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Hinweise zum Gebrauch
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Spektrum pädiatrischer Psychosomatik vom chronischen Schmerz bis zur Bewegungsstörung
Markus BlankenburgPädiatrische Neurologie, Psychosomatik und Schmerztherapie, Kinderschmerzzentrum Baden-WürttembergZentrum für Kinder-, Jugend- und Frauenmedizin, Klinikum Stuttgart-OlgahospitalFakultät für Gesundheit Univ. Witten/Herdecke, Lehrstuhl für Pädiatrische Schmerztherapie und Palliativmedizin
Interessenkonflikte: keine
Gliederung1. Klassifikation2. Häufigkeit3. Befunde4. Ursachen5. Therapie
Dissoziative (Bewegungs-) Störung und somatoforme (Schmerz-) Störungen
Emotionale Störung KA mit soz. Ängsten, Depression
15.10.2020 Seite 3
Störung Dissoziative Störungen (F44) Somatoforme Störungen (F45)
häufigste
Symptome
1. Bewegungsstörung
2. Krampfanfälle
3. Sensibilität-, Empfindungsstörung
1. Schmerzstörung 2. Schwindel, Übelkeit3. Müdigkeit, Erschöpfung
Voraussetzung • Ausschluss somatischer Krankheiten (nicht immer sicher, stigmatisierend)
• zeitliche Verbindung mit Belastungen (oft nicht nachweisbar, stigmatisierend)
• nicht bewusst (oft nicht nachweisbar)
Somatische Belastungsstörung (DSM-5), Störung körperlichen Leidens (ICD-11) statt somatoforme Störungen
15.10.2020 Seite 4
Kriterium Somatische Symptome führen zu
A • (psychische) Belastung / Beeinträchtigung durch körperliche Beschwerden
B • durch dysfunktionaler Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen
C • Dauer >6 Mo.
Schweregrad • leicht (1 B), mittel (>1 B), schwer (+ multiple / starke Symptome)
Spezifikation • mit überwiegendem …………….. (Symptom, z. B. Schmerz)
• unabhängig von somatischer Erklärung
Epidemiologie und häufigste Symptome
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Störung dissoziativ Somatoform zusammenfassen
Haus-, Kinderarzt 10-40% 20-40%
Facharzt 20-30% 5-50%
Kinderklinik 4% 20%
häufigste Symptome 1. Bewegungsstörung2. Anfälle3. Empfindungsstörung
1. Schmerz2. Erschöpfung3. Schwindel
• einer von 3 Patient in Ihrer Praxis!
Brunner 1999; Lieb 1998; Hessel et al. 2003; Taylor et al., 2003 Blankenburg et al. 2008
Hinweise bei der Anamnese
15.10.2020 Prof. Dr. Vorname Nachname Themennennung Seite 6
Belastung:
• hoch ohne medizinische Befunde (somatoform)
• gering (belle indifference) mit gravierenden neurologischen Ausfällen (dissoziativ)
Diagnostik:
• zuwenig => Pat. fühlt sich nicht ernst genommen, Risiko von Fehldiagnosen
• zuviel => iatrogene Chronifizierung
Hinweise bei der Anamnese
• Symptome fluktuieren / wechseln
• Patient ist überzeugt somatisch krank zu sein
• Abwehr psychosomatischer Zusammenhänge
– belastender Lebensereignisse (Belastungsreaktion, Anpassungsstörung, PTBS)
– komorbider Angst, Depression
• Scheitern vorhergehender Behandlungen
Hinweise bei der Untersuchung (dissoziative Störung)
• immer vor Publikum (Konversionsstörung)• Fluktuationen (Ablenkung, Aktivitäten) • Bewegungen bizarr, lange (>5 Min.), asynchron, ohne Verletzungen (Zungenbiss)Bewegungsstörung• Mitbewegungen, -innervation erhalten• Reflexe unauff., keine Atrophien
Zentrale Sensibilisierung
rezidivierende (Schmerz-) Reize führen bei Jugendlichen nach FG / Verbrennungen im 1. JL
• erhöhter Schmerzempfindlichkeit / reduzierten Schmerzschwellen
• Vergrößerung der somatosensorischen Repräsentation
• Hohmeister et al., Pain. 2010; • Wollgarten- Hadamek et al.,
Eur J Pain. 2011• Sethna et al., Pain 2007;
131:153-61; • Tan et al. Acta Paediatrica
2008; 97,875–879
15.10.2020 Prof. Dr. Vorname Nachname Themennennung Seite 10
sozial-Vermeidung-Kompensation-Krankheitsgewinn
somatisch-Übererregung-Hypersensitivität-Wahrnehmungs-schwellen ↓
kognitiv-Erwartung-Fehlbewertung
emotional -Belastung, Überf-Angst, Depress.-Alexythymie
Somatische Faktoren der Symptomchronifizierung
Symptom (z.B. Schmerz)
zentrale Sensibilisierung
Sensibilisierung von ZNS-Systemen mit überstarker +
langer Aktivierung beim Schmerz durch
• Langzeitaktivierung nozizeptiver Neurone
• Verstärkte synaptische Schmerz-Übertragung
• Blockierung inhibitor. antinozizeptiver Neurone
• Dauersensibilisierung im myofaszialen Gewebe
=> Hypersensitivität (-algesie) / Wahrnehmungsschwelle↓
Verbindung somatoformer und (komorbider) emotionaler Störungen
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Witt et al., 2017; Tietjen et al., 2010; Gaßmann et al., 2009; WilDue et al., 2005; liams et al., 1996
Störung komorbide
Somatoform • Angststörung, Depression 30-70%
Schmerz • Angststörung, Depression 30-60%• höhere Einschränkung• schlechtere Prognose der
Schmerzstörung
Depression • Schmerz 50% • höheres Suizidrisiko mit Schmerz
15.10.2020 Prof. Dr. Vorname Nachname Themennennung Seite 12
sozial-Vermeidung-Kompensation-Krankheitsgewinn
somatisch-Hypersensitivität-Übererregung-Wahrnehmungs-schwellen ↓
kognitiv-neg. Erwartung-Fehlbewertung
emotional -Belastung, Überf-Angst, Depress.-Alexythymie
Schmerz
zentrale Sensibilisierung
Psychologische Faktoren der Symptomchronifizierung
• Überforderung, Selbstunsicherheit
• Belastende Lebensereignisse (Mobbing,
Trennungen, Vernachlässigung, Misshandlung)
• Aufmerksamkeit auf körperliche Symptome statt auf
Anspannung, Angst (Alexithymie)
• Komorbide Angststörung, Depression
• negative Erwartungen
• Fehlbewertung körperl. Symptome (Katastropisieren)
Reaktionsmöglichkeiten auf Symptome / Emotionen (Gefahr)
Angriff (SNS, Stresshormone)
Flucht (Vermeidung) durch
• Rückzug, Passivität
• Kompensation (Internet, Droge)
Abschalten (Dissoziation)
• belastender Erlebnis, Erinnerungen, Emotionen,
• bei hoher Angst / Unsicherheit (PNS dorso-vagaler
Komplex)
sozial-Vermeidung-Kompensation-Krankheitsgewinn
somatisch-Hypersensitivität-Übererregung-Wahrnehmungs-schwellen ↓
kognitiv-Erwartung-Fehlbewertung
emotional -Belastung, Überf-Angst, Depress.-Alexythymie
Schmerz
Zentrale Sensibilisierung
Verhaltensfaktoren und Symptomchronifizierung
Vermeidung (Schule) z.B. aus Angst vor Schmerzen
• bei akutem Schmerz angemessen
• bei chronischem Schmerzen nicht angemessen
• Kompensationsverhalten (Internet-, Substanzkonsum)
• Krankheitsgewinn durch Entlastung, Zuwendung
Prognose ohne (ausreichende) Behandlung bei Kindern und Jugendlichen
Poikolainen et al 2000, Fearon et al.,2001, Jansen 1999, Gutmundsson 2001; Maaranen 2008, Gutmundsson 2001, Ferrara 2008, Schwingenschuh 2008; Hestbaek et al. Spine 2006, 31(4):468-72; Walker et al. Pain 2012,
Prognose Faktoren60% rasche Rückbildung
• kurze Symptomdauer• umschriebene Symptome • akuter Auslöser • rascher Therapiebeginn
15-30%chronisch
• Symptomdauer >3 Monate• späte Diagnose / Behandlung, Behandlungsabbrüche• Krankheitsgewinn (Schulabsentismus)• komorb. Angststörung, Depression, Belastungsfaktoren
nach 5 J. • 14-54% dissoziative Symptome (Symptomwechsel 20-30%) (Jansen 1999)
• 25% Schmerzen (Walker et al., 2012)
Primärversorgung in der Ambulanz
sozial-Vermeidung-Kompensation-Krankheitsgewin
somatisch-Hypersensitivität-Übererregung-Wahrnehmungs-schwellen ↓
kognitiv-Erwartung-Fehlbewertung
emotional -Alexythymie-Belastung, Überf-Angst, Depress.
Zentrale Sensibilisierung
1. Symptom ernst nehmen Edukation bio-psycho-sozialer Zusammenhänge
2. Ausschluss + Vermittlung somatischer Erkrankung
3. Schmerzedukation
4. Alltagsbewältigung pos. verstärken
5. Analgetika (Migräne)
6. Aktivierung (Physio-, Sporttherapie)
7. Ablenkungstechniken
8. Psychotherapie bei komorbiden Störungen
Edukation der (bio-psycho-sozialen) Symptomverstärkung
sozial-Amygdala-dorsale PFC
somatisch-Amygdala-Sympatikus-Hypothalamus
kognitiv-med. PFC-Hypocampus
emotional -ACC-PFC
Zentrale Sensibilisierung
Schmerz
Stationäre multimodale psychosomatische Therapie
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Therapiestunden/Woche ProfessionEinzelsitzungen 3 + Familiensitzung 1 Arzt / Psychologe Gruppentherapie 1Physio-, Sporttherapie (Stufenpläne) 3-5 PhysiotherapeutMusikimprovisation 5 KunsttherapeutKlinikschule zur Belastungssteigerung 15 PädagogenDistanzierungstechniken, Aktivitäts-, Stufenpläne 10
Pflege- undErziehungsteam
Biofeedback 1 Stimmungsbarometer, Verhaltensanalyse 5Belastungserprobungen (Schule) 1-2x/Monat
• Indikation: starke Beeinträchtigung der Lebensqualität / Schulfähigkeit
• Symptome ≥ 3 Monate, Versagen ambulanter Therapie
• symptomunterhaltende Belastungen, Begleiterkrankungen
6 Therapiemodule
sozial-Verstärkerplan-Selbstwirksam-keit
somatisch-Symptom--bewältigung-desensibilisierung
kognitiv-Edukation-Ablenkung-kog. Umprogram.
emotional -Emotions--Wahrnehmung--Veränderung
Zentrale Sensibilisierung
Zugang über Symptomerleben
1. Psychoedukation: Krankheits-/Therapieverständnis erhöht
Therapiecompliance und –erfolg
2. Symptombewältigung (Coping)
3. Psychotherapie dysfunktionaler Emotionen,
Erwartungen und Verhaltensweisen
4. Selbst-, Veraltenssteuerung in der Gruppe
5. Pharmakotherapie komorbider Störungen
6. Familientherapie, Belastungserprobung
1. Krankheits-/Therapieverständnis
2. Symptombewältigung und -distanzierung
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• Wahrnehmung und Modulation von Anspannung und Symptomen
(Biofeedback)
• Symptom zu einem Teil von sich machen (Distanzieren)
• Ablenkung (ABC, 54321-Technik, Tapping, Atemtechnik)
• Entspannungstechniken
• Desensibilisierung (KG, Sport-, Ergotherapie)
• Schmerzdistanzierende Medikation
3. Emotionsregulation (CBT)
15.10.2020
• Wahrnehmung und Modulation von Angst, Depression, Selbstwert
• Imaginationstechniken (starker / selbst-bewusste Anteile, sicherer Ort)
• emotioneles Erleben mit kreativem Handeln verbinden (Musiktherapie)
• Behandlung komorbider psychologischer Störungen (Psychotherapie,
SSRI)
3. Umstrukturierung negativer Gedanken (CBT)
Seite 22Charlie Brown, Snoopy
• Wahrnehmung und Veränderung negativer
Erwartungen, Fehlbewertungen, Überzeugungen?
• Welche Überzeugungen sind hilfreich?
• Welche Folgen hätte es im Alltag wenn das Ziel jetzt
schon erreicht wäre?
4. Selbst-, Verhaltenssteuerungmit Unterstützung des Pflegeteams
15.10.2020 Seite 23
• Verantwortung übernehmen
• Alltagsbewältigung trotz Schmerz (Schule)
• Funktionseinschränkung reduzieren (Stufenpläne)
• Krankheitsgewinn reduzieren (Verstärkerplan)
• Sicherheit durch soziales Kompetenz-,
Konfliktbewältigungstraining (Milieutherapie,
Stimmungsbarometer, Tagesrückblick)
• Potentiale und Ressourcen nutzen
5. Pharmakotherapie
15.10.2020 Seite 24
Symptom (komorbide) neutral / antriebssteigernd dämpfend
Schmerz nozizeptiv NRSA, Metamizol
Schmerz neuropathisch Gabapentin, Pregabalin, Opioide Muskelrelaxantien
Schlafstörung MelatoninValerensäure (Baldrian)
Brotizolam (kurzfristig)Pipamperon, Chlorprotixen
Angststörung Fluoxetin Benzidiazepine (kurzfristig)Melperon, Pipamperon
Depression Fluoxetin, Sertralin AmitriptylinDoxepin, Mirtazapin
Agitiertheit PipamperonRisperidon
6. Familienedukation und -therapie
Familienedukation:
• Schmerzen anerkennen ohne Bewertung
• mitfühlende Haltung statt Fragen nach Schmerzen (1€)
• Zuwendung in schmerzfreien Phasen statt für Schmerzen
• keine Entlastung von Pflichten, Schule, Sport
• Verstärkerplan, Erfolge würdigen
• Veränderung symptomauslösender oder –aufrechterhaltender Faktoren
• Erziehungshilfe, Jugendamt
Belastungserprobung und Rückfallprophylaxe
• Belastungstage (Stress- / Nein-Tag)
15.10.2020 Seite 25
13.01.2015 Seite 26
Wirksamkeit der stationären Therapie
Rückbildung • diss. Bewegungsstörung• Schmerz (2-3/10 NRS)• Angst-, Depressionswerte• Schulvermeidung• (7. Kl. Realschule)
Zernikow et al.,Pain Med. 2017
Zusammenfassung mit 5 Empfehlungen ab Montag…
15.10.2020 Seite 27
Behandlungsziel statt
1. Befundvermittlung (Angstminderung) • Ausweitung der Diagnostik
2. Bezug von Körpersymptomen zu Belastungen • entweder „psycho“ oder „somatisch“
3. Symptom-Minderung • Symptomfreiheit
4. Alltagsbewältigung mit Symptomen • Symptomfreiheit vor Aktivierung
5. Aufmerksamkeit auf das was der Pat. gerne tut + gut kann • auf Symptome, Probleme, Schwierigkeiten