551
Kapitel 10 AufnahmeverfahrenStefan Weinzierl
10.1SignaleigenschaftenundKontrollinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552 10.1.1AussteuerungundPegel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552 10.1.2KorrelationundPolarität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56510.2MonofoneAufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569 10.2.1Mikrofonabstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569 10.2.2Ausrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57010.3ZweikanalstereofoneAufnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571 10.3.1Intensitätsstereofonie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 574 10.3.2Laufzeitstereofonie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578 10.3.3Äquivalenzstereofonie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 10.3.4Trennkörperstereofonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584 10.3.5BinauraleAufnahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58610.4MehrkanalstereofoneAufnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588 10.4.1Koinzidenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592 10.4.2Laufzeitverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594 10.4.3GemischteVerfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59510.5MikrofonierungundKlanggestaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600 10.5.1HauptmikrofonversusEinzelmikrofone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601 10.5.2KlanglicheEigenschaftenvonHauptmikrofonverfahren. . . . . . . . . 602 10.5.3HauptmikrofoneundStützmikrofone........................ 604NormenundStandards. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 606Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 606
Die Aufnahme ist der Teil einerAudioübertragung, bei dem akustische Signale(Luftschall,Körperschall)mitHilfeelektroakustischerWandlerinelektrischeSignaleumgewandeltwerden.BeistereofonerÜbertragungwerdendieSignalebereitsbeiderAufnahmemehrkanaligsokodiert,dassbeiderWiedergabeeinebestimmteklanglicheundräumlicheAbbildungerzieltwerdenkann.DieWahleinesAufnahmeverfahrensberührtalsostets
S.Weinzierl552
• technischeAspekte,(WandlungundKodierungdesAudiosignals),• psychoakustischeAspekte(VerhältniszwischenSignaleigenschaftenundWahr
nehmung)und• ästhetischeAspekte(EinsatzvonAufnahmeverfahrenmitdemZieleinerspezi
fischen Klanggestaltung).
Die Eigenschaften und Unterschiede verschiedener Aufnahmeverfahren könnenakustischbzw.psychoakustischohneWeitereserklärtwerden.AlsErklärungfürdiegroßeVielfaltaneingesetztenWandlertypenundAufnahmeverfahrenvorallemimBereichderMusikproduktionkommtalsonurdieoffensichtlichgroßeBandbreiteklanggestalterischerIntentionenbeiderAbbildungvonSchallquelleninFrage.DasKapitelgibteinensystematischenÜberblicküberelektroakustischeAufnahmeverfahren,ohnedasseseineAnleitungfürdaspraktischeVorgehenbeiderAufnahmebestimmterKlangquellengebenwill.
10.1 Signaleigenschaften und Kontrollinstrumente
FürdieÜberwachungundBeurteilungvonAudiosignalenstehteinbreitesSpektrumvonKontrollinstrumentenzurVerfügung.EssolleinerseitsdenSignalverlaufintechnischerHinsichtundfürdieAnforderungeneinesbestimmtenWiedergabeverfahrensoptimieren und andererseits die letztendlichmaßgebliche auditiveKontrolle durchvisualisierteMesswertebestätigenbzw.ergonomischentlasten.NeueÜbertragungssysteme,AufnahmeundWiedergabeverfahrenmiterweitertemDynamikbereich,höhererKanalzahl,breiteremFrequenzspektrumundanderemStörverhaltenerforderneineständigeAnpassungderKontrollinstrumente.DabeigeratenneueAnforderungenhäufig in Konflikt mit eingespielten Verfahrensweisen bei Aufnahme, Bearbeitung undWiedergabe.EinenÜberblicküberAudioKontrollinstrumenteundderenEinsatzgeben(Brixen2001)und(Friesecke2003).
10.1.1 Aussteuerung und Pegel
AlsAussteuerung bezeichnetmaninderAudiotechnikeineimHinblickaufdenÜbertragungskanaloptimierteEinstellungdesSignalpegels.Angestrebtwirddabei
• eineoptimaleAusnutzungderSystemdynamikund• eineAnpassungderLautheitdesProgramminhalts,insbesondereinderBalancezu
anderenProgramminhalten.
DietechnischeSystemdynamikderÜbertragungsketteistnachobendurchdieÜbersteuerungsgrenze und nach unten durch das Eigenrauschen des Systems begrenzt.EineoptimaleAusnutzungderSystemdynamikwirdbeiVollaussteuerung erreicht,d.h.wenndieObergrenzedesAussteuerungsbereichsgeradeerreichtwird.EinÜberschreitendieserGrenzewirdalsÜbersteuerung bezeichnet.
Kapitel10 Aufnahmeverfahren 553
DieVollaussteuerungdigitalerSystemeistnachAES17beieinerSignalamplitudevon0dBFS(dBbezogenaufFull Scale)erreicht,diedemMaximumdesdarstellbarenZahlenbereichszugeordnetist.OberhalbdieserEingangsamplitudewirdderSignalverlauf abgeschnitten, dieses sog. Clipping induziert einen steilenAnstiegnichtlinearerVerzerrungen(Abb.10.1).WenigereindeutigistdieVollaussteuerunganalogerSysteme(Übertrager,Verstärker,elektroakustischeWandler,analogeBandaufzeichnung) definiert. Analoge Systeme weisen oberhalb eines bestimmten SignalpegelsmeisteinenallmählichenAnstiegnichtlinearerVerzerrungenauf,bedingtdurch eine zunehmende Nichtlinearität der Übertragungskennlinie in diesem Bereich.DieAussteuerungsgrenzedesSystemswirddanndurchdiezulässigennichtlinearen Verzerrungen definiert, wobei die Grenzwerte nicht einheitlich definiert sind. BeiMikrofonenwirdderSchalldruck,beidemdasSignalmiteinemKlirrfaktorvon0,5%(seltener:1%)verzerrtwird,alsGrenzschalldruck definiert (DIN EN 602684). Bei magnetischer Bandaufzeichnung ist als Vollaussteuerung ein Signalpegeldefiniert, der am Ausgang einen Klirrfaktor von (in der Regel) 1 % entsprechend 40dBKlirrdämpfunghervorruft(DIN45510,Abb.10.1).BeiVerstärkernbeziehensichdieAngabenzurAussteuerungsgrenzejenachHerstelleraufKlirrfaktorenvon0,1bis1%,DINEN602683siehthierfüreinensog.Nenn-Klirrfaktorvon0,2bis0,25 % vor. Auch bei Lautsprechern ist die Grenze nicht einheitlich definiert. WährenddieMaximalbelastungvonStudiomonitoreninderPraxisbei1bis3%Klirrfaktorangesetztwird,geltenfürBeschallungssystemetypischeGrenzwertevon3%bis10%(vgl.Kap.8.4.7).WiesteilnichtlineareVerzerrungenoberhalbdieserGrenzeansteigen,hängtvondeneingesetztenelektrischenSchaltungenab.Soverhaltensich Röhrenverstärker „gutmütiger“ als Transistoren und Operationsverstärker, die inihremÜbersteuerungsverhaltendemClippingdigitalerSystemeähneln.Diemitdem Sättigungsverhalten analoger Systeme wie Röhrenverstärker und analoger Bandmaschinen verbundene Kompression und ein Anstieg nichtlinearer VerzerrungenkanndabeiauchalsMittelderKlanggestaltungeingesetztwerden.
Bei Rundfunkaufnahmen spricht man von Vollaussteuerung, wenn das Programm einen festgelegten Signalpegel (Rundfunknormpegel, in Deutschland 1,55 V = +6 dBu), angezeigt auf einem SpitzenspannungsAussteuerungsmesser mit definierten EigenschaftennachDIN IEC6026810 erreicht undnurunwesentlichund seltenüberschreitet.
BeimÜbergangvomanalogenindendigitalenBereichmusseinanalogerÜbernahmepegel definiert werden, der 0 dBFS auf digitaler Ebene entspricht. Da bei A/D undD/AWandlern selbst hierfür keinStandard existiert (s.Kap. 17.1.3.4),wirdderÜbernahmepegelmiteinemvorgeschaltetenAnalogverstärkerhergestellt,mitdemprofessionelleWandlersystemeimAudiobereichausgestattetsind.WichtigisteinidentischerÜbernahmepegelbeiA/DundD/AWandlung,dasonst–etwabeimAbhörenvorundhinterdemWandler–unerwünschtePegelsprüngeentstehen.DieserÜbernahmepegelwirdinderPraxisunterschiedlicheingestellt.Lediglichbeiden Rundfunkanstalten besteht wegen des Austauschs von Programmmaterial auch über die Landesgrenzen hinweg die Notwendigkeit von einheitlichen Richtlinien. Dabei gilt in Europa für den Übernahmepegel eine Empfehlung von +18 dBu (EBU R68), in den USA +24 dBu (SMPTE RP155).
S.Weinzierl554
Abb. 10.1 ÜbersteuerungsverhaltenanalogerunddigitalerSysteme:AbnahmederKlirrdämpfungak3füranaloge,magnetischeBandaufzeichnung(schematisch)undfüreinen20bitA/DWandler (Messwerte). Bereits bei einer Übersteuerung von +1 dBFS sind die Verzerrungen des digitalenSystemsgrößeralsdiedesanalogenSystems,dessenAussteuerungsgrenzehierbei40dBKlirrdämpfungentsprechend1%Klirrfaktorangesetztwird.
Abb. 10.2 HörbarkeitsschwellefürdigitaleÜbersteuerungenbeiunterschiedlichenProgramminhalten,angezeigtdurcheinenAussteuerungsmessermit0msIntegrationszeit(samplegenaueAnzeige)und10msIntegrationszeit,nach(Jakubowski1984)
Kapitel10 Aufnahmeverfahren 555
10.1.1.1 Eigenschaften von Aussteuerungsmessern
AusdenobengenanntenKriterienfüreineguteAussteuerungergebensichunterschiedlicheAnforderungenandieeingesetztenAussteuerungsmesserundihrdynamischesVerhalten.FüreineoptimaleEinstellungdesSignalpegelsisteineAnzeigemit kurzer Mittelungszeit (definiert als Integrationszeit oder Einschwingzeit, s. Tabelle10.1)erforderlich,dieauchkurzzeitigePegelspitzensichtbarmacht,dieinsbesondere bei digitalen Systemen zu hörbaren Verzerrungen führen können (Abb.10.1 und 10.2). Für eine optimaleEinstellung der Lautheit ist eineAnzeigemitlängererMittelungszeitgeeigneter,dakurzzeitige,nichtübersteuerndePegelspitzenfürdenLautheitseindruckweitgehendirrelevantsind.DasichdieVerwendungvonseparatenPegelundLautheitsanzeigeninderPraxis(noch)nichtdurchgesetzthat,folgendiemeistenmarktgängigenAussteuerungsmessereinemKompromisshinsichtlichderMittelungszeit.SowohlderBetrag,umdenderSpitzenpegeldurchdieMittelungbeiderAnzeigeverfehltwird,alsauchdieHörbarkeitvoneventuellenÜbersteuerungen,istvomProgramminhaltabhängig.FüreinbreitesSpektrumanProgramminhalten(Musik,Sprache)ergebensichDifferenzenzwischen2und7dBzwischen samplegenauerAnzeige und einerAnzeigemit 10ms Integrationszeit,wiesiebeiSpitzenspannungsAussteuerungsmessern(PPM)üblichist.GleichzeitigkannbeibreitbandigenundimpulshaftenSignalenmithohemVerdeckungspotential(Hihat,Becken,Cembalo,Applaus)eindigitalesClippingerstbeiÜbersteuerungenvon8–12dBhörbarwerden,währendbeiKlaviermusikschongeringfügigeÜbersteuerungenzuhörbarenArtefaktenführen(Abb.10.2).
DasVerhaltenvonAussteuerungsmessernwirdnachDINIEC6026810,DINIEC 6026817 und IEC 6026818 durch folgende Eigenschaften definiert:
Tabelle 10.1 Spezifizierte Eigenschaften von AussteuerungsmessernEigenschaft Bedeutung/Messverfahren StandardBezugsanzeige Jedes Instrument hat einen Referenzpunkt auf
seiner Anzeige. Dieser Referenzpunkt ist per se keinembestimmtenSignalpegelzugeordnet,solljedochsogewähltsein,dasservomProgrammpegelnurseltenüberschrittenwird.
DINIEC6026810DINIEC6026817ITUTJ.27
BezugsEingangsspannung(Bezugspegel)
EffektivwerteinesstationärenSinussignalsvon1000Hz,derdieBezugsanzeigeergibt.
DINIEC6026810DINIEC6026817
Integrationszeit DauereinesTonimpulseseines5kHzSinussignalsbeiBezugspegel,dieeineAnzeige2dBunterBezugsanzeigeergibt.
DINIEC6026810
Einschwingzeit Zeit,inderderZeigerbeiAnlegendesBezugspegels99%derBezugsanzeigeerreicht.
DINIEC6026817
Rücklaufzeit Zeit,inderdieAnzeigenachdemAbschalteneinesstationärenEingangssignalsvonderBezugsanzeige auf einen definierten Punkt der Skalaabfällt.
DINIEC6026810DINIEC6026817
S.Weinzierl556
10.1.1.2 Peak programme level meter (PPM)
Ein SpitzenspannungsAussteuerungsmessgerät nach DIN IEC 6026810 bestehtauseinemVerstärker,einemGleichrichterinBrückenschaltung(Doppelweggleichrichter),einerIntegrationsschaltungundeinerAnzeige.DiesekannalsDrehspulmessgerät,alsgestufteAnzeigemitLeuchtdioden(LEDs)oderalssegmentiertesPlasmaDisplay ausgelegt sein (Abb. 10.3). Die Schaltung wird auch als „Quasispitzenspannungsmesser“ (QPPM) bezeichnet, da zwar eine Spitzenspannung gemessen, aber nur der 0,71facheWert angezeigt wird. Für sinusförmige SignaleentsprichtdiesdemEffektivwert,nichtaberbeistochastischenSignalenwieSpracheoderMusik.UmdenunterschiedlichenTraditionenundStandardsdereuropäischen Rundfunkanstalten Rechnung zu tragen, wurden in DIN IEC 6026810 drei Typen des PPM spezifiziert mit jeweils unterschiedlichen Anzeigeskalen und unterschiedlichenBezugspunkten,sowieleichtunterschiedlichemdynamischenVerhalten.AllePPMInstrumenteweisenimVergleichzuVUAnzeigeneinekurzeIntegrationszeit auf. Die Rücklaufzeit muss hoch sein, damit auch kurzzeitige SpitzenpegelabgelesenwerdenkönnenunddasBewegungsbildinsgesamtnichtzuunruhigwird.
DIN IEC 6026810 Typ I („DIN Skala“) entspricht dem bis zum Jahr 2000 in DIN 45406 spezifizierten deutschen Aussteuerungsmesser. Bezugsanzeige ist der „0 dB“Punkt, entsprechend einer Eingangsspannung von 1,55 V (+6 dBu). Die Skala muss mindestens einen Bereich von – 40 dB bis +3 dB umfassen. Die in den skandinavischen Rundfunkanstalten übliche „NORDIC Skala“ ist weitgehend mit Typ I konform, allerdings entspricht der „0 dB“Punkt hier einer Eingangsspannung von 0,775 V (0 dBu). Typ IIa („BBC Skala“) ist Standard bei Rundfunkanstalten in Großbritannien, sie hat Skalenmarkierungen von „1“ bis „7“ mit Abständen von 4 dB zwischen den Skalenstrichen. Der Bezugswert ist „6“ und entspricht einer Eingangsspannungvon1,94V(8dBu).TypIIbisteineVariantemitzwölfteiligerSkala und Markierungen im Abstand von 2 dB mit einem Referenzpunkt von „+9 dB“ entsprechend 2,18 V (ca. 9 dBu).
BeiPPMAussteuerungsmessern für digitaleSignalekanndie IntegrationszeitderAnzeigemeistzwischensamplegenauerAnzeigeunddenbeianalogenGerätenüblichen5oder10msumgeschaltetwerden.Esgibtsiemiteinerauf0dBFSbezogenen Skala mit „0 dB“ als oberem Skalenende und in einer auf die Gewohnheiten der Rundfunkanstalten zugeschnittenen Version mit „+ 9dB“ als oberem Ende. Diese Variante korrespondiert mit der analogen Aussteuerungspraxis, bei der „0 dB“ nichtdenhöchstmöglichenSignalpegelmarkiert,sonderndenangestrebtenVollaussteuerungspegeldesProgramms(PermittedMaximumLevel,PML).Fürdieeuropäischen Rundfunkanstalten gilt hier nach EBU R68 eine Empfehlung von –9 dBFS. Da in Deutschland der analoge Vollaussteuerungspegel beim Rundfunk traditionell bei 1,55 V (+6 dBu) liegt, ergibt sich daraus ein analog/digitaler Übernahmepegel von +15 dBu für 0 dBFS. Um die Verwirrung perfekt zu machen, wird der digitale PPMAussteuerungsmesserauchnochmiteinerdemanalogenDINAussteuerungsmesser entsprechenden Skala mit „+5 dB“ am oberen Ende angeboten (Abb. 10.3). HierliegteindigitalvollausgesteuertesSignaldannbereitsaußerhalbderSkala.
Kapitel10 Aufnahmeverfahren 557
BeisamplegenauerAnzeigekannmeisteingestelltwerden,abwelcherAnzahlaufeinander folgender Samples mit 0 dBFS eine OVERAnzeige ausgelöst wird. Üblich sind hier Werte zwischen 1 und 10. Auch bei maximaler Empfindlichkeit (ein Sample)istjedochzuberücksichtigen,dassdieAnzeigezwardenSpitzenwertdesdigitalen Signals, nicht zwangsläufig jedoch den Spitzenwert des zugehörigen analogenSignalverlaufsanzeigt,derjazwischenzweiAbtastzeitpunktenliegenkann.Insbesondere nach einer Umtastung (sample rate conversion, SRC) kann daher auch einzunächstmit0dBFSangezeigtesSignalübersteuertsein.Dieskönntemiteiner„True Peak“Anzeige nach ITUR BS.1770 vermieden werden, die auf einer internenÜberabtastungdesSignalsbasiert.SiehatjedochnochkeineVerbreitunggefunden.
SpitzenspannungsAussteuerungsmesser sind häufig mit folgenden Funktionen ausgestattet:DieFastOptionverringertdieIntegrationszeitauf0,1ms,diePeak hold oderMemoOption hält denMaximalpegel für eine einstellbareZeit (hold)oderbiszumZurücksetzenderAnzeige(reset),undzurKontrolleniedrigausge
Abb. 10.3 SpitzenspannungsAussteuerungsmessgerätenachDINIEC6026810.A–C:AnalogeAussteuerungsmesser(DINSkala,BritishSkala,NordicSkala),D:DigitalerAussteuerungsmesser bezogen auf 0 dBFS, E–F: Digitale Aussteuerungsmesser bezogen auf 0 dB = –9 dBFS nach EBU R68. Zusätzlich zur Spitzenwertanzeige mit 10 ms (A–C) bzw. 0 ms (samplegenau, D–F) Integrationszeit wird als helligkeitsüberlagerter Balken ein Lautheitswert nach (RTW 2005) angezeigt(s.Abschn.10.1.1.4),beidigitalenAnzeigen(D–F)wahlweiseeinLautheitswertoderein Spitzenwert mit auf 10 ms verlängerter Integrationszeit (© RTW Köln).
S.Weinzierl558
steuerter Programmteile lässt sich eine Verstärkung der Anzeige um +20 oder +40 dBzuschalten(Abb.10.3).
Tabelle 10.2 EigenschaftenvonSpitzenspannungsAussteuerungsmessgeräten(PPM)DINSkala NORDIC Skala BritishSkala EBUSkala Digital
PeakmeterStandard DINIEC
6026810TypI
DINIEC6026810TypIIa
DINIEC6026810TypIIb
IEC6026818
Bezugsanzeige „0 dB“ „0 dB“ „6“ „+9 dB“ „0dB“Bezugsspannung 1,55V 0,775V 1,94V 2,18V 0dBFS
(Variantens.Text)
Integrationszeit 5ms 5ms 10ms 10ms 0ms/10ms(umschaltbar)
Rücklaufzeit 1,7s(0dBbis–20dB)
1,7s(0dBbis–20dB)
2,8s(„7“ bis „1“)
2,8s(„+12 dB“ bis „–12 dB“)
1,7s(0dBbis–20dB)
10.1.1.3 VU-Meter
Dasvorallem indenUSAverbreiteteVU(volume unit)Meter (die inDIN IEC6026817 vorgesehene Kleinschreibung „vu“hatsichinderPraxisnichtdurchgesetzt)besteht–wiedasPPM–auseinemMessgerätmitDoppelweggleichrichterundeinemAbschwächermiteinstellbarerDämpfung.AbhängigvondereingesetztenGleichrichterschaltung,fürdieesindenStandardskeineVorgabengibt,misstdas VUMeter einen Wert zwischen dem Gleichrichtwert und dem Effektivwert(Wilms1977,s.Kap.1.2.3).DieAnzeigeistjedochsokalibriert,dassfürSinussignale(undnurfürdiese)derEffektivwertangezeigtwird.DasVUMeterweistmit300mseinewesentlichhöhereEinschwingzeitaufalsderinEuropaweiterverbreitete Spitzenspannungsmesser. Die Skala umfasst einen Bereich von –20 bis +3 VU miteinerzusätzlichenProzentskala,bezogenaufdieEingangsspannungvon1,228V (+4 dBu), die der Bezugsanzeige von „0 VU“ ohne Dämpfung entspricht. Durch dieEffektivwertCharakteristikdesGleichrichtersunddielangeEinschwingzeitderAnzeigekannderSpitzenpegeldesangelegtenSignals,abhängigvonderImpulshaftigkeitdesProgramms,allerdingsbiszu20dBhöherliegenalsderangezeigteWert.
Würde man dies berücksichtigen, um Übersteuerungen nachfolgender (insbesonderedigitaler)Übertragungsgliederzuverhindern,müsstesichdieAnzeigebeiderAussteuerungvonimpulshaftenProgramminhaltenstetsamunterenEndederSkalabewegen.Umdieszuvermeiden,sindmancheVUMetermiteinereinstellbarenVerstärkung(lead) von üblicherweise zwischen +4 und +14 dB ausgestattet, um die Anzeige wieder in die Mitte der Skala „zurückzuholen“. Allerdings sind einfacheVUMeterinMischpultenundanalogenBandmaschinenseltenmitdiesem
Kapitel10 Aufnahmeverfahren 559
Zusatzausgestattet.DadasVUMeterfürdieAussteuerungdigitalerÜbertragungsstreckenweniggeeignetist,hatesinjüngererZeitanBedeutungundanVerbreitungverloren. Details zu Geschichte und Schaltungstechnik findet man bei (Ballou 2002).
10.1.1.4 Aussteuerung und Lautheit
ImmerwenndurchAussteuerungunterschiedlicheProgramminhalteineinausgeglichenesLautheitsverhältnisgebrachtwerdensollen,stelltsichdasProblem,dassAudiomaterialmitgleichemSpitzenpegeleinensehrunterschiedlichenLautheitseindruckhervorrufenkann.InAbb.10.5istdieseTatsachefürdreikommerzielleAudioproduktionen (Sinfonische Musik, Sprache, Popmusik) mit gleichemSpitzenpegelillustriert,beidenensichdieenergieäquivalentenMittelwertedesSignalpegelsnach(1.10)alseinmöglichesMaßfürdieLautheitdesProgrammsummehrals7dBunterscheiden.UmLautheitssprüngenbeimWechselvonProgramminhalten vorzubeugen, gelten insbesondere beim Rundfunk Aussteuerungsrichtlinien, nachdenenSprachemiteinemPPMAussteuerungsmesser6dBleiseralsklassischeMusik,undPopularmusik6dBleiseralsSpracheausgesteuertwerdensoll(Dickreiter1997).DadieseWerteangesichtsderVielfaltvonProgramminhaltennurgrobe Anhaltspunkte darstellen können, und da insbesondere die häufig weitgehend automatisierten Sendedabläufe von Rundfunkstationen keine auditive Kontrolle mehrvorsehen, ist eine technischeLautheitsmessungundbeiBedarf auchLautheitsanpassungvonzunehmenderBedeutung.DievonzahlreichenkommerziellenAussteuerungsmessgerätenangebotenenLautheitsanzeigenbasierenallerdingsaufunterschiedlichenLautheitsmodellenundlieferndaherzumTeilstarkabweichendeAnzeigen.EinenausführlichenÜberblicküberdieseVariantengeben(Skovenborgu.Nielsen2004).
Abb. 10.4 StandardVUDisplayalsZeigerinstrument
S.Weinzierl560
Leq-Messungen
Ein häufig verwendeter Indikator für die Lautheit von Schallsignalen ebenso wie vonbreitbandigemAudiomaterialistderübereinevorgegebeneZeitspanneTgemittelteenergieäquivalenteMittelwertdesPegelsLeqfüreinAudiosignalx(t):
(10.1)
DerMittelungspegelLeqkanndabeiaufeinevorgegebeneSignalamplitudexrefbezogenwerden.UnabhängigvonderzeitlichenMittelungkönnenzurBerücksichtigung der frequenzabhängigen Empfindlichkeit des Gehörs verschiedene Bewertungsfilter zum Einsatz kommen (Abb. 10.6): Dazu gehört die bei akustischen Geräuschmessungen meist verwendeteAKurve und die für höhere SchallpegelvorgesehenenBundCKurvennachDINEN61672sowiediefürStörspannungsmessungen in der Tontechnik ursprünglich in CCIR 4683 spezifizierte und in DIN
Abb. 10.5 SignalamplitudeundenergieäquivalenterMittelwertLeq,bezogenauf0dBFS,fürAufnahmenmitgleichemSpitzenpegelOben:SinfonischeMusik(L.v.Beethoven,Fünfte Symphonie,Anfang)Mitte:Sprache(GerdWamelingliestFontane)Unten:Popmusik(Prince,Thunder)
Kapitel10 Aufnahmeverfahren 561
45405 übernommene „CCIRKurve“, die in modifizierter Form von der Fa. Dolby unterderBezeichnungLeq(M)auchfürLautheitsbestimmungenimKinotongenutztwird(Mfürmovie,vgl.Abschn.21.3.2).DazukommteineinZusammenhangmitITUR BS.1770 spezifizierte sog. RLBKurve (Soulodre u. Norcross 2003, s. Abb. 10.8)alsKompromisszwischenderBundCKurve.
BeiLeqMessungenmussstetseinZeitfenstervorgegebenwerden, fürdasdieBerechnungnach(10.1)danneinenEinzahlwertalsMaßfürdieLautheitdesSegmentsliefert.
PPM- oder VU-Messungen
Auch dasAusgangssignal eines SpitzenspannungsAussteuerungsmessers (PPM)kann mit einer Frequenzbewertungskurve gewichtet werden. So verwendet dieLautheitsanzeige der Fa. RTW (in Abb. 10.3 angezeigt durch den hellbeleuchteten TeildesAussteuerungsbalkens)einPPMmitgegenüberdenüblichen10msverlängerterIntegrationszeitundeinereigenenFrequenzbewertungskurve,dieausgehendvon der 80 dBIsophone nach ISO/R26 durch Hörversuche optimiert wurde (RTW 2005).DasLoudnessMeterderFa.DorroughentsprichteinerVUAnzeigemiteineraufetwadasDoppelteverlängertenMittelungszeitohneFrequenzbewertung.Um aus den so gewonnenenZeitsignalen einenMittelwert für vollständigeProgrammsegmente zu gewinnen, kann eine Häufigkeitsanalyse der Pegelwerte durchgeführtwerden.
HierbeifandenSpikofskiu.Klar(2004)eineoptimaleKorrelationvonimHörversuch ermitteltenLautheitsangabenmit demPegelperzentilL50, d.h. demmiteinem SpitzenspannungsAussteuerungsmessgerät (PPM) ermittelten Pegel, derwährend50%derAnalysedauerüberschrittenwurde(Abb.10.7).Hierfürwareine
Abb. 10.6 FrequenzBewertungsfilter zur Lautheitsbestimmung von Audiosignalen
S.Weinzierl562
Analysedauer von mindestens 3 s erforderlich. Dieses am Institut für Rundfunktechnik (IRT) entwickelte und als „IRT Lautheit“ bezeichnete Verfahren ist in einigenAussteuerungsmessern(PinguinAudioMeterSoftware) implementiert,konntesich im Rahmen der internationalen Standardisierung durch die ITU (s.u.) aber nicht durchsetzen.
Zwicker-Modelle
Einige inzwischen auch als EchtzeitImplementierungen vorliegende Verfahren(Hansen1996)beruhenaufdemZwickerschenLautheitsmodell(Kap.2.2.4.3)undsummierendie ineinzelnenFrequenzgruppenbestimmtenTeillautheitenzueinerGesamtlautheit, die Maskierungseffekte zwischen den Frequenzbändern berücksichtigt.WährenddasZwickerVerfahrenursprünglichnur für stationäreSignalevorgesehen war, berücksichtigen neuereAlgorithmen, die zum Teil FFTbasiert,zumTeilFilterbankbasiertarbeiten,auchVorundNachverdeckungseffekte(Skovenborgu.Nielsen2004),wiesiebeiimpulshaftemAudiomaterialvonBedeutungsind.
Lautheitsmessung bei mehrkanaligem Audiomaterial nach ITU-R BS.1770
Insbesondere beim Rundfunk (Hörfunk und Fernsehen) ist die Lautheitsanpassung einvordringlichesProblem,daLautheitssprüngezwischenverschiedenenSendern,aber auch innerhalb eines Senders zwischen verschiedenem Programmmaterial(Wort/Musik), oder bei eingeschobenen, durch starke Kompression bereits lautheitsmaximiertenWerbeblöcken,vondenHörernalsbesondersstörendempfundenwerden.EinevonderInternationalTelecommunicationUnion(ITU)imJahr2002eingesetzte Arbeitsgruppe führte daher eine Reihe von Hörversuchen zur Korrela
Abb. 10.7 LautheitsbestimmungaufGrundlagevonPPMPegelperzentilen.Links:Zeitsignal(grau) und PPMSignalverlauf mit 10 ms Integrationszeit (schwarz) für ein Sprachsignal. Rechts: Relative Häufigkeit der PPMWerte und Pegelperzentile L50, L75 und L95
Kapitel10 Aufnahmeverfahren 563
tionvonempfundenerLautheitmiteinerAuswahlverschiedenertechnischerLautheitsmaße durch, wobei typisches Programmmaterial im Rundfunk (Sprache, Musik) als Teststimulus diente (Soulodre 2004). Hierbei ergab sich eine maximaleÜbereinstimmungzwischenperzeptivundtechnischbestimmterLautheitfüreineLeqMessung mit einer Frequenzbewertung anhand einer sog. RLBKurve (fürRLBKurve (für re-vised low-frequency B-curve,Abb.10.8).Überraschenderweise lieferten die in derÜberraschenderweiseliefertendieinderBerechnungweitauskomplexerenZwickerModellehierdieschlechtesteÜbereinstimmung. In der 2006 veröffentlichten Empfehlung ITUR BS.1770 kommt daher eine Leq(RLB)Messung zu Einsatz. Bei der Lautheitsberechnung mehrkanaliger Signale werden die Kanalsignale mit einem Vorfilter beaufschlagt, das eine am Frequenzgang des Schalldrucks auf der Oberfläche einer schallharten Kugel (als Modell für den Kopf des Hörers) orientierte Frequenzbewertung des einfallendenSchallsvornimmt(Abb.10.8,vgl.Abb.7.23).
Für die durch beide Filterkurven bewerteten Kanalsignale yi wird analog zu(10.1)einquadratischerMittelwertzigebildetmit
(10.2)
Abb. 10.8: Oben: Flussdiagramm für den Lautheitsalgorithmus nach ITUR BS.1770 mit unterschiedlichenGewichtungsfaktorenGi für die Frontkanäle (L, R, C) und die Surroundkanäle (LS, RS). Unten: Frequenzbewertung durch das Vorfilter und das RLBFilter
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DieGesamtlautheitwirdalsLeistungssummederEinzelkanäleberechnet,wobeidie SurroundKanäle um den Faktor 1,41 (+1,5 dB) höher bewertet werden, da rückwärtigeinfallenderSchall,vorallemimfürSprachewichtigenmittlerenFrequenzbereich,imMittellauterwahrgenommenwirdalsfrontaleinfallenderSchall(vgl.Abb.1.8undAbb.2.9).DieGesamtlautheitergibtsichsomitdurch
(10.3)
DieKonstantevon–0,691dBwurdesogewählt,dassein1kHzSinussignalaufeinemderdreiFrontkanälezueinerLautheitvon–3dBführt.AuchwenndiesoberechnetenLautheitswerteinsgesamtsehrhochmitdenvonVersuchspersonenangegebenenLautheitenkorrelieren,könnenfürbestimmteProgramminhalteimmernochAbweichungenvonbiszu5dBauftreten(Abb.10.9).Esbleibtdaherabzuwarten, inwieweit dieses, durch ein digitales IIRFilter 2. Ordnung für die FrequenzbewertungleichtzuimplementierendeVerfahreninHörfunkundFernseheninZukunftzueinerausgeglichenerenLautheitbeitragenkann.
AuchinderTonträgerproduktionwirdbeiKompilationenvonunterschiedlichemMaterialmeistaufausgeglicheneLautheitgeachtet:DasMedium(dieCD,DVD)insgesamtwirdzwarvollausgesteuert,nichtaberjedereinzelneTitel.Allerdingsistdie Firmenphilosophie hier nicht einheitlich und man findet bei Programmmaterial mithoherLautheit(Cembalo)vereinzeltauchganzeTonträgerunterVollaussteuerung.
Abb. 10.9 KorrelationvonimHörversuchbestimmterLautheitmittechnischermittelterLautheitnachdemLeq(RLB)Verfahren für verschiedene Datensätze (verschiedene Symbole) mit monofonem, stereofonem und mehrkanaligem Audiomaterial und typischen RundfunkProgramminhalten,nach(Soulodre2004)
Kapitel10 Aufnahmeverfahren 565
10.1.2 Korrelation und Polarität
10.1.2.1 Korrelationsgradmesser
DieKorrelationwirdinderStatistikebensowiebeiderBeschreibungvonstatistischenSignalenalsMaßfürdieÄhnlichkeitzweierSignalebenutzt(Girodetal.2003). In der Audiotechnik ist allerdings häufig nicht eindeutig definiert, was gemeintist,wennvonkorreliertenoderunkorrelierten(auch:dekorrelierten)Signalendie Rede ist. Die Anzeige des als Kontrollinstrument verbreiteten Korrelationsgradmessers lässt sich als normierteKurzzeitKreuzkorrelation zwischen linkemundrechtemKanaleinesStereosignalsinterpretieren.Dabeigilt
(10.4)
xL:SignallinkerKanalxR:SignalrechterKanal
DieWertefürdenKorrelationsgradr liegen somit zwischen –1 und +1. Für identischeSignalexLundxRistr = 1, für identische Signale mit vertauschter Polarität (gegenphasigeSignale)istr = –1. Die schaltungstechnische Realisierung des Korrelationsgradmessers hat sich seit seiner Einführung in der Frühzeit stereofonerÜbertragung kaum verändert (Ribbeck u. Schwarze 1965). Ein Prinzipschaltbild zeigtAbb.10.10.UmeinevomSignalpegelunabhängigeAnzeigezuerhalten,werdenbeideKanälestarklimitiert,sodassPegelschwankungenzwischen–30dBund+10 dB ohne Einfluss auf die Anzeige bleiben. Ein Ringmodulator multipliziert die vom Begrenzer gelieferten Rechtecksignale.
Abb. 10.10 Korrelationsgradmesser: Prinzipschaltbild (oben) und Anzeige (unten, © RTW Köln)
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FürstarklimiterteunddamitannäherndrechteckförmigeSignaleistderKorrelationsgradsomitnichtsanderesalseinMaßfürdiemittlerePolaritätsbeziehungderSignale,d.h.
(10.5)
T1:Zeit,inderxLundxR gleichesVorzeichenhabenT2:Zeit,inderxLundxR ungleichesVorzeichenhaben
WennxLundxRstetsgleichePolaritätaufweisen,istr = 1, für stets ungleiche Polaritätistr = –1. Für unkorrelierte Signale mit zufälliger Polaritätsbeziehung ist r = 0. Die IntegrationszeitTwird schaltungstechnisch aufWerte zwischen0,5 und1 seingestellt,umeinruhigesBewegungsbilddesKorrelationsgradmesserszuerreichen.DigitaleKorrelationsgradmessersimulierendurcheinengeeignetenAlgorithmusdasVerhaltenderanalogenSchaltung,umeinekonsistenteAnzeigezugewährleisten.
FürsinusförmigeSignale,allerdingsnurfürdiese,gibtrdenCosinusderPhasendifferenzφzwischenlinkemundrechtemKanalan,d.h.
(10.6)
Hierentsprichtr = 1 einer Phasendifferenz von 0°, r = 0 einer Phasendifferenz von 90° und r = –1 einer Phasendifferenz von 180°. Für Audiosignale mit statistischem Charakterhatdieaus(10.6)abgeleitete,stationärePhasendifferenzallerdingskeineBedeutung.
InderFrühzeitderStereofonieundinderSchallplattenfertigungwareineAnzeigederPolaritätunverzichtbar,datieffrequentegegenphasigeSignaleaufeinerLPeinen unzulässig tiefen Rillenschnitt erzeugt hätten. Beim Rundfunk wurde aus Gründen der MonoKompatibilität überwiegend mit koinzidentenAufnahmeverfahrengearbeitet.HierergibtsichfürEinzelschallquellenstetseinKorrelationsgradvonr = 1, da die Pegelunterschiede zwischen den Kanälen durch den Begrenzer ausgeglichen werden, und das Signal phasengleich auf beiden Kanälen vorliegt.ZweiSchallquellen,vondeneneineüberwiegendaufdemlinken,dieandereüberwiegendaufdemrechtenKanalrepräsentiert ist, lieferneinweitgehendunkorreliertesSignalmitr = 0...1. Ein Wert von r<0warsomitstetseinWarnsignal,daesentwedereineelektrischeVerpolungeinesKanalsangezeigthatodereineSchallquelle,diesichimgegenphasigenBereicheinesMikrofons(etwaimrückwärtigenTeil eines AchterMikrofons) befindet. Stereosignale mit stark gegenphasigen Anteilensindnureingeschränktmonokompatibel,dabeiderAdditionbeiderKanäle,die zur Bildung eines Monosignals notwendig ist, frequenzabhängige Auslöschungen auftreten, die als kammfilterartige Verzerrungen vor allem im tieffrequenten Bereich deutlich hörbar sein können. Im Bereich von Rundfunk und Fernsehen,womiteinergroßenZahlmonofonerWiedergabegerätegerechnetwerden
Kapitel10 Aufnahmeverfahren 567
muss,wirdauchheutenochdaraufgeachtet,dassderKorrelationsgradnichtüberlängerePassagen imnegativenBereich liegt. InderTonträgerproduktionhatdieAnzeigeanBedeutungverloren.
10.1.2.2 Vektorskop
EineAnzeigederPolaritätsbeziehungvonStereosignalengewinntmanauchdurchdasVektorskop (auchStereosichtgerät oderGoniometer).Dabeihandeltessichumein um 45° gedrehtes Oszilloskop, bei der ein Signal mit positiver Polarität im linkenKanaleineAuslenkungnachlinksoben,einSignalmitpositiverPolaritätimrechtenKanaleineAuslenkungnachrechtsobenbewirkt.DiePositiondesLeuchtpunktsergibtsichsomitalsVektoradditionderbeidenKanalsignale.AufgrundderNachleuchtzeitderAnzeige(beiälterenGeräteneinKathodenstrahlschirm,beineuerenGeräteneinTFTDisplay)werdenWechselspannungenalsgeschlosseneLinienumoderdurchdenUrsprungabgebildet.Stereosignalemitüberwiegendgleicher
Abb. 10.11 Anzeigeneineszweikanaligen(A–C)undeinesvierkanaligen(D)VektorskopsA:ZweiidentischeSignale(Mono)B:ZweiidentischeSignalemitungleicherPolaritätC:StereosignalmitüberwiegendgleichphasigenAnteilen(monokompatibel)D:VierkanaligesVektorskopmitgeteilterAnzeigefürFrontundSurroundkanäle(© DKAudio A/S, RTW Köln)
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PolaritäterscheinenzurvertikalenMittelachsehinzentriert,Stereosignalemitüberwiegend gegensätzlicher Polarität erscheinen zur Horizontalachse zentriert. ZurAnzeigederPolaritätsbeziehungvierkanaligerSignalekannjeweilseineHälftederAnzeigeabgeschnittenwerden,dadiemeistenAudiosignalesymmetrischeWellenformen besitzen und somit jeweils eine Hälfte derAnzeige redundant ist (Abb.10.11).
10.1.2.3 Surround-Sichtgeräte
EinekombinierteDarstellungvonSignalpegelundKorrelationenfürmehrkanaligeSignalelieferteinSurroundSoundAnalyzer(Abb.10.12).AusderFormeinesVielecks,andessenEckendieWiedergabekanäleliegen,kannmandiePegeldereinzelnen Kanäle und die Korrelationen zwischen benachbarten Kanälen ablesen. DerAbstand der Eckpunkte vom Ursprung gibt den Signalpegel des Kanals an. DieFormderVerbindungsliniezwischendenKanälenzeigtdenKorrelationsgradan:EinegeradeLiniestehtfüreineKorrelationvon0,einenachaußengeknickteLiniefüreinepositiveundeinenachinnengeknickteLiniefüreinenegativeKorrelation.
Abb. 10.12 DarstellungverschiedenerSignalbeziehungen(Pegel,Korrelation)fürvierkanalige(oben) und fünfkanalige (unten) Signale mit einem SurroundSoundAnalyzer (© RTW Köln)
Kapitel10 Aufnahmeverfahren 569
10.2 Monofone Aufnahme
DerBegriffmonofone Aufnahme stehtfürdieeinkanaligeKodierungvonSchallquellen, d.h. für eineAufnahme, bei der Schallquellen ausschließlich oder ganzüberwiegend einkanalig (d. h. in der Regel: mit einem Mikrofon) aufgenommen werden.DiessagtnochnichtsüberdasnachgeordneteWiedergabeverfahrenaus.EinemonofoneAufnahmekannstereofonwiedergegebenwerden,etwadurchZuordnungzumehrerenWiedergabekanälenmitdemPanoramaPotentiometer,ebensokann eine stereofoneAufnahmemonofonwiedergegebenwerden.Bei stereofonenAufnahmenwerdendieLaufzeitundPegeldifferenzenzwischenmehrerenMikrofonenbzw.mehrerenKanälenbewusstzurKodierungderräumlichenEigenschaftenderSchallquelleeingesetzt.BeimonofonenAufnahmendagegenistjederSchallquelle zunächst einMikrofon bzw. einÜbertragungskanal zugeordnet; dieKlangbalanceunddieräumlicheAbbildungerfolgtbeiderMischung.AlsFreiheitsgradebeiderAufnahmestehensomitnebenderAuswahldesMikrofonTypsmitdemihmeigenenrichtungsabhängigenFrequenzgangnurseinAbstandundseineAusrichtungrelativzurSchallquellezurVerfügung.BeiüberwiegendjeweilsmonofonerAufnahmevonmehrerenSchallquellensprichtmanauchvonEinzelmikro-fonie oder Polymikrofonie.
10.2.1 Mikrofonabstand
DerAbstand zwischenSchallquelle undMikrofon ist einwichtigesElement derKlanggestaltungbeiderAufnahme.BeiSchallquellenmitallseitigerAbstrahlung– die meisten natürlichen, akustischen Quellen wie Musikinstrumente oder Sprecherkönnennäherungsweisesobehandeltwerden–nimmtderFreifeldanteil imSchallfeld (Direktschall) mit 6 dB pro Entfernungsverdopplung ab. Mit zunehmender Entfernung von einer Schallquelle im Raum liefert somit der im idealisierten Schallfeld eines Raums überall gleiche Diffusfeldpegel einen zunehmenden und jenseits des Hallabstands einen dominierenden Beitrag zum Schallfeld der Quelle (Abb. 5.1). Damit ändert sich nicht nur die Räumlichkeit des vom Mikrofon aufgenommenenKlangbildssondernauchdieKlangfarbe.DerFrequenzgangeiner imDiffusfeldaufgenommenenSchallquelleweistausdreiGründeneineHöhendämpfung auf. Zum einen führt die Luftabsorption, die bei Frequenzen oberhalb von8kHzeineDämpfungvonetwa10dBfüreinenLaufwegvon100mbewirkt(ISO96131), zu einer Höhendämpfung der mehrfach reflektierten, diffusen Schallanteile im Raum. Zum anderen bewirkt auch die bei Reflexionen wirksame AbsorptionderWändemeisteinemehroderwenigerstarkausgeprägteHöhendämpfung.UndschließlicherreichendiffuseSchallanteiledasaufnehmendeMikrofonausEinfallsrichtungen,fürdieesaufgrundseinesrichtungsabhängigenFrequenzgangseineempfangsseitigeDämpfunghoherFrequenzanteileaufweist.AlleFaktorengemeinsam bewirken in der Regel eine mit dem Abstand von der Schallquelle zunehmende
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HöhendämpfungfürdenamMikrofonwirksamenFrequenzgangeinerSchallquelleim Raum (Abb. 10.13).
DieserHöhendämpfung für diffuse Schallanteile kann durch dieVerwendungvondiffusfeldentzerrtenDruckempfängernmiteiner typischenAnhebungvon6–8dB im Bereich von 8–10 kHz entgegengewirkt werden, oder durch eine elektrischeEntzerrungdesSignals,diedenHöhenabfallkompensiert.
EineweiterespektraleBesonderheittrittinunmittelbarerNähevonSchallquellenauf,allerdingsnurbeiMikrofonen,diealsGradientenoderSchnelleempfängerwirken.HierführtdieüberproportionaleZunahmedesDruckgradientenbzw.derSchallschnelleimNahfeldvonSchallquellenmitallseitigerAbstrahlungzueinerAnhebungtieferFrequenzen(vgl.Abb.1.18undAbb.7.21).Diedurchdiesensog.NahbesprechungseffektbedingteBetonungtieferFrequenzanteilewirdvoralleminder Popularmusik häufig bewusst eingesetzt, um das klangfarbliche „Volumen“ und diesonorenKlanganteileinsbesonderebeiweiblichenGesangsstimmenzubetonen.SolldieseÜberbetonungtieferFrequenzanteilevermiedenwerden,mussbeigeringenMikrofonabständenmiteinerelektrischenBassabsenkungentzerrtwerden.
10.2.2 Ausrichtung
NichtnurderAbstand,auchdieAusrichtungeinesMikrofonsrelativzurSchallquelle hat Einfluss auf die spektrale Verteilung des aufgenommenen Signals. Unabhängig vomEmpfängertypweisenalleMikrofoneeinemehroderwenigerstarkzunehmendeRichtwirkung zu hohen Frequenzen auf. Dies ist gleichbedeutend mit der Tatsache,
Abb. 10.13 Raumübertragungsfunktion (Betragsfrequenzgang) für verschiedene Abstände (3 m, 6 m, 20 m) zwischen Quelle (Lautsprecher) und Empfänger (Mikrofon), jeweils bezogen auf den Verlaufin1mEntfernungundinOktavbänderngemittelt.GemessenimAudimaxderTUBerlin(V = 8700 m3,Tmid = 2 s, Hallabstand für die verwendete Quelle: rH ≈ 6 m, Raummodell s. Abb. 1.9)
Kapitel10 Aufnahmeverfahren 571
dassderFrequenzgangeinesMikrofonsbeinichtfrontalemSchalleinfalleinenHöhenabfallaufweist,derumsostärkerist,jemehrdieSchalleinfallsrichtungvonderMikrofonhauptachse (0°Richtung) abweicht. Der Höhenabfall ist umso ausgeprägter undsetztumsofrüherein,jegrößerdieMikrofonMembranist(Abb.10.14).
EinerseitserschwertdieserrichtungsabhängigeVerlaufdesFrequenzgangsdieklangfarblich ausgewogene Abbildung ausgedehnter Klangkörper, andererseitskann er auch zurAusbalancierung der klangfarblichenPräsenz einzelnerKlangquellendurchdieAusrichtungdesMikrofonseingesetztwerden.Allgemeinproduzieren Großmembranmikrofone stärkereVerfärbungen im diffusen Schallfeld (s.Abb. 10.14) und werden daher überwiegend zur Direktabnahme von einzelnenSchallquelleneingesetzt.
10.3 Zweikanalstereofone Aufnahmen
Schallquellenwerden stereofonaufgenommen,umausgedehnteKlangkörperbeiderWiedergabenichtpunktförmig,sondernmiteinergewissenAbbildungsbreiteerscheinen zu lassen. Dies wird erreicht, indem die Quelle in Abhängigkeit von
Abb. 10.14 FreifeldFrequenzgangeinesKleinmembranmikrofons(NeumannKM184,oben)undeinesGroßmembranmikrofons(NeumannTLM103,unten)fürunterschiedlicheSchalleinfallsrichtungen, bezogen auf das Übertragungsmaß in der 0°Achse
S.Weinzierl572
ihrerPositionzumstereofonenMikrofonsystemmitLaufzeitund/oderPegelunterschiedenindenbeidenKanälenkodiertwird,diesiebeiderWiedergabealsPhantomschallquelle zwischen den Lautsprechern erscheinen lassen. Je nach derArtdieserKodierungunterscheidetmanIntensitätsstereofonie(nurPegeldifferenzen),Laufzeitstereofonie (nurLaufzeitdifferenzen)undÄquivalenzstereofonie bzw. ge-mischte Verfahren(LaufzeitundPegeldifferenzen).EinSonderfall istdieTrenn-körperstereofonie,beiderdurcheinenTrennkörperzwischendenMikrofonenfrequenzabhängigePegeldifferenzenerzeugtwerden.DasGleichetrifftfürbinauraleAufnahmenzu(Kunstkopfstereofonie),derenSignaleallerdingsnichtfürLautsprechersondernfürKopfhörerwiedergabeoptimiertsind.
DiePositionstereofonaufgenommenerSchallquellenbeiderWiedergabeergibtsichausdenLokalisationskurven fürPhantomschallquellen inAbhängigkeit vonderstereofonenPegelbzw.Laufzeitdifferenz.DerVerlaufdieserzumerstenMalvondeBoer(1940)durchHörversucheempirischbestimmtenKurvenhängtstarkvon den im Versuch benutzten Quellsignalen (Rauschen, Sinustöne, Sprache, Musik) ab, außerdem von der Tatsache, ob die Versuche mit fixiertem Kopf oder mit frei beweglichem Kopf durchgeführt werden. Eine Zusammenstellung verschiedenerDaten zeigtAbb. 10.15.Bis zu einer seitlichenAuslenkungderPhantomschallquellevon75%aufderLautsprecherbasisistderZusammenhangzwischenPegel und Laufzeitdifferenz undAuslenkung weitgehend linear (s.a. Wittek u.
Abb. 10.15 LokalisationvonPhantomschallquellenaufderLautsprecherbasis(s.Abb.13.5)inAbhängigkeitvonPegelundLaufzeitdifferenzenstereofonerSignaleaufderGrundlagevonHörversuchenmitverschiedenenTeststimuli:Sprache(Leakey1960,Simonson1984),rechteckförmiggeschalteteKnacke(Wendt1964)sowieGaußpulseundTerzbandrauschen(Mertens1965)
Kapitel10 Aufnahmeverfahren 573
Theile 2002), zu größeren Auslenkungen flacht er zunehmend ab. Als Näherungswerte aus Abb. 10.15 für verschiedene Quellsignale und Versuchsreihen können die WerteinTabelle10.3benutztwerden.
Tabelle 10.3 Faustregel für die Konfiguration stereofoner Aufnahmesysteme. Angegeben ist die HörereignisrichtungaufderLautsprecherbasiszwischenMitte(0%)unddemOrtdesLautsprechers(100%)inAbhängigkeitvonPegelundLaufzeitunterschieden(vgl.DateninAbb.10.15)
Hörereignisrichtung 0% 25% 50% 75% 100%
ΔL[dB] 0 3 6.5 10 16
Δt[ms] 0 0.2 0.4 0.6 1.2
AusdiesenWertenergebensichdieAbbildungseigenschaftenstereofonerMikrofonanordnungeninAbhängigkeitvonihrerGeometrie,d.h.vonAbstand,Ausrichtung und Richtcharakteristik der Mikrofone. Am Beispiel einer ORTFAnordnung vonzweiMikrofonenmitNierencharakteristiksolldiedabeiverwendeteTerminologienachDINEN602684erläutertwerden.
AlsHauptachsenwinkelwird der Winkel zwischen den Bezugsachsen (0°Achsen) derbeidenMikrofonebezeichnet.AlsAkzeptanzwinkelwirdderWinkelzwischendenRichtungen der größten Pegeldifferenz zwischen linkem und rechtem Mikrofonsignal bezeichnet. In der Regel ist dies der Winkel zwischen den Richtungen minimaler Empfindlichkeit für eines der beiden Mikrofone, im obigen Beispiel der AuslöschwinkelderbeidenNieren.JenseitsdesAkzeptanzwinkelsnimmtdiePegeldifferenz,mitder die Quelle kodiert wird, wieder ab, wodurch sie bei der Wiedergabe in die Mitte rückt.AlsAufnahmewinkelwirdderWinkelzwischendenSchalleinfallsrichtungenbezeichnet, die eine Lokalisation der Quelle ganz links bzw. ganz rechts ermöglichen. NachdenWerteninTabelle10.3wärendiesdieEinfallsrichtungen,indeneneinPegelunterschiedvonetwa16dBodereinLaufzeitunterschiedvonetwa1,2msentsteht.DerAufnahmewinkeliststetskleineralsderAkzeptanzwinkel.Hauptachsenwinkelund Aufnahmewinkel verhalten sich gegenläufig, d. h. eine Vergrößerung des HauptachsenwinkelsbewirkteineVerkleinerungdesAufnahmewinkels.
DerAufnahmewinkelhatinsofernpraktischeBedeutung,alsbeiderAufnahmenur Schallquellen oder Gruppen von Quellen, die den ganzen Aufnahmewinkel ausfüllen,beiderWiedergabedasganzeStereopanoramazwischendenLautsprechernausfüllen.NimmtderKlangkörpernureinenTeildesAufnahmewinkelsein,wirderbeiderWiedergabeentsprechendschmalerabgebildet.AlleSchallquellen,diesichjenseits des durch den Aufnahmewinkel eingegrenzten Bereichs befinden, werden beiderWiedergabe–räumlichkomprimiert–amOrtdesrechtenbzw.linkenLautsprechersabgebildet.EinensystematischenÜberblicküberdieEigenschaftenzweikanalstereofoner Aufnahmeverfahren findet man bei (Williams 1987).
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10.3.1 Intensitätsstereofonie
Als Intensitätsstereofoniewerden alleAufnahmeverfahren bezeichnet, bei denensichlinkerundrechterKanalnurimPegel,nichtaberinLaufzeitbzw.Phasenlageder Signale unterscheiden. Eine Quelle, die auf dem rechten Kanal lauter als auf demlinkenist,wirdaufderStereobasisrechtslokalisiert.IntensitätsstereofoneAufnahmenkönnenmiteinerXY-AnordnungodereinerMS-Anordnung hergestelltwerden. Beide Anordnungen werden auch als Koinzidenzverfahren bezeichnet, daSchallwellen beliebiger Einfallsrichtung (annähernd) zeit und phasengleich aufdemrechtenundlinkenKanalaufgenommenwerden.
10.3.1.1 XY-Verfahren
XYAnordnungen bestehen aus zwei gerichteten Kapseln mit gleicher Richtcharakteristik,dieidealerweiseamselbenOrtangeordnetundumdenHauptachsenwinkelαgegeneinanderangewinkeltsind(Abb.10.17).InderPraxiswerdensieunmittelbarübereinandermontiert,umzumindestfürSchallquelleninderHorizontalebeneKoinzidenzherzustellen.FürAufnahmeninXYTechnikwerdenentwederspezielleStereomikrofoneverwendet,beidenenzweiKapselnineinemGehäuseübereinandermontiertsindoderseparateMikrofone,dieaufeinerSchieneangewinkeltmontiertwerden.(Abb. 10.18).(Abb.10.18).
Abb. 10.16 GeometrieundAbbildungseigenschaftenstereofonerMikrofonanordnungen:Hauptachsenwinkel,AkzeptanzwinkelundAufnahmewinkel
Kapitel10 Aufnahmeverfahren 575
LegtmandieLokalisationswerteausTabelle10.3zugrunde, soergeben sich fürverschiedene Richtcharakteristiken und Hauptachsenwinkel die in Abb. 10.19 berechnetenAufnahmewinkel.
In Abhängigkeit von Richtcharakteristik und Hauptachsenwinkel ergibt sich auchdieBalance,mitderfrontaleundseitlicheSchallquellenübertragenwerden.NurfüreineDämpfungvonfrontal,d.h.ausderSymmetrieachsederAnordnungeinfallenden Quellen um 3 dB auf beiden Kanälen erscheinen diese bei stereofoner Wiedergabe gleich laut wie Quellen in der Hauptachse der Einzelmikrofone.
Abb. 10.17 XYStereofoniemitNieren(links)undSupernieren(rechts)undeinemHauptachsenwinkelα
Abb. 10.18 VariantenderIntensitätsstereofonie:a:KoinzidenzmikrofonauszweidrehbarenKapseln mit einstellbarer Richtcharakteristik, b: XY mit gekreuzten Nierenmikrofonen, c: MSAnordnungmitNiereundAcht,d:BlumleinVerfahrenmitgekreuztenAchtermikrofonen(Fotos:Fa.SchoepsMikrofone,GeorgNeumannGmbH)
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EinSpezialfallderXYStereofonie,zweigekreuzteAchtenmiteinemAchsenwinkel von 90°, wird als Blumlein-Verfahrenbezeichnet,benanntnachdemIngenieurAlanBlumlein,derbereitsinden1930erJahrenmitstereofonerAufzeichnungexperimentierte und dieses Verfahren patentieren ließ (Blumlein 1931, Alexander1999,Burns2000,s.Kap.3.3.4.1).
10.3.1.2 MS-Verfahren
BeiMS-VerfahrenwerdenimGegensatzzuXYSystemenzweiMikrofonemitverschiedenen Richtcharakteristiken senkrecht übereinander montiert: Ein seitlich ausgerichtetesAchtermikrofon zur Erzeugung eines Seitensignals (S) und ein nachvornezeigendesMikrofonfürdasMittensignal(M)(Abb.10.20).DasMMikrofonkann im Prinzip beliebige Richtcharakteristik haben.
VorderWiedergabewirddasMSSignaldurchSummenundDifferenzbildungineinXYSignalumgewandelt.WennmandasXYundMSSignalpaaraufgleicheSignalleistungnormiert,gilt:
(10.7)
Abb. 10.19 XYVerfahren.AufnahmewinkelfürverschiedeneHauptachsenwinkelundRichtcharakteristiken. Entlang der –3 dBLinie werden frontale Schallquellen von beiden Mikrofonenum3dBgedämpftaufgenommenunderscheinensomitinderSummederLautsprechersignalemitgleicherIntensitätwieseitlicheSchallquellen.ZukleinerenHauptachsenwinkelnhinerscheinenfrontaleSchallquellenüberbetont(–1,5dBLinie),zugrößerenHauptachsenwinkelnunterbetont(–4,5dBLinie).
Kapitel 10 Aufnahmeverfahren 577
(10.8)
Die Summen- und Differenzbildung kann durch eine passive Differentialübertra-ger-Schaltung oder eine aktive Summen-/Differenzverstärkerschaltung erfolgen (Kap. 7.6.6. und Görne 2004:108f.), die häufig als Teil eines MS-Richtungsmischers in Mischpulten integriert sind. Sie kann jedoch auch „von Hand“ durch Phasenum-kehr und Addition im Mischpult erfolgen. Durch die Summen- und Differenzbil-dung der Signale entsteht eine effektive Richtcharakteristik, wie sie auch durch ein XY-System erzielt werden könnte (Abb. 10.21).
In Abhängigkeit von der für das M-Signal verwendeten Richtcharakteristik und dem Mischungsverhältnis zwischen M und S ergeben sich Stereo-Aufnahmewinkel nach Abb. 10.22.
Für Aufnahmen in MS-Anordnung können wie bei XY integrierte Koinzidenz-mikrofone oder zwei übereinander montierte Einzelmikrofone verwendet werden. Obwohl die Summen- und Differenzbildung nach (10.7) und (10.8) mathematisch auf eine idealisierte Richtcharakteristik führt, wie sie auch mit XY-Mikrofonen er-reichbar wäre, gibt es einige Unterschiede zwischen MS- und XY-Systemen. Zum einen verändert sich die Richtwirkung von Achter-Mikrofonen zu höheren Frequen-zen weniger stark als die von Kugel- und Nierenmikrofonen. MS-Systeme weisen also eine insgesamt stabilere Richtwirkung auf, somit bleibt auch der Aufnahme-winkel über den ganzen Frequenzbereich weitgehend konstant. Zum anderen be-steht die Möglichkeit, den Richtungsmischer erst bei der Mischung zu verwenden
Abb. 10.20 MS-Anordnung mit Kugel (links) und mit Niere (rechts) als Mittensignal
Abb. 10.21 Äquivalente XY-Anordnung für ein MS-Paar mit Kugel und Acht (links) und Niere und Acht (rechts) mit jeweils gleichem Signalpegel
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undzunächstdasMSSignalselbstaufzuzeichnen.DadurchkannbeiderMischungnoch Einfluss auf den Aufnahmewinkel genommen werden, z. B. wenn bei der AufnahmekeineausreichendeAbhörkontrollemöglichwar.WeiterhinkanndurchVerwendungeinerKugelalsMittenmikrofonderimBassbereichüberlegeneFrequenzgang von Druckempfängern ausgenutzt werden. Und schließlich liefert dasMMikrofoneinMonoSignal,dasnichterstdurchSummierungderbeidenStereokanälemitmöglichenPhasenauslöschungenerzeugtwerdenmuss.DasMSignalkannalsoauchparallelaufgezeichnetwerden,wenn–vorallembeimFernsehen–eingutesMonosignalerforderlichist.
Als MSAnordnung in drei Raumdimensionen kann das sog. Soundfield-Mikro-fon angesehenwerden. ImGegensatz zuMSwerden allerdingsvier koinzidenteSignaleerzeugt.ObwohldieseauchfüreinezweikanaligeStereowiedergabedekodiertwerdenkönnen,solldieAnordnungdaherbeidenmehrkanalstereofonenVerfahrenbehandeltwerden(Abschn.10.4.1.1).
10.3.2 Laufzeitstereofonie
AlsLaufzeitstereofoniewerdenalleAufnahmeverfahrenbezeichnet,beidenensichlinkerundrechterKanalnurinderLaufzeit,nichtaber(odernurgeringfügig)imPegelunterscheiden.EinSignal,dasamrechtenMikrofonfrühereintrifftalsamlinkenMikrofon,wirdbei derWiedergabe auf derStereobasis rechts lokalisiert.
Abb. 10.22 MSVerfahren. Aufnahmewinkel in Abhängigkeit von der Richtcharakteristik für das MSignal(Kugel,Niere,Hyperniere,Acht)undderPegeldifferenzzwischenMundS.PunktemarkierendiePegeldifferenz,beiderfrontaleSchallquellenum3dBgedämpftundsomitinderLeistungssumme der Lautsprechersignale mit gleicher Intensität wie seitliche Quellen abgebildet werden.MiteinerKombinationausKugelundAchtisteinevolleAusnutzungderStereobasisbeigleicherIntensitätfrontalerundseitlicherSchallquellennichterreichbar.
Kapitel10 Aufnahmeverfahren 579
LaufzeitstereofoneAufnahmenkönnenmiteinerAB-AnordnungauszweiMikrofonenrealisiertwerdenodermitAnordnungenmehrererMikrofone,zwischendenensichjenachSchalleinfallsrichtungunterschiedlicheLaufzeitenausbilden.
10.3.2.1 AB-Verfahren
Ein ABSystem besteht aus zwei Kapseln mit gleicher Richtcharakteristik, die in einemBasisabstandanebeneinandermontiertsind.MeistwerdenDruckempfängermit Kugelcharakteristik verwendet, es sind jedoch auch andere Richtcharakterisvttikenmöglich,wennetwaderAnteilrückwärtigaufgenommenenSchallsunterdrücktwerdensoll.MaßgeblichfürdieLokalisationistdieeffektiveWegdifferenzΔs von der Schallquelle zu den beiden Mikrofonen. Sie beträgt für Quellen, deren AbstandzudenMikrofonengroßgegenüberdemBasisabstandaist(Abb.10.23):
(10.9)
BeiAufnahmen inLaufzeitstereofonie besteht – stärker als bei intensitätsstereofonenAufnahmen – das Problem der Nichtlinearität zwischen LaufzeitdifferenzundLokalisierungaufderLautsprecherbasis(Abb.10.15).AlsKonsequenzkannbei der Wiedergabe ein „Loch in der Mitte“ auftreten: Wenn die Mikrofonbasis so dimensioniert wird, dass seitliche Quellen bei der Wiedergabe 100 % seitlich abgebildet werden, erscheinen auch Quellen, die mit der halben Laufzeitdifferenz bei denMikrofoneneintreffen,bereits75%(statt50%)seitlichausgelenkt(s.Tabelle10.3).BetrachtetmaneineLaufzeitdifferenzvonetwa1,2msalsausreichendfüreine100%seitlicheAbbildung,soergebensichinAbhängigkeitvomBasisabstandderMikrofoneAufnahmewinkelnachAbb.10.24.
Die häufig als Klein-ABbezeichneteAufstellungvonzweiparallelausgerichtetenMikrofonenungefährimOhrabstandvon17cmerzeugtLaufzeitunterschiedevonetwa0,5msfürlateraleSchallquellen,sodassdieLautsprecherbasisbeider
Abb. 10.23 ABStereofonie. Die Laufzeitunterschiede zwischen L und R ergeben sich als FunktiondesSchalleinfallswinkelsθ unddesBasisabstandsa.
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Wiedergabe nur zu etwa 50% ausgenutzt wird. Die durch das natürliche HörensuggerierteOrientierungamOhrabstandkannhier irreführendsein,dadie interauraleLaufzeitdifferenzbeimnatürlichenHörenzuanderenLokalisationswinkelnführtalsLaufzeitunterschiedeimüberlagertenSchallfeldzweierStereoLautsprecher(vgl.Abb.3.12undAbb.10.15).InsbesondereführtdiedurchdenKopfbedingteAbschattungbeimnatürlichenHörenzuPegeldifferenzenzwischendenOhrsignalen,diebeiABStereofoniefehlen.
BeiABAnordnungenachtetmanmeistaufeineparalleleAusrichtungderMikrofone.BeiangewinkeltenMikrofonenentstehendurchdiemithöhererFrequenzzunehmende Richtwirkung von Kugelmikrofonen zusätzliche Pegelunterschiede. SiekönnenzueinerfrequenzabhängigenunddamitinsgesamtunscharfenLokalisierungführen.DieAusrichtungvonKugelmikrofonenaufbestimmteSchallquelleneinesgrößerenEnsemblesistjedochaucheinMittelderKlanggestaltungundzur Einstellung der Klangbalance, weshalb man in der Praxis häufig auch eine nichtparallele Ausrichtung von Kugelmikrofonen vorfindet.
EineparalleleAusrichtungvonzweiBändchenmikrofoneninAchtcharakteristikimAbstandvon20cmwirdauchalsFaulkner-Anordnungbezeichnet(Streicheru.Dooley1984).
10.3.2.2 Laufzeitstereofonie mit mehr als zwei Mikrofonen
Bei einer Aufnahme breiter Klangkörper (Symphonieorchester, Chöre) werdendurchABMikrofonierungenmitschmalerBasisdiezentralenInstrumenteinderNähederMikrofonebevorzugtabgebildet.ErhöhtmandenMikrofonabstand,umeinegleichmäßigereAbbildungzuerzielen,verkleinertsichderAufnahmewinkel(Abb. 10.24), sodass ein Großteil der Quellen an den Rändern der Lautsprecherbasis abgebildet wird. Um dies zu vermeiden, wird die Anordnung häufig durch ein drittes Mikrofon in der Mitte zu einer ABC-Anordnung erweitert. Das mittlereMikrofonwirdimPanaromamittigeingeordnet,d.h.gleichmäßigaufrechtenundlinkenKanalverteilt.DieohnedasMittenmikrofonweitaußenabgebildetenSchallquellenwerdendurchdaszusätzlicheSignal,dasohneLaufzeitdifferenzzubeidenKanälen addiertwird, indieMittegezogen.DieseAdditionvon ähnlichen, aberlaufzeitbehafteten Signalen auf beiden Stereokanälen (Mitte/Links und Mitte/Rechts) kann allerdings zu kammfilterartigen Verzerrungen führen, deren HörbarkeitdurchprobeweisesAbschaltendesMittenmikrofonsüberprüftwerdenkann.
SpezialfalleinerABCAnordnungistdersog.Decca-Tree,einvonIngenieurendesenglischenDeccaLabelsinden1960erJahreneingeführtesundspäterauchbei Aufnahmen des deutschen TeldecLabels häufig benutztes Verfahren für AufnahmenmitgroßenKlangkörpern(Gernemann2002).DreiDruckempfängersindineinemetwagleichseitigenDreieckvon1bis2,5mKantenlängeangeordnet.Die Vorzüge des eingerückten, mittleren Mikrofons liegen in einer gleichmäßigerenAbbildung von Klangkörpern, die nicht auf einer Linie, sondern halbkreisförmigangeordnetsind.Diesbetrifftz.B.diebessereAbbildungdermittlerenStreicherbeiOrchesteraufnahmen,wennderDeccaTreeetwaüberdemKopf
Kapitel10 Aufnahmeverfahren 581
desDirigentenangebrachtist.DurchdenrelativzurGesamtabmessungdesSystemsmaximalenAbstandderMikrofoneuntereinander (imgleichseitigenDreieck)unddienichtparalleleAusrichtungderMikrofone(Abb.10.25)werdendieEinzelsignale „unterschiedlicher“, wodurch kammfilterartige Verfärbungen minimiertwerden.
VerfahrenzurAufnahmesehrbreiterKlangkörpermitvieroderfünfKugelmikrofonenwerdenalsABCD-,ABCDE-VerfahrenoderalsKugelvorhangbezeichnet.DieAdditioneinergroßenAnzahlvonSignalenmitunterschiedlichenLaufzeitenbedingt eine insgesamt unscharfe Richtungsabbildung, da jede Schallquelle durch mehrere Phantomschallquellen abgebildet wird, die sich zwischen denjenigenMikrofonpaarenbilden,diebeiderWiedergabedemrechtenundlinkenSummenkanalzugeordnetsind.BereitsbeidreiMikrofonenentstehenfürjedeSchallquelledreiPhantomschallquellenfürdieMikrofonpaareA/B,A/CundB/C.Diemangelnde Lokalisationsschärfe von Einzelquellen wird jedoch häufig auch als „dichtes“, „volles“ Klangbild wahrgenommen. Wie bei ABC ist eine Kontrolle auf Verfärbungen durch kammfilterartige Verzerrungen notwendig.
Abb. 10.24 ABStereofonie.AufnahmewinkelfürverschiedeneBasisabständea
Abb. 10.25 DreiDruckempfänger(ABC)ineinerAnordnungalsDeccaTree
S.Weinzierl582
10.3.3 Äquivalenzstereofonie
AlleAufnahmeverfahren,diesowohlPegelalsauchLaufzeitunterschiedezurAbbildungbenutzen,werdenalsgemischte VerfahrenoderÄquivalenzstereofoniebezeichnet.DieBerechnung ihresAufnahmewinkelsberuhtaufderAnnahme,dasssichdieWirkungvonPegelundLaufzeitunterschiedenaufdieLokalisationderPhantomschallquelle annähernd linear überlagert. In Hörversuchen zur WirkungvongleichsinnigenPegelundLaufzeitunterschiedenwurdeeineÄquivalenzvon1dBPegeldifferenzund60μsLaufzeitdifferenzermittelt,ebensoinVersuchenmitäquivalenzstereofonenMikrofonsystemen(Theile1984,Abb.10.26).
DieWirkungvongegensinnigen Pegel und Laufzeitunterschieden („links früher“ und „rechts lauter“) wird durch die sog. Tradingkurvebeschrieben(Franssen1962).SieweisteinehöhereSteigungvonetwa250μsLaufzeitdifferenzentsprechend1dBPegeldifferenzaufalsdieÄquivalenzkurve.BeiMikrofonaufnahmenwirddieErzeugunggegensinnigerPegelundLaufzeitunterschiedeallerdingsgenerellvermieden,weilsiezuunscharfenbzw.mehrdeutigenAbbildungenführt.
BeispielefürgemischteVerfahrensinddievonToningenieurendesfranzösischenRundfunks vorgeschlagene ORTF-Anordnung (Office de RadiodiffusionTélévision Française, bis 1974 die öffentlichrechtliche Rundfunkanstalt Frankreichs), sowie die vom niederländischen Rundfunk eingeführte NOS-Anordnung (fürNederlandsche Omroep Stichting, eine Rundfunkanstalt innerhalb des öffentlichrechtlichen Rundfunks der Niederlande).
Abb.10.28zeigtdieausderÄquivalenzkurve(Abb.10.26)undderLokalisationskurvefürPegeldifferenzen(Abb.10.15)abgeleitetenAufnahmewinkelfürgemischteSystemeinAbhängigkeitvomBasisabstandafürverschiedeneHauptachsenwinkelα.WiebeiXYSystemenwerdenfrontaleSchallquellennurbeieinem
Abb. 10.26 ÄquivalenzvonPegelundLaufzeitunterschiedenbeiderLokalisationvonPhantomschallquellen
Kapitel10 Aufnahmeverfahren 583
Hauptachsenwinkel,beidemsieinbeidenMikrofonenum3dBgedämpfterscheinen, in der Leistungssumme der Lautsprechersignale mit gleicher Intensität wieseitliche Quellen abgebildet. Hierfür müssen die Mikrofone in einem Hauptachsenwinkel von 180° (Breite Nieren), 130° (Nieren), 114° (Supernieren), 104° (Hypernieren) bzw. 90° (Achten) montiert werden (vgl. Tabelle 7.2).
Abb. 10.28 AufnahmewinkelfürgemischteAufnahmeverfahreninAbhängigkeitvomBasisabstanda für die Richtcharakteristiken Breite Niere, Niere, Superniere und Acht und verschiedene Hauptachsenwinkelα
Abb. 10.27 Varianten der Äquivalenzstereofonie (gemischte Verfahren): ORTF und NOS
S.Weinzierl584
10.3.4 Trennkörperstereofonie
EinSpezialfalldergemischtenStereofonieistdieTrennkörperstereofonie,beiderdie Pegelunterschiede zwischen linkem und rechtem Kanal nicht durch die Richtcharakteristik der Mikrofone, sondern durch einen Trennkörper zwischen zweiDruckempfängernmitKugelcharakteristikerzeugtwerden.DerTrennkörpererfülltkonzeptionelldieFunktiondesKopfesbeimnatürlichenHörenunderzeugtaufgrundseinesBeugungsverhaltensfrequenzabhängigeSchalldruckpegelunterschiedeandenMikrofonen,die zubeidenSeitenderKonstruktionangebracht sind.DerAbstandderMikrofoneentsprichtmeistinetwademOhrabstand.
BeidemvomSchweizerToningenieurJürgJecklinentwickeltenOSS-Mikrofon(fürOptimalesStereoSignal)sindzweiDruckempfängerimAbstandvon20cmzubeidenSeiteneinerScheibe (Jecklin-Scheibe)von30cmDurchmessermontiert.Die Scheibe hat eine bei hohen Frequenzen absorbierende Schaumstoffoberfläche, um kammfilterartige Verzerrungen durch den an der Scheibe reflektierten Schall zu unterdrücken (Jecklin 1981). Eine kugelförmige Verdickung der absorbierendenBeschichtungbeidervonderFa.MBHOvertriebenenVariantederScheibe(Schnei-der-Scheibe) bewirkt eine bessere Unterdrückung von Reflexionen, höhere stereofonePegeldifferenzenunddamiteinegrößerestereofoneAbbildungsbreitebereitsbeiFrequenzenoberhalbvon200Hz.
Bei der Konstruktion Clara sind zwei Druckempfängerkapseln bündig in dieOberfläche einer parabelförmigen Acrylscheibe eingelassen (Breh 1986). Auch hier entsprichtdieGrößedesAcrylkörpersetwadenKopfabmessungen.Durchdiebündige Montage der Kapsel werden Klangverfärbungen durch Schallreflexionen an der Oberfläche des Trennkörpers vermieden.
Den gleichen Vorzug weist das vom Münchener Institut für Rundfunktechnik (IRT) entwickelte Kugelflächenmikrofon auf, das seit 1990 von der Fa. Schoepshergestelltundvertriebenwird.ZweidiffusfeldentzerrteDruckempfängerKapselnsindbündigineineschallharteKugelvon20cmDurchmessereingelassen.Durchdie Entzerrung der Kapseln und durch die Kapselpositionen bei ±100° relativ zur stereofonenHauptachsederKugelüberlagernsichAbschattungsundDruckstau
Abb. 10.29 Verschiedene Varianten der Trennkörperstereofonie: SASS, Kugelflächenmikrofon, JecklinScheibe,Clara(Fotos:Fa.SchoepsMikrofone,Fa.Crown)
Kapitel10 Aufnahmeverfahren 585
effektso,dasssicheinannäherndlinearerFrequenzgangimFreifeldebensowieimDiffusfeldergibt,und,damitgleichbedeutend,ein frequenzunabhängigesBündelungsmaß (Theile 1986, Geyersberger 1990). Das Kugelflächenmikrofon der Fa. Schoeps (KFM 6) hat einen stereofonen Aufnahmewinkel von 90° (Wuttke 1992).
Das SASS Mikrofon der Fa.Crown (für Stereo Ambient Sampling SystemTM)verwendet zwei Grenzflächenmikrofone, die im Abstand von 17 cm in einen Trennkörpereingelassensind,dersichnachhintenkeilförmigverbreitert.DurchdenEinsatz von Grenzflächenmikrofonen wird, ebenso wie beim Kugelflächenmikrofon, das Problem von Reflexionen am Trennkörper vermieden. Die schaumstoffverkleideteTrennscheibemindertdasÜbersprechenbeihohenFrequenzen,während fürFrequenzenunterhalbvon500HzpraktischkeinePegeldifferenzenentstehen.DerAufnahmewinkel des Systems liegt bei etwa 90°, für Einfallswinkel von >125° zu beidenSeitenderstereofonenHauptachsetrittaufgrundderFormdesTrennkörperseine starkeAbschattung auf (Bartlett u. Billingsley 1990a, Bartlett u. Billingsley1990b).
AucheinvonDefossez(1986)vorgeschlagenerGrenzflächen-KeilnutztfüreinTrennkörperverfahren Grenzflächenmikrofone, die in einen nach vorne spitz zulaufenden Keil eingesetzt sind. Der Winkel zwischen den Keilflächen ist hier allerdings variabel zwischen 60° und 90° einstellbar.
TrennkörperstereofoneSystemezeichnensichbeiHörversuchen,ebensowiegemischteVerfahren imAllgemeinen, durch eineguteLokalisierbarkeit der aufgenommenenSchallquellenaus.DiemitderVerwendungvonabsorbierendenTrennkörpernwiebeiOSSeinhergehendeHöhendämpfungfürdiejeweilsabgewandteMikrofonkapsel wird in Hörvergleichen allerdings häufig als „verfärbt“ bewertet (Wöhru.Nellessen1986).EininderPraxisauftretendesProblemallerTrennkörperverfahrenistderdurchdieKonstruktionfestvorgegebeneAufnahmewinkel.SolässtsichdieAbbildungsbreitedesaufgenommenenKlangkörpersnurverändern,indemdieSchallquellenrelativzumMikrofonneupositioniertwerden.
Abb. 10.30 SASS Mikrofon – Querschnitt
S.Weinzierl586
10.3.5 Binaurale Aufnahme
BinauraleAufnahmenwandelndenSchalldruck,wieerbeimnatürlichenHörenvordenTrommelfellenderbeidenOhrenvorliegt.EswerdendaherzweiDruckempfängerKapseln verwendet, die im Gehörgang des eigenen Ohres oder eines demmenschlichenKopfnachgebildetenKunstkopfesangebrachtsind.AufdieseWeisewird das einfallende Schallsignal durch die Außenohrübertragungsfunktion gefiltert,welchefürjedeSchalleinfallsrichtungdieWirkungunsererKopfanatomieaufdeneinfallendenSchallbeschreibt(s.Kap.3.1.1).BeiderWiedergabebinauralerSignale über Kopfhörer wird somit im Idealfall das Schallfeld amAufnahmeortoriginalgetreureproduziert.
Die Außenohrübertragungsfunktion (AOÜF, auch HRTF für head-related transfer function)ist das Ergebnis von akustischer Abschattung, Beugung, Verzögerung, Resonanzen und Reflexionen durch Torso, Schulter, Kopf, Ohrmuscheln (pinnae), den Eingang indenOhrkanal (cavumconchae)unddenOhrkanal selbst.DengrößtenEinfluss auf den Verlauf der HRTF haben Kopf und Ohrmuscheln, während die Schulter bei bestimmten Frequenzen einen Einfluss von etwa ±5 dB und der Torso von etwa ±3 dB auf den Frequenzgang der HRTF hat (Gierlich 1992, s.a. Abb. 7.36).
ObwohldieBedeutungvonSchulterbereichundTorsofürdiePlausibilitätvonbinauralenAufnahmendurchHörversuchebelegtist(Minnaaretal.2001),werdensie imGegensatzzuKopfundOhrmuschelnnichtvonallenKunstkopfsystemennachgebildet (Abb. 10.33). Von großer Bedeutung für den Verlauf der HRTF oberhalbvon1kHzistderAufnahmeortinnerhalbdesOhrkanals(Abb.10.32).Allerdings hat sich dieser Einfluss in zahlreichen Untersuchungen als unabhängig von derSchalleinfallrichtungerwiesen.Erkanndaherdurcheinekonventionelle,richtungsunabhängigeEntzerrungausgeglichenwerden,ohnedieräumlicheZuordnungderHörereignissezubeinträchtigen.
Da die interindividuellen Unterschiede von HRTFs bei einer Messung am geblocktenOhrkanalamgeringstensind,wirdbeiKunstkopfsystemenmeisteinMinia
Abb. 10.31 Richtungsabhängige und richtungsunabhängige Komponenten der Außenohrübertragungsfunktion. Die richtungsabhängigen Einflüsse von Korpus, Schulter, Kopf und Ohrmuschel sind das Ergebnis von Schallbeugung und reflexion. Die richtungsunabhängigen Einflüsse sind das Ergebnis von Resonanzen im Ohrkanal.
Kapitel10 Aufnahmeverfahren 587
turmikrofonbündigeinigeMillimeterinnerhalbdesOhrkanalseingesetzt.Daaberauch hier oberhalb von 2 kHz erhebliche Unterschiede zwischen den HRTFs verschiedenerPersonenbestehen,istesnichterstaunlich,dassdieräumlicheZuordnungvonbinauralaufgenommenenundwiedergegebenenSignalenmitdemeigenen Kopf in der Regel besser als über einen „fremden“ Kunstkopf gelingt. Hierbei istallerdingseingewisserLerneffektzubeobachten,alsodieFähigkeit,sichaufdieEigenschaftendesfremdenKopfeseinzustellen(Minnaaretal.2001).DiemeistenKunstkopfsysteme sind „Durchschnittsköpfe“, die sich an Mittelwerten aus anthropometrischen Datenbanken orientieren (DIN V 45608, IEC TR 60959, ANSI S3.36, ITUTP.58).
AufdemMarkt isteineVielzahlvonKunstkopfsystemenfürverschiedeneAnwendungenverfügbar.DerKunstkopfKU100derFa.Neumannwirdüberwiegendfür Musik und Sprachaufnahmen eingesetzt.Als Nachfolger der Systeme KU80(1973–81)undKU81(1982–93)isterbereitsdiedritteGerätegeneration.Erverwendet zwei Druckempfänger vom Typ KM83 (ø = 21 mm) am Ende einer 4 mm langen NachbildungdesOhrkanals.WährendderKunstkopfKU80zunächstübereinenfreifeldentzerrtenFrequenzgangverfügte,sinddieTypenKU81undKU100aufeinenlinearenFrequenzgangimDiffusfeldentzerrt,umKlangfarbenfehlerbeiderWiedergabeüberLautsprecherzuminimieren(Theile1981).AndereSystemewerdenüberwiegendinderakustischenMesstechnikeingesetzt,etwabeiderMessungbinauralerraumakustischerKriterien, imBereichSound Quality oder beim akustischenProduktdesign.DieFormvonKopfundTorsogehtvonstilisierten(Brüel&KjæerHATS4100) bzw. durch mathematische Funktionen definierten Modellen (Head Acoustics HMS III) bis zu weitgehend detailgetreuen Nachbildungen (KEMAR 45BA, Cortex ElectronicMK1).ZurAnpassungandieakustischenVerhältnissebeiAufnahmeundWiedergabe sind häufig verschiedene Entzerrungsarten wählbar. Dazu gehört eine Freifeldentzerrung, eine Diffusfeldentzerrung oder eine benutzerspezifische bzw. auf bestimmteKopfhörermodellezugeschnitteneEntzerrung(s.Kap.11.8.4.3).EinigeModelle (KEMAR) werden mit verschiedenen Aussenohrtypen angeboten, die typischfürweibliche,männliche,amerikanisch/europäischeundasiatischeHörersind.FürAnwendungen in derTelekommunikation, etwa bei der messtechnischen und
Abb. 10.32 AußenohrübertragungsfunktionenvonzwölfPersonen,gemessenanverschiedenenPositionen:VordemTrommelfell(links),amoffenenEingangzumOhrkanal(Mitte)undamgeblocktenEingangzumOhrkanal(rechts),nach(Hammershøiu.Møller2002)
S.Weinzierl588
Abb. 10.33 VerschiedeneKunstkopfsysteme:A:HeadAcousticsHMSIII,B:NeumannKU100,C: Cortex MK1, D: KEMAR KB 4004, E: Brüel & Kjær HATS 4128, F: Brüel & Kjær HATS 4100;G:FABIAN;H:Moldrzyk(Fotos:Fa.HeadAcoustics,GeorgNeumannGmbH,01dBGmbH, G.R.A.S. Sound & Vibration, Brüel & Kjaer GmbH, TU Berlin, C. Moldrzyk/Fa. Visaural)
Kapitel10 Aufnahmeverfahren 589
perzeptivenEvaluationvonMobiltelefonengibtesModellemitvollständigerOhrkanal und Trommelfellimpedanzsimulation, Sprachsimulator und zusätzlich erhältlichenHandapparatehalternundpositionierern(Brüel&Kjæer4128).
EinigeneuereSystemeverfügenüberSchrittmotorenoderServomotoren,mitdenenderKopfinderHorizontalebene(Moldrzyketal.2004,Christensenetal.2005)oderinmehrerenFreiheitsgraden(FABIAN,Lindauu.Weinzierl2007)softwaregesteuertbewegtwerdenkann.AufdieseWeisekönnenohnemanuellenEingriff komplette Datensätze von binauralen Raumimpulsantworten für ein definiertes Raster von Kopforientierungen gemessen werden, wie sie in der Binauraltechnik fürdieSimulationvirtuellerakustischerUmgebungenverwendetwerden(s.Kap.11.8.4).
DieerstenKunstkopfsystemewurdenbereitsEndeder1960erJahreentwickelt(Küreretal.1969,Damaskeu.Wagener1969)undzunächstfürUntersuchungenzursubjektiven,vergleichendenBeurteilungderHörsamkeitinKonzertsäleneingesetzt(Wilkens 1972, Lehmann & Wilkens 1980). Nachdem die ersten RundfunksendungenbinauralaufgenommenerHörspiele(Demolition,1973)mitEuphorieaufgenommenwurden,habensichinsbesondereimBereichderMusikaufnahmedieunvermeidlichen Klangverfärbungen bei der Lautsprecherwiedergabe von binauralaufgenommenenSignalenalsproblematischerwiesen,ebensodiefehlendeGestaltungsmöglichkeitbeiderKlangregie,damitdemEinsatzzusätzlicherMikrofonezurEinstellungderKlangbalancedieVorzügederKunstkopfstereofonie,insbesonderedieAußerKopfLokalisationunddieguteLokalisierbarkeitvonSchallquellenimRaum auch bei Kopfhörerwiedergabe verloren gehen. Ein weiteres Manko von KunstkopfaufnahmenistdasPhänomen,dass frontaleundrückwärtigeSchalleinfallsrichtungen,welchediegleicheinterauraleLaufzeitdifferenzhervorrufen,kaumunterschiedenwerdenkönnen(cones of confusion,Kap.11.8.4.4).DiefürdieseUnterscheidungnotwendigenPeilbewegungendesKopfesbleibenbeiderWiedergabevonkonventionellenKunstkopfaufnahmenohneWirkungaufdasbinauraleSignal,andersalsinderbinauralenSimulation,woKopfbewegungenvoneinemPositionssensorabgetastetwerdenunddieAuralisationentsprechendnachgeführtwird.
ImBereichderMusikproduktionhatderKunstkopfalsAufnahmeverfahrendahernienennenswerteVerbreitunggefunden.ImBereichderakustischenMesstechnik,imakustischenProduktdesign(Telefonie,Fahrzeugentwicklung),inderPsychoakustik, imBereichLärmschutzundLärmwirkungsforschungund inderMusikrezeptionsforschungisterheutejedocheinunverzichtbaresWerkzeugfürForschungundEntwicklung.
10.4 Mehrkanalstereofone Aufnahmen
BeimehrkanalstereofonenAufnahmenwerdenSchallquellendurchLaufzeitund/oderPegelunterschiedezwischenmehralszweiKanälenkodiert,umbeiderWiedergabeübermehrkanaligeWiedergabesystemeeine räumlicheAbbildungdurchdieAusbildungvonPhantomschallquellenzwischendenLautsprechernzuerzielen.Im
S.Weinzierl590
GegensatzzueinzelmikrofoniertenAufnahmendürfendieLaufzeitundPegeldifferenzen,mitdereineSchallquelleaufverschiedeneKanälenaufgezeichnetwird,hiernichtzugroßsein,damitbeiderWiedergabeeinePhantomschallquellezwischendenLautsprechernentstehenkann.FürdieNutzungderdreiFrontkanäle,wiesiefürdie Wiedergabe von Tonträgern nach ITUR BS 7751 (Abb. 11.13) und für alle gängigenKinoformatevorgesehensind,gibtesimWesentlichenzweiVarianten.
Bei Variante 1 („Stereo plus Center“) werden Phantomschallquellen nur zwischen den Kanälen L und R abgebildet, während der CenterKanal für monofon aufgenommene Quellen (Abb. 10.34 links) genutzt wird. Dieses Verfahren ist üblichimBereichdesFilmtons,wostereofoneSignale(v.a.FilmmusikundAtmo)überwiegend über L und R wiedergegeben werden, während der Centerkanal für den Dialog benutzt wird.Auch bei mehrkanaligen Musikproduktionen wird derCenterkanal häufig für monofon mikrofonierte Solisten genutzt, während ausgedehnte Quellen (Orchester, Instrumentalgruppen) stereofon über L und R aufgenommenundwiedergebenwerden.FürAufnahmendieserArtkönnensomit,trotzmehrkanaligerWiedergabe,traditionellemonofoneundzweikanalstereofoneAufnahmeverfahrenzumEinsatzkommen.
Bei Variante 2 (segmentiertes Schallfeld) werden Phantomschallquellen zwischen den Kanälen L und C sowie C und R abgebildet (Abb. 10.34 rechts). Um eine kontinuierlicheundeindeutigeAbbildungausgedehnterKlangkörperaufderLautsprecherbasis LCR zu erreichen, müssen die Aufnahmewinkel der Mikrofonpaare LC und CR daher lückenlos und ohne Überlappung aneinander anschließen. Der AufnahmewinkelderbeidenMikrofonpaareergibtsichausAbstand,PositionundAusrichtungderMikrofone,einezusätzlicheDrehungderstereofonenHauptachsen
Abb. 10.34 ZweiVariantenderAbbildungvonPhantomschallquellenüberdreiFrontlautsprecher: Links: Phantomschallquelle nur zwischen L und R, C als wird als reale Schallquelle für monofone Signale eingesetzt. Rechts: Phantomschallquellen zwischen L und C sowie C und R. Die unerwünschte Phantomschallquelle zwischen LR und CR (für eine linksseitige Quelle) kann durch Reduktion des Übersprechens zwischen L und R durch geeignete Richtcharakteristiken unterdrücktwerden.
Kapitel10 Aufnahmeverfahren 591
kanndurchLaufzeitoderPegeldifferenzenzwischendenMikrofonpaarenaufelektronischemoderakustischemWegerreichtwerden.EinesystematischeDiskussiondieser Varianten findet man bei (Williams u. Le Dû 1999). Unerwünschte, aber unvermeidlicheDoppelabbildungendurchPhantomschallquellen,diesichzwischenLund R und, wie in Abb. 10.34 exemplarisch für eine halblinks positionierte Schallquelle gezeigt, C und R bilden, können nur durch Reduktion des Übersprechens zwischen L und R durch eine geeignete Richtcharakteristik und Ausrichtung der äußerenMikrofoneunterdrücktwerden.
DiemeistendiesermehrkanalstereofonenAufnahmeverfahrennehmeneineSegmentierungdesSchallfeldsdurchdieAufnahmewinkelzweierstereofonerMikrofonpaaremiteinemgemeinsamenMittenmikrofonvor.WiebeiZweikanalsystemenunterscheidet man auch hier intensitätsstereofone, laufzeitstereofone, gemischteundtrennkörperstereofoneVerfahren.
10.4.1 Koinzidenzverfahren
10.4.1.1 Soundfield-Mikrofon
Das SoundfieldMikrofon basiert auf einer mathematischen Theorie der Schallfeldabtastung auf einer kugelsymmetrischen Oberfläche (Gerzon 1975). Es liefert Mikrofonsignale,diefüreineWiedergabeimAmbisonicsVerfahrengeeignetsind(s.Kap.11.8.2)undistseitMitteder1970erJahrealsintegriertesMikrofonsystemerhältlich.DasAufnahmeverfahrenlässtsichalsErweiterungdesMSVerfahrensauf drei Raumdimensionen verstehen (Abb. 10.35).
Tabelle 10.4 SchallfeldanteileundKoordinatenimBFormatKoordinate(BFormat) Schallfeldkomponente MikrofonRichtcharakteristik
W Schalldruck KugelX Druckgradient Acht(vornehinten)Y Druckgradient Acht(linksrechts)Z Druckgradient Acht(obenunten)
WährendbeimMSVerfahreneinDruckanteil(MSignal)undeinGradientenanteilin Richtung der Ohrachse (SSignal) aufgenommen wird, liefert das SoundfieldMikrofon einen Druckanteil (WSignal) und drei Gradientenanteile in XRichtung (vornehinten), YRichtung (linksrechts) und ZRichtung (obenunten). In der AmbisonicsTerminologiewirddieKombinationdieservierSignalealsB-Formatbezeichnet. ImGegensatz zu einemMSMikrofonwerden dieMitten undSeitensignale beim SoundfieldMikrofon jedoch nicht direkt durch die Richtcharakteristiken KugelundAchterzeugt,daessichimHinblickaufeinsymmetrischesMikrofondesign als günstiger erwiesen hat, vier Kapseln mit der Richtcharakteristik Breite NiereinFormeinesTetraedersanzuordnen(Abb.10.36).DurchelektronischeKompensationderKapselabständewerdendieSignaleaufdenMittelpunktdesTetraeders
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Abb.10.35 ZerlegungdesSchallfeldsamHörerortineinenDruckanteil(w)undGradientenanteileinxundyRichtung (zRichtung nicht sichtbar)
Abb. 10.36 SoundfieldMikrofonsystem. Oben: Anordnung der vier Mikrofonkapseln zurOben:AnordnungdervierMikrofonkapselnzurAufnahme im AFormat (Left Front LF, Right Front RF, Left Back LB und Right Back RB) und geschlossenesMikrofongehäuse.Unten:ControllerzumProcessingderAFormatSignale(Fotos: Soundfield Ltd.)
Kapitel10 Aufnahmeverfahren 593
interpoliert, sodass sich eine messtechnisch verifizierbare Koinzidenz bis zu einer Frequenzvonetwa10kHzerreichenlässt.
Die Ausgangssignale des TetraederMikrofons (LF, RF, LB, RB) werden als A-Format bezeichnet. Durch Summen und Differenzenbildung in einem nachgeschaltetenControllerwerdendieSignaleinentsprechendeBFormatSignaleumgewandelt.Dabeigilt
(10.10)
NebendieserMatrizierungerlaubtderControllerdurchunterschiedlicheGewichtungundPhasenlagedereinzelnenMikrofonsignaleauchdieBildungeineszweikanaligen, koinzidenten Signals. Die ebenfalls durch Summen und Differenzenbildung erzeugte, scheinbare Richtcharakteristik dieses StereoSystems kann durch eineEinstellungvonAzimuthundElevationhorizontalundvertikalgedrehtundinseiner Richtwirkung stärker oder schwächer fokussiert werden (Dominance).BeivierkanaligerAufzeichnungimBFormatkönnendieseEinstellungenauchinderNachbearbeitung vorgenommen werden, was das SoundfieldMikrofon zu einem sehr flexiblen Aufnahmeinstrument macht. Im Bereich der Musikproduktion hat das AmbisonicsVerfahrenallerdingskeinebreiteAkzeptanzgefunden.Zu den theoretischen Grundlagen des SoundfieldMikrofons s. (Gerzon 1975), zur praktischenAusführungs.(Farrar1979a)und(Farrar1979b).
10.4.1.2 Doppel-MS
EineKombinationvonzweiseparatenMSSystemenanunterschiedlichenMikrofonpositionenzurAufnahmedirekterundräumlicherSchallanteilewurdeaufgrundder gutenMonokompatibilität koinzidenter Systemebereits für zweikanalstereofoneAufnahmenvorgeschlagen(Pizzi1984).UmeinmehrkanalstereofonesHauptmikrofonsystemzuerhalten,lässtsichjeeinnachvorneundnachhintenausgerichtetesNierenmikrofonmiteinemgemeinsamenSSignalfürFrontundSurroundkanälekombinieren,wodurchdieAnordnungaufdreiMikrofone reduziertwird.BeiderWiedergabestehensomitzweiMSSystemefürFrontundSurroundkanälezurVerfügung,derCenterKanalkannausdemvorderenMSignalgespeistwerden(Wuttke2001).
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10.4.2 Laufzeitverfahren
10.4.2.1 Decca-Tree Multichannel
EinelaufzeitstereofoneAnordnungergibtsich,wenndiedreiMikrofoneeinesDeccaTrees(s.Abschn.10.3.2)aufdiedreiFrontkanäleeinerSurroundWiedergabegeroutet werden. Das Problem multipler Phantomschallquellen zwischen LR, LC und CR besteht im Grundsatz auch hier, allerdings kann durch ausreichenden MikrofonabstandundentgegengesetzteAusrichtungderMikrofonedasÜbersprechenzwischen L und R verringert werden.
Vernachlässigt man die Phantomschallquelle zwischen den äußeren Mikrofonen, so können die Druckempfänger L, C und R so angeordnet werden, dass das SchallfeldbeiderAufnahmedurchdieAufnahmewinkelderMikrofonpaareLCund CR lückenlos und ohne Überlappung abgetastet wird. Bei fünfkanaliger Wiedergabe nach ITUR BS 7751 werden alle Schallquellen als Phantomschallquellen zwischen den frontalen Lautsprechern LC und CR abgebildet. Um einen bestimmten GesamtAufnahmewinkel zu erreichen, sind Mikrofonabstände nachTabelle10.5erforderlich(Herrmannetal.1998).ZurAnordnungs.Abb.10.38,allerdingswerdenfürdenDeccaTreeDruckempfängermitKugelcharakteristikeingesetzt.
Tabelle 10.5 GesamtaufnahmewinkelundMikrofonabständefüreineAnordnungmitdreiDruckempfängernentsprechendAbb.10.38
Gesamtaufnahmewinkel Mikrofonabstandaincm
Mikrofonabstandbincm
100 87,5 158,5120 74 128140 64,5 105,5160 57,5 88
Abb. 10.37 DoppelMSAnordnungmitzweiNierenundAcht(links),sowiemiteinemRichtrohrmikrofon als frontales Mittenmikrofon und einer Niere als rückwärtiges Mittenmikrofon(rechts)(Fotos:Fa.SchoepsMikrofone)
Kapitel10 Aufnahmeverfahren 595
10.4.3 Gemischte Verfahren
10.4.3.1 INA 3 und INA 5
Für das Verfahren INA 3 (für „Ideale NierenAnordnung“) werden drei Nierenmikrofone L, C und R so angeordnet, dass die Aufnahmewinkel der Mikrofonpaare LC und CR aneinander angrenzen, ohne sich zu überlappen. Dadurch soll ein ausgedehnterKlangkörpervordemMikrofonbeiderWiedergabeüberdreiFrontLautsprecherlückenlosabgebildetwerden,ohnedassMehrfachabbildungenvoneinzelnen Schallquellen entstehen (Herrmann et al. 1998). Die erforderlichenMikrofonabstände und Hauptachsenwinkel wurden von denAutoren nach (Williams1987)bestimmt(Tabelle10.6).AufgrundderhohenLaufzeitundPegeldifferenz wird angenommen, dass sich zwischen L und R keine Phantomschallquelle ausbildet, die sich mit den Phantomschallquellen zwischen LC und CR überlagert.
Tabelle 10.6 AufnahmewinkelundMikrofonabständefürdieAnordnungINA3Aufnahmewinkel Mikrofonabstand
aincmMikrofonabstandbincm
Systemtiefetincm
100° 69 126 29120° 53 92 27140° 42 68 24160 32 49 21
BeiderVarianteINA5wirddasSystemumzweizusätzlicheNierenmikrofonefürdieSurroundwiedergabezueinerfünfkanaligenAnordnungerweitert,beiderdiegesamtehorizontale Hörfläche durch die Aufnahmewinkel der benachbarten Mikrofone in fünf nichtüberlappende Segmente geteilt wird (Abb. 10.39). Unter dem Namen „Atmos 5.1“ wird die Anordnung mit einem externen Controller für Vorverstärkung und PanoramaalsintegriertesSystemfürSurroundaufnahmenundinsbesonderefürdie
Abb. 10.38 IdealeNierenAnordnungINA3
S.Weinzierl596
AtmoAufnahmebeiFilmundFernsehproduktioneneingesetzt.IndieserVariantesind die Richtcharakteristiken und die Ausrichtungen der Mikrofone einstellbar.
10.4.3.2 OCT
Auch die vom Münchener Institut für Rundfunktechnik vorgeschlagene OCTAnordnung(OptimizedCardioidTriangle)fürdreiFrontkanälenimmteineSegmentierung des frontalen Schallfelds durch zwei Mikrofonpaare LC und CR vor. Durch den Einsatz von Mikrofonen mit Supernierencharakteristik für L und R wird das ÜbersprechenzwischendenäußerenMikrofonenunddamitdieAusbildungunerwünschter Phantomschallquellen zwischen L und R bei der Wiedergabe reduziert.
DerAufnahmewinkeldesGesamtsystemsergibtsichausderMikrofonbasiszwischen L und R. Die Tiefenwiedergabe wird optional durch zwei zusätzliche, tiefpassgefilterte Druckempfänger mit Kugelcharakteristik an den Positionen von L und R verbessert. Die Anordnung kann durch zwei rückwärtig ausgerichtete Nierenmikrofonezueinem fünfkanaligenAufnahmesystem (OCT Surround) ergänztwerden(Theile2001,Abb.10.40).
10.4.3.3 Fukada Tree
Ein ähnliches Konzept wie OCT Surround wird mit einem bei der japanischenRundfunkgesellschaft NHK unter der Bezeichnung Fukada TreepraktiziertenAufnahmeverfahren mit fünf Nierenmikrofonen für die Kanäle L, R, S, LS und RS,
Abb. 10.39 Links: Aufnahmewinkel und Mikrofonanordnung nach INA 5. Rechts: Atmos 5.1 MikrofonsystemmitController(Fotos:SPLelectronicsGmbH)
Kapitel10 Aufnahmeverfahren 597
sowie zwei zusätzlichen, weiter außen positionierten Druckempfängern verfolgt(Abb.10.41,nachFukada2001).
10.4.3.4 Kugelflächenmikrofon mit Achten
Das Kugelflächenmikrofon KFM360isteineErweiterungderzweikanaligenVarianteKFM6(s.Abschn.10.3.4)durchzweizusätzliche,nachvorneausgerichteteGradientenempfänger mit Achtcharakteristik, die neben den in die Kugeloberfläche integriertenDruckempfängernaufgesetztsind(Bruck1996).DurchMSMatrizierungvonKugelundAchtaufbeidenSeitenderKugelentstehenzweiäquivalenteNierencharakteristiken. Diese zeigen nach vorne (M+S) und nach hinten (M–S) und können den Wiedergabekanälen L und LS bzw. R und RS zugeordnet werden. Ein zusätzlichesCenterSignalkannausdenStereokanälendurcheineGerzonMatrixgewonnenwerden(Gerzon1992).
Abb. 10.40 Oben: Mikrofonkonfiguration und Aufnahmewinkel für eine OCTAnordnung. Für L und R kommen Mikrofone mit Supernierencharakteristik zum Einsatz, für C eine Nierencharakteristik. Unten: OCT Surround mit zusätzlichen Nierenmikrofonen für LS und RS
S.Weinzierl598
10.4.3.5 Quadrofones Mikrofonkreuz
Eine Anordnung von vier Nierenmikrofonen an den Ecken eines Quadrates mit 20–25cmSeitenlänge(Abb.10.43)wurdebereitsinden1970erJahrenzurAufzeichnungvonSignalenfürdiequadrofoneWiedergabeverwendet.UnterderBezeichnungAtmo-KreuzoderIRT-KreuzwirdesvorallemfürdieAufzeichnungvon
Abb. 10.42 Kugelflächenmikrofon KFM 360 mit aufgesetzten Gradientenempfängern in AchtcharakteristikundSteuereinheitzurMatrizierungundEntzerrungderMikrofonsignale(Fotos:Fa.SchoepsMikrofone)
Abb. 10.41 FukadaTree
Kapitel10 Aufnahmeverfahren 599
AtmoSignalen (Publikum, Geräuschatmosphären) oder als Raummikrofon für die AufnahmediffuserSchallanteileeingesetzt.BeifünfkanaligerWiedergabewerdendie rückwärtigen Mikrofone den Surroundkanälen LS und RS, die nach vorne gerichteten Mikrofone den Frontkanälen L und R zugeordnet.EinealternativequadrofoneAnordnung(Hamasaki Square)verwendetAchtermikrofoneineinemgrößerenAbstandvon1bis3m(Abb.10.43).DurchdieAusrichtung derAchtmikrofone zu den Seiten wird eine maximale Unterdrückung vonfrontalem Direktschall erreicht, die vorteilhaft ist, wenn das System als RaummikrofonzurAufzeichnungderSurroundSignaleeingesetztwerdensoll(Hamasakietal.2001).
10.5 Mikrofonierung und Klanggestaltung
IndertechnischenAkustiklassensichweitgehendobjektiveKriterienfürdieAuswahl elektroakustischer Wandler formulieren. So werden in der physikalischenMesstechniküberwiegendmonofoneMessmikrofonemit linearemFrequenzgangan definierten Punkten im Schallfeld eingesetzt. In der Psychoakustik, wo es um eine physikalisch exakte und reproduzierbare Übertragung von Ohrsignalen fürVersuchspersonen in einerLaborsituationgeht, etwa imBereichderProduktentwicklung,derLärmwirkungsforschungoderderperzeptivenValidierungraumakustischerParameter,hatsichdiebinauraleAufnahmemiteinemKunstkopfsystemalsStandardetabliert.
Im Bereich der Musikproduktion existiert allerdings ein großes Spektrum anVerfahrenzurAufnahmekomplexerKlangkörperwieOrchester,ChöreoderKammermusikensembles.DieseVielfaltlässtsichbereitsäußerlichanderunterschiedlichenAnzahldereingesetztenMikrofoneablesen.WährenddieFa.DenonfürdieGesamteinspielungderSymphonienGustavMahlersEndeder1980erJahreganzüberwiegendnurzweiMikrofoneeinsetzte(sog.one-point recordings, z.B.Denon
Abb. 10.43 IRT Mikrofonkreuz (links) und Hamasaki Square (rechts)
S.Weinzierl600
Co72589604),warendieAufnahmendergleichenWerkedurchdenProduzentenVolker Straus für das PhilipsLabel legendär für den Einsatz von häufig weit über 50 Mikrofonen(z.B.Philips4708712).IngleicherWeisevariierendieAuswahlvoneingesetzten Mikrofontypen, Mikrofonpositionen und der Einsatz verschiedenerstereofonerAufnahmeverfahren.AlleindieseVielfalt anAufnahmeverfahren,diesichauchüber50JahrenachEinführungderStereofonienocheherzuerweiternalszureduzierenscheint,isteinIndiz,dassoffensichtlichnichteinephysikalischexakteSchallfeldreproduktionimVordergrundsteht.NichterstdienachfolgendeEinstellungderKlangbalanceamMischpult,sondernbereitsdieWahldesAufnahmeverfahrensisthiereinekünstlerischenEntscheidungnachästhetischenKriterien.
10.5.1 Hauptmikrofon versus Einzelmikrofone
AlsAufnahmeverfahrenfürkomplexeKlangkörperstehensichzweigegensätzlicheAnsätzegegenüber:EineAufnahmemitEinzelmikrofonen(Polymikrofonie)ordnetjederKlangquelleeineigenesmonofonesoderstereofonesSystemzu,dashinsichtlich Mikrofontyp und Aufnahmeposition für diese Quelle optimiert ist. Das Übersprechen anderer Quellen in dieses Mikrofon wird durch die Verwendung gerichteterMikrofone,geringeMikrofonabständeunddurchzusätzlicheMaßnahmenzurakustischenTrennung imAufnahmeraum(Trennwände,geschlosseneAufnahmekabine) weitgehend unterdrückt. Durch das bei Pop und Rockproduktionen übliche OverdubVerfahren, bei dem die einzelnen Stimmen sukzessive zu einer bereitsvorhandenenMischungeingespieltwerden, ist das akustischeÜbersprechenvonvornhereinausgeschaltet.Intensität,KlangcharakterundeineräumlicheAbbildungwerdenderSchallquelleerstdurchdieBearbeitungdesaufgenommenenSignals,diePanoramaeinordnungunddenSignalpegelbeiderMischungzugeordnet.InderRegel ist auch eine räumliche Bearbeitung durch künstlichen Nachhall erforderlich, dadasMikrofonsignalaufgrundderdirektenAbnahmewenigDiffusanteilenthält.DasVerfahren erlaubt jedoch bei der Klangregie einen maximalen Gestaltungsspielraum,dajedeKlangquelleeinesEnsemblesseparatundunabhängigvoneinanderbearbeitetwerdenkann.
DieAufnahmemiteinemHauptmikrofondagegenordnetdemgesamtenKlangkörpereinzweiodermehrkanaliges,stereofonesAufnahmesystemzuundverzichtet im Extremfall auf die Mikrofonierung der einzelnen Quellen. Intensität, Klangcharakter und Abbildungsrichtung werden bereits bei der Aufnahme durch diePosition der einzelnen Quellen relativ zum Hauptmikrofon festgelegt und entziehen sichweitgehendeinernachfolgendenBearbeitung.AucheineräumlicheBearbeitung durch künstlichen Nachhall ist häufig nicht erforderlich, da die einzelnen Quellen, insbesondere wenn in akustisch geeigneten Räumen aufgenommen wird, bereitsmit ausreichendemDiffusanteil aufgezeichnet sind.DasVerfahrenerforderteine minimaleAnzahl an Mikrofonsignalen, auch eine separateAbmischung istnicht erforderlich. Grundgedanke ist die möglichst „unmanipulierte“ Übertragung einerimAufführungsraumbestehendenKlangbalance.
Kapitel10 Aufnahmeverfahren 601
AufnahmenvonPopularmusikoderFilmton(außerAtmoAufnahmen)werdenfastausschließlichinEinzelmikrofoniedurchgeführt.LediglichinderklassischenMusikproduktionwerdenbeideVariantenpraktiziert,begleitetvoneinerfortdauerndenDiskussionüberVorzügeundNachteilederbeidenAnsätze.InderPraxissind die Übergänge allerdings fließend, da auch Aufnahmen mit einem HauptmikrofonseltenohnezusätzlicheStützmikrofonedurchgeführtwerden(s.Abschn.10.5.3).In solchenFällen ist es letztlich eine Frage desMischungsverhältnisses,welcheTeiledesKlangkörpersüberwiegendüberdasHauptmikrofonoderüberEinzelmikrofoneabgebildetwerden.
10.5.2 Klangliche Eigenschaften von Hauptmikrofonverfahren
Umzuermitteln, inwelcherWeisesichdieWahldesAufnahmeverfahrensaufdieEigenschaftendesreproduziertenKlangbildsauswirkt,wurdeeineVielzahlvonHörversuchendurchgeführt,vondeneninTabelle10.7nureineAuswahlaufgeführtist.
DabeiwurdenverschiedeneHauptmikrofonverfahren verglichen,daeineAufnahmemitEinzelmikrofonenüberwiegenddurchdieArtderAbmischungbestimmtwirdundsichkaumalseinVerfahrenuntersuchen lässt.AucheinVergleichvonHauptmikrofonVerfahren wirft jedoch eine Reihe methodischer Probleme auf. ZumeinenlässtsichdasMikrofonverfahrennurschwerunabhängigvonanderenfürdieAbbildungwesentlichenFaktorenvariieren.AuchbeiVersuchen,beidenensichdiezuvergleichendenMikrofonsystemeandergleichenPositionimSchallfeldbefinden (Wöhr u. Nellessen 1986, Jacques et al. 2002), ist schwer zu entscheiden, obdiewahrgenommenenUnterschiedeaufdasAufnahmeverfahrenselbstoderdieunterschiedlichenDirektDiffusverhältnisseundAufnahmewinkelbedingtsind,diesichfürunterschiedlicheSystemeamgleichenOrtergeben.BeianderenTestswurdejedesVerfahrenvoneinerExpertengruppeseparatklanglichoptimiert(Camereru.Sodl2001),hierkönnenzusätzlichunterschiedlicheklanggestalterische Intentionen eine Rolle spielen. Ein weiteres methodisches Problem ist die Vorgabe von AttributenwieRäumlichkeitoderLokalisationsschärfe,anhanddererdieverschiedenenVerfahrenmeistbewertetwerden.DieseVorgabeunterliegtnichtnureinergewissenWillkür,vorallemaberistesunklar,welcheBedeutungdieseKriterienfürden „Kunden“ haben, d. h. wie relevant sie für den Gesamteindruck einer Aufnahme beiLaienhörernsind.
AufgrundderunterschiedlichenmethodischenVorgehensweiselassensichausden durchgeführten Versuchen kaum generalisierbare Eigenschaften einzelnerMikrofonverfahrenableiten.Auffällig istallerdings,dasssowohlbeiVergleichenzweikanaligerHauptmikrofone (Wöhru.Nellessen1986)alsauchbei fünfkanaligenHauptmikrofonen(Herrmannu.Henkels1998,Camereru.Sodl2001,Jacquesetal.2002)LaufzeitverfahrengegenüberreinenIntensitätsverfahrenperzeptivbesserbewertetwurden.DiesgiltfürdenGesamteindruckderAufnahmeunddiesubjektivePräferenz,insbesondereaberfürAttributewieRaumeindruck (Herrmannu.Henkels1998),Realismus des Raums, räumliche Tiefe, Klangfarbe und Natürlich-
S.Weinzierl602
keit (Berg2002).DiehöhereklangfarblicheBewertungwirdüblicherweisedamiterklärt,dassbeiLaufzeitverfahrenDruckempfängerzumEinsatzkommen,diezutiefenFrequenzeneinenannäherndlinearenFrequenzgangaufweisen, imGegensatzzudenbeiIntensitätsstereofonieverwendetenGradientenempfängern.DieBedeutung von Laufzeitunterschieden als Erklärung für die Bewertung räumlicherAttributeistdagegenumstritten.EinerseitserzeugenhinsichtlichderinterauralenKorrelation, die auch in der Raumakustik als wesentliches Kriterium für die empfundene Räumlichkeit gilt (s. Kap. 5.2.10), auch koinzident aufgezeichnete und damithochkorrelierteKanalsignaleeinedemnatürlichenHörenentsprechende,in-teraurale Korrelation bei der Wiedergabe über Lautsprecher (s. Kap. 3.3.4.1).AndererseitsbelegendieobengenanntenHörversuche,dassdurchLaufzeitverfah
Tabelle 10.7 EinigeHörversuchezurErmittlungsubjektiverEigenschaftenvonzweiundmehrkanalstereofonenHauptmikrofonverfahrenQuelle Aufnahmeverfahren Aufnahmeund
Wiedergabekanäle
Versuchsmethode SubjektiveKriterien
Wöhru.Nellessen1986
AB, XY, MS, ORTF, OSS,Kunstkopf,KFM
2 Paarvergleichmitbipolarer,siebenstufiger Ratingskala
Gesamtpräferenz,Räumlichkeit, Lokalisation
Braunu.Hudelmayer1996
OSS,KFM,Kunstkopf,KaeT
2 Paarvergleichmitbipolarer,fünfstufiger Ratingskala
Klangfarbe,Ortbarkeit
Herrmannetal.1998
ABC,INA,KFM360,MST(3KanalAmbisonics), IRT Kreuz
3/5 Paarvergleichmitbipolarer,fünfstufiger Ratingskala
Raumeindruck, Lokalisation,Klang
Camereru.Sodl2001
DeccaTree,OCT,Stereo + C, INA 5, KFM 360, Soundfield Microphone,HamasakiSquare
5 Paarvergleichmitbipolarer,fünfstufiger Ratingskala
Räumliche Abbildung Orchester,Klangfarbe,Räumlichkeit (insg. 9 Merkmale)
Jacquesetal.2002
OCTSurround,WilliamsMMA,Soundfield Microphone,FukadaTree,HamsakiSquare
5 bipolare,fünfstufige Ratingskala
Raumgröße, Lokalisierungsschärfe,TiefeundBreitedesEnsembles, Realismus des Raumes, Gesamtpräferenz
Bergu.Rumsey 2002
FukadaTree,HamasakiSquare,DeccaTree,3KanalKoinzidenzmikrofon,
5 Repertory Grid Technique
15imVersuchermittelteAttribute
Bergu.Rumsey 2002
FukadaTree,HamasakiSquare,DeccaTree,3KanalKoinzidenzmikrofon,
5 Repertory Grid Technique
15imVersuchermittelteAttribute
Kapitel10 Aufnahmeverfahren 603
renaufgezeichneteKanalsignalemitihrenvon(Griesinger2001)alsDekorrelation,von(Lipshitz1985)alsPhasigkeitbezeichneten,zusätzlichenLaufzeitundPhasenunterschieden beim Hörer offensichtlich eine gesteigerte Empfindung von Räumlichkeit auslösen. Auch wenn diese im physikalischen Sinne nicht natürlich ist,sondernaufeinerdurchdasSignalinduziertenIllusion von Räumlichkeit beruht,kannsieimErgebnisoffensichtlichalsnatürlicherwahrgenommenwerden.
10.5.3 Hauptmikrofone und Stützmikrofone
Bei komplexen Klangkörpern gelingt es häufig nicht, mit einem einzigen stereofonenHauptmikrofoneinebefriedigendeKlangbalancezuerreichen.IndiesemFallistderEinsatzvonStützmikrofonenüblich:EinzelneInstrumentewerdendurcheinmeistineinemAbstandvon1–2mangebrachtesEinzelmikrofonzusätzlichaufgenommenunddemHauptmikrofonzugemischt.DieFunktiondesStützmikrofonskannsein,
(1) die mikrofonierte Quelle in der Mischung lauter erscheinen zu lassen,(2) den wahrgenommenen Entfernungseindruck zur mikrofonierten Quelle zu ver
ringern,indemdemHauptmikrofondurchdasStützmikrofonein(aufgrunddesgeringerenMikrofonabstands)vorauseilendesSignalhinzugefügtwird,
(3)durchdasvorauseilendeSignaleinenaufgrunddesPräzedenzeffektsdominierendenLokalisationsreizzuerzeugen(s.Kap.3.4.2),dererfahrungsgemäßauchdieLokalisationsschärfederAbbildungerhöht,und
(4) der Klangfarbe der Quelle durch das dicht abgenommene Mikrofonsignal einen höhenbetontenKlanganteilhinzuzufügen,dadurchinsbesonderehochfrequenteGeräuschanteile (Anblas bzw.Anstrichgeräusche,Atmen) hörbar zumachenundbeiGesangsstimmenundSprecherndieTextverständlichkeitzuerhöhen.
Wenn nur die Lautheit einer Quelle erhöht werden soll (1), ohne Entfernungseindruck und Lokalisation zu beeinflussen (2,3), kann es sinnvoll sein, das Signal des Stützmikrofonszeitlichzuverzögern,sodassesinderMischungnachdemHauptmikrofonerscheint.DieVerzögerung solltedann so eingestelltwerden,dassdasStützmikrofon nach den ersten Raumreflexionen erscheint, damit das räumliche Gesamtbild desHauptmikrofons nicht beeinträchtigtwird (Raumbezogene Stütz-technik, Theile 1984). In der Praxis stehen jedoch häufig die Intentionen (2), (3) und (4) imVordergrund.HierwirdeinunverzögertesStützmikrofonbereitsbeiniedrigerem Signalpegel wirksam, da ein nacheilendes Mikrofonsignal tendenzielldurchdie inderLautstärkedominierendenAnteiledesHauptmikrofonsverdecktwird.Abb.10.44zeigteinetypischeMikrofonierungfürkomplexeKlangkörpermitHauptundStützmikrofonen.
S.Weinzierl604
Abb. 10.44 MikrofonierungmitHauptundStützmikrofonen.EinDeccaTreeundzweizusätzliche Druckempfänger als Hauptmikrofon (H), dazu zwei Raummikrofone (R) und StützmikrofonefürdieSolistenundalleInstrumentengruppendesOrchesters,inderMischung5–15dBunterdemPegeldesHauptmikrofons.FürdieSurroundKanälewurdenzweiDruckempfängerin10mEntfernungvomOrchesterplatziert(nichteingezeichnet).(A.Schönberg,Die Jakobsleiter,DSOBerlin/KentNagano,veröffentlichtalsSACDbeiharmoniamundiHMC801821,AufnahmeteldexStudioBerlin,m.f.G.vonT.Lehmann)
Kapitel10 Aufnahmeverfahren 605
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digitalenTonIEC TR 60959:2000 Provisonal head and torso simulator for acoustic measurements on air
conductionhearingaidsDIN EN 61260 Bandfilter für Oktaven und Bruchteile von OktavenEBU R68 EBU Technical Recommendation R682000. Alignment level in digital audioAlignmentlevelindigitalaudio
productionequipmentandindigitalaudiorecordersISO96131:1993 Acoustics–Attenuationofsoundduringpropagationoutdoors.Part1:
CalculationoftheabsorptionofsoundbytheatmosphereITUR BS.7751:1994 Multichannel stereophonic sound system with and without accompanying
pictureITUR BS.1770 Algorithms to measure audio programme loudness and truepeak audio levelITUTJ.27 SignalsfortheAlignmentofInternationalSoundProgrammeConnectionsITUTP.58 HeadandtorsosimulatorfortelephonometrySMPTE RP1552004 SMPTE Recommended Practices for Motion Pictures and Television —
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