Walter Heidenreich / Michael Richter
Parolen und Ereignisseder Friedlichen Revolutionin Sachsen
Eine quantitative Auswertung
Dank einer Dritt mit tel för de rung durch die Thys sen Stif tung konn-ten im Rah men des Ge samt pro jek tes über die Fried li che Re vo lu-tion in Sach sen Daten zu De monst ra tio nen und Dia log -Ver an stal tun gen quan ti ta tiv er fasst wer den.Die Da ten aus wer tung ist ge dacht als Er gän zung der Text dar stel-lung (Mi cha el Rich ter: Die Fried li che Re vo lu ti on. Auf bruch zur Demo kra tie in Sach sen 1989/90 [Schrif ten des Han nah-Arendt-In sti tuts für To ta li ta ris mus for schung 38], Göt tin gen 2009).Un ge ach tet des sen sind die Daten auch für sich aus sa ge kräf tig.Einen quantitativen Überblick über Parolen, Losungen undSprechchöre gibt die vorliegende Veröffentlichung erstmalig.
ISBN 978-3-931648-47-3 Heid
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© 2009, Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. an der Technischen Universität Dresden / http://www.hait.tu-dresden.de
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Lehr- und Unterrichtszwecke.
Gefördert mit Mitteln der Thyssen-Stiftung
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Inhalt:
1. Quellen/Quellenkritik 4
2. Datenerfassung 5 2.1 Zuordnung der Veranstaltungen 5 2.2 Zuordnung der Parolen 6
3. Datenauswertung und -darstellung 7
3.1 Verwendete Werkzeuge 7 3.2 Grundsätzliches zum Datenmaterial 8 3.3 Grober Überblick über das Datenmaterial 9
4. Auswertung 12
4.1 Ereignisse / Veranstaltungen 13 4.1.1 Proteste 15 4.1.2 Zahl der Teilnehmer an Protesten / Grad der Mobilisierung 20 4.1.3 Montagsdemonstrationen 40 4.1.4 Aktivitätskoeffizient 41 4.1.5 Dialoge 44 4.1.6 Verhältnis Proteste und Dialoge 48
4.2 Flucht und Ausreise 52 4.3 Parolen / Losungen und Sprechchöre 54
4.3.1 Demokratie 64 4.3.2 Freiheit 65 4.3.3 Sonstige Menschenrechte / Grundrechte 65 4.3.4 Sozialismus oder Kapitalismus 65 4.3.5 Wirtschaft / Versorgung / Finanzen 66 4.3.6 Staatlichkeit: DDR oder deutsche Einheit 66 4.3.7 Auseinandersetzung mit dem DDR-System 68 4.3.8 SED, SED-PDS, PDS (aktuelle Auseinandersetzung) 70 4.3.9 Andere Parteien / Neue Gruppen und Parteien 72 4.3.10 Reform, Revolution und Wende 75 4.3.11 Personen 77 4.3.12 Militärische Strukturen 80 4.3.13 Umweltschutz 83 4.3.14 Flucht, Ausreise und Bleiben 84 4.3.15 Streik, Gewerkschaft, Betriebe 85 4.3.16 Rechts- und Linksradikalismus 86 4.3.17 Aktivität, Gewalt 87 4.3.18 Länder / Regionen 89 4.3.19 Jugend, Bildung und Erziehung 89 4.3.20 Medien 89 4.3.21 Konkrete Ereignisse und Losungen 90 4.3.22 International 90
5. Schlussfolgerungen 90
6. Anhang 91 6.1 Verzeichnis der Diagramme 91 6.2 Verzeichnis der Tabellen 95
4
Dank einer Drittmittelförderung durch die Thyssen Stiftung konnten im Rahmen des Gesamt-projektes über die Friedliche Revolution in Sachsen Daten mit Unterstützung studentischer Hilfskräfte quantitativ erfasst werden. Die Datenauswertung ist gedacht als Ergänzung der Textdarstellung (Michael Richter: Die Friedliche Revolution. Aufbruch zur Demokratie in Sachsen 1989/90 [Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung 38], Göttingen 2009) und nicht als unabhängige Erhebung konzipiert. Ungeachtet dessen sind die Daten auch für sich aussagekräftig. Im Text sind die quantitativ erfassten Ereignisse vollstän-dig, Parolen / Losungen und Sprechchöre exemplarisch wiedergegeben.
1. Quellen / Quellenkritik
Zugrunde liegen die Quellen, auf denen auch die Textdarstellung basiert. Sie lassen sich für die jeweiligen Zeitabschnitte in den Kapiteln / Abschnitten über das Protestgeschehen anhand der Fußnoten verifizieren. Es handelt sich vor allem um Berichte der Kreisämter der Volkspo-lizei (VP), der Kreisdienststellen des MfS / der Kreisämter des AfNS, Berichte von SED-Kreisleitungen und von Räten aller Ebenen. Die Berichte gingen in der Regel an die überge-ordneten Dienststellen und/oder an die SED-Leitungen der jeweiligen Ebenen. Zugrunde liegen auch Zusammenfassungen der Staats- und Parteiapparate auf Bezirks- bzw. Republik-ebene und andere Quellen. Ausgewertet wurden auch statistische Erhebungen von Uwe Schwabe, der sich hinsichtlich der Veranstaltungen auf eine ähnlich breite Sammlung an Daten stützt. (Der Herbst ’89 in Zahlen – Demonstrationen und Kundgebungen vom August 1989 bis zum April 1990. In: Kuhrt, Eberhard in Verbindung mit Hannsjörg F. Buck und Gunter Holzweißig [Hg.]: Opposition in der DDR von den 70er Jahren bis zum Zusammen-bruch der SED-Herrschaft [Am Ende des realen Sozialismus. Beiträge zur Bestandsaufnahme der DDR-Wirklichkeit in den 80er Jahren 3], Opladen 1999, S. 719–735). Gänzlich neu ist dagegen die quantitative Erfassung von Parolen, Losungen und Sprechchören. Veranstaltungen: Die Zahlenangaben in den Quellen schwanken. Sie sind nachträglich nicht mehr überprüfbar. Zahlen zu Veranstaltungen und Teilnehmern stützen sich vor allem auf VP-Angaben. Diese sind bis zum März 1990 vorhanden und vermitteln einen objektiven Eindruck. Die Zahlen der VP decken sich bis zu dessen Auflösung weitgehend mit den Anga-ben des MfS/AfNS. Ab Januar 1990 stehen Daten des MfS/AfNS und der SED nicht mehr zur Verfügung. Ab November 1989 berichten auch die Tageszeitungen der DDR über Veranstal-tungen. Insbesondere hinsichtlich der Teilnehmer sind die hier angegebenen Zahlen stark überhöht. In der Regel betragen sie das Doppelte der VP-Angaben. Auch Berichte aus den Reihen von Demonstranten und neuen politischen Gruppen weisen meist höhere Zahlen als VP und MfS/AfNS aus. Soweit vorhanden wurde auf der Grundlage der VP-Zahlen bzw. mit Mittelwerten gearbeitet. Parolen / Losungen und Sprechchöre: Bei der Analyse der quantitativen Erfassung von Paro-len / Losungen und Sprechchören muss folgendes berücksichtigt werden:
Ab Januar berichtet das MfS/AfNS nicht mehr darüber. Auch die VP berichtet kaum noch. Damit nimmt die Zahl der insgesamt erfassten Losungen und Sprechchöre ab. Allerdings stehen weiterhin Quellen zur Verfügung, aus denen sie sich rekonstruieren lassen. Es handelt sich um Zeitzeugenberichte, SED-PDS-Darstellungen, Zeitungen etc.
Dank anderer Medien / Publikationen / Wahlkampfmaterialien sank die Notwendig-keit der Nutzung von Parolen und Losungen. Es gab sie noch, aber sie verloren ihre Alleinstellung, die sie als Ausdruck der Bevölkerungsmeinung bis Dezember hatten, immer mehr. Für die nachfolgende Darstellung bedeutet dies, dass die Angaben für die Zeit ab Januar 1990 eher zu niedrig sind. Am zuverlässigsten sind die Angaben bis zum Dezember 1989.
5
2. Datenerfassung
Für die Erfassung und Auswertung wurde eine Microsoft Access-Datenbank aufgebaut. Er-fasst wurden in separaten Tabellen insgesamt 4336 Ereignisse und 2360 Parolen. Die beiden Datenbank-Tabellen stehen in Beziehung, d.h. es wurde mit erfasst, auf welcher Veranstal-tung die Parole ausgebracht wurde. Insgesamt wurden diese Parolen (nach unserer Erfassung) auf Veranstaltungen 4292 Mal ausgebracht, davon 2013 Mal schriftlich (Transparente / Lo-sungen) und 2279 Mal mündlich (Sprechchöre). Die Datengrundlage wird als ausreichend angesehen, um Entwicklungstrends aufzeigen zu können. Eine vollständige Erfassung aller Ereignisse und Parolen etc. war nicht angestrebt und ist angesichts der breit gestreuten Akten-lage auch kaum realisierbar. Die Datenlage zwischen den Kreisen schwankt nach Aktenlage und -zugang. Dank einer genauen Erfassung aller Veranstaltungen durch die Volkspolizei-Kreisämter ist hier die Datengrundlage besonders gut.
2.1 Zuordnung der Veranstaltungen
Zu jeder Veranstaltung wurden das Datum, der Ort und wenn möglich die Teilnehmerzahl erfasst. Die sächsischen Orte sind in einer Tabelle aufgeführt, die auch die Einwohnerzahlen 1990 enthält. Dadurch werden Auswertungen zur Mobilisierung der Bevölkerung möglich. Die Orte sind einer Tabelle mit den sächsischen Kreisen und diese wiederum sind den drei sächsischen Bezirken zugeordnet. Auch hier sind die Einwohnerzahlen 1990 mit erfasst.
Tab. 1: Prinzip der räumlichen Erfassung
Tabelle Bezirke ID_Bezirk Bezirksname Einwohner 1990 Tabelle Kreise ID_Kreis Kreisname Zuordnung
Bezirk Stadtkreis (ja/nein)
Einwohner 1990
Tabelle Orte ID_Ort Ortsname Zuordnung Kreis Kreisstadt,
Bezirksstadt Einwohner 1990
Tabelle Veran-staltungen
ID_Veranstaltung wann Zuordnung Ort ... Um den Charakter einer Veranstaltung / Aktion zu erfassen, wurde eine Typisierung einge-führt. Jeder Veranstaltung bzw. Aktion wurde ein Typ wie „Demo / Kundgebung“, „Plakat / Aushang“, „Bürgerversammlung“ zugeordnet. Diese Typen wurden im wesentlichen in die Typkategorien „Protest“ bzw. Dialog“ eingeordnet.
6
Tab: 2: Prinzip der Typisierung der Veranstaltungen / Aktionen
Tabelle Typkategorien ID_Typkategorie Typkategorie Tabelle Typen ID_Typ Typisierung Zuordnung
Typkategorie
Tabelle Veranstaltungen ID_Veranstaltung wann Zuordnung Typ ...
2.2 Zuordnung der Parolen
Ebenso mussten die Parolen Kategorien zugeordnet werden, da verschiedene Parolen oft die gleiche Forderung ausdrückten, zumindest dem gleichen Problemkreis zugeordnet werden konnten. Um eine möglichst objektive Kategorisierung der Parolen zu ermöglichen, wurden hierarchisch drei Kategorisierungen vorgenommen. Die einzelne Parole kann in die unterste Kategorie mehrfach eingeordnet werden, wenn die Parole verschiedene Forderungen enthält.
Tab: 3: Prinzip der Kategorisierung der Parolen
Tabelle Kategorie 1 ID_K1 Kategorie 1 Tabelle Kategorie 2 ID_K2 Kategorie 2 Zuordnung Kategorie 1 Tabelle Kategorie 3 ID_K3 Kategorie 3 Zuordnung Kategorie 2 Zuordnung
Parole Zuordnung Kategorie 3
Tabelle Parolen ID_Parole Parole
Beispiel
Kategorie 1: Sozialismus oder Kapitalismus Kategorie 2: für Sozialismus
Kategorie 3: für Sozialismus, aber andere Führung Parolen: Der Soz. ist eine gute Sache, nur die Sozis taugen nichts Sozialismus ja – SED nein Kategorie 3: für real existierenden Sozialismus Parolen: Der Sozialismus ist in Gefahr Ich bleibe Kommunist
7
Kategorie 3: für demokratischen Sozialismus Parolen: Gegen Stalinismus und Kapitalismus – lasst uns kämpfen für Sozialismus Mehr Demokratie – besserer Sozialismus Sozialismus = Demokratie – Neues Forum zulassen
Kategorie 2: gegen Sozialismus Kategorie 3: gegen real existierenden Sozialismus Parolen:
Gegen Restaurationsversuche des Stalinismus Nie wieder Stalinismus Stalinismus – nein!
Kategorie 3: gegen Sozialismus Parolen: Deutschland braucht Freiheit statt Sozialismus Für Beseitigung der sozialistischen Verhältnisse Gegen den stalinistischen Schmutz des Geistes Marx ist Murx – 40 Jahre Murx mit Marx Sozialismus – der Witz des Jahrhunderts
Kategorie 2: für dritten Weg Kategorie 3: für dritten Weg Parolen: Weder Kapitalismus noch Kommunismus, dritter Weg ... Weder Sozialismus noch Kommunismus Das Beispiel zeigt auch, dass in Fällen, in denen keine weitere Unterteilung notwendig war, die übergeordnete Kategorie einfach wiederholt wurde, um die formale Datenbankstruktur zu erhalten. Die Datenerfassung basiert auf denselben Akten wie der Text der Monographie. Sie und die Einordnung der Ereignisse und Parolen in die aufgezeigten Kategorien wurden von studenti-schen Hilfskräften unter Anleitung durchgeführt. Dadurch kann es zu gewissen Abweichun-gen kommen. Ziel kann nur die Darstellung repräsentativer Trends sein, nicht eine „hundert-prozentig richtige“ Erfassung aller Daten. Auf Vollständigkeit der Erfassung wurde dennoch Wert gelegt.
3. Datenauswertung und -darstellung
3.1 Verwendete Werkzeuge
Die Datenauswertung erfolgte über die von Access angebotenen Abfragemöglichkeiten. Mit Hilfe kleiner programmierter Module konnten die Anzahl von Veranstaltungen in gleichen aufeinanderfolgenden Zeitabschnitten gezählt und Teilnehmerzahlen summiert werden. Zur Weiterverarbeitung und grafischen Darstellung wurden die Ergebnisse in das Programm Microsoft Excel übertragen. Excel bietet Berechnungsmöglichkeiten und eine große Anzahl von Diagrammtypen zur grafischen Darstellung der Ergebnisse einschließlich der Darstellung von Trends. Die Daten sind auch Grundlage einer interaktiven grafischen Präsentation zum Thema „Friedliche Revolution in Sachsen“ der Sächsischen Staatskanzlei im Internet: http://www.eis.89-90.sachsen.de:8080/blazeds/eis/eis.html. Hier lassen sich die Daten auf der Zeitschiene sowie bezogen auf Kreise und Kommunen abrufen. Für wissenschaftliche Zwe-cke steht auch das zugrundeliegende Datenmaterial im Hannah-Arendt-Institut zur Verfügung
8
3.2 Grundsätzliches zum Datenmaterial
In der Datenbank sind Ereignisse und Parolen aus der Zeit vom 12. Januar 1989 bis zum 14. Oktober 1990 erfasst. Die Herausarbeitung von Trends wäre leicht, wenn die Ereignisse über diese Zeitspanne gleichverteilt wären. Dies ist naturgemäß nicht der Fall. Abbildung 1 zeigt, dass die Ereignisse auf die einzelnen Zeitabschnitte sehr unterschiedlich verteilt sind. Grob kann man drei Perioden ähnlicher Länge unterscheiden: 1. Periode: Januar 1989 – August 1989 (8 Monate) 84 Ereignisse 1,9 % (davon u. a. 47 Protest- und 27 Dialogveranstaltungen) 2. Periode September 1989 – März 1990 (6 Monate) 4016 Ereignisse 92,7 % (davon u. a. 1899 Protest- und 1859 Dialogveranstaltungen) 3. Periode Mai 1990 – Oktober 1990 (6 Monate) 236 Ereignisse 5,4 % (davon u. a. 152 Protest- und 58 Dialogveranstaltungen) In der ersten und dritten Periode reichen die Ereignisse pro Woche bzw. Monat für eine Sta-tistik nicht aus. Die statistische Auswertung wurde auf die 2. Periode beschränkt. Die in bei-den anderen Perioden registrierten Ereignisse zeigen, dass die Ereignisse im Herbst 1989 nicht plötzlich einsetzten und über den gesamten Sommer 1990 noch anhielten. Die ungleiche Verteilung der Ereignisse auf die Zeitabschnitte gilt jedoch auch innerhalb der 2. Periode. In die Monate Oktober / November fallen mit 2339 ca. 54 % aller Ereignisse. Wenn weitere Kriterien hinzugenommen werden, verstärkt sich diese Konzentration noch. Natürlich waren in diesen Monaten auch die meisten Menschen auf der Straße und wurde ein Großteil der Forderungen gestellt. Abb. 1: Aufteilung der registrierten Ereignisse auf die Monate
0
200
400
600
800
1000
1200
1400
1989/1
1989/2
1989/3
1989/4
1989/5
1989/6
1989/7
1989/8
1989/9
1989/10
1989/11
1989/12
1990/1
1990/2
1990/3
1990/4
1990/5
1990/6
1990/7
1990/8
1990/9
1990/10
9
Trends sind aufgrund der Datenkonzentration auf die Monate Oktober / November 1989 in absoluten Zahlen oft nicht darstellbar. Deshalb wurden in einzelnen Zeitabschnitten die zu untersuchenden Ereignisse bzw. Parolen auf die Gesamtheit der in diesen Zeitabschnitt fal-lenden Ereignisse bzw. Parolen bezogen und ein Trend aus dem Anteil der zu untersuchenden Kategorie gebildet. Auf diese Art lassen sich Trends oft viel besser zeigen. Es besteht jedoch die Gefahr eines Digitalisierungseffektes, wenn insgesamt sehr wenig auszuwertendes Mate-rial im Zeitabschnitt zur Verfügung steht. Da der Montag Schwerpunkt im Demonstrationsgeschehen war, bietet sich als Zeitspanne für Auswertungen die Kalenderwoche an. Zur Auswertung der Parolen wurde für allgemeinere Aussagen die oberste Kategorie (1) verwendet. Den meisten Diagrammen liegt die Kategorie 2 zugrunde. Die „Revolutionsferien“ um Weihnachten und Silvester unterstützen eine Interpretation des Revolutionsverlaufs in zwei Phasen. Denkt man sich die Feiertage weg, geht dieser Eindruck zurück. Tatsächlich aber gab es eine Art Kampfpause, in der alle Akteure ihre Konzepte berieten. Die SED-PDS nutzte die Zeit zur Vorbereitung ihrer Kampagne für eine erneuerte sozialistische DDR. Ohne diese hätte es wahrscheinlich keine zweite Protestwelle gegeben, die Entwicklung wäre nahtlos in den Wahlkampf übergegangen. Möglicherweise wäre auch das Wahlergebnis ein anderes gewesen, denn die Modrow-Restauration hat in der Bevölke-rung die Notwendigkeit ins Bewusstsein gehoben, durch die deutsche Einheit neue real-sozialistische Experimente unmöglich zu machen. Modrow und Gysi haben somit wohl der CDU de facto, wenn auch ungewollt, Wahlkampfhilfe geleistet und den schnellen Weg zur Einheit befördert. In den Diagrammen ist bei den Ereignissen die Anzahl in der Weihnachtswoche eingetragen (meist=0). Bei den Parolen ist dieser Wert ausgelassen, da keine Parolen ausgebracht werden konnten, wenn keine Veranstaltungen stattfanden.
3.3 Grober Überblick über das Datenmaterial
In der Datenbank erfasst wurden 4336 Ereignisse und 2360 Parolen. Die Veranstaltungen teilen sich in 2079 Dialogveranstaltungen (48 %) und 1964 Protestveranstaltungen (45 %). Der Rest entfällt auf systemnahe Veranstaltungen, schriftliche Äußerungen und ähnliches. Bei den Protestveranstaltungen sind von 1084 Veranstaltungen Teilnehmerzahlen (55 %) und von 764 Veranstaltungen die Parolen (39 %) bekannt. Insgesamt wurden auf Protestveranstal-tungen 4292 Parolen ausgebracht, dies sind im Mittel 5,6 Parolen pro Veranstaltung, wobei eine große Streuung vorhanden ist. Von einzelnen Veranstaltungen sind bis zu 84 Parolen erfasst.
Einwohnerzahlen 1990
Die drei sächsischen Bezirke hatten 1990 eine Einwohnerzahl von 4.863.915. In die Untersuchung wurden auch die jetzt zu Sachsen gehörenden Kreise Hoyerswerda (109.647 Einwohner) und Weißwasser (60.469 Einwohner) einbezogen, die damals zum Bezirk Cottbus gehörten. Damit ergibt sich für die Untersuchung eine Einwohnerzahl von 5.034.031.
10
Tab. 4: Einwohner Bezirk Karl-Marx-Stadt
Kreis Einwohner Annaberg-Buchholz 80.256 Aue 116.242 Auerbach 69.679 Brand-Erbisdorf 36.063 Flöha 51.568 Freiberg 79.380 Glauchau 65.563 Hainichen 64.447 Hohenstein-Ernstthal 58.935 Karl-Marx-Stadt Land 99.126 Karl-Marx-Stadt Stadt 301.918 Klingenthal 34.047 Marienberg 62.955 Oelsnitz 37.396 Plauen Land 22.961 Plauen Stadt 73.971 Reichenbach 54.605 Rochlitz 48.797 Schwarzenberg 58.316 Stollberg 76.847 Werdau 69.884 Zschopau 56.023 Zwickau Land 80.225 Zwickau Stadt 118.914 Bezirk Karl-Marx-Stadt 1.818.118
Tab. 5: Einwohner Bezirk Dresden
Kreis Einwohner Bautzen 124.957 Bischofswerda 64.251 Dippoldiswalde 44.035 Dresden Land 103.821 Dresden Stadt 501.417 Freital 78.316 Görlitz Land 27.585 Görlitz Stadt 74.766 Großenhain 42.120 Kamenz 60.880 Löbau 95.223 Meißen 113.496 Niesky 38.551 Pirna 109.269 Riesa 96.431 Sebnitz 50.782 Zittau 90.200 Bezirk Dresden 1.716.100
11
Tab. 6: Einwohner Bezirk Leipzig
Kreis Einwohner Altenburg 101.749 Borna 85.995 Delitzsch 54.698 Döbeln 89.858 Eilenburg 51.160 Geithain 35.057 Grimma 64.717 Leipzig Land 131.734 Leipzig Stadt 530.010 Oschatz 51.045 Schmölln 31.607 Torgau 55.891 Wurzen 46.176 Bezirk Leipzig 1.329.697
Regionale Verteilung auf die Bezirke
Tab: 7: Veranstaltungen
Bezirk Veranstaltungen Protestveranstaltung Dialogveranstaltung Karl-Marx-Stadt 1655 826 771 Dresden 1644 658 830 Leipzig 969 450 441 Cottbus 68 30 37
Tab: 8: Teilnehmer an Protestveranstaltungen
Bezirk Teilnehmer AnteilLeipzig 3.404.014 42 % Karl-Marx-Stadt 2.571.305 32 % Dresden 2.169.729 26 % gesamt 8.145.048 100 %
Tab: 9: Teilnehmer an Protestveranstaltungen in den Bezirksstädten
Bezirksstadt Teilnehmer Anteil am Bezirk Anteil an Gesamtzahl Leipzig 3.205.464 94,2 % 39 % Dresden 1.789.436 69,6 % 22 % Karl-Marx-Stadt 936 862 43,2 % 12 %
12
Tab: 10: Anzahl der Orte, in denen Veranstaltungen stattgefunden haben
Bezirk alle Protest Dialog Dresden 233 107 196 Karl-Marx-Stadt 171 125 135 Leipzig 78 62 52 gesamt 482 294 383
In vielen Orten haben sowohl Protest- als auch Dialogveranstaltungen stattgefunden.
Tab: 11: Regionale Verteilung der Parolen-Nennungen auf die Bezirke
Bezirk Anzahl Karl-Marx-Stadt 2014 Dresden 1318 Leipzig 876
4. Auswertung
Die Auswertung der Daten folgte der Logik der Textdarstellung im Buch Richter, Die Friedli-che Revolution (siehe S. 4). Neben den hier vorgenommenen Datenauswertungen sind weitere Zugriffe möglich. So lassen sich, ungeachtet der Frage der Datendichte, Aussagen über ein-zelne Bezirke, Kreise und Kommunen treffen. Bei der Auswertung der Diagramme sind die unterschiedliche Größen der Regionen, die Anzahl der Kreise und Kommunen und Bevölkerungsdichte in Rechnung zu stellen.
Tab: 12: Erfasste Kreise
Bezirk Anzahl der Kreise Karl-Marx-Stadt 23 Dresden 16 Leipzig 13 Cottbus (2 Kreise erfasst)
Hauptkategorien der Datenerfassung sind Ereignisse, Teilnehmerzahlen und Parolen.
13
Abb. 2: Ereignisse, Teilnehmer und Parolen insgesamt (absolut)
0
200
400
600
800
1000
1200
2.10.1989
9.10.1989
16.10.1
989
23.10.1
989
30.10.1
989
6.11.1989
13.11.1
989
20.11.1
989
27.11.1
989
4.12.1989
11.12.1
989
18.12.1
989
25.12.1
989
1.1.19
90
8.1.19
90
15.1.1990
22.1.1990
29.1.1990
5.2.19
90
12.2.1990
19.2.1990
26.2.1990
Ereignisse Teilnehmer/1000 Parolen
Das Diagramm zeigt hinsichtlich der Ereignisse einen absoluten Höhepunkt Anfang Novem-ber (Proteste gegen SED), gefolgt von einem zweiten Mitte Januar (Proteste gegen SED-PDS-Kurs der sozialistischen Erneuerung der DDR). Die meisten erfassten Parolen und höchsten Teilnehmerzahlen gab es ebenfalls Anfang November. Anfang 1990 gab es noch einmal eine hohe Teilnehmerzahl bei insgesamt weniger Veranstaltungen. Der Mobilisierungsgrad war ähnlich.
4.1 Ereignisse / Veranstaltungen
Hauptkategorien bei den Ereignissen bzw. Veranstaltungen sind Proteste und Dialoge. Die anderen erfassten Veranstaltungen lassen sich quantitativ schwer auswerten und fallen men-genmäßig nicht ins Gewicht.
14
Abb. 3: Veranstaltungen nach Typ (absolut)
0
50
100
150
200
250
300
350
400
450
50028
.8.1
989
4.9.
1989
11.9
.198
918
.9.1
989
25.9
.198
92.
10.1
989
9.10
.198
916
.10.
1989
23.1
0.19
8930
.10.
1989
6.11
.198
913
.11.
1989
20.1
1.19
8927
.11.
1989
4.12
.198
911
.12.
1989
18.1
2.19
8925
.12.
1989
1.1.
1990
8.1.
1990
15.1
.199
022
.1.1
990
29.1
.199
05.
2.19
9012
.2.1
990
19.2
.199
026
.2.1
990
5.3.
1990
12.3
.199
0
Veranstaltungen insgesamt, davon: Protest Dialog
Abb. 4: Anteil der Proteste bzw. Dialoge an den Veranstaltungen in der Woche (Rest zu
100 % sind z. B. Bürgerinitiativen und systemnahe Veranstaltungen)
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
11.0
9.19
8918
.09.
1989
25.0
9.19
8902
.10.
1989
09.1
0.19
8916
.10.
1989
23.1
0.19
8930
.10.
1989
06.1
1.19
8913
.11.
1989
20.1
1.19
8927
.11.
1989
04.1
2.19
8911
.12.
1989
18.1
2.19
8925
.12.
1989
01.0
1.19
9008
.01.
1990
15.0
1.19
9022
.01.
1990
29.0
1.19
9005
.02.
1990
12.0
2.19
9019
.02.
1990
26.0
2.19
9005
.03.
1990
12.0
3.19
90
%
Protest Dialog
15
4.1.1 Proteste
Protestveranstaltungen (Proteste) sind in Tab. 13 in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit und in Anführungszeichen in der Begrifflichkeit von VP/MfS aufgeführt.
Tab. 13: Protestarten
Demonstrationen / Kundgebungen 1166 Plakate / Aushänge 279 Flugblätter 116 Streiks 82 „Oppositionelle Veranstaltungen“ 79 Gewaltandrohungen 53 Unterschriftensammlungen 46 Schweigemärsche 36 „Menschenansammlungen“ 34 „Randale“ 23 Menschenketten 20 Fahnenschändungen 16 Mahnwachen 7 Streikandrohungen 7
Demonstrationen / Kundgebungen, Schweigemärsche, Menschenansammlungen, Randale und Menschenketten werden unter der Kategorie „Demonstrationen“ zusammengefasst. Abb. 5: Protestarten ohne Streiks (absolut)
0
20
40
60
80
100
120
140
28.8
.198
94.
9.19
8911
.9.1
989
18.9
.198
925
.9.1
989
2.10
.198
99.
10.1
989
16.1
0.19
8923
.10.
1989
30.1
0.19
896.
11.1
989
13.1
1.19
8920
.11.
1989
27.1
1.19
894.
12.1
989
11.1
2.19
8918
.12.
1989
25.1
2.19
891.
1.19
908.
1.19
9015
.1.1
990
22.1
.199
029
.1.1
990
5.2.
1990
12.2
.199
019
.2.1
990
26.2
.199
0
Demonstration Plakat Flugblatt Opp. Veranstaltung Unterschriftensammlung
Auf der Zeitschiene betrachtet wird deutlich, dass Demonstrationen / Kundgebungen men-genmäßig erst ab Mitte Oktober dominieren. Bis dahin überwogen rein zahlenmäßig Plakate
16
(einschließlich erfasster gesprühter Losungen) und Flugblätter. Allerdings waren auch zu diesem Zeitpunkt die Demonstrationen / Kundgebungen wichtiger, und es waren viel mehr Menschen daran beteiligt. Dennoch lässt sich erkennen, dass es zu Beginn der Massenproteste eine Phase gab, die auch sehr stark von Einzelprotesten u. a. in Form von Flugblättern und Plakaten geprägt war, bei denen die Akteure sich nicht persönlich zu erkennen geben muss-ten. Abb. 6: Zahl der Demonstrationen / Kundgebungen in den Kreisen
Die Karte zeigt die Zentren der Demonstrationen nach der Anzahl der Veranstaltungen. Ein anderes Bild ergibt sich bei einer Darstellung nach der Zahl der Teilnehmer. Es zeigt sich, dass es über den gesamten Zeitraum im Bezirk Karl-Marx-Stadt die meisten Demonstrationen gab. Diesen standen allerdings sehr viel größere Demonstrationen in Leipzig oder Dresden entgegen, die hier nur als eine Veranstaltung aufgeführt werden. Abb. 7: Prozentuale Aufteilung der Demonstrationen / Kundgebungen und der Teilnehmer
auf die sächsischen Bezirke
Demonstrationen / Kundgebungen
28%
19%
53%
Karl-Marx-Stadt Dresden Leipzig
Teilnehmer
32%
26%
42%
17
Das Diagramm 7 zeigt nochmals die ungleiche Verteilung der Demonstrationsveranstaltungen in Zahl und Größe auf die Bezirke. Während im Bezirk Leipzig nur 19 % der registrierten Demonstrationen stattfanden, betrug deren Anteil an allen Teilnehmern 42 %. Der Bezirk Karl-Marx-Stadt hatte die höchste Zahl an Demonstrationen, die aber meist in kleineren Städ-ten mit geringerer Teilnehmerzahl stattfanden. Die enorme Zahl der Teilnehmer an den Leip-ziger Demonstrationen wird auch im Vergleich mit der Einwohnerdichte (Abb. 8) sichtbar. Der Bezirk Karl-Marx-Stadt hatte die höchste Einwohnerdichte und mit 23 die meisten Krei-se, Leipzig dagegen nur 13. Bei den Demonstrationsteilnehmern in Leipzig darf allerdings nicht vergessen werden, dass viele davon aus den angrenzenden Bezirken zugereist waren (auch aus dem heutigen Raum Sachsen-Anhalt und Thüringen, der hier nicht untersucht wird). Abb. 8: Verteilung der Einwohner auf die drei sächsischen Bezirke
Eine Gegenüberstellung aller Proteste in den Bezirken, aufgeschlüsselt nach Kreisen, zeigt einen markanten Unterschied zwischen den Bezirken Leipzig und Dresden zum einen und dem Bezirk Karl-Marx-Stadt zum anderen. Während die Bezirksstädte (und Stadtkreise) Leipzig und Dresden in ihren Bezirken die meisten Proteste aufweisen, liegt im Bezirk Karl-Marx-Stadt die Bezirksstadt noch hinter dem Kreis Annaberg-Buchholz.
Karl-Marx-Stadt38%
Dresden35%
Leipzig27%
18
Abb. 9: Proteste in den Kreisen (aufgeschlüsselt nach Bezirken) Bezirk Karl-Marx-Stadt
0
20
40
60
80
100
120
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180
Annab
erg-B
uchh
olz
Karl-M
arx-S
tadt
Sta
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AueKlin
gent
hal
Zwickau
Sta
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erg
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Karl-M
arx-S
tadt
Lan
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hlitz
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hal
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pau
Zwickau
Lan
d
Bezirk Leipzig
0
20
40
60
80
100
120
140
160
180
Leipzig
Stadt
Altenb
urg
Geitha
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na
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Oschatz
Grimma
Delitzs
ch
Eilenb
urg
Torga
u
Leipzig
Lan
d
Bezirk Dresden
0
20
40
60
80
100
120
140
160
180
Dre
sden
Sta
dt
Zitta
u
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Sebn
itz
Frei
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Bisc
hofsw
erda
Nie
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Pirn
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resd
en L
and
Dip
pold
iswal
de
Ries
a
19
Abb. 10: Zahl der Demonstrationen / Kundgebungen in Tagen (Oktober 1989 bis Februar 1990)
0
2
4
6
8
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01.10.1
989
08.10.1
989
15.10.1
989
22.10.1
989
29.10.1
989
05.11.1
989
12.11.1
989
19.11.1
989
26.11.1
989
03.12.1
989
10.12.1
989
17.12.1
989
24.12.1
989
31.12.1
989
07.01.1
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14.01.1
990
21.01.1
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28.01.1
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04.02.1
990
11.02.1
990
18.02.1
990
25.02.1
990
Bezirksstädte Kreisstädte andere Die Darstellung der Zahl der Demonstrationen nach Tagen in Diagramm 10 macht den Wo-chenrhytmus der Proteste deutlich. Die Regelmäßigkeit erhielt den Druck auf das Regime aufrecht und sicherte gleichzeitig in den Kommunen den Fluss der Informationen, die den Bürgern sonst nur unter Problemen hätten mitgeteilt werden können. Das Diagramm 10 zeigt außerdem die Bedeutung der Demonstrationen Anfang Oktober in den Bezirksstädten als Impuls für Proteste in den Kreisstädten und sonstigen Kommunen. Das gilt besonders für Leipzig und Dresden. Ab Ende Oktober bis Anfang Dezember war die Zahl der Demonstrationen in den Kreisstädten und sonstigen Kommunen größer als in den Bezirks-städten. Allerdings sind hier die Demonstrationen aller Orte im Kreis zusammengefasst, während sich die Angaben für die Bezirksstädte immer nur auf die einzelne Stadt beziehen. Das heißt, die Bezirksstädte (insbesondere Leipzig und Dresden) behielten ihre Bedeutung als Zentren der Proteste, es kam aber zu einer Ausweitung in die Fläche. Erkennbar ist auch die Funktion der Kreisstädte als Kulminationspunkte der Proteste in den Kreisen. Hier wie in den Bezirksstädten trugen die regelmäßigen Montagsdemonstrationen dazu bei, dass sich viele Menschen versammelten. Das Diagramm macht noch einmal das Ausmaß der Demonstrationen im Januar und Februar 1990 deutlich, das es geboten erscheinen lässt, nicht länger von einer „Herbstrevolution“ zu sprechen. Nicht nur stellten die Forderungen das System radikal in Frage, es gab auch eine zweite Mobilisierungswelle der Proteste auf den Straßen und in den Betrieben. Unter den mengenmäßig nachrangigen Protestarten spielten Streiks die wichtigste Rolle. Wurden Streiks während des gesamten Herbstes 1989 nicht als Mittel der Auseinandersetzung angesehen, änderte sich die Lage Mitte Januar 1990.
20
Abb. 11: Streiks (absolut)
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2
4
6
8
10
12
14
16
1825
.9.1
989
2.10
.198
9
9.10
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23.1
0.19
89
30.1
0.19
89
6.11
.198
9
13.1
1.19
89
20.1
1.19
89
27.1
1.19
89
4.12
.198
9
11.1
2.19
89
18.1
2.19
89
25.1
2.19
89
1.1.
1990
8.1.
1990
15.1
.199
0
22.1
.199
0
29.1
.199
0
5.2.
1990
12.2
.199
0
19.2
.199
0
26.2
.199
0
5.3.
1990
12.3
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.199
0
26.3
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2.4.
1990
9.4.
1990
16.4
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23.4
.199
0
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7.5.
1990
14.5
.199
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.199
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28.5
.199
0
Angesichts des Versuches der SED-PDS, ihre Herrschaft in neuen Formen fortzusetzen, zeigte die Bevölkerung damit eher symbolisch, welche Machtpotentiale noch zur Verfügung standen. Man ließ „die Muskeln spielen“. Die Bereitschaft, sich auf Manöver der sich wan-delnden SED einzulassen, waren geschwunden. Die durchgeführten Streiks hatten auch nahe-zu durchweg den Charakter von Drohungen längerer Arbeitsniederlegungen. Streiks zur Durchsetzung sozialer Forderungen gab es zu diesem Zeitpunkt kaum.
4.1.2 Zahl der Teilnehmer an Protesten / Grad der Mobilisierung
Abb. 12: Erfasste Demonstrationen / Kundgebungen
0
20
40
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80
100
120
140
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1989
25.9.
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989
9.10.1
989
16.10
.1989
23.10
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30.10
.1989
6.11.1
989
13.11
.1989
20.11
.1989
27.11
.1989
4.12.19
89
11.12.1
989
18.12.1
989
25.12.1
989
1.1.199
0
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0
15.1.19
90
22.1.19
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29.1.19
90
5.2.19
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12.2.199
0
19.2.199
0
26.2.199
0
alle erfassten Teilnehmerzahlen bekannt
21
In das Diagramm 12 eingeblendet ist der Anteil der Demonstrationen / Kundgebungen mit bekannten Teilnehmerzahlen. Es gibt Auskunft über die Zuverlässigkeit der Angaben bezüg-lich der Zahl der Teilnehmer. Bei Aussagen zu Demonstrationsteilnehmern bleiben die Ver-anstaltungen ohne bekannte Teilnehmerzahl unberücksichtigt. Aus dem Diagramm wird ersichtlich, dass dadurch tendenziell keine Fehler entstehen.
Tab. 14: Teilnehmer an Protestveranstaltungen (Bezirke Leipzig, Karl-Marx-Stadt und Dres-den)
Bezirk Einwohner Teilnehmer Anteil der Bezirke Teilnehmer/Einw. Leipzig 1.329.697 3.404.014 42 % 2,56 Karl-Marx-Stadt 1.818.118 2.571.305 32 % 1,41 Dresden 1.716.100 2.169.729 26 % 1,26 insgesamt 4.863.915 8.145.048 100 % 1,67 Insgesamt beteiligten sich (nach unserer Erfassung) in den drei sächsischen Bezirken 8.145.048 Personen an Protestveranstaltungen. Die Einwohnerzahl der drei Bezirke lag 1989 bei 4.863.915. Damit beteiligte sich jeder Bürger statistisch gesehen 1,67 mal an Protestver-anstaltungen. Es ist davon auszugehen, dass ein kleinerer, aktiverer Teil mehrfach teilnahm, während ein großer Teil der Bevölkerung sich weder an Protesten noch an Dialogen beteiligte.
22
Abb. 13: Anzahl der Demonstrationen in den sächsischen Bezirken
0
10
20
30
40
50
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70
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.9.1
989
2.10
.198
99.
10.1
989
16.1
0.19
8923
.10.
1989
30.1
0.19
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11.1
989
13.1
1.19
8920
.11.
1989
27.1
1.19
894.
12.1
989
11.1
2.19
8918
.12.
1989
25.1
2.19
891.
1.19
908.
1.19
9015
.1.1
990
22.1
.199
029
.1.1
990
5.2.
1990
12.2
.199
019
.2.1
990
Karl-Marx-Stadt Dresden Leipzig
Abb. 14: Teilnehmer an Demonstrationen in den sächsischen Bezirken
0
50000
100000
150000
200000
250000
300000
350000
400000
450000
500000
550000
25.9
.198
92.
10.1
989
9.10
.198
916
.10.
1989
23.1
0.19
8930
.10.
1989
6.11
.198
913
.11.
1989
20.1
1.19
8927
.11.
1989
4.12
.198
911
.12.
1989
18.1
2.19
8925
.12.
1989
1.1.
1990
8.1.
1990
15.1
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022
.1.1
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29.1
.199
05.
2.19
9012
.2.1
990
19.2
.199
0
Karl-Marx-Stadt Dresden Leipzig
Aufgeschlüsselt nach Bezirken gab es die meisten Demonstrationen im Bezirk Karl-Marx-Stadt, gefolgt vom Bezirk Dresden. Insbesondere im Bezirk Karl-Marx-Stadt gab es eine Fülle kleinerer Demonstrationen, bei denen im Herbst 1989 bei weitem nicht die Teilnehmer-zahlen erreicht wurden, die allein die Stadt Leipzig aufzuweisen hatte. Anders sah es im Januar und Februar 1990 aus, als der Bezirk Karl-Marx-Stadt sowohl hinsichtlich der Zahl der Demonstrationen als auch der Teilnehmer die höchsten Werte aufzuweisen hatte. Es kann also durchaus davon gesprochen werden, dass der Bezirk Karl-Marx-Stadt bei der in dieser Zeit
23
durchgesetzten Richtungsentscheidung für die deutsche Einheit eine wichtige Rolle gespielt hat. Auffällig ist, dass der Bezirk Dresden Anfang Oktober 1989 kurzzeitig die höchste Zahl an Demonstrationen und Teilnehmern aufzuweisen hat. Darin schlagen sich die regelmäßigen Proteste am Dresdner Hauptbahnhof nieder. Abb. 15: Protestaktionen Einzelner (Plakate, Flugblätter, Drohungen)
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20
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925
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2.10
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10.1
989
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8923
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11.1
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8918
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1989
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2.19
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1.19
908.
1.19
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.1.1
990
22.1
.199
029
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990
5.2.
1990
12.2
.199
019
.2.1
990
Karl-Marx-Stadt Dresden Leipzig
Einzelaktionen gab es insbesondere Anfang Oktober 1989, als gemeinschaftliche Protestakti-onen noch zu Festnahmen führen konnten. Schwerpunkte waren hier Leipzig und Dresden. Sie spielten mit dem Übergang in regelmäßige Demonstrationen allerorts keine Rolle mehr. Abb. 16: Teilnehmer an Demonstrationen nach Tagen Oktober 1989 bis Februar 1990 aufge-
schlüsselt nach Bezirken (absolut)
0
50000
100000
150000
200000
250000
300000
350000
02.1
0.89
09.1
0.89
16.1
0.89
23.1
0.89
30.1
0.89
06.1
1.89
13.1
1.89
20.1
1.89
27.1
1.89
04.1
2.89
11.1
2.89
18.1
2.89
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01.0
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08.0
1.90
15.0
1.90
22.0
1.90
29.0
1.90
05.0
2.90
12.0
2.90
19.0
2.90
Leipzig Dresden Karl-Marx-Stadt
24
Abb. 17: Teilnehmer an Demonstrationen nach Tagen Oktober bis Dezember 1989 aufge-schlüsselt nach Bezirken (absolut)
0
50000
100000
150000
200000
250000
300000
350000
02.1
0.89
09.1
0.89
16.1
0.89
23.1
0.89
30.1
0.89
06.1
1.89
13.1
1.89
20.1
1.89
27.1
1.89
04.1
2.89
11.1
2.89
18.1
2.89
Leipzig Dresden Karl-Marx-Stadt
Die Diagramme lassen keinen Zweifel an der überragenden Rolle Leipzigs im revolutionären Geschehen. Deutlich sind die gewaltigen Montagsdemonstrationen zu erkennen, an denen allein am 6. November in Leipzig über 300.000 Personen teilnahmen. Die Diagramme ma-chen auch den hohen Selbstorganisationsgrad der Demonstrationen deutlich, die nicht will-kürlich unzufriedene Menschen zusammenführten, sondern dem klaren Motto folgten: Wir treffen uns alle zur selben Zeit am selben Ort, das erhöht die Wirkung.
25
Abb. 18: Protestteilnehmer in den Bezirkstädten (absolut)
0
100.000
200.000
300.000
400.000
500.000
600.000
9.9.1989
29.9.1989
19.10.1989
8.11.1989
28.11.1989
18.12.1989
7.1.1990
27.1.1990
16.2.1990
8.3.1990
Dresden Leipzig Karl-Marx-Stadt
Die Tabelle zeigt deutlich, dass die Zahl der Protestteilnehmer in der Stadt Leipzig absolut, aber auch anteilig an der Zahl im Bezirk und an allen registrierten Protesten am höchsten lag. Das verdeutlicht auch das folgende Diagramm 19. Abb. 19: Anteil der Teilnehmer an Demonstrationen in der Bezirksstadt, bezogen auf alle
Demonstrationsteilnehmer im Bezirk
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
100%
2.10.19
89
9.10.19
89
16.10.1
989
23.10
.1989
30.10
.1989
6.11.1
989
13.11
.1989
20.11
.1989
27.11
.1989
4.12.1
989
11.12
.1989
18.12
.1989
25.12
.1989
1.1.1990
8.1.1990
15.1.199
0
22.1.199
0
29.1.19
90
5.2.199
0
12.2.19
90
19.2.19
90
26.2.19
90
Dresden Leipzig Karl-Marx-Stadt
26
Es zeigt, dass sich das Demonstrationsgeschehen im Bezirk Leipzig durchweg auf die Stadt Leipzig konzentrierte. Die Stadt absorbierte die Teilnehmer aus dem gesamten Bezirk (und darüber hinaus). Völlig entgegengesetzt ist auch hier das Bild im Bezirk Karl-Marx-Stadt, wo sich im Oktober teilweise nur 10 Prozent aller Demonstranten des Bezirkes in der Bezirks-stadt versammelten. Dresden hat auch hier mittlere Werte mit Spitzen für die Bezirksstadt Anfang Oktober, Ende November, Ende Dezember und Ende Januar.
Tab: 15: Teilnehmer an Protesten in den Bezirksstädten im Verhältnis zu den Bezirken
Stadt Teilnehmer Anteil am Be-zirk insgesamt
Anteil an allen Protesten
Leipzig 3.205.464 94,2 % 39 % Dresden 1.789.436 69,6 % 22 % Karl-Marx-Stadt 936 862 43,2 % 12 %
Im Bezirk Leipzig konzentrierten sich 94,2 Prozent aller Teilnehmer an Protesten in der Be-zirksstadt. In Karl-Marx-Stadt waren es nur 43,2 Prozent. Der Wert für Dresden liegt in der Mitte. Besonders für Leipzig muss daher in Rechnung gestellt werden, dass die Relation zur Teilnehmerzahl zum Bezirk nur bedingt aussagefähig ist, weil sich in ihr auch Teilnehmer aus anderen Teilen der DDR wiederfinden. Insgesamt ist der Anteil der Stadt Leipzig mit 39 Prozent aller Protestteilnehmer der drei Bezirke überdurchschnittlich hoch, was wiederum darauf zurückzuführen ist, dass viele Teil-nehmer auch aus anderen Bezirken zur Demonstration nach Leipzig fuhren. Deutlich wird noch einmal, dass Karl-Marx-Stadt keine Sogwirkung für Protestwillige aus den umliegenden Kreisen und Kommunen hatte. Diese führten ihre Proteste eher vor Ort durch und/oder beteiligten sich an Protesten in Leipzig, aber auch in Dresden. Abb. 20: Verteilung der Veranstaltungen mit überdurchschnittlicher Teilnahme (>40 %) der
regionalen Bevölkerung auf die Bezirke
Karl-Marx-Stadt80%
Dresden14%
Leipzig6%
Das Diagramm zeigt, dass sich im Bezirk Karl-Marx-Stadt überdurchschnittlich viele Men-schen an regionalen Veranstaltungen beteiligten. Für die Berechnung des Diagramms wurden die Teilnehmerzahlen zu den Einwohnern des Ortes, in dem die Veranstaltung stattfand, ins Verhältnis gesetzt.
27
Im folgenden Diagramm wird die Anzahl aller Demonstrationen in der Kommune zur Ge-samtanzahl aller Teilnehmer in Relation gesetzt. Dabei wird deutlich, dass die Gesamtteil-nehmerzahl in den Bezirksstädten am höchsten war, dicht gefolgt von Plauen. Auffällig ist, dass das Verhältnis von Demonstrationen und Teilnehmern sich in Leipzig sich markant nicht nur von dem der beiden anderen Bezirksstädte unterscheidet. Auch in Bezug auf die anderen Kreise bildet Leipzig insofern eine Ausnahme, als hier der insgesamt höchsten Teilnehmer-zahl eine verhältnismäßig geringe Zahl an Demonstrationen gegenübersteht. Ursache für dieses Verhältnis sind die riesigen (aber relativ seltenen) Montagsdemonstrationen in Leipzig. Abb. 21: Summe der Demonstrationen und Teilnehmer im Zeitraum Oktober 1989
bis Februar 1990 (angeordnet nach der Anzahl der Demonstrationen)
0
500.000
1.000.000
1.500.000
2.000.000
2.500.000
3.000.000
Lei
pzig
Sta
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tadt
Kar
l-Mar
x-St
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tadt
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stei
n-E
rnst
thal
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gG
eith
ain
Tor
gau
Bis
chof
swer
daZ
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Demonstranten
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Demonstrationen
Teilnehmer Anzahl der Demonstrationen
Auch das folgende Diagramm zeigt, dass die größte Teilnehmerzahl sich auf die acht Städte mit einer Bevölkerungszahl über 50.000 (Leipzig, Dresden, Karl-Marx-Stadt, Zwickau, Gör-litz, Altenburg [heute wieder Thüringen], Hoyerswerda [ehemals Bezirk Cottbus] und Baut-zen) konzentriert. Mengenmäßig fallen die Demonstranten in kleineren Kommunen mit bis zu 5.000 Einwoh-nern kaum ins Gewicht. Das Diagramm verdeutlicht die überragende Bedeutung der Städte für die Revolution.
28
Abb. 22: Summe der Demonstrationsteilnehmer (in Wochen) nach Größe des Ortes
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990
>50000 >5000 und <50000 <5000
Um Angaben zur Mobilisierung machen zu können, ist anhand des zugrundeliegenden Da-tenmaterials von folgenden Zahlen auszugehen: Die Gesamtzahl der Orte in den drei Bezirken Dresden, Karl-Marx-Stadt und Leipzig sowie in den Kreisen Hoyerswerda und Weißwasser betrug zum damaligen Zeitpunkt 1624. In 173 Kommunen sind Demonstrationen von uns registriert worden, das sind etwa 10,6 Prozent aller Kommunen. Die folgenden Diagramme zeigen den Mobilisierungsgrad bei den Demonstrationen in Pro-zent. Bei der tagesgenauen Darstellung des Mobilisierungsgrades in den drei Bezirksstädten wurden die Demonstrationsteilnehmer ins Verhältnis zur Einwohnerzahl der Bezirksstädte gesetzt. Nicht feststellbar war die Herkunft der Demonstrationsteilnehmer. Es stehen sich als Vergleichsgrößen eine gesicherte Einwohnerzahl und eine Zahl an Demonstranten gegenüber, über deren Wohnort keine Aussage getroffen werden kann. Bekannt ist, dass in alle drei Bezirksstädte Bewohner von außerhalb kamen. In Karl-Marx-Stadt ist dieser Anteil am ge-ringsten, in Leipzig wesentlich höher. In die Messestadt an der Pleiße reisten nicht nur Be-wohner der umliegenden Kreise an, sondern aus der gesamten DDR. Dies findet seinen deut-lichen Niederschlag im tagesgenauen Mobilisierungsgrad. Während dieser für die Tage, zu denen zu großen Demonstrationen aufgerufen worden war, in Dresden und Karl-Marx-Stadt nur in drei Ausnahmefällen die 20-Prozent-Marke überschritt, nahmen in Leipzig an elf De-monstrationstagen mehr als 20 Prozent der Gesamtbevölkerungszahl der Stadt an Demonstra-tionen teil. In vier Fällen lag hier der Mobilisierungsgrad bei über 40 Prozent, einmal gar bei fast 60 Prozent. Wie gesagt bedeutet dies nicht, dass sich 60 Prozent aller Einwohner Leipzigs beteiligten, sondern eine Gesamtmenge an Demonstranten auf den Beinen war, die 60 Prozent der Gesamtbevölkerungszahl der Stadt entsprach. Die Zahlen lassen keinen Zweifel, dass es sich bei den Massendemonstrationen nicht um Ansammlungen der eher kleinen Bürgergruppen handelte, sondern um einen Aufstand der Bevölkerung. Insbesondere für die Stadt Leipzig lässt sich die mobilisierende Wirkung der regelmäßigen Montagsdemonstrationen erkennen. An den anderen Wochentagen wurde nicht demonstriert.
29
Abb. 23: Mobilisierung in den Bezirksstädten (tagesgenau)
Mobilisierung in Karl-Marx-Stadt (tagesgenau)
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Mobilisierung in Dresden (tagesgenau)
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Mobilisierung in Leipzig (tagesgenau)
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30
Abb. 24: Mobilisierung in den Bezirken (Demonstranten bezogen auf alle Einwohner des Bezirkes) – tagesgenau (Anteil Bezirksstadt grün markiert)
1.10
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Bezirk Karl-Marx-Stadt
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Bezirk Dresden
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Bezirk Leipzig
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31
Abb. 25: Mittlere wöchentliche Beteiligung an Demonstrationen in den Bezirken
Bezirk Leipzig
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22.01.1990
29.01.1990
05.02.1990
12.02.1990
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Bezirk Dresden
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09.10.1989
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Bezirk Karl-Marx-Stadt
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In den Bildern Abb. 23 sind die Teilnehmer auf die Einwohner der Bezirkstadt bezogen, in den Bildern Abb. 24 auf die Einwohner des gesamten Bezirkes
32
Ein Blick auf den tagesgenauen Mobilisierungsgrad, bezogen auf alle Einwohner der Bezirke, zeigt erneut die dominante Rolle der Leipziger Montagsdemonstrationen, neben denen andere Demonstrationen in den Kreisen mengenmäßig kaum ins Gewicht fielen. Anders ist das Bild insbesondere im Bezirk Karl-Marx-Stadt, wo sich die Mobilisierung eher über die Woche verteilte und die Montagsdemonstrationen in der Bezirksstadt nicht so ins Gewicht fielen. Eine mittlere Position nimmt auch hier Dresden ein. In den Bildern 25 ist die mittlere prozentuale Beteiligung an Demonstrationen pro Woche dargestellt. Dafür wurde die Beteiligung an allen Demonstrationen pro Woche summiert und auf die Einwohnerzahl des Bezirkes bezogen. Somit ergibt sich eine höhere prozentuale Betei-ligung. Unberücksichtigt dabei bleibt, dass an verschiedenen Tagen die Möglichkeit besteht, dass immer wieder die gleichen Personen an den Demonstrationen teilnehmen. Sie hätten sich nach dieser Rechnung ab der 2. Beteiligung praktisch stellvertretend für Inaktive den De-monstrationen angeschlossen. Auch hier zeigt sich, dass es für Leipzig kaum Unterschiede zwischen dem Mobilisierungsgrad in der Bezirksstadt und im Bezirk gibt. Der hohe Mobili-sierungsgrad ist fast ausschließlich auf die großen Demonstrationen in der Messestadt zurück-zuführen. Demgegenüber stellt der Mittelwert pro Woche, insbesondere für den Bezirk Karl-Marx-Stadt, eher einen tatsächlichen Durchschnitt der Mobilisierung in den Kreisen dar. Abb. 26: Mobilisierung nach Tagen Oktober 1989 bis Februar 1990 in den Bezirken
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Leipzig Dresden Karl-Marx-Stadt
Deutlich wird auch hier die Rolle der Montagsdemonstrationen, bei denen der Mobilisie-rungsrad im Bezirk Leipzig (dank der Stadt Leipzig) Ende November den Spitzenwert von fast 25 Prozent erreichte. Wesentlich niedriger waren die höchsten Mobilisierungswerte in den Bezirken Karl-Marx-Stadt und Dresden mit ca. 10 Prozent aller Einwohner der Bezirke.
33
Abb. 27: Mobilisierung nach Tagen Oktober 1989 bis Februar 1990
bezogen auf die Einwohner aller sächsischen Bezirke
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bezogen auf die Einwohner der Kommunen in denen an dem jeweiligen Tag Demonstrationen stattgefunden haben
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Bezogen auf alle Einwohner und Kommunen der drei sächsischen Bezirke lag die durch-schnittliche Mobilisierung bei ca. 1 Prozent (siehe Diagramm 27, oben). Hierbei ist in Rech-nung zu stellen, dass nicht an jedem Tag überall Demonstrationen stattfanden und in einer Vielzahl kleiner Gemeinden fanden keine Demonstrationen statt. Bezieht man die Teilnehmer
34
an Demonstrationen nur auf die Gesamtzahl der Einwohner in den Orten, in denen an dem jeweiligen Tag Demonstrationen stattfanden, ergibt sich ein tagesgenauer maximaler Mobili-sierungsgrad von 6 bis 7 Prozent (siehe Diagramm 27, unten). Interessant ist die steigende Tendenz im unteren Diagramm bei fallender Mobilisierung bezogen auf alle Einwohner der drei sächsischen Bezirke. Hier zeigt sich das zunehmende Engagement in der Fläche. Der Spitzenwert am 22.1.1990 wird durch folgende drei Demonstrationen verursacht (in Klam-mern örtliche Beteiligung): Plauen (47 %); Zschorlau (60 %) und Hartenstein (28 %). Alle drei Kommunen liegen im Bezirk Karl-Marx-Stadt. Bezirksstädte und sechsstellige Teilneh-merzahlen kommen hier nicht vor, dafür Bürgereinsatz in beeindruckender Breite. Abb. 28: Maximale Mobilisierung in den einzelnen Orten Sachsens mit Mittelung (Orte nicht
aufgeführt)
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Nimmt man in jedem der 173 Orte, in dem demonstriert wurde, nur jeweils die maximal erreichte Mobilisierung im gesamten Zeitraum (Diagramm 28), so kommt man auf einen Wert von ca. 38 %. In 1451 Kommunen gab es keine Demonstrationen. Ein Teil der sonst auf Demonstrationen formulierten Forderungen wurden hier auf Dialogveranstaltungen oder Einwohnerversamm-lungen vorgetragen. Dennoch fällt die Spannbreite der maximalen Mobilisierung in einzelnen Städten und Gemeinden und die Vielzahl der Kommunen auf, in den es keine Demonstratio-nen gab. Es wird deutlich, dass einige Orte als Zentren fungierten, es aktive Gegenden wie das Vogtland und das Westerzgebirge bzw. weniger aktive Gegenden gab. Letzteres wird auch durch den hier nicht weiter verfolgten Vergleich Sachsens mit anderen DDR-Regionen bestätigt. DDR-weit gehörte Sachsen zu den aktivsten Regionen der DDR. Die folgenden Diagramme vergleichen die durchschnittliche Mobilisierung in den Kreisen in vier unterschiedlichen Wochen. Dazu wurden die Teilnehmerzahlen der jeweiligen Wochen in Relation zur Bevölkerungszahl der Kreise gesetzt.
35
Abb. 29: Mobilisierung in der Woche 13.11.–19.11.1989
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Abb. 30: Mobilisierung in der Woche 20.11.–26.11.1989
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36
Abb. 31: Mobilisierung in der Woche 8.1.–14.1.1990
0%
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Abb. 32: Mobilisierung in der Woche 15.1.–21.1.1990
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37
Ein Vergleich der Mobilisierung in verschiedenen Wochen zeigt zum einen Kreise mit konti-nuierlich hoher oder niedriger Mobilisierung. Kreise mit niedriger Mobilisierung liegen oft im Umfeld von Bezirksstädten. Zum anderen wird aber auch eine Aktivitätsschwankung zwi-schen den Kreisen deutlich. Diese ist darauf zurückzuführen, dass insbesondere in den Kreis-städten zentrale Demonstrationsveranstaltungen in unterschiedlichen Wochen stattfanden. Die folgenden Diagramme zeigen die Orte mit der höchsten und niedrigsten maximalen Mo-bilisierung. Dazu wurde für jede Kommune der Tag mit der höchsten Teilnehmerzahl an einer Demonstration zugrunde gelegt. Abb. 33: Orte mit hoher maximaler Mobilisierung (an einem Tag im Zeitraum Oktober 1989
bis Februar 1990)
0%
50%
100%
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Gei
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1989 bis Februar 1990)
0%
2%
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8%
10%
12%
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38
Bei den Diagrammen wird nicht die Häufigkeit der Demonstrationen und die Gesamtzahl an Teilnehmern bei allen Demonstrationen angegeben. Bei Orten mit einer hohen maximalen Mobilisierung ist es also durchaus möglich, dass es nur eine oder zwei Demonstrationen (Werda 2, Lauta 1) gab, die aber eine sehr hohe Teilnehmerzahl im Verhältnis zur Einwoh-nerzahl aufwiesen. In Werda etwa nahm nach den vorliegenden Zahlen fast die fünffache Einwohnerzahl an einer Kundgebung am 4. November 1989 teil. Das zeigt, dass sich Perso-nen aus den umliegenden Ortschaften in großer Zahl beteiligten. Dagegen können Orte mit einer geringen maximalen Mobilisierung benannt werden, bei denen es viele Demonstrationen mit einer eher geringen Teilnehmerzahl im Verhältnis zur Einwohnerzahl gab. Immerhin 26 Kommunen hatten eine maximale Mobilisierung von über 50 Prozent, verbreitet waren Zahlen um 50 Prozent. Bei den Kommunen mit geringer maximaler Mobilisierung ist zu beachten, dass diese keinesfalls die „Schlusslichter“ hinsichtlich der maximalen Mobilisie-rung darstellen, vielmehr gab es in fast 90 Prozent aller Kommunen überhaupt keine De-monstrationen. Vergleicht man kleinere Kommunen bis 5.000 Einwohnern, in denen es Demonstrationen gab, mit den Kreisstädten, so zeigt sich in den Kreisstädten ein vergleichbarer maximaler Mobili-sierungsgrad. Eine Ausnahme bilden Kreisstädte im Vogtland und westlichen Erzgebirge im Bezirk Karl-Marx-Stadt. Zwar ist hier auch der maximale Mobilisierungsgrad kleinerer Ge-meinden recht hoch, die Kreisstädte hatten hier dennoch eine Funktion als Zentren des De-monstrationsgeschehens. Dies gilt insbesondere für Stollberg. Ein wesentlicher Unterschied aber bestand darin, dass es in allen Kreisstädten Demonstrationen gab, bei weitem aber nicht in allen Kommunen bis 5.000 Einwohner. Abb. 35: Maximale Mobilisierung (an einem Tag im Zeitraum Oktober 1989 bis Februar
1990) in den Kreisstädten
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
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80%
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Bezirk Karl-Marx-Stadt Bezirk Dresden Bezirk Leipzig
39
Abb. 36: Maximale Mobilisierung (an einem Tag im Zeitraum Oktober 1989 bis Februar 1990) in kleineren Orten
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Bezirk Karl-Marx-Stadt Bezirk Dresden Bezirk Leipzig
Berechnet man die maximale Mobilisierung an einem Tag bezogen auf die Kreise, weisen die Kreise des Bezirkes Karl-Marx-Stadt die höchsten Werte auf. Im Bezirk Leipzig bestätigt der Stadtkreis Leipzig seine Sonderstellung. Abb. 37: Maximale Mobilisierung (an einem Tag im Zeitraum Oktober 1989 bis Februar
1990) in den Kreisen
0%
5%
10%
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Bezirk Karl-Marx-Stadt Bezirk Dresden Bezirk Leipzig
40
4.1.3 Montagsdemonstrationen Ein Spezifikum der Friedlichen Revolution 1989/90 waren die Montagsdemonstrationen. Die Demonstrationen am Montagabend brachten immer besonders viele Menschen auf die Straße und fanden in den Medien das größte Echo. Nachfolgend soll die Mobilisierung durch diese Veranstaltungen untersucht werden. Abb. 38: Mobilisierung am Montag bezogen auf die Gesamtbevölkerung der drei sächsischen
Bezirke
0%
1%
2%
3%
4%
5%
6%
7%
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09.10.1989
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11.12.1989
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08.01.1990
15.01.1990
22.01.1990
29.01.1990
05.02.1990
12.02.1990
19.02.1990
An Montagsdemonstrationen haben sich in den drei sächsischen Bezirken insgesamt 4.641.320 Personen beteiligt. Damit ging jeder Bewohner der drei Bezirke statistisch gesehen ungefähr einmal zu einer Montagsdemonstration. Die Beteiligung an Montagsdemonstratio-nen zeigt Abb. 38. Das Maximum am 6.11.1989 betrug knapp 11 %. Insgesamt wurde in Sachsen in 94 Orten montags demonstriert, jedoch nur in 29 Orten mehr als dreimal. Die eigentliche Einrichtung der „Montagsdemonstration“ gab es vor allen in den Bezirksstädten, besonders natürlich in Leipzig. Abb. 39 zeigt die prozentuale Verteilung der Demonstranten. Leipzig ist mit über 50 % vertreten, die andere Hälfte teilen sich Dresden, Karl-Marx-Stadt und die anderen Städte Sachsens. Abb. 39: Verteilung der Montagsdemonstranten auf sächsische Städte
Leipzig54%
Dresden19%
Karl-Marx-Stadt12%
andere Städte15%
41
Abb. 40: Mobilisierung in den Bezirksstädten zu den Montagsdemonstrationen
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%9.
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989
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1989
18.1
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990
24.2
.199
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3.19
90
Leipzig Dresden Karl-MarxStadt
In Abb. 40 ist die Zahl der Montagsdemonstranten auf die Einwohnerzahl der Stadt bezogen. Die hohe Mobilisierung besonders in Leipzig ist auch auf die vielen Einpendler zu den De-monstrationen zurückzuführen. Außerdem ist in diesem Diagramm sehr schön der unter-schiedliche Zeitpunkt des Einsetzens der Montagsdemonstrationen in den Bezirksstädten zu sehen. Die Leipziger Dominanz bezieht sich demnach vor allem auf den Herbst 1989. 4.1.4 Aktivitätskoeffizient Ein Nachteil der Angaben über die maximale Mobilisierung in den Kommunen ist die fehlen-de Berücksichtigung der Gesamtzahl der Demonstrationen und der durchschnittlichen Beteili-gung. Herausgehoben werden Demonstrationen zu besonderen Anlässen, die eine überdurch-schnittliche überregionale Beteiligung verzeichneten. Ein zweiter wichtiger Aspekt bei der Bekämpfung der Diktatur war neben einer aktiven Betei-ligung der Bürger die Kontinuität der Aktionen. Um diese einzubeziehen wurde auch die Anzahl der Demonstrationen normiert. Im Mittel fanden in den aktiven sächsischen Kommu-nen, die untersucht wurden, im Zeitraum September 1989 bis Februar1990 acht Protestveran-staltungen statt. Um einen Messwert für die Aktivität zu erhalten, wurde die Zahl der Veranstaltungen, die in der Kommune stattgefunden hat durch acht geteilt und mit der mittleren prozentualen Beteili-gung multipliziert. Den Wert 100 erhält die Kommune, wenn sie fiktiv achtmal alle Einwoh-ner auf die Beine gebracht hat. Markneukirchen erreicht diesen Wert in etwa mit 20 Veran-staltungen bei einer durchschnittlichen Beteiligung von 38,6 %. Auch dieser Wert hat Schwächen, da es besonders in den ersten Wochen mit persönlichem Mut verbunden war, auf die Straße zu gehen, hohe Teilnehmerzahlen so nicht zu erwarten waren. Im Bezirk Leipzig behauptet die Bezirksstadt ihre dominante Rolle, was wiederum mit dem Import an Demonstranten aus den umliegenden Regionen bzw. aus allen Teilen der DDR zusammenhängt. Es folgen einige Kreisstädte, dann aber bereits kleinere Orte. Auch in Dres-den liegt die Bezirksstadt vorn, gefolgt von einigen Kreisstädten, aber auch kleineren Städten mit überdurchschnittlicher Aktivität. Gänzlich anders ist der Eindruck im Bezirk Karl-Marx-Stadt. Hier ergibt sich der höchste Aktivitätskoeffizient für Markneukirchen, eine Stadt im
42
Kreis Klingenthal. Auch auf Platz zwei findet sich eine Stadt ohne Kreisfunktion, Limbach-Oberfrohna im Kreis Karl-Marx-Stadt-Land. Das unterstreicht noch einmal die nachgeordnete Bedeutung von Karl-Marx-Stadt, das nicht annähernd eine Zentralfunktion ausübte wie Leip-zig und Dresden und erst auf Platz 13 erscheint. Man fuhr nicht in die Bezirksstadt, um zu demonstrieren. Wer in Karl-Marx-Stadt demonstrierte, kam in der Regel von hier. Zentren der Aktivitäten sind hier Orte im Vogtland und im Westerzgebirge. Insgesamt ist der Aktivitäts-koeffizient der Orte im Bezirk wesentlich höher als in den Bezirken Leipzig und Dresden (siehe dabei eingangs gemachte Einschränkung). Abb. 41: Aktivitätskoeffizient im Überblick ohne Angabe der Städte
Bezirk Karl-Marx-Stadt Bezirk Dresden Bezirk Leipzig
0
10
20
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40
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70
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90
100
In den nachfolgenden Abbildungen sind die Kommunen mit der größten Aktivität in den einzelnen Bezirken aufgeführt. Abb. 42: Aktivitätskoeffizient Bezirk Leipzig
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43
Abb. 43: Aktivitätskoeffizient Bezirk Dresden
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30
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Abb. 44: Aktivitätskoeffizient Bezirk Karl-Marx-Stadt
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44
4.1.5 Dialoge
Unter Dialogveranstaltungen (Dialogen) werden (in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit) subsu-miert:
Tab: 16: Dialogarten
Runde Tische 731 Dialoge (staatlich organisiert) 483 Kirchliche Dialogveranstaltungen 482 Bürgerforen 205 Bürgerversammlungen 115 Rathausgespräche 62
Abb. 45: Dialogarten (absolut)
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21.5.1990
Runder Tisch Kirche Bürgervers u.a. staatl. org. Dialoge
Das Diagramm macht deutlich, dass Dialoge keine Erfindung der SED waren. Schon bis zum Beginn der offiziellen Dialogpolitik gab es kirchliche Dialogveranstaltungen. Im Oktober verliefen kirchliche und staatliche Dialoge parallel. Oft ist eine Zuordnung nicht möglich, da sich, was in der Natur der Sache lag, beide Seiten trafen. Kirchliche Dialogveranstaltungen könnten ebenso gut den Protestveranstaltungen zugerechnet werden, nur die Art der Zusam-menkunft, meist in Kirchen, unterschied sie. Aber auch die staatlich organisierten Dialoge wurden immer mehr zu Tribunalen des Protestes gegen die SED. Die Dialoge hatten ihren Höhepunkt parallel zum Höhepunkt der Protestbewegung. Ende November/Anfang Dezember gingen sie in die Runden Tische über, die von nun an bis zur Kommunalwahl tagten.
45
Abb. 46: Dialoge in den Kreisen (aufgeschlüsselt nach Bezirken)
Bezirk Karl-Marx-Stadt
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Bezirk Leipzig
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Bezirk Dresden
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46
Bei den Dialogen, die ja meist auch für Proteste gegen das Regime genutzt wurden, behauptet Leipzig seine dominante Rolle im Bezirk (und darüber hinaus). Während im Bezirk Dresden die Bezirksstadt nicht herausragt, kommt Karl-Marx-Stadt gar nur auf Platz 7 im Bezirksran-king. Abb. 47: Anzahl Runder Tische pro Tag
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Abb. 48: Anzahl Runder Tische pro Woche
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47
Die Diagramme zu den Runden Tischen zeigen, dass deren Schwerpunkt im Januar und Feb-ruar lag. Auch nach der Volkskammerwahl im März arbeiteten sie bis zur Kommunalwahl im Mai 1990 weiter. Auffällig ist, wie genau auch hier die Wochenenden ausgespart wurden. Ob Demonstration oder Dialog, die Eile war nicht so groß, dass man nicht zwischendurch frei machen konnte. Abb. 49: Anzahl Runder Tische pro Woche in den Bezirken
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Karl-Marx-Stadt Dresden Leipzig
Auch bei den Runden Tischen machte sich die unterschiedliche Bevölkerungsdichte und damit zusammenhängende Anzahl der Kreise bemerkbar. Im Bezirk Karl-Marx-Stadt, mit 23 Kreisen und der höchsten Dichte an Kommunen, war zwangsläufig auch die Zahl der Runden Tische auf regionaler und kommunaler Ebene größer als im Bezirk Dresden mit 16 und im Bezirk Leipzig mit 13 Kreisen. Auffällig ist, dass die Zahl der Runden Tische im Bezirk Karl-Marx-Stadt Ende Febru-ar/Anfang März zunimmt, während sie in den anderen beiden Bezirken rückläufig ist. Eine ähnlich gegenläufige Entwicklung gibt es Ende März noch einmal. Deutlich sind auch hier die Revolutionsferien in der Weihnachtszeit erkennbar.
48
4.1.6 Verhältnis von Protesten und Dialogen
Eine zentrale Rolle bei der Bewertung der erfassten Veranstaltungen spielt die Einteilung in Protestveranstaltungen und in Dialogveranstaltungen.
Tab. 17: Anzahl von Protest- und Dialogveranstaltungen
Anzahl Anteil Dialogveranstaltungen 2079 48 % Protestveranstaltungen 1964 45 %
Bei der Einteilung in „Proteste“ und „Dialoge“ muss, wie bereits erwähnt, berücksichtigt werden, dass es sich bei der Mehrzahl aller Dialoge ebenfalls um Veranstaltungen handelte, auf denen zum Teil massive Proteste formuliert wurden. Dies gilt nicht nur für kirchliche, sondern, wie SED und MfS enttäuscht registrierten, auch für staatliche organisierte Dialog-veranstaltungen. Ende Oktober gab es praktisch keine Dialogveranstaltungen mehr, die man unter inhaltlichen Gesichtspunkten nicht auch unter der Rubrik „Proteste“ subsumieren könn-te. Abb. 50: Proteste / Dialoge (absolut)
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Anz
ahl
Protest (1903 Veranstaltungen) Dialog (2045 Veranstaltungen)
Beide Kurven könnten also durchaus kumuliert werden. Dennoch ist die Unterscheidung sinnvoll. Sie zeigt zum einen den Willen des Staates und nichtstaatlicher Organisatoren (z. B. Kirche), den Demonstrationen Veranstaltungen entgegenzusetzen, bei denen miteinander geredet wird. Bei der Kirche folgte dies dem Verständnis, der SED die Protesthaltung in friedlicher (verbaler) Form zur Kenntnis zu bringen. Zum Höhepunkt der Proteste war ja noch nicht klar, dass auch die Demonstrationen als Hauptform der Proteste (wiederum durch inten-sives Zutun u. a. der Kirche) durchweg friedlich bleiben würden.
49
Zum anderen wird durch die Teilung in zwei Kategorien der Versuch des SED-Staates deut-lich, die Demonstrationen durch Dialoge in kleineren Räumen und zu „Sachthemen“ zu ver-einzeln und damit zu entschärfen. Das Diagram 50 zeigt, dass es Phasen gibt, in denen die Proteste dominierten: Die Zeit bis Mitte Oktober, Ende November/Anfang Dezember und die zweite Januarhälfte. Bis zum 8. Oktober 1989 gab es nur nichtstaatliche (kirchliche) Dialogveranstaltungen. Erste staatliche Dialogveranstaltung war das Dresdner Rathausgespräch am Morgen des 9. Oktober. Insbe-sondere der Januar war durch eine neue Protestwelle gegen die Politik der SED-PDS für einen neuen Sozialismus gekennzeichnet. Abb. 51: Protest / Dialog prozentual
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%
Protest Dialog Trend (Protest) Trend (Dialog)
Überwogen bis Mitte Oktober 1989 Protestveranstaltungen, so hielten sich beide Ereigniska-tegorien bis Mitte Februar 1990 die Waage. Im Wahlkampf ging der Anteil der Protestveran-staltungen zurück. An ihre Stelle traten nun andere Formen der politischen Auseinanderset-zung.
50
Abb. 52: Proteste und Dialoge in den Kreisen (Anzahl absolut, nach Protest geordnet)
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Dialog Protest
Abb. 53: Proteste und Dialoge in den Kreisen (Anzahl absolut, nach Dialog geordnet)
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Tor
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Dialog Protest
51
Vergleicht man die Proteste in allen Kreisen, so liegen neben Leipzig und Dresden mehrheit-lich Kreise vorn, die weiter entfernt von den Bezirksstädten liegen und wohl auch deswegen mehr eigene Protestveranstaltungen organisierten. Plauen mit seinen großen Demonstrationen liegt in diesem Diagramm nur im Mittelfeld. Das liegt daran, dass hier nur die Häufigkeit, nicht aber die Mächtigkeit der Protestveranstaltungen berücksichtigt wurde. Ein anderes Bild ergibt sich beim Vergleich der Anzahl der Protestteilnehmer. Unter den Kreisen mit wenigen Protesten finden sich überdurchschnittlich viele Kreise aus dem Leipziger Umland, für deren Bewohner es attraktiver war, sich an Veranstaltungen in der Messestadt zu beteiligen. Dies gilt ebenso für die Landkreise der Kreisstädte, die zugleich Stadtkreise waren. Bei der Zahl der Dialoge ist die ungleiche schriftliche Erfassung in den verschiedenen Zeitab-schnitten (u. a. Wegfall des MfS) in Rechnung zu stellen.
Tab: 18: Regionale Verteilung der Veranstaltungen auf die Bezirke
Bezirk Veranstaltungen davon: Protest davon: Dialog Karl-Marx-Stadt 1655 826 771
Dresden 1644 658 830 Leipzig 969 450 441
Cottbus (2 Kreise) 68 30 37 Die Verteilung auf die Bezirke zeigt, dass es im Bezirk Dresden wesentlich mehr erfasste Dialoge als Proteste gab. Umgekehrt ist das Verhältnis im Bezirk Karl-Marx-Stadt, während es sich in Leipzig die Waage hält.
Tab: 19: Veranstaltungen in den Bezirksstädten
Bezirk gesamt davon: Protest davon: Dialog Dresden 233 107 196
Chemnitz 171 125 135 Leipzig 78 62 52
Die Zahlen zeigen zudem, dass es in Dresden wesentlich mehr kleine Veranstaltungen gab als in Leipzig mit seinen Großdemonstrationen.
52
4.2 Flucht und Ausreise Abb. 54: Flüchtlinge / Ausreiser (DDR insgesamt) und Protestteilnehmer (Sachsen)
(zur Normierung ist die Gesamtzahl der Abwanderer [582.238] bzw. der Protestler [8.179.870] jeweils = 100 % gesetzt )
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Feb 89
Mrz
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Aug 89
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Okt 89
Nov 89
Dez 89
Jan 90
Feb 90
Mrz
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Apr 90
Mai
90
Flüchtlinge/Ausreiser Protestteilnehmer
Die Zahlen für Flüchtlinge und Ausreisende sind vom Bundesausgleichsamt übernommen.
Tab: 20: Flüchtlinge und legal Ausreisende aus der DDR in die Bundesrepublik
Monat/Jahr Flüchtlinge Legal Ausreisende Insgesamt 1989
Januar 886 3741 4627 Februar 921 4087 5008
März 1184 4487 5671 April 891 4996 5887 Mai 1527 9115 10642 Juni 1783 10645 12428 Juli 2144 9563 11707
August 8143 12812 20955 September 21352 11903 33255 Oktober 26426 30598 57024
November - - 133429 Dezember - - 43221
1990 Januar - - 73729
Februar - - 63893 März - - 46241 April - - 24615 Mai - - 19217 Juni - - 10689
(Quelle: Bundesausgleichsamt. Zit. nach: Wendt, Hartmut: Die deutsch-deutschen Wanderungen – Bilanz einer 40jährigen Geschichte von Flucht und Ausreise. In: Deutschland Archiv 24 (1991), S. 386–395, hier S. 393).
53
Die Angaben zu den Protestteilnehmern wurden selbst erhoben. Die Zahlen zu Flüchtlingen und Ausreisenden beziehen sich auf die gesamte DDR, die Zahl der Protestteilnehmer auf Sachsen. Deswegen ist ein Vergleich absoluter Zahlen nicht möglich. Ein Vergleich der pro-zentualen Anteile aber zeigt, dass die Abwanderungsbewegung ab Juli 1989 anstieg und ab September einen Anstieg der Proteste nach sich zog. Allerdings zeigt das folgende Diagramm, dass Anfang Oktober ein hoher Prozentsatz der Protestierenden sich ebenfalls für ein Wegge-hen aus der DDR aussprach. Abb. 55: Ausreisen oder Bleiben (prozentualer Anteil an den Forderungen der Woche)
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. 198
9
4. Sep
. 1989
11. Sep
. 198
9
18. Sep
. 198
9
25. Sep
. 198
9
2. Okt.
1989
9. Okt.
1989
16. Okt.
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für Bleiben in der DDR für Gehen aus der DDR
Abwanderung und Proteste sind nicht klar zu trennen. Die Abwanderung und die Forderung danach war Teil der Protestbewegung und ging direkt in die Massenproteste über. Parallel dazu gingen auch die Proteste derer, die für ein Bleiben in der DDR und für Veränderungen vor Ort plädierten, direkt in die Massenproteste über. Die Intention, das Leben durch eine Ausreise in die Bundesrepublik zu verbessern, tauchte wenig später in der Forderung nach deutscher Einheit wieder auf. An die Stelle des Weggehens trat die Forderung, die DDR der Bundesrepublik anzuschließen, um so den Verlust der Heimat zu vermeiden, dennoch aber bundesdeutsche Verhältnisse zu bekommen. Parallel zur Protestbewegung, ging ungeachtet dessen die Abwanderung weiter. Dazu trug die Ungewissheit über den weiteren Gang der Entwicklung bei. Erst als klar war, dass es in ab-sehbarer Zeit zur Wiedervereinigung kommen würde, ging die Abwanderungsbewegung vorerst zurück. Auffällig ist auch der vorübergehende Rückgang der Abwanderung um die Weihnachtszeit. Das war ein Zeichen dafür, dass die Zeit der überstürzten Ausreise vorbei war. Man konnte die eigenen Schritte planen, ohne zu befürchten, die vielleicht einzige Chan-ce zu verpassen. Aus heutiger Retrospektive zeigt sich, dass 1989 eine langfristige Abwande-rungsbewegung aus Sachsen (und den anderen neuen Bundesländern) einsetzte, die neben dem Geburtenrückgang zu einer relevanten Bevölkerungsdezimierung führte und weiter führt.
54
4.3 Parolen / Losungen und Sprechchöre Insgesamt sind 2360 Parolen / Sprechchöre erfasst. Diese wurden auf 793 Protestveranstal-tungen unterschiedlich oft und zu verschiedenen Zeitpunkten ausgebracht (insgesamt 4292 Nennungen). Bei 488 dieser Protestveranstaltungen (61,5 %) sind von den Veranstaltungen die Teilnehmerzahlen bekannt. Auf diesen Protestveranstaltungen mit bekannten Teilnehmer-zahlen wurden 2089 Parolen (88,5 %) insgesamt 3766 mal ausgebracht (87,7 % aller Nen-nungen). In Abb. 56 sind die Parolennennungen wochenweise geordnet, wobei das in der Abszisse an-gezeigte Datum immer der Montag ist, ab dem die Woche gezählt wird. Dies gilt für alle nachfolgenden Diagramme. Da über das Weihnachtsfest keine Demonstrationen stattfanden, konnten keine Parolen ausgebracht werden. In den zeitlichen Auswertungen ist deshalb Ende Dezember eine Lücke. Abb. 56: Gesamtzahl der Parolen in der Woche ab
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Losungen und Sprechchöre waren im Herbst 1989 die einzige Möglichkeit der Massen, ihren Protesten und Forderungen inhaltlich Ausdruck zu verleihen. Erinnert sei an die Bilder des Westfernsehens, die zeigten, wie MfS-Mitarbeiter protestierenden Bürgern auf Stoffbahnen geschriebene Losungen entrissen. Im Oktober nahm die Zahl der Losungen und Sprechchöre so stark zu, dass die SED und ihre Schergen keine Möglichkeit mehr hatten, effektiv dagegen vorzugehen. Ab November kam es zu einer Ausdifferenzierung der Forderungen. Aber bis in den Januar hinein blieben Losungen und Sprechchöre das adäquate Mittel der Massen, ihren Protesten und inhaltlichen Forderungen Ausdruck zu verleihen. Mehr und mehr standen im nun bereits beginnenden Wahlkampf andere Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung, so dass die Bedeu-tung von Losungen und Sprechchören zurückging. Diese Tatsache muss bei der quantitativen wie qualitativen Analyse beachtet werden. Ein Abklingen der vorgetragenen Forderungen und Proteste kann ab etwa Mitte Januar 1990 nicht mehr zwangsläufig mit einem Rückgang der inhaltlichen Forderungen gleichgesetzt werden. Forderungen nahmen nun auch deswegen ab, weil sie auf andere Weise (Zeitungen, Medien, Druckschriften etc.) geäußert werden konnten. Sie wurden aber auch kaum noch von der VP erfasst. Das MfS entfällt zu diesem Zeitpunkt bereits.
55
Das Auftreten einer einzelnen Parole kann nur im Ausnahmefall verfolgt werden. Sinnvoller ist es, die Kategorien nach ihrem Inhalt zu kategorisieren (wie in Kapitel 2 beschrieben) und die Parolenkategorien zu verfolgen. Viele Parolen passen inhaltlich in mehrere Kategorien. Sie wurden deshalb zum Teil mehrfach zugeordnet, die 2360 Parolen insgesamt 2915 mal. Die inhaltlichen Auswertungen nach Parolenkategorien beziehen sich auf die höhere Zahl der Zuordnungen. Es wurden mit einer Parole praktisch mehrere Inhalte angesprochen, z. B. für Freiheit und deutsche Einheit. Abb. 57: Gesamtanzahl der Nennungen in den verschiedenen Parolenkategorien von Septem-
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Hauptkategorie
Anzahl
Das Ranking zeigt deutlich die Prioritäten, welche die Demonstranten gesetzt haben.
Tab: 21: Regionale Verteilung der Parolen-Nennungen auf die Bezirke
Bezirk Anzahl Karl-Marx-Stadt 2026 Dresden 1329 Leipzig 921
56
Der Rest zu den oben genannten 4292 Nennungen (16) entfällt auf die damals zum Bezirk Cottbus gehörenden Kreise Hoyerswerda und Weißwasser. Abb. 58: Parolennennungen pro Woche in den Bezirken
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September ´89 Oktober ´89 November ´89 Dezember ´89 Januar ´90 Februar ´90 März ´90
Zeit in Wochen
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Dresden Leipzig Karl-Marx-Stadt
Die Häufigkeit der Parolen steht in Relation zur Häufigkeit der Demonstrationen. Die Viel-zahl der Demonstrationen in den Kreisen des Bezirkes Karl-Marx-Stadt bedingt die höhere Zahl der Parolen Ende Oktober/Anfang November 1989. Jede kleinere Demonstration trug ihre eigenen Parolen vor. Auffällig ist der hohe Anteil im Bezirk Dresden Ende November. Insbesondere hinsichtlich der großen Demonstrationen in Leipzig ist auch zu berücksichtigen, dass mit wachsender Zahl der Sprechchöre und Plakate auf den Protestveranstaltungen der Anteil der (vom MfS und von der Volkspolizei) erfassten Parolen sank. Drei Plakate in einer Kleinstadt wurden immer erfasst, bei Hunderten in Leipzig jedoch nicht alle. Ein Blick auf die 10 häufigsten Forderungen und Proteste zeigt deutlich die inhaltliche Aus-richtung der Demonstrationen und Kundgebungen. Die Kurven werden immer vom im Bild 56 gezeigten allgemeinen Trend überlagert. Um Trends unabhängig von der Gesamtzahl der ausgebrachten Parolen zeigen zu können, wurden die Parolennennungen in der untersuchten Kategorie prozentual auf alle Parolennennungen in der Woche bezogen. Dabei ist immer das Diagramm mit den absoluten Zahlen zu beachten, da bei kleiner Gesamtzahl der Parolennen-nungen die einzelnen Kategorien übergewichtet werden.
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Abb. 59: Hauptforderungen 1 bis 10 (absolut)
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gegen SED gegen MfS/AfNS für Demokratie für Freiheit
"DDR schlecht" für Neues Forum für deutsche Einheit Wir sind das Volk
gegen Egon Krenz für Reformen
Zur der besseren Übersichtlichkeit wird eine Trennung in zwei Darstellungen vorgenommen: Abb. 60: Hauptforderungen 1 bis 5 (absolut)
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gegen SED gegen MfS/AfNS für Demokratie für Freiheit "DDR schlecht"
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Abb. 61: Hauptforderungen 1-5 (prozentualer Anteil der Kategorien an den Forderungen der Woche)
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gegen SED gegen MfS/AfNS für Demokratie für Freiheit "DDR schlecht"
Betrachtet man die fünf häufigsten Parolen auf der Zeitschiene, dann fällt vor allem bei der prozentualen Verteilung der Hauptforderungen der Freiheitsimpuls Ende September/Anfang Oktober ins Auge. Darin enthalten sind sowohl generelle Freiheitsforderungen als auch der Wunsch der Ausreiser nach Reise- und Niederlassungsfreiheit. Zum Höhepunkt der Proteste Ende Oktober/Anfang November richteten sich die meisten Proteste gegen SED und MfS, aber auch gegen die DDR insgesamt. Hauptforderungen sind Demokratie und Freiheit. Beide Forderungen ebben Ende November ab, was nicht darauf hindeutet, dass die Kategorien keine Rolle mehr spielen. Vielmehr hatte sich das politische Klima u. a. durch den Fall der Mauer, so verändert, dass kein Grund mehr gesehen wurde, dies auf Kundgebungen einzufordern. In der zweiten Phase der Proteste im Januar dominieren, wie vor allem die prozentuale Vertei-lung der Forderungen zeigt, Proteste gegen die SED-PDS. Für diese Phase ist die Darstellung der prozentualen Anteile deswegen aussagekräftiger, weil die Gesamtzahl der registrierten Parolen wesentlich geringer ist als im Herbst. Die zweite Phase zeigt ein nochmaliges Aufbe-gehren gegen die Versuche der SED-PDS Gregor Gysis, ihre Vorherrschaft durch ein neues demokratisch-sozialistisches Regime samt sozialistischem Verfassungsschutz als Nachfolger des MfS zu installieren.
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Abb 62: Hauptforderungen 6 bis 10 (absolut)
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für Neues Forum für deutsche Einheit Wir sind das Volk gegen Egon Krenz für Reformen
Abb 63: Hauptforderungen 6-10 (prozentualer Anteil der Kategorien an den Forderungen der
Woche)
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für Neues Forum für deutsche Einheit Wir sind das Volk gegen Egon Krenz für Reformen
In absoluten Zahlen ausgedrückt fällt Anfang Oktober die Parallelität der Forderungen nach Freiheit und Reformen ins Auge. Hierbei wird zum Teil auch der Konflikt zwischen „Ausrei-sern“ und veränderungswilligen „Dableibern“ verdeutlicht. Zunächst schienen Änderungen grundsätzlich nur als Reformen (nach sowjetischem Vorbild) realisierbar. Ein Blick auf das Diagramm, das alle zehn Hauptforderungen zusammen darstellt, zeigt, dass die Forderung nach Zulassung des Neuen Forums im Oktober noch häufiger erhoben wurde als die nach Freiheit. Allerdings fiel sie Anfang November steil ab und spielte dann keine
60
Rolle mehr. Die weitere Entwicklung zeigt, dass sich dahinter andere Forderungen und Pro-teste verbargen, die erst ab Anfang November offen geäußert wurden. Es waren dies vor al-lem Proteste gegen SED und MfS, die man auf Grund der Strafrechtslage zunächst besser nicht äußerte. Angesichts der Tatsache, dass es kaum personenbezogene Proteste oder Forderungen gab, sind die hohen Ablehnungswerte für Egon Krenz bemerkenswert. Hierin drückt sich die Ent-täuschung über die Personalentscheidung ebenso aus wie gegen die damit signalisierte feh-lende Veränderungsbereitschaft der SED. So trugen die Proteste gegen Krenz, der allgemein eher als harmlos galt, zur allgemeinen Mobilisierung bei, statt, wie von der SED gehofft, die Lage zu beruhigen. Ende November ist deutlich die Trendwende der Friedlichen Revolution hin zur Forderung nach deutscher Einheit erkennbar. Ab dem Fall der Mauer gehen die Forderungen nach De-mokratie und Freiheit direkt in die Forderung nach Wiedervereinigung über. Sie bestimmte von nun an die Entwicklung, im Januar nur kurz übertroffen von den Protesten gegen die SED-PDS. Ihre überragende Bedeutung zeigt ihr hoher prozentualer Anteil an allen Parolen, der Mitte Dezember fast 50 Prozent ausmachte. Abb. 64: Anzahl der Parolen nach Kategorien im Vergleich (absolut)
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Ein quantitativer Vergleich aller erfassten Parolen zeigt, dass Forderungen nach einer Verbes-serung der materiellen Situation kaum vorgetragen wurden. Zwar gab es in der Bevölkerung erhebliche Unzufriedenheiten mit der Versorgung, auf den Demonstrationen schlug sich dies aber nicht nieder. Hier dominierten wohl auch deswegen politische Forderungen, weil die aktiveren, politisch bewussteren Bevölkerungsteile demonstrierten. Von einer „Konsumenten-revolution“ kann jedenfalls keine Rede sein. Die Friedliche Revolution war, folgt man den Parolen, auch kein Aufstand für Marktwirt-schaft und gegen Planwirtschaft. Beide Kategorien spielten bei den Forderungen fast keine Rolle. Aus anderen Zusammenhängen, wie z. B. den Forderungen in den Betrieben, ist aber bekannt, dass mehrheitlich eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft gewünscht wurde (siehe dazu auch die Kategorien „Sozialismus oder Kapitalismus“ und „Wirtschaft / Versorgung / Finanzen“). Diese inhaltlich-programmatischen Vorstellungen waren allerdings kaum Thema der Demonstrationen. Eher wurde die künftige Ordnung auf Dialogveranstaltungen debattiert. Im revolutionären Prozess ging es vor allem um Freiheit und Demokratie als Grundlagen für
61
einen Wettbewerb um die besten politischen Programme. Allein die SED-PDS versuchte, ihre Ziele bereits vor dem Einsetzen des politischen Wettbewerbs verfassungsstaatlich festzuzur-ren und unterstrich damit ihren undemokratischen Charakter. Ihren Fortgang fanden die Forderungen von der Straße in den Wahlprogrammen der favori-sierten Parteien und schließlich in der ersten demokratischen Wahl in der DDR am 18. März 1990 selbst. Die Losungen und Sprechchöre gaben die Meinung der protestierenden Bevölkerung wieder. Sie zeigten aber nicht das Meinungsbild der Bürgerrechtsgruppen. Dieses fand seinen Nieder-schlag vor allem in Flugschriften, ersten provisorischen Zeitungen und in westlichen Medien. Als Teil der allgemeinen Proteste fanden die Auffassungen auch Eingang in das Spektrum der Losungen und Massenrufe. Hier stellten die Forderungen der von westlichen Medien maßgeb-lich geförderten überregionalen DDR-Gruppen mit demokratisch-sozialistischen und auf Er-halt der DDR gerichteten Vorstellungen aber nur einen Bruchteil dar. Anders sah es mit For-derungen etwa des Neuen Forums in Sachsen aus, dass hier als Forum basisdemokratischer Selbstorganisation den Willen der Bevölkerung authentischer artikulierte. Die folgenden Diagramme zeigen die regionalen Schwerpunkte der Forderungen nach Demo-kratie, Freiheit und deutscher Einheit. Abb. 65: Forderungen nach Demokratie in den Kreisen (Freiheit und deutsche Einheit einge-
blendet)
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Freiheit Demokratie Deutsche Einheit
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Abb. 66: Forderungen nach Freiheit in den Kreisen (Demokratie und deutsche Einheit einge-blendet)
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Freiheit Demokratie Deutsche Einheit
Abb: 67: Forderungen nach deutscher Einheit in den Kreisen (Demokratie und Freiheit ein-
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Freiheit Demokratie Deutsche Einheit
63
Am häufigsten wurde Demokratie in Plauen und Dresden gefordert, mit leichtem Abstand gefolgt von Leipzig. Die Kreise des Bezirkes Karl-Marx-Stadt liegen hinsichtlich der Forde-rung nach Demokratie weit vorn. Freiheit wurde am häufigsten in Leipzig gefordert, gefolgt von Dresden und erneut Plauen. Leipzig lag auch hinsichtlich der Forderungen nach deutscher Einheit vorn, gefolgt von Dresden und Kreisen aus dem Vogtland und dem Westerzgebirge, die in der Nähe Bayerns lagen. Die drei folgenden Diagramme machen deutlich, dass es bezüglich der positiven Hauptforde-rungen nach Freiheit, Demokratie und deutscher Einheit in Sachsen keine relevanten Unter-schiede zwischen Kommunen mit unterschiedlicher Einwohnerzahl gab. Abb. 68: Forderungen nach Freiheit, Demokratie und deutscher Einheit in Orten mit unter-
schiedlicher Einwohnerzahl
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Freiheit Demokratie Deutsche Einheit
4.3.1 Demokratie Demokratie war die positive Hauptforderung der Friedlichen Revolution (570). Zeitlicher Schwerpunkt des Postulats war Ende Oktober/Anfang November. Bedingt durch die stärkere Heterogenität der Proteste im Bezirk Karl-Marx-Stadt mit seiner höchsten Kreiszahl und Be-völkerungsdichte gab es hier überdurchschnittlich viele registrierte Forderungen nach Demo-kratie. Abb. 69: Forderung nach Demokratie in den Bezirken
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4.3.2 Freiheit
Die zweithäufigste inhaltlich positive Forderung war die nach Freiheit (338). Nachdem De-monstrations- und Versammlungsfreiheit bis Anfang November weitgehend erkämpft waren, gab es kaum noch entsprechende Postulate. Die Häufigkeit der Forderungen führt die Behaup-tung ad absurdum, den Menschen auf den Straßen sei es nur um mehr materiellen Wohlstand gegangen. Anders dürfte dies bei der „schweigenden Mehrheit“ aussehen. Abb. 70: Forderung nach Freiheit in den Bezirken
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Bedingt durch die Vielzahl der Parolen wurde auch Freiheit am häufigsten im Bezirk Karl-Marx-Stadt gefordert. Schwerpunkt ist die Zeit bis zum Fall der Mauer. Danach standen ande-re Forderungen auf der Agenda. Vor allem flossen dann die Forderungen nach Freiheit und Demokratie in die Paketforderung nach deutscher Einheit ein.
4.3.3 Sonstige Menschenrechte / Grundrechte
Eine geringere Rolle spielten Forderungen nach Rechtsstaatlichkeit (33) und Menschenrech-ten (24). Letztere war hingegen eine Hauptforderung der Bürgerrechtsgruppen.
4.3.4 Sozialismus oder Kapitalismus
Auch die von der SED stets betonte Systemalternative zwischen Sozialismus und Kapitalis-mus tauchte kaum auf. Einigen dezidierten Forderungen nach Erhalt des Sozialismus (13) standen mindestens ebenso viele nach dessen Abschaffung gegenüber (18). Auch die Forde-rung nach einem demokratischen Sozialismus fand sich zwar in den Programmen einiger Bürgergruppierungen wieder, wurde auf den hier ausgewerteten Demonstrationen und Kund-gebungen aber so gut wie nie erhoben (5). Spätestens im Januar 1990 wurde auf den Kundge-bungen jede Art von Sozialismus mehrheitlich abgelehnt. Nur an Runden Tischen und in Bür-gerbewegungen war das Thema teilweise noch aktuell.
66
4.3.5 Wirtschaft / Versorgung / Finanzen
338 erfassten Forderungen nach Freiheit und 570 (inklusive „Wir sind das Volk!“) nach De-mokratie standen gerade einmal 13 nach einer besseren Versorgung gegenüber. Das führt, wie schon aufgeführt, die Behauptung ad absurdum, den Menschen sei es vor allem um mehr ma-teriellen Wohlstand gegangen. Freilich wurden die Forderungen nach besserer Versorgung und besseren Lebensbedingungen auch deswegen nicht bei Demonstrationen und auf Kund-gebungen erhoben, weil sich diese primär gegen das politische System richteten und es wenig sinnvoll schien, auf Kundgebungen (von wem?) mehr Wohlstand einzufordern. Dass es aber natürlich auch darum ging, zeigen die Stimmungsanalysen des MfS vom Sommer und Herbst 1989. Wenig ausgeprägt waren hingegen (in Analogie zur Alternative Sozialismus oder Kapi-talismus) dezidierte Forderungen nach mehr Markwirtschaft (9) oder gegen sozialistische Planwirtschaft (7). Wesentlich häufiger waren Stellungnahmen gegen SED-Funktionäre und für Fachleute in den Betrieben (20) oder (Selbst-)Aufforderungen, mehr zu arbeiten (19). Hin-sichtlich des angestrebten Wirtschaftssystems lässt sich daraus eine gewisse Unsicherheit ab-lesen. Freilich kann das klare Votum für deutsche Einheit (270) auch als Bekenntnis zur sozi-alen Marktwirtschaft gedeutet werden.
4.3.6 Staatlichkeit: DDR oder deutsche Einheit
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Das Diagramm zeigt, dass es bereits um den 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober Forderun-gen nach deutscher Einheit gab. Sie standen im Zusammenhang mit Protesten am Rande der Zugdurchfahrten von Botschaftsflüchtlingen von Prag nach Bayern über das Gebiet der DDR. Im weiteren Verlauf des Oktober wurden entsprechende Forderungen kaum geäußert. Das kann daran gelegen haben, dass es Aufforderungen gab, den Umbruchsprozess nicht durch solche Forderungen zu gefährden. Im Vordergrund standen andere Postulate wie das Ende der SED-Alleinherrschaft oder die Beseitigung des Repressionsapparates. Ihren absoluten Höhe-punkt erlebten Forderungen nach deutscher Einheit Anfang Dezember, als auf internationaler Ebene verstärkt um Lösungen der deutschen Frage gerungen wurde. Eine neuerliche Forde-rungswelle gab es ab Mitte Januar. Sie richtete sich gegen die Kampagne der SED-PDS „ge-gen rechts und deutsche Einheit“. Nach der Zusage der sowjetischen Führung zur deutschen Einheit Anfang Februar lassen entsprechende Forderungen rasch nach. Zu beachten ist, dass im Januar und Februar weniger Parolen erfasst wurden als im Herbst 1989. Forderungen nach Erhalt der DDR gab es bei den Demonstrationen kaum. Sie entsprachen eher der Haltung der SED/SED-PDS sowie linker Intellektueller und Bürgerrechtler. Die höchste Massenmobilisie-rung erreichte hier der Aufruf „Für unser Land“ in der Vorweihnachtszeit.
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Abb. 73: Forderung nach deutscher Einheit in den Bezirken
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Karl-Marx-Stadt Dresden Leipzig
Sortiert nach Bezirken und auf der Zeitschiene zeigt sich, dass deutsche Einheit am häufigsten im Bezirk Karl-Marx-Stadt erhoben wurde. Zeitliche Höhepunkte waren Anfang Dezember und Ende Januar. Auch dies ist im Zusammenhang mit der größeren Bevölkerungs-, Kreis- und Ortszahl und der daraus resultierenden höheren Menge an Veranstaltungen zu sehen.
4.3.7 Auseinandersetzung mit dem DDR-System
Insgesamt spielte die Auseinandersetzung mit den sich aus dem diktatorischen Charakter der SED-Herrschaft ergebenden Charakteristika des bisherigen Systems bei den Parolen / Sprech-chören eine nachgeordnete Rolle. Diese waren mehr auf die aktuelle Auseinandersetzung mit der SED und auf die Zukunft im vereinten Deutschland ausgerichtet. Das zeigt, dass es weni-ger um Modifizierungen als um die Machtfrage ging. Die Diagramme zeigen (wegen der An-schaulichkeit getrennt) anteilige Forderungen aus der Kategorie „Auseinandersetzung mit dem DDR-System“. Deutlich wird der Vorwurf, die Funktionäre hätten zu wenig getan (66) und Privilegien genossen (45). Die Rede war vom Betrug am Volk (32). Trotz der Bereit-schaft, die SED als künftigen Mitstreiter im demokratischen Wettbewerb zu akzeptieren fällt die Zahl der Forderungen nach einer Bestrafung der Funktionäre auf, die nach der vorliegen-den Kategorisierung aus der Kategorie „SED/SED-PDS/PDS“ übernommen wurde. (58) Auf der Zeitschiene zeigt sich, dass es nach der Festnahme führender Funktionäre Anfang Dezember vermehrt Forderungen nach einer juristischen Bestrafung gab, die jedoch nie mehr als fünf Prozent aller Forderungen ausmachten.
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Abb. 74: Auseinandersetzung mit dem DDR-System, Proteste gegen Funktionäre (absolut)
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ler Anteil der Kategorien an den Forderungen der Woche)
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Abb. 76: Auseinandersetzung mit dem DDR-System: Wahlbetrug, DDR unfrei, Schämt Euch, Strafandrohungen (prozentualer Anteil an den Forderungen der Woche)
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unfreie Wahlen/Wahlbetrug DDR unfrei, Diktatur, Terror Schämt Euch Strafandrohung/-forderung
4.3.8 SED, SED-PDS, PDS (aktuelle Auseinandersetzung)
Ihren Niederschlag fand die Auseinandersetzung mit dem DDR-System vor allem in der aktu-ellen Abrechnung mit der SED, SED-PDS bzw. PDS. Von gerade einmal 24 registrierten Stel-lungnahmen für die SED zielten 17 auf eine Erneuerung der Partei. Immerhin achtmal wurde die Fortsetzung der SED-Alleinherrschaft öffentlich für sinnvoll erklärt. Dagegen gab es 612 Stellungnahmen gegen die SED, 62 gegen die SED-PDS und 8 gegen die PDS, ergibt zusam-men 682. Zwar ergibt sich daraus der Eindruck, die Umbenennung und Umprofilierung der Partei habe die Proteste sinken lassen. Das ist insofern richtig, als die Notwendigkeit starker Proteste ab Januar kaum mehr gesehen wurde. Es muss hier wie überall auch in Rechnung gestellt werden, dass die Zahl registrierter Stellungnahmen ab Januar zurückging und anderen Formen des Protestes Platz machte. So erklärten etwa alle Parteien spätestens ab Februar, auf keinen Fall nach freien Wahlen mit der PDS koalieren zu wollen. Diese Aussagen fand aber kaum noch ihren Niederschlag bei öffentlichen Protesten, und waren eher in Wahlaussagen zu finden. Im Wahlkampf dominierten zudem bereits andere Frontstellungen, etwa zwischen der Allianz für Deutschland und der SPD. Die PDS spielte bereits keine Rolle mehr, weswegen Proteste kaum mehr Sinn machten. Es ist ein Markenzeichen der Friedlichen Revolution, dass ihre Proteste und Postulate immer sehr konkret und wenig ideologisch waren. War ein Ziel er-reicht, wandte man sich den folgenden konkreten Aufgaben zu. Auffällig ist auch, dass einer geringeren Zahl an Forderungen nach einem Verbot der SED (23) oder einer Bestrafung der Funktionäre (58) die größere Zahl derer entgegenstand, die lediglich eine Trennung von Staat und Partei bzw. ein Ende der SED-Alleinherrschaft forder-ten (145). Diese Zahl korreliert (trotz des oben genannten Hinweises auf die abnehmende Zahl der Losungen insgesamt) mit den abnehmenden Protesten gegen die SED/SED-PDS/PDS nach dem formalen Ende der SED-Alleinherrschaft Anfang Dezember 1989. Von
71
einer generellen Forderung nach einer Zerschlagung der SED war also keine Rede mehr. Vielmehr sollte sich die Partei gleichberechtigt ins demokratische Parteienspektrum einsortie-ren. Dieser Logik folgte auch die Kooperationsbereitschaft an den Runden Tischen und im Staatsapparat. Sie entsprach den politischen Machtverhältnissen in Europa, wo die sowjeti-sche Führung einen anderen Umgang mit dem bisherigen Vasallen wohl auch kaum toleriert hätte. Abb. 77: Für / gegen SED/SED-PDS/PDS (absolut)
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für SED/PDS gegen SED/PDS, davon: Verbot der SED gegen SED Alleinherrschaft
Ein Blick auf die Zeitschiene zeigt, dass die Proteste gegen die SED ab Mitte Oktober stark ansteigen, um Mitte Dezember wieder abzufallen. Mitte Oktober bot die durch die Dialoge entstandene, offenere Atmosphäre die Möglichkeit, eigene Meinungen offener und ungestraf-ter kundzutun. Zuvor hatten sich die Wünsche nach einem Ende des SED-Regimes in Forde-rungen nach der Zulassung des Neuen Forums oder nach Reformen verborgen.
72
Abb. 78: Für/ gegen SED/SED-PDS (prozentualer Anteil der Kategorien an den Forderungen der Woche)
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für SED gegen SED, davon: Verbot der SED gegen SED-Alleinherrrschaft
Das Diagramm zeigt deutlich den hohen Anteil der Proteste gegen die SED/SED-PDS. Der hohe Ausschlag im September korreliert mit einer geringen Zahl an Parolen zu diesem Zeit-punkt. Auffällig ist der hohe Anteil in der Vorweihnachtszeit, der auch mit der insgesamt ge-ringeren Anzahl unterschiedlicher Parolen zu diversen Themen erklärt werden kann. Sehr deutlich ist der Ausschlag in der ersten Januarhälfte. Zu diesem Zeitpunkt startete die SED-PDS ihre Kampagne „gegen rechts und deutsche Einheit“ und für einen Verfassungsschutz als MfS-Nachfolger, der zu einer neuen Protestwelle führte.
4.3.9 Andere Parteien / Neue Gruppen und Parteien
Abb. 79: Für neue Gruppen und für Parteien (absolut)
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Neues Forum SDP/SPD Blockparteien
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Abb. 80: Für neue Gruppen und für Parteien (prozentualer Anteil der Kategorien an den For-derungen der Woche)
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Neues Forum SDP (SPD) Blockparteien
Abb. 81: Für neue Gruppen und für Parteien (prozentualer Anteil der Kategorien an den For-
derungen der Woche – Trend)
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Neues Forum SDP (SPD)
Blockparteien 3 Per. Gleitender Durchschnitt (Neues Forum)
3 Per. Gleitender Durchschnitt (SDP (SPD)) 3 Per. Gleitender Durchschnitt (Blockparteien)
74
Die wenigen Stellungnahmen zu den Blockparteien (insgesamt 9) zeigen deren geringe Be-deutung während der revolutionären Auseinandersetzungen insbesondere bis zum Januar 1990. Erst als Partner bundesdeutscher Parteien nahm diese zu, schlug sich aber bereits in Formen des Wahlkampfes und nicht mehr in entsprechenden Losungen und Sprechchören nieder. Ähnlich sah es mit neuen Gruppierungen und Parteien aus. Sie stellten, blickt man auf Losun-gen und Sprechchöre, keine Kristallisationspunkte der Proteste und Forderungen dar. Ledig-lich die SDP/SPD fand hier und da Erwähnung (21). Völlig anders war die Situation bezüg-lich des Neuen Forums, dessen Zulassung und freie Betätigung eine der zentralen Forderungen auf Demonstrationen und Kundgebungen in Sachsen war (286). Auf der Zeit-schiene wird erkennbar, dass die Forderungen nach Zulassung des Neuen Forums Mitte Sep-tember einsetzten und mit den Demonstrationen in der Zeit um den 40. Jahrestag einen ersten Höhepunkt erlebten. Ende Oktober war der Scheitelpunkt der Forderungen nach Zulassung des Neuen Forum und der Sympathieerklärungen dafür erreicht. Danach kam es zu einem rasanten Abfall der Forderungen, die nach dem Fall der Mauer am 9. November praktisch nicht mehr ins Gewicht fielen. Die kommenden Auseinandersetzungen innerhalb des Neuen Forums (politische Ausrichtung, basisdemokratische Organisation oder Partei) spielten in der Bevölkerungsmeinung keine Rolle mehr. Die nun wichtiger werdenden Zustimmungen zu Parteien aber wurden nicht mehr per Parolen oder Sprechchören bekannt gemacht. Abb. 82: Für Neues Forum und gegen SED/SED-PDS/PDS (prozentualer Anteil an den For-
derungen der Woche)
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für Neues Forum gegen SED / SED-PDS
Der Vergleich zeigt, dass an die Stelle der Positionierungen für das Neue Forum Stellung-nahmen gegen die SED/SED-PDS/PDS traten, die so bislang ungestraft kaum möglich gewe-sen waren. Der Verlauf lässt die Schlussfolgerung zu, dass sich hinter den Positionierungen für das Neue Forum andere Forderungen verbargen, die bis dahin nicht gestellt wur-den/werden konnten. Die Akteure des Neuen Forums waren mit der plötzlichen Zustimmung völlig überfordert. Schnell wurde mit dem Ausbau einer Organisation begonnen, die aber wieder zerfiel, ehe man sich organisatorisch und programmatisch hatte sortieren können. Die
75
inhaltlichen Auseinandersetzungen trugen kaum zum Niedergang bei, die Zustimmung war längst passé, das Interesse wandte sich den Parteien zu. Setzt man die Stellungnahmen für das Neue Forum und gegen die SED/SED-PDS/PDS in Relation zu allen Forderungen im Zeitraum, so zeigt sich die Bezogenheit beider Faktoren aufeinander deutlich. Mitte September stiegen beide etwa eine Woche lang parallel an. Da-nach sank die Zahl der Stellungnahmen gegen die SED bis Mitte Oktober. An ihre Stelle tra-ten Stellungnahmen zugunsten des Neuen Forums. Ende Oktober drehte sich der Trend. Nun wurde wieder gegen die SED Position bezogen. Dies unterstreicht die Ersatzfunktion der Mo-bilisierungskampagne zugunsten des Neuen Forums. Nicht umsonst gingen SED und MfS dagegen vor. Hier wusste man, dass diese sich gegen das SED-Regime richtete und es nicht darum ging, die Mitgliederzahl der Nationalen Front um eines zu erhöhen. Das Prinzip der Diktatur, in der allein die SED bestimmte, was passieren durfte, stand auf dem Spiel.
4.3.10 Reform, Revolution und Wende
Abb. 83: Für Reformen in der DDR und für deutsche Einheit (absolut)
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für deutsche Einheit für Reformen in der DDR
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Abb. 84: Für Reformen in der DDR und für deutsche Einheit (prozentualer Anteil der Kate-gorien an den Forderungen der Woche)
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für deutsche Einheit für Reformen in der DDR
Abb. 85: Für Reformen in der DDR und für deutsche Einheit (prozentualer Anteil der Kate-
gorien an den Forderungen der Woche – Trend)
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für deutsche Einheutfür Reformen in der DDR3 Per. Gleitender Durchschnitt (für Reformen in der DDR)3 Per. Gleitender Durchschnitt (für deutsche Einheut)
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Im Vorfeld des 7. Oktober gab es einen rasanten Anstieg der Forderungen nach Reformen bzw. nach Glasnost und Perestroika. Eine zweite Welle an Reformforderungen gab es Anfang der zweiten Oktoberhälfte im Zusammenhang mit der Amtsübernahme von Egon Krenz. Von nun an nahmen die Reformforderungen kontinuierlich ab und spielten schon Ende November keine Rolle mehr. Dagegen wuchs die Forderung nach deutscher Einheit. Nach einer kurzen Spitze im Umfeld der Zugdurchfahrten vor dem 7. Oktober stieg die Zahl der Forderungen nach der Amtsübernahme durch Egon Krenz bis Anfang Dezember kontinuierlich an. Nach der Weihnachtspause gab es parallel zur neuen Protestwelle gegen die SED-PDS eine zweite Forderungswelle nach deutscher Einheit. Auch hier muss beachtet werden, dass gar nicht mehr alle entsprechenden Forderungen notiert wurden. Es wird deutlich, dass die Forderung nach deutscher Einheit die nach einer Reform der DDR völlig verdrängte. Die Forderung nach Reformen in der DDR war eine Startforderung, hinter der sich weiterführende Ziele verbargen, die aber aus verschiedenen Gründe nicht deutlich formuliert wurden. Gründe waren Zweckmäßigkeitserwägungen, es fand aber auch ein Pro-zess statt, in dem die Bevölkerung sich angesichts der begonnenen Veränderungen erst wieder Rechenschaft darüber ablegte, was eigentlich möglich und wünschenswert sei. Bei Älteren wurden latent vorhandene, langfristige Überzeugungen reaktiviert. Jüngere sahen ebenfalls in der Vereinigung mit der Bundesrepublik die beste Lösung. Setzt man die Reformforderungen in Relation zu allen Forderungen im Zeitraum, so wird deutlich, dass es vom Höhepunkt in der zweiten Septemberhälfte, abgesehen von einem kur-zen Aufschwung vor dem 7. Oktober, eine permanente und rasche Abnahme der Reformfor-derungen gab. Dagegen erreichte die Forderung nach deutscher Einheit kurz vor Weihnachten einen Spitzenwert von fast 45 Prozent aller auf Losungen und in Sprechchören vorgetragenen Forderungen und Proteste. Ende Januar stieg der Anteil nochmals auf rund ein Drittel.
4.3.11 Personen
Abb. 86: Gegen Personen: Honecker, Krenz, Gysi, regionale Funktionäre (absolut)
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Stellungnahmen zugunsten von Politikern waren die Ausnahme. Am meisten Zustimmung erhielt Hans Modrow (9), gefolgt von Egon Krenz (8) und Manfred Gerlach (4). In der Regel waren damit Hoffnungen auf Reformen verbunden. Sehr viel deutlicher fielen dagegen Stel-lungnahmen gegen konkrete Politiker aus. Auf eine Mauer der Anlehnung stieß Egon Krenz nach seiner Ernennung zum SED-Generalsekretär und Staatsratsvorsitzenden (154). Hier hat-ten sich die Demonstranten eine stärkere personelle Erneuerung gewünscht. Die Kampagne gegen Krenz hatte aus Sicht der Demonstranten aber auch eine Mobilisierungsfunktion und richtete sich im Grunde weniger gegen die Person als gegen das durch ihn verkörperte SED-Regime. Auffällig war auch, dass sich zahlreiche Losungen und Sprechchöre gegen regionale Funktio-näre der Kreis- und Kommunalebene richteten (100). Glimpflich kamen dagegen in absoluten Zahlen Gregor Gysi (15) und Erich Honecker (11) davon. Etwas anders sieht das Bild aus, setzt man die Zahlen in Relation zu allen Forderungen im Zeitraum. Abb. 87: Gegen Personen: Honecker, Krenz, Gysi, regionale Funktionäre (prozentualer An-
teil an den Forderungen der Woche)
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Abb. 88: Gegen Personen: Honecker, Krenz, Gysi, regionale Funktionäre (prozentualer An-teil an den Forderungen der Woche – Trend)
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3 Per. Gleitender Durchschnitt (Gysi) 3 Per. Gleitender Durchschnitt (Krenz)
Gemessen an der wesentlich geringeren Zahl der insgesamt registrierten Parolen und Sprech-chöre erreichten die Proteste gegen Gregor Gysi nach diesem Schaubild fast die Dimension wie bei Krenz. Ende Januar gab es noch einmal Proteste gegen Erich Honecker, die im Zu-sammenhang mit dessen Unterbringung in einem kirchlichen Krankenhaus standen.
80
4.3.12 Militärische Strukturen
Ein Hauptangriffspunkt stellte auf fast allen Demonstrationen und Kundgebungen neben der SED das MfS bzw. das daraus hervorgegangene AfNS dar (537). Abb. 89: Gegen MfS/AfNS/DDR-Verfassungsschutz (absolut)
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gegen MfS/AfNS; davon: MfS-Mitarbeiter in die Produktion Abschaffung MfS/AfNS
Die Proteste gegen das MfS stiegen in der zweiten Oktoberhälfte rasch an und stellten ein zentrales Anliegen der Demonstranten dar. Ab Ende Oktober fielen sie bis Mitte Dezember kontinuierlich ab, um nach Verkündung der Umwandlung des AfNS in einen sozialistischer Staatlichkeit verpflichteten Verfassungsschutz noch einmal aufzuleben. Neben allgemeiner Ablehnung (126) dominierten die Forderungen, die MfS-Mitarbeiter in die Produktion zu schicken (211) und das MfS/AfNS völlig abzuschaffen (146).
81
Abb. 90: Gegen MfS/AfNS/DDR-Verfassungsschutz (prozentualer Anteil an den Forderun-gen der Woche)
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gegen MfS/AfNS; davon: MfS-Mitarbeiter in die Produktion Abschaffung MfS/AfNS
Abb. 91: Gegen MfS/AfNS/DDR-Verfassungsschutz (prozentualer Anteil an den Forderun-
gen der Woche – Trend)
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gegen MfS/AfNS
MfS-Mitarbeiter in die Produktion
Abschaffung MfS/AfNS
3 Per. Gleitender Durchschnitt (gegen MfS/AfNS)
3 Per. Gleitender Durchschnitt (MfS-Mitarbeiter in die Produktion)
3 Per. Gleitender Durchschnitt (Abschaffung MfS/AfNS)
Setzt man die Proteste gegen das MfS in Relation zu allen anderen Forderungen, ergeben sich etwas andere Schwerpunkte. Zwar gab es um den 6. November zahlenmäßig die meisten Pro-teste gegen das MfS, relativ aber war der Anteil um den 20. November mit ca. 20 Prozent am
82
höchsten. Das ist insofern interessant, als Modrow als neuer Ministerpräsident in seiner Re-gierungserklärung am 17. November die Umwandlung des MfS in das AfNS bekannt gab. Diese Entscheidung fand offensichtlich nicht das Gefallen der Demonstranten. Gleichzeitig stieg die Zahl der Informationen über die Aktenvernichtungen an, was ebenfalls zu Wider-ständen führte. Bei dieser Art der Darstellung fällt auch auf, dass die Proteste gegen das MfS Mitte Januar und Anfang Februar noch einmal hohe Anteile erreichten. Im Januar richteten sie sich gegen die Absicht Modrows, das MfS als Verfassungsschutz weiterwirken zu lassen, Anfang Febru-ar wurde verstärkt die Offenlegung von Namen Inoffizieller und Hautamtlicher Mitarbeiter gefordert und gegen eine Übernahme von MfS-Mitarbeitern in Betrieben, Einrichtungen oder bei VP und NVA protestiert. Abb. 92: Gegen MfS/VP/Kampfgruppen (absolut)
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gegen VPfür Modifizierung VPgegen Kampfgruppengegen MfS + Abschaffung MFS + MfS-Mitarb. in Produktion
Im Vergleich zu Äußerungen gegen das MfS fielen Äußerungen gegen die Kampfgruppen (23) und die Volkspolizei (28) stark zurück. Letztere wurde zudem von Forderungen nach einer Modifizierung der Volkspolizei im Sinne der allgemeinen Erneuerungen flankiert (20), die es so beim MfS/AfNS so gut wie nicht gab (6). Angriffe gegen die NVA gab es dagegen kaum (1), eher überwogen noch Forderungen nach deren Erneuerung (3). Höhepunkt der Stellungnahmen gegen die VP war die Zeit der Unruhen am Dresdner Haupt-bahnhof. Sie hatten nur eine geringe Bedeutung und richteten sich offenbar nicht gegen die Polizei an sich, sondern gegen deren Einsatz zur Niederschlagung von Protesten gegen das SED-Regime. Das Thema „Kampfgruppen“ gewann keine wirkliche Bedeutung. Selbst beim Höhepunkt der Proteste Ende November spielten die paramilitärischen Kampfverbände keine besondere Rol-le. Aus Sicht der Bevölkerung ging von den ohnehin längst in Auflösung befindlichen Struk-turen keine Gefahr aus. Man sah es eher als logische Folge der Verbannung der SED aus den Betrieben an, deren dortige Kampftruppen ebenfalls aufzulösen.
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Abb. 93: VP, Kampfgruppen (prozentualer Anteil an den Forderungen der Woche)
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gegen VP für Modifizierung VP gegen Kampfgruppen
In Relation zu allen Forderungen gewannen Forderungen nach Modifizierung der Volkspoli-zei in der zweiten Januarhälfte mit ca. 13 Prozent eine gewisse Bedeutung. Während dem MfS und seinen Nachfolgestrukturen jede Existenzberechtigung abgesprochen wurde (am 15. Januar wurde das Ende der Staatssicherheit beschlossen), war allgemein klar, dass man auch künftig eine Polizei brauchen würde. Allerdings musste diese sich von einer „Volkspolizei“ im Auftrag der SED zu einer Polizei des Volkes ohne ideologische Ausrichtung wandeln.
4.3.13 Umweltschutz
Angesichts der Tatsache, dass es bei der Friedlichen Revolution vor allem um den Sturz der SED-Diktatur ging, gab es verhältnismäßig viele Forderungen nach einer Verbesserung des Umweltschutzes (71), wovon 19 sich gegen konkrete Objekte richteten. Ursache dafür war die katastrophale Umweltsituation in der DDR infolge der SED-Politik.
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4.3.14 Flucht, Ausreise und Bleiben
Abb. 94: Ausreisen oder Bleiben (absolut)
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für Bleiben in der DDR für Gehen aus der DDR
Häufigen Forderungen nach einem Bleiben in der DDR (65) standen immerhin 19 Äußerun-gen für ein Fortgehen aus der DDR bzw. Verständnis für diesen Schritt entgegen. Die Stel-lungnahmen für ein Verlassen der DDR müssen im Verhältnis zur Zahl jener gesehen werden, die diesen Schritt auch tatsächlich taten. Auf den Demonstrationen war das Plädoyer für ein Fortgehen oft genug als Drohung zu verstehen, mit der Veränderungen in der DDR erreicht werden sollten. Forderungen, in der DDR zu bleiben, folgten der Intention, es sei nun endlich möglich, Veränderungen vor Ort zu erreichen. Mit ihnen verband sich nicht unbedingt ein Plädoyer für oder gegen den Erhalt des Staates DDR. Den höchsten Anteil erreichten sowohl die Forderungen für Bleiben und Gehen in der Woche vor dem 7. Oktober, also im Umfeld der Zugdurchfahrten von Flüchtlingen aus den bundes-deutschen Botschaften in Prag und Warschau. Einen neuerlichen Höhepunkt erreichte die Forderung zum Bleiben Ende Oktober, zu einem Zeitpunkt also, zu dem sich eine Liberalisie-rung der Ausreisepraxis durch Ankündigung eines neuen Reisegesetzes abzeichnete. Nach dem Mauerfall spielten die Forderungen nach Bleiben oder Gehen keine Rolle mehr.
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Abb. 95: Ausreisen oder Bleiben (prozentualer Anteil an den Forderungen der Woche)
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für Bleiben in der DDR für Gehen aus der DDR
Setzt man die Forderungen in Relation zu allen Parolen / Sprechchören, so zeigt sich deutlich eine Spitze um den 18. September herum, die sich vor allem in Leipzig lokalisieren lässt. Zu diesem Zeitpunkt wurde bei knapp einem Drittel aller Parolen / Sprechchöre für ein Wegge-hen aus der DDR plädiert. Dies unterstreicht die Vermutung, dass die Ausreisebewegung ein wesentlicher Auslöser der Proteste gegen das SED-Regime waren.
4.3.15 Streik, Gewerkschaft, Betriebe
Forderungen nach Veränderungen in den Betrieben wurden auf den Demonstrationen und auf Kundgebungen kaum erhoben (25). Das lag auch daran, dass allgemein davon ausgegangen wurde, dass sich bei einer SED-Entmachtung die Situation in den Betrieben ändern würde. Die ausgewerteten Unterlagen zeigen aber auch, dass das Themenfeld einer neuen Wirt-schaftsordnung und von konkreten Veränderungen in den Betrieben dort selbst sehr intensiv erörtert wurde, aber weniger Eingang in die Forderungen auf der Straße fand. Das galt auch für die Frage der Gewerkschaften. Öffentlich wurden praktisch keine Proteste gegen den FDGB vorgetragen (1), und auch die Zahl der Forderungen nach Bildung freier Gewerkschaf-ten hielt sich in Grenzen (12). Kennzeichnend für den gesamten Prozess der Friedlichen Re-volution war auch die fehlende Streikbereitschaft, die sich in einer geringen Anzahl entspre-chender Forderungen niederschlug (4). Hier wirkte die Einschätzung, man schade sich damit nur zusätzlich selbst. Dem entsprach auch die Haltung, Demonstrationen und Kundgebungen vor allem nach Feierabend durchzuführen (siehe zu den tatsächlich durchgeführten Streiks Abschnitt 4.1.1).
86
4.3.16 Rechts- und Linksradikalismus
Das Thema „Rechtsradikalismus“ spielte insofern eine Rolle, als insbesondere Gysi und Mod-row die Bemühung um deutsche Einheit als rechtsradikal zu diffamieren suchten. Der Begriff Linksradikalismus wurde im Westen auf die SED als Staatspartei eines benachbarten und dip-lomatisch anerkannten Staates zwar kaum angewandt, wohl aber auf die fast politisch de-ckungsgleichen Schwesterparteien der SED, die DKP und die SEW. Heute wissen wir, dass die SED sogar die Terrororganisation „Rote Armee Fraktion“ durch das MfS trainieren ließ, so dass die SED ohne weiteres als linksradikal bezeichnet werden kann. Vor diesem Hinter-grund sind die Proteste gegen die SED-Diktatur auch als solche gegen eine linksradikale oder linksextreme Parteiherrschaft anzusehen. Dies wiederum erklärt auch besser, warum die SED-PDS die Bemühungen um freiheitliche Demokratie und deutsche Einheit in die rechtsradikale Ecke zu stellen versuchte. Abb. 96: Rechtsradikalismus (absolut)
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rechtsradikale Außerungen gegen Rechtsradikalismus
Neben einigen Losungen, in denen eine tendenzielle Gleichsetzung von Rechts- und Linksra-dikalismus (Kommunisten und Nazis) erfolgte (8) gab es etwa gleichviel rechtsradikale Äuße-rungen (17) und Stellungnahmen gegen Rechtsradikalismus (18). Eine Relevanz für den revo-lutionären Prozess ist nicht erkennbar.
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Abb. 97: Rechtsradikalismus (prozentualer Anteil an den Forderungen der Woche)
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rechtsradikale Äußerungen gegen Rechtsradikalismus
Etwas anders sieht das Bild aus, setzt man Rechtsradikale und Äußerungen gegen Rechtsradi-kalismus in Relation zu allen Forderungen. Unwesentlich höher sind die Werte während der SED-PDS-Kampagne „gegen rechts und deutsche Einheit“. Erst im Wahlkampf machen Äu-ßerungen pro und contra je ca. 15 Prozent aller registrierten Parolen / Sprechchöre aus. Offen-sichtlich hängt dies mit dem verstärkten Auftreten entsprechender Aktivisten aus der Bundes-republik zusammen. Bei den Angaben muss allerdings beachtet werden, dass es erklärte Aufgabe des neuen Verfassungsschutzes und der Volkspolizei war, entsprechende Äußerun-gen zu registrieren. Gleichzeitig wurden andere Stellungnahmen, die als nicht mehr verfas-sungsfeindlich galten, nicht länger registriert. Vor diesem Hintergrund kann die Auseinander-setzung um Rechtsradikalismus für diesen Zeitpunkt als wenig relevant bewertet werden. Im Vordergrund stand in der Friedlichen Revolution die Abschaffung einer linksextremen Partei-diktatur durch das freiheitlich-demokratische System der Bundesrepublik Deutschland.
4.3.17 Aktivität, Gewalt
Der Anteil an Losungen und Sprechchören, mit denen dazu aufgerufen wurde, sich an De-monstrationen zu beteiligen (125), zu handeln (33) bzw. die Demonstrationen fortzusetzen (79), lag von Anfang Oktober bis Anfang Dezember bei knapp einem Prozent aller Parolen / Sprechchöre. Sicher hat sich manch einer davon überzeugen lassen, am nächsten Montag trotz Kälte und Regen (dem Standardwetter im Herbst und Winter 1989/90) wieder zur Demonstra-tion zu gehen. Außerdem dienten die Aufforderungen auch der Selbstdisziplinierung, mit den Protesten nicht nachzulassen. Und sie waren deutliche Signale an die SED, dass nicht damit zu rechnen sei, dass die Proteste nachlassen. Wesentlich häufiger waren Aufforderungen zur Gewaltlosigkeit (107), denen nur einige For-derungen zur Gewaltanwendung gegen die SED entgegenstanden (13). Hinter den Zahlen verbirgt sich eine überall zur Anwendung kommende Protestkultur, bei der die verantwortli-chen Organisatoren der Proteste, aber auch zuvor schon Vertreter der Kirche und des Neuen Forums, zur strikten Friedlichkeit aufriefen. Die offiziellen Parolen oder Sprechchöre wurden flankiert durch eine Vielzahl statistisch nicht registrierbarer Aufforderungen zur Friedlichkeit.
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Aufrufe zur Gewalt wurden, auch wenn dies nicht immer stimmte, als Provokationen des MfS stigmatisiert und damit wesentlich erschwert. Erkennbar ist, dass es schon Anfang September Aufrufe zur Gewaltlosigkeit gab. Vor allem in Leipzig entwickelte sich (neben Berlin) eine Kultur des gewaltlosen Widerstandes nach dem Vorbild Mahatma Gandhis und Martin Luther Kings. Erkennbar ist ein Ausschlag der Forderungen nach Gewaltanwendung Anfang Okto-ber. Dahinter verbergen sich die Rufe bei den gewaltsamen Auseinandersetzungen am Dresd-ner Hauptbahnhof. Um den 10. Dezember gab es einen Anstieg der Aufforderungen zur Ge-waltlosigkeit, der im Zusammenhang mit der Auflösung der Dienststellen der MfS/AfNS zu sehen ist. Ab Mitte Januar gab es ein erneutes Aufflammen der Aufforderungen zur Gewalt und zum Handeln. Dies stand im Zusammenhang mit den Versuchen der SED-PDS, die de-mokratische Volksbewegung zugunsten eines erneuerten Sozialismus als rechtsradikal zu dif-famieren, die deutsche Einheit zu verhindern und eigene Privilegien zu erhalten. Abb. 98: Aufruf zum Handeln, für und gegen Gewalt (absolut)
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gegen Gewalt/für Gewaltlosigkeit für Gewalt (gegen SED) Aufforderung zur Aktivität
4.3.18 Länder / Regionen
Nur gelegentlich gab es öffentlich vorgetragene Forderungen nach Länderbildung (15). Das lag vor allem daran, dass es in dieser Frage frühzeitig einen übergreifenden Konsens gab, der Forderungen überflüssig machte.
4.3.19 Jugend, Bildung und Erziehung
Ähnlich wie bei Fragen des Wirtschaftssystems standen Forderungen nach Veränderungen des Bildungssystems nicht im Vordergrund des Interesses. Auch hier wurden von der staatli-chen Einheit generelle Lösungen erwartet. Andererseits waren schnelle Änderungen in Rich-tung einer Entideologisierung notwendig. So dominierten in diesem Bereich Forderungen nach Erneuerung des Schulsystems (16) vor denen nach Abschaffung der vormilitärischen Erziehung (13) und Äußerungen gegen die FDJ und deren Kinderorganisation Pioniere (10).
4.3.20 Medien
Forderungen nach neuen Medien, einer objektiven Berichterstattung, verbunden mit Protesten gegen die bisherige Medienpolitik, gab es relativ häufig (76), war die freie Meinungsäußerung doch bereits ein Mittel der revolutionären Auseinandersetzung mit dem SED-Regime. Die Auseinandersetzung mit der Medienpolitik machte sich besonders an der Person des Fernseh-kommentators Karl-Eduard von Schnitzler fest (33), über den sich Spott und Hohn ergossen. Die Forderung nach Pressefreiheit verlor auch nach der Entmachtung der Staatspartei nicht an Bedeutung, ging es doch nun darum, unterschiedliche Auffassungen über den künftigen Weg publik zu machen.
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4.3.21 Konkrete Ereignisse und Losungen
Zahlreiche Forderungen bezogen sich auf konkrete Ereignisse und ebbten dann wieder ab. Dazu gehörten u. a. Forderungen nach Freilassung der Inhaftierten (27), nach Reisedevisen (20), für (24) und gegen (13) Dialog, nach Regierungsrücktritt (11), für schnelle freie Wahlen (33) sowie Proteste gegen Wendehälse (21) und Geldunterschlagung durch die SED bzw. PDS (10).
4.3.22 International
Keine Rolle spielten bei Losungen und Sprechchören internationale Faktoren. Einzige Aus-nahme waren Solidarisierungen mit den Veränderungen in Ungarn (11), Rumänien (9) und in der ČSSR (8). Ungeachtet dessen war die Bedeutung der internationalen Politik, insbesondere der Haltung der Sowjetunion, natürlich bekannt und unstrittig. Schwerpunkt waren aber die selbst realisierte Demokratisierung des eigenen Staatswesens. Die entsprechenden Aktivitäten der DDR-Bevölkerung selbst waren die Botschaft an die internationale Staatenwelt. 5. Schlussbemerkung Abschließend sei noch einmal angemerkt, dass die vorgestellten Diagramme als Ergänzung der zeitgeschichtlichen Darstellung „Die Friedliche Revolution. Aufbruch zu Demokratie in Sachsen 1989/90“ konzipiert wurden. Frühe Rückmeldungen lassen erkennen, dass die Zweckmäßigkeit gesehen wird, die Entwicklung in der gesamten DDR mit Mitteln der quanti-tativen Analyse zu erfassen und auszuwerten. Erst dann kann der sächsischen Entwicklung durch Vergleich die ihr gebührende Bedeutung beigemessen werden.
91
6. Anhang 6.1 Verzeichnis der Diagramme
Abb. 1: Aufteilung der registrierten Ereignisse auf die Monate ............................................. 8
Abb. 2: Ereignisse, Teilnehmer und Parolen insgesamt (absolut) ........................................ 13
Abb. 3: Veranstaltungen nach Typ (absolut) ........................................................................ 14
Abb. 4: Anteil der Proteste bzw. Dialoge an den Veranstaltungen in der Woche (Rest zu 100 % sind z.B. Bürgerinitiativen und systemnahe Veranstaltungen)..................... 14
Abb. 5: Protestarten ohne Streiks (absolut)........................................................................... 15
Abb. 6: Zahl der Demonstrationen / Kundgebungen in den Kreisen .................................... 16
Abb. 7: Prozentuale Aufteilung der Demonstrationen / Kundgebungen und der Teilnehmer auf die sächsischen Bezirke...................................................................................... 16
Abb. 8: Verteilung der Einwohner auf die drei sächsischen Bezirke.................................... 17
Abb. 9: Proteste in den Kreisen (aufgeschlüsselt nach Bezirken)......................................... 18
Abb. 10: Zahl der Demonstrationen / Kundgebungen in Tagen (Oktober 1989 bis Februar 1990) ........................................................................................................................ 19
Abb. 11: Streiks (absolut) ...................................................................................................... 20
Abb. 12: Erfasste Demonstrationen / Kundgebungen............................................................. 20
Abb. 13: Anzahl der Demonstrationen in den sächsischen Bezirken ..................................... 22
Abb. 14: Teilnehmer an Demonstrationen in den sächsischen Bezirken................................ 22
Abb. 15: Protestaktionen Einzelner (Plakate, Flugblätter, Drohungen).................................. 23
Abb. 16: Teilnehmer an Demonstrationen nach Tagen Oktober 1989 bis Februar 1990 aufgeschlüsselt nach Bezirken (absolut) .................................................................. 23
Abb. 17: Teilnehmer an Demonstrationen nach Tagen Oktober bis Dezember 1989 aufgeschlüsselt nach Bezirken (absolut) .................................................................. 24
Abb. 18: Protestteilnehmer in den Bezirkstädten (absolut)..................................................... 25
Abb. 19: Anteil der Teilnehmer an Demonstrationen in der Bezirksstadt, bezogen auf alle Demonstrationsteilnehmer im Bezirk ...................................................................... 25
Abb. 20: Verteilung der Veranstaltungen mit überdurchschnittlicher Teilnahme (>40 %) der regionalen Bevölkerung auf die Bezirke.................................................................. 26
Abb. 21: Anzahl der Demonstrationen und Teilnehmer im Zeitraum Oktober 1989 bis Februar 1990 (angeordnet nach der Anzahl der Demonstrationen) ......................... 27
Abb. 22: Summe der Demonstrationsteilnehmer (in Wochen) nach Größe des Ortes ........... 28
Abb. 23: Mobilisierung in den Bezirksstädten (tagesgenau) .................................................. 29
Abb. 24: Mobilisierung in den Bezirken (Demonstranten bezogen auf alle Einwohner des Bezirkes) – tagesgenau (Anteil Bezirksstadt grün markiert) ................................... 30
Abb. 25: Mittlere wöchentliche Beteiligung an Demonstrationen in den Bezirken ............... 31
Abb. 26: Mobilisierung nach Tagen Oktober 1989 bis Februar 1990 in den Bezirken .......... 32
Abb. 27: Mobilisierung nach Tagen Oktober 1989 bis Februar 1990 .................................... 33
92
Abb. 28: Maximale Mobilisierung in den einzelnen Orten Sachsens mit Mittelung (Orte nicht aufgeführt)................................................................................................................ 34
Abb. 29: Mobilisierung in der Woche 13.11.–20.11.1989...................................................... 35
Abb. 30: Mobilisierung in der Woche 20.11.–26.11.1989...................................................... 35
Abb. 31: Mobilisierung in der Woche 8.1.–14.1.1990............................................................ 36
Abb. 32: Mobilisierung in der Woche 15.1.–21.1.1990.......................................................... 36
Abb. 33: Orte mit hoher maximaler Mobilisierung (an einem Tag im Zeitraum Oktober 1989 bis Februar 1990) ..................................................................................................... 37
Abb. 34: Orte mit geringer maximaler Mobilisierung (an einem Tag im Zeitraum Oktober 1989 bis Februar 1990) ............................................................................................ 37
Abb. 35: Maximale Mobilisierung (an einem Tag im Zeitraum Oktober 1989 bis Februar 1990) in den Kreisstädten......................................................................................... 38
Abb. 36: Maximale Mobilisierung (an einem Tag im Zeitraum Oktober 1989 bis Februar 1990) in kleineren Orten (>5.000) ........................................................................... 39
Abb. 37: Maximale Mobilisierung (an einem Tag im Zeitraum Oktober 1989 bis Februar 1990) in den Kreisen ................................................................................................ 39
Abb. 38: Mobilisierung am Montag bezogen auf die Gesamtbevölkerung der drei sächsischen Bezirke ..................................................................................................................... 40
Abb. 39: Verteilung der Montagsdemonstranten auf sächsische Städte ................................. 40
Abb. 40: Mobilisierung in den Bezirksstädten zu den Montagsdemonstrationen................... 41
Abb. 41: Aktivitätskoeffizient im Überblick ohne Angabe der Städte ................................... 42
Abb. 42: Aktivitätskoeffizient Bezirk Leipzig........................................................................ 42
Abb. 43: Aktivitätskoeffizient Bezirk Dresden....................................................................... 43
Abb. 44: Aktivitätskoeffizient Bezirk Karl-Marx-Stadt ......................................................... 43
Abb. 45: Dialogarten (absolut)................................................................................................ 44
Abb. 46: Dialoge in den Kreisen (aufgeschlüsselt nach Bezirken)......................................... 45
Abb. 47: Anzahl Runder Tische pro Tag ................................................................................ 46
Abb. 48: Anzahl Runder Tische pro Woche ........................................................................... 46
Abb. 49: Anzahl Runder Tische pro Woche in den Bezirken................................................. 47
Abb. 50: Proteste / Dialoge (absolut) ...................................................................................... 48
Abb. 51: Protest / Dialog prozentual....................................................................................... 49
Abb. 52: Proteste und Dialoge in den Kreisen (Anzahl absolut, nach Protest geordnet)........ 50
Abb. 53: Proteste und Dialoge in den Kreisen (Anzahl absolut, nach Dialog geordnet)........ 50
Abb. 54: Flüchtlinge / Ausreiser (DDR insgesamt) und Protestteilnehmer (Sachsen) (zur Normierung ist die Gesamtzahl der Abwanderer [582.238] bzw. der Protestler [8.179.870] jeweils = 100 % gesetzt )...................................................................... 52
Abb. 55: Ausreisen oder Bleiben (prozentualer Anteil an den Forderungen der Woche) ...... 53
93
Abb. 56: Gesamtzahl der Parolen in der Woche ab ................................................................. 54 Abb. 57: Gesamtanzahl der Nennungen in den verschiedenen Parolenkategorien von
September 1989 bis März 1990................................................................................ 55
Abb. 58: Parolennennungen pro Woche in den Bezirken ....................................................... 56 Abb. 59: Hauptforderungen 1 bis 10 (absolut)........................................................................ 57 Abb. 60: Hauptforderungen 1 bis 5 (absolut).......................................................................... 57 Abb. 61: Hauptforderungen 1-5 (prozentualer Anteil der Kategorien an den Forderungen der
Woche) ..................................................................................................................... 58 Abb 62: Hauptforderungen 6 bis 10 (absolut)........................................................................ 59 Abb 63: Hauptforderungen 6-10 (prozentualer Anteil der Kategorien an den Forderungen der
Woche) ..................................................................................................................... 59 Abb. 64: Anzahl der Parolen nach Kategorien im Vergleich (absolut) .................................. 60 Abb. 65: Forderungen nach Demokratie in den Kreisen (Freiheit und deutsche Einheit
eingeblendet) ............................................................................................................ 61 Abb. 66: Forderungen nach Freiheit in den Kreisen (Demokratie und deutsche Einheit
eingeblendet) ............................................................................................................ 62 Abb: 67: Forderungen nach deutscher Einheit in den Kreisen (Demokratie und Freiheit
eingeblendet) ............................................................................................................ 62 Abb. 68: Forderungen nach Freiheit, Demokratie und deutscher Einheit in Orten mit
unterschiedlicher Einwohnerzahl ............................................................................. 63 Abb. 69: Forderung nach Demokratie in den Bezirken .......................................................... 64 Abb. 70: Forderung nach Freiheit in den Bezirken................................................................. 65 Abb. 71: Für DDR / für deutsche Einheit (absolut) ................................................................ 66 Abb. 72: Für DDR / für deutsche Einheit (prozentualer Anteil der Kategorien an den
Forderungen der Woche).......................................................................................... 67 Abb. 73: Forderung nach deutscher Einheit in den Bezirken ................................................. 68 Abb. 74: Auseinandersetzung mit dem DDR-System, Proteste gegen Funktionäre (absolut) 69 Abb. 75: Auseinandersetzung mit dem DDR-System, Proteste gegen Funktionäre
(prozentualer Anteil der Kategorien an den Forderungen der Woche) .................... 69 Abb. 76: Auseinandersetzung mit dem DDR-System: Wahlbetrug, DDR unfrei, Schämt
Euch, Strafandrohungen (prozentualer Anteil an den Forderungen der Woche)..... 70 Abb. 77: Für / gegen SED/SED-PDS/PDS (absolut) .............................................................. 71 Abb. 78: Für/ gegen SED/SED-PDS (prozentualer Anteil der Kategorien an den Forderungen
der Woche) ............................................................................................................... 72 Abb. 79: Für neue Gruppen und für Parteien (absolut)........................................................... 72 Abb. 80: Für neue Gruppen und für Parteien (prozentualer Anteil der Kategorien an den
Forderungen der Woche).......................................................................................... 73 Abb. 81: Für neue Gruppen und für Parteien (prozentualer Anteil der Kategorien an den
Forderungen der Woche – Trend) ............................................................................ 73 Abb. 82: Für Neues Forum und gegen SED/SED-PDS/PDS (prozentualer Anteil an den
Forderungen der Woche).......................................................................................... 74 Abb. 83: Für Reformen in der DDR und für deutsche Einheit (absolut) ................................ 75 Abb. 84: Für Reformen in der DDR und für deutsche Einheit (prozentualer Anteil der
Kategorien an den Forderungen der Woche) ........................................................... 76
94
Abb. 85: Für Reformen in der DDR und für deutsche Einheit (prozentualer Anteil der Kategorien an den Forderungen der Woche – Trend).............................................. 76
Abb. 86: Gegen Personen: Honecker, Krenz, Gysi, regionale Funktionäre (absolut) ............ 77 Abb. 87: Gegen Personen: Honecker, Krenz, Gysi, regionale Funktionäre (prozentualer
Anteil an den Forderungen der Woche) ................................................................... 78 Abb. 88: Gegen Personen: Honecker, Krenz, Gysi, regionale Funktionäre (prozentualer
Anteil an den Forderungen der Woche – Trend)...................................................... 79 Abb. 89: Gegen MfS/AfNS/DDR-Verfassungsschutz (absolut)............................................. 80 Abb. 90: Gegen MfS/AfNS/DDR-Verfassungsschutz (prozentualer Anteil an den
Forderungen der Woche).......................................................................................... 81 Abb. 91: Gegen MfS/AfNS/DDR-Verfassungsschutz (prozentualer Anteil an den
Forderungen der Woche – Trend) ............................................................................ 81 Abb. 92: Gegen MfS/VP/Kampfgruppen (absolut) ................................................................ 82 Abb. 93: VP, Kampfgruppen (prozentualer Anteil an den Forderungen der Woche) ............ 83 Abb. 94: Ausreisen oder Bleiben (absolut) ............................................................................. 84 Abb. 95: Ausreisen oder Bleiben (prozentualer Anteil an den Forderungen der Woche) ...... 85 Abb. 96: Rechtsradikalismus (absolut) ................................................................................... 86 Abb. 97: Rechtsradikalismus (prozentualer Anteil an den Forderungen der Woche) ............ 87 Abb. 98: Aufruf zum Handeln, für und gegen Gewalt (absolut) ............................................ 88 Abb. 99: Aufruf zum Handeln, für und gegen Gewalt (prozentualer Anteil der Kategorien an
den Forderungen der Woche)................................................................................... 89
95
6.2 Verzeichnis der Tabellen Tab. 1: Prinzip der räumlichen Erfassung .............................................................................. 5
Tab: 2: Prinzip der Typisierung der Veranstaltungen / Aktionen........................................... 6
Tab: 3: Prinzip der Kategorisierung der Parolen .................................................................... 6
Tab. 4: Einwohner Bezirk Karl-Marx-Stadt ......................................................................... 10
Tab. 5: Einwohner Bezirk Dresden ...................................................................................... 10
Tab. 6: Einwohner Bezirk Leipzig ....................................................................................... 11
Tab: 7: Veranstaltungen........................................................................................................ 11
Tab: 8: Teilnehmer an Protestveranstaltungen ..................................................................... 11
Tab: 9: Teilnehmer an Protestveranstaltungen in den Bezirksstädten.................................. 11
Tab: 10: Anzahl der Orte, in denen Veranstaltungen stattgefunden haben ............................ 12
Tab: 11: Regionale Verteilung der Parolen-Nennungen auf die Bezirke ............................... 12
Tab: 12: Erfasste Kreise.......................................................................................................... 12
Tab. 13: Protestarten............................................................................................................... 15
Tab. 14: Teilnehmer an Protestveranstaltungen (alte Bezirke Leipzig, Karl-Marx-Stadt und Dresden) ................................................................................................................... 21
Tab: 15: Teilnehmer an Protesten in den Bezirksstädten im Verhältnis zu den Bezirken ..... 26
Tab: 16: Dialogarten ............................................................................................................... 44
Tab. 17: Anzahl von Protest- und Dialogveranstaltungen...................................................... 48
Tab: 18: Regionale Verteilung der Veranstaltungen auf die Bezirke..................................... 51
Tab: 19: Veranstaltungen in den Bezirksstädten .................................................................... 51
Tab: 20: Flüchtlinge und legal Ausreisende aus der DDR in die Bundesrepublik................. 52
Tab: 21: Regionale Verteilung der Parolen-Nennungen auf die Bezirke 55 .......................... 95
Tab: 21: Regionale Verteilung der Parolen-Nennungen auf die Bezirke 55
Michael Richter: Die Friedliche Revolution Aufbruch zur Demokratie in Sachsen 1989/90, 2 Bände Schriften des Hannah-Arendt-Instituts 38 Göttingen 2009 ISBN 978-3-525-36914-2, 1612 Seiten mit 71 Abb., 4 Karten und zahlreichen. Tabellen. und Diagrammen, gebunden im Buchhandel erhältlich
Mit diesem Buch liegt erstmals eine ausführliche zeitgeschichtliche Darstellung des Prozesses der SED-Entmachtung und der Demokratisierung bis zur Märzwahl 1990 vor. Ergänzt wird der Text durch zahlreiche Diagramme, mit denen die Stimmen der Bevölkerung quantitativ erfasst und ausgewertet werden. Am Beispiel Sachsens, des Schrittmachers der Revolution, werden die Entwicklungen in Bezirken, Kreisen, Kommunen und Betrieben in Wechselwir-kung mit der internationalen und nationalen Politik untersucht und die Haupttriebkräfte der Entwicklung beschrieben. Das Buch wird das Bild der „Wende“ nachhaltig beeinflussen. Es lässt keinen Zweifel daran, dass die Bevölkerung der zentrale Akteur der Ereignisse war. So wird plausibel, warum die Entwicklung nicht bei einer Erneuerung der DDR stehen blieb, sondern in die deutsche Einheit einmündete.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen