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Eupener LandGrenzEchoMontag, 12. November 2018 9

Am Sonntag, 11. November,dem Gedächtnistag des Waf-fenstillstandes, der 1918 denErsten Weltkrieg beendete,wurde in Eupen eine Ge-denkfeier für die Opfer derbeiden Weltkriege abgehal-ten. Die Zeremonie begannam Morgen mit einem Ge-

denkgottesdienst in derSt. Nikolaus Pfarrkirche. DieMessfeier wurde untermaltvon einer Slideshow. Es wur-den Bilder gezeigt vom zer-störten Ostbelgien nach demKrieg. Als Zeitzeugin sprachdie Eupenerin Maria Bellin.Aber auch Textpassagen des

Soldaten Herbert Weißerwurden zitiert. Er schrieb am25. Mai 1915 kurz vor seinemTod in Ypern in einem Briefüber die Erlebnisse im Schüt-zengraben. „Alles spielt sichauf einem ganz schmalenStreifen Land ab, der einemviel, viel zu eng für seine Rie-

senbedeutung vorkommt.Und dieser Streifen Landträgt auch grünes Gras, bun-te Blumen, Bäume undfreundliche kleine Häuschen.Der Boden schwingt sanftauf und ab, Hecken ziehensich durch die grünen Wie-sen und auch Bäche. Aber

weißt Du, was noch auf denWiesen ist? Da liegen dieMarburger Jäger: Studentenund Professoren, die Hoff-nung und die Vorwärtskraftdes deutschen Volkes. Einerneben dem anderen über dieWiesen hingestreckt.“ Nachder Messfeier begaben sich

die Teilnehmer zum Ehren-friedhof, wo ein Kranz abge-legt wurde.(Fotos: Ralf Schaus)

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Gedenken an die Opfer der beiden Weltkriege in Eupen

„Stille Nacht“ stimmt ein Sän-ger ein. Ganz vorsichtig hebendie deutschen Soldaten ihreHelme über den Schützengra-ben. Einer schwingt sein wei-ßes Taschentuch. Die Britentun es ihnen nach. Vorsichtigerhebt sich ein Soldat aus demSchützengraben, andere fol-gen. Der Chor singt gleichzei-tig „Stille Nacht“ und „SilentNight“. Die feindlichen Solda-ten umarmen sich und erken-nen, dass der Feind nicht die„Hunnenbestie“ der LondonerPropaganda oder deren in Ber-lin gezeichnetes Pendant ist,sondern ein Mensch, der wiesie die Heimat verlassen hatund im Schützengraben vorYpern an Ratten, Nässe, sinn-losen Befehlen, Angriffen,Hunger und Krankheiten lei-det wie er selbst.

„Europa mag nerven, aberes schafft Frieden“, sagtder deutsche BotschafterMartin Kotthaus.

Ein Mensch, mit dem manZigaretten und Alkohol teilenund auch Fußball spielenkann. Der Eupener Knaben-chor singt die „Hymne desFraternisés“ (Philippe Rombi),die an dieses Ereignis erinnert.Die Konsequenz war, dass dieobersten Militärs in Paris, Lon-don und Berlin Derartiges spä-ter bei Todesstrafe verbotenhatten. Der „Weihnachtsfrie-den 1914“ dürfte wohl die Sze-

ne in einem ins Herz gehen-den Konzert gewesen sein, diedem Zuschauer besonders imGedächtnis bleibt. „Es hatmich völlig berührt, ich hätteeine Stunde lang heulen kön-nen“, sagt Bea Fischer aus Aa-chen. Tatsächlich, „eine Mohn-blume für den Frieden“ führtmit den Mitteln der Musikund des Schauspiels in diesensinnlosen Ersten Weltkrieg,wo für acht Kilometer Gelän-degewinn an einem Tag meh-rere zehntausend Menschenelend verreckt sind.

Der Eupener Soldat (JörgLentzen) gehört nicht zu denvielen seiner Kameraden, dieim August 1914 mit donnern-dem „Hurra“ auf den Lippenzum „Abenteuerurlaub“ fah-ren, in dem sie in zwei, dreiMonaten „Frankreich nieder-

mähen“. Für ihn ist der Kriegein schlimmes Schicksal, demer sich nicht entgegenstellenkann, auch wenn ihn dasTöchterchen kindlich-naiv bit-tet, in ein anderes Land zu ge-hen. „Es war nicht meine Ent-scheidung, es war nicht meineWahl“, sagt er. Chor und Or-chester konterkarieren die Ab-schiedsszene mit dem bri-tisch-patriotischen Stück „Ivow to thee, my country“ (Ichgelobe dir, mein Land) von Ce-cil Spring-Rice. Die Briten grei-fen in den Krieg ein mit „It’s along way to Tipperary“ auf denLippen, doch auch hier landendie Soldaten in den Rattenlö-chern von Schützengräben.Das Orchester kommentiertmit den teils atonalen, wüten-den Klängen von „Mars, thebringer of war“ des Briten

Gustav Holst, während die Sol-daten in ihren Gräben lauern.Ja, historische Situation, Schau-spiel und Musik sind stimmigzueinander aufgebaut.

Dann die zweite Flandern-schlacht, in der zuerst Giftgaszum Einsatz kommt, die Stun-de des Tenors Robert Schmidtvom Kirchenchor Raeren. Ge-tragen und klar singt er beglei-tet vom Orchester „In Flandersfields“ (John McCrae), dieHymne der Gefallenen desCommonwealth über denMohn, der zwischen den Kreu-zen blüht. Eine gute Wahl istauch das „Bededictus“ aus der„Mass for peace“ von Karl Jen-kins. Es drückt die Hoffnungaus, dass sich die Menschen inaller Verschiedenheit einigenkönnen. Der Eupener Soldatkehrt endlich heim. Harald

Mollers spielt „The Last Post“,den Zapfenstreich, der all-abendlich am Menentor inYpern erklingt, um die Gefalle-nen zu ehren. Dann der großeBruch, der scheinbar gar nichtzum Geschehen passt. Denndauerhafter Friede ist nur ineinem vereinten Europa zu er-reichen. Mit dieser klaren Aus-sage durch den Schlusssatzvon Beethoven neunter Sinfo-nie mit der „Ode an die Freu-de“, der Hymne Europas gingdieser spannende und bewe-gende Abend zu Ende.

Zuvor hatte Herbert Rulandüber die lokale Kriegsge-schichte berichtet. Minister-präsident Oliver Paasch warn-te vor Egoismus und Nationa-lismus, die letztlich zum Krieggeführt hatten „‚America first‘,‚la France d’abord‘ und

‚Deutschland den Deutschen‘sind Gift“, sagte er. „Es fandhier statt“, sagte der deutscheBotschafter Martin Kotthaus.Die Deutschen seien dankbartrotz zweier Weltkriege, eineneue Chance in einem verein-ten Europa bekommen zu ha-ben. „Europa mag nerven,aber es schafft Frieden“, beton-te er. Nach dem Konzert nutz-ten viele Besucher die Gelegen-heit, über einen erinnerungs-würdigen Abend zu sprechen.

Hinweis an Interessenten:Montag, um 10.30 Uhr, gibt esbei der Schüleraufführungnoch bis zu 200 kostenfreieSitzplätze.

Geschichte: Eupen gedenkt des Kriegsendes 1918 – Aufwendiges Konzert „Eine Mohnblume für den Frieden“ regt zu Dankbarkeit an

Nationalismus ist Gift für den Friedenl Eupen

Zur Dankbarkeit für 73 Jah-re Frieden in Europa regtdas aufwendige Konzert„1918. Eine Mohnblume fürden Frieden“ zum Geden-ken an das Kriegsende 1918an, das am Wochenendevon Schauspielern, Statis-ten und Musikern in einergrandiosen Kulisse ge-spielt wurde.VON KLAUS SCHLUPP

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„Es war nicht meine Entscheidung, es war nicht meine Wahl“, beruhigt der Soldat seine Tochter. Die Sinnlosigkeit des Krieges wird musikalisch aufgearbeitet.Foto: Klaus Schlupp

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