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A U S D E R P R A X I S F Ü R D I E P R A X I SLiebe Leserin, lieber Leser,
in unseren vorherigen Aus-
gaben haben wir Sie mit
komprimierten Artikeln v er-
sorgt. Unser zwanzigster
Newsletter ist ausnahmswei-
se etwas anders konzipiert:
Wir haben Themen f ür Sie
herausgesucht, die intensiv er
beleuchtet werden und daher
v om Textumf ang umf angrei-
cher sind. So berichtet Dr.
Willi Pecher v on einer Suizid-
präv entionsmaßnahme mit
„Listeners“, die seit Februar
2011 in der JVA München
eingesetzt werden. Was
„Listener“ sind und welche
Erf ahrungen seine Justizv oll-
zugsanstalt damit gemacht
hat, lesen Sie in unserem
ersten umf angreichen Artikel.
Im Juni 2013 sind umf assen-
de Neuregelungen f ür den
Vollzug der Sicherungsv er-
wahrung in Kraft getreten.
Jens Grote vom Niedersäch-
sischen Justizministerium
und Michael Schäfersküpper
v on der Fachhochschule für
Rechtspflege Nordrhein-
Westfalen geben einen Über-
blick über die aktuellen Ent-
wicklungen in diesem Be-
reich.
Schon seit längerer Zeit be-
schäftigt sich die Kriminolo-
gie mit der Frage, welche
Auswirkungen der demogra-
f ische Wandel auf die zu-
künf tige Gefangenenentwick-
lung hat. Dr Dirk Baier und
Michael Hanslmeier v om
Kriminologischen For-
Fo
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schungsinstitut Niedersach-
sen beantworten diese Frage
und zeigen auf , was dies f ür
die Arbeitsbelastung im
Strafv ollzug bedeutet.
Abschließend stellt Michael
Schäfersküpper den Fachbe-
reich Strafvollzug der Fach-
hochschule für Rechtspflege
Nordrhein-Westfalen v or, in
dem rund drei Viertel der
Bundesländer seit den sieb-
ziger Jahren das mittlere
Management f ür ihre Justiz-
v ollzugsanstalten ausbilden
lassen. Wir wünschen Ihnen
viel Spaß beim Lesen.
Sonnige Grüße aus Celle
sendet Ihnen
Michael Franke
J A H R G A N G 1 1 ● A U S G A B E 2 0 ● M A I 2 0 1 4
J U S T I Z N E W S L E T T E R
Suizidprävention -
Einsatz von „Listeners“2
Vollzug der Sicherungs-
verwahrung - Aktuelle
Entwicklungen
12
Die Prognose der
Gefangenenzahlen19
Fachhochschule für
Rechtspflege26
Ankündigungen 32
Kontaktadressen 33
I N H A LT
http://www.fajv.de
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Newsletter Nr. 20 Seite 2
eine Behandlungsgrup-pe bzw. Sozialtherapie.Für Therapieteilnehmerist es ein durchgängigesBehandlungsziel, ihreempathischen Fähigkei-ten auszubilden undanzuwenden. Durchihren Einsatz als Liste-ner kann eine wichtigetherapeutische Weiter-entwicklung angestoßenwerden. Außerdem istdurch die Einbindungder Listeners in einesolche Behandlungs-gruppe ihre notwendigegründliche Begleitung
Einsatz von „Listeners“von Willi Pecher
SUIZIDPRÄVENTION
Aus der vom nieder-sächsischen kriminologi-schen Dienst durchge-führten Totalerhebung derSuizide in deutschen Ge-fängnissen 2000 bis 2010geht ganz deutlich hervor,dass die Suizidrate zuBeginn der Inhaftierungam höchsten ist. Beson-ders gefährdet sind Ge-fangene zu Beginn derHaftzeit, Untersuchungs-gefangene und Erst- bzw.
Zweitinhaftierte.
Im Rahmen eines Maß-
nahmenbündels zur Sui-zidprävention könnenListeners, also geschul-te Gefangene, die sichNeuzugängen als Ge-sprächspartner zur Ver-fügung stellen, einengenuinen, nicht durchandere Maßnahmen zuersetzenden Beitragliefern. Diese Listenersmüssen geschult undintensiv begleitet wer-
den.
Günstig ist die Einbin-dung der Listener in
teners als Maßnahmeder Suizidprävention imdeutschen Justizvollzugbeschäftigte sich inzwi-schen auch die als Un-tergruppe des NationalenSuizidpräventions-Pro-gramms (NASPRO) an-erkannte bundesweiteArbeitsgruppe für denBereich des Strafvollzugsunter der Leitung vonFrau Dr. Bennefeld-
Kersten.
Im Rahmen einer Studiezu Suizidgedanken vonUntersuchungsgefange-
ben, sind darüber hinausauch konkrete Informati-onen zum möglichenVerfahrensverlauf undzur Haft in der Justiz-vollzugsanstalt hilfreich,um die akute Situationzu entschärfen. Der Ein-satz der Listener ist vorallem nachts besonderssinnvoll, in einer Zeitalso, in der normaler-weise keine Fach-dienste als Ansprech-partner zur Verfügung
stehen.
Mit dem Einsatz von Lis-
schenbericht zum Pro-jekt: „Suizidprävention inder Justizanstalt Inns-bruck“). Grundlegend istder Gedanke der Selbst-hilfe unter Häftlingen zurBewältigung be-lastender Situationenund Krisen. Eine Gruppevon freiwilligen Gefange-nen stellt sich Neuzu-gängen in der belas-tenden Zeit als Zuhörerund Ansprechpartner zurVerfügung. Neben derEntlastung für den Neu-zugang, in den erstenStunden nicht alleine zusein und einen Ge-sprächspartner zu ha-
vor und während der
Einsätze sichergestellt.
Im Folgenden sollen dieGrundzüge des Einsat-zes von Listeners vorge-stellt und erste Erfahrun-gen mit dieser Maßnah-me in der JVA München
berichtet werden.
Entwicklung des Liste-ner-Gedankens
Erstmalig wurden dieListeners wohl im briti-schen Strafvollzug einge-setzt. Entsprechend istder Einsatz von Listenersim englischsprachigenRaum (Vereinigtes Kö-
nigreich, Kanada und dieUSA) weiter verbreitet(Junker et al., 2005), undwird hier von den sog.„Samaritians“ („Sams“)unter dem Begriff der„peer suicide prevention“durchgeführt. Eine Über-nahme im deutschspra-chigen Raum erfolgtedurch die JustizanstaltInnsbruck ab dem Jahr1999, später durch ande-re Anstalten in Österreich(Fuchs, 2001), wobeiumfangreiches Schu-lungsmaterial für dasTraining der Listener-Gefangenen erstellt wur-de (vgl. auch den Zwi-
Dr. Willi Pecher
Dipl.-Psych./ Psychol. Psycho-
therapeut und Leiter der Sozial-
therapeutischen Abteilung
Gewaltdelikte in der Justizvoll-
zugsanstalt München
Die Justizvollzugsanstalt München
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Newsletter Nr. 20 Seite 3
von den Mitarbeitern desallgemeinen Vollzugs-dienstes als nicht gefähr-det eingeschätzt wurde,während ein Teil dieserGefangenen ihre Belas-tung gegen-über Mitge-
fange-nen offenbarte.
Einsatz v on „Listeners“bei Neuzugängen derJVA München
In der JVA München wur-de die Zugangsprozedurneu gestaltet. Seit An-fang 2011 führen Fach-dienste mit allen neu auf-genommenen Ge-fangenen Zugangsge-
nen des Kriminologi-schen Dienstes im Bil-dungsinstitut des nieder-sächsischen Justizvoll-zugs (Ansorge, 2011),bei der 103 männlicheund 93 weibliche Gefan-gene und die mit ihrerBehandlung betrautenKollegen des allgemei-nen Vollzugsdienstesbefragt wurden, gabmehr als jeder vierteMann (27%) und fast je-de siebte Frau (12%) derbefragten Gefangenenan, in der ersten Haftpha-se an Suizid gedacht zuhaben. Dieses Ergebnis
ne 14 Tage nach derInhaftierung, welchePersonengruppe sie als
unterstützend erlebten.
Diese Ergebnisse kön-nen insofern als Belegefür die Sinnhaftigkeit desEinsatzes von Listenersals zusätzliche Maßnah-me einer professionellenSuizidprävention gewer-tet werden, da deutlichwird, dass Listeners ei-nen eigenen genuinenZugang zu ihren Mitge-fangenen haben undgerade von Gefangenenmit Suizidgedanken in
der ersten Haftzeit alsbesonders hilfreich erlebtwerden, zumal bekanntist, dass gerade die ers-ten 48 Stunden einerUnter-suchungshaft mitdem höchsten Suizidrisi-ko einhergehen(Bennefeld-Kersten,2009; Cox & Morschau-ser, 1997; WHO, 2007).Ein weiteres Ergebnisdieser Studie war dieErkenntnis, dass der weitüberwiegende Teil derGefangenen, die anga-ben, während der erstenHaftphase Suizidgedan-ken gehabt zu haben,
korrespondiert mit älterenDaten, welche die Inhaf-tierung und den sog.„Inhaftierungsschock“ alsStressor erkannt und alsmitverursachend fürselbstschädigende Hand-lungen unter Gefangenensahen (Biggam & Power,1999; Harding & Zimmer-mann, 1989; Haycock,1989). In der von Ansor-ge (2011) vorgetragenenStudie wurde eindrücklichdie Bedeutung von Mitge-fangenen gerade für sui-zidgefährdete Gefangeneaufzeigt (s. Abb. 1 + 2).Befragt wurden Gefange-
SUIZIDPRÄVENTION
Gefangene ohne Suizidgedanken
(Mehrfachnennungen, N = 426)
Gefangene mit Suizidgedanken
(Mehrfachnennungen, N = 101)
Abb. 1: Studie von Ansorge (2011): Welche Personengruppe wurde als unterstützend erlebt?
Abb. 2: Suizidgedanken von Untersuchungsgefangenen in der ersten Haftzeit (2009);
Befragung an 103 männlichen und 93 weiblichen Inhaftier
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Newsletter Nr. 20 Seite 4
spräche. Im täglichenWechsel kommt einePsychologin oder einSozialpädagoge zumEinsatz. Der zentrale Teildieses Zugangsge-sprächs ist die Durchfüh-rung eines (halb-) stan-dardisierten Suizidscree-nings, dessen Fragen anentsprechende Studienangelehnt wurden (vgl. u.a. Dahle et al., 2005). Beieiner Einschätzung als„unklares Ergebnis“ oder„potentiell suizidgefähr-det“ erfolgt zwingend die(Wieder-)vorstellung desGefangenen beim ärztli-chen Dienst zur Ein-
sich hierbei um eine sog.„Durchbruch-Zelle“, diedurch die Herausnahmeder Zwischenwand zwei-er Einzelhafträume ent-stand. Ebenso wurde einsog. „Listener-Koffer“von der Arbeitstherapiegefertigt, in dem für dieEinsätze sinnvolle Mate-rialen kompakt zugäng-lich sind: Schreibzeug,Spiele, Wasserkocher,
Kaffee, Tabak.
Im Vorfeld wurde durchdie Anstaltsleitung eineVerfügung erlassen, die
die Modalitäten einesListener-Einsatzes re-gelt, insbesondere dasProzedere, wie ein Ein-satz zustande kommtund das Vorgehen fürden Fall, dass ein Liste-ner einen Einsatz wäh-rend der Nacht-einschlusszeit abbricht.Diese Möglichkeit wirdjedem Listener-Gefangenen eingeräumt,damit es nicht zu eineran-dauernden und fürden Listener nicht mehrkontrollierbaren Überfor-
Es wurde ein Doppel-Haftraum als Listener-Haftraum eingerichtetund für diese Einsätzefrei gehalten. Es handelt
auch das Thema eige-ner Suizidalität sowieErfahrungen mit Suizi-den im familiären Um-feld oder bei Mitgefan-genen thematisiert undbearbeitet. Zur Vorberei-tung fand außerdem einErste-Hilfe-Kurs statt,der von einem Kranken-pfleger der Anstalt
durchgeführt wurde.
von Menschen in Krisenund Grundregeln im Um-gang mit suizidgefährde-ten Personen geschult.Neben theoretischen In-puts wurde dem Erfah-rungsaustausch (jederTeilnehmer kennt die Zu-gangssituation) und ins-besondere Rollenspielengroßer Stellenwert einge-räumt. Auch eine einge-hende Reflexion über dieeigene Motivation zurTeilnahme an dem Pro-jekt sowie eine Einschät-zung der Möglichkeitenund Grenzen zur Über-nahme dieser Aufgabefand statt. Im Rahmender Vorbereitung wurde
Ein Teilnehmer schiedauf eigenen Wunschaus dem Projekt noch inder Vorbereitungs-phase aus, weil er sichüberfordert fühlte. Zweiweitere Bewerber wur-den dafür aufgenom-men, so dass zu Beginnder Einsätze die Gruppevier Listeners umfasste.Inzwischen wurden wei-tere Gefangene in dieGruppe aufgenommen.Sie nehmen soll an eini-gen Nachbesprechun-gen teil, werden parallelin die Grundlagen derGesprächsführung ein-gearbeitet und kommen
dann zum Einsatz.
Bereits über ein halbesJahr vor Einführung derneuen Zugangsgesprä-che wurden zunächstdrei Gefangene aus dersozialtherapeutischenAbteilung Gewaltdelikteauf Listener-Einsätzevorbereitet. Als geeigneteingestufte Gefangenewurden von den Fach-diensten angesprochenund alle bekundetenInteresse. In monatli-chen Treffen (zwei- bisdreistündig am Samstagunter psychologischerLeitung) wurden sie inGesprächsführung, derbesonderen Situation
schätzung der konkretenSuizidgefahr. Seit Be-ginn der Durchführungvon Zugangsgesprä-chen in der JVA Mün-chen im Februar 2011besteht die Möglichkeit,einem als latent (!) sui-zidgefährdet eingestuf-ten, bzw. psychisch ten-denziell belasteten Neu-zugang einen geschul-ten Mitgefangenen ausder sozialtherapeuti-schen Abteilung Gewalt-delikte als sog. Listenerfür die erste Nacht zuzu-teilen. Bis zum MaI 2014fanden 62 solcher Eins-
ätze statt.
„Der zentrale Teil dieses
Zugangsgesprächs ist die
Durchführung eines
(halb-) standardisierten
Suizidscreenings, dessen
Fragen an entsprechende
Studien angelehnt wurden.“
SUIZIDPRÄVENTION
„Es wurde ein Doppel-
Haftraum als Listener-
Haftraum eingerichtet und für
diese Einsätze frei gehalten.
Es handelt sich hierbei um
eine sog. „Durchbruch-Zelle“,
die durch die Herausnahme
der Zwischenwand zweier
Einzelhafträume entstand.“
Listener-Haftraum
Listener-Koffer
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Newsletter Nr. 20 Seite 5
de-rungssituation kommt.Bisher wurde von dieserMöglichkeit noch nicht
Gebrauch gemacht.
Die Listener kommengrundsätzlich reihumzum Einsatz. Dabei wirdjedoch versucht, ein ge-wisses Matching zwi-schen Listener und Neu-zugang herzustellen d.h.die Fachdienste der sozi-altherapeutischen Abtei-lung, die die Listenerkennen, versuchen sichein Bild darüber zu ma-chen, welche Konstella-tion am besten „passt“ (z.B. bezüglich Alter, Tem-
Obergrenze, auch ohnedabei zur Zielgruppe zugehören, stellen Gefan-gene dar, die psychiat-risch auffällig bzw. mehroder weniger akut oderchronisch suizidal sind(auf die Versorgung die-ser Gruppe wird späternoch einmal eingegan-gen). Gefangene, diemehr als die erste, dabeiaber weniger als diezweite Gruppe belastetsind und/oder von einemListener-Einsatz bspw.durch Informationen aus„erster Hand“ profitierenkönnen, stellen schließ-
lich die Zielgruppe dar.
Durch die Einführungdes Listener-Projektszeigen sich schon jetztganz überwiegend positi-ve Effekte auf „vielenSeiten“. Übereinstim-mend mit Hall & Gabor(2004) profitieren in derJVA München Neuzu-gänge, Listener-Gefangene und das Per-sonal von dieser Maß-nahme.
Ev aluation
Dem methodenkritischenLeser sei gleich Rechtgegeben: Die evaluierteFallzahl von 20 Einsät-
Gefangenen in einemgedachten „Korridor derSuizidalität“. Augen-scheinlich eher unbelas-tete Gefangene, die bei-spielsweise hafterfahrensind oder deren Inhaftie-rung aufgrund einer kur-zen Dauer für sie keinebesondere Belastungdarstellen, eignen sichnicht für das Projekt, daes keinen Bedarf für ei-nen Listener-Einsatzgibt. Insofern bilden die-se Gefangenen eine ge-dachte Untergrenze derSuizidalität, ohne zurZielgruppe zu gehören.Die entsprechende
ners zu rechnen. Dabeiwird jedoch auch nichtdarauf verzichtet wer-den können, weiterhinfür das Projekt zu wer-ben. Der Nutzen ist fürdie Mitarbeiter dabeiaugenscheinlich und dieMaßnahme wird vomüberwiegenden Teil derKollegen wohlwollendunterstützt. Es entstandjedoch gelegentlich derEindruck, dass beim einoder anderen immernoch eine gewisse Unsi-cherheit besteht, wel-cher Gefangene sich fürdie Zuweisung zu einemListener-Gefangenen
anstrengend, aber immerbewältigbar eingeschätzt,zum Teil auch als ange-nehm und abwechslungs-reich.Es hat sich gezeigt, dasssich der Bedarf an Liste-ner-Einsätzen in einemRahmen hält, der bewäl-tigbar erscheint (20 Ein-sätze in 10 Monaten –mit leicht zunehmenderFrequenz). Je größer dieRoutine der Fachdienst-mitarbeiter bei den Zu-gangsgesprächen, die jaebenfalls neu imple-mentiert wurden, um soöfter ist wohl künftig mitder Zuteilung von Liste-
eignet. Nachfragen beiden Fachdienst-Kollegen ergaben dar-über hinaus, dass beimanchen die Möglich-keit, für einen Neuzu-gang einen Listener-Einsatz zu empfehlen,nicht präsent war. Dieswird im Rahmen an-staltsinterner Fortbildun-gen aufzuarbeiten sein.Dabei ist jedoch einegewisse Unsicherheitbei den betreffendenKollegen durchausnachvollziehbar, befin-det sich doch der„prototypische“ Neuzu-gang für einen Listener-
„Augenscheinlich eher
unbelastete Gefangene, die
beispielsweise hafterfahren
sind oder deren Inhaftierung
aufgrund einer kurzen Dauer
für sie keine besondere
Belastung darstellen, eignen
sich nicht für das Projekt, da
es keinen Bedarf für einen
Listener-Einsatz gibt.“
Bisher fand sich immerein Listener zur Über-nahme eines anstehen-
den Falls bereit.
Sämtliche Einsätze wer-den mit den Listenerneinzeln (im Rahmen derEinzeltherapiesitzungenin der SozialtherapieGewaltdelikte) und inder mindestens monat-lich stattfindenden Liste-ner-Gruppe nachbe-sprochen. Bisher kames in keinem Fall zu ei-ner besorgniserregen-den Si-tuation. Die Eins-ätze wurden von denListenern teilweise als
perament, möglicherÜberforderung). Wün-sche der Listener (z. B.kein Raucher, keinBtmG-Täter) werdennach Möglichkeit be-rücksichtigt. Jeder Liste-ner hat das Recht, einenEinsatz abzulehnen.Von diesem Recht wur-de bisher nur aus per-sönli-chen Gründen Ge-brauch gemacht („Kopfmit anderen Dingen zusehr voll“, „Stress in derArbeit“, „wichtiger Briefzu schreiben“ u.ä.), nichtin Bezug auf den zu be-treuenden Gefangenen.
„Bisher kam es in keinem Fall
zu einer besorgniserre-
genden Situation. Die
Einsätze wurden von den
Listenern teilweise als
anstrengend, aber immer
bewältigbar eingeschätzt,
zum Teil auch als angenehm
und abwechslungsreich.“
SUIZIDPRÄVENTION
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Newsletter Nr. 20 Seite 6
zen führt noch nicht zubelastbaren Ergebnissen.Dennoch lässt sich zu-mindest ein Trend able-sen, der die Fortführung
des Projekts rechtfertigt.
Nach jedem Einsatz füll-ten die Listener einenFragebogen aus. Denbetreuten Gefangenenwurde die Beantwortungfreigestellt. Bei den erstenzehn Neuzugängen warder Rücklauf vollständig.Hier sollen einige derausgewerteten Fragenaus den Frage-bögen derbetreuten Neuzugängevorgestellt werden. We-gen der (noch) geringen
Befinden des betreutenNeuzugangs v or undnach dem
Listener-Einsatz
Es wurden sowohl vombetreuten Neuzugang(zwei bis drei Tage nachdem Einsatz) als auchvom Listener Einschät-zungen zum Befindenermittelt. Das Befindendes Neuzugangs wurdesowohl von diesemselbst als auch vom Lis-tener erfragt. Das„heutige“ (= zwei bis dreiTage nach dem Einsatz)Befinden des betreuten
Religion/Glaube/Weltanschauung/
ethische Fragen (4)
Probleme mit Behör-den und Institutionen
(4)
finanzielle Notlage
(4)
Selbsttötungsgedan-
ken/ -fantasien (3)
Probleme mit Drogen
(2)
Probleme mit eige-nen Aggressionen/
Gewalt (1)
an (Alternativen warenvorgegeben, Mehrfach-nennungen waren mög-lich, in Klammern die
Häufigkeit):
Tatvorwurf/Straftat
(18)
Ängste bezüglich
Verfahren (15)
Ängste bezüglichEntwicklungen imprivaten Bereich
(14)
Ängste bezüglich
Zukunft (13)
Ängste bezüglich
Strafvollzug (12)
Probleme in Partner-
schaft (10)
depressive Verstim-
mung (9)
Probleme mit Eltern
(9)
Probleme mit Kin-
dern (9)
gesellschaftliche /
politische Fragen (7)
Scham/Schuld (6)
Einsamkeit / Verein-
samung (6)
Trennung / Schei-
dung (5)
Ausmaß der Suizidalität
Drei Gefangene gabenan, in ihrem Leben schoneinmal einen Suizidver-such unternommen zuhaben, der aber nicht inZusammenhang mit derjetzigen Inhaftierungsteht. sechs berichteten,seit der jetzigen Festnah-me an Suizid gedacht zu
haben.
Beim Listener-Einsatzbesprochene Themen
Bei den Themen, überdie beim Einsatz gespro-chen wurde, gaben diebetreuten Neuzugänge
Stichprobengröße(N=20) können aus denErgebnissen keine sta-tistisch signifikantenSchluss-folgerungenabgeleitet werden.Gleichwohl werdenaber schon gewisse
Trends sichtbar.
Ausgewählte demo-grafische Daten
Das Durchschnittsal-ter der betreutenNeuzugänge betrug
32,0 Jahre.
Von den 20 Gefan-genen befanden sich17 in Untersu-chungshaft, 3 in
Strafhaft (aus-schließlich Ersatz-
freiheitsstrafen).
13 hatten vor derInhaftierung einen
festen Arbeitsplatz.
16 lebten in einer
Partnerschaft.
18 Gefangene gabeneinen festen Wohn-
sitz an.
17 Gefangene warenzum ersten Mal in-haftiert; 3 waren zumzweiten Mal. Häufi-gere Hafterfahrun-gen wurden nicht
angegeben.
Neuzugangs kann natur-gemäß nur von diesem
eingeschätzt werden.
Es zeigt sich, dass dieEinschätzungen der Lis-tener und der betreutenNeuzugänge für das Be-finden vor dem Ge-spräch fast identischsind. Den Effekt des Ge-sprächs beurteilen dieListener etwas zurück-haltendender als die vonihnen betreuten Neuzu-gänge. Ihr Befinden hatsich aus Sicht der be-treuten Neuzugängeselbst durch den Liste-
SUIZIDPRÄVENTION
„Die bisherige Fallzahl von 20
Einsätzen führt noch nicht zu
belastbaren Ergebnissen.
Dennoch lässt sich zumindest
ein Trend ablesen, der die
Fortführung des Projekts
rechtfertigt.“
„Komm mit!“ sprachendie Tiere zum Hahn. Et-was Besseres als den
Tod findest Du überall!“
„Drei Gefangene gaben an, in
ihrem Leben schon einmal
einen Suizidversuch
unternommen zu haben, der
aber nicht in Zusammenhang
mit der jetzigen Inhaftierung
steht. Sechs berichteten, seit
der jetzigen Festnahme an
Suizid gedacht zu haben.“
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Newsletter Nr. 20 Seite 7
ner-Ein-satz um fast zwei
Stufen verbessert.
Beim Ausfüllen des Fra-gebogens i. d. R. zweiTage nach dem Einsatzhat sich die Stimmungwieder etwas verschlech-tert, fiel aber bei weitem
Eingehen auf die per-
sönliche Situation
Hilfe bei Gedanken,
wie es weitergeht
Hohe Wertschätzung
der Person
Mit jemandem offen
reden
Mit Angst vor der Haft
besser umgehen
Erfahrung des Liste-
ners
Gemeinsame Interes-
sen
Antworten sind zum Teilzusammengefasst und
gekürzt.
Eindruck, verstanden
zu werden
Informationen bzgl.der Gegebenheitenund Möglichkeiten
innerhalb der JVA
Rat und Hilfe betreffs
Anträgen
Erklärung des allge-
meinen Ablaufes
Ängste und Unsicher-heiten wurden genom-
men
das Gelingen des Ein-satzes auch in der eige-nen Emotionalität nie-derschlägt. Beachtens-wert ist, dass die eige-ne Gefühlslage desListeners im Hinblickauf das folgende Ge-spräch deutlich besserist als die Einschätzungder Gefühlslage des zuBetreuenden. Mankönnte diese Diskre-
panz als einen„Vorsprung an Hoffnung“inter-pretieren, der fürein hilfreiches Gesprächeine gute Voraussetzung
darstellt.
Beschreibung der Hilfedurch den Listener
Die Frage war offen for-muliert: „Was hat Ihnenim Gespräch mit demListener geholfen?“ Die
ners zu Beginn und zuEnde des Einsatzes
Im Fragebogen für denListener wurde auch seineigenes Befinden im Hin-blick auf den zu betreu-enden Neuzugang abge-
fragt.
Auch das Gefühl des Lis-teners hat sich erkennbarverbessert, was wohl sozu deuten ist, dass sich
nicht auf den ursprüng-lichen Stand zurück,sondern war immernoch über eine Stufeüber dem Befinden vordem Listener-Einsatz.Es deutet sich also an,dass die Betreuung
durch den Listener ei-nen deutlichen akuten,aber auch einen spür-baren länger andauern-den Effekt bezüg-lichder Stimmungslage be-
wirkt.
Befinden des Liste-
Umfangreiches Ge-spräch mit jemandem
auf Augenhöhe
Ratschläge
Hoffnung gegeben
Zukünftige Perspekti-
ven
Listener machte pro-fessionellen Eindruck:erfahren, ruhig, gedul-
dig
Störende Aspekte
Auch diese Frage waroffen formuliert: „Gab esetwas, das Sie im Ge-
SUIZIDPRÄVENTION
„Ihr Befinden hat sich aus
Sicht der betreuten
Neuzugänge selbst durch den
Listener-Einsatz um fast zwei
Stufen verbessert.“
Skalierung: 0=sehr schlecht / 1=ziemlich schlecht / 2=geht so / 3=eher gut / 4=gut
Skalierung: 0=sehr schlecht / 1=ziemlich schlecht / 2=geht so / 3=eher gut / 4=gut
„Beachtenswert ist, dass die
eigene Gefühlslage des
Listeners im Hinblick auf das
folgende Gespräch deutlich
besser ist als die
Einschätzung der Gefühlslage
des zu Betreuenden.“
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Newsletter Nr. 20 Seite 8
spräch mit dem Listenergestört hat?“ 18 Befragtegaben durch Formulierun-gen wie „nichts“ oder ei-nen Querstrich zum Aus-druck, dass sie nichts zubemängeln hatten. EinNeuzugang monierte,dass der Listener relativwenig über sich selbstgeredet hat; einen ande-ren störte, dass der Liste-
ner viel geraucht hat.
Verbesserungsv or-schläge
Wörtliche Formulierung:„Haben Sie Verbesse-rungsvorschläge, wieman den Einsatz von Lis-
Grundstruktur des Liste-ner-Einsatzes diese je-weiligen Situatio-nennicht reproduziert, kannein Einsatz erfolgen,auch wenn schwere Ge-waltdelinquenz in derVorgeschichte des Liste-
ners zu beobachten ist.
Ausbau der sozialenKompetenz
Die Gesprächsführungwährend ihres Einsatzesstellt die Listener manch-mal vor beachtliche Her-ausforderungen. Ein Mit-gefangener schweigt
und kann im Einsatz alsListener erprobt und er-weitert werden. Selbst-verständlich können nurGefangene zugelassenwerden, die schon übergewisse Ressourcen indiesem Bereich verfü-gen. Empathiedefizitetreten bei zu therapie-renden Straftätern mitun-ter nicht durchgängig,sondern situati-onsbezogen auf (z. B.gegenüber Autoritäten,nach Kränkungen durchnahestehende Men-schen). Wenn die
Könnte man öftermachen, um darüberzu reden, was man
auf dem Herzen hat.
„Ich will immer noch
raus!“
Therapeutische Effek-te für die Listener
Hauptziel des Listener-Projekts ist die Beglei-tung latent suizidalerGefangener. Gleich-zeitig können quasi als„Nebeneffekt“ die Liste-ner deutlich im Hinblickauf ihre eigene Persön-lichkeitsentwicklung
profitieren. Es folgt einekurze Beschreibung derEffekte für den Listener,die bisher herausgear-beitet werden konnten.Eine detaillierte Darstel-lung der Therapieeffektein Fallvignetten verbietetsich, da aufgrund derbisher geringen Fallzahl(4 Listener) eine Anony-misierung nicht gewähr-
leistet werden kann.
Erweiterung der Empa-thiefähigkeit
Empathiefähigkeit stelltein zentrales Ziel derStraftäterbehandlung dar
Sehr froh, über Situati-on sprechen zu kön-nen, ohne auf Ableh-nung und Unverständ-
nis zu stoßen.
Sehr gutes Projekt,hilft bei der Integration
der Häftlinge.
Sehr sinnvolles Pro-gramm, zum Teil le-bensrettend, sollte fort-
geführt werden.
Sehr gutes Gefühl
nach dem Gespräch.
tenern noch günstiger
gestalten könnte?“
Sollte länger dauern
(2-3 Tage).
Dem Listener dennächsten Tag frei
geben.
Gegebenenfalls wei-terführende Gesprä-che mit dem gleichen
Listener.
Mehr Unterhaltung
und Abwechslung.
Nach dem GesprächRückkehr in den Alt-bau – schlecht für die
Stimmung.
Listener-Einsatz soll-te für alle Neuzugän-
ge Standard werden.
Ein Neuzugang mo-nierte, dass er nichtdarüber informiertwar, dass auch derListener einen Frage-bogen ausfüllt, wasfür ihn einen großenVertrauensbruch dar-
stelle.
Sonstige Anmerkun-gen
Idee ist sehr gut undhilfreich für die Betei-
ligten.
recht beharrlich, ein an-derer hört nicht zu redenauf, wieder ein andererist sprunghaft in seinenÄußerungen. Hieraufangemessen zu reagie-ren, d. h. eigene und dieBedürfnisse des anderenangemessen zu berück-sichtigen, kann der Liste-ner im Einsatz und durchdie Nachbesprechung
lernen.
Stärkung des Selbst-werterlebens
Für die Listener ist esi.d.R. bereits eine Bestä-
SUIZIDPRÄVENTION
„Empathiefähigkeit stellt ein
zentrales Ziel der Straftäter-
behandlung dar und kann im
Einsatz als Listener erprobt
und erweitert werden.
Selbstverständlich können
nur Gefangene zugelassen
werden, die schon über
gewisse Ressourcen in
diesem Bereich verfügen.“
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-
Newsletter Nr. 20 Seite 9
tigung des Selbstwertes,dass ihnen ein Einsatzzugetraut wird. Ängste,sich auf den Therapiepro-zess einzulassen, weildamit in der Fantasie eineSelbstzuschreibung alskrank, unzulänglich, wert-los usw. verbunden ist,können relativiert werden,indem durch den Einsatzals Listener vorhandeneRes-sour-cen ausdrück-lich anerkannt werden.Den Einsatz selbst erle-ben die Listener i.d.R. alssinnvoll und befriedigend.Oft erfolgt auch eine posi-tive Rückmeldung durchden betreuten Mitgefan-
rung des Handlungsfel-des bereits sinnvoll, aber
Erprobung des therapeu-tisch Erreichten. DiesemZiel dienen vornehmlichVollzugslockerungen.Durch den Einsatz alsListener können auchGefangene, die dafürnoch nicht in Frage kom-men, einen solchen Ef-fekt erfahren. Eine Auf-nahme in die Listener-Gruppe sollte erst erfol-gen, wenn die Therapieschon über die Anfangs-phase hinaus fortge-schritten ist. Bei denhäufig recht langen not-wendigen Behandlungs-zeiten ist eine Erweite-
mierte Selbstlosigkeit,sondern um konkretesHandeln mit Möglichkei-
ten und Grenzen.
Erweiterung des Hand-lungsfeldes über dieunmittelbare Therapiehinaus
So wichtig zu Beginn derTherapie eine Beschrän-kung des Handlungs-raums auf den struktu-rierten und kontrolliertenRahmen der Therapie-gruppe ist, so wichtig istspäter eine Erweiterungauf andere Aktionsfelderim Sinne der Ausweitungder Erfahrungen und der
genen.
Realistische Einschät-zung eigener Möglich-keiten
Hier ist die andere Seiteder häufig bei Straftä-tern anzutreffendenSelbstwertproblematikangesprochen: NebenInsuffizienzgefühlen be-steht häufig eine Über-schätzung der eigenenPerson. Eine Erfahrungbei Einsätzen war, dassgerade im Rahmen ei-nes zwischenmensch-lichen Kontakts der„Machbarkeit“ Grenzengesetzt sind, manchmal
im „Aushalten“ dieGrenze des gerade
Möglichen erreicht ist.
Stärkung prosozialerWerte
Durch den Listener-Einsatz werden zwi-schenmenschliche Wer-te verstärkt, die eineunmittelbare Reziprozi-tät im Sinne eines ge-genseitigen Nutzens(gibst Du mir, gebe ichDir) übersteigen. DieseHaltungen werdendurch den Einsatz auchsogleich einer Realitäts-Prüfung unterzogen: Esgeht nicht um prokla-
über Vollzuglockerungennoch nicht zu realisieren.
SUIZIDPRÄVENTION
„Eine Erfahrung bei Einsätzen
war, dass gerade im Rahmen
eines zwischenmenschlichen
Kontakts der „Machbarkeit“
Grenzen gesetzt sind,
manchmal im „Aushalten“ die
Grenze des gerade Möglichen
erreicht ist.“
Listener-Faltblat t aus dem
Schottischen Strafvollzug
-
Newsletter Nr. 20 Seite 10
In Übereinstimmung mitden hier beschriebenentherapeutischen Entwick-lungsschritten konntenDhaliwal und Harrower(2009) mittels interpretati-ver phäno-meno-logischer Analysen desListener-Prozesses zei-gen, dass die Listener-Gefangenen ein deutli-ches persönlichesWachstum erlebten, so-wie ihre Einstellungen zusich selbst und zu ande-
ren positiv veränderten.
Schlussbemerkungen
Wird in einem Zugangs-gespräch oder sonst ir-
einer uralten Vollzugs-praxis begriffen werden.So lange es den Justiz-vollzug heutiger Prägunggibt, wurden (mehr oderweniger und nach Au-genschein beurteilte)„zuverlässige“ Gefan-gene „genutzt“, um mitihnen sog. Notgemein-schaften für schwächere,psychisch belastete unddeshalb potentiell ge-fährdete Gefangene zubilden. Die Neuerung
besteht darin, dass
entwickeln ist und dabeiden Standards wissen-schaftlich fundierter Pra-xis genügt. Schon ange-sichts dieser Tatsacheerübrigt sich eine, dieMaßnahme überhöhen-de, und letztlich ihrschädliche Diskussion,welche sie zu einem„Allheilmittel“ der Suizid-prävention stilisiert. Et-was vereinfacht darge-stellt kann das Listener-Projekt als eine teilstan-dardisierte und professi-onell begleitete Variante
der Anstalt und jedesihrer Mitarbeiter,„Schädlichen Folgendes Freiheitsentzugs[…] entgegenzuwir-ken“ (Art. 5 Abs. 2 Ba-
yStVollzG) und „für diekörperliche und geistigeGesundheit der Gefan-genen […] zu sor-gen“ (Art. 58 Abs. 1BayStVollzG). Art 4Abs.2 BayUVollzG
spricht ausdrücklichauch die Suizidprophyla-xe an: „Dem Erkennenvon Suizidabsichten undder Verhütung vonSelbsttötungen kommteine besondereBedeutung zu.“ Der Ein-satz von Listener-Gefangenen kann nurin ein existierendes,schlüssig nachvoll-ziehbares Gesamtkon-zept der Suizidpräventi-on eingebunden werden(vgl. Sigel, 1997), dasnach den Bedürfnissen,Erfordernissen und Mög-lichkeiten der jeweiligenAnstalt individuell zu
fürchten, dass der Liste-ner-Gefangene in eine„Therapeutenrolle“ käme,was zu einer Überforde-rung des Listeners mitentsprechend malignemBeziehungsverlauf führen
könnte.
Keinesfalls dürfen dar-über hinaus Listener-Gefangene als „Hilfs-kräfte“ missdeutet wer-den, die Aufgaben über-nehmen, die eigentlichdem Fachpersonal derAnstalt zukommen. Esbleibt selbstverständlichvollumfänglich die Pflicht
gendwann festgestellt,dass aktuell eine kon-krete bzw. akute Suizid-gefahr besteht(diagnostiziert durcheinen Arzt oder Psycho-logen), eignet sich die-ser Gefangene aus-drücklich nicht für dieZuweisung zu einemListener, solange die o.g. Gefahr besteht. Zumeinen sind in diesenFällen akut-psychiatrische Maßnah-men indiziert, um dieGefahr abzuwenden,bzw. die (psychische)Gesundheit des Gefan-genen wieder-
herzustellen. Zum ande-ren ist es einem Liste-ner schlichtweg nichtzumutbar, einen akutsuizidalen Mitgefange-nen zu betreuen unddadurch eine Verant-wortung auf sich zunehmen, die er nichttragen kann und soll.Aus ähnlichen Erwä-gungen wurde auchdavon Abstand genom-men, weitere Treffenoder einen längerenKontakt zwischen Neu-zugang und Listenerdurchzuführen. Nebenfraglos auch positivenAspekten wäre zu be-
die Auswahl der „Sich-Kümmernden-Gefan-genen“ (hier Liste-ners) sehr sorgfältig,von Fachleuten, unterexpliziten Kriterien
erfolgt,
die Listener auf ihreEinsätze vorbereitet
werden,
die Einsätze der Liste-ner nachbesprochenund sie somit mit ihrenErlebnissen nicht al-lein gelassen werden
SUIZIDPRÄVENTION
„Keinesfalls dürfen darüber
hinaus Listener-Gefangene
als „Hilfskräfte“ missdeutet
werden, die Aufgaben
übernehmen, die eigentlich
dem Fachpersonal der Anstalt
zukommen.“
-
Newsletter Nr. 20 Seite 11
und
die Erfahrungen füreinen therapeutischenProzess (bspw. imRahmen einer sozial-therapeutischen Be-hand-lung) nutzbar ge-
macht werden (s. o.).
Aus der obigen Aufzäh-lung wird deutlich, warumsich ein Listener-Projektwohl nur mit Gefangenenwird realisieren lassen,die Teil einer sozialthera-peutischen Abteilung oderzumindest einer Wohn-gruppe mit therapeuti-schem Betreuungsperso-
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nal sind. Nur hier kön-nen die o.g. Standards(bspw. i. S. e. fundiertenAuswahl und Begleitungder Listener-Gefangenen) erfüllt undein entsprechender the-rapeutischer Mehrwert
genutzt werden.
Juristische Bedenkengegen eine gemein-schaftliche Unterbrin-gung von Straf-(Listener) und Untersu-chungsgefangenen(Neuzugängen) lassensich aus der Rechtslageableiten, die eine ge-trennte Unterbringungdieser Haftarten fordert.
Auch hier zeigt die lang-jährige Vollzugspraxiseine andere Realität,weshalb ein plötzlichesBestehen auf Einhal-tung dieser Vorschrift,angesichts einer„offiziellen Festlegung“im Rahmen der Listener-Maßnahme zugunsteneines Verzichts auf eineVerbesserung der Sui-zid-prävention und o. g.positiver Effekte zweifel-haft, ja zynisch er-
scheint.
unter: http://www.insidetime.org/articleview.asp?a=519&c=are_you_still_listening_listener_training[14.08.2011].
WHO (2007).„Suizidprävention – EinLeitfaden für Mitarbeiterdes Justizvollzugsdiens-tes“ [Online]. Verfügbarunter: http://www.who.int/mental_health/resources/re-source_jails_prisons_german.pdf [14.08.2011].7
SUIZIDPRÄVENTION
Kontakt:
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mailto:[email protected]://www.insidetime.org/articleview.asp?a=519&c=are_you_still_listening_listener_training http://www.who.int/mental_health/resources/ resource_jails_prisons_german.pdf %5B14.08.2011%5D.7
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Newsletter Nr. 20 Seite 12
wie v or relativ klein. AmStichtag 30. 11. 2012 stan-
den 47 423 Gef angenen imVollzug der Freiheitsstrafe460 Sicherungsverwahrte
(= rund 1%) gegenüber4.Allerdings sind auch neue
gesetzliche Regelungen fürGef angene mit v orbehalte-ner oder angeordneter
Sicherungsv erwahrung er-f orderlich. Zudem ist eineSogwirkung f ür Gefangene
mit sehr langen Freiheits-straf en möglich. Vor die-
sem Hintergrund wird einÜberblick über aktuelleEntwicklungen gegeben.
schaffen1. Zuv or bef asstesich der EGMR mit einer
Spezialf rage der Siche-rungsv erwahrung2 undstellte eine Verletzung der
Europäischen Mensch-rechtskonv ention fest3. Die
Entscheidung f ührte zurEntlassung von Siche-rungsv erwahrten. Nicht
zuletzt deswegen war dasöffentliche Echo groß. Inder Folge sind am 1. 6.
2013 umfangreiche bun-des- und landesgesetzliche
Neuregelungen in Kraftgetreten.
Die Gruppe der Siche-
rungsv erwahrten ist nach
Der nachfolgende Text istein Auszug aus einem Auf-
satz, der in der Neuen Zeit-schrift für Strafrecht (NStZ)2013, 447 bis 454, erschie-
nen ist. Der Abdruck erfolgtmit freundlicher Genehmi-
gung des Verlages C. H.BECK oHG.
Der Vollzug der Siche-rungsv erwahrung ist bun-desweit kein Nischenthema
mehr. Das BVerfG hat Bun-des- und Landesgesetzge-
ber gemeinsam in die Pf lichtgenommen, bis zum 31. 5.2013 ein v erfassungsmäßi-
ges Regelungssystem zu
Aktuelle Entwicklungen
von Michael Schäfersküpper und Jens Grote
VOLLZUG DER SICHERUNGSVERWAHRUNG
der Bund von seiner Ge-setzgebungszuständigkeit
nicht durch Gesetz Ge-brauch gemacht hat (Art.72 I GG). Da der Bund das
Ob der Sicherungsv erwah-rung abschließend gesetz-
lich geregelt hat, sind dieBundesländer insoweit ge-sperrt9. Der Bundesgesetz-
geber legt also beispielswei-se fest, ob das Gericht Si-cherungsv erwahrung unmit-
telbar anordnet oder sicheine Anordnung v orbehält
(§§ 66 ff. StGB, § 7 JGG).
2. Anordnung der Siche-rungsv erwahrung als Bun-
desrecht
Die Sicherungsv erwahrungist hinsichtlich der Gesetz-
gebungskompetenz demStraf recht und nicht dem
Gef ahrenabwehrrecht zu-zuordnen8. Das Strafrechtgehört zu den Sachgebie-
ten der konkurrierendenGesetzgebung (Art. 74 INr. 1 GG). In diesem Be-
reich haben die Länder dieBef ugnis zur Gesetzge-
bung, solange und soweit
StGB). Diese Maßregelnknüpf en im Gegensatz zur
Straf e nicht an der Schuld,sondern an der Gef ährlich-keit des Täters an. Siche-
rungsv erwahrte werdenauf grund einer mit Unsi-
cherheiten behafteten Ge-f ährlichkeitsprognose fest-gehalten7. Neben der Si-
cherungsv erwahrung sindauch die Unterbringung ineinem psychiatrischen
Krankenhaus (§ 63 StGB)oder in einer Entziehungs-
anstalt (§ 64 StGB) frei-heitsentziehende Maßre-geln. Beide werden aber
nicht in Justizv ollzugsan-staltenv ollzogen.
Die Neuregelungen derBundesländer gehen - bei
allen Unterschieden - aufeine gemeinsamen Quellezurück: Eine Länderarbeits-
gruppe mit Beteiligung desBundesministeriums der
Justiz hat gesetzlicheGrundlagen zur Neurege-lung des Vollzuges der Si-
cherungsv erwahrung v orge-legt. Federführend warendie Länder Niedersachsen
und Nordrhein-Westfalen.Die Justizministerkonferenz
sieht in den Ergebnissender Arbeitsgruppe „einegeeignete Grundlage für die
zur Umsetzung der Ent-scheidung des Bundesv er-
f assungsgerichts v om 4. 5.2011 auf Landesebene zu
schaffenden Rechtsgrund-lagen“. Der Grundlagenent-wurf der Länderarbeits-
gruppe (GE) ist auf denInternetseiten des Nieder-
sächsischen Justizministe-riums v eröffentlicht6. […]
Bund, Länder und Siche-
rungsverwahrung
1. Sicherungsv erwahrungals Maßregel der Besse-
rung und Sicherung
Sicherungsv erwahrung ist
keine Straf e, sondern eineMaßregel der Besserungund Sicherung (§§ 61 ff.
Niedersächsisches Justizmi nisterium in H annover
Ministerialrat Jens Grote,
Referatsleiter im Niedersächsi-
schen Justizministerium und
Michael Schäfersküpper (ohne
Bild), Dozent im Fachbereich
Strafvollzug der Fachhochschule
für Rechtspflege Nordrhein-
Westfalen in Bad Münstereifel
-
Newsletter Nr. 20 Seite 13
3. Vollzug der Sicherungs-v erwahrung als Landesrecht
a) Länderkompetenz
Seit der Föderalismusreformdes Jahres 2006 f ällt der
Strafv ollzug in die alleinigeGesetzgebungskompetenz
der Bundesländer. Ebensov erhält es sich mit dem Voll-zug der Sicherungsverwah-
rung, weil diese hinsichtlichder Gesetzgebungskompe-tenz als Straf recht einzuord-
nen ist. Das BVerfG be-zeichnet allerdings die im
Jahre 2011 v orhandenenbundes- und landesgesetz-lichen10 Regelungen zum
Vollzug der Sicherungsv er-wahrung als ungeeignet, die
Anf orderungen des v erfas-
sungsrechtlichen Ab-standsgebotes zu erfül-
len11.
b) Abstandsgebot
Sicherungsv erwahrte ha-
ben ihre Strafe bereits ver-büßt. Die Freiheitsentzie-
hung beruht nur noch aufeiner Gef ährlichkeitsprog-nose. Das BVerf G hat da-
her schon vor der Födera-lismusref orm einen privile-gierten Vollzug als erfor-
derlich angesehen: Esmüsse sichergestellt sein,
dass ein Abstand zwischendem allgemeinen Strafvoll-zug und dem Vollzug der
Sicherungsv erwahrung ge-wahrt bleibe (Abstandsge-
bot)12. Die Sicherungsver-
wahrten sind also im Voll-zug besser zu stellen als
Straf gef angene.
4. Wesentliche Leitlinienals Bundesrecht
Der Bund besitzt seit derFöderalismusref orm des
Jahres 2006 keine Gesetz-gebungskompetenz mehrf ür den Vollzug der Siche-
rungsv erwahrung. DasBVerf G sieht aber eineVerpf lichtung des Bundes,
die wesentlichen Leitlinieneines freiheitsorientierten
und therapiegerichtetenGesamtkonzeptes für dieSicherungsv erwahrung zu
regeln. Dabei sei sicherzu-stellen, dass die konzeptio-
nelle Ausrichtung der Si-
es, die Gefährlichkeit derSicherungsv erwahrten „für
die Allgemeinheit so zu min-dern, dass die Vollstreckungder Maßregel möglichst bald
zur Bewährung ausgesetztoder sie f ür erledigt erklärt
werden kann“ (§ 66 c I Nr. 1b StGB n. F.). Die materiel-len Voraussetzungen f ür
Aussetzung (§ 67 d II 1StGB) oder Erledigung(§ 67 d III 1 StGB) wegen
reduzierter Gef ährlichkeitbleiben aber unv erändert15.
3. Individuelle Behandlung
Das Gesetz sieht eine indivi-duelle und intensive Betreu-
ung der Sicherungsv erwahr-ten vor (§ 66 c I Nr. 1 a
cherungsv erwahrung nichtdurch landesrechtliche Re-
gelungen unterlaufen wer-den könne13. Die Leitlinien-kompetenz erinnert an
die Rahmengesetzgebungs-kompetenz des Bundes
(Art. 75 GG a. F.), die durchdie Föderalismusreform desJahres 2006 abgeschafft
wurde.
Neues Bundesrecht
1. Anforderungen an die
Einrichtung
„Die Sicherungsverwahrten
sind also im Vollzug besser
zu stellen als
Strafgefangene.“
Gesetz ändert eine Reihev on Bundesgesetzen. Es
enthält die wesentlichenLeitlinien für den Vollzugder Sicherungsverwah-
rung. Die Leitlinien sind alsAnf orderungen an die Ein-
richtungen formuliert, indenen Sicherungsverwahr-te untergebracht werden
(§ 66 c I StGB n. F.)14.
2. Betreuungsziel in derSicherungsv erwahrung
Das Ziel der Betreuung ist
Am 1. 6. 2013 ist das Ge-setz zur bundesrechtlichen
Umsetzung des Abstands-gebotes im Recht der Si-cherungsv erwahrung vom
5. 12. 2012 (BGBl I, 2425)in Kraf t getreten. Dieses
VOLLZUG DER SICHERUNGSVERWAHRUNG
Die neu gebaute Abteilung für den Vollzug der Sicherungsverwahrung
der JVA Rosdorf
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Newsletter Nr. 20 Seite 14
StGB n. F.). Die Betreuungmuss darüber hinaus geeig-
net sein, die Mitwirkungsbe-reitschaft zu wecken und zuf ördern.
Als Teil des Oberbegriffs„Betreuung“ wird die psychi-
atrische, psycho- oder sozi-altherapeutische Behand-lung durch ein
„insbesondere“ herv orgeho-ben. Die Behandlung ist,soweit standardisierte Ange-
bote keinen Erf olg verspre-chen, individuell auf den
Sicherungsv erwahrten zuzu-schneiden (§ 66 c I Nr. 1 aStGB n. F.). Hiernach wird
es kaum möglich sein, beimstatus quo eines bestimmten
Behandlungsprogrammsstehen zu bleiben. Das
BVerf G führt insoweit aus,es müsse gegebenenf alls
ein indiv iduell zugeschnit-tenes Therapieangebotentwickelt werden16. Mögli-
che Therapien dürften -insbesondere mit zuneh-
mender Vollzugsdauer -nicht nur deshalb unterblei-ben, weil sie im Hinblick
auf Auf wand und Kostenüber das standardisierteAngebot der Anstalten
hinausgingen (Individuali-sierungs- und Intensivie-
rungsgebot)17. Der Vollzugsteht insoweit vor großenHerausf orderungen.
Von der Frage nach denerf orderlichen Behand-
lungsangeboten sind dieFragen der Therapiewillig-
keit und der Therapief ähig-keit zu trennen. In der Be-
gründung wird insoweitbetont, f ehlende Heilungs-und Besserungsaussichten
stünden bei f ortdauernderGef ährlichkeit der Unter-
bringung nicht entgegen18.Voraussetzung ist aller-dings, dass der Vollzug
seine umf angreichen Indi-vidualisierungs- und Moti-vierungsv erpflichtungen er-
f üllt. Liegen Versäumnissedes Vollzuges vor, kann
eine Aussetzung zur Be-währung die Folge sein(§ 67 d II 2 StGB n. F.).
4. Trennung v om Strafvoll-zug
Die Unterbringung der Si-
Freizeitangebot zu gewähr-leisten20.
5. Vollzugsöffnende Maß-nahmen (Lockerungen, Ur-laub, offener Vollzug)
a) Begriff der „vollzugs-öffnenden Maßnahmen“
Unter dem Begriff„v ollzugsöff nende Maßnah-men“ fasst der Bundesge-
setzgeber Lockerungen desVollzuges (§ 11 StVollzG),Urlaub aus der Haft (§ 13
StVollzG) und den offenenVollzug (§ 10 StVollzG)
zusammen21. Zu den Locke-rungen gehört beispielswei-se der Ausgang, bei dem
Gef angene f ür eine be-stimmte Tageszeit die An-
cherungsv erwahrten erf olgtin besonderen Gebäuden
oder Abteilungen, die v omStrafv ollzug getrennt sind(§ 66 c I Nr. 2 b StGB n. F.).
Insoweit ist eine einzigeAusnahme vorgesehen: Von
der getrennten Unterbrin-gung darf abgewichen wer-den, sofern die Behandlung
(§ 66 c I Nr. 1 a StGB n. F.)ausnahmsweise etwas an-deres erfordert. Gedacht ist
hier insbesondere an zweiFallkonstellationen: Zum
„Voraussetzung ist
allerdings, dass der Vollzug
seine umfangreichen
Individualisierungs- und
Motivierungsverpflichtungen
erfüllt. Liegen Versäumnisse
des Vollzuges vor, kann eine
Aussetzung zur Bewährung
die Folge sein.“
aus fachlichen Gründeneine bestimmte Therapie-
f orm zusammen mit Straf -gef angenen angezeigtsein19.
Die getrennte Unterbrin-gung in besonderen Ge-
bäuden oder Abteilungenbedeutet aber keine abso-lute Trennung v om Straf -
v ollzug. Eine Anbindungan große Justizv ollzugsan-stalten kann sinnvoll sein,
um beispielsweise ein dif -f erenziertes Arbeits- und
einen kann eine im Vollzugder Freiheitsstrafe begon-
nenen Therapie f ortgeführt
und abgeschlossen wer-den. Zum anderen kann
VOLLZUG DER SICHERUNGSVERWAHRUNG
SV-Abteilung der JVA Rosdorf
stalt ohne Aufsicht einesVollzugsbediensteten ver-
lassen (§ 11 I Nr. 2 Alt. 2StVollzG). Das Charakte-ristikum des Urlaubs
(§ 13 I 1 StVollzG) ist,dass er sich über Nacht
und gegebenenf alls übereinen längeren Zeitraumerstreckt. Der offene Voll-
zug sieht im Gegensatzzum geschlossenen Voll-zug keine oder nur v ermin-
derte Vorkehrungen gegenEntweichungen vor
(§ 141 II StVollzG).
Die Zusammenfassungunter dem Oberbegriff
„v ollzugsöff nende Maß-nahmen“ entspricht der
Systematik des Hessi-
schen Strafvollzugsgeset-zes (§ 13 III HStVollzG).
b) Bef ürchtung „erheb-licher Straftaten“
Nach dem Strafvollzugs-
gesetz des Bundes sinddie Voraussetzungen für
„v ollzugsöff nende Maß-nahmen“ in Freiheitsstrafeund Sicherungsv erwah-
rung gleich (§§ 130, 10,11, 13 StVollzG, VV zu§ 130 StVollzG). Unter
anderem darf kein Miss-brauch zu Straftaten zu
bef ürchten sein. Für dieSicherungsv erwahrungstellt der Bundesgesetzge-
ber nunmehr auf Miss-brauch „zur Begehung
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Newsletter Nr. 20 Seite 15
erheblicher Straftaten“ ab(§ 66 c I Nr. 3 a StGB n. F.).
Zum Begriff „erheblicheStraf taten“ verweist die Be-gründung auf den gleichlau-
tenden Ausdruck bei denVoraussetzungen für die
Sicherungsv erwahrung (§ 66I 1 Nr. 4 StGB: „… zu erheb-lichen Straftaten, namentlich
zu solchen, durch welche dieOpf er seelisch oder körper-lich schwer geschädigt wer-
den …“)22. In der Praxis wirdman zur Konkretisierung des
Begriffes „erhebliche Strafta-ten“ auf die entsprechendeRechtsprechung und Litera-
tur zu § 66 I 1 Nr. 4 StGBzurückgreif en müssen23.
Nicht jede Bef ürchtung einerStraf tat vermag also v oll-
zugsöffnende Maßnahmenauszuschließen, sondern
nur noch die Befürchtungbestimmter, besondersqualif izierter Straftaten.
c) Offener Vollzug als Son-derf all
Straf gef angene sollen un-ter bestimmten Vorausset-zungen v on Anfang an im
offenen Vollzug unterge-bracht werden (§ 10 IStVollzG). Im Gegensatz
hierzu rückt die Gesetzes-begründung den offenen
Vollzug f ür die Sicherungs-v erwahrung in die Näheder Entlassung. Der offene
Vollzug wird insoweit alssinnv oller Zwischenschritt
angesehen. Im Hintergrund
steht wohl die Überlegung,dass bei einer Unterbrin-
gung im offenen Vollzugauch zeitnah die Voraus-setzungen für eine Ausset-
zung der Sicherungsver-wahrung v orliegen müss-
ten.
Nach der Gesetzesbegrün-dung f indet die Entlas-
sungsv orbereitung in derRegel in Einrichtungen fürdie Sicherungsv erwahrung
statt. Eine Unterbringungim offenen Strafvollzug
kann aber sinnv oll sein,wenn sich hierdurch dieEntlassungssituation ver-
bessert. Das kann bei-spielsweise durch die
räumliche Nähe zu einemArbeitsplatz oder zu Be-
bef inden. Auch Gefangenemit angeordneter oder vor-
behaltener Sicherungsver-wahrung werden einbezo-gen. Das BVerf G hat inso-
weit ausgef ührt:
„Kommt Sicherungsv erwah-
rung in Betracht, müssenschon während des Straf-v ollzugs alle Möglichkeiten
ausgeschöpft werden, umdie Gef ährlichkeit des Verur-teilten zu reduzieren“28
(ultima-ratio-Prinzip).
Auch der Grundlagenent-
wurf enthält daher in seinemTeil 2 besondere Vorschrif-ten bei angeordneter oder
v orbehaltener Sicherungs-v erwahrung, die als Ergän-
zugspersonen der Fallsein26.
6. Entlassung und Nachsor-ge
Die Einrichtungen, in denen
Sicherungsv erwahrte unter-gebracht werden, haben in
enger Zusammenarbeit mitstaatlichen oder f reien Trä-gern eine nachsorgende
Betreuung in Freiheit zuermöglichen (§ 66 c I Nr. 3 bStGB n. F.). Die Regelung
greift den Gedanken eines
„Im Gegensatz hierzu rückt
die Gesetzesbegründung den
offenen Vollzug für die
Sicherungsverwahrung in die
Nähe der Entlassung. Der
offene Vollzug wird insoweit
als sinnvoller Zwischen-
schritt angesehen.“
dar27. Der Vollzug ist v er-pf lichtet, den Übergang
möglichst „nahtlos“ zu pla-nen und zu gestalten. […]
Gefangene mit angeord-
neter oder vorbehaltenerSicherungsverwahrung
1. Auswirkungen auf denVollzug der Freiheitsstraf e
Der Bundesgesetzgeber
hat nicht nur Regelungenf ür die Personen erlassen,die sich bereits im Vollzug
der Sicherungsverwahrung
„Übergangsmanagements“auf. Die „Nahtstelle“ zwi-
schen Vollzug und Freiheitstellt - wie alle Übergangs-phasen zwischen Lebens-
abschnitten - eine beson-ders kritische Situation
VOLLZUG DER SICHERUNGSVERWAHRUNG
zung der jeweiligen Straf -v ollzugsgesetze formuliert
sind.
2. Betreuungsziel und Voll-zugsziel
Der Bundesgesetzgeberlegt f ür Gefangene mit
angeordneter und vorbe-haltener Sicherungsver-wahrung ein eigenes Be-
treuungsziel fest. Die Be-treuung im Vollzug derFreiheitsstrafe hat das
Ziel, die Vollstreckung derSicherungsv erwahrung
oder deren Anordnungmöglichst entbehrlich zumachen (§ 66 c II StGB
n. F.). Dieses Betreuungs-ziel greift auch der Grund-
lagenentwurf auf und for-muliert es als Vollzugsziel
(§ 1 GE-Teil 2). Diesesneue Ziel des Vollzuges isteine Ergänzung der Voll-
zugsziele nach den Geset-zen f ür den Vollzug der
Freiheitsstrafe (z. B. § 2StVollzG: Leben in sozia-ler Verantwortung ohne
Straf taten).
3. Individuelle Behandlung
Der Bundesgesetzgeber
v erweist zur Betreuungwährend des Vollzugs der
Freiheitsstrafe auf die Re-gelungen f ür die Siche-rungsv erwahrung (§ 66 c
II, I Nr. 1 StGB n. F.). Inso-weit gelten die Darlegun-
SV-Abteilung der JVA Rosdorf
„Die Betreuung im Vollzug
der Freiheitsstrafe hat das
Ziel, die Vollstreckung der
Sicherungsverwahrung oder
deren Anordnung möglichst
entbehrlich zu machen.“
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Newsletter Nr. 20 Seite 16
gen dieses Aufsatzes zurSicherungsv erwahrung unter
III 3. Der Entwurf stellt au-ßerdem durch ein„insbesondere“ die sozialthe-
rapeutische Behandlungwährend des Vollzugs der
Freiheitsstrafe besondersheraus.
Der Grundlagenentwurf sieht
eine zwingende Verlegung indie Sozialtherapie vor, wenndie dortigen Behandlung zur
Verringerung der Gefährlich-keit f ür die Allgemeinheit
angezeigt ist (§ 6 I GE-Teil2). Die Regelung stellt alsoauf ein „Angezeigt-Sein“ ab.
Insoweit geht der Grundla-genentwurf nicht über be-
reits bestehende Regelun-gen f ür „normale“ Straf ge-
f angene hinaus (§ 9 I 1StVollzG). Die Vollzugsbe-
hörde besitzt zudem be-züglich des „Angezeigt-Seins“ einen Beurteilungs-
spielraum29. Die Entschei-dung der Vollzugsbehörde
unterliegt also insoweit nureiner eingeschränkten ge-richtlichen Kontrolle30.
Eine eigenständige Rege-lung enthält der Grundla-genentwurf zum Zeitpunkt
der Verlegung in eine Sozi-altherapie. Der Zeitpunkt
soll den Abschluss derBehandlung während desVollzugs der Freiheitsstrafe
erwarten lassen (§ 6 II GE-Teil 2).
Sicherungsv erwahrte und
Gef angene mit angeordne-ter oder v orbehaltener Si-
cherungsv erwahrung wer-den also denselben An-spruch auf eine individuelle
und intensive Betreuunghaben. Das stellt die Voll-
zugsbehörden v or großeHerausf orderungen: Zumeinen ist da das Verhältnis
dieser Gef angenen zu denGef angenen ohne ange-ordnete oder v orbehaltene
Sicherungsv erwahrung.Die mögliche Sicherungs-
v erwahrung kann hier dazuf ühren, dass sich Gefange-ne auf einer behandleri-
schen „Überholspur“ befin-den. Zum anderen ist da
das Verhältnis zu den Si-cherungsv erwahrten. Es
Beschränkung dieser Rege-lung auf den Bereich der
Sicherungsv erwahrung istnicht erkennbar.
2. Strafvollzugsbegleitende
gerichtliche Kontrolle beiangeordneter oder vorbehal-
tener Sicherungsv erwah-rung (§ 119 a StVollzG)
a) Überprüf ung v on Amts
wegen
Bei Gef angenen mit ange-ordneter oder v orbehaltener
Sicherungsv erwahrung gibtes eine neue Form der ge-
richtlichen Kontrolle. DieseKontrolle begleitet kontinu-ierlich den Vollzug der Frei-
heitsstraf e (§ 119 aStVollzG). Das Gericht über-
reicht nicht aus, alle Res-sourcen in den Einrichtun-
gen f ür Sicherungsv erwahr-te zu konzentrieren. Überall,wo Gef angene mit angeord-
neter oder v orbehaltenerSicherungsv erwahrung un-
tergebracht sind, muss esein gleichwertiges behandle-risches Angebot f ür diese
geben.
Gerichtliche Überprüfungin der Sicherungsverwah-
rung
„Der Grundlagenentwurf
sieht eine zwingende
Verlegung in die
Sozialtherapie vor, wenn die
dortigen Behandlung zur
Verringerung der
Gefährlichkeit für die
Allgemeinheit angezeigt ist.“
Gerichtliche Entscheidun-gen auf dem Gebiet des
Strafv ollzuges sind bislangnicht v ollstreckbar gewe-sen32. In § 120 I StVollzG
ist nunmehr ein Verweisauf das Zwangsgeld nach
der Verwaltungsgerichts-ordnung (§ 172 VwGO)eingef ügt worden. Damit
kann gegen Vollzugsbe-hörden ein Zwangsgeldv erhängt werden, wenn sie
gerichtliche Entscheidun-gen nicht umsetzen. Eine
1. Antrag auf gerichtlicheEntscheidung und Zwangs
geld (§§ 109 ff. StVollzG)
Der Rechtsbehelf bei Maß-nahmen auf dem Gebiet
des Strafvollzuges oderder Sicherungsverwahrung
ist der Antrag auf gerichtli-che Entscheidung (§§ 109ff. StVollzG)31. Über den
Antrag entscheiden dieStrafv ollstreckungskam-mern bei den Landgerich-
ten (§ 110 StVollzG,§ 78 a GVG).
VOLLZUG DER SICHERUNGSVERWAHRUNG
prüft v on Amts wegen dieBetreuung dieser Gefan-
genen, wobei die Überprü-f ungsf rist grundsätzlich 2Jahre beträgt (§ 119 a III
1 StVollzG).
b) Feststellungen des Ge-
richtes
Das Gericht stellt fest, obdie angebotene Betreuung
im Vollzug § 66 c II n. F.i. V. m. § 66 c I Nr. 1 StGBn. F. entspricht (§ 119 a I
Nr. 1 StVollzG). Sollte dasnicht der Fall sein, legt das
Gericht außerdem f est,welche Maßnahmen inso-weit künftig anzubieten
sind (§ 119 a I Nr. 2StVollzG). Das Gericht
geht dabei dav on aus,dass sich die Sachlage
nicht wesentlich ändert(§ 119 a I Nr. 2 StVollzG).
c) Antragsrecht der Voll-
zugsbehörde
Die strafvollzugsbegleiten-
de gerichtliche Kontrollebei angeordneter oderv orbehaltener Sicherungs-
v erwahrung findet nichtnur v on Amts wegen statt.Die Vollzugsbehörde kann
jederzeit eine entspre-chende Entscheidung be-
antragen, sof ern hieranein berechtigtes Interessebesteht (§ 119 a II 1
StVollzG):
„Unter berechtigtem Inte-
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-
Newsletter Nr. 20 Seite 17
resse ist jedes nach demkonkreten Sach- und Verf ah-
rensstand anzuerkennendebehördliche Interesse zuv erstehen, sich vor der
nächsten vom Gericht v onAmts wegen durchzuf ühren-
den Überprüf ung der Recht-mäßigkeit der angebotenenBetreuung zu v ersichern. Ein
qualif iziertes Bestreiten derRechtsmäßigkeit durch denGef angenen ist hierf ür aus-
reichend, wenn auch nichterf orderlich“35.
Die Vollzugsbehörde kanneine gerichtliche Überprü-f ung auch nach der erstmali-
gen Aufstellung oder einerwesentlichen Änderung des
Vollzugsplans beantragen.Das Gericht prüft dann, ob
die im Vollzugsplan vorge-sehenen Maßnahmen eine
Betreuung nach § 66 c INr. 1 StGB n. F. darstellenwürden (§ 119 a II
2 StVollzG).
d) Kein Antragsrecht der
Gef angenen mit angeord-neter oder v orbehaltenerSicherungsv erwahrung
Gef angene haben keinAntragsrecht f ür die straf-v ollzugsbegleitende ge-
richtliche Kontrolle bei an-geordneter oder vorbehal-
tener Sicherungsv erwah-rung. Der Gesetzentwurfsieht ein solches Antrags-
recht nicht v or, weil dieseKontrolle auf eine Feststel-
lung des Gerichtes bezüg-
lich des „Gesamtpaketes“der Maßnahmen zielt. Die
Gef angenen haben aberdie (weitergehende) Mög-
nismäßig wäre (§ 67 c I 1Nr. 2 StGB n. F.).
Der Regelung liegt der Ge-danke zugrunde, dass Si-cherungsv erwahrung ultima
ratio ist. Sie könne nur danngerechtf ertigt sein, wenn
schon während des Straf-v ollzugs alle Möglichkeitenausgeschöpft würden, um
die Gef ährlichkeit des Verur-teilten zu reduzieren und soden Vollzug der Unterbrin-
gung entbehrlich zu ma-chen38. Dieser Gedanke
begründet eine besondereVerantwortung des Vollzu-ges, weil vollzugliche Fehler
letztlich zur Entlassung vongef ährlichen Sicherungsver-
wahrten f ühren können. Die
lichkeit des Antrags auf ge-richtliche Entscheidung (§§
109 ff. StVollzG), mit dembestimmte Maßnahmeneingef ordert oder angef och-
ten werden können36.
e) Bindungswirkung und
Konsequenzen aus Ent-scheidungen nach § 119 aStVollzG
Alle Gerichte sind bei nach-f olgenden Entscheidungenan die rechtskräftigen Fest-
stellungen aus Verfahren
„Dieser Gedanke begründet
eine besondere
Verantwortung des
Vollzuges, weil vollzugliche
Fehler letztlich zur
Entlassung von gefährlichen
Sicherungsverwahrten führen
können.“
wahrung zur Bewährungauszusetzen ist. Die Bin-
dungswirkung kann insbe-sondere bei dieser Prüf ungKonsequenzen haben: Der
Bundesgesetzgeber siehtnämlich eine zwingende
Aussetzung v or, wenn imVollzugsv erlauf keine aus-reichende Betreuung im
Sinne des § 66 c I Nr. 1StGB n. F. angeboten wor-den ist und die Unterbrin-
gung in der Sicherungsv er-wahrung daher unv erhält-
zur strafvollzugsbegleiten-den gerichtlichen Kontrolle
gebunden (§ 119 a VIIStVollzG). Soweit dieseFeststellungen künftig an-
zubietende Maßnahmenbetreff en, reicht die Bin-
dungswirkung aber nur soweit, wie sich die Sachlagenicht wesentlich verändert
hat37.
Am Ende des Vollzugs derFreiheitsstrafe prüft das
Gericht, ob die Vollstre-ckung der Sicherungsv er-
VOLLZUG DER SICHERUNGSVERWAHRUNG
bindenden Zwischenent-scheidungen sollen dabei
Rechtssicherheit bei denBeteiligten schaffen undeiner „Überraschung“ bei
der erst am Ende des Voll-zugs der Freiheitsstraf e zu
treff enden Aussetzungs-entscheidungv orbeugen39.
3. Aussetzung der Siche-
rungsv erwahrung zur Be-währung nach der Frei-heitsstraf e (§ 67 c StGB)
Vor dem Ende des Vollzu-ges der Freiheitsstrafe
prüft das Gericht, ob dieSicherungsv erwahrung zurBewährung auszusetzen
ist. Schon nach dem gel-tenden Recht ist die Voll-
streckung der Sicherungs-v erwahrung auszusetzen,
wenn der Zweck der Maß-regel die Unterbringungnicht mehr erf ordert
(§ 67 c I StGB). Insoweitist auf die Gef ährlichkeit
der Gef angenen abzustel-len. Neu ist die Ausset-zung wegen mangelnder
Betreuung im Vollzug(§ 67 c I 1 Nr. 2 StGB n.F.), auf die bereits zuv or
eingegangen wurde.
4. Aussetzung zur Bewäh-
rung oder Erledigungs-erklärung während derSicherungsv erwahrung
(§ 67 d f. StGB)
Während der Sicherungs-
Unterkunftsbereich i n der SV-Abteilung der JVA R osdorf
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Newsletter Nr. 20 Seite 18
v erwahrung prüft das Ge-richt v or Ablauf bestimmter
Fristen, ob die weitere Voll-streckung der Unterbringungzur Bewährung auszusetzen
oder f ür erledigt zu erklärenist (§ 67 e I StGB). Die bis-
herige Überprüf ungsf rist hatf ür die Sicherungsverwah-rung 2 Jahre betragen
(§ 67 e II StGB a. F.). DieseFrist v erkürzt sich nunmehrauf 1 Jahr. Auf Vorschlag
des Bundesrates beträgt dieFrist nach Vollzug v on 10
Jahren der Sicherungsv er-wahrung dann 9 Monate40.
Der Bundesgesetzgeber
sieht zudem eine zwingende
Aussetzung zur Bewäh-rung v or, wenn die weitere
Vollstreckung unverhältnis-mäßig wäre, weil keineausreichende Betreuung i.
S. d. § 66 c I Nr. 1 StGB n.F. angeboten worden ist.
Das Gericht muss aller-dings bei einer vorherigenPrüf ung der Aussetzung
die mangelnde Betreuung,die anzubietenden Maß-nahmen und eine Umset-
zungsf rist festgestellt ha-ben. Die Umsetzungsfrist
darf höchstens 6 Monatebetragen (§ 67 d II 2StGB n. F.).
Quellen:
1 Vgl. BVerf G Urt. v. 4. 5.
2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., juris, Rn 130.
2 Der EGMR bejahte u. a.,
dass die rückwirkendeAuf hebung der Zehnjah-
reshöchstf rist des § 67 d III1 StGB gegen Art. 7 IEMRK v erstößt.
3 Vgl. EGMR - 5. SektionM. gegen BR Deutschland,Urt. v. 17. 12. 2009 - Be-
schwerde Nr. 19 359/04 -NStZ 2010, 263 ff.; BVerfG
Urt. v. 4. 5. 2011 - 2 BvR2365/09 u. a., juris, Rn140.
a., juris, Rn 115.
21 Vgl. BT-Dr 17/9874 v. 6.
6. 2012, S. 17 [zu Nr. 2].
22 Vgl. o. Fn 21.
23 Vgl. z. B. BGH Urt. v. 9.
10. 2011 - 5 StR 360/01,juris, Rn 10f.
24 Vgl. BT-Dr 17/9874 v. 6.6. 2012, S. 17 [zu Nr. 2].
25 Vgl. o. Fn 24.
26 Vgl. o. Fn 24.
27 Vgl. Arloth StVollzG, Kom-mentar, 3. Auf l., § 74
StVollzG Rn 1.
28 BVerf G Urt. v. 4. 5. 2011-
2 Bv R 2365/09 u. a., juris,Rn 112.
4 Vgl. Stat. Bundesamt, Be-stand der Gefangenen und
Verwahrten in den deut-schen Justizv ollzugsanstal-ten, Stichtag: 30. 11. 2012,
S. 6 f.
5 Beschluss zu TOP II.8 der
Konf erenz der Justizministe-rinnen und Justizministeram 13. und 14. 6. 2012 in
Wiesbaden.
6 Vgl.www.mj.niedersachs-en.de unter Themen/
Justizv ollzug/Vollzug derSicherungsv erwahrung.
7 Vgl. BVerf G Urt. v. 5. 2.2004 - 2 BvR 2029/01, juris,Rn 119.
a., juris, Rn 129.
14 Vgl. BT-Dr 17/9874 v. 6.
6. 2012, S. 5 [Art. 1 Nr. 2].
15 Vgl. o. Fn 14, S. 16 [zuNr. 2].
16 Vgl. BVerfG Urt. v. 4. 5.2011 - 2 BvR 2365/09 u.
a., juris, Rn 113.
17 Vgl. o. Fn 16.
18 Vgl. BT-Dr 17/9874 v. 6.
6. 2012, S. 15 [zu Nr. 2].
19 Vgl. o. Fn 18, S. 16 [zuNr. 2].
20 Vgl. BVerfG Urt. v. 4. 5.2011 - 2 BvR 2365/09 u.
8 Vgl. BVerf G Urt. v. 10. 2.2004 - 2 BvR 834/02 und 2
BvR 1588/01, juris, Rn 86.
9 Vgl. o. Fn 8, Rn 141.
10 Z. B. Art. 159 ff. Bay St-
VollzG, §§ 66 ff. HSt-VollzG, §§ 107 ff.
NJVollzG.
11 Vgl. BVerfG Urt. v. 4. 5.2011 - 2 BvR 2365/09 u.
a., juris, Rn 121.
12 Vgl. BVerfG Urt. v. 5. 2.2004 - 2 BvR 2029/01,
juris, Rn 122.
13 Vgl. BVerfG Urt. v. 4. 5.
2011 - 2 BvR 2365/09 u.
VOLLZUG DER SICHERUNGSVERWAHRUNG
29 Vgl. OLG Celle Beschl.v. 20. 4. 2007- 1 Ws 91/07
(StrVollz), juris, Rn 8.
30 Vgl. BGH Beschl. v. 22.12. 1981 - 5 AR (Vs)
32/81, juris, Rn 11.
31 Vgl. BT-Dr 17/9874 v. 6.
6. 2012, S. 8. [Art. 4 Nr. 2a].
32 Vgl. BVerf G Beschl. v. 3.
11. 2010 - 2 BvR 1377/07,juris, Rn 5f. mwN auch zurGegenauffassung und Rn
7.
33 Vgl. o. Fn 31, S. 8 f.
[Art. 4 Nr. 7].
34 Vgl. o. Fn 31, S. 28 [zuNr. 6].
35 Vgl. o. Fn 31, S. 28 [zuNr. 6].
36 Vgl. o. Fn 31, S. 28 f. [zuNr. 6].
37 Vgl. o. Fn 31, S. 29 f. [zu
Nr. 6].
38 Vgl. o. Fn 31, S. 20 [zu
Nr. 4].
39 Vgl. o. Fn 31, S. 28 [zuNr. 6].
40 Vgl. BT-Dr 17/11388 v.7. 11. 2012, S. 33 [zu Art.1 Nr. 6 (§ 67 e II StGB)].
Kontakt:
Jens Grote
Telefon
(05 11) 120 - 52 34
E-Mail
[email protected] edersachsen.de
Michael Schäfersküpper
Telefon
(0 22 53) 3 18-2 19
E-Mail
michael.schaeferskuepper
@fhr.nrw.de
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Newsletter Nr. 20 Seite 19
30,1% zunehmen (vgl.Statistisches Bundes-amt 2009). Angesichtsdes „kriminologischenGemeinplatzes“, dassältere Menschen weni-ger kriminell sind alsJüngere (vgl. Spiess2009), stellt sich somitdie Frage, was diesedemografischen Verän-derungen für das Krimi-nalitätsaufkommen be-
deuten.
In der deutschsprachi-gen Kriminologie wurde
Die Prognose der Gefangenenzahlen in Niedersachsen vor
dem Hintergrund des demografischen Wandelsvon Michael Hanslmaier und Dirk Baier
DEMOGRAFISCHER WANDEL
Die Kriminologie be-schäftigt sich seit einigerZeit mit der Frage, wiesich der demografischeWandel auf die zukünftigeKriminalitätsentwicklungauswirken wird und wel-che Folgen dies für dieArbeitsbelastung der In-stitutionen der formellenSozialkontrolle, also fürPolizei, Justiz(-vollzug)und Bewährungshilfe ha-ben wird (Baier &Hanslmaier 2013). Aus-
gangspunkt ist die Be-obachtung, dass sichdie Altersstruktur derBevölkerung seit 1995geändert hat und sichdiese Veränderungen,die sich als Alterung undSchrumpfung charakte-risieren lassen, auch inZukunft fortsetzen wer-den. So ist der Anteilder über 59-Jährigenvon 20,7% im Jahr 1995auf 25,9% im Jahr 2010gestiegen und wird biszum Jahr 2020 auf
Altersstruktur der Bevöl-kerung projiziert. Heinz(2013) verwendet dieseMethode zur Prognoseder Zahl der Gefangenenin Deutschland bis zumJahr 2060. Hierfür wird ineinem ersten Schritt dierelative Belastung dereinzelnen Altersgruppenberechnet (Gefangenepro 100.000 Einwohnerder gleichen Altersgrup-pe und des gleichen Ge-schlechts). Diese Belas-tung wird als konstantangenommen und mit
Überblick über bisherigeAnsätze zur Prognoseder zukünftigen Entwick-lung der Gefangenen-zahl in Deutschland ge-
ben werden.
Eine nicht nur bei derPrognose von Gefange-nenzahlen häufig ver-wendete Methode ist dieExtrapolation (Metz2013). Bei der Extrapo-lation wird die als kon-stant angenommenealtersspezifische Krimi-nalitätsbelastung auf diezukünftig zu erwartende
Forschungsinstitut Nie-dersachsen (KFN) inKooperation mit den In-nen- und Justizministe-rien der Länder Bayern,Brandenburg, Nieder-sachsen und Sachsen-Anhalt durchgeführt wor-den ist, vorgestellt wer-
den.
Bisherige Ansätze zurPrognose v on Gefan-genzahlen
Bevor das Vorgehen beider Prognose der zu-künftigen Kriminalitäts-entwicklung skizziertwird, soll zunächst ein
der Zusammenhang zwi-schen der Veränderungder Altersstruktur derBevölkerung und der Kri-minalität wiederholt un-tersucht. So haben sicheinige Autoren der Fragegewidmet, inwiefern sichder bisherige demografi-sche Wandel bereits inden Kriminal- undRechtspflegestatistikenniederschlägt (vgl. Kem-me 2011; Kemme &Hanslmaier 2011). Ande-re Autoren haben denBlick in die Zukunft ge-richtet und darüber spe-kuliert, welche Auswirkender demografische Wan-
del auf das Kriminalitäts-aufkommen haben wird,wobei sich die Ergebnis-se teilweise stark unter-scheiden (u. a. Borne-wasser et al. 2008; Gluba2010; Görgen et al. 2011;Heinz 2013; Hunsicker
2013).
Der vorliegende Beitraglegt den Fokus auf diePrognose der zukünfti-gen Zahl der Gefange-nen vor dem Hintergrunddes demografischenWandels. Es sollen dieErgebnisse eines For-schungsprojektes, dasam Kriminologischen
Dr. Dirk Baier, Dipl.-Soz.,
stellv. Direktor (links) und
Michael Hanslmaier, Sozio-
loge M.A.
Kriminologisches Forschungs-
institut Niedersachsen, Hannover
Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsenin Hannover
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Newsletter Nr. 20 Seite 20
tiz, des Strafvollzugsund der Bewährungshil-fe“, das von 2009 bis2013 am Kriminologi-schen Forschungsinsti-tut Niedersachsendurchgeführt wurde.Das Projekt gliedertesich in zwei Teile. In derersten Projektphasewurden Interviews mitExperten aus den Berei-chen Polizei, Justiz undStrafvollzug durchge-führt. Ziel war es, dieaus Sicht der Expertenrelevanten Faktoren zuidentifizieren, die dieEntwicklung der Krimi-
wird, findet in Deutsch-land nicht statt (vgl. a.Metz 2013: 404). Auchberücksichtigt nur eineder vorgestellten Arbeiten(Metz & Sohn 2008) Dritt-
faktoren.
Das Projekt
Die Prognose der Zahlder Gefangenen in Nie-dersachsen bis zum Jahr2020 war Teil des Projek-tes „Auswirkungen desdemografischen Wandelsauf die Kriminalitätsent-wicklung sowie die Arbeitder Polizei, der Strafjus-
„Heinz (2013) erwartet ...
bundesweit einen Rückgang
der Gefangenenzahlen von
2010 bis 2020
von 60.157 auf 55.513.“
gruppe stark zunimmt.
Eine Erweiterung vonExtrapolationen sindModelle, die nicht voneiner Konstanz der Be-lastungsziffer ausgehen,sondern diese als varia-bel modellieren. Hierbeikönnen entwederTrends aus der Vergan-genheit fortgeschriebenoder vom Forscher Ad-hoc-Annahmen getrof-fen werden. Im Bereichder Prognose von Ge-fangenen wurde diesesVerfahren von Hasen-pusch (1988) für Nieder-
sachsen angewendet.Mittels einer Regressi-onsanalyse wurde derTrend der Zeitreihe deraltersspezifischen Haft-quote fortgeschriebenund mit der prognosti-zierten Bevölkerungs-zahl in Verbindung ge-
setzt.
Ein Problem bei der Ext-rapolation ist jedoch,dass diese außer derDemografie keine weite-ren Faktoren berücksich-tigt. Selbst wenn nochkein vollständiges Modellzur Erklärung der Gefan-
der aus der Bevölke-rungsvorausberechnungbekannten Zahl der Per-sonen in der jeweiligenAlters- und Geschlechts-gruppe multipliziert.Heinz (2013) erwartet aufBasis dieser Methodebundesweit einen Rück-gang der Gefangenen-zahlen von 2010 bis 2020von 60.157 auf 55.513.Erwartungsgemäß steigtaber im Gegensatz zuden übrigen Altersgrup-pen die Zahl der Gefan-genen über 59 Jahrenan, da die Zahl der Per-sonen in dieser Alters-
Gefangenen werdendemografische Variab-len (Stärke verschiede-ner Altersgruppen, Ge-samtbevölkerung), dieArbeitslosigkeit, der An-teil der Personen, diemit neuen Hoffnungenins neue Jahr gehen(als Indikator für dieKonjunktur), das Brutto-inlandsprodukt pro Kopfund die Zahl der verur-teilten Deutschen alsunabhängige Variablenverwendet. Für diePrognose werden dieWerte der unabhängi-gen Variablen auf dem
letzten bekannten Wertfortgeschrieben. Kritischanzumerken ist hier dieTatsache, dass die Zahlder Verurteilten, also derInput in das Justizsys-
tem nicht modelliert wird.
Insgesamt existieren fürDeutschland somit nurwenige Arbeiten, die sichmit der Prognose vonGefangenenzahlen aus-einandersetzen. Einekontinuierliche Progno-se, wie sie in anderenLändern (u.a. Schwe-den, Kanada, Niederlan-de, USA) durchgeführt
genenzahlen existiert,das alle relevanten Ein-flussgrößen beinhaltet,so ist doch klar, dassdieses Phänomen nichtnur durch einen Faktorerklärt werden kann (vgl.Baier & Hanslmaier 2013:
589).
Einen elaborierten An-satz zur Prognose derGefangenenzahlen derStadt Hamburg liefernMetz und Sohn (2008)mit der Verwendung mul-tivariater Zeitreihenanaly-se. In ihrem Modell zurPrognose der deutschen
DEMOGRAFISCHER WANDEL
nalität seit 1995 beein-flusst haben (Kemme et
al. 2011).
Die in den Interviewsbenannten Einflussfak-toren auf die Kriminali-tätsentwicklung wurdenim zweiten Teil des Pro-jektes um aus der For-schung bekannte Ein-flussgrößen erweitert.Ziel war es in diesemTeil des Projektes, mul-tivariate Modelle zurPrognose von Kriminali-tät zu entwickeln. EinProblem war hierbei,dass nicht für alle Ein-
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Newsletter Nr. 20 Seite 21
geht, dass sich der An-stieg bzw. Rückgang mitder Zeit abschwächt, einSpline-Trend, der einenTrendbruch beschreibenkann und ein Dummy-modell, das keinenTrend spezifiziert, son-dern die einzelnen Be-obachtungsjahre als
Ausreißer behandelt.
Die prognostizierte Zahlder Straftaten ist im drit-ten Schritt der Aus-gangspunkt für diePrognose der Tatver-dächtigen. Hierfür wurde– jeweils deliktspezifisch
jeweils ein deliktspezifi-scher Trend übrig. Hinterdiesem Trend verbergensich Einflussfaktoren aufdie Kriminalitätsentwick-lung, die nicht im Modellenthalten sind (z.B. An-zeigebereitschaft). Umdiese Trends für diePrognose berücksichti-gen zu können, musstendiese modelliert werden.Hierfür kamen vier Trend-verläufe in Frage: einlinearer Trend, der voneinem kontinuierlichenAnstieg oder Rückgangausgeht, ein logistischerTrend, der davon aus-
„Die zukünftigen Werte für
die demografischen Variablen
konnten den regionalisierten
Bevölkerungsprognosen
entnommen werden, bei den
anderen Variablen
(Arbeitslosenquote,
Scheidungsrate usw.) stellte
sich die Situation komplexer
dar, da es keine Prognosen
über deren zukünftigen
Verlauf gibt..“
abhängige Variabledienten die Häufigkeits-ziffern für acht Delikte(vgl. Tabelle 1) und dieGesamtkriminalität(Hanslmaier et al.
2014).
Für die Prognosen wur-den in einem erstenSchritt multivariate Mo-delle zur retrogradenErklärung der Kriminali-tät für den Zeitraum1995 bis 2010 berech-net. Datengrundlagewaren gepoolte Zeitrei-hen aller Landkreise;d.h., für jeden Landkreis
liegt für jedes Jahr einWert für alle Variablenvor. Die Modelle wurdenjeweils separat für dieeinzelnen Bundesländerund Delikte geschätzt.Die sieben exogenenFaktoren wurden zu-nächst gemeinsam indas Modell aufgenom-men. Dann wurdenschrittweise die nichtsignifikanten Variablen
aus dem Modell entfernt.
Für die Prognose konn-ten dann in einem zwei-ten Schritt die zukünfti-gen Werte der unabhän-
flussfaktoren Daten zurVerfügung standen. Indie Modelle zur Prognoseder Fallzahlen konntenletztlich sieben exogeneFaktoren als Prädiktorenvon Kriminalität integriertwerden: der Anteil der 14- bis unter 25-Jährigenund der Anteil der über59-Jährigen an der Ge-samtbevölkerung als de-mografische Faktoren,die Arbeitslosenquote,die Scheidungsrate, derAnteil der Schulabgängerohne Schulabschluss,der Ausländeranteil unddie Mobilitätsrate. Als
der letzte bekannte Wert
fortgeschrieben.
Ein weiteres wichtigesElement der Prognose-
modelle waren Trends.Bei der Schätzung derretrograden Modelleblieb, auch unter Kon-trolle der Drittvariablen,
gigen Variablen in dieRegressionsgleichungeingesetzt werden, umauf diese Weise die Wer-te der abhängigen Vari-ablen zu erhalten. Diezukünftigen Werte für diedemografischen Variab-len konnten den regiona-lisierten Bevölkerungs-prognosen entnommenwerden, bei den anderenVariablen (Arbeitslosen-quote, Scheidungsrateusw.) stellte sich die Situ-ation komplexer dar, daes keine Prognosen überderen zukünftigen Verlaufgibt. Deshalb wurde hier
DEMOGRAFISCHER WANDEL
– das Verhältnis derTatverdächtigen zu Fäl-len für die drei Jahre2008 bis 2010 berech-net. Dieses Verhältniswurde für die Zukunftals konstant angenom-men. Die Zahl der er-warteten Tatverdächti-gen ergab sich somitaus der Multiplikationdes berechneten Ver-hältnisses mit der prog-nostizierten Zahl derTatverdächtigen. DieZahl der Verurteiltenergab sich wiederumaus der zukünftigenZahl der Tatverdächti-
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schnittswert abweicht,dann beeinflusst das dieprozentuale Verände-rung. Werden beispiels-weise im Schnitt derJahre 2008 bis 2010 0,4Tatverdächtige pro De-likt ermittelt, im Jahr2010 jedoch nur 0,35,dann beeinflusst dieseAbweichung die prozen-tuale Differenz zwischenden Tatverdächtigen imJahr 2010 und im Jahr2020, da sich die Zahlder Tatverdächtigen imJahr 2020 aus der Zahlder registrierten Delikteund dem durchschnittli-
vorsätzliche, leichte Kör-perverletzung sowie fürSachbeschädigungen
und den Betrug erwartet.
Die Diskrepanzen in derprognostizierten prozen-tualen Entwicklung zwi-schen Fallzahlen undGefangenen sind durchzwei Aspekte verursacht.Einerseits sind diese da-rauf zurückzuführen,dass die Koeffizientenjeweils den Durchschnittvon drei Jahren abbilden.Wenn jedoch das Ver-hältnis im Referenzjahrstark von diesem Durch-
„Es wird erwartet, dass die
Zahl der Gefangenen für alle
Delikte ohne Verkehrsdelikte
von 2009 bis 2020 um 8,4%
auf ca. 4.900 Gefangene
zurückgeht.“
die Zahl der registriertenStraftaten, so wird einRückgang für alle Delik-te insgesamt um 7,1%bis zum Jahr 2020 er-wartet. Auf der Ebeneder Einzeldelikte zeigensich jedoch divergieren-de Entwicklungen. Sowerden Rückgänge vorallem bei den Dieb-stahlsdelikten erwartet,während Körperverlet-zungsdelikte und Sach-beschädigungen zuneh-
men werden.
Wendet man den Blickauf das Ende des Pro-
zesses der formellenSozialkontrolle, den Jus-tizvollzug, so zeigt sicheine ähnliche Entwick-lung. Es wird erwartet,dass die Zahl der Gefan-genen für alle Delikteohne Verkehrsdeliktevon 2009 bis 2020 um8,4% auf ca. 4.900 Ge-fangene zurückgeht. Dieprozentual größtenRückgänge werdenebenfalls bei den Dieb-stahlsdelikten erwartet.Größere Anstiege bezo-gen auf den Wert desJahres 2009 werdendemgegenüber für die
gen und dem als kon-stant angenommenenVerhältnis von Verurteil-ten zu Tatverdächtigender Jahre 2007 bis 2009.Analog hierzu konnte dieZahl der Gefangenen ausdem Verhältnis von Ge-fangenen zu Verurteiltenund der prognostiziertenZahl der Verurteilten be-
rechnet werden.
ErgebnisseDie prognostizierte Krimi-nalitätsentwicklung inNiedersachsen ist in Ta-belle 1 dargestellt. Be-trachtet man zunächst
DEMOGRAFISCHER WANDEL
chen Verhältnis ergibt.Wird also z.B. ein An-stieg der Delikte von100.000 auf 120.000Fälle prognostiziert(+20%), dann führt dieszu 120.000 * 0,4 =48.000 Tatverdächtigen.Im Jahr 2010 wurdenaber nur 35.000 Tatver-dächtige registriert, folg-lich ist die prozentualeDiskrepanz der Tatver-dächtigen zwischen2010 und 2020 mit ca.+37% größer als dieprozentuale Diskrepanzder Straftaten. In derPrognose der Gefan-
Tabelle 1: Prognostizierte Kriminalitätsentwicklung in Niedersachsen bis 2020
Straftaten Gefangene
2010 2020 % Diff. 2009 2020 % Diff.
PKS insgesamt 580.962 539.755 -7,1% 5.361 4.913 -8,4%
Raub 4.207 4.073 -3,2% 697 652 -6,5%
Gef. /schw. Körperverl. 14.971 17.812 19,0% 448 461 2,8%
Vors., leichte Körperverl. 37.172 43.618 17,3% 196 240 22,2%
Einfacher Diebstahl 111.553 97.352 -12,7% 445 411 -7,6%
Schwerer Diebstahl 101.908 65.414 -35,8% 744 424 -43,0%
Betrug 108.614 99.836 -8,1% 621 688 10,8%
Sachbeschädigung 62.838 75.351 19,9% 22 26 15,9%
Rauschgiftkriminalität 25.859 27.541 6,5% 733 712 -2,9%
Die Gefang enenzahlen beinhalten jeweils keine Verkehrsdelikte, um eine Vergleichbarkeit mit der PKS zu ermöglichen.
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chen. Auf Basis der Mo-delle kann durchgespieltwerden, was passiert,wenn sich bestimmteParameter verändernwürden. Auf diese Wei-se können etwa dieAuswirkungen von Ge-setzesänderungen un-
tersucht werden.
Ausblick
Für Prognosen der zu-künftigen Zahl der Ge-fangenen stellt sichgrundsätzlich die Frage,ob die hier verwendeteMethode die geeignets-
fraglich, ob die Alterungder Bevölkerung tatsäch-lich zu weniger Kriminali-tät und weniger Gefan-gen führt bzw. auch wiestark dieser Rückgangausfallen wird. Progno-sen können Zusammen-hänge zwischen Entwick-lungen aufzuzeigen undsomit zu einem besserenVerständnis von gesell-schaftlichen Prozessen
beitragen.
Zudem können Progno-sen Aussagen über dieZukunft im Sinne von‚What if‘ Szenarios ma-
„Insgesamt betrachtet gehen