessern, wenn
unzureichendeBildungabgebautwird.Esgilt,jedemJugendlicheneinenAusbildungsabschluss
zuermöglichen,sodasserbzw.sieeineChanceaufTeilhabeamArbeitsmarktundanderGesell-
schafthat.FürdieReduzierunggesundheitlicherRisikenundErkrankungenunddieÜberwin-
dunggesundheitlicherUngleichheitwäredasvonentscheidenderBedeutung.
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Über die Autoren
ÜberdieAutoren
Prof.Dr.MarkusLüngen istseitdemJahr2011Professor fürVolks-
wirtschaft,insbesondereGesundheitsökonomie,anderHochschuleOsna-
brück.Von2005bis2011warerkommissarischerLeiterdesInstitutfür
Gesundheitsökonomie und klinische Epidemiologie der Uniklinik Köln
(IGKE)undVertreterderProfessurGesundheitsökonomie.Erhabilitierte
2006imFachGesundheitsökonomieanderWirtschafts-undSozialwissen-
schaftlichenFakultätderUniversitätzuKöln.SeineArbeitsschwerpunkte
liegen in den Bereichen Finanzierungs- und Verteilungsfragen des Ge-
sundheitswesens,ZugangzurVersorgungsowieKosten-NutzenAnalysen.
Dr.AndreasMielck istseit1989wissenschaftlicherMitarbeiteram
HelmholtzZentrumMünchen,Institut fürGesundheitsökonomieund
ManagementimGesundheitswesen.ErstudierteSoziologieundEpide-
miologieanderUniversitätHamburgundanderUniversityofNorthCa-
rolinaatChapelHill,USA.ImMittelpunktseinesForschungsinteresses
stehtdasThema„SozialeUngleichheitundGesundheit“.
Diplom-KauffrauKatharinaKorberistseit2010wissenschaftliche
Mitarbeiterin am Helmholtz Zentrum München, Institut für Gesund-
heitsökonomieundManagementimGesundheitswesen.Siestudierte
BetriebswirtschaftslehremitdemSchwerpunktGesundheitsökonomie
anderLudwig-Maximilians-UniversitätMünchen.IhreForschungsin-
teressenliegenimBereichdergesundheitsökonomischenAspekteso-
zialerUngleichheit.
Diplom-VolkswirtMartinSiegelforschtseit2007alswissenschaft-
licherMitarbeiteramInstitutfürGesundheitsökonomieundklinische
EpidemiologiederUniklinikKölnüberMethodenzurMessunggesund-
heitlicherUngleichheit.ErhatanderChristian-Albrechts-Universität
zuKielVolkswirtschaftslehremitdemSchwerpunktquantitativeWirt-
schaftsforschungstudiert.
Foto:MFK(MedizinFotoKöln)
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Zusammenfassung
Impressum
©2012BertelsmannStiftung
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33311Gütersloh
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Verantwortlich
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Titelfoto
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Carl-Bertelsmann-Straße 256
33311 Gütersloh
Telefon +49 5241 81-0
Fax +49 5241 81-81999
Antje Funcke
Programm Wirksame Bildungsinvestitionen
Telefon +49 5241 81-81243
Fax +49 5241 81-681243