GeorgeBarr
WieBilderwirken
52großeFotografienundwassieeinzigartigmacht
GeorgeBarristeinkünstlerischerFotografmitmehr
als40-jährigerErfahrung.SeitsechsJahrenschreibt
erüberFotografie,seineBilderwurdeninmehreren
ZeitschriftenveröffentlichtunderhatseineFotos
anSammlerinallerWeltverkauft.Erleitetezudem
Workshops, hielt Vorträge und veröffentlichte
bereitsfrüherzweiBücherüberFotografie.
Obwohl für George die Qualität eines Foto-
abzuges von großer Bedeutung ist, so glaubt er
doch, dass der Bildinhalt noch wichtiger ist. Er
fotografiertsowohlaufFilm(miteiner5×7Zoll-
Teak-Fachkamera) als auch digital. Er versucht
nicht,einBilddurchManipulationen»aufzuhübschen«,sondernlegtWertdarauf,dassdasFotonatürlichaussieht.
AlsHausarzthatGeorgedieletzten35Jahredamitverbracht,seinenPatientenschwierigeBegriffezuerklären
–unddieseGabenutzterheute,wennerüberFotografieschreibt.SeineLiebegaltstetsschönen,bewegendenund
interessantenBildern,underbesitzteineumfangreicheSammlunganDruckenundhundertevonBüchernüber
Fotografie.ErhatFotografiealsAutodidaktstudiertsowieanvielenWorkshopsteilgenommen.EswareinKursüber
dieBeurteilungvonFotografien,derihmdieAugenfürdieWunderweltderBilderöffnete.
DieBildervonGeorgewurdeninLensWork,LensWorkExtended,B&W,BlackandWhitePhotography(UK)und
inFocusveröffentlicht.
GeorgeschreibteinenFotoblog,dermehralstausendEinträgeenthält,indemeshauptsächlichumdiezentra-
lenAspektederFotografiegeht:umKomposition,Aussage,obFotoseinzentralesMotivbzw.einenSchwerpunkt
benötigenundwiemanmitFehlernumgeht.
GeorgehatmittlerweilehunderteE-MailsvonFotografenerhalten,dieihmnichtnurfürseineBücherdankten,
sondernauchberichteten,dassseinTextihreFotografieveränderthabe.
GeorgeBarr
www.georgebarr.com·[email protected]
Lektorat:GerhardRossbach,Dr.MichaelBarabas
Copy-Editing:AlexanderReischert(RedaktionALUAN,Köln)
ÜbersetzungausdemAmerikanischen:JohannesLeckebusch,Bayrischzell
Herstellung:BirgitBäuerlein
Umschlaggestaltung:HelmutKraus,www.exclam.de
DruckundBindung:HimmerAG,Augsburg
BibliografischeInformationderDeutschenNationalbibliothek
DieDeutscheNationalbibliothekverzeichnetdiesePublikationinderDeutschenNationalbibliografie;
detailliertebibliografischeDatensindimInternetüberhttp://dnb.d-nb.deabrufbar.
ISBN:
Buch978-3-89864-745-8
PDF978-3-86491-149-1
1.Auflage2011
Copyright©2011dpunkt.verlagGmbH
Ringstraße19B·69115Heidelberg·www.dpunkt.de
OriginalCopyright©RockyNook,Inc.2011,www.rockynook.com
TiteldesOriginals:WhyPhotographsWork:52GreatImages–WhoMadeThem,WhatMakesThemSpecialandWhy
ISBN978-1-933952-70-3
Die vorliegende Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung der Texte und
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gen.AlleAngabenundProgrammeindiesemBuchwurdenmitgrößterSorgfaltkontrolliert.WederAutornochVerlag
könnenjedochfürSchädenhaftbargemachtwerden,dieinZusammenhangmitderVerwendungdiesesBuchesstehen.
WIDMUNG
DiesesBuchistdengroßartigenFotografengewidmet,
dienichtnurihreFotosfürdiesesBuchzurVerfügunggestellthaben,
sondernmirauchbeiderArbeitamTextgeduldigzurSeitestandenundselbsteigeneBeiträgedafürlieferten.
DaszogsichübereineWeilehin,währenddereineRiesenflutanE-Mailsausgetauschtwurde,
wasmanchenvonseinereigentlichenArbeitabhielt–anOrtenwieAfghanistan,Afrika,Bulgarien
undsonstwoaufderWelt.
ZuallererstaberhabeichdenFotokünstlerndafürzudanken,
dasssiefürunsihrewunderbarenBildergeschaffenhaben,
andenenwirunserfreuenunddiedasBuchüberhaupterstmöglichgemachthaben.
IhneneinengroßenApplausundvielenDank!
George
vi
Inhaltsverzeichnis
VIII Einführung
3 BRUCEBARNBAUM
Kreisförmiger Kamin
7 PHILBORGES
Iparo
11 NICKBRANDT
Trinkender Elefant
15 CHRISTOPHERBURKETT
Herbstglühen im Wald
19 DANBURKHOLDER
Baum und Teich im Herbst
23 SUSANBURNSTINE
Brücke ins Nirgendwo
29 BRIGITTECARNOCHAN
Schmerzenskissen
33 LAWRENCECHRISMAS
Zwei bretonische Bergbauarbeiter
37 JOECORNISH
Traigh Eais, Insel Barra (Schottland)
41 CHARLESCRAMER
Baumdetail, Herbst, Zion Valley, Utah
45 TILLMANCRANE
Steine am Fenster
49 SANDRAC.DAVIS
Innenaufnahme der Moore Hall Nr. 1
55 MITCHDOBROWNER
Unwetter am Shiprock
59 BENGTEKELBERG
Manipulation
63 SVENFENNEMA
In schlafenden Mauern
67 FRANÇOISGILLET
Montage 16/07
73 CAROLHICKS
Weißer Rittersporn
77 THOMASHOLTKÖTTER
Caixa 1
81 MILANHRISTEV
Der Tempel der gottlosen Aphaia
85 GEORGEJERKOVICH
Sunflower Coal
89 KIMKAUFFMAN
Fuge
95 MICHAELKENNA
Die Huangshan-Berge, Studie 19
99 BRIANKOSOFF
Drei Kreuze
103 MICHAELLEVIN
Code
107 WAYNELEVIN
Blauflossen-Stachelmakrelen jagen Akule
111 GORDONLEWIS
Niederschlag
115 JOELIPKA
Labyrinth 01
vii
119 ROMANLORANC
Franziskanerkirche in Vilnius
123 LARRYLOUIE
Farbige Gebetsfahnen – 2
127 PAULMAHDER
Feuer und Eis
131 DAVIDMAISEL
Trügerische Schönheit 8
135 HARALDMANTE
Wetterhäuschen
139 DENNISMECHAM
Tänzerin
143 BILLIEMERCER
Sir James Edward Garden, Skulptur
147 BETHMOON
Trompetenpflanze
151 SHAUNO’BOYLE
Türen im Irrenhaus
155 ELIZABETHOPALENIK
Warten
159 LOUIEPALU
Diese Seite Richtung Feind
163 FREEMANPATTERSON
Melange Une
167 BLAIRPOLISCHUK
Ein Juniabend auf Hornby Island
171 CRAIGRICHARDS
Vincente, Nebaj El Quiché
177 RYUIJIE
Tanz im Eis
181 JOHNSEXTON
Dunkle Eichen im Frühnebel, Yosemite Valley, Kalifornien
185 HANSSTRAND
Fluss an der Südküste von Island
189 COLETHOMPSON
Auschwitz # 14
193 GEORGEE.TODD
Fe2O3 # 6, Kos, Griechenland
197 PETETURNER
Times Square
201 PERVOLQUARTZ
Mrs. Nishimoto
205 CHARLIEWAITE
Birke am Fenster, Colmar, Frankreich
209 DAVIDWARD
Chromklinke
213 JOHNWIMBERLEY
Herabsteigender Engel
217 HUNTINGTONWITHERILL
Tulpen #55
175 Andere empfehlenswerte Fotografen
Einführung
Warum schreibe ich dieses Buch und warum gerade jetzt? An
wenrichtetessichundfürwenistesehernichtgeeignet?Nach
welchen Kriterien habe ich die Bilder ausgewählt und verfolgt
dasBucheinebestimmteStrategie?
EigentlichhabeichdasBuchfürmichselbstgeschrieben,so
alskönnteicheineReiseindieVergangenheitmachen,zurückin
dieZeit,alsichernsthaftzufotografierenbegann.Damalshätte
ichmirübrigensgenausoeinBuchgewünscht,dasmirerklärt,
wasgroßeFotografieausmacht,woraufihreWirkungberuht,wie
Bildergeplantundkomponiertwerden,wiemandieTonwerte
umsetzensollteundwomanaufdieSuchenachMotivengeht.Es
sindebengenaujeneFragen,diesichjemandstellt,derbereits
FreudeanderFotografiegefundenhatundnunseinVerständnis
dafürvertiefenbzw.sichweiterefotografischeGenreserschlie-
ßenmöchte.
EinwichtigesBuchfürmeineeigeneautodidaktischeFortbil-
dungwarLooking at PhotographsvonJohnSarkowski(Bulfinch,
1999).Esistimmernocherhältlichundnachwievorlesenswert.
Thematisch hat es jedoch gewisse Grenzen: Es behandelt nur
Schwarz-Weiß-Fotografie,undalsMuseumsverwalterundHisto-
rikerderFotografielegtSarkowskigenausovielGewichtaufdie
technischeAusarbeitungwieaufdieBilderselbst–fürStudenten
derFotografiesicherlichebensonützlichwiefürSammler,aber
nichtsowichtigfürjemanden,dereinfachnurfotografierenoder
sichanFotoserfreuenmöchte.
DurchdieDigitalfotografiehatdasInteresseanderFotogra-
fiesehrvielbreitereKreiseerfasst,sodassmehrMenschenalsje
zuvor ernsthaft fotografieren. Obwohl das Buch sich zu einem
großenTeilmitFarbfotografiebeschäftigt,mussmandemneuen
Fotografenvolk,dessenKamerasvonsichausersteinmalFarbfo-
tosmachen,auchdieKraft,SubtilitätundSchönheitderSchwarz-
Weiß-Fotografie nahebringen. Es gibt viele Bücher, die zeigen,
wiemanesmacht(»howto«),undauchsolche,dieindividuelle
Lösungswegebeschreiben.AberesfindensichnurwenigePub-
likationen,dieauspraktischerundebennichtnurtheoretischer
Sichterläutern,worausFotosihreWirkungbeziehen.
IchschreibedasBuch,weil ichmichdazu inderLagesehe
und weil ich glaube, dass ein entsprechender Bedarf besteht.
IchbindazuinderLage,weilmeinebeidenfrüherenBücherso
erfolgreichwaren,dassderVerlegernunbereit ist,sichaufdie
neueIdeeeinzulassen.Undichbindarinerfahren,aufklare,ent-
spannteundverständlicheWeiseüberFotografiezuschreiben
–so,dassesauchfürdenDurchschnittsleserverständlichist.Ich
willnichtbehaupten,dassesindiesemBuchkeinerleikünstleri-
scheFachausdrückegibt,aberichversichereIhnen,dassSienicht
Kunststudierthabenmüssen,umeszuverstehen,zugenießen
undNutzendarauszuziehen.
Dieses Buch richtet sich an alle Fotografen, die gute Bilder
machenmöchten.Undüberhauptanjeden,gleichgültigobFo-
tograf oder Betrachter, der verstehen möchte, warum manche
Fotografienauszahllosenanderenhervorstechen.Sicheristdas
BuchebensofürStudentenderFotografievonWert,wennauch
wahrscheinlichnichtfürdiejenigen,dieFotokritikerwerdenwol-
len,fürdiealsoTheorieundGeschichtederKunst,Philosophie
undKulturwichtigersindalsdieFrage,obeineFotografieschön
oderkraftvollinihrerAussageist.
BeiderZusammenstellungderFotografien fürdiesesBuch
habeichzunächstmeineeigeneAuswahlausBüchern(ichbe-
sitzemehrals100BücherüberFotografieinmeinerBibliothek),
Zeitschriften (die in hunderten von Beiträgen herausragende
Fotos präsentieren) und dem Internet getroffen. Dazu kamen
dannVorschlägevonmirpersönlichbekanntenFotografen,die
mir wiederum weitere Fotografen empfohlen haben. Ich muss
unverhohleneingestehen,dassdadurchkanadischeundnord-
amerikanischeFotografenüberproportionalvertretensind,ein-
fachweilichmitihnenvertrauterbin.
Ichwarbemüht,meineeigenenVorliebenbezüglichfotogra-
fischerMotiveundStileindenHintergrundzustellen,daichvon
NaturauseinenziemlichkonservativenGeschmackhabe.Letzt-
lichbinicheinWeißermittlerenAltersausKanada.Wirgeltenals
freundlicheLeute,abernichtunbedingtalsaufgeschlossenfür
moderneKunststilistiken. (Okay,wirtragenkomischeHüte,die
manTouquesnennt,aber ichglaubenicht,dassdaszählt.) Ich
möchtedieLeseranneuefotografischeIdeenheranführen,die
nicht»traditionell«oder»geradlinig«sind.
MeinGeschmackorientiertsichandenBildernmitderhöchs-
tenQualität,wasnichtbedeutet,dassesnuraufhandwerkliches
Könnenankommt.DasnämlichstelltnichteinZielansichdar,
sondern vielmehr ein Instrument, um solche Ideen auszudrü-
cken,diesichaufeinfacheWeisenichtbefriedigenddarstellen
lassen. IchbineinerfahrenerFotograf,derhoheMaßstäbeso-
wohlanseineeigenenBilderalsauchandievonKollegenan-
legt.IchhatteeinigenErfolgmitVeröffentlichungenwieauchmit
demVerkaufmeinerFotos,undvordiesemHintergrundhabeich
dieBilderfürdasBuchausgewählt.
Hier geht es um großartige Fotografien, nicht so sehr um
bedeutendeFotografen.EinigederBilder,fürdieichmichent-
schieden habe, stammen von relativ unbekannten Fotografen,
manche auch von solchen, die erst über wenig Erfahrung ver-
fügen.Einigesindberühmt,anderenicht.Vonmanchendieser
Fotokünstlergibtes tausendevongroßartigenBildernundsie
habenbereitsdiverseBücherunterihremNamenveröffentlicht,
währendanderebislangnureineHandvollbedeutenderFotos
vorzuweisenhaben(vondenenjedochnocheinigeszuerwarten
ist).
Ichhabemichbemüht,nachinternationalbekanntenFoto-
grafenAusschauzuhalten,undnatürlichgibtesdaeinige,aber
längst nicht so viele, wie ich es mir gewünscht hätte. Fotogra-
finnensindindiesemBuchunterrepräsentiert,einfachweil ich
wenigerweiblicheKollegenkenne.EinigederFotografenwaren
mirzuvorvölligunbekanntunddieEntdeckungihresWerkesein
Vergnügen,anderehingegensindlangjährigeFreunde.
Das Buch behandelt die Fotografie als Kunstrichtung.Viele
vertrautefotografischeGenressinddahernurspärlichvertreten
oder fehlen ganz. So werden Sie keine Sportfotografie finden
undkaumReportagebilder.InjedemdieserThemengebietegibt
esgewissvielegroßartigeFotografien,beidenendasMotivund
dieGeschichteabereingrößeresGewichthabenalsdasFotofür
sichalsKunstwerk–undichfühlemicheinfachnichtqualifiziert
genug,siezubeurteilen.
GenießenSiedasBuchalseineSammlungvon52wunder-
vollen Fotografien. Einige davon sind Ihnen womöglich schon
bekannt,aberichbinsicher,esgibtgenügendneueBilder,die
zuentdeckeneinefreudigeÜberraschungseinwird.BlätternSie
nachHerzenslustindemBuchunderfreuenSiesicheinfachan
denFotos,aberlesenSiefrüheroderspäterauchmeinenKom-
mentarzujedemeinzelnenBild,indenenichseineWirkunger-
kläre,lesenSie,wassichderFotografbeiderAufnahmegedacht
hat,umwenessichbeidemKünstlerhandeltundwieerzusei-
nerpersönlichenSehweisegekommenist.
GeorgeBarr,Calgary
Juli2010
3
1Kreisförmiger Kamin1980(CircularChimney)
ANALYSE VON GEORGEBARR Ichbinseitmehrals25Jah-
ren ein Fan von Bruce Barnbaums Arbeit, die ich zuerst durch
eineAusstellungkennenlernte,woraufhinicheinesseinerBilder
desAntelopeCanyonerwarb(Seite88vonVisual Symphony).Ich
kaufte sein Buch und verliebte mich in seine Fotografien von
Kathedralen. Mittlerweile habe ich an einigenWorkshops von
Bruceteilgenommen,zuletzt2007inNovaScotia.Einunvergess-
lichesErlebnisdabeiwares,etlicheseinerOriginalabzügeunver-
glastzusehensowieeinigeseinerjüngstenArbeitenbegutach-
tenzudürfen.
AuchwennmanBruceleichtalsAdeptvonAnselAdamsein-
stuft,haterdochimLaufederJahreseinepersönlicheSichtweise
entwickelt. Er fragte mich, ob ich über sein langjähriges Lieb-
lingsbildschreibenwürde,daservor30Jahren,also1980,aufge-
nommenhat.BruceBarnbaumwarderErste,derernsthaftden
AntelopeCanyonfotografierte ...unddessendamitausgelöste
Popularität,garnichtzuredenvondemunsäglichenMassentou-
rismus,gehtdemFotografenziemlichaufdieNerven.
Anders als viele andere, die sich den Antelope Canyon als
Motivvornehmen,sahBruceihneheralsRohmaterial,ausdemer
mitseinerKameraeinBildkomponierenkann,dasseinepersönli-
chenIdeenundGefühlevorOrtwiderspiegelt(sieheseineSchil-
derungunten).DasResultatistehereinBild,dasdenAntelope
CanyonalsMaterialverwendet,stattihnsoabzubilden,wieman
ihnsieht.
BRUCE BARNBAUM
Das Konzept, ein Bild »aus etwas« statt »von etwas« zu
machen,begleitetedieFotografievonAnfanganundwurdetat-
sächlichschonlangezuvorinderbildendenKunstthematisiert.
Eshatnichtsdamitzutun,obmaneinFoto»manipuliert«,aberes
hatsehrvieldamitzutun,wiemaneinMotivsieht.DieFarbarbei-
tendesspätenErnstHaassindsoverschiedenvonBrucesArbei-
ten,wiemanessichnurdenkenkann,aberbeideinterpretieren
ihreMotive,stattsieeinfachnurwiederzugeben.
ImUnterschiedzumeinerHerangehensweiseandiemeisten
FotografienindiesemBuchkannteichBruce’Intentionenbezüg-
lichseinesBildesbereits,bevorichinmeinemEssayschilderte,
woraus dieses Foto seine Wirkung bezieht. Glücklicherweise
schätzeichdasBildsehr(auchwenneseinanderesistalsdas,
welchesichgekaufthabe),sodassesmirVergnügenbereitethat,
seineStärkenzubeschreiben.
WenndasBeste,wasmanübereinBildsagenkann,ist,dass
es wunderbar komponiert sei, dann ist das Bild misslungen.
KompositionistnichtsweiteralseinInstrument,einMittelzum
Zweck,mitdemderFotografbetontundverdeutlicht,waseruns
überdasBildmitteilenwill–siewirftsozusagennocheinmalein
besonderesLichtaufdasEntscheidende.Brucehatseinstarkes
GespürfürKompositioneingesetzt,umdenEindruckzuvermit-
teln, dieses Foto zeige eine »andereWelt«, um die Beziehung
zwischendemdunklenZentrumdesBildesunddemȆberirdi-
schen«derFormendrumherumauszudrücken.
4
B R U C E B A R N B A U M
Schwarz-Weiß-Fotografie lebt von Kontrasten und Zwischen-
tönen. Perfekt gemachte Abzüge oder Drucke entfalten einen
Reichtum an Zwischentönen, der die Zweidimensionalität des
Bildesvergessenmacht.Sie ladendenBetrachter förmlichein,
dasBildzuberühren,einzutauchen,seineFormenzuberühren,
danachzugreifen.DaskommtmirbeimBetrachtendiesesBildes
indenSinn.
Aus dem bisher Gesagten ergibt sich bereits, dass wir ein
vortrefflichesBildvorunshaben;aberwasmachtdarauseinher-
ausragendes?BrucehatseineeigeneErklärungdafür,wodurch
ihmdiesgelungenist.MeineInterpretationergibt,dassdieent-
scheidendeZutatdasElementdesMysteriösenist.Gewissistes
eininteressantesRätselherauszufinden,inwelcheRichtungdie
Kamerazeigte,abermirgehtesummehralsdas.ImGespräch
hatBruceerläutert,wieschwierigeswar, irgendwelcheDetails
imzentralenFelsenfingeraufzuzeichnen–abermeinerMeinung
nach erzeugt gerade diese vollkommen schwarze Form das
ElementdesMysteriösen.BildetsiedasFenster,durchdasman
irgendwohin ins Dunkel blickt? Befindet sie sich vor oder hin-
terdenanderenStrukturen?DieübrigenBildelementescheinen
sichumdieseStrukturzuwinden. IndenmeistenFotosbildet
das,wasambestenbeleuchtetist,dasZentrumderAufmerksam-
keit.HierhabenwiresnunmiteinerUmkehrungzutun:Wasdie
Aufmerksamkeitfesselt,isteigentlichdasNichts.
Esistnichtunmittelbarzuerkennen,dassdiehellenBereiche
vonderKameraweiterentferntsindalsdiedunklen.Mankann
sieleichtalsäquidistantauffassen.ErstbeigenaueremHinsehen
istzuerkennen,dassessichdabeiumdenKaminhandelt,auf
densichderBildtitelbezieht.DieseMehrdeutigkeitderInterpre-
tationmachteinBildinteressant.BrucestelltunsmitdemBildein
Rätsel,daswirlösensollen.DiekurvigenLinienhellenGesteins,
diesichumdenzentralen»Knochen«winden,erinnernmichan
verschränkteHände.
WiederholungensindstetseinmächtigesStilmittel,undhier
wirdaufhervorragendeWeisemitsichwiederholendenkurvigen
Liniengearbeitet,diesichvonaußerhalbdesBildeskommend
nachinnenwinden.IndemoberenlinkenQuadrantenbefinden
sichvierverschiedeneBögenundsogarnochdaskurzeSegment
einesfünftendirektinderEcke.DieLinienundKantenwerden
immerenger,biswirdiesedunkleFigurimZentrumerreichen.
Ein ähnlicher Eindruck von Wiederholung ergibt sich in den
anderenViertelndesBildes,dochunterscheidetsichjederQua-
drantradikalvonallenanderen,wasdasBildebenfallsvielschich-
tigmacht.
Manche Bilder sind wie Cartoons – gut beobachtet, gute
Pointe, man versteht sie auf Anhieb, amüsiert sich und geht
weiter.BeianderenAufnahmenmussmansichdasVerständnis
schrittweiseerarbeiten.EinigederbestenFotografiensprechen
einensofortanwieeineguteKarikatur,fesselndieAufmerksam-
keitdannaberfürlängereZeitwieeineanspruchsvolleSympho-
nie,weilsiemehreregestalterischeEbenenenthalten,angefan-
genvominteressantenMotivüberwunderbareTonwertebishin
zur großartigen Komposition, und darüber hinaus in tieferen
SchichtenaußerdemnochemotionaleBotschaften, Interpreta-
tionenundAssoziationenvermitteln.
DIE SICHT DES FOTOGRAFEN Infolgemeineslebenslangen
InteressesanNaturgewalten,daszuzweiHochschulabschlüssen
inMathematikundPhysikführte,kammirbeimAntelopeCan-
yonalsErsteseinkosmischesodersubatomaresKraftfeldinden
Sinn,nichteinerodierterCanyonausSandstein.Allesschienum
michherumzuwirbeln.EswareinüberwältigenderEindruck.
ImBewusstsein,dassNaturgewaltquasirichtungslosist–da
gibteskeinoben,unten,linksoderrechts–,wurdemirsofortklar,
dassicheinenmetaphorischenBegriffvonKräftenstattderrealis-
tischenAnsichteinesCanyonsvermittelnwollte.Andersgesagt:
Ichentschlossmich,denCanyonalsmotivischesRohmaterialzu
benutzen,umetwasauszudrücken,wasmir sovielbedeutete.
Ichhabeallesvermieden,was(wieetwaderBodendesCanyons)
einIndizfürGrößenverhältnissehätteseinkönnen.
IchsahmichmiteinerenormentechnischenHerausforderung
konfrontiert:DieswardiebeiWeitemkontrastreichsteSzene,der
ichjebegegnetbin.AnstattwieüblichdieSchatteninZone4zu
belichten,alsointensivgenug,umnochDetailswiederzugeben,
5
entschiedichmichspontanfüreinunkonventionellesVorgehen,
indem ich die Lichter knapp unter Zone 15 ansiedelte (da ich
wusste,dassFilmeinensoenormenHelligkeitsumfangverträgt),
umsovielalsmöglichvondenTonwertendarunterzuerhalten.
Dann komprimierte ich den Kontrastumfang beim Entwickeln
des Negativs. Dieses Bild stellt also eine Reduktion des Hellig-
keitsumfangsderSzenedar,dieichentdeckthatte.(Anm.d.Ü.:
Barnbaum bezieht sich hier auf das »Zonensystem« von Ansel
Adams[http://de.wikipedia.org/wiki/Zonensystem].)
MankanndasFotoauchalssinnbildlichfürunsereeigeneSpi-
ralgalaxie–dieMilchstraße–betrachten,dieumeinsuperschwe-
resschwarzesLochinihremZentrumrotiert.VieleandereAuffas-
sungensinddenkbarundgenausogültig,daAbstraktioneinen
breiten Spielraum für Interpretationen bietet. Es war die erste
Fotografie, die ich in der Spalte eines Canyons gemacht habe,
undsieführtezuausgedehntenStudienindiesenentschieden
unirdischen Gefilden, die sich über zwei Jahrzehnte hinziehen
sollten.DieserOrthatmichnachhaltigbeeindrucktalseinerder
ungewöhnlichstenPlätze,dieichjemalsfotografierthabe–und
ichbin frohunddankbar,dass ichdasPrivileggenieße,dieses
Terrain für die Fotografie eröffnet zu haben. Es war nie zuvor
erforschtworden.ÜberalldieJahredesFotografierensindiesen
CanyonshatsichmeinursprünglicherEindrucknieverloren:Sie
sindundbleibenfürmicheineMetapherfürKraftfelder.
BIOGRAFIE Ich wurde im Jahre 1943 im StaatWashington
geborenundlebedortmitmeinerFrau.NachdemicheinenMas-
tersDegreeinMathematikerworbenhatte,wechselteich1970
abrupt von derWissenschaft zurWelt der Kunst und Fotogra-
fie.Ichhabeesniebereut.Nachdemichselbstzufotografieren
begonnenhatte,fühlteichmichfastgleichzeitigdazuberufen,
Fotografiezuunterrichten,anfangsinWochenendkursenfürden
SierraClubinderGegendvonLosAngelesundspäterab1975,
indem ich mein eigenes Unterrichtsprogramm auf die Beine
stellte.SeithersindKunstundUnterrichtmeinBeruf.
LehrenundFotografierenhabenmichdurchdieWeltgeführt,
zueinerVielzahlinteressanterÖrtlichkeiteninNordamerika,von
Nova Scotia bis nach Mexico City,
aberauchnachEuropa,Australien
undSüdamerika.
Ich verbinde das mit einem
lebenslangen Engagement für die
Umwelt – in einer Gesellschaft,
welche die Ökologie täglich schä-
digt,wobeiichmichseit40Jahren
frage, ob die Menschheit jemals
erwachenundsichderunvermeid-
lichenTatsachebewusstwird,dass
wirunsereeigenenExistenzgrund-
lagen auf dem einzigen Planeten
untergraben,denwiralsLebensraumhaben.
Beeinflusst haben mich die Fotografen Ansel Adams, Brett
Weston(dieservonallenammeisten)undJayDusard.
IchschreiberegelmäßigfürdasPhotoTechniqueMagazine
undhatteimLaufederJahredieMöglichkeitzuVeröffentlichun-
genindenmeistenprofessionellenFotozeitschriften.Zumeinen
Buchveröffentlichungen zählen u.a. Visual Symphony (Univer-
sity of New Mexico Press, 1988, vergriffen, aber antiquarisch
verfügbar), Tone Poems 1 (Photographic Arts Editions, 2002),
TonePoems2(PhotographicArtsEditions,2005)undTheArtof
Photography:AnApproachtoPersonalExpression(RockyNook,
2010).
Informationenübermich,meineWorkshopsundeinigemei-
nerAnsichtenfindenSieunterwww.barnbaum.com.
TECHNIK DasFotowurdemiteinem90mm-Objektivanmei-
ner4×5LinhofTechnikaaufTri-X-Filmaufgenommen.DieBelich-
tungerfolgtebeiBlende45mit3½Minuten.DasbelichteteNega-
tivwurde11½Minutenlanginmeinemextraabgeschwächten
»Ausgleichs-Entwicklungsprozess«entwickelt,wodurchichden
vorhandenenKontrastsehrstarkreduzierthabe.DieVergröße-
rungenwurdenimLaufederJahreaufverschiedenenArtenvon
Fotopapiergemacht,wobeiNachbelichtenundAbwedelnzum
Einsatzkamen,aberkeineBleichtechniken.
7
Iparo1997
ANALYSE VON GEORGEBARR IchhabedasGefühl,durchdiesesFotovonIparo
einererstaunlichenFraubegegnetzusein,ja,siesogareinwenigkennengelerntzu
haben.InihremGesichtspiegeltsicheinfamiliärerStolz,einegewisseLebenszufrie-
denheit. (Glaubenwirnicht immer,dassalleMenschen inderDrittenWelt imVer-
gleichzuunssehrunglücklichseinmüssten?)Ichglaube,inihrenAugensindwirdie
schrägenFremden,überdiesiesichamüsiert,wahrscheinlichsogarvollerMitgefühl
füruns,derenLebenwenigerfreudvollistalsdasihre.IchhattedasPrivileg,dieWelt
durchihreAugenzusehen,unddiesesahvölligandersaus,alsicheserwartethatte.
EsistzueinerGewohnheitenthusiastischerFotografenausdenWohlstandslän-
derngeworden,dieDritteWeltzubesuchenunddortdie»Eingeborenen«zufotogra-
fieren.Dieeinensinddabeisensibleralsdieanderen,abermanwirddasgrundsätz-
licheGefühlnichtlos,dassdieseArtdes»HereinplatzensundHerumfotografierens«
etwas Abstoßendes hat. DieVorstellung, dass irgendein merkwürdig aussehender
FremderauseinemfernenLandmichaufderStraßeanhältundbittet,fürihninmei-
ner»traditionellen«Calgary-Kleidungzuposieren,istmehralsnureinwenigunange-
nehm.Dassjemandmichauffordernkönnte,einenCowboy-HutundCowboy-Stiefel
zutragen(ichhabewederdaseinenochdasandere),erscheintmirvölligabwegig,
abergenaudas istes,wasLeuteausdenwestlichenLändernüberallaufderWelt
tun. Einige der auf dieseWeise zustande gekommenen Fotos sind technisch aus-
gezeichnet,aberletztendlichdanndochnichtsweiteralseineSeiteimKatalogvon
interessantenGesichtern.
Philhatesgeschafft,einePersonzufotografieren,unddamitaucheinLeben,eine
Haltung,eineHerkunftundeineKultur.GenaudarinliegtderUnterschied:indem,
waseinKünstlermitErfahrunginseinerArbeitunddurchdieAnteilnahmeanden
Menschen,dieeraufnimmt,zumAusdruckbringenkann.
2PHIL BORGES
8
P H I L B O R G E S
Der Hintergrund des Bildes erzählt uns ein wenig über Iparos
Lebensraum,wahrscheinlichGraslandodereinFeld.IhreHände
sindaufdenStieleinesWerkzeugesgestützt,also istsiewahr-
scheinlichBäuerinoderViehzüchterin.IhreHändezeigenjedoch
gepflegteFingernägel,wasnahelegt,dasssienichthärterarbei-
tetalswir,wennwirvonunserenStiefmütterchenverwelkteBlü-
ten abschneiden oder die Hundehäufchen in unserem Garten
aufsammeln. Wahrscheinlich ist ihr Leben nicht von Leid und
Elend geprägt. Die Perlenringe zeugen vonTraditionsbewusst-
seinundderBindunganStammesriten,möglicherweisesogar
von Reichtum, die ausgeweiteten Ohrläppchen von Ritualen.
WasbedeutendieSchlüssel,diesieaneinerSchnurumdenHals
trägt–gehörensiezuihremBMW,ihremHaus(esistschwer,sich
eine strohgedeckte Hütte mit einem Schloss an derTür vorzu-
stellen)oderzumDorftraktor?SindunsereDenkmustervielleicht
dochweitervonderWahrheitentfernt,alswirglauben?
Die Farbtrennung in dem Bild hebt das Motiv hervor und
verleihtdemFotoeineKraft,diewederineinemreinenSchwarz-
Weiß-BildnocheinemvollenFarbbildenthaltenwäre.Wiederum
sinddieeingesetztenMittelunddieTechnikalsInstrumentnicht
Selbstzweck,sondernsorgfältigaufdiegewünschteAussagedes
Werkesabgestimmt.
DiegefaltetenHändevermittelnRuheundZufriedenheit,die
Haltung Selbstbewusstsein. Das Licht lässt die sich im Gesicht
abzeichnendeLebenserfahrungdeutlichwerden,ohnealtersbe-
dingteFaltenzusehrhervorzuheben.DieKamerabefindetsich
unterAugenhöheundstelltdiePersondadurchausrespektvoller
Perspektivedar.
Beim Betrachten dieses Fotos erwacht in mir der Wunsch,
mitdieserFrauSeiteanSeitezusitzen,um imGesprächmehr
übersiezuerfahrenundvonihrerLebenserfahrungprofitieren
zudürfen.
DIE SICHT DES FOTOGRAFEN ImJahre1997arbeiteteich
imSamburu-GebietimNordenKenias,alsichIparokennenlernte.
SiewardieMuttermeinesFührersAbdullahi.DerwarAnfang40
undhatteelfBrüderundSchwestern.Ermachtemichauchmit
seinemjüngstenBruderLaquoibekannt,dergerade23 Jahrealt
gewordenwar.AlsIparomirsagte,siesei85,begannichzurech-
nen–daskonntedochgarnichtsein!IchsahAbdullahiungläubig
an,dermirdieWorteseinerMutterübersetzte.»Siebekamnoch
einKind,alssie61war?«,fragteich.Erantwortete:»Ja,sieisteine
starkeFrau.«Abdullahierzähltemirauch,dassIparosEhemann
geradegestorbenseiunddasssiekürzlichdurchdiegewalttäti-
genRinderdiebe,dieinihremGebietperiodischauftauchen,aus
ihremHeimvertriebenwurde.
WährendichIparobeobachtete,wiesieihreGeschichtewie-
dergab,begleitetvoneinerMengelebhafterGestenundLachen,
entwickelte ich allmählich ein Verständnis für ihre Stärke und
geistigeFlexibilität.HierwareinelebenserfahrenealteFrau,die
geradeeinpaarbesondersschwereErlebnissehintersichgebracht
hatteunddennochauftratwiejemand,dernurhalbsoaltist.Ich
dachtebeimir:»Wasweißsiealles,wasichnichtweiß?«
Ich bat sie darum, ein Portrait von ihr machen zu dürfen,
imFreien,inderheißenSonne,vorderweitentrockenenLand-
schaft. Iparo war ein unproblematisches Model: Sie stand ker-
zengeradedaundschautedirektindieKamera.Dabeizeigtesie
absolutkeineUnsicherheit.AllihreStärkekamzumAusdruck.Ich
standnurvollerBewunderungda,währendichaufdenAuslöser
drückte.
BIOGRAFIE Es war in den späten 1960er-Jahren, ich lebte
im Haight-Ashbury-Distrikt von San Francisco und war an der
Zahnärztlichen Fakultät der UCSF (University of California, San
Francisco)eingeschrieben. IchbekameinPraktikumbeieinem
Epidemiologen,dereineArbeitüberdieVerbreitungvonHepati-
tisimStadtteilHaightschrieb.MeineAufgabebestanddarin,die
HippiesaufderStraßenachihremintravenösenDrogenkonsum
zubefragen.UmmirdenTagunterhaltsamzugestalten,suchte
ichmirdieoptischinteressantestenKandidatenfürmeineInter-
viewsaus.SchließlichnahmicheinenStudienkreditauf,kaufte
mireineMinoltaSRT101undfingan,meineInterviewpartnerzu
9
I PA R O
fotografieren.DieFolgewar,dassichvieleStundeninderDun-
kelkammer des Gemeindezentrums verbrachte. Nach meiner
Graduierung konzentrierte ich alle Energie auf meine kieferor-
thopädische Praxis und schob meine Liebe zur Fotografie bei-
seite.
AchtzehnJahrespäterkramteichdiealteSRT101wiederher-
vor,umdieGeburtmeinesSohnesDaxaufzunehmen.Ichhatte
keine Dunkelkammer, um den Tri-X-Film zu entwickeln oder
Abzüge von meinen Aufnahmen zu machen, deshalb meldete
ich mich bei einem benachbarten Community College an, um
dort Abzüge meiner Bilder herzustellen. Dazu musste ich aber
einenKursbelegen,uminderdortigenDunkelkammerarbeiten
zudürfen.SolandeteichinderPortraitklasseeineserstaunlichen
Fotografen und inspirierenden Lehrers namens Ron Zak. Der
entfachtemeineLiebezurFotografieneu–undinnerhalbvon
anderthalbJahrenhatteichmeineZahnarztpraxisverkauftund
zognachSeattle,umeineneueTätigkeitalsFotografzubegin-
nen.Daxwurdeübrigenskürzlich24Jahrealt...undseiterauf
derWeltist,läuftallesbestens.
Seitnunmehr20Jahrenhabeichimmerwiedermitverschie-
denenEinheimischenundNaturvölkernweltweitzusammenge-
lebtundsiedokumentiert,wobeiichversuche,eineBeziehung
zwischen dem Betrachter und dem betrachteten Subjekt her-
zustellen,sowohldurchdieBilderalsauchdieGeschichtender
fotografiertenPersonen.IchtratAmnestyInternationalbeiund
fingan,mitderOrganisationzusammenzuarbeiten.Ichgründete
»BridgestoUnderstanding«,einOnline-ProgrammfürSchulklas-
sen, um Jugendliche weltweit miteinander in Kontakt zu brin-
gen.MentorenhelfendenStudenten,Fotogeschichtenüberihr
Leben anzufertigen. Ich habe Sammlungen für Discovery und
NationalGeographickonzipiertundreiseundfotografiereauch
weiterhin.
Ron Zak, Richard Avedon, Edward Curtis, Robert Mapple-
thorpeundIrvingPennhabenmichbeeinflusst.
MeineArbeitenwurdeninfolgendenBüchernveröffentlicht:
Tibetian Portrait: The Power Of Compassion, Enduring Spirit
(Rizolli, April 1996), The Gift (Interplast, Dezember 2000) und
WomenEmpowered(Rizolli,Februar2007).
MeineWebsitefindenSieunterwww.Philborges.com
TECHNIK DasFotowurdemiteinerHasselbladaufTri-X-Film
aufgenommen,alsAufhelllichtdienteeintragbaresStudiolicht
vonLumedyne.DasBildwurdeselektivgetont,wienachfolgend
beschrieben.
DieseAbzügeaufBarytpapierwerdeninSepiatonerselektiv
getont.Siewerdennichthandkoloriert,wedermitÖlfarbennoch
mitTusche. Ich mache meine Abzüge auf Ilford-Multigrade-IV-
PapierundtonediePapieremitKodak-Sepiatoner.DerSepiato-
nerfärbtjedesSilberhalogenidkristallimFotopapiervonSchwarz
nachSepiabraun.IchbevorzugedieseMethodegegenüberder
Handkolorierung,daSepiatonungimGegensatzzuÖlfarbenoder
Tusche archivfest ist. Außerdem bleiben bei diesemVerfahren
dieweißenBereiche,indeneneskeineSilberkristallegibt,auch
weiß.DieBereichedesBildes,dieichnichttonenmöchte,decke
ichmitMaskierfilm(FrisketFilm)ab.Dieser leichtwiederablös-
bare »LowTac Frisket«-Maskierfilm sowie ein flüssiges Produkt
namensMaskoid (gerne fürdieAirbrush-Technikgenutzt) sind
imHandelfürKünstlerbedarfzubekommen.Nachdemichden
Schwarz-Weiß-Abzugangefertigthabe,decke ichdieBereiche,
die ichnichtgetonthabenmöchte,mitderFolieundMaskoid
abundlassediejenigenfrei,diedemTonerausgesetztwerden
sollen.DanntaucheichdasFotopapierindasTonerbadein,so
dassderchemischeProzess,derdieSepiatonungerzeugt,anden
Stelleneinwirkt,dienichtabgedecktsind.
11
Trinkender Elefant2007(ElephantDrinking)
ANALYSEVON GEORGE BARR NickBrandtzeigtuns–mitvielenBezügenzur
klassischenformalenPortraitfotografie–einenbesonderenBlickaufdieafrikanischen
Wildtiere.DiemitextremenTeleobjektivenaufgenommenenFarbfotos,dieinengem
BeschnittnurKöpfeundSchulternzeigen,wiewirsiefrüherzusehengewohntwaren,
gehörenderVergangenheitan.HiersehenwirdasTierinseinemLebensraumund
wieesdamitinteragiert.
EinerseitssiehtmandiesesTiereindeutigineinerafrikanischenLandschaft,ande-
rerseitshatmaneinwenigdasGefühl,diesesBildkönntegestelltundeinemStudio
aufgenommenwordensein.DasLicht,daswiefüreinPortraitgesetzterscheint,und
dieabgedunkeltenEckensuggeriereneineInnenaufnahmemitkünstlichemLicht–
wasandeutenkönnte,dassdieseTierebaldnurnochinStädtenzurSchaugestellt
werden.AndererseitsdrücktdasPortraitdieWürdeundGroßartigkeitdesUngetüms
aus.DasWasserzeigtübrigenseindeutig,dassessichnichtumeineStudioaufnahme
handelt...imGegensatzzudenübrigenIndizien.
DasLichtistperfekt,eslässtdiefaltigeHautdesElefantendeutlichhervortreten,
gleichzeitigerscheinendieOhreninwohlabgestuftenTonwerten.DasLichtkommt,
vonunsausgesehen,vonrechtsundesistweichgenug,umDetailsinderverschatte-
tenBöschungzuzeigen.GleichzeitigerscheinendieSpitzlichteraufdenStoßzähnen
feindurchgezeichnet.
DiePoseistnahezugenaufrontal,abermiteinemausreichendenRestanAsymme-
trie,umnochnatürlichzuerscheinen:EinHinterbeinistsichtbar,derlinkeStoßzahn
reichttieferalsderrechte,dieunterenEndenderOhrenbefindensichaufungleicher
Höhe,dasGlanzlichtliegtaufdemWasser,vomBetrachterausgesehenrechts,sowie
etwasimWasseraufderlinkenSeite.EsgibteineneinzelnenBuschinmittlererEnt-
fernungbeieinemansonstenschlichtenHintergrund.
3NICK BRANDT
12
N I C K B R A N D T
DieSchattensindkräftigausgeprägt,enthaltenabernochdiffe-
renzierteZeichnung,sowohlbeimrechtenVorderfußalsauchin
derBöschung.UmdenKopfdesElefantenherumerkenntman
einedeutlicheVignettierung,genauwiebei traditionellenPor-
traitfotos.DasBildkönnteauchvor100Jahrenentstandensein.
DerUmstand,dassdieseinFotoinfreierNaturist,auskurzer
Entfernung aufgenommen mit nichts weiter als einem flachen
TeichoderBachzwischendemFotografenunddemwildenTier
indessenangestammterUmgebung,lässteinendochnachdenk-
lichwerden.NickspieltdieGefahrfürsichselbstinderSituation
herunter. DieWidersprüche des Bildes inVerbindung mit den
ausgezeichnetenTonwerten rufen eine beträchtliche Irritation
hervor.SiewerfenFragenaufundlassenunangenehmeVerdäch-
tigungenaufkommen:IstdasBildimFreienoderimStudioauf-
genommen?Istesneuoderalt,miteinemPräparatodereinem
wirklichlebendenTierfotografiert?Zeigteseineglücklicheoder
einezubemitleidendeSituation?FüreineeinzigeFotografieeine
MengeanFragen.
DIE SICHT DES FOTOGRAFEN Ich fotografiere Tiere auf
genaudiegleicheWeisewieMenschen.IchbetrachtejedesTier
alseinempfindungsfähigesWesen,dessenLebengenausowert-
vollistwiedasunsere–unddieseHaltungprägt,wieundwasich
auswähle,wennichdurchdenSucherschaue.
Das istaucheinerderGründe,warumichkeinTeleobjektiv
verwende. Ich bevorzuge es, nah an die Tiere heranzugehen
undsieaufdieselbeWeiseundmitdemselbenObjektivaufzu-
nehmen, wie man normalerweise eine Person portraitiert. Sie
würden ja auch niemals von einem Menschen ein Portrait aus
30mEntfernungmachenunddabeierwarten,seineSeeleoder
Persönlichkeiteinzufangen.StattdessenwürdenSienäherher-
angehen.AußerdemfangeichsovielalsmöglichvomHimmel
undderLandschaftein,wennichaufeinTeleobjektivverzichte.
IchmöchtedieTiereimZusammenhangmitihrerUmgebung,in
ihrerWelterfassen.
Manchmal kehre ichTag fürTag erneut zu demselbenTier
zurück,dasmeinInteressegeweckthat–zuweilenüberWochen
hinweg,wobeiichhoffe(oftvergeblich),irgendwanndenrichti-
genMomentzuerwischen.ImFallediesesFotoshatteichjedoch
nureinpaarSekunden,umeinigeAufnahmenzumachen,alswir
eines späten Nachmittags diesem Elefanten an einem kleinen,
vorübergehendvorhandenenWasserlochbegegneten.
AufdemKontaktbogenfielmirbesondersdieseAufnahme
insAuge,weilsiesowirkt,alswäresievoreinerBühnegemacht,
wobeidieDekorationindenBühnenhimmelübergehtundder
Elefant im Lichtbündel von Scheinwerfern steht. (Als Bühnen-
bildnerhabeichtatsächlichSetsaufgebaut,diesoaussahenwie
dieseSzene.)
Esgibt inOstafrikanichtmehrvieleElefantenbullenmitso
langenStoßzähnen.AchtJahrezuvorhatte ichnochElefanten
mitStoßzähnengesehen,diebiszumBodenreichten.Trauriger-
weiseerfuhrichkürzlich,dassdieserwunderbare45-jährigeEle-
fantimOktober2009vonWildererngetötetwordenwar,umdie
steigendeNachfragenachElfenbeinausChinazubefriedigen.
IndenletztenpaarJahrenistdieNachfragenachElfenbeinin
Chinaerneutexplodiert.ImJahre2005wurdeeinKiloElfenbein
für ungefähr 400 US-Dollar gehandelt, heute zahlt man etwa
6000US-DollarproKilo.Manschätzt,dassgegenwärtigproJahr
etwa30.000Elefantengetötetwerden,dasentsprichtrund10%
dergesamtenElefantenpopulationvonAfrika.Anscheinendwird
diesüberwiegendvonchinesischenWirtschaftskartellenfinan-
ziert. Dringende Maßnahmen sind erforderlich, ähnlich wie in
dendunklenZeitender1970er-und1980er-Jahre,diedasVerbot
desElfenbeinhandelszurFolgehatten.Andersalsdamalsgibtes
heutewenigerLand,einegrößereBevölkerungundeinedeutlich
verstärkteOrganisationdesTötensundZerstörens.
AngesichtsdessenfieldieWahldesTitelbildesfürmeinBuch
A Shadow Falls (dt. »EinSchatten fällt ...«)aufgrundseinerdüs-
terenStimmungklaraufdiesesFoto.WiePeterSingeramEnde
seinerEinführungfürdasBuchschrieb:»DerSchatten,dersich
überdasLandlegt,istunsereigener.«
13
T R I N K E N D E R E L E FA N T
BIOGRAFIE UrsprünglichMaler,wechselteichzunächstzum
Film, weil ich wollte, dass sich meine Bilder bewegen und von
Musikbegleitetwerden–dennMusiksprichtmichmehralsjede
andere Kunstform an. Dann führte ich 1995 Regie bei einem
MusikvideofürMichaelJacksonmitdemTitel»EarthSong«:Das
vonmirverfassteDrehbuchhandeltdavon,aufwelcheverschie-
denenArtenderMenschdiesenPlanetenzerstört.Natürlichkam
darinauchdieZerstörungderNaturAfrikasvorundichwählte
Tansania als Drehort für den Afrikateil. Ich war verzaubert von
denTierenundderLandschaftAfrikas, ingenauderselbenkli-
scheehaften Weise, wie es den meisten Leuten ergeht. Mehr
und mehr verzweifelte ich bei dem Versuch, meine Liebe zu
denTierenunddieBedeutung,diesiefürmichhaben,mitder
Notwendigkeitzuvereinen,dasGescheheninBilderzufassen.
IchsaheineMöglichkeit,dashierinOstafrikazuverwirklichen.
UndsobegannichschließlichmitFreudeimJahr2000eineneue
LaufbahnalsFotograf.AmAnfangstandmeineLiebezudenTie-
ren,unddieFotografiewareinfachdasMittelderWahl, siezu
leben.ImAugenblickmöchteichnichtsanderesalsbiszumEnde
meinesLebensfotografieren.
MichhatkeineinzelnerFotografbesondersbeeinflusst,aber
derfrüheEdwardSteichenhatmichammeistenfasziniert.
FotografienvonmirwurdeninOn This Earth(ChronicleBooks,
2005),A Shadow Falls(AbramsBooks,2009)undinOn This Earth,
A Shadow Falls (Big Life Editions, 2010) veröffentlicht; letztere
PublikationkombiniertdiebestenFotosausdenbeidenersten
Büchern.
SiefindenmeineArbeitenauchaufwww.nickbrandt.com.
TECHNIK DasFotowurdemiteinerPentax67 IIaufT-MAX-
100-Film aufgenommen. Es gibt davon eine limitierte Auf-
lage von acht 56 × 73 Zoll großen Exemplaren als archivfester
PigmentdrucksowiekleinereGrößen.
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Herbstglühen im Wald2000(GlowingAutumnForest)
ANALYSE VON GEORGE BARR Das gängige Farbfoto einer Herbststimmung
beruhtaufDramatik,wenigeraufSubtilität,aufsattenFarbenstattPastelltönen.Sol-
cheBildersindseltenvonStimmungundAtmosphäregeprägt,dochStimmungund
Atmosphäresindgenaudas,wasChristopherBurketthierfotografierthat.
AufdenerstenBlicksinddieHerbstfarbendasinteressantesteMerkmaldesBildes,
aberichglaube,eigentlichbildendieBäumeimdunstigenHintergrunddaswahre
zentraleMotiv.AllesÜbrige,sogardieleuchtendenBlätter,bildennurdenRahmen,
dieHinführungunddasTorzudenzartenTöneninderFerne.
DerpinkfarbeneSchimmerunddiePastelltönederBäumeimHintergrunderwe-
ckendenEindruckvonMagieinderLuft.Allesistmöglich.KommendieEinhörner
vielleichtvonhier?
Obwohleszunächstsoscheint,alshättenwirhiereinkunterbuntesDurcheinan-
dervonFarben,zeigtsichbeigenaueremStudiumeinegewisseOrdnung.Diever-
schiedenenZweigeunddieLückezwischendennahen,größerenBäumenwirken
allezusammen,umdenBlickaufdenDunstinderFernezulenken.BeachtenSiedas
alternierendeMustervondiagonalverlaufendenZweigenoberhalbdesDunstes,die
eineSpitzebilden,inderChristophereineKathedraleerkennt.DiegrünenBlättersind
anmutigzubeidenSeitenvonobenbisuntenverteilt,obeninderMittedesBildes
undwiederinderMitteunten.
AuchwenndasLichtimVordergrundflachwirkt:BeachtenSie,dassdielinkeSeite
einesjedenBaumstammesdunkleralsdierechteist,wodurchsichdieBäumevonei-
nanderabheben,ohnehartzuwirken.
DasFotowurdemiteiner8×10Zoll-Kameraaufgenommenundenthältsehrfeine
Details.SeinevolleWirkungentfaltetesingroßformatigenAbzügenoderDrucken,
wassichimBuchnichtrealisierenlässt,abereinenAnreizbildet,sichdasBildeinmal
4CHRISTOPHER BURKETT