Inklusionsforschung zwischen Normativität und Empirie – Abgrenzungen und BrückenschlägeArbeitstagung 2019 der AG Inklusionsforschung in der DGfE am 28. und 29. Juni 2019 an der Pädagogischen Hochschule Freiburg i. Br.
Die Arbeitsgemeinschaft Inklusionsforschung hat als Ziel, einen Ort zu schaffen, an dem die Bedeutung von Inklusion in Forschung und Lehre über die teildisziplinären Grenzen hinweg diskutiert werden kann. Nach den beiden bisherigen Tagungen der AG „Differenz als Fokus der Inklusionsfor-schung“ an der Universität zu Köln und „Erziehungswissenschaftliche Inklusionsfor-schung. Norm – Behinderung – Gerechtigkeit“ an der Europa-Universität-Flensburg, wird die kommende Tagung am 28./29. Juni 2019 an der Pädagogischen Hochschule Freiburg ausgerichtet. Im Zentrum steht hierbei die Frage nach einer Verhältnisbestimmung von Normativi-tät und Empirie in Bezug auf Gegenstände der Inklusionsforschung.Der Debatte um Inklusion wird oft ein ausgeprägt normativer Blick vorgeworfen. In diesem Zusammenhang gibt es einen Ruf nach empirischen Studien, wobei aus me-thodologischen Debatten bekannt ist, dass auch diese nicht vor der Reproduktion normativer Annahmen gefeit sind. Im Rahmen der Tagung sollen daher sowohl theoretische als auch methodologische Beiträge Raum finden zu der Frage, inwiefern eine Normativität in der Inklusionsde-batte problematisch oder auch sinnvoll ist und wie mit Normativität in empirischen Studien umgegangen werden kann bzw. sollte.Auch bei der Arbeitstagung 2019 in Freiburg werden diskursstarke und interaktive Formate (Forschungswerkstätten, Impulsrunden, Themenforen) eine zentrale Rolle spielen. Wir freuen uns sehr, Sie in Freiburg zu begrüßen.
Kontakt: [email protected]
Informationen und Anmeldung zur Tagung: https://www.ph-freiburg.de/ew/tagungaginklusionsforschung2019.html
OrganisationLokales Tagungsteam: Bettina Fritzsche (PH Freiburg), Andreas Köpfer (PH Freiburg), Monika Wagner-Willi (PH FHNW)Erweitertes Tagungsteam: Anselm Böhmer (PH Ludwigsburg), Hannah Nitschmann (Universität zu Köln), Charlotte Rott-Fournier & Florian Weitkämper (PH Freiburg)
ProgrammübersichtFreitag, 28.06.2019
09.00-09.30 Uhr Ankunft und Anmeldung (Raum KG 5, 103)
09.30-09.45 Uhr Begrüßung durch Prof. Dr. Ulrich Druwe, Rektor der Pädagogischen Hochschule Freiburg (Raum KG 5, 103)
09.45-10.45 Uhr Keynote I (Raum KG 5, 103)
Normativität und Beobachtung. Flucht/Migration als Gegenstand sozial- und erziehungswissenschaftlicher In-/ExklusionsforschungMarcus Emmerich (Universität Tübingen)Ulrike Hormel (Pädagogische Hochschule Ludwigsburg)
11.00-12.30 Uhr Themenforen I
Forum "Unterricht und Akteur*innen"Moderation: Juliane Leuders
Forum "Zwischen Diskurs und Praxis I"Moderation: Hanna Siegismund
Symposium "Zur Funktion von Kritik"Moderation: Florian Weitkämper
Forum "Hochschule"Moderation: Anna Großhauser
Forum "Zwischen Diskurs und Praxis II"Moderation: Anselm Böhmer
Raum KG 5, 013 Raum KA 209 Raum KG 5, 103 Raum KG 3, 003 Raum KG 3, 004
Formen der unter-richtlichen Inklu-sion = Qualitäten der Inklusion?Daniel Goldmann
Normativität in Handreichungslite-ratur zur Inklusi-ven Schule – Eine Rekonstruktion gegenstandstheo-retischer Prämis-senVildan Aytekin, Mareike Brunk & Ronja Giesen
Zur Funktion von ‚Kritik‘ durch Wis-senschaft. Über das Verhältnis von rekonstruk-tiver Forschung und normativen Ansprüchen an inklusive Schulent-wicklungMarkus Dederich, Thorsten Merl & Kerstin Rabenstein
Positionierungen im Studierenden-diskurs zu Inklu-sion. Ergebnisse einer diskursana-lytischen StudieMarian Laubner
Die Zuschreibung von (In-) Kompe-tenz in der früh-kindlichen Bildung und Betreuung im Kontext von Inklu-sionSylvia Nienhaus
Differenzpro-duktion und -bearbeitung in inklusionsorien-tierten Schulen mit Schulassis-tenz – Empirische, methodische und methodologische Überlegungen zum Umgang mit dop-pelter NormativitätKatrin Ehrenberg
Normativität schu-lischer Inklusion – Ein Blick auf Dis-kurs und EmpirieBettina Reiss-Semmler
„Homogenität wird dann immer di-rekt kritisiert und gesagt, ‚nein, wir müssen aber In-klusion machen‘“. Diskurse von Lehr-amtsstudierenden zu Inklusion und der Be-Deutung von NormativitätSusanne Gottuck
Machtsensible qualitativ-empiri-sche Forschungs-praxis im normati-ven Wissens- und Handlungsfeld „inklusive digitale (Schul-) Entwick-lung“ – eine erste terrainsondierte Bestandsaufnah-meChristian Filk &Ann-Kathrin Stoltenhoff
Normen gegen Visionen. Wie Autismusratgeber Inklusionsvorstel-lungen begrenzenYannick Zobel
(Hetero-)Norma-tivität aufbrechen – Perspektiven von Dozierenden auf Vielfalt in der LehramtslehreHannah Becker, Franziska Schreiter, Tammo Varbelow & Carolin Vierneisel
Inklusionsver-ständnisse von pädagogischen Fachkräften und Expert*innen schulischer Inklu-sion in menschen-rechtlicher Pers-pektiveJürgen Gerdes,Lars Heinemann &Uwe H. Bittling-mayer
12.30-13.30 Uhr Mittagessen
13.30-16.00 Uhr Forschungswerkstätten
FoWe 1Moderation: Monika Wagner-Willi
FoWe 2Moderation: Katharina Papke
FoWe 3Moderation: Tanja Sturm
FoWe 4Moderation: Andrea Dlugosch
FoWe 5Moderation: Argyro Panagiotopoulou
FoWe 6Moderation: Jürgen Budde
Raum KG 4, 011 Raum KA 102 Raum KG 3, 004 Raum KG 5, 013 Raum KG 5, 103 Raum KG 3, 003Inklusive und integrative Kindertages-betreuung als Prozess multi-professioneller Zusammenar-beitGabriele Müller
Inklusive Ord-nungen sys-temtheoretisch beobachtenJürgen Braun, Karola Cafantaris, Oliver Hollstein & Wolfgang Meseth
Machtvolles Schüler/innen-handeln – Zur praktischen Bearbeitung pädagogischer Ordnungen im Kontext In-klusion durch Schüler/innen mit und ohne Assistenz. Ursula Böing
Reflexive Nor-mativität re-konstruktiver Sozialforschung am Beispiel eines Disser-tationsprojekts im teilhabezen-trierten Feld Sozialer Arbeit mit Frauen in sozialpsychiat-rischen Wohn-heimenJosephina Schmidt
Zur Norma-tivität päd-agogischer Praktiken. Methodologi-sche und me-thodische Über-legungen zur Rekonstruktion von WertungenTilman Drope, Kerstin Rabenstein & Mark Schäffer
„Nein, du bist noch kein Re-gelschüler…!“ – Exkludierte Inklusion von neuzugewan-derten Kindern und Jugendli-chen an einem Gymnasium in NRWLisa Rosen & Fenna tom Dieck
Samstag, 29.06.2019
09.00-10.30 Uhr Impulsrunde (Raum KG 5, 103)Drei Kurzimpulse mit anschließender Diskussion im Plenum
„Inklusion im Spannungsfeld zwischen Normativität und Empirie“Anja Hackbarth (Universität Mainz)Wolfgang Meseth (Universität Marburg)Michelle Proyer (Universität Wien)
10.45-12.15 Uhr Themenforen II
16.00-17.30 Uhr Podiumsdiskussion (Raum KG 5, 103)
AG Inklusionsforschung – quo vadis?Podiumsgäste:Jürgen Budde (Europa-Universität Flensburg; Initiator/innengruppe der AG Inklusionsforschung)Harm Kuper (Freie Universität Berlin, Vorsitzender Vorstand der DGfE)Vera Moser (Humboldt Universität zu Berlin; DGfE Sektion Sonderpädagogik)Sabine Hornberg (Technische Universität Dortmund; DGfE SIIVE)Kerstin Rabenstein (Universität Göttingen; DGfE Sektion Schulpädagogik)Anja Tervooren (Universität Duisburg-Essen; Allgemeine Pädagogik)Michaela Vogt (Universität Bielefeld; DGfE Sektion Historische Bildungsforschung)
Moderation: Uwe H. Bittlingmayer (Pädagogische Hochschule Freiburg)
17.45-18.45 Uhr Postersession / Reflecting Teams (Raum KG 5, 103)
Ab 19.30 Uhr Gemeinsames Abendessen im Adelhaus Restaurant
FoWe „Raumtheo-retische Per-spektiven“Moderation: Monika Wagner-Willi
FoWe„Inklusive Berufsbera-tung?“Moderation: Lisa Rosen
Forum „Partizipa-tive Forschung“Moderation: Charlotte Rott-Fournier
Forum „Methodolo-gische Fragen“Moderation: Hannah Nitschmann
Forum „Normativi-tät im Fokus“Moderation: Yannick Zobel
Forum „Theoreti-sche Fragen“Moderation: Stephanie Warkentin
Raum KG 4, 011 Raum KA 209 Raum KG 5, 013 Raum KA 211 Raum KG 5, 103 Raum KG 3, 003Frau Kessels Burschen. Raumtheoreti-sche Perspek-tiven auf das Zusammenspiel von Männlich-keit und dis_abilityTobias Buchner
Inklusive Be-rufsberatung? Eine Analy-se zu Macht, Empowerment und Selbstbe-stimmung von Jugendlichen mit sog. „Be-hinderung“ am Übergang von SEK I in (Aus-)BildungSimone Engler & Helga Fasching
Rekonstruktiv und partizipativ forschenSebastian Hempel, Anna Nutz & Matthias Otten
Systemthe-oretische Analyseoptio-nen vor dem Hintergrund empirischer Fragestellungen im Kontext des Inklusionsdis-kursesMartina Kaack
Normativität, Normalität und Normalis-mus. Vorzüge begrifflicher Differenzierung für die Inklusi-onsdebatteMiklas Schulz
Die Orientie-rungsfunktion des Norma-tiven. Zur bildungsthe-oretischen Grundlegung von Empirie in der Inklusions-forschungAnke Redecker
12.15-12.45 Uhr Mittagspause / Snack
12.45-13.30 Uhr Keynote II (Raum KG 5, 103)
Problemdefinitionen und Konzepte von Diskriminierung in der Bildungsforschung: Spannungen zwischen Menschenrechtsansatz und WirksamkeitsorientierungMechtild Gomolla (Helmut Schmidt Universität Hamburg)
13.30-14.00 Uhr Abschlussdiskussion / Ausblick (Raum KG 5, 103)
14.00 Uhr Abschluss / Abreise
Implikationen bei Inklusions-forschungspro-zessenErich Otto Graf
Grenzbeziehun-gen und Grenz-bearbeitung als mögliche Erweiterung der Inklusions-forschungBianca Baßler & Kathrin Leipold
Inklusion als Feld von bil-dungspoliti-scher Normati-vitätJürgen Budde
Theorie schuli-scher Inklusion. Vorstellung ei-nes VorschlagsJennifer Lambrecht
Erfahrungen einer inklusiven For-schungsgruppeForschungs-gruppe Kreativ-werkstatt
Der Capabili-ties-Ansatz als normativ-theo-retischer Metrik für Inklusion am Beispiel der SGB VIII- ReformdebatteBenedikt Hopmann
Keynotes
Marcus Emmerich & Ulrike Hormel
Normativität und Beobachtung. Flucht/Migration als Gegenstand sozial- und
erziehungswissenschaftlicher In-/Exklusionsforschung
Der Vortrag wird Normativität als eine (Selbst-)Beobachtungsweise konturieren, die in
sachlicher, sozialer und zeitlicher Hinsicht zwischen Sein und Sollen unterscheidet und
daraus Reflexionsoptionen gewinnt. Wissenschaftliche Normativitätsthematisierungen
können daher auch Hinweise auf methodisch-methodologische Beobachtungsprobleme
geben: Die Schwierigkeiten, ‚Inklusion‘ nicht nur als pädagogische und politische
Programmatik, sondern auch als empirischen Gegenstand zu begründen, resultieren
womöglich aus dem Umstand, Zukunft (Sollen) zwar beschreiben, aber nicht als
Phänomen (Sein) beobachten zu können. Faktisch, so die These, weicht die
Inklusionsforschung in der Gegenwart deshalb auf personenbezogene
Exklusionsforschung aus.
Die erkenntnislogisch begründete (normative!) Forderung, ‚von der
Migrant*innenforschung zur Migrationsforschung‘ übergehen zu müssen, markiert ein
ähnlich gelagertes Beobachtungsproblem: Um den Gegenstand ‚Migration‘ als
gesellschaftlich konstituiertes Phänomen verstehen zu können, muss empirisch von einer
Personenbeschreibung im Modus politischer und moralischer Normativität auf die
Beobachtung der strukturgenerierenden In-/Exklusions-Praxis gesellschaftlicher
Institutionen, Systeme und Organisationen umgestellt werden. Am Beispiel eines eigenen
Forschungsprojekts zur Inklusion neu migrierter Schüler*innen in und durch kommunale
Bildungssysteme werden die theoretischen und empirischen Implikationen dieser
Perspektivverschiebung skizziert und zur Diskussion gestellt.
Mechtild Gomolla
Problemdefinitionen und Konzepte von Diskriminierung in der
Bildungsforschung: Spannungen zwischen Menschenrechtsansatz und
Wirksamkeitsorientierung
Vor dem Hintergrund rechtlicher Änderungen (u.a. AGG, BRK) werden auch in
Deutschland seit einiger Zeit normative schulpolitische Ziele der Inklusion, gerechten
Teilhabe und Nicht-Diskriminierung in neue Verfahren der Output- und
Wettbewerbssteuerung integriert. Besonders ausgeprägt ist diese Tendenz im schulischen
Umgang mit ‚Behinderung‘ sowie im Kontext von Migration und sozialer Ungleichheit. In
beiden Diskurszusammenhängen soll eine v.a. empirisch-quantitativ ausgerichtete
pädagogische Wirksamkeitsforschung auf methodisch abgesichertem Weg politisches und
pädagogisches Handeln orientieren und Wissen generieren, ob und in welchem Maße
Interventionen wirken.
Der Vortrag untersucht das Verhältnis von Normativität und Empirie innerhalb
gegenwärtig vorherrschender Ansätze der Wirksamkeitsforschung aus einer
metatheoretischen Perspektive. Aus dem Blickwinkel der Erkenntnispolitik wird die Frage
verfolgt, wie Aspekte der Gerechtigkeit und Diskriminierung in gegenwärtig dominanten
Ansätzen der pädagogischen Wirksamkeitsforschung inkorporiert, verzerrt oder
ausgeschlossen werden und welche Folgen daraus für Bildungsprozesse und -verläufe der
Schüler_innen resultieren sowie der Möglichkeiten von Lehrkräften u.a. Akteuren,
inklusive Entwicklungen zu gestalten. Auf der Basis von Literatur- und Diskursanalysen
wird nachgezeichnet, wie mit der Inkorporierung von Erfordernissen der Inklusion und
migrationsbedingten Heterogenität in die Output- und Wettbewerbssteuerung ein Abzug
der Aufmerksamkeit von sozialen Exklusions- und Ungleichheitsverhältnissen –
insbesondere von Fragen sozialer Macht – als strukturelle Barrieren des Schulerfolgs aber
auch als Gegenstand politischer Bildungsprozesse einhergeht, während organisationale,
technische und betriebswirtschaftliche Belange in den Vordergrund gerückt werden.
Im Schlussteil stelle ich in Anlehnung an Nancy Frasers Theorie der demokratischen
Gerechtigkeit ein alternatives Konzept sozialer Effektivität vor. Dabei sollen auch
Anknüpfungspunkte für die empirische Erforschung der Wirkung (oder auch Nicht-
Wirkung) von Schule identifiziert werden, welche als Wissensgrundlage für
transformierende Politiken der Gerechtigkeit dienen können.
Symposium
Markus Dederich, Thorsten Merl & Kerstin Rabenstein
Zur Funktion von ‚Kritik‘ durch Wissenschaft. Über das Verhältnis von
rekonstruktiver Forschung und normativen Ansprüchen an inklusive
Schulentwicklung
Eine rekonstruktive Forschung, die in Bezug auf das, was in Schulen im Zeichen der
Reformagenda Inklusion implementiert wird, neue theoretische Perspektiven generieren
möchte, steht einer Gegenstandsbestimmung skeptisch gegenüber, die sich sehr nah an
pädagogisch präskriptiven Inklusionskonzepten orientiert (vgl. Rabenstein 2016: 240;
Merl 2019: 49ff). Dies deshalb, weil eine solche Gegenstandsbestimmung den
Forschungsfokus vor allem dahingehend eingrenzt, das Ge- oder Misslingen einer Praxis
empirisch zu analysieren (Meseth 2011: 178). Es wird also eher evaluiert und nicht neue
theoretische Perspektiven generiert. Das Anliegen der Theoriegenerierung bzw. des
Verstehens des Reformprozesses erscheint wiederum aus der Perspektive einer
rekonstruktiven Inklusionsforschung, die sich an normativen Bestimmungen des
Gegenstandes orientiert und infolgedessen auch der Kritik nicht enthält, unzureichend
(Dederich i.E.): Zwar werde so methodisch abgesichert neues Wissen generiert, nicht
aber der gesellschaftliche bzw. pädagogische Prozess der Schulentwicklung auch kritisch
begleitet; es fehle schlicht der Maßstab.
Die Ergebnisse – so die Kritik – einer ja immer auch anwendungsbezogenen
pädagogischen Forschung liefen ins Leere, wenn kein Beitrag zur Verbesserung
pädagogischer Praxis angestrebt würde. Das Themenforum geht dem Verhältnis von
Kritik und Wissenschaft mit zwei Impulsvorträgen nach. Es will Raum zur Diskussion
möglicher Positionsbestimmungen und Begründungen bezüglich der Frage nach den
Möglichkeiten und Grenzen einer ‚kritischen‘ Wissenschaft im Feld der Reformagenda
Inklusion bieten. In einem ersten Beitrag wird Markus Dederich die These entwickeln,
dass die rekonstruktive Inklusionsforschung, will sie sich kritisch zu ihrem
Forschungsgegenstand verhalten, eine zumindest minimal-normative Theorie der
Inklusion bzw. der ‚Inklusivität’ pädagogischer Prozesse benötigt.
Hierbei ist der Gedanke zentral, dass begründete Kriterien der Kritik nicht dem
beobachteten Feld entnommen werden können.
In einem zweiten Beitrag werden Thorsten Merl und Kerstin Rabenstein in
diskurstheoretischer Perspektive vorliegende empirisch-rekonstruktive Studien zu
Inklusion daraufhin befragen, wie jeweils der Forschungsgegenstand mithilfe welcher
Problematisierungen konstruiert wird und wie welche Maßstäbe für Kritik im
Forschungsprozess gewonnen und wie legitimiert werden. Der Beitrag diskutiert, wie
kritische Positionen in der Forschung entstehen und mit welchen Effekten diese kritischen
Positionen verbunden sind.
Literatur
Dederich, M. (i.E.): Rekonstruktion und Kritik. Eine Rückfrage an die rekonstruktive
Inklusionsforschung. In: Wagner-Willi, M; Budde, J.; Dlugosch, A.; Herzmann, P.;
Rosen, L.; Panagiotopoulou, A.; Sturm, T. (Hg.): Inklusionsforschung im
Spannungsfeld von Erziehungswissenschaft und Bildungspolitik. Leverkusen: Budrich.
Merl, T. (2019): un/genügend fähig. Zur Herstellung von Differenz im Unterricht
inklusiver Schulklassen. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Meseth, W. (2011): Erziehungswissenschaft – Systemtheorie – Empirische Forschung.
Methodologische Überlegungen zur empirischen Rekonstruktion pädagogischer
Ordnungen. In:Zeitschrift für Qualitative Forschung, Jg. 12, H. 2, S. 177-197.
Rabenstein, K. (2016): Methodologische Fragen einer qualitativen Erforschung inklusiven
Unterrichts.Herausforderungen einer empirisch fundierten didaktischen
Theoriebildung. In: Musenberg, O.; Riegert, J. (Hg.): Didaktik und Differenz. Bad
Heilbrunn: Klinkhardt, S. 233-244.
Forschungswerkstätten
Ursula Böing
Machtvolles Schüler/innenhandeln - Zur praktischen Bearbeitung pädagogischer
Ordnungen im Kontext Inklusion durch Schüler/innen mit und ohne Assistenz.
Rekonstruktionen aus der Studie – ‚Assistenz aus Schüler/innenperspektive‘
(ASP)
In der geplanten Forschungswerkstatt werden ausgewählte Sequenzen aus der qualitativ-
praxeologisch angelegten Studie „Assistenz aus Schüler/innenperspektive –
Orientierungen von Kindern und Jugendlichen in schulisch-unterrichtlichen
Handlungssituationen mit Assistenz in ausgewählten Schulen“ (ASP; Böing & Köpfer)
vorgestellt, diskutiert und interpretiert.
Assistenz gilt als paraprofessionelle Rolle, die im Kontext eines als ‚Inklusion‘
bezeichneten Schulentwicklungsprozesses verstärkt als Differenzierungsmaßnahme für
Kinder und Jugendliche mit zugewiesenem Forderbedarf an Allgemeinen Schulen
vorgehalten wird (vgl. u.a. Laubner et al. 2017).
Die Studie untersucht Praktiken von Kindern und Jugendlichen in schulisch-
unterrichtlichen Situationen mit Assistenz und fragt danach, wie diese in ihrer Rolle als
Schüler/innen im Handlungsfeld Schule und in „diskursiver Verstrickung“ (vgl. Machold
2013) mit den darin eingelagerten formalen Regulierungen, Steuerungen und
machtbesetzten Ordnungen Differenzen herstellen und bearbeiten.
Konkret können im Rahmen der Forschungswerkstatt entlang des Materials folgende
Fragen fokussiert werden:
• Wie bearbeiten die Kinder und Jugendlichen pädagogische Ordnungen im Kontext
der formalen Differenzierungsmaßnahme „Assistenz“?
• Wie konstruieren Kinder und Jugendliche in diesem Kontext Raum?
Wie wird unter diesen Bedingungen in den Praktiken der Kinder und Jugendlichen
Behinderung hervorgebracht?
Methodologisch basiert die Studie auf der Dokumentarischen Methode, die im Anschluss
an die Praxeologische Wissenssoziologie von Karl Mannheim das Soziale als interaktiv
erzeugt, d.h. als sprachlich und körperlich-räumlich, performativ hervorgebracht
betrachtet (vgl. Bohnsack 2014; Sturm 2015). Methodisch wurden in Anlehnung an
Nentwig-Gesemann (2017) fotobasierte Schulführungen durchgeführt und durch
videogestützte Gruppendiskussionen (vgl. Loos et al. 2001) ergänzt.
Abschließend werden die Erkenntnisse entlang möglicher normativer Implikationen
eingeordnet und reflektiert.
Literatur
Bohnsack, R. (2014): Rekonstruktive Sozialforschung. Eine Einführung in qualitative
Methode (9. Aufl.). Opladen u.a.: Verlag Barbara Budrich.
Laubner, M.; Lindmeier, B.; & Lübeck, A. (2017) (Hrsg.): Schulbegleitung – ein
Arbeitsbuch für Theorie und inklusive Praxis. Weinheim: Beltz, 11-27
Loos, P. & Schäffer, B. (2001): Das Gruppendiskussionsverfahren. Theoretische
Grundlagen und empirische Anwendung. Opladen: Leske + Budrich.
Machold, C. (2013): Kinder und Differenz. Eine ethnografische Studie im
elementarpa dagogischen Kontext. Wiesbaden: Springer VS
Nentwig-Gesemann, I.; Walther, B.; Thedinga, M. (2017): Kita-Qualität aus Kindersicht.
Eine Studie des DESI-Instituts im Auftrag der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung.
Abschlussbericht. Online unter: https://www.qualitaet-vor-ort.org/wp-
content/uploads/2017/10/171026_Quaki_Abschlussbericht_WEB.pdf. Entnahme:
20.01.2019
Sturm, T. (2015): Rekonstruktiv-praxeologische Schul- und Unterrichtsforschung im
Kontext von Inklusion. Inklusion online 9, Nr. 4.
Jürgen Braun, Karola Cafantaris, Oliver Hollstein & Wolfgang Meseth
Inklusive Ordnungen systemtheoretisch beobachten
Im Unterschied zu geläufigen pädagogischen und bildungspolitischen Vorverständnissen
des Inklusionsbegriffs, die zumeist eng mit normativen Kategorien wie „Partizipation“,
„Teilhabe“ oder „Integration“ verbunden sind, bezeichnet ein systemtheoretisches
Verständnis von Inklusion keinen Mechanismus, durch den Menschen gleichsam
topographisch in „Räume“, „Bereiche“ oder „Gruppen“ eingeschlossen werden (sollen),
sondern zunächst – je nach Systemebene – die operative Relevanzsetzung von Personen
in einem Kommunikationszusammenhang (vgl. Nassehi 2011, S. 171ff.).
Auf der Ebene der Gesellschaft wird die normative Erwartung auf Vollinklusion in das
Erziehungssystem entlang der Idee der Bildsamkeit formuliert (vgl. Tenorth 2013). Auf
der Ebene der Organisation vollzieht sich Inklusion qua institutioneller Entscheidung über
Mitgliedschaft, die sich in Deutschland traditionell durch Differenzierung (mehrgliedriges
Schulsystem) realisiert. Schließlich bezieht sich Inklusion auf der Ebene der Interaktion
auf die in einem sozialen System sich immer wieder neu vollziehende, ereignishafte
kommunikative Adressierung (vgl. Kade 2004). Die jeweiligen Adressierungen im
Klassenzimmer lassen sich hinsichtlich unterschiedlicher Abstraktionsgrade
unterscheiden, die sich entlang der Begriffe „Person“ und „Rolle“ sowie unterschiedlicher
Formen der Selbstthematisierung von „Wir-Gruppen“ differenzieren lassen. Damit legt die
Verwendungsweise von Inklusion noch nicht fest, in welchen sprunghaften und selektiven
Modi sich die Adressierungen von je unterschiedlichen Schüler*innen in
Unterrichtsinteraktionen ereignen.
Im Rahmen der Forschungswerkstatt möchten wir am Beispiel von empirischem Material
aus dem laufenden Forschungsprojekt „Von der Förderschule zur inklusiven Regelschule“
die Leistungsfähigkeit einer solchen systemtheoretischen re-description zur Diskussion
stellen.1 Anhand von Beobachtungsprotokollen, transkribierten Audioaufzeichnungen und
videographierten Unterrichtsszenen geht das Projekt der Frage nach, wie sich im sozialen
System Schulunterricht inklusive Ordnungen durch unterschiedliche Adressierungen
herausbilden und verfestigen (vgl. Meseth/Proske/Radtke 2011). Gegenstand der
sequenzanalytischen und mikroethnographischen Analysen des empirischen Materials
sind die normativen Erwartungen, die in der Form von Rollenordnungen und höher
aggregierten Selbstthematisierungen durch eine reflexive Rückwendung der
Kommunikation auf sich selbst festgelegt und somit empirisch greifbar werden (Wir/Sie-
Unterscheidungen, inhaltlich-thematische Zielsetzungen, Etablierung von
Verhaltenserwartungen und zeitliche Verfügungen).
Durch diesen systemtheoretischen Zugriff soll das Verhältnis von Inklusionsforschung
und Normativität aus zwei Perspektiven thematisiert werden. Zum einen soll der
erziehungswissenschaftliche Mehrwert einer systemtheoretisch distanzierten
Forschungsperspektive auf das normativ geladene Feld der „Inklusion“ ausgelotet
werden. Zum anderen geht es darum, den Wiedereintritt jener Normativität in das
Forschungsdesign (Reifizierungsproblem) in den Blick zu nehmen, der im Vollzug der
eigenen Forschung unbeobachtbar bleiben muss.
Literatur
Kade, Jochen (2004): Erziehung als pädagogische Kommunikation. In: Lenzen, D.
(Hrsg.): Irritationen des Erziehungssystems. Pädagogische Resonanzen auf die
Systemtheorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 199-232.
Meseth, Wolfgang/ Proske, Matthias/ Radtke, Frank-Olaf (2011): „Was leistet eine
kommunikationstheoretische Modellierung des Gegenstandes Unterricht‘?“. In:
Meseth, W./Proske, M./Radtke, F.-O. (Hrsg.): Unterrichtstheorien in Forschung und
Lehre. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 223-40.
Nassehi, Armin (2011): Gesellschaft der Gegenwarten. Studien zur Theorie der modernen
Gesellschaft II. Berlin: Suhrkamp.
Tenorth, Heinz-Elmar (2013): Inklusion – Prämissen und Problemzonen eines
kontroversen Themas. In: Baumert, J./Masuhr, V./Möller, J./ Riecke-Baulecke,
T./Tenorth, H.-E./Werning, R. (Hg.): Inklusion. Forschungsergebnisse und
Perspektiven. München: Oldenbourg, S. 6–14.
1 Das Schulbegleitprojekt untersucht eine ehemalige Förderschule mit dem Schwerpunkt
Blindheit und Seheinschränkung, die nun im Zuge einer sogenannten „umgedrehten
Inklusion“ blinde, seheingeschränkte und sehende Schüler*innen gemeinsam
unterrichtet.
Tobias Buchner
Frau Kessels Burschen. Raumtheoretische Perspektiven auf das Zusammenspiel
von Männlichkeit und dis_ability
Im Forschungsprojekt ‚Inclusive Spaces 3: Differenz, Raum und Schule‘ wird über ein
methodenplurales Vorgehen das Zusammenspiel von Differenz(en) und Raum in als
inklusiv intendierten, schulischen Bildungssettings untersucht. Der heuristische Rahmen
der Studie setzt sich aus raumsoziologischen, macht- und differenztheoretischen
Überlegungen sowie einer fähigkeitskritischen Perspektive auf die Produktion von
dis_ability zusammen.
Das Projekt ist als Längsschnittstudie angelegt. So finden vom Schuljahr 2017/2018 –
2020/2021 in jährlichen Abständen Erhebungen an fünf Neuen Mittelschulen in Wien
(Sekundarstufe I) statt. Im Zuge der ersten Welle von Feldforschung wurden 60
problemzentrierte Interviews mit Schüler*innen und 21 problemzentrierte Interviews mit
Lehrer*innen geführt. Alle an den Interviews teilnehmenden Schüler*innen fertigten
zudem eine soziale Landkarte ihrer Schule an. Auf Basis teilnehmender Beobachtungen
an Unterrichtsstunden sowie Pausen wurden 234 ethnographische Stundenprotokolle und
122 Feldnotizen angefertigt.
Das empirische Material, das bei der angedachten Forschungswerkstatt präsentiert und
gemeinsam analysiert werden soll, wurde im Rahmen der Untersuchung einer
Integrationsklasse der 5. Schulstufe an einer Neuen Mittelschule produziert. Diese Klasse
wurde von verschiedenen Professionist*innen an der Schule als leistungsschwach und
‚schwer zu führen‘ beschrieben. Vor allem den Jungen der Klasse wurde ein störendes
Verhalten attestiert, was von den Lehrkräften mit einer Eingrenzung der Pausenräume
und weiteren Disziplinierungspraktiken beantwortet wurde. Über diese sollen die
Jugendlichen laut der Klassenlehrerin jene Fähigkeiten erlernen, die sie am Ende der
Sekundarstufe I ‚jobready‘ machen: höflich grüßen, aufmerksam sein, aufzeigen, still
sitzen, etc.
Auffallend ist zudem, dass die Klasse durch eine strikte Zweiteilung der
Schüler*innenschaft in mit und ohne Sonderpädagogischen Förderbedarf (SPF) geprägt
ist, die sich unter anderem in einer getrennten Unterrichtung in den Hauptfächern
manifestiert. Letztere Gruppe, also jene, die mit der Zuschreibung SPF versehen ist,
besteht ausschließlich aus Jungen und wurde von verschiedenen Akteur*innen als ‚Frau
Kessels Burschen‘ adressiert. Diese unterrichtet die Schüler mit SPF in den getrennten
Lehreinheiten. Dabei ließ sich neben den bereits erwähnten Disziplinierungspraktiken
auch das beobachten, was als Beschäftigungspraktiken bezeichnet werden könnte:
Praktiken, über die verringerte Fähigkeitserwartungen transportiert und gleichzeitig eine
schulisch sinnvolle Beschäftigung der Schüler ermöglicht werden soll.
Als Teil einer ethnographischen Fallstudie werden die während der getrennten
Lehreinheiten von den Schülern mit SPF aufgeführten Praktiken, die zwischen
Widerspenstigkeit und marginalisierter Männlichkeit oszillieren, in den Blick genommen.
In der Forschungswerkstatt sollen dazu Sequenzen aus Unterrichtsprotokollen sowie
Interviews mit den Jugendlichen präsentiert werden. Anhand der gemeinsamen Analyse
der Daten soll diskutiert werden, welche Raumkonstruktionen über die Praktiken der
Schüler (re-)produziert werden bzw. aufgrund welcher Raumkonfigurationen diese
überhaupt erst vollzogen werden können. Zudem soll untersucht werden, welche
Fähigkeiten von den Schülern gegenüber den schulischen Fähigkeitserwartungen als
relevant gesetzt werden.
Tilman Drope, Kerstin Rabenstein & Mark Schäffer
Zur Normativität pädagogischer Praktiken. Methodologische und methodische
Überlegungen zur Rekonstruktion von Wertungen
Die qualitative Forschung beansprucht (in Teilen), statt aus einer an die ‚Praxis‘
herangetragenen Normativität, die Normativität der Praxis empirisch zu untersuchen. Die
Diskussion, wie theoretisch begründet wird, die Normativität pädagogischer Praxis zu
rekonstruieren, ist immer mal wieder geführt worden, aber in Bezug auf den Gegenstand
Inklusion hat sie sich intensiviert. In dem Forschungsforum soll für die Untersuchung von
Subjektivierung in Praktiken der Frage nach den Möglichkeiten (und Grenzen) der
Rekonstruktion der Normativität in den Bezugnahmen von Subjekten aufeinander (und
auf Dinge) nachgegangen werden und das Vorgehen an Datenmaterial ausprobiert und
diskutiert werden.
Die Subjektivierungsforschung hat im Kontext der Forschung zu
Differenzaktualisierungen in einem Unterricht im Anspruch an Inklusion in den letzten
Jahren an Relevanz zugenommen. In den mittlerweile entwickelten theoretisch ähnlich
begründeten Operationalisierungen für die Erforschung von Subjektivierungsprozessen
z.B. als Positionierungen in diskursiven Praktiken (Wrana 2015) bzw. Re-Adressierungen
in pädagogischen Praktiken (Reh/Ricken 2012) ist die Frage nach den in Praktiken
vorgenommenen Wertungen stets wichtig. Aber es wird nicht weiter diskutiert, wie
Wertungen (Wrana 2015) bzw. ‚Valuation‘ (Reh/Ricken 2012) begründet rekonstruiert
werden. Wir schlagen vor, die emotional-affektive Dimension von Praktiken stärker in die
Beobachtung aufzunehmen. Dabei nehmen wir Bezug auf z.B. Schatzkis Herausstellen
eines teleo-affektiven Moments in Praktiken (Schatzki 2016, 33f.), um
Subjektivierungsprozesse im Zusammenhang mit dem Herausbilden bestimmter
„Zwecke, Zielorientierungen und entsprechende[r] affektive[r] Lagen“ im Vollzug von
Praktiken zu verstehen (Ricken 2019, 37).
An ethnographischem Datenmaterial aus einer laufenden Beobachtung zur Konstitution
von Schulklassen als Schulklassen in einer sich inklusiv verstehenden Gesamtschule
wollen wir den Zugang forschungspraktisch ausprobieren und diskutieren. In diesem
2018 begonnenen ethnographischen Projekt untersuchen wir von Beginn des fünften
Schuljahres den Prozess der Klassenbildung und darin Praktiken der Subjektivierung als
Mitglieder einer (bestimmten) Schulklasse bzw. Differenzordnung.
Literatur
Reh, S./Ricken, N. (2012): Das Konzept der Adressierung. Zur Methodologie einer
qualitativempirischen Erforschung von Subjektivation. In Miethe, I./Müller, H.-R.
(Hg.): Qualitative Bildungsforschung und Bildungstheorie. Opladen & Farmington Hills:
Barbara Budrich, 35-56.
Ricken, N. (2019): Aspekte einer Praxeologik. Beiträge zu einem Gespräch. In
Berdelmann, K./Fritzsche, B./Rabenstein, K./Scholz, J. (Hg.): Transformationen von
Schule, Unterricht und Profession. Wiesbaden: Springer VS, 29-48.
Schatzki, R. T. (2016): Praxistheorie als flache Ontologie. In Schäfer, H. (Hg.):
Praxistheorie. Ein soziologisches Forschungsprogramm. Bielefeld: transcript, 29-44.
Wrana, D. (2015): Zur Analyse von Positionierungen in diskursiven Praktiken.
Methodologische Reflexionen anhand von zwei Studien. In Fegter, S./Kessl, F./Langer,
A./Ott, M./Rothe, D./Wrana, D. (Hg.): Erziehungswissenschaftliche Diskursforschung.
Wiesbaden: Springer VS, 123-142.
Simone Engler & Helga Fasching
Inklusive Berufsberatung? Eine Analyse zu Macht, Empowerment und
Selbstbestimmung von Jugendlichen mit sog. „Behinderung“ am Übergang von
SEK I in (Aus-)Bildung
Der Übergang von SEK I (Pflichtschule) in (Aus-)Bildung oder Beschäftigung, stellt für
Jugendliche mit sog. „Behinderung“ im Vergleich zu nichtbehindert markierten
Jugendlichen, eine intensiviere Herausforderung dar. Insbesondere intersektional
wirkmächtige Differenzkategorien (sozio-kultureller Status, Geschlecht, Herkunft, Körper)
erweitern soziale Ungleichheit und bilden Grenzen zu inklusiven Le(h)rnräumen und
Entwicklungsmöglichkeiten für Individuen. Innerhalb des pädagogischen Diskurses wird
partizipative Kooperation als Schlüssel einer inklusiven Bildung betrachtet. Voraussetzung
dafür ist eine enge Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteur*innen und
Machtreflexionen.
Inklusionsbezogene Forschung: Das vom österreichischen Wissenschaftsfond (FWF)
geförderte Forschungsprojekt „Kooperation für Inklusion in Bildungsübergängen“
(Projektnummer: P-29291; Laufzeit: 01.10.2016–30.09.2021; Leitung: Helga Fasching;
http://kooperation-fuer-inklusion.univie.ac.at/), ist auf eine längsschnittliche Betrachtung
partizipativer Kooperation im Übergangsplanungsprozess bei Jugendlichen mit sog.
„Behinderung“ ausgerichtet und der explorativen Grundlagenforschung zuzuordnen. Es
fragt nach Kooperationserfahrungen Jugendlicher und deren Eltern/Familien mit
verschiedenen professionellen Unterstützer*innen.
Methodologisch-methodischer Zugang: Methodologisch wird nach der konstruktivistischen
Grounded Theory (Charmaz 2014) vorgegangen, methodisch werden „Intensive
interviews“ (Charmaz 2014) und Reflecting-Teams (Andersen 1992, 2011) genutzt. Eine
intersektionale Perspektive (Winker/Degele 2007, 2009) fokussiert die einreichende
Dissertantin.
Forschungswerkstatt: Interviewmaterial + mögliche Analysefragen: Welche subjektiven
Erfahrungen in Bezug auf Äußerungen und Umsetzungen von Berufs-/Lebenswünschen
benennt die jugendliche Person mit sog. „Behinderung“ am Übergang? Wie lassen sich
diese Erfahrungen und Normative reflexiv intersektional deuten?
Literatur zum methodologischen und methodischen Rahmen
Andersen, T. (1992): Reflections on reflecting with families. In: McNamee, S./Gergen, K.
J. (eds.): Therapy as Social Construction. London: Sage, 55-68.
Andersen, T. (2011): The Reflektierende Team: Dialoge und Dialoge über Dialoge.
Dortmund: Verlag modernes lernen.
Charmaz, K. (2014): Constructing Grounded Theory. 2nd Edition. Thousand Oaks: Sage.
Degele, N. /Winker, G. (2007): Intersektionalität als Mehrebenenanalyse. URL:
https://www.soziologie.uni-freiburg.de/personen/degele/dokumente-
publikationen/intersektionalitaet-mehrebenen.pdf (09.01.2019)
Winker, G./Degele, N. (2009): Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten.
Bielefeld: transcript Verlag.
Gabriele Müller
Dissertationsprojekt – Arbeitstitel: „Inklusive und integrative
Kindertagesbetreuung als Prozess multiprofessioneller Zusammenarbeit“
Projektskizze:
Auf dem Hintergrund zunehmend diversifizierender Anforderungen an das Handlungsfeld
der Kindertageseinrichtungen im Zuge gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse,
stehen Forderungen nach organisationsstrukturellen und konzeptionellen
Weiterentwicklungen im Zentrum fachpolitischer Diskurse. Das Leitbild inklusiver Bildung
als Teilhabeversprechen für alle, verbunden mit dem Anspruch nach mehr
Chancengerechtigkeit, steht dabei derzeit im Zentrum (vgl. z.B. Cloos 2015). Hierbei
werden „multiprofessionelle Teams als qualitäts- und zukunftsorientierte Antwort auf die
Veränderungen und Herausforderungen institutioneller Bildung, Betreuung und Erziehung
(Autorengruppe Fachkräftebarometer 2017, S. 72)“ bewertet. In der Bewältigung von
Inklusion als komplexe Herausforderung wird multiprofessionelles Arbeiten zudem als
Standard definiert (vgl. z.B. Heimlich und Üffing 2018; Prengel 2014). Bisher liegen
jedoch wenig empirische Erkenntnisse darüber vor, wie Multiprofessionalität unter dem
Anspruch inklusiven Handelns in Kindertageseinrichtungen hergestellt wird.
Ziel des Forschungsvorhabens ist es, ein vertieftes Verständnis über die Ressourcen und
Potentiale von Multiprofessionalität für eine inklusive Arbeit mit Kindern und ihren
Familien zu gewinnen. Im Zentrum des Forschungsvorhabens steht die Untersuchung
sprachlicher Performanz über Erfahrungen aus der Praxis aus der Perspektive der
Fachkräfte.
Forschungsfragen: Welches Verständnis von Zusammenarbeit wird unter der Prämisse
von Inklusion im Team sprachlich hergestellt? Welche Rolle nehmen hierbei
organisationsstrukturelle Bedingungen, institutionalisierte Normen und habituelle
Orientierungen ein?
Der Forschungsfrage nähere ich mich mit einer praxeologisch-rekonstruktiven
Perspektive (vgl. Bohnsack 2018). Ich arbeite mit der Methode der Gruppendiskussion
und interessiere mich insbesondere für die kommunikative Bewältigung gemeinsamer
Erfahrungen und die Möglichkeit der Aktualisierung von atheoretischen oder impliziten
kollektiven Wissensbeständen und Strukturen. Karl Mannheim hat dies als „konjunktive
Erfahrungsräume“ bezeichnet. (vgl. Mannheim 2003). In der Analyse arbeite ich mit der
Dokumentarischen Methode, mit der durch die Rekonstruktion der Diskursorganisation
die Entstehung und Entwicklung eines Themas ebenso erfasst werden kann wie deren
kollektive Rahmung (vgl. Loos und Schäffer 2001).
Informationen zum vorgesehenen Datenmaterial:
Für die Forschungswerkstatt möchte ich gerne einen Ausschnitt aus einer
Gruppendiskussion mit einem Teil eines Teams aus einem inklusiven Kinderhaus
einbringen. Die ausgewählte Passage mit dem Thema „Inklusive Kita als Beitrag zu einer
besseren Welt“ ist durch eine hohe interaktive Dichte mit selbstläufigen Gesprächsphasen
gekennzeichnet. Für die Forschungswerkstatt möchte ich das erste Oberthema der
Passage „Keine etikettierenden Strukturen“ einbringen (knapp 4 Minuten) und mit der
Gruppe auf Basis der Dokumentarischen Methode interpretieren.
Literatur
Loos, Peter; Schäffer, Burkhard (2001): Das Gruppendiskussionsverfahren.
Theoretische Grundlagen und empirische Anwendung. Wiesbaden: VS Verlag für
Sozialwissenschaften
Mannheim, Karl (2003): Strukturen des Denkens. Herausgegeben von David Kettler,
Volker Meja und Nico Stehr. [Nachdr.]. Frankfurt am Main: Suhrkamp.Prengel 2014
Heimlich, Ulrich; Üffing, Claudia (2018): Leitfaden für inklusive
Kindertageseinrichtungen. Bestandsaufnahme und Entwicklung:
Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte, WiFF Expertisen, Band 51.
München
Cloos, Peter (2015): Diversität und Inklusion in der aktuellen
kindheitspädagogischen Professions-und Professionalisierungsforschung. In:
Christin Haude (Hg.): Diversity Education in der Ausbildung frühpädagogischer
Fachkräfte. 1. Aufl. Weinheim: Beltz Juventa, S. 47–71
Autorengruppe Fachkräftebarometer (2017): Fachkräftebarometer Frühe Bildung
2017. Hg. v. Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte. DJI. München
Bohnsack, Ralf (2018): Die Dokumentarische Methode und ihre praxeologischen und
praxistheoretischen Grundlagen. In: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung &
Sozialisation; Vol. 38 Issue 1, p103-111. In: Zeitschrift für Soziologie der
Erziehung & Sozialisation 38 (1), S. 103–111.
Lisa Rosen & Fenna tom Dieck
„Nein, du bist noch kein Regelschüler...!“ – Exkludierte Inklusion von
neuzugewanderten Kindern und Jugendlichen an einem Gymnasium in NRW
Kritik an der separierenden Beschulung von neuzugewanderten Kinder und Jugendlichen
ist bereits im Zuge der sogenannten Gastarbeiter*innenmigration in den 1960- und 70-er
Jahren aus Sicht der Interkulturellen Pädagogik geäußert worden (Neumann 1981,
Radtke 1996) und wird aktuell erneuert (Karakayali et al. 2016; Schroeder & Seukwa
2017). Im Zusammenhang mit der Realisierung der UN-Behindertenrechtskonvention
(UN-BRK) wird – wie auch im internationalen Diskurs – aufgezeigt, dass „introductory
classes are obviously not in agreement with the ideal of inclusive education“ (Hilt 2017:
586) und darüber hinaus problematisiert, dass „the education offered in introductory
classes is based on a construction of newly arrived students as deviant from the
mainstream“ (ebd.: 599). Als ein Beispiel für eine solche Konstruktion gilt in Deutschland
das Label „Seiteneinsteiger“, das für neuzugewanderte Schüler*innen in Deutschland
bereits in den 1980-er Jahren etabliert wurde (vgl. Mecheril & Shure 2015: 113) und
auch im Kontext des aktuellen bildungspolitischen Diskurses neben Bezeichnungen wie
„Deutsch-als-Zweitsprache-Schüler*innen“, „Vorbereitungsklassen-Schüler*innen“ und
häufiger auch dem Sammelbegriff „Flüchtlinge“ für die Gesamtgruppe neuzugewanderter
Schüler*innen wieder an Prominenz gewonnen hat. Durch derartige Bezeichnungen
werden vermeintliche Gruppen von Schüler*innen „mit“ und „ohne besondere Bedarfe“
und somit machtvolle Verhältnisse von Normalität und Abweichung konstruiert werden
(vgl. dies.: 109).
An den ethnographischen Forschungsstand zu Differenzkonstruktionen und Othering-
Prozessen entlang von Sprache(n) und Mehrsprachigkeit (Khakpour 2016,
Panagiotopoulou, Rosen & Karduck 2018; Panagiotopoulou, Rosen & Strzykala 2018;
Panagiotopoulou & Rosen 2018) in separierenden Beschulungsformen für
neuzugewanderte Kinder und Jugendliche anknüpfend möchten wir in der
Forschungswerkstatt den Blick auf Beobachtungsprotokolle richten, die in einer
sogenannter teilintegrativen Beschulungsform an einem Gymnasium in NRW (Köln) im
vergangenen Schuljahr über einen Zeitraum von vier Monaten (April-Juli 2018) im
Rahmen einer sog. Sprachfördermaßnahme erhoben worden sind. Bei dieser
Beschulungsform werden neuzugewanderte Schüler*innen teilweise in Regelklassen und
teilweise in separierten Klassen im Rahmen spezifischer Sprachförderung
jahrgangsübergreifend unterrichtet. Die insgesamt neun Feldaufenthalte sind von Fenna
tom Dieck durchgeführt worden sind, die bereits ihre Masterarbeit in einem
vergleichbaren Untersuchungsfeld in Niedersachsen absolviert hat (tom Dieck 2017) und
im Rahmen ihres Dissertationsvorhabens eine international vergleichende Ethnographie
in Italien und in Deutschland durchführt.
Literatur
Hilt, L. (2017). Education without a shared language: dynamics of inclusion and exclusion
in Norwegian introductory classes for newly arrived minority language students.
International Journal of Inclusive Education, 21(6), 585-601.
Karakayali, J. et al. (2016). Mit Segregation zur Inklusion? URL:
https://www.bim.huberlin.de/media/Expertise_Willkommensklassen.pdf
Khakpour, N. (2016). Zugehörigkeitskonstruktionen im Kontext von Schulbesuch und
Seiteneinstieg. In C. Benholz, M. Frank & C. Niederhaus (Hg.), Neu zugewanderte
Schüler*innen und Schüler (pp. 151–170). Münster: Waxmann.
Mecheril, P., & Shure, S. (2015). Natio-ethnokulturelle Zugehörigkeitsordnungen – über
die Unterscheidungspraxis „Seiteneinsteiger“. In K. Bräu & C. Schlickum (Hg.), Soziale
Konstruktionen in Schule und Unterricht (pp. 109–121). Opladen: Budrich.
Neumann, U. (1981). Sozialisation ausländischer Kinder in der Grundschule. Lernen in
Deutschland, 6, 34-39.
Panagiotopoulou, A., & Rosen, L. (2018). Denied inclusion of migration-related
multilingualism: an ethnographic approach to a preparatory class for newly arrived
children in Germany. Language and Education, 32(5), 394-409.
Panagiotopoulou, A., Rosen, L., & Karduck, St. (2018). Exklusion durch institutionalisierte
Barrieren. In R. Ceylan, M. Ottersbach & P. Wiedemann (Hg.), Neue Mobilitäts- und
Migrationsprozesse und sozialräumliche Segregation (115-131). Wiesbaden: Springer
VS.
Panagiotopoulou, A., Rosen, L., & Stryzkala, J. (2018). Inklusion von neuzugewanderten
Schüler*innen durch mehrsprachige Lehrkräfte aus zugewanderten Familien?
Deutschförderung unter den Bedingungen von (Flucht-)Migration. In: İ. Dirim & A.
Wegner (Hg.), Normative Grundlagen und reflexive Verortungen im Feld DaF und DaZ
(210-227). Leverkusen & Berlin: Verlag Barbara Budrich,.
Radtke, F.-O. (1996). Seiteneinsteiger – Über eine fragwürdige Ikone der Schulpolitik. In
G. Auernheimer & P. Gstettner (Hg.), Pädagogik in multikulturellen Gesellschaften (pp.
49–63). Peter Lang.
Schroeder, J., & Seukwa, L. (2017). Access to Education in Germany. In A. Korntheuer,
P. Pritchard & D. Maehler (Ed.), Structural Context of Refugee Integration in Canada
and Germany. Köln: Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften.
tom Dieck, F. (2017). Processes of Inclusion and Exclusion in the Social Space of Schools
from the Perspective of Newly Arrvied Students (Unpublished master’s thesis).
Osnabrück.
Josephina Schmidt
Reflexive Normativität rekonstruktiver Sozialforschung am Beispiel eines
Dissertationsprojekts im teilhabezentrierten Feld Sozialer Arbeit mit Frauen in
sozialpsychiatrischen Wohnheimen
Werden herrschende Normen und das Verständnis von Normativität verstanden als „als
konstitutive Elemente bürgerlich kapitalistischer, patriarchaler Herrschaft“ (Maihofer
2013: 169) ist es die Aufgabe rekonstruktiver Sozialwissenschaft nicht nur die
Verständigung zwischen Subjekten über Normen zu untersuchen, sondern auch
gesellschaftliche Bedingungen dieser Verständigung zu reflektieren, die durch
Forschungspraxis selbst hergestellte Differenzkonstruktion bzw. die durch privilegierte
Forscher*innen vorgenommene Unterdrückung der Stimmen der Repräsentierten
offenzulegen (vgl. do Mar Castro/Dhawan 2015: 200) und die geteilten Erfahrungen von
an Forschung beteiligten Subjekten in Solidarität anzuerkennen (vgl. Hark et al 2015:
99).
Normen und Normativität spielen im der rekonstruktiven Sozialforschung zuzuordnenden
Dissertationsprojekt „Frauen in sozialpsychiatrischen Wohnheimen“, welches sich mit der
Frage beschäftigt, wie Frauen dort zu langjährigen Fällen werden, für die ein Leben
außerhalb der Einrichtung derzeit von allen Beteiligten nicht vorstellbar ist, sowohl
bezogen auf den Forschungsgegenstand als auch auf methodologischer Ebene eine große
Rolle. Während in der Sozialpsychiatrie Teilhabe bzw. Inklusion von Psychiatrieerfahrenen
spätestens seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention eine rechtliche und
professionelle Norm ist, welche die eingeschränkte Teilhabe von Menschen in ihren
(besonders stationären) Institutionen in den Fokus nehmen lässt (z.B. Daum et al 2017;
Bliemetsrieder et al 2018) drängt sich methodologisch die Frage nach der Normativität
hinter der Konstruktion und dem Blick auf die Verschränkung der die Gesellschaft
strukturierenden Kategorien „Geschlecht“ und „Behinderung“ des intersektionalen
Forschungszugangs auf (Schildmann/Schramme 2017, Peter/Waldschmidt 2017).
In der Forschungswerkstatt werden Sequenzen zum Thema „Frausein in der Psychiatrie“
aus biografischen Interviews mit langjährig in sozialpsychiatrischen Wohnheimen
lebenden Frauen anhand der Methode der Objektiven Hermeneutik (Oevermann 2002)
mit folgenden Fragestellungen konfrontiert:
• Wie kann mit der Objektiven Hermeneutik eine Intersektionalitätsforschung in Form
einer Mehrebenen-Analyse (gesamtgesellschaftliche strukturelle
Herrschaftsverhältnisse, symbolische Repräsentationen, individuelle
Identitätskonstruktionen (Winker/Degele 2009)) in Bezug auf die Praxis der
Fallherstellung vorgenommen werden bzw. wie kann diese Analyse mit dem
Bedingungsverhältnis von Allgemeinem und Besonderem (z.B. Kraimer 2000; Garz
2015) zusammengedacht werden?
• Wie notwendig bzw. problematisch ist die Positionierung einer auf Frauen
bezogenen emanzipatorischen Forschung, vor dem Hintergrund, dass Frauen mit
psychischer Erkrankung in mehrfacher Hinsicht eine besonders vulnerable Gruppe
sind (z.B. BMFSFJ 2014; Krumm et al 2018: 70) bzw. wie kann die dem
Dissertationsprojekt zugrundeliegende Normativität expliziert werden, um mit
dieser Selbstkritik dem Forschungsgegenstand eine empirisch angemessene
dialektische Analyse unterziehen zu können?
• Welche normativen Grundlagen hat die marginalisierte sozialwissenschaftliche
Perspektive (z.B. Salize 2017) in vorwiegend bio-medizinisch geprägten
Forschungsdiskursen in der Psychiatrie und welche Herausforderungen sind damit
verbunden?
Literatur
Bliemetsrieder, Sandro; Maar, Katja; Schmidt, Josephina; Tsirikiotis, Athanasios (Hg.)
(2018): Partizipation in sozialpsychiatrischen Handlungsfeldern. Reflexionen und
Forschungsbericht. Verfügbar unter: https://hses.bsz-
bw.de/frontdoor/index/index/docId/612.
BMFSFJ - Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2014):
Gewalterfahrungen von in Einrichtungen lebenden Frauen mit Behinderungen –
Ausmaß, Risikofaktoren, Prävention.
Daum, Marcel; Höptner, Anja; Speck, Andreas; Steinhart, Ingmar (2017): Teilhabe für
chronisch psychisch kranke Menschen in Deutschland oder Die Sozialpsychiatrie und
die Soziale Gerechtigkeit. In: Psychiatrische Praxis 2017(2), S. 108-110.
Do Mar Castro Varela, María; Dhawan, Nikita (2015): Postkoloniale Theorie. Eine
kritische Einführung. 2., komplett überarbeitete und erweiterte Auflage. Bielefeld:
Transcipt Verlag.
Garz, Detlef (2015): Theorie der Lebenspraxis. Einführung in das Werk Ulrich
Oevermanns. Wiesbaden: Springer VS.
Hark, Sabine; Jaeggi, Rahel; Kerner, Ina; Meißner, Hanna; Saar, Martin (2015): Das
umkämpfte Allgemeine und das neue Gemeinsame. Solidarität ohne Identität. In:
Feministische Studien 33 (1), S. 99–103.
Krumm, Silvia; Checchia, Carmen; Kilian, Reinhold; Becker, Thomas (2018):
Viktimisierung im Erwachsenenalter von Personen mit Psychiatrieerfahrung. Eine
Übersichtsarbeit zu Prävalenzen, Risikofaktoren und Offenlegung. In: Psychiatrische
Praxis (45), S. 66–77.
Maihofer, Andrea (2013) Überlegungen zu einem materialistisch-(de)konstruktivistischen
Verständnis von Normativität. In: Jaeggi, Rahel; Loick, Daniel (Hg.): Nach Marx.
Philosophie, Kritik, Praxis. Suhrkamp-Verlag: Berlin, S. 164-191.
Oevermann, Ulrich (2002): Klinische Soziologie auf der Basis der Methodologie der
objektiven Hermeneutik –Manifest der objektiv hermeneutischen Sozialforschung.
Salize, Hans Joachim (2017): Welche Aufgaben hat sozialpsychiatrische Forschung im
galoppierenden sozialstrukturellen Wandel? In: Sozialpsychiatrische Informationen
(2), 3–7.
Schildmann, Ulrike; Schramme, Sabrina (2017): Behinderung: Verortung einer sozialen
Kategorie in der Geschlechterforschung und Intersektionalitätsforschung. In: Beate
Kortendiek, Birgit Riegraf und Katja Sabisch (Hg.): Handbuch interdisziplinäre
Geschlechterforschung. Wiesbaden: Springer, S. 1-9.
Peter, Tobias; Waldschmidt, Anne (2017): Inklusion. Genealogie und Dispositivanalyse
eines Leitbegriffs der Gegenwart. In: SUG 2017; 14 (1): 29–52.
Winker, Gabriele; Degele, Nina (2009): Intersektionalität. Zur Analyse sozialer
Ungleichheiten. Bielefeld: Transcript.
Themenforen
Vildan Aytekin, Mareike Brunk & Ronja Giesen:
Normativität in Handreichungsliteratur zur Inklusiven Schule – Eine
Rekonstruktion gegenstandstheoretischer Prämissen (Forum "Zwischen Diskurs
und Praxis I")
Die Leitidee der inklusiven Schule selbst beruht bereits auf normativen Prämissen und
Entscheidungen, aber auch deren Entwicklung setzt für die Einzelschule eine Vielzahl von
Entscheidungen voraus. Dabei werden sowohl Fragen bezüglich der Ebene der Interaktion
als auch der der Organisation virulent (vgl. Wischer 2019).
Zu den Optionen einer inklusiven Schulentwicklung ist innerhalb der Schulpädagogik eine
Bandbreite an sog. Handreichungsliteratur (vgl. z.B. Werning 2013; Klauß & Sliwka 2013)
entstanden, die sich im Spannungsfeld der doppelten Erwartungsstruktur an die
Erziehungswissenschaft bewegt (vgl. Meseth 2014): Die Beiträge sind auf der einen Seite
Teil des wissenschaftlichen Diskurses, tragen also zur Bestimmung ihres Gegenstandes
bei. Zugleich richten sie sich an die schulische Praxis mit dem Versprechen,
Entwicklungsmaßnahmen für eine inklusive Schule aufzuzeigen.
Bei diesem Spannungsfeld setzt der Beitrag an: Es wird zunächst rekonstruiert, wie die
inklusive Schule und ihre Entwicklung unter diesen Vorzeichen innerhalb der
Handreichungsliteratur modelliert und konstituiert werden. Dabei sollen präskriptive
Aussagen und implizite Prämissen zur inklusiven Schule herausgearbeitet und so die
Normativität des Diskurses zugänglich gemacht werden. Ein besonderer Fokus liegt also
auf gegenstandstheoretischen Prämissen, die im Anschluss mit
organisationstheoretischen Perspektiven konfrontiert und kritisch eingeordnet werden
sollen. Dabei geht es darum, mögliche Verkürzungen, „blinde Flecken“ und
Folgeprobleme einer schulpädagogisch-normativen Perspektive auf Inklusion sichtbar zu
machen. Ausgehend von diesen vorgestellten Analysen soll aber im Kern die Frage
diskutiert werden, ob und wie die unterschiedlichen Funktionen der
erziehungswissenschaftlichen Reflexion ausbalanciert werden können.
Literatur
Klauß, T. & Sliwka, A. (2013): Schulen entwickeln sich in Richtung Inklusion. Wie kann
die Wissenschaft sie unterstützen? In: Klauß, T. & Terfloth, K. (Hg.): Besser gemeinsam
lernen! Inklusive Schulentwicklung. Heidelberg: Universitätsverlag, 29-53.
Meseth, W. (2014); Erziehungswissenschaft als sozialwissenschaftliche Disziplin.
Überlegungen zur Normativität in der empirischen Forschung. In: Ricken, N. et al. (Hg.):
Die Idee der Universität – revisited. Wiesbaden: Springer Fachmedien, 249-268.
Werning, R. (2013): Inklusive Schulentwicklung. In: Moser, V. (Hg.): Die inklusive
Schule. Standards für die Umsetzung. Stuttgart: Kohlhammer, 51-63.
Wischer, B. (2019): Heterogenität als Grundprinzip der Schulgestaltung.
Herausforderungen und Probleme schulpädagogischer Reformideen. In: Westphal, M. &
Wansing, G. (Hg.): Migration, Flucht und Behinderung. Herausforderungen für Politik,
Bildung und psychosoziale Dienste. Wiesbaden: Springer VS, 281-300.
Bianca Baßler & Kathrin Leipold
Grenzbeziehungen und Grenzbearbeitung als mögliche Erweiterung der
Inklusionsforschung (Forum „Methodologische Fragen“)
In unserem Beitrag, den wir gerne im Rahmen eines Themenforums vorstellen möchten,
gehen wir der Frage nach, inwiefern eine bewusste Positionierung im Forschungsprozess
zu einem konstruktiven Umgang mit Normativität und in der Reproduktion von
Ungleichheitsverhältnissen in der Empirie führen kann.
Wir gehen zum einen davon aus, dass auch wissenschaftliches Arbeiten an sozialen
Unterscheidungen selbst stark normativ ist (Emmerich, Hormel 2013: 13). In den
mittlerweile standardisierten Prozessen rund um die Erforschung von Inklusion geraten
ungleichheitsgenerierende Praktiken häufig aus dem Blick. Zum anderen gehen wir davon
aus, dass wissenschaftliches Wissen häufig durch eine Illusion von Objektivität getragen
wird, in der Machtverhältnisse (Wer forscht wie und weshalb? Wer wird wie und weshalb
beforscht?) dethematisiert werden. Wir plädieren daher für Transparenz in der
Wissensproduktion und wollen empirisches Wissen als situiertes Wissen (Haraway)
aufzeigen. Mit diesen Perspektivierungen zeichnen wir normativ-präskriptive Momente im
Inklusionsdiskurs nach.
Hierzu erläutern wir zunächst das Forschungsprogramm von Susan Leigh Star. Die us-
amerikanische Wissenschaftsforscherin spricht von dem Monströsen (Klausner 2012 mit
Bezug auf Bowker und Leigh Star), das sich zeigt, sobald die Grenzen dessen, was als
diskutier- und handhabbar gilt, erreicht sind.
Hier finden wir tragbare Konzepte, um Ausgrenzung aufgrund von Etikettierungen und
deren Verfestigungen über Technologien und Materialisierungen im Forschungstun zu
durchleuchten. In diesem Teil stehen die Fragen im Mittelpunkt, wie
Forschungsinstrumente, Forschungslogiken oder Forschungsmittel das Monströse im
Wissen um Inklusion erst hervorbringen und welche Beziehungen zwischen
Inklusionsforschung und Inklusionswissen bestehen.
In unserem zweiten Teil wollen wir das Konzept von Grenzbearbeitung nach Susanne
Maurer und Fabian Kessl vorstellen (Maurer 2001; Kessl, Maurer 2014). Einem
Wissenschaftsverständnis, das sich als objektiv begreift und die Involviertheit der
Forschenden verneint, wollen wir das Konzept, das aus der Sozialen Arbeit entstammt
und eine Möglichkeit von Thematisierung von Machtverhältnissen bietet, entgegenstellen.
Dort lassen sich Hinweise finden, inwiefern Transparenz im Forschungsprozess durch
Historisierung, Kontextualisierung sowie Positionierung (Bock/ Baßler 2018) hergestellt
werden kann.
Durch diese Möglichkeit der Sichtbarmachung und Reflexion von Grenzziehungsprozessen
im Forschungsprozess werden diese auch method(olog)isch bearbeitbar.
Mit unserem Beitrag wollen wir Perspektiven im Inklusionsdiskurs und in der
Lehrer*innenbildung stärken, die ebenfalls nach den praktischen Folgen unseres
wissenschaftlichen Tuns fragen – und damit der Frage nachgehen: Welche Grenzen in
Bezug auf Wissens- und Erkenntnisproduktion gilt es noch einzureißen?
Literatur
Baßler, Bianca; Bock, Paula (2018): Methodologische Überlegungen zur Denkfigur
'Soziale Arbeit als Grenzbearbeitung'. Eine intersektional informierte Grenzbearbeitung
als Reflexions- und Analyseinstrument im Kontext von Jugendberufshilfe. In: Birgit
Bütow, Jean-Luc Patry und Hermann Astleitner (Hg.): Grenzanalysen.
Erziehungswissenschaftliche Perspektiven zu einer aktuellen Denkfigur. 1. Auflage.
Weinheim, Basel: Beltz Juventa (Edition Erziehungswissenschaft), S. 95–116.
Emmerich, Marcus; Hormel, Ulrike (2013): Heterogenität - Diversity - Intersektionalität:
zur Logik sozialer Unterscheidungen in pädagogischen Semantiken der Differenz.
Wiesbaden: Springer VS.
Abstract von Bianca Baßler und Kathrin Leipold zur 3. Arbeitstagung der AG
Inklusionsforschung in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft:
„Inklusionsforschung zwischen Normativität und Empirie – Abgrenzungen und
Brückenschläge“, 28./29. Juni 2019 in Freiburg
Klausner, Martina (2012): Klassifikationen und Rückkopplungseffekte, in: Beck, S.,
Niewöhner, J. und Sørensen, E. (Hg.): Science and Technology Studies. Eine
sozialanthropologische Einführung. Bielefeld: Transcript, S. 275-298.
Maurer, Susanne; Kessl, Fabian (2014): Radikale Reflexivität - eine realistische
Perspektive für (sozial)pädagogische Forschung? In: Eric Mührel und Bernd Birgmeier
(Hg.): Perspektiven sozialpädagogischer Forschung. Methodologien -
Arbeitsfeldbezüge - Forschungspraxen. Wiesbaden: Springer VS (Research), S. 141–
153.
Maurer, Susanne (2001): Das Soziale und die Differenz. Zur (De-) Thematisierung von
Differenz in der Sozialpädagogik. In: Helma Lutz und Norbert Wenning (Hg.):
Unterschiedlich verschieden. Differenz in der Erziehungswissenschaft. Opladen: Leske
+ Budrich, S. 125–142.
Hannah Becker, Franziska Schreiter, Tammo Varbelow & Carolin Vierneisel
(Hetero-)Normativitat aufbrechen – Perspektiven von Dozierenden auf Vielfalt
in der Lehramtslehre (Forum „Hochschule“)
Ausgangslage
Die Berücksichtigung vielfältiger Lebensweisen (vgl. Hartmann 2002) – als Teil eines
intersektionalen Inklusionsverständnisses (vgl. Budde und Hummrich 2015) – in der
Lehre der Lehramtsausbildung zu stärken, ist eine Konsequenz aus Studien zu
psychosozialen Folgen und Coming-Out Erfahrungen im Kontext Schule (vgl. Krell und
Oldemeier 2018). Bei quantitativen Studien zu Perspektiven und Bedarfen von
Dozierenden in Bezug auf Vielfalt, wie der hier vorgestellten, zeigen sich
Herausforderungen durch die Reproduktion normativitätsbildender Kategorien (vgl. Voß
2011).
Methodik
Die Studie „Vielfalt Lehren!“ erhob Daten an den drei sächsischen lehramtsbildenden
Hochschulen Leipzig, Dresden und Chemnitz. Dokumentiert wurden die Perspektiven und
Bedarfe von Dozierenden auf und mit vielfältige_n Lebensweisen in der Lehramtslehre.
An den drei Standorten konnten 263 vollständige Datensätze erhoben werden, die
anschließend mit SPSS 25 ausgewertet wurden. Um die Reproduktion normativer
Kategorien zu reduzieren, gab es bei der Erhebung soziodemografischer Daten
Anpassungen im Vergleich zu einem standardisierten quantitativen Vorgehen.
Ergebnisse
Neben Fragen zu vielfaltsbezogenen/m Relevanzsetzungen, Wissen und Umsetzungen,
lag ein Schwerpunkt auf dem Bereich Wahrnehmung und Diskriminierung. 13,4% der
Befragten geben an, noch nie queere Student_innen in ihrer Lehre wahrgenommen zu
haben. Die Beobachtung diskriminierenden Verhaltens gegenüber queeren Menschen
berichten 5,4% - dabei gibt ein Viertel an, voll und ganz zu wissen, wie auf
diskriminierendes Verhalten reagiert werden kann. Antidiskriminierung wird von den
Befragten als priorisiertes Fortbildungsthema im Spektrum Vielfalt benannt. Es zeigen
sich über die Fragen hinweg (signifikante) Unterschiede nach Standort und Geschlecht.
Diskussion
Die Ergebnisse zur Wahrnehmung queerer Menschen bzw. von Diskriminierung lassen
eine Unterschätzung der Situationen vermuten (vgl. Gleichstellungsbüro UL) und eine
weitere Sensibilisierung der Personen als sinnvoll erscheinen. Eine Adressierung
Hochschuldozierender zeigt sich über das Schlüsselthema Antidiskriminierung als
erfolgversprechend. Weiter zu diskutieren bleibt in dieser Studie das Verhältnis von
Nutzen, d. h. Erkenntnisgewinn für die Angebotsgestaltung, und Herausforderung, d. h.
Reproduktion normativer Kategorien.
Literatur
Budde, Jürgen, und Merle Hummrich. 2015. „Inklusion aus erziehungswissenschaftlicher
Perspektive“. Erziehungswissenschaft 26 (2): 33–42.
Gleichstellungsbüro Universität Leipzig. Unveröffentlichte Präsentation an der Universität
Leipzig am 06.10.2017.
Hartmann, Jutta. 2002. Vielfältige Lebensweisen. Dynamisierung in der Triade
Geschlecht-Sexualität-Lebensform. Bd. 157. Forschung Erziehungswissenschaft.
Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Krell, Claudia, und Kerstin Oldemeier. 2018. Coming-out - und dann ... ?! Bd. 10170.
Schriftenreihe. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.
Voß, Heinz-Jürgen. 2011. Geschlecht. Stuttgart: Schmetterling Verlag.
Jürgen Budde
Inklusion als Feld von bildungspolitischer Normativität (Forum „Normativität im
Fokus“)
Der vorgeschlagene Einzelbeitrag beschäftigt sich mit aktuellen bildungspolitischen
Entwicklungen zu schulischer Inklusion und fragt nach den normativen Grundlegungen
von Inklusionsforschung.
Den Ausgangspunkt bildet einerseits die Beobachtung, dass Inklusion (hier dem aktuellen
kategorisierenden Diskursmainstream folgend verstanden als Aufnahme von
Schüler*innen mit Förderbedarf in das Regelschulsystem) oftmals mit Bezug zur UN-BRK
als eine ‚unumstößliche Entwicklung‘ dargestellt wird. Gleichzeitig wird eine sukzessive
Entwicklung von segregativer über integrativer zu inklusiver Beschulung attestiert und
mit euphorisch-normativ eingefärbten Vorstellungen ‚positiver‘ oder ‚gelingender‘
Inklusion‘ unterlegt (z.B. BMBF 2018).
Andererseits lassen sich bildungspolitische Entwicklungen registrieren, die Inklusion
kritisch anfragen und eine wieder verstärkte Leistungsselektion propagieren. Hier wäre
die jüngste Bildungspolitik der Bundesländer Nordrhein-Westfahlen (MSB NRW 2018)
oder Schleswig-Holstein zu nennen. Ein weiteres Beispiel wären Positionen der AfD zu
schulischer Inklusion, wie sie exemplarisch in der Parole „eine Marschkolonne ist nur so
schnell wir ihr langsamstes Mitglied“ sichtbar wird. Ähnliche exklusionsorientierte
bildungspolitischen wie gesellschaftlichen Entwicklungen scheinen auch in anderen
Staaten an Bedeutung zu gewinnen, sodass mit diesem ‚Backlash‘ auch die Idee eines
inklusiven Bildungs- und Gesellschaftssystems zunehmend zur Disposition stehen könnte.
Darüber hinaus steht die Idee schulischer Inklusion und eines gemeinsamen Lernens
auch spannungsreich zur einer zunehmenden Individualisierung im Schulsystem.
So erscheint Inklusion als ein strittiges Feld. Zu fragen wäre mithin zum einen, wie sich
die normative Idee der Inklusion zu exkludierender und gleichzeitig individualisierender
Gesellschaft und ihrem Schulsystem verhält. Dazu wird der jeweilige normative Horizont
von Inklusion zwischen Euphorie und Backlash im Vortrag rekonstruiert. Zum anderen
soll die Position der erziehungswissenschaftlichen Inklusionsforschung, die sich
intersektional argumentierend für Fragen von De-Kategorisierung und sozialer
Ungleichheit interessiert und ihre eigenen normativen Grundlegungen angefragt werden.
Anstelle von Forderung nach entweder strikter Nicht-Normativität von Wissenschaft oder
aber ideologischer Parteinahmen wird für einen reflexiven Umgang mit Normativität in
der Forschungspraxis plädiert.
Literatur
BMBF (2018): Perspektiven für eine gelingende Inklusion. Beiträge der
„Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ für Forschung und Praxis. Berlin.
MSB NRW (2018): Eckpunkte zur Neuausrichtung der Inklusion in der Schule.
www.schulministerium.nrw.de/docs/Schulsystem/Inklusion/Kontext/Eckpunkte-
Inklusion/index.html
Katrin Ehrenberg
Differenzproduktion und -bearbeitung in inklusionsorientierten Schulen mit
Schulassistenz – Empirische, methodische und methodologische Überlegungen
zum Umgang mit doppelter Normativität (Forum „Unterricht und Akteur*innen“)
Die Diskussion um den Einsatz von Schulassistenz in inklusionsorientierten Schulen weist
sowohl in der Praxis als auch in der Forschung einen normativ aufgeladenen Charakter
auf. Schulassistenz wird dabei ambivalent gesehen: Sie ist als Sozialhilfemaßnahme nicht
im Schulsystem verankert, was häufig in Unklarheiten hinsichtlich Zuständigkeit und
Weisungsbefugnis sowie Tätigkeitsfeld und Professionalisierung resultiert. Ausgehend von
der Norm der gleichberechtigten Teilhabe der Schüler*innen kommt Schulassistent*innen
jedoch die überwiegende und zuweilen alleinige Zuständigkeit für Teilhabe an Bildungs-
und Lernprozessen einzelner Schüler*innen zu. Sie werden somit zugleich zu einem
funktionalen Bestandteil des Bildungssystems (Ehrenberg/Lindmeier 2019). Ein Scheitern
der Teilhabe wird in Forschung und Praxis häufig normativ am Handeln der
Schulassistenz festgemacht, was v.a. durch die Forderungen nach Professionalisierung
von Schulassistent*innen und die Gefahr der Vernachlässigung struktureller Aspekte
deutlich wird.
Forschende sind dabei in doppelter Hinsicht mit Normativität konfrontiert: Zum einen ist
Normativität ist als „bindende Kraft von Normen“ (Reh/Rabenstein 2012, 228) immer ein
Bestandteil der erforschten Praktiken. Normen wirken als „Formen sozialer Macht“ (Butler
2009, 84) und „impliziter Standard der Normalisierung“ (ebd., 73) und rahmen das
Handeln der Akteur*innen. Vor diesem Hintergrund begegnen Forschenden im
Forschungsprozess normative Annahmen der Akteur*innen gegenüber der Arbeit von
Schulassistent*innen. Zum anderen impliziert der Forschungsprozess immer auch
normative Annahmen, da Differenzkategorien und Normen reifiziert und (re-)produziert
werden. Normativität ist somit sowohl Bestandteil der erforschten Praxis als auch des
Forschungsprozesses selbst.
Ziel des Beitrags sind empirische, methodische und methodologische Überlegungen zu
dieser doppelten Normativität im Kontext der Erforschung von Schulassistenz, welche
entlang der Ergebnisse einer eigenen ethnographischen Studie erfolgen. Bezugspunkt der
Überlegungen sind die im Fokus der Untersuchung stehenden Praktiken der Herstellung
und Bearbeitung von Differenz in inklusionsorientierten Primarschulen mit Schulassistenz.
Es wird rekonstruiert, wie die schulische Ordnung durch die beteiligten Akteur*innen
hergestellt wird und wie Gleichheit und Differenz sowie Zugehörigkeit und Nicht-
Zugehörigkeit ausgehandelt werden. Ausgehend von der theoretischen
Analyseperspektive des ,Othering‘ (Riegel 2016) wird rekonstruiert, welche Normen dabei
auf unterschiedlichen Ebenen des Sozialen, resp. der beobachtbaren Praktiken, des
Diskurses und der strukturellen Macht- und Ungleichheitsverhältnisse wirksam werden
und in welchen normativen Annahmen dies resultiert. Weiterhin werden im
Forschungsprozess liegende normative Annahmen sowie reifizierte Normen und
Differenzkategorien und deren Auswirkung auf die Betrachtung Schulassistenz- und
Schüler*innenhandeln fokussiert.
Christian Filk & Ann-Kathrin Stoltenhoff
Machtsensible qualitativ-empirische Forschungspraxis im normativen Wissens-
und Handlungsfeld ›inklusive digitale (Schul-)Entwicklung‹ – eine erste
terrainsondierende Bestandsaufnahme (Forum „Zwischen Diskurs und Praxis II“)
Inspiriert von der Idee, dass eine inklusive Schule zu mehr Bildungsgerechtigkeit und
Teilhabe führt (Scholz 2016, Lütje-Klose 2017), verbindet das dezidiert Disziplin
überschreitend angelegte Vorhaben „Digitalisierung und Inklusion (Dig*In)“ die
theoretische und empirische Untersuchung zweier von der Bildungspolitik derzeit stark
forcierter, normativ aufgeladener Prozesse: die Digitalisierung des schulischen
Bildungsbereichs (BMBF 2018a, KMK 2016) sowie die Einrichtung einer inklusiven Schule
(BMBF 2018b, KMK 2011). Das BMBF-geförderte Verbundprojekt Dig*In der Europa-
Universität Flensburg und der Humboldt Universität zu Berlin exploriert im Kontext
qualitativer Bildungsforschung Grundsatzfragen und Gelingensbedingungen einer
inklusiven digitalen Schul- und Unterrichtsentwicklung.
Dig*In will Überlegungen, die aus der schulpraktischen Umsetzung von Inklusion und
Digitalisierung resultieren, systematisch aufeinander beziehen und mittels eines
komplementären Methodensets (Dokumentenanalyse, qualitative Interviews,
teilnehmende Beobachtung qua Videographie, kommunikativ-diskursive Validierung)
herausarbeiten, wie inklusive und digitale Schul- und Unterrichtsentwicklung verbunden
und realisiert werden können. Eine inter- bzw. transdisziplinäre Forschungsperspektive
und ein ebensolches Team sollen helfen, die in den beteiligten Disziplinen
(Medienforschung, Medienbildung, Rehabilitationswissenschaft und Medieninformatik)
bestehenden Ansätze so zu verzahnen, dass im Projektverlauf ein theoretisch und
empirisch validiertes Modell inklusiver digitaler Schul- und Unterrichtsentwicklung
entwickelt werden kann. Bereits in der aktuellen ersten Phase des Projekts wird deutlich,
dass die in der Anlage des Studiendesigns (re-) produzierten bzw. reifizierten normativen
Explikationen, Artikulationsweisen und Rhetoriken einer (selbst-)kritischen Reflexion
bedürfen. Daher ist geboten, sich zu Beginn der gemeinsamen Arbeit darüber zu
verständigen, welches (gegen-) hegemoniale Wissen in Form von Hypothesen,
Forschungsperspektiven und disziplinär geprägten Praktiken hinsichtlich des
Erkenntnisinteresses und des Gegenstandes respektive des Formal- und Materialobjektes
des zu untersuchenden Feldes in der erziehungswissenschaftlichen Debatte ebenso wie
seitens der beteiligten Forschenden besteht. Dafür sollen widerstreitende Perspektiven
auf eine inklusive Schule bzw. Gesellschaft „ohne Behinderte“ (Spirgatis 2013) ebenso
diskutiert werden wie ökonomisch motivierte Begründungslogiken auf menschliche
Vielfalt als Ressource für einen globalen Arbeitsmarkt und die Idee der Steuerbarkeit von
Bildung und deren Subjekten. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass das
akademische Feld von Machtstrukturen geprägt ist, die durch neue Forschungen
wahlweise gestärkt oder geschwächt werden können (Jergus 2014), möchten wir in
unserem Vortrag im Bereich „Themenforen“ zur Debatte stellen, wie eine machtkritische
bzw. machtsensible Forschung zum/im Wissens- und Handlungsfeld Inklusion aussehen
sowie auf allen Ebenen eines öffentlich geförderten Forschungsprojekts praktiziert
werden könnte.
Literatur
Bohl, T./Budde, J./Rieger-Ladich, M. (Hrsg.) (2017): Umgang mit Heterogenität in Schule
und Unterricht. Grundlagentheoretische Beiträge, empirische Befunde und didaktische
Reflexionen. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (2018a): Wissenswertes zum
DigitalPakt Schule. In: BMBF (Hrsg.) (11.07.2018): Bildung, Bildung digital,
DigitalPakt Schule. https://www.bmbf.de/de/wissenswerteszum-digitalpakt-schule-
6496.html (letzter Abruf: 20.02.2019).
Dasselbe (2018b): Perspektiven für eine gelingende Inklusion. Beiträge der
„Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ für Forschung und Praxis.
https://www.bmbf.de/upload_filestore/pub/Perspektiven_fuer_eine_gelingende_Inklus
ion.pdf. (letzter Abruf: 20.02.2019).
Feuser, G. (1995): Behinderte Kinder und Jugendliche. Zwischen Integration und
Aussonderung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
Hinz, A. (2002): Von der Integration zur Inklusion – terminologisches Spiel oder
konzeptionelle Weiterentwicklung? Zeitschrift für Heilpädagogik 53, S. 354-361.
Jergus, K. (2014): Zur Verortung im Feld. Anerkennungslogiken und Zitierfähigkeit. In:
Angermuller, J. et al. (Hrsg.): Diskursforschung. Ein interdisziplinäres Handbuch, Band
1. Theorien, Methodologien und Kontroversen. Bielefeld: Transcript, S. 655-664.
KMK (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der
Bundesrepublik Deutschland) (2011): Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen
mit Behinderungen in der Schule. Beschluss vom 20.10.2011.
https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2011/2011_10_20-
Inklusive-Bildung.pdf (letzter Abruf: 20.02.2019).
Dasselbe (2016): Strategie der Kultusministerkonferenz „Bildung in der digitalen Welt“.
Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 08.12.2016 in der Fassung vom
07.12.2017.
www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/PresseUndAktuelles/2018/Digitalstrategie_2017_
mit_Weiterbildung.pdf (letzter Abruf: 20.02.2019).
Lütje-Klose, B. (Hrsg.) (2017): Inklusion. Profile für die Schul- und Unterrichtsent-
wicklung in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Theoretische Grundlagen –
Empirische Befunde – Praxisbeispiele. Münster/New York: Waxmann.
Pfahl, L./Plangger, S./Schönwiese, V. (2017): Institutionelle Eigendynamik,
Unübersichtlichkeit und Ambivalenzen im Bildungswesen: Wo steht Inklusion? In:
Kruschel, R. (Hrsg.): Menschenrechtsbasierte Bildung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S.
19-28.
Scholz, I. (2016): Das heterogene Klassenzimmer. Differenziert unterrichten. 2.,
unveränd. Auflage. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Spirgatis, M. (2014): Inklusion – neues Paradigma der Gleichstellungsarbeit? Vortrag im
Rahmen der Ringvorlesung „Disability Studies – Behinderung ohne Behinderte“,
Universität Hamburg, 9. Juli 2013.
https://www.uni-flensburg.de/fileadmin/content/portale/die_universitaet/dokumente/
gleichstellung/inklusionparadigma-gleichstellungsarbeit.pdf (letzter Abruf:
22.02.2019).
Forschungsgruppe Kreativwerkstatt
Erfahrungen einer inklusiven Forschungsgruppe (Forum „Partizipative Forschung“)
Unsere inklusive Forschungsgruppe, bestehend aus Personen mit verschiedenen
sogenannten Beeinträchtigungen, die in einer Kreativ- und Textilwerkstatt arbeiten und
Forschenden aus dem Hochschulbereich, ist seit Ende 2013 tätig. In einem ersten Schritt
haben wir unsere Werkstatt untersucht und ein Buch dazu geschrieben und gestaltet.
Seither treten wir als Verein auf und arbeiten unabhängig von der Universität. Wir führen
Lehrveranstaltungen an Pädagogischen Hochschulen durch, wobei wir verschiedene
Aspekte des Lebens mit Beeinträchtigungen behandeln, halten Vorträgen an
Fachtagungen zur gemeinsamen Forschungsarbeit und haben ein Themenheft einer
Fachzeitschrift mit Texten zu diesem Thema gefüllt und gestaltet. (vgl.
www.forschungsgruppe-kreativwerstatt.ch)
Wir möchten den Zuhörern von unserer gemeinsamen Forschungs- und Lehrtätigkeit,
sowie unseren Erfahrungen, die wir an wissenschaftlichen Tagungen gesammelt haben,
berichten: Wie forschen und arbeiten wir zusammen? Was ist uns an der gemeinsamen
Forschungsarbeit wichtig? Was hat sich durch diese verändert? Welche Hürden galt/gilt
es zu überwinden?
Literatur
Die Forschungsgruppe (2016): Ein Buch über eine Werkstatt von Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern mit Rente und ohne Rente. In: Sturm, T., Köpfer, A. & Wagener, B.
(Hrsg.): Bildungs- und Erziehungsorganisationen im Spannungsfeld von Inklusion und
Ökonomisierung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Verein Forschungsgruppe Kreativwerkstatt (2017): Begegnungswelten in der
Kreativwerkstatt. Ein Forschungsbericht des Vereins Forschungsgruppe
Kreativwerkstatt. Berlin: epubli. Vierteljahresschrift für Behindertenpädagogik (2018),
Jg. 57, Heft 1: Themenheft zur partizipativen Forschung der Forschungsgruppe
Kreativwerkstatt.
Julia Gasterstädt
Zwischen Offenheit und Perspektivität – Normativität in Grounded Theory und
Situational Analysis (Forum „Methodologische Fragen“)
Der Call zur 3. Arbeitstagung der AG Inklusionsforschung verortet Inklusionsforschung
zwischen den Begriffen Normativität und Empirie. Dabei sind beide Begriffe
erklärungsbedürftig. Mit dem Begriff der Normativität werden Normen als Ausdruck eines
‚Sollen‘ angesprochen, das durch Akteure interpretiert und mit Sinn angereichert werden
muss. Mit einem ersten Zugang können Normen so als Rechtsnormen (z.B. die UN-BRK)
näher bestimmt werden. Solche Setzungen werden in anderen Systemen, z. B. dem
Schulsystem oder dem Wissenschaftssystem, wahrgenommen und reinterpretiert. In
einer zweiten Lesart können Normen als gesellschaftlich vermittelt und individuelles
Handeln rahmend verstanden werden. Mit beiden Lesarten ist davon auszugehen, dass
Forschende einerseits normativ handeln bzw. eben forschen und andererseits Normen
Gegenstand von Forschung sein können. Der Beitrag will einen Versuch unternehmen,
sich dem Begriff der Norm(-ativität) anzunähern und diesen in Bezug zu
methodologischen Fragen setzen. Diese werden am Beispiel Situational Analysis (Clarke,
2012) als Weiterentwicklung der Grounded Theory Methodologie diskutiert.
Dazu wird der Begriff der Norm(-ativität) theoretisch ausgelotet und in seiner Bedeutung
für (Inklusions-)Forschung diskutiert. Hier wird erstens die These verfolgt, dass Normen
unser ‚Wissen können‘ beeinflussen bzw. Forschung daher explizit oder implizit normativ
ist. Damit zusammenhängend wird zweitens davon ausgegangen, dass wissenschaftlich
gewonnenes Wissen und Alltagswissen voneinander nicht qualitativ zu unterscheiden
sind. Mit dieser doppelten Bestimmung lässt sich dann diskutieren, dass sich (Inklusions-
)Forschung nicht zwischen Normativität und Empirie verorten lässt. Gefragt werden kann
dabei auch, welche Funktion die Rede von Normativität bezogen auf Forschung erfüllt.
Diese theoretische und methodologische Diskussion wird am Beispiel eines
durchgeführten Forschungsprojekts (Gasterstädt, i.V.) expliziert. Im Rahmen des
Projektes wurde die Situational Analysis als „Theorie-Methoden-Paket“ (Clarke & Star,
2008) zur Rekonstruktion von Steuerungsprozessen im Anschluss zur Entwicklung
inklusiver Schulen genutzt. Statt der Frage nach Normativität von Forschung rückt damit
das Verhältnis nach der schon alten Forderung nach Offenheit und der etwas jüngeren
Betonung von Perspektivität im Forschungsprozess in den Blick.
Literatur
Clarke, A. E. (2012): Situationsanalyse: Grounded Theory nach dem Postmodern Turn.
Wiesbaden: Springer VS.
Clarke, A. E. & Star, S. L. (2008): The Social Worlds Framework: A Theory/Methods
Package. In E. J. Hackett et al. (Ed.), The Handbook of Science & Technology Studies
(S. 113-137), 3. Vol. Cambridge: MIT Press.
Gasterstädt, J. (i.V.): Der Komplexität begegnen und Inklusion steuern. Eine
Situationsanalyse zur Umsetzung von Artikel 24 der UN-BRK in zwei Bundesländern.
Springer VS.
Jürgen Gerdes, Lars Heinemann & Uwe H. Bittlingmayer
Inklusionsverständnisse von pädagogischen Fachkräften und Expert*innen
schulischer Inklusion in menschenrechtlicher Perspektive (Forum „Zwischen
Diskurs und Praxis II“)
Die empirische Sozialwissenschaft hat es in vielfältiger Weise mit impliziten und expliziten
normativen Implikationen zu tun, z.B. im Zusammenhang von Forschungsinteressen der
Forschenden oder ihrer Auftraggeber*innen, der Selektion von „Analysegegenständen“,
der Wahl von Theoriebezügen und Methoden sowie im Rahmen von gesellschaftlichen
Themenkonjunkturen und Optionen der Forschungsförderung. Im Kontext der
Inklusionsforschung gibt es zwei Aspekte von besonderer normativer Relevanz: Zum
einen stellt die menschenrechtliche Perspektive im Zusammenhang der UN-
Behindertenrechtskonvention die wohl bedeutendste und gleichzeitig allgemeinste
normative Vorgabe dar, der sich die mit der Aufgabe und dem Ziel von Inklusion
befassten Akteure ausgesetzt sehen. Zum anderen sind es die z.B. ethischen,
moralischen, pragmatischen, strategischen, professionsbezogenen, politischen
Intuitionen, Einstellungen und Überzeugungen der in einer Praxis involvierten Akteure
selbst, die einen normativen Gehalt haben, der sich im Spektrum von für
selbstverständlich gehaltenen Normalitäts- und Normalisierungserwartungen und (noch)
tolerierbaren Verhaltensabweichungen einerseits und Vorstellungen über die (realistische
bis utopische) Transformation von Strukturen, Kulturen und Praktiken im Namen von
Inklusion andererseits erstrecken kann.
Der anvisierte Beitrag analysiert – auf Basis der Auswertung von Expert*innen-
Interviews, die im Rahmen des BMBF-geförderten Forschungs- und Entwicklungsprojekts
„StiEL – Schule tatsächlich inklusiv“ geführt worden sind – verschiedene
Inklusionsverständnisse von pädagogischen Fachkräften und sonstigen Expert*innen
schulischer Inklusion im Hinblick auf die Frage, ob, inwieweit und in welcher Hinsicht
diese eine menschenrechtliche Perspektive adressieren oder mit einer solchen kompatibel
sind und ob und inwieweit diese Inklusionsverständnisse von anderen
bildungspolitischen, pädagogischen, professionsbezogenen, institutionell-kontextuellen,
weltanschaulich-politischen Interessen, Normen und Vorstellungen, die im
Zusammenhang von Interpretationen der eigenen Rollen, Aufgaben und Praktiken
relevant sein können, überformt oder gar konterkariert werden. In diesem
Zusammenhang ist auch die Frage nach Wahrnehmung und subjektiver Verarbeitung von
inklusionstypischen Dilemmata (Leistungsförderung vs. vorbehaltloser Anerkennung,
Lernzieldifferenzierung vs. soziale Integration, Ressourcen-Etikettierungsdilemma u.a.)
von Bedeutung. Dieses Vorgehen setzt die vorgängige theoretische Klärung einer
menschenrechtlichen Perspektive auf Inklusion voraus, die auf Basis einschlägiger
Beiträge des menschenrechtlichen Inklusionsdiskurses im Kontext des Deutschen
Instituts für Menschenrechte erfolgt.*
* Bei entsprechendem Bedarf und genügendem Raum könnte die theoretische Klärung
einer menschenrechtlichen Perspektive auch einen eigenständigen weiteren Beitrag im
Rahmen eines Themenforums zu ‚normativen Rahmenbedingungen der Inklusion‘ oder zu
‚Inklusion in menschenrechtlicher Perspektive‘ darstellen.
Daniel Goldmann
Formen der unterrichtlichen Inklusion = Qualitäten der Inklusion? (Forum
„Unterricht und Akteur*innen“)
Ausgehend von der grundlegenden Unterscheidung von "Mitgliedschaft und Teilhabe"
(Herzmann/Merl 2017) ist die zentrale Frage qualitativer Inklusionsforschung im
Unterricht, wie jenseits der Ermöglichung von Anwesenheit im Unterricht Inklusion
tatsächlich vollzogen wird. Bisher werden aber fast ausschließlich unterrichtliche
Phänomene in der Sozialdimension untersucht (vgl. Rabenstein 2016). Die inhaltliche
Dimension und damit die Frage, wie Inklusion über das Lernen von
Unterrichtsgegenständen erfolgt, ist demnach weitgehend unterbelichtet.
Der Vorschlag dieses Beitrags besteht darin, über die systemtheoretischen
Begriffsverständnisse von Inklusion und der Kommunikation von Lernen (Dinkelaker
2007) die lern- bzw. wissensbezogene Inklusion von SchülerInnen in den Unterricht
beobachtbar zu machen. Im Fokus des Beitrags steht jedoch die darüber hinaus gehende
Frage, inwieweit diese Inklusion deskriptiv in verschiedene Qualitäten unterschieden
werden kann. Der Zugang zu diesen unterschiedlichen Qualitäten erfolgt über empirische
Erfassung verschiedener Komplexitäten struktureller Kopplungen der unterrichtlichen
Interaktion mit dem psychischen Lernen der Schüler*innen. Von dort aus soll diskutiert
werden, inwieweit diese beobachtbaren Komplexitäten Momente von Qualität sein
können und darüber Unterricht in seiner Inklusionsqualität bewertet werden kann. Diese
Überlegungen werden anhand von Fallbeispielen illustriert und zur Diskussion gestellt.
Literatur
Dinkelaker, J. (2007): Kommunikation von Lernen. In: Zeitschrift für
Erziehungswissenschaft, 10. Jg., H. 2, S. 199–213.
Herzmann, P./Merl, T. (2017): Zwischen Mitgliedschaft und Teilhabe. Praxeologische
Rekonstruktionen von Teilhabeformen im inklusiven Unterricht. In: ZISU – Zeitschrift
für interpretative Schul- und Unterrichtsforschung, 6. Jg., H. 1.
Rabenstein, K. (2016): Methodologische Fragen einer qualitativen Erforschung inklusiven
Unterrichts. Herausforderungen einer empirisch fundierten didaktischen
Theoriebildung. In: Musenberg, O./Riegert, J. (Hrsg.): Didaktik und Differenz. Bad
Heilbrunn, S. 233–244.
Susanne Gottuck
„Homogenität wird dann direkt immer kritisiert und gesagt, ‚nein wir müssen
aber Inklusion machen‘“. Diskurse von Lehramtsstudierenden zu Inklusion und
der Be-Deutung von Normativität (Forum „Hochschule“)
Mit der bildungspolitischen Reformagenda Inklusion sind Lehrer*innen und
Lehrer*innenbildung herausgefordert, diskriminierende Praktiken und Strukturen der
Institution Schule und ihre Beiträge zur Reproduktion und Produktion von sozialer
Ungleichheit stärker als bisher zu thematisieren (vgl. Budde & Hummrich 2013,
Tervooren & Pfaff 2017). Im Kontext der Lehrer*innenbildung ist der Studieninhalt
‚Inklusion‘ mit jeweils unterschiedlichen inhaltlichen Positionen (vgl. Rabenstein 2017 et
al.) konstitutiver Bestandteil aller lehramtsbildenden Fächer an vielen deutschen
Universitäten. Normative Programmatiken der bildungspolitischen Reformagenda und
damit einhergehende pädagogische Diskurse werden somit zum Gegenstand des
Lehramtsstudiums aller Schulformen. Sie treffen im Feld der Lehrer*innenbildung auf
historisch gewachsene disziplinäre Strukturen, Selbstverständnisse und Praktiken des
Thematisierens von Schule und professionellem Handeln.
Im Fokus des Vortrags steht die Frage, wie jene Programmatiken schulischer Inklusion
von Lehramtsstudierenden inklusionsbezogener Lehre entworfen, aufgerufen und
verhandelt werden. In der Analyse von Gruppendiskussionen mit Lehramtsstudierenden
wird aus diskursanalytischer Perspektive gefragt: Wie wird ‚schulische Inklusion‘ als
thematischer Gegenstand und Handlungszusammenhang in den Äußerungen der
Studierenden diskursiv konstruiert und performativ hervorgebracht und welche Praktiken
des Be-Deutens, der Positionierung und der Subjektivierung gehen hiermit einher? Der
Blick darauf, wie Studierende in ihren Äußerungen auf normative Programmatiken
schulischer Inklusion Bezug nehmen wird hierbei mit Hilfe eines poststrukturalistisch-
praxeologischen Zugangs (Wrana 2015) geschärft.
Wie sich eine Normativität inklusiver Programmatiken konstituiert, wird nicht vorab
bestimmt, sondern durch die jeweils situative Bedeutung in den Äußerungsakten der
Studierenden als In-Verhältnissetzung und als spezifische Antwortverhältnisse
rekonstruiert.
Die Analyse fokussiert zum einen auf normative Ordnungen, die von den Studierenden
(im Sprechen über Inklusion) aufgerufen und re-aktualisiert oder verschoben werden.
Zum anderen werden die Subjektpositionen, die in der Anerkennung dieser Ordnungen
bezogen werden, analysiert. Welche Spannungen und Widersprüche werden dabei in
Bezug auf unterschiedliche Handlungsanforderungen von den Studierenden verhandelt
und bearbeitet? Abschließend wird diskutiert, welche Rückschlüsse aus einer
rekonstruktiven Perspektive auf Gruppendiskussionen mit Lehramtsstudierenden für
Professionalisierungsprozesse im Kontext einer inklusionsorientierten
Lehrer*innenbildung gezogen werden können.
Literatur
Budde, J., & Hummrich, M. (2013). Reflexive Inklusion. Zeitschrift für Inklusion.
Rabenstein, K., Bührmann, A. D., Biele Mefebue, A., & Laubner, M. (2017). Lehrer*
innenbildung, Diversitätsforschung und Diversitätsmanagement. journal für
lehrerInnenbildung, 2, 7-13.
Tervooren, A. & Pfaff, N. (2017). Inklusion und Differenz. In Sturm, T.& Wagner-Willi, M.
(Hrsg.), Handbuch Schulische Inklusion (S. 31-44). Opladen/Berlin/Toronto: Barbara
Budrich,
Wrana, D. (2015). Zur Analyse von Positionierungen in diskursiven Praktiken. In Fegter,
S., Kessl, F., Langer, A., Ott, M., Rothe, D., & Wrana, D. (Hrsg.),
Erziehungswissenschaftliche Diskursforschung (S. 123-141). Wiesbaden: Springer VS.
Erich Otto Graf
Implikationen bei Inklusionsforschungsprozessen (Forum „Partizipative
Forschung“)
Seit mehr als fünfeinhalb Jahre arbeite ich in der Forschungsgruppe Kreativwerkstatt
(https://www.forschungsgruppe-kreativwerkstatt.ch/ ) mit Menschen mit und ohne so
genannte Behinderungen zusammen. Wir untersuchen das Entstehen und Erleben von
Behinderungsphänomenen in spezifischen Situationen. Wir untersuchen wie Phänomene
von Behinderung entstehen, was „Behinderung" schliesslich ausmacht in vielen Bereichen
unseres Alltags (Arbeiten, Wohnen, öffentliches Leben, in der Bildungsinstitution), wie wir
damit umgehen lernen und explorieren Copingstrategien zum Umgang mit
Behinderungssituationen. Ich möchte in meinem Beitrag kurz vorstellen, wie wir die
Forschungsgruppe aufgebaut haben, welche Lernprozesse wir gemacht haben und wo wir
in der Entwicklung unseres Projektes heute aus meiner Sicht stehen.
Im Zentrum des Vortrages stehen das das theoretische und methodische Konzept dieser
Art zu forschen. Es gelangen verschiedene Arbeitstechniken zur Anwendung, im Zentrum
jenes der operativen Gruppe ((Graf 2003)) und die Ethnopsychoanalyse (Graf 2017).
Inklusionsforschung heisst für mich, dass ich gemeinsam mit sogenannt behinderten und
so genannt nichtbehinderten Menschen forsche. Zentrales Moment eines solchen
Forschungsansatzes ist das grundlegende Verstehen des vielfältigen
Übertragungsgeschehens innerhalb der Forschungsgruppe und zwischen dem
Forschungskontext und dem Kontext der Forschung. Neben der Analyse der
Gegenübertragungen gilt es die verschiedenen institutionellen Implikationen zu beachten,
die eine solche Forschungsweise mit sich bringt. Forschen in diesem Zusammenhang wird
so zu einem zweiseitigen Lernprozess.
Sebastian Hempel, Anna Nutz, Matthias Otten
Rekonstruktiv und partizipativ forschen – ein (un)auflösbares
Spannungsverhältnis? (Forum „Partizipative Forschung“)
Im Forschungsprojekt „Partizipative Lehre im Kontext inklusionssensibler Hochschule
(ParLink)“1 geht es um die Entwicklung einer „inklusiven“ Hochschuldidaktik unter
Beteiligung von Menschen mit Lernschwierigkeiten als Bildungsfachkräfte. Die
Bildungsfachkräfte haben eine dreijährige Qualifikation absolviert und führen seitdem an
Hochschulen und anderen Erwachsenenbildungskontexten Lehreinheiten zum
Themengebiet Inklusion durch. Teile des Projekts sind in einem rekonstruktiven
Forschungsdesign angelegt. Es werden Videografien und Gruppendiskussionen
durchgeführt, um die interaktionale Konstitution von Lern‐ und Bildungssituationen und
die Handlungsorientierungen der Beteiligten (Studierende und Bildungsfachkräfte) zu
rekonstruieren. Was dabei von wem unter welchen Aspekten als „inklusiv“ erlebt und
erachtet wird, ist eine empirische Frage. Die Daten werden mit der Dokumentarischen
Methode ausgewertet (vgl. Bohnsack 2010, 2014). Teilweise sind im Projekt Elemente
partizipativer Forschung vorgesehen, insbesondere in der halbjährlich tagenden
Fokusgruppe (vgl. Buchner et al. 2011), in der Bildungsfachkräfte, Studierende und
Wissenschaftler*innen vertreten sind. Dort wird gemeinsam der Forschungsprozess
reflektiert, z.T. werden auch Auswertungen besprochen. An einigen Stellen wird im
Projekt jedoch die Frage aufgeworfen, inwiefern rekonstruktive und partizipative
Forschung miteinander vereinbar sind (vgl. Hametner 2013, Wagner‐Willi 2011). Diesen
Aspekt möchten wir in der Forschungswerkstatt gemeinsam auf einer methodologischen
und forschungspraktischen Ebene diskutieren, gerne anschaulich gemacht mit Sequenzen
aus bereits durchgeführten Videografien.
Folgende Fragen spielen dabei – angelehnt an konkrete Beispiele aus unserem
Forschungsprojekt – eine Rolle:
• Inwieweit ist die Rekonstruktion von implizitem Wissen und handlungsleitenden
Orientierungen der Beforschten mit einen partizipativen Vorgehen (Beteiligung der
Co‐Forschenden in der Dateninterpretation) vereinbar?
• Welche (Forschungs)Funktion nehmen die partizipierenden Co‐Forscher*innen dabei
ein?
• Welche Rolle spielen hierbei vorgängige bzw. (re)konstruierte
Identitätszuschreibungen (Forscher*innen mit und ohne Behinderung) und das
jeweilige Erfahrungswissen der Forschenden/ Beforschten?
• Wie kann mit Asymmetrien im Hinblick auf die Deutungsmacht über
Forschungsdaten umgegangen werden?
• Welche ethisch‐normativen Konflikte werden ausgelöst und wie können diese
entschärft werden?
• Welche Erfahrungen wurden in anderen Projekten hinsichtlich eines
partizipationsorientierten Forschungsanspruchs gesammelt?
Literatur
Bohnsack, Ralf (2010): Die Dokumentarische Methode. In: Ingrid Miethe und Karin Bock
(Hg.): Handbuch qualitative Methoden in der Sozialen Arbeit. Opladen & Farmington
Hills: B. Budrich, S. 247‐258.
Bohnsack, Ralf (2014): Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative
Methoden. 9. Überarbeitete und erweiterte Auflage, Opladen: UTB.
Buchner, Tobias; König, Oliver; Schuppener, Saskia (2011): Von Standorten,
Ontologisierungen und Parteilichkeit: Methodische Reflexionen im Rahmen
Partizipativer Forschung. Teilhabe 50 (4), S. 167‐168.
Hametner, Katharina (2013): Wie kritisch ist die rekonstruktive Sozialforschung? Zum
Umgang mit Machtverhältnissen und Subjektpositionen in der dokumentarischen
Methode. In: Phil C. Langer, Angela Kühner und Panja Schweder (Hg.): Reflexive
Wissensproduktion. Anregungen zu einem kritischen Methodenverständnis in
qualitativer Forschung. Wiesbaden: Springer VS, S. 135‐147.
Wagner‐Willi, Monika (2011): Standortverbundenheit und Fremdverstehen. Anmerkungen
zu Schwerpunktthema „Partizipative Forschung“. In: Teilhabe 50 (2), S. 66‐68.
1 Verbundprojekt zwischen der Technischen Hochschule Köln, der Universität Leipzig und
dem Institut für inklusive Bildung Kiel, Laufzeit: 05/2018‐03/2021, gefördert durch das
BMBF.
Martina Kaack
Systemtheoretische Analyseoptionen vor dem Hintergrund empirischer
Fragestellungen im Kontext des Inklusionsdiskurses (Forum „Methodologische
Fragen“)
Der systemtheoretische Inklusionsbegriff differenziert nicht auf behindert/nichtbehindert
hin, sondern auf die Relevanz sozialer Adressen für Kommunikation. Insofern steht hier
die Ausrichtung auf Funktionalität in Bezug auf aktuell bedeutsame Sinnbezüge im
Vordergrund. Die im Call der Tagung problematisierte normative Ausprägung empirischer
Arbeiten ist dadurch optional.
Wesentliche Bezugspunkte, auf die das Prozessieren von Sinn verweist, sind nach
Luhmann die der Sinndimensionen: Sach-, Zeit- und Sozialdimension. So kann unter
ihrer Berücksichtigung die Generierung sozialer Adressen rekonstruiert und damit auf
Inklusions- und Exklusionsprozesse hin-beobachtet werden.
Als konstruktivistische Theorie bezieht die Systemtheorie zudem die
Beobachtungsposition mit ein. Das ermöglicht, Kontingenz zu berücksichtigen und den je
gewählten Referenzpunkt zu reflektieren. Eine weitere Möglichkeit des Umgangs mit
Normativität.
Im Rahmen dieses Einzelbeitrags werden Auswertungs- und Deutungsoptionen
vorgestellt, die in einer erziehungswissenschaftlichen Forschungsarbeit vor diesem
Hintergrund erprobt worden sind und sich auch in Bezug auf praktische Fragestellungen
als hilfreich erwiesen haben.
Marian Laubner
Positionierungen im Studierendendiskurs zu Inklusion. Ergebnisse einer
diskursanalytischen Studie. (Forum „Hochschule“)
Universitäten sind seit Längerem dazu aufgefordert, Konzepte für eine inklusive
Lehrer*innenbildung zu entwickeln, um angehende Lehrkräfte auf den „Umgang mit
Heterogenität“ vorzubereiten (vgl. KMK & HRK 2015). In diesen Konzepten lassen sich
unterschiedliche normative Positionierungen beobachten, z. B. bei Fragen nach dem
Inklusions- oder des zukünftigen Berufsverständnisses (vgl. Rabenstein et al. 2017).
Lehramtsstudierende sind dazu aufgefordert, sich mit normativen Positionen des
Inklusionsdiskurses auseinander- und mit ihnen in ein Verhältnis zu setzen. In meiner
diskursanalytischen Studie wurden vier Gruppendiskussionen mit Lehramtsstudierenden
im Anschluss an den Besuch inklusionsbezogener Lehrveranstaltungen erhoben, deren
Ergebnisse in dem Vortrag vorgestellt werden. Das methodologische Vorgehen folgt dem
Ansatz einer „diskursanalytische[n] Ethnographie“ (Langer/Richter 2015, S. 210). Die
Gruppendiskussionen wurden mit heuristischen Fragen (vgl. Rabenstein et al. 2019)
ausgewertet, die – ausgehend von einer kontingenzgegenwärtigen Differenzperspektive
(Hirschauer 2014) und normalismustheoretisch sensibilisiert (Waldschmidt et al. 2009) –
nach Differenz- und Normalitätskonstruktionen in diskursiven Praktiken fragt. Ziel ist es
die Positionierungen der Studierenden zu analysieren und damit ihren Umgang mit der
normativen Adressierung im Inklusionsdiskurs und wie diese legitimiert werden. Der
Vortrag kommt zu der These, dass über spezifische Differenz- und
Normalitätskonstruktionen spezifische Positionierungen zu Inklusion produziert und mit
bestimmten normativen Setzungen wiederum legitimiert werden. In dem Vortrag wird –
anschließend an bisherige Ergebnisse, die auf im Studierendendiskurs stabile und eher
feste Differenz- und Normalitätskonstruktionen und Funktion einer Stabilisierung
unterrichtlicher Ordnungen hinweisen (vgl. Laubner 2019) – dargestellt, welche
(Verschiebungen von) Positionierungen und Legitimierungen sich beobachten lassen, z.
B. vor dem Hintergrund des Besuchs eines inklusionsbezogenen Seminars und darin
thematisierten normativen Programmatiken oder der Erzählung über praktische
Erfahrungen. Zudem wird explorativ analysiert, welche Ambivalenzen, Widersprüche,
Brüche und Diskontinuitäten sich zu Differenz und Normalitätskonstruktionen und
Positionierungen beobachten lassen.
Literatur
Kultusministerkonferenz & Hochschulrektorenkonferenz (2015): Lehrerbildung für eine
Schule der Vielfalt. Gemeinsame Empfehlung von Hochschulrektorenkonferenz und
Kultusministerkonferenz.
Hirschauer, S. (2014): Un/doing Differences. Die Kontingenz sozialer Zugehörigkeiten.
In: Zeitschrift für Soziologie 43 (3), 170–191.
Langer, A./Richter, S. (2015): Disziplin ohne Disziplinierung. Zur diskursanalytischen
Ethnographie eines ‚Disziplin-Problems‘ von Schule und Pädagogik. In: Fegter, S./
Kessl, F./ Langer, A./Ott, M./Rothe, D./Wrana, D. (Hrsg.): Erziehungswissenschaftliche
Diskursforschung. Empirische Analysen zu Bildungs- und Erziehungsverhältnissen.
Wiesbaden: Springer, 211-229.
Laubner, M. (2019 i.V.): Gymnasium – eine Leerstelle im Diskurs um Inklusion als
Reformthema? Eine diskursanalytische Skizze zu Normalitätskonstruktionen von
Schule und Unterricht in Diskursen Studierender des gymnasialen Lehramts. In: Horn,
K.-P./Rabenstein, K./Stubbe, T. C. (Hrsg.): Gymnasium und Inklusion. Göttingen:
Universitätsverlag.
Rabenstein, K./Bührmann, A. D./Biele Mefebue, A./Laubner, M. (2017):
Lehrer*innenbildung, Diversitätsforschung und Diversitätsmanagement. In: Journal für
LehrerInnenbildung 17 (2), 7-13.
Rabenstein, K./Laubner, M./Schäffer, M. (2019 i.E.): Diskursive Praktiken des
Differenzierens und Normalisierens. Eine Heuristik für eine diskursanalytische
Ethnographie zu Inklusion als pädagogische Reformagenda. In: Leontiy, H./Schulz, M.
(Hrsg.): Ethnographie und Diversität. Wissensproduktion an den Grenzen und die
Grenzen der Wissensproduktion. Wiesbaden: Springer VS.
Waldschmidt, A./Klein, A./Korte, M. T. (2009): Das Wissen der Leute. Bioethik, Alltag
und Macht im Internet. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Wrana, D. (2015): Zur Analyse von Positionierungen in diskursiven Praktiken.
Methodologische Reflexionen anhand von zwei Studien. In: Fegter, S./Kessl, F./
Langer, A./Ott, M./Rothe, D./Wrana, D. (Hrsg.): Erziehungswissenschaftliche
Diskursforschung. Empirische Analysen zu Bildungs- und Erziehungsverhältnissen.
Wiesbaden: Springer, 123-142.
Sylvia Nienhaus
Die Zuschreibung von (In-)Kompetenz in der frühkindlichen Bildung und
Betreuung im Kontext von Inklusion (Forum „Zwischen Diskurs und Praxis II“)
Bereits vor der Einschulung ist Bildung und ihre gezielte Förderung ein zentrales Thema
im kindlichen Alltag (OECD Starting Strong 2017). Dies zeigt sich gut am differenzierten
System frühkindlicher Bildung und Betreuung in Luxemburg, welches sehr
unterschiedliche Angebote für die heterogene Bevölkerung Luxemburgs (STATEC 2017)
macht. Diese Angebote werden von Familien individuell genutzt und tagtäglich
unterschiedlich ausgestaltet, sodass eine „Vielfalt betreuter Kindheiten“ (Bollig, Honig
und Nienhaus 2016) entsteht. Betrachtet man dies aus der Perspektive der
Inklusionsforschung, lässt sich Diversität als in Prozesse der Differenzierung verwoben
betrachten, die zu In- oder Exklusion führen können (Merl 2017), dadurch, dass Kinder
vorteilhaft oder nachteilig im Bildungs- und Betreuungssystem positioniert werden, indem
ErzieherInnen oder LehrerInnen ihnen z.B. soziale (In-)Kompetenzen zugeschreiben
(Nienhaus 2018). Vor diesem Hintergrund möchte ich das Thema der Arbeitstagung
anhand von ethnographischem Material zu einer mehrstufigen Gruppenaktivität in einer
luxemburgischen Kindertageseinrichtung in einem Forenbeitrag aufgreifen. Ein Junge, der
unter spezieller Beobachtung durch zwei Erzieherinnen steht, die die Aktivität leiten, wird
über die Dauer der Aktivität hinweg mehrmals ermahnt, es zu unterlassen, während des
kollektiven Spiels eigene „Agenden“ zu setzen. Da der Junge den Ermahnungen der
beiden pädagogischen Fachkräfte wiederholt nicht Folge leistet, wird er phasenweise aus
der mehrstufigen Aktivität ausgeschlossen und anschließend wieder integriert. Dieser
Prozess überlagert sich mit einer verdeckten Zuschreibung von (In-)Kompetenz
hinsichtlich eines spezifischen Verhaltens in Gruppen, welches ich unter Rückgriff auf eine
Studie zur Klassifizierung von abweichendem Verhalten durch pädagogisches Personal in
einer Kindertageseinrichtung (Waksler 1991) analysiere. Indem ich mich darauf
konzentriere, wie der Junge wiederholt aus dem Kinderkollektiv aus- und eingegliedert
wird, kann ich zeigen, wann und unter welchen Bedingungen die Befolgung bzw. der
Widerstand gegenüber Gruppenregeln zu Inklusion bzw. Exklusion führt. Mit dem Fokus
auf diese situative Beobachtung scheint es, als würden normative Festlegungen
ausgeklammert; dennoch und gerade weil ich als Feldforscherin den Jungen auch in
anderen Kontexten begleitet, d.h. sein „Bildungs- und Betreuungsarrangement“ (Bollig,
Honig und Nienhaus 2016) kennengelernt habe, ist mir bewusstgeworden, wie zentral es
ist, wahrgenommene Differenzierungen als solche zu explizieren (Fritzsche und
Tervooren 2012), z.B. anhand des von mir verwendeten Begriffes der verdeckten
Zuschreibung. Vor diesem Hintergrund möchte ich in meinem Beitrag die Frage des
Umgangs mit doppelter Normativität in empirischen Studien diskutieren.
Bettina Reiss-Semmler
Normativität schulischer Inklusion – Ein Blick auf Diskurs und Empirie (Forum
"Zwischen Diskurs und Praxis I")
Bei Inklusion handelt es sich seit jeher um ein hoch normatives Konzept. So war der
normative Anspruch der gleichberechtigten Teilhabe von jungen Menschen mit und ohne
Behinderung (vgl. Schnell 2006), verbunden mit der Hoffnung auf eine insgesamt
gerechtere Gesellschaft, bereits für die Integrationsbewegung der 1970er Jahre der
Antrieb, die bestehenden Strukturen des Schulsystems in Frage zu stellen und auf
Veränderungen hinzuwirken (vgl. hierzu die Beiträge in Müller 2018; Stähling/Wenders
2011). Seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts wird Inklusion durch die UN-
Behindertenrechtskonvention normativ-politisch (vgl. Cramer/Harant 2014) begründet
und erhält ein dementsprechend hohes moralisches Gewicht.
Wenn ein Diskurs darauf ausgerichtet ist, die pädagogische Praxis auf Grundlage einer
normativ-pädagogischen Reflexion – oder eines Dogmas (vgl. Klemenz/Paschen 2012) –
zu verändern, führt dies fast zwangsläufig zu einer unvollständigen Argumentation (vgl.
Wischer 2009). Die Argumentation eines breit rezipierten Teils des Inklusionsdiskurses
erscheint vor allem im Hinblick auf die unzureichende Berücksichtigung der
gesellschaftlichen Funktionen von Schule unvollständig (vgl. z.B. Budde/Hummrich 2013;
Katzenbach 2012; Wischer 2015). Unvollständig bleibt die Argumentation, da Inklusion
als grundsätzlich pädagogisch lösbare Herausforderung angenommen wird und die – dem
entgegenstehenden – Funktionen von Schule wie Selektion und Allokation ausgeblendet
oder als überwindbar betrachtet werden. Zugleich wird innerhalb des Diskurses Inklusion
als gesellschaftliche Herausforderung nur bedingt reflektiert (Budde/Hummrich 2013;
2015; Feuser 2017).
Hieraus resultiert auch eine besondere Herausforderung für die pädagogische Praxis. Am
Beispiel von sich dezidiert als inklusiv verstehenden Grundschulen wirft der Vortrag einen
Blick auf Parallelen zwischen der Argumentation des Inklusionsdiskurses und inklusiver
Schulentwicklung. Grundlage bilden hierbei sechs Gruppendiskussionen, welche im
Rahmen einer an der Praxeologischen Wissenssoziologie ausgerichteten Dissertation
(Reiss-Semmler 2019) erhoben und mit der Dokumentarischen Methode ausgewertet
wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass auch an diesen Schulen das Regelschulsystem und
die Norm kognitiver Leistungsfähigkeit als Bezugspunkt implizit bestehen bleiben und es
vor allem zwei Strategien zum Umgang mit der Inklusionsforderung gibt: Zum einen
nehmen Lehrkräfte die eigene Praxis als grundsätzlich inklusiv und gelingend an und
betrachten Inklusion somit als pädagogisch
lösbare Herausforderung; zum anderen weisen Lehrkräfte, die das inklusive Ideal nicht
mit ihrer schulischen Handlungspraxis in Einklang bringen können, Inklusion als
unrealistische Anforderung zurück und delegieren die Verantwortung zur Lösung der
Probleme an Externe. Der Vortrag nimmt in diesem Zusammenhang vor allem die
Bedeutung des hohen moralischen Gewichts der Inklusionsforderung für die schulische
Praxis in den Blick.
Miklas Schulz
Normativität, Normalität und Normalismus. Vorzüge begrifflicher
Differenzierung für die Inklusionsdebatte (Forum „Normativität im Fokus“)
Für eine diversitätssensible (Um-)Gestaltung von Bildungsinstitutionen ist die Frage nach
einer (wünschenswerten) Normativität höchst relevant. Bereits der menschenrechtlich
verbürgte Anspruch von Inklusion legt hiervon Zeugnis ab. Dabei hat die
Normalismusforschung – an die angeknüpft werden soll - schon in Anschluss an die
Arbeiten von Jürgen Link ab Ende der 1990er Jahre darauf verwiesen, dass es
unterschiedliche Normen gibt. Insbesondere die Inklusionsdebatte ist vermutlich gut
beraten, diese analytischen Differenzierungen (weiterhin) ernst zu nehmen und produktiv
mit ihnen zu arbeiten.
In meinem Vortrag möchte ich einen Beitrag zur konzeptionellen Schärfung leisten,
indem ich die Begriffe Norm, Normativität, Normalität und Normalismus unterscheide.
Eine Verhältnisbestimmung kann helfen, deutlicher zu erkennen, worin die
Herausforderungen im Kontext der Inklusion liegen. Schließlich macht es einen
Unterschied, ob von einer normativen oder einer normalistischen Norm die Rede ist.
Während erstere einer sozialen Wirklichkeit vorgängig ist, leitet sich letztere erst aus
einer über Daten konstruierten (Normal-)Verteilung innerhalb eines beobachteten
Zusammenhangs ab.
Insofern es einer Inklusionsforschung um ein geklärtes Verhältnis zu ihren eigenen und
gesellschaftlichen normativen Grundlagen geht, die entsprechend differenziert in
empirischen Studien aufgegriffen werden können und sollen, mag die
Begriffsdifferenzierung vermehrt Berücksichtigung finden. Auf diese Weise können
Verwicklungen von normativen Normen und normalistischen Normen transparent
gemacht werden, was der (selbst-)kritischen Auseinandersetzung gleichfalls förderlich
sein dürfte. Denn Inklusion ist normativ und somit präskriptiv orientiert; gleichwohl gilt
das Phänomen Behinderung (um die sich die Inklusion gegenwärtig überwiegend dreht)
als ein normalistisch orientiertes, und damit dem massenhaft beobachtbaren Verhalten
nachgelagertes, Konzept. Das bedeutet, dass sich bereits in dem Gegenstand der
Inklusionsdebatte sich diese beiden Dimensionen verschränken.
Benedikt Hopmann
Der Capabilities-Ansatz als normativ-theoretische Metrik für Inklusion am
Beispiel der SGB VIII-Reformdebatte (Forum „Normativität im Fokus“)
Vor dem Hintergrund des im Rahmen der SGB VIII-Reform forcierten Vorhabens einer
sog. ‚Inklusiven Lösung‘, welche auf die Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe
für alle Kinder und Jugendlichen mit und ohne Behinderung abzielt, soll in diesem Beitrag
die Frage aufgeworfen werden, was Inklusion im Zuge der Reformdebatte für die Kinder-
und Jugendhilfe mit Blick auf das maßgeblich im Fokus stehende Handlungsfeld der Hilfen
zur Erziehung überhaupt bedeuten kann (dazu Hopmann 2019). Dieser Fragestellung
liegt die Annahme zugrunde, dass nicht nur die Debatte um die ‚Inklusive Lösung‘,
sondern auch der Inklusionsbegriff Normativität zwar in höchstem Maße einzufordern
scheinen, sie dabei jedoch den normativen „Point of Inclusion“ (Ziegler & Clark 2016,
585) nicht selbst herzustellen vermögen.
Die Klärung dessen, dass und inwiefern nun „Inklusion und Exklusion gut oder schlecht
[sind]“ (Felder 2012, 121), verlangt nach dem Entwurf einer gemeinsamen
„informational basis“ (Sen 2000, 56), die über (menschen-)rechtliche
Implementationsfragen hinausreicht – ohne letztere grundsätzlich infrage zu stellen.
Am Beispiel der Hilfen zur Erziehung wird dargelegt, dass und inwiefern sich der
Capabilities- Ansatz nach Nussbaum (2007) als normativer und evaluativer
Bezugsrahmen zur Theoretisierung von Inklusion heranziehen lässt. Die Präferenz für
diesen Ansatz liegt – neben seinem normativen Gehalt – in dessen grundsätzlicher Nähe
zu sonder- und sozialpädagogischen sowie inklusionsbezogenen Fragestellungen
begründet. Es werden zwei analytische Teilperspektiven der capabilities-basierten
Inklusionsperspektive herausgearbeitet. Während die Teilperspektive der substantiellen
Inklusivität auf der Ebene der Handlungen und Daseinsweisen aktuelle Umgangsweisen
fokussiert, zielt die prozedurale Inklusionsperspektive auf der Ebene der Befähigungen
auf Konsequenzen und Zielvorstellungen von Förderungs- und Hilfemaßnahmen.
Gleichwohl stellen die Befähigungen und deren Ermöglichung den maßgeblichen Dreh-
und Angelpunkt der capabilities-basierten Inklusionsperspektive dar. Abschließend sollen
Potentiale und offene Fragen der vorgeschlagenen normativ-theoretischen Metrik für die
Inklusionsforschung diskutiert werden.
Literatur
Felder, F. (2012): Inklusion und Gerechtigkeit. Das Recht behinderter Menschen auf
Teilhabe. Frankfurt: Campus Verlag.
Hopmann, B. (2019): Inklusion in den Hilfen zur Erziehung. Ein capabilities-basierter
Inklusionsansatz. Dissertation. Universität Bielefeld.
Nussbaum, M. C. (2007): Frontiers of Justice: Disability, Nationality, Species
Membership. Cambridge: Harvard University Press.
Sen, A. (2000): Development as freedom. New York: Alfred A. Knopf.
Ziegler, H.; Clark, Z. (2016): Philosophie/Ökonomie: Capability Approach. In: Hedderich,
I. et al. (Hrsg.): Handbuch Inklusion und Sonderpädagogik. Bad Heilbrunn: Verlag
Julius Klinkhardt, S. 580–585.
Anke Redecker
Die Orientierungsfunktion des Normativen. Zur bildungstheoretischen
Grundlegung von Empirie in der Inklusionsforschung (Forum „Theoretische
Fragen“)
Empirische Inklusionsforschung hat sich über grundlegende Begrifflichkeiten wie
„Bildsamkeit“. „Anerkennung“ oder „Förderung“ zu verständigen, um untersuchen zu
können, inwieweit Inklusionspädagogik gelingt. Diese Begrifflichkeiten können insofern
die normative Basis der Empirie ausmachen. Wo z.B. Förderkonzepte geprüft werden, ist
der Begriff der Bildsamkeit vorauszusetzen, um die Aussicht auf Lernfortschritte zu
berücksichtigen. Werden bildungstheoretische Grundbegriffe hier nicht dogmatisch oder
dirigistisch eingesetzt, so können sie als Orientierungsvorstellungen aufgefasst werden,
die weder zu fixen Idealzielen gerinnen noch faktische Untersuchungsergebnisse
entbehrlich machen. Theorie und Empirie haben so die Möglichkeit, als jeweils
dynamische sich an- und miteinander weiterzuentwickeln, indem eine Verständigung
über Grundbegriffe und eine stetige Wachsamkeit in Bezug auf empirische
Errungenschaften aufrechterhalten werden. Auf diese Weise können empirische
Forschungsergebnisse dazu anregen, begriffliche Grundlegungen zu überdenken,
während eine Reflexion über diese Grundlegungen wiederum empirisches Vorgehen
dimensionieren und hinterfragen kann.
So kann auch der Versuch unternommen werden, das oft krisenhafte
Spannungsverhältnis zwischen Theorie und Empirie, Formalem und Faktischem,
Gefordertem und Getestetem immer wieder neu anforderungsgerecht zu gestalten. In
Inklusionsprozessen kann hier zum Beispiel die Anerkennung des Anderen als zu
bezeigende Achtung und Wertschätzung gefordert und zugleich untersucht werden,
inwiefern reale Anerkennungsverhältnisse im Inklusionskontext vage und ambivalent
bleiben, da die Annäherung an den Anderen und die Abgrenzung von ihm sowie
Befähigung und Bemächtigung einander durchkreuzen und durchdringen. Die realen,
empirisch in den Blick kommenden Ambivalenzen von Anerkennungsverhältnissen
können hierbei immer wieder prüfend zu den Orientierungsvorstellungen der Achtung
und Wertschätzung ins Verhältnis gesetzt werden.
Hinsichtlich der in der Phänomenologie des Fremden betonten unaufhebbaren Andersheit
des Anderen (auch als eines Menschen mit Behinderung) sind ebenfalls empirisch
relevante Szenarien zu berücksichtigen, die die theoretischen Vorgaben immer wieder
durchbrechen und relativieren. So bleibt es erforderlich, die Andersheit des Anderen
durch Kategorisierungen und Schematisierungen zu hintergehen oder zu überwältigen,
um ein je angemessenes Diagnostizieren und Fördern zu ermöglichen. Art und Grad der
Behinderung sind zum Beispiel festzustellen, um bedarfsgerecht ansetzen zu können.
PädagogInnen und ForscherInnen haben jeweils situationsangemessen zu entscheiden,
inwieweit sie in die Andersheit des Anderen eingreifen, um sie transparenter werden zu
lassen und somit der Forschung zugänglich zu machen. So bleibt empirische
Inklusionsforschung auf ein je situationsrelevantes Fallverstehen verwiesen, um mit
hermeneutischem Geschick das konkret zu Untersuchende zu theoretischen
Vorstellungen sinn- und verantwortungsvoll ins Verhältnis zu setzen.
Robert Schneider
Person als Moment der Forschung inklusiver Pädagogik – Normativität und ihr
realistisches Pendant im Anschluss an kritische Anthropologien (Forum
„Theoretische Fragen“)
Sowohl im Kritischen Personalismus1 als auch in der marxistischen Anthropologie2 wird
der Mensch allgemein als eine bestimmte Form des Seins beschrieben, die ihrerseits der
Praxis bedarf, um sich im Werden an Personen zu konkretisieren. Marx schreibt dazu in
einem Brief an Annenkow: „Die soziale Geschichte des Menschen [Gattung, Person als
Begriff] ist stets nur die Geschichte ihrer individuellen Entwicklung“3.
Dabei spielen Vorgänge der Subjektivierung und Objektivierung (Marx) bzw. der
Erhaltung und Entfaltung (Stern), d. h. der kooperativen Produktivität als (natürliche)
Arbeit eine zentrale Rolle. Dies ist im Rahmen einer kritischen Bildungstheorie (z. B.
Heydorn 1970/2004) an die Idee transformativer Bezüge (Dialog) von Person und Welt
anschlussfähig:
„Bildung wird wieder, was sie am Anfang war: Selbsthilfe.4 (…) Bildung intendiert die
umfassende empirische Verwirklichung des Menschen als Gattung, deren Möglichkeiten
sie im Gegenüber erfährt.“5
Teilhabe erweist sich vor diesem Hintergrund als das Bildungsmoment schlechthin –
Bildung als Dialog, der sich ethisch als Prozess charakterisieren lässt „in welchem der
eigene Selbstwert und die Werte der Welt zugleich bejaht“6 werden. Die Gattung Mensch
zeigt sich dann als Person bzw. „unitas multiplex“7; diese seine Auffassung als vielfältige
Einheit und einheitliche Vielheit (d. i. Person) scheint zudem geeignet, um sie zur
Bedingung der Möglichkeit von Dialog und Demokratie zu erheben. Diese Vermutung wird
durch die Analyse des Prozesses der Menschenrechte zusätzlich gestützt8.
Zur inhaltlichen Struktur:
1. Neben einer Einführung in eine derart anthropologisch-ethische Bildungstheorie,
2. erfolgt eine kritische Auseinandersetzung mit den ›Folgen‹ dieser normativen
Bestimmung der Menschheit/des Menschen vor dem Hintergrund inklusiver Pädagogik.
Exemplarisch kann dabei die Dialektik von Autonomie und Partizipation im Rahmen
personaler Praxis diskutiert werden, die schon von ihrer Idee her auf Diversität verweist:
„Das Handeln bedarf einer Pluralität, in der zwar alle dasselbe sind, nämlich Menschen,
aber dieses auf die merkwürdige Art und Weise, dass keiner dieser Menschen je einem
anderen gleicht, der einmal gelebt hat oder leben wird.“9
3. Außerdem wird versucht, den Zusammenhang von Normativität und Empirie im
Rahmen dieser anthropologisch-ethischen Theorie exemplarisch anhand der Erforschung
von Gefühlen (als Aspekt von Bildung) zu exemplifizieren.10
Literatur 1 Vgl. William Stern, Ableitung und Grundlehre des Kritischen Personalismus, Leipzig
1923.
2 Vgl. Karl Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte (hgg. v. B. Zehnpfennig),
Hamburg 2005
[1844], S. 1–158; vgl. Erich Fromm, Marx’ Concept of Man. New York 1961. 3 Karl Marx, „an P.W. Annenkow“, in: MEW (Bd. 4). Berlin 1990 [1846], S. 547–557,
hier: S. 548 f. 4 Hans-Joachim Heydorn, Über den Widerspruch von Bildung und Herrschaft. Wetzlar
2004 [1970],
S. 289. 5 Ebd., S. 23. 6 William Stern, Wertphilosophie, Leipzig 1924, S. 243. 7 Stern, Ableitung und Grundlehre, S. 163. 8 Vgl. Bodo von Borries, Geschichtslernen und Menschenrechtsbildung. Auswege aus
einem
Missverhältnis? Normative Überlegungen und praktische Beispiele. Schwalbach/Ts 2014. 9 Hannah Arendt, Vita activa. Oder: Vom tätigen Leben. München/Zürich 2014 [1958], S.
17. 10 Siehe dazu: Agnes Heller, Theorie der Gefühle. Hamburg 1981.
Jennifer Lambrecht
Theorie schulischer Inklusion. Vorstellung eines Vorschlags (Forum „Theoretische
Fragen“)
Eine Dekade nach in-Kraft treten der Konvention über die Rechte von Menschen mit
Behinderungen der Vereinten Nationen (UN-BRK), die ein inklusives Schulsystem fordert,
zeigte sich empirisch, dass die Mehrheit der Kinder mit Behinderungen in Deutschland
weiterhin Förderschulen besucht (KMK, 2018). Auf normativer Ebene gibt es zur
Implementation von Inklusion verschiedene Konzepte (z. B. Prengel, 2006; Boban &
Hinz, 2003). Des Weiteren wurden quantitative Forschungsprojekte durchgeführt, die
Erkenntnisse über die Entwicklung der Schulkinder, Lehrpersonen und der Schulen und
Bildungslandschaften lieferten (Preuss-Lausitz, 2014). Jedoch können weder normative
noch empirische Ansätze die Frage klären, warum Inklusion in Deutschland so langsam
voran geht.
Es mangelt an einer Theorie schulischer Inklusion, die erklären kann, was Inklusion im
Sinne der UN-BRK für das deutsche Schulsystem bedeutet und die im Paradigma des
kritischen Rationalismus empirisch überprüfbar ist.
Eine solche Theorie habe ich nach einem Modell theoretisch-empirischer Forschung (in
Anlehnung an Schlömerkemper, 2010) entwickelt. Kern der Theorie schulischer Inklusion,
die basierend auf der Systemtheorie Luhmanns durch rekonstruktive quantitative und
qualitative Forschung spezifiziert wurde, sind fünf Thesen, die sich (gekürzt) wie folgt
darstellen:
1. Verlagerung der Komplexitätsreduktion: Inklusion bedeutet, dass die Handhabung von
Differenzen im Schulsystem kontingent ist, da die primäre Differenzierung an Hand einer
Behinderung wegfällt.
2. Autopoiese der Systeme: Inklusion bedeutet, dass die institutionellen Grenzen der
Systeme „Allgemeines Schulsystem“ und „Sonderschulsystem“ aufgehoben werden. Ein
inklusives Schulsystem entsteht dann, wenn es neue Differenzierungslinien zur
Komplexitätsreduktion nutzt.
3. Komplexitätsreduktion im System in Relation zur Umwelt: Die Entstehung inklusiver
Systeme ist kontingent und vollzieht sich in Relation zur Umwelt des jeweiligen Systems.
Das Inklusionsverständnis der Umwelt steht in Beziehung zum Inklusionsverständnis des
Systems.
4. Rationalität - Differenzierungslinien: Welche Differenzierungslinie in inklusiven
Systemen zur Komplexitätsreduktion genutzt wird, ist kontingent und muss jeweils
empirisch festgestellt und vor dem Hintergrund des Inklusionsverständnisses reflektiert
werden.
5. Systemrationalität(en): Die Bildung inklusiver Systeme ist dann wahrscheinlich, wenn
das allgemeine Schulsystem mit den Erfordernissen der sonderpädagogischen
Förderschwerpunkte übereinstimmt. Diese Passung variiert mit dem jeweiligen
Inklusionsverständnis.
Im Einzelbeitrag werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie mit der Theorie schulischer
Inklusion die Umsetzung von Inklusion beobachtet, analysiert und ggf. korrigiert werden
kann. Dazu wird die Theorie zunächst kurz vorgestellt und anschließend konkrete
Forschungsmöglichkeiten skizziert, an Hand derer die Theorie überprüft und empirische
Forschungsergebnisse eingeordnet werden können.
Literatur
Boban, I. & Hinz, A. (2003). Index für Inklusion. Lernen und Teilhabe in Schulen der
Vielfalt entwickeln. Halle (Saale): Martin-Luther-Universität
KMK (Kultusministerkonferenz der Länder) (2018). Datensammlung Sonderpädagogische
Förderung in allgemeinen Schulen ohne Förderschulen 2017/2018. Verfügbar unter
https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/Statistik/Dokumentationen/Aus_SoPae_I
nt_2017.xlsx
Prengel, A. (2006). Pädagogik der Vielfalt. Verschiedenheit und Gleichberechtigung in
Interkultureller, Feministischer und Integrativer Pädagogik (3. Aufl.). Wiesbaden: VS
Verlag für Sozialwissenschaften.
Preuss-Lausitz, U. (2014). Wissenschaftliche Begleitungen der Wege zur inklusiven
Schulentwicklung in den Bundesländern. Versuch einer Übersicht. Technische
Universität Berlin. Verfügbar unter http://www.ewi.tu-
berlin.de/fileadmin/i49/dokumente/Preuss-Lausitz/Wiss._Begleitung_Inklusion.pdf
Schlömerkemper, J. (2010). Konzepte pädagogischer Forschung. Eine Einführung in
Hermeneutik und Empirie. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Yannick Zobel
Normen gegen Visionen. Wie Autismusratgeber Inklusionsvorstellungen
begrenzen (Forum "Zwischen Diskurs und Praxis I")
In diesem Vortrag zeige ich anhand einer qualitativen Analyse von aktuellen
Schulratgebern zum Thema Autismus wie in Inklusionsdiskursen an der Grenze von
Wissenschaft und Praxis etablierte Normen in Konflikt mit den Visionen für eine andere
Schule treten. Gesellschaftliche Veränderungsprozesse wie die Entwicklung inklusiver
Schulformen finden nie in einem normfreien Raum statt. Da die Erziehungswissenschaft
diesen Prozess begleitet aber auch gestaltet, kann sie sich nicht auf die Position einer
scheinbar wertfreien Empirie zurückziehen. Mit einer wissenschaftstheoretischen
Einordnung meiner Analyseergebnisse diskutiere ich, wie sich qualitativ-empirische
Forschung zu diesem Normenkonflikt verhalten kann.
Schulratgeber zum Thema Autismus (z.B. Sautter et. al. 2012, Schirmer 2016, Schuster
2016) spiegeln den Konflikt zwischen Normativität und Empirie ganz konkret. In meiner
rekonstruktiven Analyse zeige ich, welche Grundannahmen über Schule, Bildung und
Behinderung das Inklusionsverständnis der Ratgeberliteratur stützen, und wieso sie in
ihrer gewordenen Selbstverständlichkeit nicht unmittelbar als Normen erkennbar sind.
Beispielsweise legt bereits die Publikationsform eine Auffassung von Inklusion nahe, die
sich weiterhin an Förderbedarfs-kategorien orientiert und versucht, Betroffenen durch
kompensatorische Maßnahmen einen Nachteilsausgleich innerhalb der bestehenden
Strukturen zu verschaffen. So werden grundlegende institutionelle Voraussetzungen
verstetigt und bilden innerhalb dieses Diskurses das Fundament, auf dem Inklusion
errichtet werden muss, schließen dadurch aber gleichzeitig andere
Inklusionsvorstellungen aus.
Wenn der Inklusionsforschung im Kontext solcher Systemdiskurse vorgeworfen wird, zu
präskriptiv zu agieren, wird häufig vernachlässigt, dass auch das gegenwärtige
Schulsystem nicht aus neutralen, wertfreien Erwägungen entstanden ist, sondern aus
einem langen historischen Prozess normativ gefärbter Entscheidungen. Dieses Gerüst aus
älteren Überzeugungen ist aber im Laufe der Jahrzehnte zu einer scheinbar
selbstverständlichen Grundfeste des Bildungssystems und damit weitgehend unsichtbar
geworden.
Qualitativ-empirischer Forschung kommt eine Schlüsselrolle zu, wenn es um die
Aushandlung von Normativitäten in aktuellen gesellschaftlichen Veränderungsprozessen
geht. Am Beispiel meiner Forschung zeige ich, wie es gelingen kann, durch kritische
Rekonstruktion (Hummrich/Kramer 2016) verschüttete Normen aufzudecken und im
Sinne einer Entselbstverständlichung des bestehenden Wissens (Degele 2008) ihre
Notwendigkeit erneut zur Debatte zu stellen. So können neue Ausgangspunkte und
Räume für Alternativen entstehen.
Poster
Bernadette Bernasconi
Didaktisches Handeln und Reflektieren inklusiven Unterrichts
Schulische Inklusion meint das Miteinanderlernen aller Schülerinnen und Schüler und
erfordert eine Orientierung an normativen Leitlinien (Dederich 2013, Prengel 2013, Reich
2017, Textor 2014/2015). Lehrerinnen und Lehrer stoßen in der praktischen Arbeit
allerdings genau hier häufig an ihre Grenzen. Nach Speck-Hamdan (2015) bewegt sich
inklusiver Unterricht zwischen Programmatik und Praxis, zwischen Zugehörigkeit und
indivi-dueller Unterstützung, zwischen Adaptivität und Standardisierung sowie zwischen
Inklusion und Exklusion. Innerhalb dieser Spannungsfelder, die zum Teil auch in
Widerspruch zueinander stehen, haben Lehrerinnen und Lehrer die Aufgabe, professionell
tätig zu sein, Beziehungen aufzubauen und ihren Unterricht didaktisch sinnvoll
aufzubereiten. Es ergibt sich folgende Fragestellung: Welche didaktischen Arrangements
erweisen sich für den inklusiven Unterricht als geeignet und wie werden sie von
Lehrerinnen und Lehrern umgesetzt und reflektiert?
Die qualitative Studie fokussiert durch Unterrichtsbeobachtungen und
Gruppendiskussionen mit Lehrpersonen inklusionserfahrener Schulen didaktisches
Handeln und Reflektieren im Kontext inklusiven Unterrichts. Das Poster stellt
Forschungsdesign und erste Ergebnisse vor.
Literatur
Dederich, M. (2013): Anerkennung. In: Inklusion Lexikon [Online Zugriff unter:
http://www.inklusion-lexikon.de/anerkennung_dederich.php]
Prengel, A. (2013): Inklusive Bildung in der Primarstufe. Eine wissenschaftliche Expertise
des Grundschulverbandes. Frankfurt am Main: Grundschulverband e.V.
Speck-Hamdan, A. (2019): Inklusion: der Anspruch an die Grundschule. In: Blöhmer, D.
et al. (Hrsg.): Perspektiven auf inklusive Bildung. Jahrbuch Grundschulforschung 18,
Wiesbaden: Springer, 13-22
Textor, A. (2015): Einführung in die Inklusionspädagogik. Bad Heilbrunn: UTB
Reich, K. (2017): Inklusive Didaktik. Bausteine für eine inklusive Schule Reihe: Inklusive
Pädagogik. Weinheim/ Basel: Beltz 2014.
Textor, A., Kullmann, H. & Lütje-Klose, B. (2014): Eine Inklusion unterstützende Didaktik
‒ Rekonstruktionen aus der Perspektive inklusionserfahrener Lehrkräfte. Jahrbuch für
Allgemeine Didaktik, 4, 69‒90.
Lisa Effelsberg
Konstruktion des Förderschwerpunkts Emotionale und soziale Entwicklung -
Erwartungsnormen und Urteile von Lehrkräften im Feststellungsprozess des
sonderpädagogischem Förderbedarfs
Eine Grundfrage im Inklusionsdiskurs betrifft den Umgang mit diagnostischen Kategorien.
Seit einigen Jahren ist daher eine Debatte über die Kategorie sonderpädagogischer
Förderbedarf auszumachen. Aus Sicht von KritikerInnen handelt es sich dabei um ein
Konstrukt eines sozialen Systems, der Ausdruck einer subjektiven
Bedeutungszuschreibung ist (Wagner 2016, Katzenbach 2014, Haas 2012, Gomolla und
Radtke 2009, Hinz 2009 u.v.m.).
In der BRD ist seit 2009 ein Anstieg der gesamten sonderpädagogischen Förderquote von
5,3% auf 7,1% zu verzeichnen (Klemm 2015). Im sonderpädagogischen
Förderschwerpunkt Emotionale und soziale Entwicklung hat sich die SchülerInnenzahl
dabei mehr als verdoppelt („Etikettierungsschwemme“, Wocken 2017). Als Definitionen
dieses Förderschwerpunkts werden Abweichungen im Verhalten von den
kulturspezifischen Normen beschrieben (Myschker & Stein 2018). Eine Zuweisung von
SchülerInnen zu diesem Förderschwerpunkt wird damit zu einer sozialen Konstruktion,
die beliebig ausgelegt werden kann.
In der Forschungsarbeit soll die Frage nach der Feststellung dieses Förderschwerpunkts
in inklusiven Kontexten auf Basis der soziologischen Perspektiven von Etikettierung
(Goffman, Becker), Stigma (Goffman) und Anerkennung (Honneth) betrachtet werden.
Es sollen lehrerseitige Überzeugungen im Rahmen einer qualitativen Explorationsstudie
anhand von leitfadengestützten Interviews mit Lehrkräften ermittelt werden, die an
inklusiven Primar- und weiterführenden Schulen Kinder mit und ohne
sonderpädagogischen Förderbedarf unterrichten und sich im Feststellungsprozess des
Förderschwerpunkts Emotionale und soziale Entwicklung befinden. Es sollen folgende
Fragen bearbeitet werden: Auf Basis welcher Erwartungsnormen und Urteile entscheiden
Lehrkräfte, dass ein Kind diesem Förderschwerpunkt zugeordnet werden soll? Aus
welchen Motiven heraus beantragen Lehrkräfte in inklusiv unterrichtenden Schulen
diesen sonderpädagogischen Förderbedarf? Welche Normen und Urteile besitzen
Lehrkräfte in Bezug auf diesen Förderschwerpunkt?
Philipp Hackstein
Normative Motivation für 'beschreibende' Zugänge? Oder: Wieviel Haltung
braucht Inklusionsforschung? - Die Diskursanalyse im Spannungsfeld
In Bezug auf die im Call angesprochenen Brückenschläge zwischen Normativität und
Empirie im Rahmen der Inklusionsforschung möchte mein Posterbeitrag zur Diskussion
einladen. Gerade die wissenssoziologische Diskursanalyse befindet sich mit ihrer
Befragung der wissenschaftlichen Wahrheitsproduktion auf ihre Machtverstrickungen hin
in diesem Spannungsfeld. Hierfür möchte ich ein Modell vorschlagen, das es
gewährleistet, dem radikal-emanzipatorischen Anliegen der Inklusion gerade durch
empirische Forschung treu zu bleiben. Grundlage dafür ist eine Forschungshaltung, die
die Realisierungen der eigenen Fortschrittsgedanken stets problematisiert.
Anne Köhler
Partizipation im inklusiven Sportunterricht
Problemstellung und Fragestellung:
Im Zuge des bildungspolitisch hoch aktuellen Themas der Inklusion wird Partizipation auf
allen gesellschaftlichen Ebenen gefordert (UN, 2006; DVS, 2015). Auf der konkreten
Ebene der Rahmenvorgaben für den Schulsport in NRW ist Partizipation ein
Gestaltungsprinzip für den Unterricht. Hier bedeutet Partizipation „…gemeinsame
Vereinbarungen zu treffen und Heranwachsende zunehmend selbst- und mitbestimmt an
der Planung, Durchführung und Auswertung der Lerngelegenheiten zu beteiligen.“
(MSWNRW, 2014, S. 15). Die Fragestellung lautet:
• Wie und wo wird im inklusiven Sportunterricht Partizipation durch die Sportlehrkraft
und durch die Schüler*innen hergestellt?
Forschungsmethodisches Vorgehen:
Partizipation im inklusiven Sportunterricht und insbesondere die Frage nach dem Wie
wird mittels qualitativer Methoden erhoben. Im Sinne einer ethnographischen
Forschungsstrategie wird die Datenerhebung mit teilnehmender Beobachtung oder mit
Videographie durchgeführt.
Der Begriff der Inklusion ist bildungspolitisch und auch gesellschaftlich per se normativ
geladen, da er in gewisser Weise vorschreibt, wie einzelne Gesellschaftsmitglieder und
ganze Systeme handeln sollen. Somit zeigt sich Normativität auch in der eigenen
Forschung bei der Konstitution des Gegenstandes der Partizipation als mögliche
Gelingensdimension von Inklusion. Im Rahmen des forschungsmethodischen Vorgehens
zeigt ein deduktives Verfahren, bei dem theoriegeleitet ein Kategoriensystem für einen
möglichen Beobachtungsleitfaden erstellt wird, das hier der Versuch einer
Operationalisierung normative An-nahmen offen legt. Eine Auswertung der Daten mit
einem induktiven Vorgehen insbesondere mit einer ethnographischen
Forschungsstrategie, kann an dieser Stelle zu einer Reduktion von Normativität
beitragen. Im Rahmen des eigenen Forschungsprozesses gilt es an den jeweiligen Stellen
normative Implikationen zu erkennen und zu reflektieren, um ei-ne eindimensionale
Betrachtung zu vermeiden.
Literatur
Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft. "Inklusion und Sportwissenschaft".
Positionspapier der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft. Zugriff unter
https://www.sportwissenschaft.de/fileadmin/pdf/download/dvs_Inklusion-und-
Sportwissenschaft_2015.pdf
Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (2014).
Rahmenvorgaben für den Schulsport in Nordrhein-Westfalen. Zugriff unter
http://www.schulentwicklung.nrw.de/lehrplaene/upload/klp_SI/HS/sp/Rahmenvorgab
en_Schulsport_Endfassung.pdf
UN [United Nations]. United Nations Convention on the Rights of Persons with
Disabilities. Zugriff unter https://www.institut-fuer-
menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-
Dateien/Pakte_Konventionen/CRPD_behindertenrechtskonvention/crpd_en.pdf
Kathrin Lemmer
Kooperationspraktiken und -vorstellungen von Lehrkräften und angehenden
Lehrkräften in inklusionsorientierten Schulen
Dieses Poster präsentiert die Ergebnisse aus der Studie „Unterstützung von Lehrpersonen
im Kontext inklusiver Lehr-Lernprozesse“ (UNIP). Unter Anwendung qualitativ-
rekonstruktiver Forschungsstrategien fragt diese Studie schulethnographisch nach
Unterstützungsadressierungen im Kontext kooperativer Prozesse an baden-
württembergischen Gemeinschaftsschulen. Mittels Interviews mit Regel- und
Sonderpädagog*innen sowie Gruppendiskussionen mit angehenden Regelschullehrkräften
werden Kooperations- und Unterstützungspraktiken rekonstruiert und hieraus
Professionsspezifika sowie „Kontextrelationen“ (Weiß 2016, 292) ermittelt (vgl. Köpfer
2018; Lemmer 2018). Die Auswertung erfolgt auf Basis der konstruktivistischen
Grounded Theory Methodology (Charmaz 2014). In theoretischer Hinsicht wird der Studie
ein relationales Handlungsmodell zugrunde gelegt, das davon ausgeht, dass in der
schulischen Handlungspraxis unter entsprechenden (materialisierten)
Rahmenbedingungen Kooperation prozessiert wird und hierin (sonder-)pädagogische
Expertise und Unterstützung relevant/irrelevant gemacht bzw. konstruiert werden. Das
auf dem Poster dargestellte Projekt „UNIP – Unterstützung von Lehrpersonen im Kontext
inklusiver Lehr-Lernprozesse“ wurde im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung an
der Universität Freiburg und Pädagogischen Hochschule Freiburg entwickelt und
durchgeführt.
Literatur
Charmaz, K. (2014): Constructing Grounded Theory. 2nd Edition. London: SAGE
Publications.
Köpfer, A. (2018) Die Konstruktion von Kooperation und Unterstützung in
multiprofessionellen Settings - Annäherungen an die Relation von Kooperation, Raum
und Expertise. In A. Langner (Hg.). Inklusion im Dialog: Fachdidaktik -
Erziehungswissenschaft - Sonderpädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Lemmer, K. (2018). Kooperationsvorstellungen und -erfahrungen angehender Lehrkräfte
in Bezug auf schulische Inklusion. Zeitschrift Für Inklusion, (4). Abgerufen von
https://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion-online/article/view/486
Weiß, A. (2017): Soziologie globaler Ungleichheiten. Frankfurt am Main: suhrkamp
wissenschaft.
Katharina Maria Pongratz
„Das wollte ich schon immer einmal machen“. Eine qualitative Studie zu Bildung
und Teilhabe am Beispiel des Schriftspracherwerbkurses der Otto-von-Guericke
Universität für erwachsene Menschen mit einer geistigen Behinderung.
Der Kurs Schriftspracherwerb fu r Menschen mit einer geistigen Behinderung wird seit
dem Wintersemester 2017 an der Otto-von-Guericke Universität vom Lehrstuhl fur
Soziale Integration und Berufliche Rehabilitation – Benachteiligtenförderung fu r
Mitarbeiter:innen der Werksta tten fu r behinderte Menschen der Pfeifferschen Stiftungen
entwickelt und angeboten. Aktuell werden zwei Kurse angeboten. Dieses
Weiterbildungsangebot der Universität dient sowohl als Seminarangebot fu r die
Student:innen des Masterstudienganges Bildungs- wissenschaften, Integrative und
Inklusive Bildung als auch Menschen mit einer geistigen Behinderung. Es werden den
Teilnehmer:innen der WfbM Grundkenntnisse vermittelt, damit diese noch besser Lesen
und Schreiben lernen, und den Student:innen theoretische und praktische Grundlagen
der Lehre im Kontext Behinderung vermittelt. Die Projektleitung liegt bei Dr. Marion
Schulze.
Grundlage des Konzepts Schriftspracherwerb fu r erwachsene Menschen mit einer
geistigen Behinderung bildet die Ta tigkeitstheorie fu r das lesen, schreiben, und rechnen
lernen nach Manske (1999). Die individuelle Gestaltung des Konzeptes fu r die KTN erfolgt
in qualitativen Spru ngen nach Vygotskijs „Zone der nächsten Entwicklung“. Als
unterstützende Materialien werden Montessori und angemessene, teils individuell von den
Student:innen entwickelte Materialien eingesetzt. Die Dokumentation erfolgt durch
teilnehmende Beobachtung, biografische Interviews, individuelle Lernkarteien und
Fotodokumentation. Die Forschungsfrage der hier vorgestellten Masterarbeit lautet:
Welche Bildungsorientierungen lassen sich bei erwachsenen Menschen mit einer geistigen
Behinderung rekonstruieren? Hierfür werden drei biografische Interviews in Anlehnung an
Demmer (2014) ausgewa hlt und auszugsweise transkribiert. Die Auswertung erfolgt
mittels der Dokumentarischen Methode in der Erwachsenenbildung (Schäffer 2012, 198).
Literatur
Chaiklin, Seth. (2010): Die Zone der nächsten Entwicklung. In: Kaiser, Astrid; Schmetz,
Ditmar; Wachtel, Peter; Werner, Birgit (Hrsg.): Behinderung, Bildung, Partizipation.
Enzyklopädisches Handbuch der Behindertenpädagogik. Band 3. Bildung und
Erziehung. Stuttgart: W. Kohlhammer. S. 78-87.
Demmer, Christine (2014) , Working Paper Reihe der Universität Siegen, Autobiografisch
narrative Interviews -(k)ein Erhebungsformat fu r Menschen mit kognitiver
Beeinträchtigung? (S. 1-21)
Heyl, Vera/Seifried, Stefanie (2014): „Inklusion? Da ist ja sowieso jeder dafür!?“
Einstellungsforschung zu Inklusion. In: Trumpa, Silke/Seifried, Stefanie/Franz,
Eva/Klauß, Theo [Hrsg.]: Inklusive Bildung: Erkenntnisse und Konzepte aus
Fachdidaktik und Sonderpädagogik. Beltz Juventa. Weinheim und Basel. S 47-60.
Jantzen, Wolfgang (2002): Materialistische Behindertenpädagogik als basale und
allgemeine Pädagogik. In: A Bernard, A Kra mer, F Riess (Hrsg.): Kritische
Erziehungswissenschaft und Bildungsreform. Programmatik – Brüche – Neuansätze.
(Bd. 1, S. 104–125) Mann, Iris (1999), Lernen konnen ja alle Leute (1. Auflage S. 1-
202).
Daniel Roos
Basierend auf dem im IBEB der Hochschule Koblenz entwickelten Ansatz
Qualitätsentwicklung im Diskurs, wird derzeit ein Forschungsprojekt durchgeführt, das
die Weiterentwicklung des Ansatzes in den Bereichen Vielfalt und Inklusion in
Kindertagesstätten thematisiert.
Inklusion ist ein schillernder Begriff in der Kitalandschaft. In der Fachpraxis führt dies oft
zu vagen und divergenten Vorstellungen darüber, was Inklusion bedeutet und wie diese
in der Kindertagesbetreuung ausgestaltet werden kann. Dem Projekt liegt ein
Inklusionsverständnis zugrunde, das unterschiedliche Heterogenitätsdimensionen und
divergente Gruppenzugehörigkeiten berücksichtigt.
Kindertagesstätten sind Orte, an denen sich Heterogenität manifestiert (vgl. Herrmann et
al. 2018: 5). Es stellt sich die Frage, wie Fachkräfte mit diesen Erscheinungsformen von
Vielfalt umgehen und was sie befähigt, sensibel damit umzugehen. Die Forschungsfrage
lautet: Welche Faktoren sind in Bezug auf die Umsetzung einer inklusiven/
vielfaltssensiblen Pädagogik im Praxisfeld rheinland-pfälzischer Kindertagesstätten als
handlungsleitend zu identifizieren?
Ziele des Forschungsprojektes:
Erkenntnisgewinn zum Inklusionsverständnis unterschiedlicher Akteure aus dem Feld der
Kindertagesstätten in Rheinland-Pfalz
Wahrnehmung von für das Praxisfeld relevanten Problemstellungen und Bedarfen bzgl.
der Umsetzung von Inklusion in Kindertagesstätten
Im Forschungsprojekt wurden bislang schriftliche Datenquellen (Trägerkonzepte) und
Expert*inneninterviews mit unterschiedlichen Akteuren aus der rheinland-pfälzischen
Kitalandschaft genutzt. Die Auswertung fand auf der Basis inhaltsanalytischer Verfahren
statt (vgl. Gläser/ Laudel 2010: 203ff.). Orientiert an der Forschungsfrage wurde das
Ablaufschema angepasst.
In den Ergebnissen finden sich Hinweise, dass die Perspektive auf Inklusion primär von
der jeweiligen Position des einzelnen Akteurs abhängt. Darüber hinaus zeigt sich in der
Dokumentenanalyse, dass die Handlungsebene als eine von sieben Ebenen nur marginal
gefüllt ist und kaum konkrete Vorstellungen über deren Ausgestaltung bestehen.
Literatur
Gläser, J., Laudel, G. (2010). Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse als
Instrumente rekonstruierender Untersuchungen. 4. Auflage. Wiesbaden: Springer
Fachmedien GmbH.
Herrmann, K., Sauerhering, M., Völker, S. (2018). nifbe-Beiträge zur Professionalisierung
Nr. 7. Vielfalt leben und erleben! Chancen und Herausforderungen der Heterogenität.
Niedersächsisches Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung (nifbe).
Osnabrück.
Nadine Schallenkammer, Felix Buchhaupt
Metavorhaben „Qualifizierung für inklusive Bildung“ (MQInkBi)
Zur Förderung inklusiver Bildung hat das BMBF 2016 die Förderrichtlinie „Qualifizierung
der pädagogischen Fachkräfte für inklusive Bildung“ ausgeschrieben. Ziel ist es, die
Qualifizierung der pädagogischen Fachkräfte in allen Bildungsbereichen besser auf
inklusive Lehr-Lernprozesse auszurichten. In der Förderrichtlinie werden 39
Forschungsprojekte bundesweit gefördert. Das zugehörige Metavorhaben (MQInkBi)
unterstützt eine Vernetzung der geförderten Forschungsvorhaben und den
Wissenstransfer in die Praxis. Damit soll neben einem kontinuierlichen Austausch
zwischen den Forschungsprojekten auch ein schneller und nachhaltiger Transfer
relevanter Wissensbestände in die Bildungspraxis, in die Ausbildung von pädagogischen
Fachkräften, in die Politik und in die Öffentlichkeit befördert werden.
Vom Metavorhaben werden verschiedene Maßnahmen durchgeführt und sollen auf einem
Poster in Kürze beschrieben und dargestellt werden:
• Beobachtung der Ergebnisse und Entwicklungen in der Förderlinie mit dem Ziel
einer Zusammenführung der dort gewonnenen Erkenntnisse in eine
Forschungssynthese.
• Vernetzung der Projekte untereinander durch unterschiedliche Tagungsformate.
• Bereitstellung einer Website, Einrichtung eines Newsletters und Aufbau einer
Online-Zeitschrift.
Maximilian Seidler
Körperbasierte Zugänge in einem inklusiv naturwissenschaftlich-technischen
Sachunterricht
Ausgehend von einem weiten Inklusionsverständnis, versteht sich Inklusion als Theorie
einer heterogenen Gruppe, in der es zu keiner Klassifizierung bzw. Stigmatisierung von
Personen kommt und Heterogenität als Grundprinzip angesehen wird. Für den
schulischen Kontext bedeutet diese Zielvorstellung, dass Barrieren abgebaut und eine
Teilhabe aller Schüler*innen ermöglicht wird (vgl. Boban/Hinz 2009, S. 32f.). Diesem
Anspruch wird man im deutschen Schulsystem nur teilweise gerecht (vgl. Löser/Werning
2015, S. 20). Insbesondere das Grundschulfach Sachunterricht ist laut Hinz (2011) für
eine inklusionsdidaktische Auslegung und gelebte Inklusion prädestiniert (vgl. Hinz 2011,
S. 35). Gleichzeitig spiegelt sich diese Sichtweise nur geringfügig in der Empirie wider,
weshalb wir im Bereich des inklusiven Sachunterrichts ein Forschungsdesiderat
wiederfinden (vgl. Lange-Schubert/Tretter 2017a, S. 287; Schroeder 2014, S. 291). In
den wenigen Forschungsergebnissen zum inklusiven Sachunterricht werden
körperbasierten Zugängen eine große Bedeutsamkeit beigemessen (vgl. Kaiser/Seitz
2017, S. 13; Lange- Schubert/Tretter 2017b, S. 240). Gleichzeitig fehlen dazu genügend
ausgearbeitete Konzepte, welche die Bedeutsamkeit bestätigen oder evaluieren (vgl.
Kaiser/Seitz 2017, S. 21). Somit lässt sich in diesem Bereich ein weiteres
Forschungsdesiderat vermerken (vgl. Lange-Schubert/Tretter 2017a, S. 287), welches zu
meinem Forschungsvorhaben führt. Ziel soll sein, eine inklusive Lernumgebung mit
körperbasierten Zugängen für den naturwissenschaftlich-technischen Sachunterricht zu
entwickeln. Auf Grundlage der normativen UN-BRK und Salamanca Erklärung soll ein
empirischer Beitrag geleistet werden, welcher aufzeigt, dass körperbasierte
Zugangsweisen Conceptual Change Prozesse für alle Schüler*innen fördern. Als
Forschungsmethode kommt der Design-Based-Research Ansatz in Frage, welcher eine
Forschung in realen Situationen ermöglicht und somit eine Kooperation zwischen
Wissenschaft und Praxis leistet (vgl. Reinmann 2005, S. 59- 61).
Literatur
Boban, Ines; Hinz, Andreas (2009): Integration und Inklusion als Leitbegriffe der
schulischen Sonderpädagogik. In: Günther Opp und Georg Theunissen (Hg.):
Handbuch schulische Sonderpädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt UTB, S. 29–35.
Hinz, Andreas (2011): Inklusive Pädagogik - Vision und konkretes Handlungsprogramm
für den Sachunterricht? In: Hartmut Giest, Astrid Kaiser und Claudia Schomaker
(Hg.): Sachunterricht - auf dem Weg zur Inklusion. Bad Heilbrunn: Verlag Julius
Klinkhardt, S. 23–38.
Kaiser, Astrid; Seitz, Simone (2017): Inklusiver Sachunterricht. Theorie und Praxis.
Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.
Lange-Schubert, Kim; Tretter, Tobias (2017a): Inklusives Lernen im
naturwissenschaftlichen Sachunterricht. Vom guten Unterricht in heterogenen
Lerngruppen. In: Frank Hellmich und Eva Blumberg (Hg.): Inklusiver Unterricht in der
Grundschule. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer, S. 268–293.
Lange-Schubert, Kim; Tretter, Tobias (2017b): Inklusives Lernen im Sachunterricht. In:
Andreas Hartinger und Kim Lange-Schubert (Hg.): Sachunterricht. Didaktik für die
Grundschule. 4. Auflage. Berlin: Cornelsen, S. 235–256.
Löser, Jessica M.; Werning, Rolf (2015): Inklusion – allgegenwärtig, kontrovers, diffus?.
Erziehungswissenschaft. Nr. 51, 26/2015, S. 17-24.
Reinmann, Gabi (2005): Innovation ohne Forschung? Ein Plädoyer für den Design-Based
Research-Ansatz in der Lehr-Lernforschung. In: Zeitschrift für Lernforschung 33 (1),
S. 52–69.
Schroeder, René (2014): Inklusiver Sachunterricht in der Grundschule - Konzeption und
Befunde zur Unterrichtspraxis. In: Michael Lichtblau, Daniel Blömer, Ann-Kathrin
Jüttner, Katja Koch, Michaela Krüger und Rolf Werning (Hg.): Forschung zu inklusiver
Bildung. Gemeinsam anders lehren und lernen. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 289–
304.
Michaela Sindermann, Andreas Brenne
Normative Orientierungen im Hinblick auf eine inklusive Kunstpädagogik: Zum
Verhältnis von theoretischem Anspruch und empirischer Wirklichkeit
Zwar verbindet sich die menschenrechtliche Forderung der Inklusion nicht mit einem
politischen Auftrag, jedoch ist die Kunstpädagogik herausgefordert, die
programmatischen und ethischen Implikationen theoretisch und empirisch zu reflektieren
(vgl. Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft, 2017, S. 4). Dieser Beitrag
adressiert daher die Frage, wie sich ein gerechtigkeitstheoretischer Bezugsrahmen einer
inklusiven Kunstpädagogik definieren lässt. In Bezug gesetzt werden theoretische
Ausgangspunkte mit empirisch analysierten Gerechtigkeitsvorstellungen über inklusive
Kunstpädagogik. Es werden Ergebnisse zum Verhältnis von gerechtigkeitstheoretischen
Annahmen und empirischen Befunden vorgestellt.
In einem ersten Schritt wird dazu in diesem Beitrag ein Begriffsverständnis inklusiver
Pädagogik weiterentwickelt, welches auf dem Feld der Kunstpädagogik wirksam wird.
Basis ist ein gerechtigkeitstheoretischer Orientierungsrahmen, der die Diskurse der
Bildungsungleichheit und der Bildungsungerechtigkeit aufeinander bezieht und sich im
Prinzip der Teilhabegerechtigkeit verdichtet (Sindermann, 2018). Dies erweist sich als
fruchtbar, wenn es nicht um die Verteilung von Ressourcen, sondern um die Entwicklung
von Potenzialen geht. Hieran wird in diesem Beitrag in einem zweiten Schritt angeknüpft,
indem die Genese und Manifestation inklusionsbezogener Gerechtigkeitsvorstellungen
angehender Kunstlehrer*innen mittels Grounded Theory exploriert werden.
Datengrundlage sind 23 problemzentrierte Interviews mit starken narrativen Anteilen.
Die Befunde werden mit den gerechtigkeitstheoretischen Ausgangspunkten ins Verhältnis
gesetzt, um ein realistisches Bild der theoretischen Ansprüche und empirischen
Realitäten nachzuzeichnen.
Aus den Analysen sind Impulse für die Weiterentwicklung einer inklusiven
Kunstpädagogik, vor allem aber für die akademische Lehrer*innenbildung abzuleiten. Die
vorgestellten Befunde stehen symbolisch für den Professionalisierungsbedarf und weisen
auf die Nicht-Technologisierbarkeit einer inklusiven (Kunst-)Pädagogik hin.
Literatur
Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft. (2017). Inklusion: Bedeutung und
Aufgabe für die Erziehungswissenschaft. Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft
für Erziehungswissenschaft (DGfE), Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft.
Zugriff am 24.12.2018. Verfügbar unter
https://www.dgfe.de/fileadmin/OrdnerRedakteure/Stellungnahmen/2017.01_Inklusion_S
tellungnahme.pdf
Sindermann, M. (2018). Inklusive Kunstpädagogik – potenzial- und differenzaffin.
Zeitschrift für Inklusion online.(1) Zugriff am 02.01.2019. Zugriff am 28.12.2018.
Verfügbar unter https://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion-
online/article/view/428
Sarah Aileen Söhnen
InkluKiT - Inklusionskompetenz in Kita-Teams. Entwicklung, Erprobung und
empirische Absicherung eines Curriculums für die Weiterbil-dung von Kita-
Teams für die pädagogische Arbeit im Kontext von Inklusion.
Projektleitung Freiburg:
Prof. Dr. Dörte Weltzien
Zentrum für Kinder- und Jugendforschung im Forschungsverbund FIVE e.V.
Evangelische Hochschule Freiburg I Bugginger Str. 38 I 79114 Freiburg
E-Mail: [email protected]
Mitarbeitende: Sabrina Döther, Christina Bücklein, Sarah Aileen Söhnen
Projektleitung Paderborn:
Prof. Dr. Timm Albers
Institut für Erziehungswissenschaft I Wartburger Straße 100 I 33098 Paderborn
E-Mail: [email protected]
Mitarbeitende: Caroline Ali-Tani
Geplante Teilnahme an der Arbeitstagung: Sarah Aileen Söhnen (M.Sc. Psych.),
Zuständig-keit im Projekt: quantitative Methoden, Datenanalyse, Datenmanagement
Projektträger: BMBF (Förderkennzeichen: 01NV1707B)
Laufzeit: Oktober 2017-September 2020
Projektziele:
Inklusive Pädagogik und die Umsetzung entsprechender Konzepte durch qualifizierte
pädagogische Fachkräfte ist seit Inkrafttreten der UN Behindertenrechtskonvention in
Deutschland im Jahre 2009 auch in Kindertageseinrichtungen eine bindende
Verpflichtung. Demgegenüber stellt sich die Praxis in Deutschland sehr heterogen dar: In
einigen Bundesländern gelten integrativ arbeitende Kitas als Standard, in anderen
bestehen viele Formen von Sondereinrichtungen. Ebenso heterogen sind
bildungspolitische Vorgaben und Qualifizierungsstrategien (Heimlich, 2013; Albers,
2011).
Demgegenüber existieren jedoch wenige empirische Ergebnisse zur Praxis der Inklusion
von Kindern mit (drohenden) Behinderungen oder von Kindern, die durch andere
Merkmale von Exklusion bedroht sind. Ebenso wenig gibt es empirisches Material zu
Realisierung und Entwicklung von Kompetenzen der pädagogischen Fachkräfte, um eine
wirkungsvolle inklusive pädagogische Praxis im Sinne der betroffenen Kinder und ihrer
Familien entfalten zu können (Albers & Lichtblau, 2014; Seitz, Finnern, Korff & Thim,
2013).
Das Projekt „InkluKiT“ möchte diese Lücke schließen, indem die gegenwärtige Praxis
inklusiven Handelns auf Ebene einzelner Fachkräfte wie der jeweiligen Teams in
Kindertageseinrichtungen untersucht wird. Auf dieser empirischen Grundlage sollen
Kompetenzen für gute, gelingende pädagogische Praxis auf Fachkraft- und Teamebene
beschrieben werden, die dann in ein Weiterbildungskonzept für Kitateams (Curriculum)
münden. Das auf diese Weise empirisch begründete Curriculum wird exemplarisch an 12
Piloteinrichtungen in zwei Bundesländern (Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen)
erprobt und evaluiert. Ziel des Vorhabens ist es, ein empirisch begründetes, erprobtes
und evaluiertes Curriculum für die Weiterbildung von gesamten Kita Teams im Sinne der
Entwicklung zur inklusiven Kindertageseinrichtung in ganz Deutschland zur Verfügung
stellen zu können.
Inhalte der Posterpräsentation:
Die Hintergründe der Projektidee und die Ziele werden skizziert, das Forschungsdesign
und im Besondern die prozessbegleitende Vorgehensweise hinsichtlich der Entwicklung
eines Curriculums zur Professionalisierung pädagogischer Fachkräfte im Kontext von
Inklusion, werden dargestellt. Darüber hinaus werden Einblicke in den aktuellen
Projektstand gewährt.
Erste Ergebnisse liegen bereits vor, beziehen sich jedoch primär auf eine Ist-Stands-
Analyse und Item-Skalen-Analysen zur Entwicklung von Erhebungsinstrumenten, weshalb
auf diese zum jetzigen Zeitpunkt lediglich kurz verwiesen wird (bisherige
Veröffentlichungen).