iiro rantala
Jubilee Release # 21
My History Of Jazz
ACT 9531-2
Veröffentlichung: 26.Oktober 2012
Derzeit wird wieder grundsätzlich diskutiert: Was ist Jazz, wem
gehört er, und wo fängt er an. Zumindest letzteres ist für den
finnischen Pianisten Iiro Rantala kein Thema: „Johann Sebastian
Bach und seine Musik kamen schon in mein Leben, als ich sechs
war.“ Kein Wunder also, dass Bach für sein neues ACT-Album „My
History Of Jazz“ gewissermaßen die Klammer abgibt: In die ganz
klassisch gespielte Aria ist Rantalas ganz persönliche Geschichte
der Musik eingebettet, die ihn mit 13 in ihren Bann zog: „Seitdem
wollte ich Improvisator, Komponist, Bühnenkünstler und
Bandleader werden“. Ein universales Konzept, das auch die fünf
höchst unterschiedlichen Improvisationen über die Goldberg
Variationen zeigen, mit denen Rantala das Album wie an einer
Kette auffädelt.
Und so ist „My History Of Jazz“ das logische und schlüssige
Gegenstück zu Rantalas ACT-Debüt „Lost Heroes“, auf dem er
nicht mehr unter uns weilenden musikalischen Vorbildern oder
Geistesverwandten ein einzigartiges, persönliches Denkmal setzte
- so einzigartig, dass es ihm unter anderem den Echo Jazz und den
Jahrespreis der deutschen Schallplattenkritik eintrug. Schon da
gehörten die finnischen Klassiker Jean Sibelius und Pekka Pohjola
ebenso selbstverständlich zu Rantalas Vorlagengebern wie die
völlig unterschiedlichen Jazzpiano-Legenden Art Tatum, Erroll
Garner oder Michel Petrucciani. Diesmal finden mit George
Gershwin („Liza“), Kurt Weill („September Song“), Duke Ellington
beziehungsweise sein Ventilposaunist Juan Tizol („Caravan“),
Thelonious Monk („Eronel“) und der schwedische Cool Jazz-
Saxophonist Lars Gullin („Danny’s Dream“) große Komponisten
direkt Eingang in Rantalas Reich.
Rantala stellt sich mit „My History Of Jazz“ an die Spitze einer
neuen Pianisten-Generation, die sich vom überzogenen Kult ums
„ganz Neue“ frei macht und wieder an die alte Jazztradition
anknüpft, die großen Erfinder des Fachs zu studieren, zu verehren
und für die eigenen Klänge zu verwenden. „Das Tolle am
Musikerdasein ist doch, dass man nicht alles selbst erfinden muss“,
sagt Rantala. „Du kannst deine Vorgänger anhören und von ihnen
lernen. Viele Leute fragen mich, was meine Einflüsse sind, wen ich
mag und wen ich mir zurechtgelegt habe. Ich war da immer sehr
offen.“ Die Frage ist eben, was man aus der reichen Tradition
macht. Ob man Nachahmer bleibt oder sie wie Rantala respektvoll
bemüht, um seine eigene Musik zu finden.
Vor allem Rantalas fünf Eigenkompositionen auf „My History
Of Jazz“ wollen einem nicht mehr aus dem Kopf gehen: Ob er in
„Americans In Paris“ die romantische Jazztradition – die ja selbst
an die deutschen und französischen Impressionisten anknüpfte –
aufleben lässt; ob er in „Bob Hardy“ die Rhythmik des Swingbob
vom Hot bis zum Modern Jazz durchdekliniert; ob er im
mitreißenden „Smoothie“ – vielleicht dem Ohrwurm des Albums –
seine minimalistische Antwort auf die nordische Jazzrevolution
der vergangenen Jahre gibt; ob er mit „What Comes Up, Must
Come Down“ seinen Beitrag zu den aktuellen eskapistischen
Piano-Solos leistet; oder ob er mit „Uplift“ den Pop umarmt -
Rantala beweist stets eindrucksvoll, dass er ein Stilist von eigenen
Gnaden ist, einer, der alle Stile sprengt und - getragen von
konkurrenzloser Technik – neu konstituiert. Und das in
beispielloser Variabilität, die er so erklärt: „Ich war nie dem Blues-
Piano zugewandt oder dem, was man Mainstream Jazz nennt.
Deswegen fehlt das auf „My History Of Jazz“. Ansonsten kann sich
niemand über einen Mangel an stilistischer Abwechslung
beschweren, denke ich: Man wird hier Barockes, Ragtime, Bebop,
Swing hören, skandinavische Melancholie, Balladen französischer
Prägung, Fusion, Smooth Jazz und sogar Tango.“
Für diese einzigartige, ganz auf Melodien konzentrierte
Mischung voller verschiedener Stimmungen fand Rantala
kongeniale Mitstreiter: Den filigranen dänischen Schlagzeuger
Morten Lund, der vor allem mit Italienern wie Enrico Rava, Paolo
Fresu oder Stefano Bollani sein umfassendes Jazzverständnis
nachwies. Dann den Bassisten, Cellisten und ACT-Star Lars
Danielsson, der die Saiten wieder unverwechselbar singen lässt.
Und schließlich die jüngste ACT-Entdeckung Adam Bałdych, dem
nicht nur ebenfalls klassisch ausgebildeten, sondern vielleicht
klangfarbenreichsten und ausdruckstärksten Geiger, den der Jazz
bisher hatte – man höre nur sein gezupftes Intro von „Smoothie“.
Für Piano-Spezialisten mag es ein Bonus sein, dass Rantala für
dieses Album neben dem Steinway der Tia Dia Studios im
schwedischen Mölnlycke auch noch zwei andere fantastische
Flügel bedient: Der „September Song“ erklingt auf Alfred Brendels
Steinway D, „Caravan“ auf dem Bösendorfer Imperial des
Montreux Jazz Festivals. Auch das schafft Bezüge. Und so rundet
sich Rantalas „My History Of Jazz“ zu einer individuellen Antwort
auf die aktuell diskutierten Fragen: Wenn ein kreativer Geist mit
überragender Beherrschung seines Instruments die
Musikgeschichte auf einen Augenblick verdichtet, dann kann Jazz
die neue Klassik sein.
Musik komponiert von iiro rantala, wenn nicht anders angegeben
Aria und Goldberg Variation No. 1 komponiert von Johann Sebastian Bach und arrangiert von iiro rantala
Aufgenommen von Bo Savik am 19. & 20. April 2012 im Tia Dia Studio Mölnlycke, Schweden
“September Song” wurde eingespielt auf dem "Alfred Brendel - Steinway D" und aufgenommen von Klaus Scheuermann
am 18. Juni 2012 in der ACT Art Gallery in Berlin
“Caravan” wurde eingespielt auf einem Bösendorfer Imperial und aufgenommen von Antoine Desmons am 9. Juli 2012
beim Montreux Jazz Festival (im Petit Theatre / Montreux Palace)
Cover art by Joel Shapiro © 2005 – 2007, courtesy Galerie Karsten Greve Cologne, St. Moritz, Paris
Vertrieb:
edel:kultur (DE / AT), Musikvertrieb (CH)
01 Aria / Goldberg Variation No. I 4:42
02 Liza (George Gershwin) 2:55
03 Goldberg Improvisation II 0:52
04 Caravan (Juan Tizol) 6:55
05 Eronel (Thelonious Monk) 4:18
06 Goldberg Improvisation III 1:06
07 Americans In Paris 4:30
08 Bob Hardy 4:36
09 Goldberg Improvisation IV 1:27
10 September Song (Kurt Weill) 3:49
11 Danny’s Dream (Lars Gullin) 5:06
12 Goldberg Improvisation V 1:29
13 Smoothie 4:35
14 Goldberg Improvisation VI 2:44
15 What Comes Up, Must Come Down 4:34
16 Uplift 4:29
17 Aria 2:22
My History Of Jazz
ACT 9531-2
iiro rantala / piano
lars danielsson / bass & cello
morten lund / drums
adam bałdych / violin
V
iiro rantala
Jubilee Release # 21
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Photo by Steven Haberland