InXFo – Interdisziplinäres Expertenforum HIV/Hepatitis www.inxfo.de
Haben wir jemals soviel mit unseren
Patienten über die laufende anti-
retrovirale Therapie und neue Optionen
geredet wie in diesem Jahr? Der massive
Preisverfall bei den Generika-Präparaten
und der zunehmende Druck,
wirtschaftlich zu verordnen, sind nicht
die einzigen Gründe. Auch die neuen
Optionen am Horizont (duale Therapien,
Long Acting) sind ständiges Thema. Und
mussten sich HIV-Behandler jemals
innerhalb weniger Monate fünf neue
Handelsnamen – Biktarvy®, Juluca®,
Pifeltro®, Delstrigo®, Trogarzo® -
merken? Wohl nicht.
Es besteht kein Zweifel: 2018 war ein
erfolgreiches Jahr in der HIV-Therapie.
Die wichtigsten Entwicklungen
(subjektive Auswahl!) sollen im
Folgenden besprochen werden.
Duale Therapien mit 3TC
War der Welt-AIDS-Kongress in Amsterdam im
Juli der Durchbruch für die duale Therapie?
Es wird spannend, die ersten beiden großen
Phase-III-Studien an therapienaiven
Patienten sind jedenfalls viel versprechend:
In GEMINI-1/2 wurden Dolutegravir plus
3TC doppelblind mit Dolutegravir plus
TDF+FTC bei 1.433 Patienten mit einer
Viruslast von weniger als
500.000 Kopien/ml verglichen (Cahn 2018).
Nach 48 Wochen hatten 91 versus 93 %
eine Viruslast unter der Nachweisgrenze.
Das Studienziel, die Nicht-Unterlegenheit
des dualen Arms, wurde erreicht. In den
seltenen Fällen des Therapieversagens
zeigte sich bislang keine Resistenz, und
auch bei hochvirämischen Patienten war
die duale Therapie wirksam. Schwere
Nebenwirkungen waren gleich häufig, nur
bei den „drug-related AEs“ zeigte sich ein
leichter Unterschied (18 versus 24 %),
ebenso bei einigen renalen und ossären
Biomarkern. Aber reicht das schon, um eine
neue Ära einzuläuten? Kritikpunkt bleibt,
dass gegen TDF getestet wurde, nicht gegen
TAF. Zu beachten ist auch, dass bei
niedrigen CD4-Zellen unter 200/µl die
Ansprechraten in der Snapshot-Analyse
schlechter waren (79 % versus 93 %), bei
allerdings kleinen Fallzahlen und nur
wenigen therapiebedingten Abbrüchen. Die
Beobachtungsdauer ist zudem noch kurz.
Weitere Studien, darunter TANGO und
ASPIRE an vorbehandelten Patienten,
laufen. In ASPIRE wurde unter Dolutegravir
plus 3TC keine erhöhte residuale Virämie
beobachtet (Li 2018). Eine Kombinations-
tablette aus Dolutegravir und 3TC soll
nächstes Jahr auf den Markt kommen. Man
darf schon jetzt sehr gespannt sein auf die
genaue Zulassung und den Preis. In jedem
Fall dürfte dieses „Duomeq“ nicht nur
Triumeq® Konkurrenz machen, der
Kombination aus Dolutegravir plus
Abacavir+3TC. Auch Biktarvy® (siehe unten)
wird sich wappnen müssen.
Nuke-freie, duale Therapie
Als erste duale Therapie ohne NRTIs („Nuke
-frei“) wurde im Juni des Jahres Juluca® bei
vorbehandelten Patienten zugelassen, die
Fixkombination aus Dolutegravir und
Rilpivirin. In zwei großen Phase-III-Studien
(SWORD I+II, n=1.028) wurde Juluca® gegen
die Fortführung einer erfolgreichen ART
getestet (Llibre 2018). Virologisches
Versagen war sehr selten, INSTI-
Resistenzen traten überhaupt nicht auf. Ein
kleiner Wermutstropfen blieb freilich: ZNS-
Nebenwirkungen führten eher zum
Abbruch, auch milde Nebenwirkungen
waren mit 17 % versus 2 % häufiger zu
beobachten. Zu beachten ist, dass Juluca®
wegen Rilpivirin zu einer Mahlzeit einge-
nommen werden muss und dass die
Einschlusskriterien in SWORD streng waren:
Maximal zwei Vortherapien, kein viro-
logisches Versagen, keine Resistenzen,
keine Hepatitis B. Gezeigt wurde bislang
nur, dass es günstig für die Knochendichte
ist, wenn TDF abgesetzt wird (McComsey
2018) – dies zeigte sich in vielen Studien
allerdings auch bei einem Wechsel auf TAF
oder Abacavir. Mit Blick auf die
Nebenwirkungen: Das Argument, es
entwickelten eben immer ein paar
Patienten Nebenwirkungen, wenn von
einer gut verträglichen Baseline-Therapie
auf ein neues Präparat gewechselt wird,
bedeutet eben auch, dass eine gut verträg-
liche Baseline-Therapie nicht ohne Grund
gewechselt werden sollte.
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Neues zu Nebenwirkungen
Zu betonen ist, dass wir, was Neben-
wirkungen angeht, 2018 in einer anderen
Liga spielen als noch vor ein paar Jahren.
Schwere Nebenwirkungen, die zum
Abbruch führen, sind selten geworden.
Dennoch sind Dinge wie die bislang
unerklärten neuropsychiatrischen Probleme
unter Integrasehemmern (Review: Yombi
2018) nicht wegzureden. Patienten werden
anspruchsvoller. Zu Recht. Solange eine
Heilung nicht in Sicht ist, brauchen wir
einen Plan B – dieser bedeutet eben eine
jahrzehntelange Therapie, bei der am Ende
auch kleine Unterschiede den Ausschlag
geben werden.
Schon milde Schlafstörungen, die in
randomisierten Studien möglicherweise
von Patienten und Ärzten toleriert (oder
der ART gar nicht erst zugeordnet) werden,
führen in der klinischen Routine zum
Wechsel der Therapie. Was soll man auch
sonst tun? Viel wird auch über Gewichts-
zunahme spekuliert, die bei einigen
Patienten mitunter beachtliche Ausmaße
annimmt. Ist es am Ende das Tenofovir-AF,
wie eine retrospektive Studie aus München
nahelegt (Gomez 2018)? Oder sind es doch
die Integrasehemmer, worauf in Glasgow
die Resultate der NEAT22-Studie (offen
randomisierter Wechsel von PIs auf
Dolutegravir) hindeuteten (Waters 2018)?
Was sind die Mechanismen? In Glasgow
wurde über Adiponektin spekuliert. Der
Abfall dieses Hormons, das u.a. das
Hungergefühl und die Insulinwirkung
moduliert, ging in NEAT22 mit einer
Zunahme des BMI einher (Martinez 2018).
Verstärken die INSTIs einfach nur den
Appetit? Lipodystroph sehen die Patienten
jedenfalls nicht aus.
Bictegravir – das Maß aller Dinge?
Ende Juni wurde Biktarvy® zugelassen, die
Fixkombination aus TAF+FTC und dem
Integrasehemmer Bictegravir. Der Preis ist
vergleichsweise günstig. Interessanterweise
sind bislang keine Studien zur dualen
Therapie mit Bictegravir geplant, Gilead
setzt voll auf die Dreifachtherapie. Ob das
klug und Bictegravir besser ist als andere
Integrasehemmer, werden wir sehen. Es
bleibt abzuwarten, was Biktarvy® abgese-
hen vom Preis, an Vorteilen zu bieten hat.
Wenn von gut verträglichen PI-Regimen auf
Biktarvy® gewechselt wird, zeigt sich ein
ähnliches Bild wie bei Juluca® – 19 versus
2 % Nebenwirkungen, ein Wechsel ohne
triftigen Grund macht daher wenig Sinn
(Daar 2018). Im direkten Vergleich mit
Dolutegravir traten nach 96 Wochen etwas
weniger AEs auf (20 % versus 28 %;
Stellbrink 2018), Studienabbrüche aufgrund
von AEs waren in beiden Armen selten (je
2 %). Die in den doppelblind randomi-
sierten Zulassungsstudien bessere Verträg-
lichkeit von Biktarvy® gegenüber Triumeq®
war sicherlich zum Teil auch auf Abacavir
zurückzuführen (Molina 2018, Wohl 2018).
Abacavir – eine Ära geht zu Ende
Überhaupt Abacavir: Mit diesem
inzwischen generisch verfügbaren NRTI
geht es wohl allmählich zu Ende. Das in
vielen Kohortenstudien beobachtete, leicht
erhöhte kardiovaskuläre Risiko scheint nun
hinreichend erklärt. Die zugrunde liegenden
Pathomechanismen konnten auf der CROI
in Boston im März überzeugend aufgedeckt
werden (Mallon 2018, O’Halloran 2018,
Taylor 2018). Prognose: Die
prothrombogenen Eigenschaften werden
dafür sorgen, dass Abacavir weiter in den
Hintergrund tritt.
Der Backbone: Tenofovir-AF oder -DF?
Gilt das auch für TDF? Nun ist TAF sicherlich
weniger toxisch für Niere und Knochen.
Einer Metaanalyse zufolge scheint dies aber
nur für geboosterte Regime zu gelten –
ohne Ritonavir oder Cobicistat sind die
Unterschiede marginal (Hill 2018). Die
unverhältnismäßig höheren Kosten für TAF,
Berichte zu Gewichtszunahme, aber auch
schwierig kalkulierbare Interaktionen
(Cerrone 2018) tun ein Übriges bei der
Frage, ob TAF TDF vorzuziehen ist: der Riss
geht noch immer quer durch die Szene. Um
das Ende von TDF einzuläuten, ist es
sicherlich zu früh. Delstrigo®, die im
September 2018 von der FDA zugelassene
Fixkombination aus TDF+3TC und dem
neuen NNRTI Doravirin (die Einzelsubstanz
wird Pifeltro® heißen), könnte neue
Argumente für TDF liefern. Doravirin hat
sich in direkten Vergleichen als besser
verträglich als Efavirenz und nicht
unterlegen zu Darunavir erwiesen, die
Resistenzbarriere scheint höher als bei
anderen NNRTIs zu sein (Orkin 2018,
Molina 2018). Man darf auf den Preis von
Delstrigo® gespannt sein, mit dem MSD in
den Markt geht; die Zulassung in
Deutschland steht unmittelbar bevor.
Schwangerschaft, HEU-Kinder
Für viel Aufsehen sorgte eine Studie zu
Neuralrohrdefekten bei Kindern aus
Botswana, deren Mütter mit Dolutegravir
behandelt worden waren. Insgesamt 4/426
(0,94 %) kamen mit diesen Defekten zur
Welt, verglichen mit nur 14/11.300 (0,12%)
Kindern, deren Mütter andere ART-Regime
erhalten hatten (Zash 2018). Nun sind diese
Berichte vorläufig, ein Update der
Inzidenzen wird für Anfang 2019 erwartet;
nichtsdestotrotz sollte man mit neuen
Substanzen – und dazu zählen die
Integrasehemmer, auch Bictegravir - in der
Schwangerschaft weiterhin sehr vorsichtig
sein. Schwangerschaftsregister bleiben
wichtig! In diesem Zusammenhang ist
immer mehr von den HEU-Kindern die
Rede. Schätzungsweise 1,4 Millionen
werden jedes Jahr geboren, HEU steht für
„HIV-exposed uninfected“. Unterscheiden
HEU-Kinder sich von anderen Kindern, und
wenn ja, durch was und warum? Was ist
durch antiretrovirale Therapie bedingt, was
durch die HIV-Infektion der Mutter, was
durch die individuellen, oft schwer
objektivierbaren „Umstände“ (Nikotin,
Alkohol, Drogen, Ernährung etc)? Eine
Vielzahl von Studien, die hier nicht im
Einzelnen aufgezählt werden können,
widmete sich dem Thema – es geht nicht
nur um Geburtsdefekte, sondern auch um
Wachstum, Geburtsgewicht, immuno-
logische und neurale Entwicklung und vieles
mehr (McHenry 2018, Snijdewind 2018,
Goetghebuer 2018). Vieles bleibt offen. Die
in Hamburg initiierte, 2019 anlaufende
CLARE-Studie wird hoffentlich einige Fragen
beantworten.
Resistenzen – neue Optionen
In Zeiten von Dolutegravir und Darunavir
kommen inzidentelle Multiresistenzen nur
noch anekdotisch vor (Däumer 2018). Und
dennoch gibt es diese Patienten ohne
Optionen. Im März wurde in den USA
Trogarzo® (Ibalizumab) zugelassen, ein alle
zwei Wochen zu infundierender CD4-
Antikörper. Allerdings offenbarte die im
New England Journal veröffentlichte Studie
an 40 (!) Patienten, dass die Wirkung bei
niedrigen CD4-Zellen und hoher Viruslast
begrenzt ist (Emu 2018). Auch mit
Fostemsavir, dem neuen, noch experimen-
tellen Attachment-Inhibitor von ViiV,
konnten in Anhängigkeit von CD4-Zellzahl
und Viruslast nur moderate Ansprechraten
zwischen 37 % und 63 % nach 24 Wochen
erreicht werden (Pialoux 2018). Gerade für
die wenigen „verzweifelten“ Fälle, die
dringend neue Optionen benötigen, sind
das nur bedingt gute Nachrichten. Von
Bictegravir oder Cabotegravir ist (ähnlich
wie von Dolutegravir) bei bestimmten INSTI-
Resistenzmutationen wie z.B. E138K/
G140A/Q148K auch kaum etwas zu erwar-
ten (Smith 2018). Man kann nur auf MK-
8591 hoffen, den in Phase II
befindlichen nukleosidischen Reverse-
Transkriptase-Translokation-Inhibitor von
MSD. MK-8591 soll gegen NRTI-resistente
Viren eine stärkere antivirale Wirkung
haben als alle bislang verfügbaren NRTIs
gegen Wildtyp-Viren (Grobler 2018).
Long Acting
Mehr und mehr Patienten fragen nach der
„neuen Spritzentherapie“. LATTE-2, als
Pionier-Studie vor Jahren gestartet, kreist
jetzt seit nunmehr 160 Wochen im Orbit.
Cabotegravir und Rilpivirin, ob alle 4 oder
alle 8 Wochen injiziert, scheinen auch über
gut drei Jahre hinweg wirksam zu sein
(Margolis 2018). Ergebnisse der aktuell noch
laufenden Phase III-Studien stehen noch
aus, aber schon jetzt drängen sich prakti-
sche Fragen auf. Ein Patient, der sich aus
beruflichen Gründen aus LATTE-2 zurückzie-
hen will: Was kann man ihm eigentlich als
Therapie anbieten? Und ab wann? Wie ist
dieses „Bridging“ zu
monitorieren? Es bleiben viele offene
Fragen, und die Entwicklung der
HIV-Therapie ist noch lange nicht am Ende.
Mit freundlicher Unterstützung von:
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Herausgeber: InXFo GmbH, Lutterothstraße 73, 20255 Hamburg Logistik-Team: Patrick Braun, Leonie Meemken, Eva Wolf Technischer Support: Stefan Preis, Clinovate Foto: Gunther Willinger
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Autor dieser Ausgabe
PD Dr. med. Christian Hoffmann Internist, Hämatoonkologe ICH Hamburg PartG