Geographie der Armut.Räumliche und soziale Disparitäten
290162 SE Seminar aus Humangeographie/Wirtschaftsgeographie3 St., WS 2006/07, 13:15 - 16:00
Leitung: Peter WeichhartStudienassistenten: Stephan Strasser und Christian Leupold
Seminarraum des Instituts
WS 2006/07 SEMArmut01
Einführung in das Thema
Das Ende der Geographie?
SEMArmut02
Glaubt man den Entwicklungstheorien der Neo-klassik und des Postkeynesianismus, dann müssten
im Zeitverlauf alle sozioökonomischen Differenzenzwischen verschiedenen Regionen verlässlich
abgebaut werden.
Eine große Gruppe von Globalisierungstheoretikernwird nicht müde, Globalisierung als einen Prozesszu beschreiben, durch den kulturelle, soziale und
ökonomische Disparitäten auf globaler Maßstabs-ebene zunehmend eingeebnet würden, was mit
Notwendigkeit zum „Ende der Geographie“ führenmüsse.
Räumliche und soziale Disparitäten – die Faktenlage
SEMArmut03
Tatsächlich würde eine derartige Entwicklung auchdas „Ende“ der Geographie als wissenschaftliche
Disziplin bedeuten, denn die Erklärung der Ab-weichung räumlicher Verteilungsmuster von einer
Zufallsverteilung zählt zu den zentralen Erkenntnis-objekten des Faches.
Die Faktenlage widerspricht jedoch der zitiertenThese. Denn in Wahrheit werden viele Disparitätennicht abgebaut, sondern scheinen sich im Zeitver-
lauf zu verstärken.
Die TriadeDie Triade
SEMArmut04
Quelle: P. L. KNOX u. S. A. MARSTON, 2001, S. 599Quelle: P. L. KNOX u. S. A. MARSTON, 2001, S. 599 SEMArmut05
Global EconomyGlobal Economy
Industrieagglo-merationen
Hafen-Hafen-städtestädte
ExportorientierteExportorientierteProduktionszonenProduktionszonen
Offshore-Offshore-Banken-Banken-zentrenzentren
„ „Global Global Cities“Cities“
Strategische Orte
RegionaleRegionaleClusterCluster
PPEERRIIPPHHEERRIIEE
SEMArmut06
„Dual Cities“
SEMArmut07
Sozioökonomische Polarisierung:
„Erste“ und „dritte Welt“ grenzen aufengstem Raum unmittelbar anein-ander, Zentrum und Peripherie liegen in direkter Nachbarschaft (Beispiel: Frankfurt).
SEMArmut08
Theorie der fragmentierenden Entwicklung – „Dual Cities“
Quelle: F. SCHOLZ, 2005, S. 7
SEMArmut09
Theorie der fragmentierenden Entwicklung – „Dual Cities“
Quelle: F. SCHOLZ, 2005, S. 7 SEMArmut09
Ungleichverteilung der Vermögen
Einkommen und Netto-Vermögen 1998 in Deutschland - Verteilung auf 10 Haushaltsgruppen (in 1000 DM)
-200
0
200
400
600
800
1000
1200
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
Haushaltseinkommen proJahrNettogeldvermögen
Netto-ImmobilienvermögenGesamtnettovermögen
Quelle: H. Creutz 2001, S. 35Quelle: H. Creutz 2001, S. 35Nach N. GELBMANN, 2002 SEMArmut10
Vermögensdisparitäten in Österreich
0
5
10
15
20
25
30
35
40
Die "Reichen"(oberste 1%)
Die "Wohlhabenden"(oberste 2-10%)
Die untersten 90%
Anteile am Gesamtvermögen in Prozent (2002)
Quelle: Bundesministerium für soziale Sicherheit, 2005, Bericht über die soziale Lage, S. 248 SEMArmut11
Einkommensdisparitäten in den USA, Frankreich und Großbritannien
Quelle:Task Force onInequality andAmerican Demo-cracy, 2004,S. 3www.apsanet.org
SEMArmut12
Aus dem „World Wealth Report 2006“
!Notiz!
67.700 Österreicher besitzen mehr als eine Million US-Dollar. Dank Osteuropa gibt es 4.400 NeoDollarmillionäre.
Die Reichen werden immer reicher: Vor allem in Lateinameri-ka, im Nahen Osten sowie im Asien-Pazifikraum wächst die
Zahl derer zusehends, die ein Privatvermögen von über einer Million US-Dollar besitzen. Aber immer noch gilt, dass sich an
die 60 Prozent des weltweiten Gesamtvermögens von mitt-lerweile 33,3 Billionen US-Dollar (26,3 Billionen Euro) auf den
nordamerikanischen und europäischen Kontinent verteilen.
Waren im Vorjahres-Vergleich 2004 30,7 Billionen US-Dollar an globalem Finanzvermögen im Umlauf, waren es 2005
schon 33,3 Billionen US-Dollar (+8,5 Prozent). Dieses soll bis 2010 auf 44,6 Billionen US-Dollar steigen.
SEMArmut13
Vermögenszuwachs der HNWI
HNWI = High Net Worth Individuals
Quelle: World Wealth Report 2006, S. 11SEMArmut14
„Armutsberichte“
!Notiz!
„Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ berichtete …die Zahl derjenigen, deren Einkommen unter einer
von der EU definierten Armutsgrenze liege, habesich seit 1998 von 12,1 auf 13,5 Prozent erhöht.“
Quelle: http://www.iminform.de/salto_mediale/index.php?id=59
Damit … „sind mittlerweile 13,9 Prozent der Familienvon Armut betroffen. Gleichzeitig sei der Besitzanteilder Reichsten am gesamten privaten Nettovermögen
von fünf Billionen Euro gewachsen. Den reichstenzehn Prozent der Haushalte gehörten davon 47 Pro-zent; dies seien zwei Prozentpunkte mehr als 1998.“
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Operation „PESO-SHIELD“
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• Dezember 1995: Ankündigung einer Abwertung der mexikanischen Währung um 15%
• Panikreaktion bei Anlegern (bisher als sicher gel- tender) mexikanischer Schuldverschreibungen und Anleihen (Gesamtsumme ca. 50 Mrd. US $)• Mexikanische Werte wurden in großer Menge auf den Markt geworfen.• Der Peso sank innerhalb von 3 Tagen nicht um 15%, sondern um 30%.
• „Operation peso shield“: Kreditgarantie der US- Regierung über 40 Mrd. US $.
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Die Krise eskaliert
• Der Peso-Kurs gibt trotz Stützung weiter nach; Währungen anderer Schwellenländer geraten unter Druck.
• 30. 1. 96: Dollarreserven Mexikos aufgebraucht, keine Mehrheit im US-Kongress für Mexiko-Kredit
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Die Rettung• US-Regierung setzt „Krisenfonds“ (20 Mrd. US $) ein, der IWF interveniert.• M. CAMDESSUS (IWF) gewährt ohne weitere Konsultationen kurzfristig eine weitere Stützung von 10 Mrd. US $, die BIZ beteiligt sich kurzfristig an der Rettungsaktion.
• 31. 1. 96: Clinton gibt Stützungszusage über insgesamt 50 Mrd. US $.
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Die Operation „PESO-SHIELD“ ...
... verhinderte zwar tatsächlich eine schwere Finanzkrise der Entwicklungs- und Schwellen-länder, ...
... bedeutet aber auch den „Freikauf von Anlegern, die sich verspekuliert haben“ (RIMMER DE VRIES,Bankhaus Morgan).
… war ein Geschenk der Steuerzahler der In-dustriestaaten an die Reichen.
Das Risiko der Anleger wurdevon der Allgemeinheit abgedeckt
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Die Operation „PESO-SHIELD“...
… zeigt in aller Deutlichkeit die „neuen Spiel-regeln“ der postfordistischen Weltwirtschaft auf:
• Die politischen Systeme haben die Aufgabe, mit Hilfe der Bretton-Woods-Organisationen die Interessen des internationalen Finanzmarktes und des Großkapitals zu schützen.
• Entscheidungen von höchster Bedeutung werden unter Umgehung jeglicher parlamentarischen Kontrolle von wenigen mächtigen Einzelpersonen getroffen.
Die stille Umverteilung –
das Beispiel Österreich
Quelle: Der Standard, 14./15. 6. 06, S. 24
Die Lohnquote (Anteil der Löhne am Volkseinkommen)ist von 78% im Jahr 1978auf 63% im Jahr 2003 ge-sunken; Unternehmen und Selbständige machen immermehr Gewinne und zahlenimmer weniger Steuern.
SEMArmut21
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„Race to the Bottom“
Die Konkurrenz der Staaten um mobile Faktoren(Kapital, Betriebe) führt zu einem Wettlauf der
Steuer- und Abgabensenkung.
Unternehmensgewinne und Kapitalerträge werdenimmer weniger besteuert, Lohnsteuer und Konsum-
abgaben (UST) werden – gleichsam als Kompensation – erhöht.
Dies muss auf längere Sicht zu einer Umverteilungvon „unten“ nach „oben“, zu einer erheblichenErosion der Mittelschicht und letztlich zu einer
Einschränkung der Staatstätigkeit führen.
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Aktuelle Krisensymptome– eine Einbahnstraße?
• „Kapitalakkumulation durch Enteignung“
• Globalisierung• Entdemokratisierung• dramatische Zunahme sozialer und räumlicher Disparitäten
• Privatisierung des Nutzens, Sozialisierung des Schadens• Kostenexternalisierung zulasten des Gemein- wohls• Verschärfung der „Umweltprobleme“
Was steht eigentlich hinter diesen Entwicklungstendenzen?
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Die gegenwärtigen globalen Krisensyndro-me der Menschheitsentwicklung sind dieKonsequenz der aktuellen Systemratio-nalität von Ökonomie und Politik, deren
Handlungslogiken bereits im Fordismus kom-plementär miteinander verknüpft waren,
sich heute aber geradezu perfekt ergänzen.
Zentrale Steuerungsvorgaben: Doktrin des Neoliberalismus
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Ausgangsthesen
Der hohe Wirkungsgrad des Neoliberalis-mus ist damit zu erklären, dass er in beson-
derem Maße den Erfordernissen der Politischen Ökonomie entgegenkommt.
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Politische Ökonomie
Politische Ökonomie erklärt (unter anderem) den Nutzen oder Ertrag, welche politische Aktivitäten
für die Herrschenden, also die Politiker selbst, produzieren.
Unter „Politischer Ökonomie“ verstehe ich einer-seits den Prozess der Produktion „politischer Güter“
sowie andererseits jene ökonomischen Theorien,welche diesen Prozess beschreiben und erklären.
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Globalisierung
„... eine Intensivierung weltweiter sozialer Beziehungen, durch die entfernte Orte in
solcher Weise miteinander verbunden werden, dass Ereignisse an einem Ort
durch Vorgänge geprägt werden, die sich an einem viele Kilometer entfernten Ort
abspielen, und umgekehrt.“
A. GIDDENS, 1995, S. 85
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Globalität versus Globalismus
„GLOBALITÄT“: Leben in der Weltgesell-schaft (Diskurs über ein empirisch fass-bares Phänomen).
„GLOBALISMUS“: Globalisierung als Ide-ologie (Diskurs über ein normatives Kon-zept: Globalisierung als Patentlösung für Erklärungsansätze und als Handlungsan-weisung).
(Nach U. BECK, 1997, S. 27 ff)
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Globalismus
„Mit Globalismus bezeichne ich die Auffassung,dass der Weltmarkt politisches Handeln verdrängtoder ersetzt, d.h. die Ideologie der Weltmarktherr-schaft, die Ideologie des Neoliberalismus. Sie ver-
fährt monokausal, ökonomistisch, verkürzt die Viel-dimensionalität der Globalisierung auf eine, diewirtschaftliche Dimension, die auch noch linear
gedacht wird …“
U. BECK, 1997, S. 26
Ideologischer Kern des Globalismus: Liquidierungeiner Grunddifferenz der Ersten Moderne, nämlich
jener zwischen Politik und Wirtschaft.
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Einseitigkeiten der Globalisierung
• Nahezu perfekter Abbau aller Beschränkungen für die Geldwirtschaft
• Weitgehender Abbau von Handelsbeschrän- kungen
• Menschenrechten
versus unzulängliche Globalisierung von
• Naturschutz
• Minderheitenschutz
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Soziale und räumliche Disparitäten
Fordismus und Sozialstaat: „generelle Wachstumsmaschine“, Verkoppelungvon Produktivitätsgewinnen der Betriebe mit Kaufkraftsteigerungen der unselbstständig Be-schäftigten, tendenzieller Abbau von Disparitäten
Postfordismus und der „Nachtwächter- und Suppenküchen-Staat“: Umverteilung von untennach oben, „selektive Wachstumsmaschine“, Ent-koppelung von Produktivitätssteigerung und Kauf-kraft, dramatische Verschärfung von Disparitäten,„Kapitalakkumulation durch Enteignung“
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Neoliberalismus – ein „Umbrella Term“
„Neoliberalismus“ ist heute ein unscharfer Sam-melbegriff für verschiedene, zum Teil nicht ver-gleichbare weltanschauliche, ökonomische und politische Doktrinen und Theorien, der vor allem von seinen Gegnern und Kritikern verwendet wird.
Auch der „Ordo-Liberalismus“, die „Soziale Markt-wirtschaft“ und die „Ökosoziale Marktwirtschaft“müssen zur Familie der neoliberalen Doktrinengezählt werden.
In einem weiteren Sinne können auch JosephSTIGLITZ, J. Bradford DeLONG oder Amartya SEN als „Neoliberale“ bezeichnet werden.
SEMArmut33
Neoliberalismus – ein „Umbrella Term“
Eine einheitliche und klar definierbare neoliberale Theorie lässt sich nicht ausmachen. WesentlicheKennzeichen des „real existierenden“ Neolibera-lismus sind:
• eine ausgeprägte Bindung an die Neoklassik und den Monetarismus
• das Bemühen, den Einfluss des Staates zurückzudrängen und die Kräfte des Marktes zur Geltung kommen zu lassen
• eine ausdrückliche Gegnerschaft zum Keynesianismus
• Vertrauen in die Bretton-Woods-Institutionen (IWF, WTO)
• Glaube an die „Trickle-down-Theorie“ („Rossäpfel-Theorie“)
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„Geburtsfehler“ des Neoliberalismus
Als „Geburtsfehler“ werden axiomatisch gesetzteVorentscheidungen bezeichnet, die sich empirisch
als nicht haltbar erweisen oder in der Praxis nurselektiv angewendet werden.
• Glaube an die „Trickle-down-Theorie“
• Glaube an die Gleichheit und Eigenverant- wortlichkeit des Individuums• Strikte Umsetzung der Doktrin gilt nur für „die anderen“ (Scheitern der Doha-Runde)
• Wettbewerbsdoktrin versus Monopolbildung
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„Edel sei der Mensch, hilfreich und gut …“
Die ethische Begründung neoliberaler Politik:
„Freedom is the Almighty‘s gift to every man andwoman in this world … as the greatest power onearth we have an obligation to help the spread offreedom“. G. W. BUSH, 2004
„This official mantra … that the supreme achievement of thepreemptive invasion of Iraq has been to render the country,free‘ … appears to be a persuasive argument …“
D. HARVEY, 2005, S. 7
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Die Umsetzung der Freiheitsforderung am Beispiel Irak
BREMER-Dekrete vom 19. 9. 2003:
D. HARVEY, 2005, S. 7/8
• full privatization of public enterprises;• full ownership rights by foreign firms of Iraqi business;• full repatriation of foreign profits;• opening of Iraq‘s banks to foreign control;• elimination of nearly all trade barriers.
„The orders were to apply to all arenas of the economy, in-cluding public services, the media (and) … finance. … Theright to unionize and to strike … were strictly circumscribed.“
Verstoß gegen die Genfer und Haager Konvention
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Die neoliberale Wende: der Staat im Dienste der Kapitalakkumulation?
„What the US evidently seeks to impose by main force onIraq is a full-fledged neo-liberal state apparatus whosefundamental mission is to facilitate conditions for profitablecapital accumulation.”
„The sorts of measures that Bremer outlined, according toneo-liberal theory, are both necessary and sufficient forthe creation of wealth and therefore for the improved well-being of whole populations.“ Trickle-down-Theorie!
„ The conflation of political freedom with freedom of themarket has long been a cardinal feature of neo-liberalpolicy …“
D. HARVEY, 2005, S. 8
SEMArmut38
Die Interpretation marxistisch orientierter Kritiker
Neoliberale Politik führt zu einer neuen Form des Klassenkampfes, bei der Macht und Reichtum nur
dem obersten Stratum der Population zugeführt wird.
Der Staat spielt dabei eine entscheidende Rolle, weiler von der besitzenden Klasse und den Institutionen der Geldwirtschaft mit Hilfe der Mainstream-Ökono-mie dazu instrumentalisiert werden konnte, die erfor-derlichen Rahmenbedingungen zu schaffen.
„Accumulation by dispossession“
SEMArmut39
Die Interpretation marxistisch orientierter Kritiker
Diese Interpretation unterstellt, dass neoliberale Politik absichtsvoll und intentional die Interessen der Finanzwirt-schaft und des Großkapitals auf Kosten anderer Segmenteder Ökonomie vertritt.
Gegenthese:Die gegenwärtige Entwicklung der Weltwirtschaft
ist die nichtintendierte Folge der Bemühungendes Politiksystems zur Stabilisierung der Ökono-
mie. Ursache: Systemfehler der neoliberalen Theorie und die Abhängigkeit der Politik von po-
litischen Gütern zweiter Ordnung.
SEMArmut40
„Politische Güter“
„Politische Güter erster Ordnung“:
• Sicherheit• Ausbildung• Gesundheitsdienste• Vollbeschäftigung• Wirtschaftswachstum• Rechtssicherheit• …
Gesellschaftliche Problem-lagen, zu deren Lösung Po-litiker vom Volk durch Wah-len beauftragt werden.
„Wohlfahrt“
„Politische Güter zweiter Ordnung“:
• Wählerstimmen• Budgetmittel• Nutzen für das eigene Klientel• …
Eigennutzen derRegierenden
SEMArmut41
Basistheorem der „Neuen Politischen Ökonomie“ (NPÖ)
Die NPÖ geht davon aus, dass Regierende, Bürokratie und Interessenvertretungen in Wahrheit nicht die allgemeine Wohlfahrt
maximieren wollen, sondern in erster Linie ihren eigenen Nutzen.
SEMArmut42
Produktionspotenziale des Neoliberalis-mus für politische Güter 2. Ordnung
• Über ethische und ökonomische Begründungen (Freiheit und Selbstbestimmung für Individuen, Sparsamkeit, schlanker Staat, Deregulierung, Bezug auf konservativ-religiöse Werte, …) las- sen sich Wählerstimmen maximieren.
• Durch die Produktion von Nutzen für das Klientel Großkapital und Finanzwirtschaft können Ein- fluss, Macht und Budgetmittel maximiert werden.
SEMArmut43
Ethik als Problemlösung?
Die Suche nach universellen ethischen Prinzipienzur Bewältigung der globalen Problemlagen er-scheint als extrem schwieriges Unterfangen mitniedriger Erfolgswahrscheinlichkeit.
Begründung:
• Wertepluralismus westlicher Gesellschafts- systeme• Interessenkonflikt zwischen Arm und Reich • alltagsweltliche und politische „Logik“ ethischer Diskurse• multiple Prinzipal-Agenten-Konflikte
SEMArmut44
Ethik, Werte und Handeln – ein „flexibles“ Verhältnis
• Alltagsweltliche „Logik“:
Akteure verfügen über ein sehr großes und überaus flexibles Repertoire argumentativer Bewusstseinsakte, durch die nahezu beliebi-ge Zusammenhänge oder Kausalbeziehun-gen zwischen Sinnstrukturen und Handlungs-folgen hergestellt werden können.
• Mit ethischen Begründungen lassen sich die grauenhaftesten Handlungen rechtfertigen (Atten- täter vom 11. 9., Baader-Meinhoff, Hexenver- brennungen, Kreuzzüge etc.).
SEMArmut45
Governance und Zivilgesellschaft als Problemlöser?
Bei der Suche nach neuen Formen globaler Steue-rung und Ordnungspolitik wird in den letzten Jahrenausdrücklich auf Global-Governance-Konzepte unddie aktive Beteiligung einer internationalen Zivilge-
sellschaft verwiesen.
„Governance“ bezeichnet generell das Steuerungs- und Rege-lungssystem gesellschaftlicher Strukturen und wird als Gegen-
begriff zu „Government“ verwendet. Das Konzept geht davonaus, dass gesellschaftliche Entwicklung nicht nur vom Staat,sondern auch von der Privatwirtschaft und dem „dritten Sek-
tor“ (Vereine, Interessenvertretungen, NGOs) gesteuert wird.
SEMArmut46
Governance und Zivilgesellschaft als Problemlöser?
Viele Autoren setzen hohe Erwartungen in diekontrollierende, mäßigende und auf Gerechtigkeitdrängende Kraft des dritten Sektors, der über Go-
vernance-Netzwerke auch zur Lösung der vomNeoliberalismus verursachten Problemlagen bei-
tragen solle.
Tatsächlich konnten NGOs wie Greenpeace, Attacoder „Gerechtigkeit jetzt!“ zum Teil erstaunliche Er-
folge im Kampf gegen Umweltzerstörung und Turbo-kapitalismus erreichen.
SEMArmut47
Der dritte Sektor als alleiniger Problem-löser ist eine vergebliche Hoffnung
Zivilgesellschaftliche Aktivitäten allein werden dievom real existierenden Neoliberalismus verursachten
Probleme sicher nicht lösen können.• Eklatante Machtasymmetrie gegenüber Wirtschaft und Politik
• Die Wirkung einer kritischen Gegenöffentlichkeit ist in hohem Maße auf die Unterstützung der Medien angewie- sen und muss deren Logik berücksichtigen.
• Auch NGOs sind von Finanzmitteln abhängig.
• Zivilgesellschaft ist sowohl in ihren Organisationsformen als auch in ihren Zielen heterogen; oft elitäre Strukturen
SEMArmut48
Warten auf einen Wertewandel?
„Der Sinn der (kapitalistischen) Ökonomie liegtdarin, keinen anderen Sinn mehr anzuerkennenals den, der ihr selbst zugrunde liegt und das be-
deutet, alles dem Markt-Code ,Zahlen‘/,Nicht-zahlen‘ zu unterwerfen. Die viel beklagte Ökono-misierung aller Lebensbereiche ist nur ein Bei-spiel für die Durchdringung aller Segmente der
Gesellschaft mit dem Sinnkriterium der Wirtschaft,das alle anderen Zielsetzungen menschlichen
Handelns außer Kraft setzt.“
Konrad Paul Liessmann, 5. Wiener Karl Kraus Vorlesung
Folgerungen und Fragestellungen für unser Seminar
SEMArmut49
• Theorie des Neoliberalismus?
• Neoliberalismus und politische Ökonomie?
• Armut - Phänomenbeschreibung
• Räumliche Disparitäten – Phänomenbeschrei- bung, Messmethodik, Entwicklungsdynamik
• Möglichkeiten der Problemlösung