Fortentwicklung des Petitionsrechts durch Personalisierung der parlamentarischen Kontrolleund Dialogorientierung
Prof. Dr. Annette Guckelberger
Seite 219.04.2013
PetitionsrechtArt. 2 Abs. 1 LVerf i.V.m. Art. 17 GG:„Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die Volksvertretung zu wenden.“
= ist multifunktional
• form- und kostenloser Rechtsbehelf
• Anregung von Themen für politische Agenda
≠ Anspruch auf Entsprechung Anliegen
= Recht auf Kenntnisnahme, Prüfung und Verbescheidung
Seite
• zunehmende Verrechtlichung• gestiegenes Selbstbewusstsein der Bürger/-innen
Petitionen sind ein Kommunikationsmittel
dienen der Verständigung zwischen Staat und Bürger
Parlament als Petitionsadressat, das als Staatsorgan den Bürgern am nächsten steht.
3
Seite
Maßnahmen zur Verbesserungdes Petitionswesens
• elektronische/öffentliche Petitionen als Reaktion auf die neuen IuK-Technologien
• Verankerung des Petitionsausschusses in der Verfassung und Stärkung seiner
Befugnisse
= so die Mehrzahl der Bundesländer
s. Art. 35a LVerf BW
4
Seite
Einführung eines/einer Bürgerbeauftragten
= als parlamentarisch bestellte Ombudsperson
bislang nur in Rheinland-Pfalz (1974), Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Schleswig-Holstein
=> Deutschland befindet sich angesichts der zwischenzeitlich weltweiten Verbreitung der Idee des Ombudsmanns in einer Außenseiterrolle.
5
Seite
• 25 von 27 EU-Mitgliedstaaten verfügen über nationale Ombudspersonen
• Petitionsrecht zum Europäischen Parlament + Beschwerderecht wegen Verwaltungsmissständen zum Europäischen Bürgerbeauftragten
auch Möglichkeit von Eigeninitiativuntersuchungen
Kontrolle der Einhaltung von Verfahrensvorschriften und weicher Standards wie dem Höflichkeitsgebot
Verdienst um Fortentwicklung von Verfahrensanforderungen, s. Europäischer Kodex für gute Verwaltungspraxis
6
Seite
Früher geäußerte Zweifel an der Übertragbarkeit
der im nordischen Recht verwurzelten Ombudsmann-
Idee auf Deutschland vermögen angesichts ihrer
weltweiten Verbreitung heute nicht mehr zu
überzeugen!
Rechtsvergleichende Studien ergeben eine
Diversifizierung des Ombudsmann-Konzepts
die Ombudsstelle ist in die Eigenheiten eines
konkreten Rechtssystems zu implementieren
7
Seite
Petitionsbehandlung im Petitionsausschuss• mehrere Mitglieder entsprechend Parteienproporz
im Plenum
• Stimmenmehrheit entscheidet
8
Schwachstellen
• anonymes Gremium für Bürger
• politische Abhängigkeit der Mitglieder
• Bearbeitungsdauer wegen Abstimmungsprozessen
• anderweitige Arbeitsbelastung der Ausschussmitglieder
in der Praxis äußerst selten direkter Kontakt zum Petenten
Ausschussmitglieder verlassen sich auf Regierungsstellungnahme
Seite
Rechtsfigur des/der Bürgerbeauftragten
• Vertrauensperson
• vom Parlament gewählt
• aber unabhängige Rechtsstellung
• übt zum Schutz der Rechte des Individuums sowie zur parlamentarischen Kontrolle eine umfassende Aufsicht über die Verwaltung aus
• kann Verwaltungsentscheidungen nicht korrigieren, sondern nur beanstanden
9
Seite
Besondere Merkmale
• Unabhängigkeit
• Selbstaufgriffsbefugnis
• wegen rechtlich unverbindlicher Entscheidungen keine Beschränkung auf Rechtskontrolle, sondern auch Prüfung außerrechtlicher Maßstäbe
• kann im Zuge seiner Berichtspflichten strukturelle Mängel aufzeigen
10
Seite
Vorteile des/der Bürgerbeauftragten• hat für Petenten ein Gesicht
• Eingaben werden wegen Unabhängigkeit unpolitisch behandelt
• agiert unabhängig von Mehrheiten
= Tätigkeit kommt dem gesamten Parlament zugute
• kann sich ganz auf sein Aufgabenspektrum konzentrieren
= erlangt größere Fachkompetenz
tritt in Kontakt mit Petenten
spricht mit der Verwaltung
bringt bei Bedarf beide Seiten zusammen
schnelle und effektive Petitionserledigung
11
Seite
Ombudsperson erreicht in aller Regel einen hohen Grad an Bürgernähe
Bürgerbeauftragte/r soll sich für Anliegen der Bürger engagieren
12
Aber: Keine einseitige Durchsetzung der Bürgerinteressen um jeden Preis!
= hat ggf. die Verwaltung vor ungerechtfertigten Vorwürfen in Schutz zu nehmen
= dann Bürgernähe, indem Petenten die Entscheidung der Behörde in verständlicher Sprache erklärt wird
Seite
Immer wieder ist die Ausgestaltung des Petitionswesens im Hinblick auf die aktuellen Gegebenheiten auf den Prüfstand zu stellen, z. B.
• Möglichkeiten durch IuK-Technologien
• Einführung eines Anhörungsrechts der Petenten
13
Auch beim Bürgerbeauftragtenmodell ist eine Abwägung zwischen Pro- und Contra-Argumenten vorzunehmen!
Seite
Einwand: Ausgebauter gerichtlicher Rechtsschutz andere Staaten haben trotzdem Ombudsperson
14
Verwaltungsgerichte Bürgerbeauftragte/r
nur Rechtskontrolle, z. B. hins. Ermessensfehler
kann andere Möglichkeiten der Ermessensausübung ausloten
Verfahrensfehler i. E. oft ohne Relevanz
kann Einhaltung der Verfahrensrechte und weicher Verwaltungsstandards einfordern
prüfen nur den an sie herangetragenen Fall
auch Eigeninitiativ-untersuchungen, Rüge systematischer Mängel
juristischer Fachjargon verständliche Sprache
Seite
Selbstentmachtung des Parlaments? Ombudsperson trägt zu intensiverer Kontrolle der Verwaltung und weitergehenden Verbesserungen des
Verwaltungshandelns bei.
Es lässt sich durchaus ein sinnvolles Nebeneinander der Einrichtungen bewerkstelligen („Win-Win-Situation“)
- Bürgerbeauftragte/r kann durch Vorarbeiten den Petitionsausschuss entlasten.
- Letzterer kann sich auf Problemfälle konzentrieren.
- Bürgerbeauftragter kann zu einer Aufwertung des Petitionsrechts, des Petitionsausschusses, des Parlaments und der Verwaltung beitragen.
15
Seite
Entstehung weiterer Bürokratie, die zu Verwirrungen führt?
Bürgerbeauftragte/r ist von Verwaltung unabhängig.
Ombudsperson soll den Petenten unbürokratisch helfen, s. die Unförmlichkeit der Vorgehensweise
Verwirrung lässt sich durch klare Zuständigkeitsregelungen und durch Informationen über den richtigen Ansprechpartner begegnen.
16
Seite
Entstehung zusätzlicher Kosten?
Doppelungen in der Bearbeitung der Eingaben durch die Ombudsperson und den
Petitionsausschuss sollten vermieden werden.
Wegen der Entlastungswirkung des Bürgerbeauftragten benötigt der Ausschuss weniger Personal.
Tätigkeit des/der Bürgerbeauftragten führt zu einem Mehrwert.
17
Seite
Entstehung einer 4. Gewalt außerhalb von Exekutive, Judikative und Legislative?
Bürgerbeauftragte/r gehört nicht zur Rechtsprechung
(keine rechtsverbindlichen Entscheidungen, formlose Verfahrensweise, Selbstaufgriffsbefugnis)
Bürgerbeauftragter gehört nicht zur Verwaltung
(aufgrund seiner Unabhängigkeit und externen Kontrollfunktion)
18
Seite
Nähebeziehung zum Parlament
Bürgerbeauftragte/r wird von diesem gewählt
Bürgerbeauftragte/r ist diesem berichtspflichtig
Bürgerbeauftragte/r soll dieses unterstützen
- Entlastung bei der Petitionsbearbeitung
- Selbstaufgriffsbefugnis parallel zur parlamentarischen Kontrolle der Verwaltung
19
Seite
Kein Entstehen einer 4. Gewalt
20
indem die Einrichtung als Hilfsorgan des Parlaments konzipiert wird
so die ü.M. in Deutschland
weil die Ombudsperson keine rechtsverbind-lichen Entscheidungen trifft, wird eine Störung des Gewaltengleichgewichts verneint
Seite
Rechtliche Maßnahmen zur Etablierung einer/eines Bürgerbeauftragten
am besten Verankerung im Landesverfassungsrecht
- Steigerung des Bekanntheitsgrads
- Sicherung der Unabhängigkeit
- Klarstellung des Verhältnisses zum Petitionsausschuss
- Stabilität und Kontinuität der Einrichtung
21
Seite
str., ob Einführung durch einfaches Parlamentsgesetz
so die Rechtslage in Rheinland-Pfalz
m.E. abhängig von verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen und Konzeption der Einrichtung
22
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!