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8/7/2019 Jesuitenstaat
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J E S U I T E N S T A A T
Utopia im Urwald
Befreite Theologie lange vor der Befreiungstheologie: Auf denSpuren der Jesuiten in Paraguay, die dort 1609 ihr einzigartigesMissionswerk begannen.VON Christian Schmidt-Huer | 22. Dezember 2009 - 07:00 Uhr
Evaristo Sa/AFP/Getty Images
Skulpturen und Kirchen erinnern noch heute an die Jesuitenzeit
Wo die Musik spielt im Armenhaus Sdamerikas, da ist Chvez nicht weit. An diesemSonnabend warten die Indianer von Armonia im Nordwesten Paraguays auf ihn. 40
Familien aus dem Chaco haben sich in der Siedlung nahe der bolivianischen und der
argentinischen Grenze zusammengeschlossen. Sie kamen aus den Wldern und schlagen
sich inzwischen mit Tagelohn, Kleintierhaltung und Feldarbeit durch. Kontakte mit der
Auenwelt haben sie nicht gesucht. Bis sie den Brief schrieben, den Chvez las.
Schchtern stehen sie da, der Lehrer Oswaldo vorweg, die Schulkinder hinter ihm.
Oswaldo ist zugleich der Kazike von Armonia, also der Huptling. Doch kaum einer
versteht sich so gut darauf, Urbevlkerung und Armen die Scheu zu nehmen, wie Chvez
Favio Chvez, 33-jhriger Umweltingenieur und Musiker aus Leidenschaft.
Er schttelt die Hnde, seine Begleiter ziehen die Plane vom Pick-up. Dort oben ist ein
kleines Orchester ohne Musiker versammelt. Zupf- und Streichinstrumente lugen aus
Kisten und Kartons. Schon steht Chvez auf der Ladeflche und schwingt eine der Gitarren.
Ihretwegen haben die Indianer an das von Paraguay aus gestartete Musikprojekt Sonidos
de la Tierra (Klnge der Erde) geschrieben. Vier Gitarren und dazu Lernhilfen wnschte
Oswaldo fr seine besten Musikschler. Das sind drei Mdchen im Teenageralter und ein
kleiner Junge, der sein Glck und die Gitarre kaum fassen kann.
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Der Pulk zieht in den Schulraum. Chvez klemmt sich in eine Bank und stimmt die
Gitarren. Bernarda, die 39-jhrige Ordensschwester aus seinem Team, erklrt dem
Schulleiter, was durch seine Unterschrift rechtsgltig wird: dass die Instrumente im
Gemeindebesitz bleiben und den Kindern nicht mitgegeben werden drfen, dass eine
Lehrerin aus der Stadt jede Woche fr vier Stunden kommen wird, dass der Kazike seine
Schler zum ben anhalten muss.
Chvez beginnt zu spielen, reicht auch Oswaldo eine Gitarre. Pltzlich ist alle Scheu
verflogen. Im Duett spielen der Ingenieur aus der fernen Hauptstadt Asuncin und der
Indianer aus dem Chaco Lautenmusik von Johann Sebastian Bach.
Chvez und Oswaldo haben sich an diesem Tag zum ersten Mal gesehen und doch sind
beide Wiedergnger einer gemeinsamen Geschichte, die vor genau 400 Jahren begann.
Damals waren es jesuitische Padres, die sich vom Jahre 1609 an aus Asuncin in dieUrwlder Paraguays und die benachbarten Regionen der heutigen Staaten Brasilien,
Bolivien, Argentinien und Uruguay aufmachten.
Was sie vollbrachten, nannte spter selbst der bissige Kirchenfeind Voltaire einen
Triumph der Menschlichkeit. Die spanische Krone hatte diesen Geistlichen gestattet,
Missionssiedlungen fernab der damaligen Stdte zu grnden, um die Indianerstmme nicht
nur fr den Glauben zu gewinnen, sondern auch vor Sklavenjgern und der Leibeigenschaft
auf den Plantagen der Siedler zu schtzen. Auf ihren Kanufahrten durch den Dschungel
begannen die Missionare schon bald, Gesnge anzustimmen. Sie hatten entdeckt, dass ihre
Musik die Indianer unwiderstehlich anzog.
Es war nicht die Musik allein. Die Jesuiten kamen ohne alle Waffen. Lernten als Erstes
die Sprache der Ureinwohner, verfassten Wrterbcher und Grammatiken. Aus den
Dialekten des bis dahin verstreut lebenden Volkes der Guaran schufen sie eine einheitliche
Schriftsprache. Alle Kinder lernten lesen und schreiben. In ihrer Muttersprache und in
Spanisch. Das Guaran ist heute die Landessprache Paraguays neben der spanischen
Amtssprache.
Die Padres erkannten auch bald, dass ihr freundliches, aber eher trges Indiovolk weder
zu Privatinitiative noch zu profitorientiertem Denken neigte. Wenn die Guaran jedochGemeinschaftsarbeit nach alter Stammestradition verrichteten, steigerten sie ihre Leistung
sofort. Um die zu stimulieren, setzten die Missionare wieder Musik ein. Mit Trommeln
und Posaunen ging es auf die Felder. Kirchenfeiern wurden zu ppigen Sngerfesten. In
krzester Zeit verstanden es die Indianer, europische Musik meisterhaft zu spielen. Ihre
Chre und Orchester fhrten schwierige achtstimmige Vespern, Messen, ja sogar Opern
auf.
So wurden mit Musik aus Lehmhtten Steinhuser, aus Siedlungen kleine Barockstdtchen
mit Kirchen, gepflasterten Straen, umgrtet von ckern, Pflanzungen, Rinderherden,
Gewerbebetrieben. Je zwei Missionare lenkten die Geschicke von 1000 bis 5000
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Indios, deren Gemeinderat von ihren Kaziken ausgewhlt wurde. In den agrarischen
Grokommunen, die Geld nicht einmal dem Namen nach kannten und mit Tauschhandel
auskamen, gab es bald Weber und Gerber, Mller und Schlosser, Krankenpfleger,
Orgelbauer, Bildhauer.
In den sogenannten Jesuitenreduktionen (vom spanischen Wort reducr, zusammenfhren)
lebten im 17. und 18. Jahrhundert schlielich fast 200.000 Indianer in innerem Frieden und
relativem Wohlstand whrend im brigen Amerika und in Europa Scharen von Bettlern
und Armen durch die Lande zogen. konomen nannten den Jesuitenstaat von Paraguay
das einzige Industrieland Sdamerikas.
Sein Sozial- und Rechtswesen war der damaligen Zeit nach Ansicht spterer Autoren
um 200 Jahre voraus. Montesquieu urteilte ber die kleine Theokratie mit indianischer
Selbstverwaltung: Indem sie die Verwstungen der Spanier wiedergutmachte, begann sieeine der schwersten Wunden zu heilen, welche die Menschheit je empfangen hat.
Die Wunden heilten 160 Jahre lang, wenn auch unter groen Opfern. Die Plantagenbesitzer
hassten die Jesuiten schon bald, weil sie die Indios nicht mehr in das System der
Leibeigenschaft pressen konnten. Die Kaufleute von Buenos Aires und anderen
Umschlagpltzen wurden neidisch auf die hohe Qualitt der Exportwaren aus den
Reduktionen. Die Hndler waren den Missionaren spinnefeind, seit sie Geschfte mit
den arglosen Ureinwohnern nur noch unter dem wachsamen Blick der Jesuiten machen
durften. In das Paradies der Missionsdrfer brachen hufig Paulistas ein. Diese Mnner
Nachkommen portugiesischer Einwanderer, die in So Paulo Verbindungen mit entlaufenenafrikanischen Sklavinnen und Tupi-Indianerinnen eingegangen waren lebten von
berfllen auf Indianersiedlungen. Sie verkauften die Gefangenen in Kfigen auf den
Mrkten.
In ihrer Not erwirkten die Missionare vom Hof in Madrid, dass sie Schutztruppen
aufstellen durften. Ein kniglicher Erlass gestattete den Reduktionen, Arsenale fr Waffen
und Munition einzurichten. Spanische Offiziere bildeten die Zglinge der Padres an
Feuerwaffen aus. Zur strksten Wehr wurde die indianische Kavallerie, die 1641 die
Paulistas vernichtend schlug.
In den folgenden hundert Jahren forderten spanische Gouverneure die Reduktionstruppen
mehr als 50 Mal an: gegen eigene aufsssige Siedler ebenso wie zum Schutz der Grenzen
gegen Portugiesen oder britische Eindringlinge. Noch 1743 rhmte Philip V., Spanien habe
in den berseeischen Besitzungen keine loyaleren Untertanen als diese Indianer.
Doch der Hass der Plantagenbesitzer auf die Missionare erhielt Beistand von
konkurrierenden kirchlichen Autoritten in Spanien, aber auch von Europas Aufklrern,
denen die Jesuiten als Handlanger eines herrschschtigen Katholizismus galten. 1767
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redeten Intriganten am Madrider Hof dem schwachen Monarchen Karl III. ein, die Jesuiten
wollten ihn vom Thron stoen.
Am Morgen des 3. Juli 1767 um 2.30 Uhr wurden in Asuncin die Padres der Hauptstadtzusammengetrieben, um sie nach Europa zu verfrachten. Der Knig hatte ein Dekret
erlassen, das ber alle Jesuiten der Kolonien die Verbannung verhngte. Insgesamt
jagten die spanischen Soldaten 2617 Missionare aus ganz Lateinamerika auf die Schiffe.
Viele ltere Priester, 200 an der Zahl, berlebten die Deportationen nicht. Die meisten
ihrer Indianer kehrten in die Wlder zurck; denn Spanier strmten in die ihnen bis
dahin verbotenen Reduktionen und rissen alle Gter an sich. Die Kirchen verfielen. Die
Barockmusik geriet in Vergessenheit. Die Partituren galten als verloren.
1972 renovierte der Architekt Hans Roth aus der Schweiz eine Kirche im einstigen
Missionsgebiet Chiquitos in Bolivien. Dem Restaurator fiel auf, dass die Indianer vor demChorgesang alte Bcher aus einer Kiste auf Notenstnder stellten. Nur konnten sie keine
Noten lesen und so auch den Sinn ihrer Mhe nicht erfassen. Sie bewahrten als Ritual auf,
was ihre Vorfahren einst von den Missionaren real gelernt hatten. Roth inspizierte die Kiste
und entdeckte Stapel von vergilbten Notenblttern. Es waren Partituren der als verschollen
geltenden Werke, welche die Jesuiten komponiert und mit den Indios aufgefhrt hatten.
Besonders wertvoll machten die Schatztruhe Kompositionen des einst gefeierten Italieners
Domenico Zipoli (1688 bis 1726). Schon als 23-Jhriger war er Organist der ersten
Barockkirche in Rom, der Chiesa del Ges, gewesen. In Europa machten ihn seine Sonate
dIntavolatura berhmt. Doch mit 28 Jahren kehrte er Italien und seiner Karriere denRcken.
ber die Motive gibt es verschiedene Spekulationen; gesichert ist nur, dass er im
sdamerikanischen Crdoba Philosophie studierte, um Jesuitenpater zu werden. Doch
konnte er die erwnschte Priesterweihe nicht erlangen, weil der dortige Bischofssitz
vakant war. So schuf der Komponist Messen, Vespern und Orgelstcke fr die
Missionssiedlungen. Einiges davon fand sich in der abgelegenen Kirche wieder, vermengt
mit Tausenden Seiten anonymer Partituren.
Heute ist es der 53-jhrige Luis Szarn, Chefdirigent des Philharmonischen Orchestersvon Asuncin, der sich um die Funde aus den Reduktionen kmmert. Er bearbeitete
nicht nur Zipolis Werke neu und nahm alle lesbaren Kompositionen auf. Wichtiger
noch fr Paraguay und andere arme Lnder: Szarn begann, dieses utopische Kapitel
Kolonialgeschichte fr die Gegenwart zu nutzen. Ich fahre von Dorf zu Dorf, sagt der
Dirigent, und ermutige die Familien ber die lokalen Radiostationen, schon ihre Kleinen
auf Musikschulen zu schicken. Wer im Orchester sitzt, lernt Disziplin, Pnktlichkeit,
Verlsslichkeit.
In 60 Stdten und Drfern sind Musikschulen entstanden mit rund 80 Zweigstellen in
Slums oder abgelegenen Siedlungen wie Armonia. 10.000 Kinder und Jugendliche haben
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Szarn und seine Mitstreiter wie die deutsche Jesuiten-Reprsentantin Gisela von
Thmen inzwischen in Chren und Orchestern zusammengefhrt.
Das Zentrum der Kunst bildete das Barockstdtchen Santa Mara de F. 1688, achtzigJahre nach Beginn der Jesuitenmission, lebten hier bereits 5000 Guaran. Es waren im Lauf
der 160 Jahre insgesamt etwa 1500 vor allem spanische, argentinische und italienische
Ordensleute, die in den locker verbundenen Reduktionen die geistlichen und weltlichen
mter lenkten. 112 Padres kamen zwischen 1609 und 1767 aus dem deutschsprachigen
Raum.
Der Bedeutendste unter ihnen war Antonio Sepp aus Sdtirol, der lange Santa Mara
de F betreute. Von seinem Wirken zeugen noch einige Skulpturen in den vormaligen
Werksttten. Fast alle Heiligen dort erscheinen als wundersame Hybriden des europischen
Barockstils und indianischer Gestaltung. Viele tragen die asketischen Gesichtszgeiberischer Meister, whrend ihre Gestalt mit kurzen Oberschenkeln und krftigen Waden
die Schnitzkunst der Indios verrt.
Hatten sich die Indianer auch andere Knste angeeignet? Pater Bartolomeu Meli in
Asuncin, der als der beste Kenner der Reduktionen gilt, erforscht die vielen noch
erhaltenen Schriften nicht nur auf religise, sondern auch auf literarische und politische
Inhalte. Dabei ist der gebrtige Spanier auf ein Kriegstagebuch von 1702 gestoen, als die
Reduktionsindianer gegen sie bedrohende Kolonisten zu Felde gezogen waren. Dieser von
einem Indio in Guaran verfasste Bericht, urteilt der Pater, ist hchst originell und von
geradezu literarischer Qualitt.
berlegen waren die Ureinwohner den europischen Missionaren schon damals auf einem
anderen Feld: dem Fuballplatz. Zwar sind die Spielregeln nicht berliefert, doch berichten
zwei Priester aus dem 18. Jahrhundert: Diese Barbaren spielen den Ball noch immer mit
dem Fu statt mit der Hand aber meisterlich!
Dreiig Kilometer nordstlich der Grenze zu Argentinien liegt Trinidad. 1706 gegrndet,
war hier die grte aller 30 Missionssttten im Raum des heutigen Paraguay. Die
weitlufige Anlage mit den roten Steinruinen lsst den Glanz der Reduktionen ahnen, die
den spanischen Stdten jener Region von der Architektur bis zum Gesundheitswesen weitberlegen waren.
10.000 Indios versahen hier Matetee-Anpflanzungen, Zuckerrohrfelder, Viehfarmen, bauten
neben Spinett- und Orgelwerksttten eine lmhle und eine mchtige Kirche. Auf ihren
noch erhaltenen Fries setzten sie 62 pausbckige Engel, die mit Geigen und Flten, mit
Pauken und Trompeten einer Art himmlischem Karneval mitten im Urwald frnten. Wir
haben hier Trompeten und Uhren gemacht, die denen von Augsburg und Nrnberg in
nichts nachstehen, schrieb ein Jesuit nach Europa. Unsere Indianer knnen jedes Ding
haargenau nachmachen, sofern sie nur ein Modell davon haben.
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Hatten die Missionare ein Modell? Sollte ihr Jesuitenstaat zum Vorbild einer knftigen
Gesellschaftsordnung werden? Theoretiker frherer Generationen sahen in ihm immerhin
Zge der Utopia des Thomas Morus oder der civitas solis eines Tommaso Campanella.
Bodenreformer des 19. Jahrhunderts priesen die Landverteilung, Sozialisten das
Kollektiveigentum an Produktionsmitteln.
Bartolomeu Meli schttelt den Kopf. Die Jesuiten boten den Indianern eine begrenzte
technische Revolution, sagt er. Daraus entstand eine Zukunftsvision fr Missionen. Doch
die Padres entwickelten die Gemeinden nicht nach einem Plan. Es war ihre pragmatische
Anpassungsbereitschaft, mit der sie eine kulturelle und soziale Ordnung schufen, die von
Gleichheit geprgt und der regionalen Kolonialwirtschaft berlegen war.
Jeder Indianer erhielt, verteilt vom Kaziken, ein Stck Boden zu eigen, gro genug, um
eine Familie zu ernhren. Dazu gab es Land, das der Gemeinde gehrte und von allenzusammen bebaut wurde fr Arme, Witwen, Waisen und Notzeiten. Dass sich die
Missionare die wirtschaftlichen Entscheidungen dabei wie wohlgesinnte Gutsherren
vorbehielten, dass ihr Paternalismus die Indianer zwar zur Selbstverwaltung, nicht aber zur
Selbststndigkeit fhrte, haben ihnen spter nicht nur die Gegner vorgeworfen. Doch htte
eine solche Frderung auch den Rahmen der alten kollektiven Stammesordnung gesprengt.
Die Guaran wren wie so viele historische Beispiele gezeigt haben unter dem Verlust
ihrer sozialen Identitt chancenlos in den lngst schon individualisierten Konkurrenzkampf
der Europer gedrngt worden.
Weil vor dessen brutalen Auswchsen immer mehr Indios aus der Wildnis in dieReduktionen flohen, arbeiteten die Padres bis 1628 ein regelrechtes Gesetzbuch aus. Der
Strafvollzug war eher milde, bei den blichen Vergehen gab es Stockschlge, die der
indianische Corregidor (Brgermeister) auf dem Hauptplatz verabreichte. Todesstrafe
und Folter waren abgeschafft, ebenso Hexenprozesse und Ketzerverbrennungen. Die
Reduktionen sind das goldene Zeitalter Paraguays, meint der Prsident des Landes und
frhere Bischof Fernando Lugo gegenber derZEIT. Sie praktizierten die Theologie der
Befreiung, lange bevor deren Theorie geboren wurde.
Dass Ureinwohner heute berall so wie einst von Sklavenjagden vom Bodenraub durch
lgesellschaften, Sojaanbau und Massenviehzucht bedroht werden, legitimiert den Eifer,mit dem die jungen Leute um Luis Szarn das Erbe der Jesuiten instrumentalisieren.
Chvez kommt. Diesmal sind es gut situierte Weie, die auf ihn warten. Die Kirche in
Valenzuela, 50 Kilometer stlich von Asuncin, ist voll. Favio Chvez tritt vor den Altar,
setzt sich zu den in feierliches Schwarz gekleideten Musikern und gibt den Ton an. Er
ist der Konzertmeister des jungen Kammerorchesters. Es beginnt mit dem Frhling aus
Vivaldis Vier Jahreszeiten.
Das ist ein etwas rauer Frhling. Kein Wunder: Die Querflten sind aus Eisenrohren.
Die Klarinette hat Klappen aus Kronkorken. Pfannen und Tpfe haben findige Hnde zu
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Violinen geltet. Ein lfass dient als Kontrabass. Auch Dosen, Tischbeine, Kochlffel
verhelfen der Barockmusik zu derben, aber nicht dissonanten Klangfarben.
Bis auf die Saiten stammen die Instrumente von der Mlldeponie Cateura. Sie liegt imSchwemmland des Ro Paraguay, in das sich bei Regen die Abwsser der Hauptstadt
ergieen. 2500 Menschen siedeln an den verschlammten Wegen und klauben ihren
Lebensunterhalt aus Abfllen. Tftler von dort schmolzen die erste Violine aus einer
Kasserolle, kamen zum Musikprojekt Sonidos de la Tierra und boten an, Instrumente aus
Schrott zu basteln. Luis Szarn, der Dirigent, sah seinen Einsatz belohnt.
Doch dann legt das kleine Orchester die Abfallprodukte zur Seite und spielt Beethovens
Ode an die Freude auf richtigen Instrumenten. Von denen sind etliche inzwischen auch
schon auf der Mllhalde gebaut worden. Gleich jenen Gitarren, die Favio Chvez in der
Woche zuvor den Indianern von Armonia gebracht hatte. Und es ist, als kehrte die Musikheim an einen Ort, an dem sie zu Hause ist.
COPYRIGHT: DIE ZEIT, 22.12.2009 Nr. 53ADRESSE: http://www.zeit.de/2009/53/Jesuitenstaat
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