Journal Club
Johannes Strehler, Malte Book
Universitätsklinik für Anästhesiologie und Schmerztherapie
9. Dezember 2009
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Universitätsklinik für Anästhesiologie und Schmerztherapie
Perioperative Glycemic ControlAn Evidence-based
ReviewAngela K. M. Lipshutz, M.D., M.P.H., Michael A. Gropper,
M.D., Ph.D.
Anesthesiology 2009; Februar, 110:408–21
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Einführung• Perioperative Hyperglykämie: Morbidität und Mortalität⇑
• Intensive Insulin Therapie (IIT): –Mortalität und Morbidität sinkt für schwerkranke Patienten–Tiefere Infektionsrate–Verbessertes Überleben nach Herzchirurgie–Verbessertes Outcome nach akuter neurologischer Verletzung
und akutem Myokardinfarkt
• Neuere Erkenntnisse:–ITT verursacht relevante Hypoglykämien
• Sicherheit und Effektivität??
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Fragestellung
• Mechanismen der Hyperglykämie und Rationale der perioperativen IIT
• Überprüfen der Evidenz der IIT perioperativ
• Diskussion der Grenzwerte und Richtlinien und Guidelines
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Methode• Artikel von MEDLINE und Cochrane Library (1999 – 2008)
• RCT, Observational Studies, Review Articles, Meta-Analyses,
Editorials
• Keywords: intensive insulin, glycemic control, glucose control,
hyperglycemia, intraoperative, intensive care, critically ill, und
postoperative und relevanten Bibliographien
• Primärer Endpunkt: Mortalität
• Weitere Kriterien: Relevant für Entscheidungsfindung,
adäquates Design, statistische Power
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Übersicht Pathophysiologie
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Pathophysiologie: Entstehung der Hyperglykämie
• Schwere Krankheit/Stress
– gegenregulatorische Hormone (Cortisol, Glucagon, Adrenalin,
Wachstumshormone) hepatische Glukoneogenese und
Glykogenolyse trotz Hyperinsulinämie und Insulin-regulierte
peripheren Glukoseaufnahme
Glukoseaufnahme im Insulin-unabhängigen Gewebe (ZNS, EC)
Glucoseaufnahme in Muskel
• Früher wurde Hyperglykämie bei schwerer Krankheit als positiv für
Glucoseversorgung wichtiger Organe gewertet. Neuere Evidenz
zeigen aber eine erhöhte Morbidität und Mortalität einer
Hyperglykämie.
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Pathophysiologie: negative Wirkung der Hyperglykämie
Hyperglykämie:
- Gefässe: Vasodilatation, NO Freisetzung
- Immunabwehr: Komplemetsystemaktivierung,
Leukozytenexpression, Cytokine, Neutrophilen-Chemotaxis und
Phagozytose Inflammation
- Cytokine: z.B.: Tumor Necrosis Factor Lungen und
Nierenschäden. Zusammenhang nicht klar, ev. Hyperglykämie selbst
durch hohe Cytokinspiegel periphere Insulinresistenz, Patienten mit
Sepsis brauchen sehr hohe Insulindosen
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Pathophysiologie: Wirkung der IIT• Tiefere Glucose wahrscheinlich Grund für verminderte
Morbidität/Mortalität
– 1. Leuven Studie: tiefere Glucose ist eher für besseres Outcome
verantwortlich. Höhere gegebene Insulindosis ist ein unabhängiger
Prädiktor für Nierenversagen
(Intensive insulin therapy in the critically ill, van den Berghe G et al. N Engl J Med. 2001 Nov 8)
– Mehr als 100IE Insulin/Tag zur BZ Kontrolle ist assoziiert mit
erhöhter Mortalität (Influence of individual characteristics on outcome of glycemic control in intensive care unit patients with or without diabetes mellitus, Rady
MY et al, Mayo Clin Proc. 2005 Dec)
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Pathophysiologie Hypoglykämie
• Neuronale Nekrose da Neurone obligat Glucose
verbrauchen Koma etc.
Cortison, Glucagon, Adrenalin und
Wachstumshormone mit Auswirkungen ähnlich wie
Hyperglykämie
• Kurzzeitwirkung Hypoglykämie unklar
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Datenlage Intensivpatienten IIT 1. Studien1. Leuven Studie:
• RTC, nicht doppelblind, 1548 Patienten, chirurgische Intensivstation
• Verglich:1. Gruppe IIT (Ziel Glucose 4.4- 6.1 mmol/l); 2. Gruppe konventionell Insulintherapie (Insulin BZ ab > 12 mmol/l, Ziel 9.9-11.1 mmol/l).
• Ergebnis: für die 1. Gruppe mit IIT Gesamtmortalität 34%, Sepsis, dialysepflichtiges Nierenversagen, EC Transfusion, Polyneuropathie, Beatmung und Intensivbehandlung.
• Inzidenz Hypoglykämie (BZ <2.2 mmol/l) 5.1%. versus 0.8%.
• Kritik an der Studie: Hohes Betreuungsverhältnis, hohe Mortalität Kontrollgruppe. Chirurgische IB mit 60% Post-OP Herzpatienten mit Glucose i.v. und parenteraler Ernährung (hohe BZ Werte) ...
Intensive insulin therapy in the critically ill, van den Berghe G et al. N Engl J Med. 2001 Nov 8
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Datenlage Intesivpatienten IIT Folgestudien• 2. Leuven Studie: 1200 Patienten, Grenzen wie 1. Leuven Studie. Vergleich 2
Gruppen mit IIT und ohne auf gemischter IB. Resultat: Patienten auf IB für weniger 3 Tage > Mortalität, für mehr als 3 Tage < Mortalität.
Intensive Insulin Therapy in the Medical ICU, Van den Berghe G et al. N Engl J Med. 2006 Feb 2
• Glucontrol Studie: Geplant 3500 Patienten, Abbruch nach 1101 Patienten. Vergleich 2 Gruppen 1. Ziel BG 7.8-10.0 mmol/L, 2. Ziel BG 4.4-6.1 mmol/L) Resultat: Abbruch da kein Vorteil der IIT bei gleiche Mortalität in beiden Gruppen, ITT mehr Hypoglykämien.
A prospective randomised multi-centre controlled trial on tight glucose control by intensive insulin therapy in adult intensive care units: the Glucontrol study. Preiser JC et al. Intensive Care Med. 2009 Oct.
• Sepsis und IIT Studie: Geplant 600 Patienten, Abbruch nach 500 Patienten. Vergleich 2 Gruppen 1. Ziel BG 9.9-11.1 mmol/L, 2. Ziel BG 4.4-6.1 mmol/L) Endpunkt: Mortalität und Morbidität nach 28 Tagen. Resultat: Keine Differenz in Mortalität/Morbidität oder Organversagen. Mehr Hypoglykämien mit Komplikationen.
Intensive insulin therapy and pentastarch resuscitation in severe sepsis. Brunkhorst FM et al. N Engl J Med. 2008 Jan 10
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Datenlage Metaanalyse IIT für Intensivpatienten
• Meta-Analysis (29 randomisierte Studien) IIT versus
konventionelle Insulintherapie
–Schwieriger Vergleich da inkonsistente Studien
(verschiedene Zielwerte, verschiedene IIT Protokolle...)
–Resultat: kein signifikanter Unterschied Mortalität/Morbidität,
erhöhtes Risiko Hypoglykämie mit Komplikationen.
Tight glycemic control in critically ill adults. Finfer S ed al. JAMA. 2008 Aug
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Datenlage intraoperative IIT
• Verschiedene Studien mit verschiedenen Ergebnissen, vorwiegend Herzchirurgische Patienten
• Eine Randomisierte kontrollierte Studie, – Primärer Endpunkt: Tod, Infektion, verlängerte Beatmung,
Arrhythmien und Nierenversagen bis 30 Tage post OP– 400 herzchirurgische Patienten in 2 Gruppen mit und ohne
Diabetes, 1. Gruppe IIT mit Ziel Glucose 4.4-5.6 mmol/l, 2. Gruppe Ziel < 11.1 mmol/l
– Resultat: Kein Einfluss auf perioperative Morbidität/Mortalität. Möglicherweise erhöhte Inzidenz Tod und Stroke in der IIT Gruppe. Intensive Intraoperative Insulin Therapy versus Conventional Glucose Management during Cardiac Surgery, Gandhi GY et al. Ann Intern
Med. 2007 Feb
Keine aktuelleren/grössere Studien gefunden
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Postoperative IIT
• Keine Studien bei Nichtdiabetikern
• Keine RCT Studien
• 2 retrospektive Studien IIT versus konventionelle Therapie
zeigen deutliche Reduktion von Infekten bei
herzchirurgischen Eingriffen
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IIT in der Schwangerschaft
• Vermeidung von Hyperglykämie während der
Schwangerschaft um fetale Hyperglykämie und neonatale
Hypoglykämie zu vermeiden
• Empfehlung von „The American College of Obstetricians
and Gynecologists“: BZ unter 6.1 mmol/l während Wehen
und Entbindung
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IIT bei Diabetikern und Nichtdiabetikern
Datenlage unklar, keine schlüssigen Studien
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Zielwerte Blutglucose• Datenlage inkonsistent, keine allgemein akzeptierten Richtlinien
– Zielwerte Leuven Studien: 4.4-6.1 mmol/l. Post hoc. Analysen beider Studien zeigten Reduktion von Mortalität/Morbidität >8.3, zu 8.3-6.1 zu < 6.1 mmol/l.
– Golden et al. verglich 4 Gruppen Diabetiker: 6.7-11.4, 11.4-12.7, 12.7- 14, 14-19.5 mmol/l. Resultat: Bei höherem BZ höheres Infektionsrisiko. Perioperative glycemic control and the risk of infectious complications in a cohort of adults with diabetes. Golden
SH ed al. Diabetes Care. 1999 Sep
– Verschiedene andere Studien mit unterschiedlichen Zielwerten. – Eine Retrospektive Studie 7049 IB Patienten mit und ohne
Diabetes zeigt, dass die BZ Variabilität die Mortalität/Morbidität erhöht, mehr als der BZ Mittelwert.
Variability of blood glucose concentration and short-term mortality in critically ill patients. Egi M ed al. Anesthesiology. 2006 Aug
– Weitere Studien mit ähnlichem Resultat
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Messung von BZ
• Mehrere Studien zeigen grosse Unterschiede bei der Messung der BZ Werte
– Desachy et al. verglich die Vollblut BZ Messung im Labor mit der kapillären und vollblut BZ Messung mittels Teststreifen am Bett. In 15% wich die kapilläre BZ Messung > 20% von der Vollblutmessung im Labor ab.
Accuracy of bedside glucometry in critically ill patients: influence of clinical characteristics and perfusion index. Desachy A. ed al. Mayo Clin Proc. 2008 Apr.
– Weitere Studien zeigen ähnliche Resultate • Weitere Faktoren die die BZ Messung beeinflussen: periphere
Hypoperfusion, Medikamente, Anämie, erhöhtes Bilirubin...• Bei Hypoglykämie werden eher zu tiefe Werte angegeben bei
Messung mittels Teststreifen im Vergleich zu Vollblut im Labor.
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IIT Protokoll
• Kein allgemein akzeptiertes Protokoll wie IIT durchgeführt werden soll.
–Wichtige Faktoren eines Protokolls: BZ Messung alle 1-4h?, Insulin am Perfusor erhöhen in welchen Schritten?, Insulin s.c. oder am Perfusor? Sicherheit um Hypoglykämie zu vermeiden? Zielwerte erreichbar?
–Der Autor schlägt ein Protokoll vor für die Intensivstation: Zielwert zwischen 4.4-6.6mmol/l, Insulindosis anpassen zwischen 0.2-3 IE/h gemäss BZ und BZ Verlauf. Bei diesem Protokoll hoher Personalaufwand (2h in 12h Schicht pro Patient)
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Kosteneffektivität der IIT
• Frühere Studien zeigen hohe Einsparungen durch
gesunkene Mortalität/Morbidität durch die IIT
• Aktuelle Studien stellen die Kosteneffektivität bei gleicher
Morbidität/Mortalität und vermehrte Hypoglykämie bedingte
Komplikationen in Frage
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Zukunft
• Es braucht weitere Studien um klare Richtlinien zu finden–NICE-SUGAR Studie: Ziel: optimale BZ Grenze.
Randomisiert 6104 Patienten auf IB, multizentrisch, 1 Gruppe IIT BZ 4.5- 6.0 mmol/l, 2. Gruppe Ziel 10.0 mmol/l oder weniger. Endpunkt: Tod nach 90 Tagen. Resultat: Gruppe 1 mit IIT mit deutlich mehr Hypoglykämien, kein Unterschied in Behandlungszeit auf IB, IIT mit erhöhter Mortalität.
Intensive versus conventional glucose control in critically ill patients. NICE-SUGAR Study Investigators, N Engl J Med. 2009 Mar 26
• Technologische Entwicklung–Computer gestützte Algorithmen, subkutane BZ Messung,
Ziel: Closed- Loop- Glucose Kontrolle
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Fazit
• Hyperglykämie ist schädlich, Hypoglykämie auch. • Nicht genügend Evidenz für eine enge BZ Kontrolle zwischen 4.4-6.1
mmol/l im OP oder auf der IB• Eine sorgfältige, schrittweise Umsetzung der IIT-Protokolle mit BZ
unter 8.3 mmol/l und reduzierter BZ Variabilität ist sicher und effektiv.• Möglicherweise gibt es Subpopulationen, die von einer engen BZ
Kontrolle zwischen 4.4- 6.1 mmol/l profitieren, aber aktuell ist es unklar welche.
• Ist es evidence-based wenn nach nur 2 nicht vollständig verblindeten single-center Studien die IIT weltweit in den Kliniken implementiert wird?
• Es ist schwierig, qualitäts- und sicherheitsbasierte Standards zu finden.