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KircheBewegen - Ausgabe 2 / 2009
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Evangelischer Kirchentag 2009
1
„Warum könnt ihr Protestanten eigentlich kei-
nen Gottesdienst ohne Pfarrer feiern?“ Es ist
mal wieder Kirchentag und tausende von Be-
suchern belagern die Hansestadt an der Weser.
Das Spektrum der Frömmigkeitsrichtungen
ist ebenso breit vertreten wie die Vielfalt von
gemeindekirchlich Distanzierten und Suchen-
den. Und ebenso mannigfaltig ist auch dieses
Jahr erneut die für den normalen Kirchen-
tagsbesucher schier überwältigende Menge
an Infoständen im „Markt der Möglichkeiten“.
Inmitten dieser turbulenten Welt fallen einem
große gelbe Sonnenschirme ins Auge. Hier hat
„Wir sind Kirche“, die römisch-katholische Kir-
chenVolksBewegung, ihren „Jakobsbrunnen“
aufgebaut, um mit Gästen über Ökumene
und andere aktuelle Themen ins Gespräch zu
kommen. Der biblische Jakobsbrunnen als Ort
der Begegnung zwischen Jesus und der Sama-
riterin ist dabei ganz bewusst gewählt, denn er
war Schauplatz für etwas, das man als erstes
„ökumenisches Gespräch“ bezeichnen kann.
Rund um den schön dekorierten Brunnen
mit einem echten Wasserbottich in der Mitte
versammeln sich interessierte Kirchentags-
besucher, denn ein interessantes Thema nach
Editorialvon Stefan Bölts
dem anderen lockt die durch die vielen Gänge
strömende Menschen an. Nun bin ich selbst
an der Reihe und werde zum Thema „Reform-
prozesse und Vernetzung von Reformideen“
interviewt. Daraus entwickelt sich eine offene
und angeregte Diskussion mit den Zuhörern.
Schnell wird in diesem interaktiven Gespräch
deutlich, wo der Reformbedarf auf den Nägeln
brennt, wo die unterschiedlichen Schwer-
punkte, aber auch gemeinsame leidvolle Er-
fahrungen in den beiden großen Volkskirchen
liegen. Und wer glaubt, die evangelischen Lan-
deskirchen seien mit ihren synodal-presbyte-
rial strukturierten Beteiligungsmöglichkeiten
besser aufgestellt, wird im Gespräch prompt
eines besseren belehrt.
Kurz und bündig wird ein Beispiel aus der
ökumenischen Basisbewegung geschildert.
Wortgottesdienste ohne Eucharistie können
von den Laien in der römischen Schwester-
kirche allein verantwortet werden, doch wenn
es darum geht, einen ökumenischen Got-
tesdienst mit ehrenamtlichen Aktiven aus
evangelischen Gemeinden zu feiern, tauchen
immer wieder dieselben Beobachtungen auf:
„Wie? Wir können doch keinen Gottesdienst
ohne den Pfarrer feiern!“
Eines der Themen, das den Beteiligten auf
den Nägeln brannte, war die Beteiligungskul-
tur in den Gottesdiensten. „In vielen evange-
lischen Landeskirchen sind die Pfarrerinnen
und Pfarrer meist nur noch Alleinunterhal-
ter im sonntäglichen Trauerspiel“, attestiert
ein Mitglied einer evangelischen Gemeinde.
Das es bei anderen Gottesdienstformen mit
moderner Musik und einem modernen Ar-
beitsmanagement bei der Beteiligungskultur
EditorialkirchebewegenWir vernetzen Wissen und Ideen
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anders ausschaut, kann nur für kurze Zeit
das Bild einer „heilen Welt“ in evangelischen
Gemeinden malen. Denn schon in der nächs-
ten Fragerunde wird thematisiert, dass die
meisten katholischen Pfarrgemeinderäte und
Laienbewegungen vor Ort, in dem ihnen mög-
lichen Rahmen, viel aktiver sind, als ein durch-
schnittlicher Kirchenvorstand der inzwischen
sehr pfarrerzentrierten Landeskirchen. Von
Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen bis
zur „Kirche der Freiheit“, von Mitarbeitenden-
selbstverständnissen bis zur Sparpolitik in
den Synoden - immer wieder wird deutlich,
dass der deutsche Protestantismus längst zu
einer Kirche der Pastoren und Pastorinnen ge-
worden ist und das „Priestertum aller Getauf-
ten“ auch fast 500 Jahre nach der Reformation
Martin Luthers im Wesentlichen ein Lippenbe-
kenntnis auf geduldigem Papier bleibt. Wenn
man von der „Kirche der Beteiligung“ spricht,
hat man zwar schnell das Ideal eines „evange-
lisch Kirche sein“ vor Augen – doch die Reali-
tät sieht anders aus. „Not macht erfinderisch“
– inzwischen haben die katholischen Laienbe-
wegungen das ehrenamtliche Engagement im
Protestantismus nicht nur eingeholt, sondern
weit abgeschlagen und hinter sich gelassen.
Aber woran liegt es, dass die Dynamik eines
konziliaren Prozesses oder das Streben nach
einer fairen und nachhaltigen Welt bei den
„Evangelen“ dem stumpfen Gemeindealltagst-
rott gewichen sind und nur noch in jährlichen
Rhythmen bei bundesweiten Treffen wie dem
Kirchentag für die nächste Durststrecke beat-
met werden? Ist es die Resignation vor immer
wiederkehrenden Strukturdebatten? Oder
liegt es daran, dass die Vielfalt des deutschen
Protestantismus postmodern in eine Kultur
der uninteressierten Beliebigkeit umgekippt
ist? Kann es sein, dass unsere Gremien zu viel
und zu lange beratschlagen und niemand
schnelle Entscheidungen verantworten will?
Oder haben wir es uns in der evangelischen
Kirche einfach zu bequem gemacht? Soll doch
die Pfarrerin ihr Ding machen, schließlich
wird sie dafür bezahlt...
Die bundesdeutsche Wahlbeteiligung
an der zurückliegenden Europawahl unter-
streicht mal wieder: „Das Dumme an der De-
mokratie ist, dass man sie erst zu schätzen
lernt, wenn man sie vermisst.“ Die, die wählen
können, bleiben daheim in der Stube, wäh-
rend andere, die nicht frei wählen dürfen, zu
tausenden auf der Straße demonstrieren und
Repressalien erdulden.
Aber wie schaut es mit Beteiligung und De-
mokratie in der evangelischen Kirche aus? Die
Beteiligungs- und Gestaltungsmöglichkeiten
in der Kirchenvorstandsarbeit sind so immens
interessant, dass bei jüngst zurückliegenden
Kirchenvorstandswahlen nicht wenige Kir-
chengemeinden noch nicht einmal ihre Kan-
didatenlisten haben füllen können. Auch bei
den Reformdebatten wird auf Kirchentagen
und anderen Orten stets die „Beteiligung der
Basis“ und eine „dichte Rückmeldekultur“ ein-
gefordert, doch die Entscheidungen werden
immer wieder gern und ebenso leichtfertig an
Editorial
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Hauptamtliche abgetreten. Über die Gemein-
defusion streiten sich so nur noch die betrof-
fenen Pfarrerinnen und vom EKD-Reformpro-
zess haben sich zwischenzeitlich die meisten
demokratisch legitimierten Gremien mental
verabschiedet.
Würden wir im evangelischen Bereich eine
etablierte Basisbewegung haben, so würde
sie mit Sicherheit kritisieren, dass man in-
zwischen versucht, unter der Mogelpackung
„Kirche im Aufbruch“ die todgeredete „Kirche
der Freiheit“ wiederzubeleben, die spätestens
seit dem ersten Kongress in Wittenberg jeden
realistischen Basisbezug verspielt hat. Man
würde auf dem Kirchentag nicht mehr nur
hinter vorgehaltener Hand darüber sprechen,
dass die Vorstellung von Best Practice Beispie-
len aus Gemeinden auf der EKD-Zukunfts-
werkstatt in Kassel zu einer Farce und einem
einmaligen Strohfeuer zu werden droht: Wo
„Gemeinde“ drauf steht, ist bei so manchem
Beispiel keine echte Basisinitiative drin. Und
eine nachhaltige Vernetzung mit bereits vor-
handenen Basisinitiativen oder bundesweiten
Netzwerken lehnen „die Macher“ aus dem
Kirchenamt der EKD strikt ab. Man setzt lie-
ber auf die durch viele Ausschüsse gefilterten
„politisch korrekten“ Beispiele auf kopierten
Internetseiten, statt der Dynamik einer Basis-
bewegung freien Lauf einzuräumen.
Mit Sicherheit ist dies eines der Erfolgsge-
heimnisse, warum Bewegungen um die Theo-
logie der Befreiung in Lateinamerika oder die
Basisimpulse einer internationalen Kirchen-
VolksBewegung in der römischen Weltkirche
einen solch langen Atem haben: Erfolgreiche
Reformbewegungen wachsen von „unten“ –
Reformen können eben nicht von „oben“ ver-
ordnet werden, dies wird langsam auch in so
manchem Landeskirchenamt verstanden und
deshalb bleibt mir persönlich die Hoffnung,
dass diese Einsicht und Weitsicht auch einmal
das Kirchenamt der EKD erreicht.
„Warum gibt es in der evangelischen Kir-
che eigentlich keine KirchenVolksBewegung?“,
fragt mich ein interessierter evangelischer Be-
sucher in der letzten Fragerunde am Jakobs-
brunnen. Das ist wahrlich eine gute Frage!
Zum einen lassen wir uns vielleicht zu leicht
damit zu frieden stellen, dass wir dank der
synodal-presbyterialer Ordnungen und Kir-
chenverfassungen strukturell ein Quantum
Trost an „mehr“ an Beteiligungsmöglichkei-
ten haben, was Entscheidungsfindungen ge-
legentlich allerdings auch entsprechend auf-
wändig, langwierig und schwierig gestaltet.
Zum anderen ist aber vermutlich auch die Not
in den Landeskirchen noch nicht groß genug,
um die Mitglieder entsprechend zu mobilisie-
ren. Dieses Phänomen kennen wir von vielen
vakanten Kirchengemeinden: Sobald ein neu-
er Pfarrstelleninhaber die Vakanz beendet,
bricht das ehrenamtliche Engagement wieder
zusammen, denn entweder verlassen sich alle
Aktivposten wieder auf die bezahlte Fachkraft
als den schon zitierten „Alleinunterhalter“
oder aber der
Pfarrer selbst ver-
hindert schleu-
nigst jede Eigen-
initiative unter
den einfachen
Kirchenmitglie-
dern.
Das auch in den
Gliedern evange-
lischer Kirchen
mehr Potential
stecken kann,
wurde jüngst an
einem kleinen
Beispiel in der sonst harmonischen Olden-
burgischen Kirche deutlich. Aus Protest trat
die gesamte neunköpfige Mitarbeitendenver-
tretung zurück, um pressewirksam auf Miss-
stände aufmerksam zu machen.
Eigentlich stellt sich nur noch die Frage,
wann die bisher eher schweigende Masse
an ehrenamtlich Aktiven ihre ganz eigenen
Vorstellungen über die Zukunft der Kirche
formieren und das „Protestieren“ wiederent-
decken, um der Bezeichnung als Protestanten
von neuem alle Ehre zu erweisen.
Aber so lange sich Forderungen nach mehr
Beteiligung und Demokratie in der Kirche
nicht vernetzen, wird es auch keine evangeli-
sche KirchenVolksBewegung geben. Schließ-
lich hat uns die Reformation Martin Luthers
anstelle des einen Papstes in Rom das Papst-
tum der vielen Talarträger gebracht, und of-
fenbar scheint die Mehrheit im deutschen
Protestantismus mit diesem Modell von Kir-
che glücklich und zufrieden zu sein.
Editorial
Kann man auf 64 Seiten eine Orientierung zum Thema „Kirchenreform“ geben? – Stefan Bölts
wagt diesen Versuch! In
kurzweiliger Form zeigt er,
dass Kirchenreform mehr
ist, als die Kürzung von
Gemeindepfarrstellen und
die endlose Diskussion um
Positionspapiere.
Neuerscheinung Juli 2009, www.cundp.de
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Die Bühne Mensch, die Bühne Gott von Johannes Röser, CHRIST IN DER GEGENWART
Schon eine halbe Stunde vor Beginn des
Abendgottesdienstes war die Kirche jenseits
der Weser, am Rande von Bremens Innen-
stadt, dicht gefüllt. „So etwas habe ich noch
nie erlebt“, sagte die ältere Frau gerührt und
erhob sich von ihrer Kirchenbank, um den
hereinströmenden jungen Leuten ihren Platz
anzubieten. „Ich bin ja Gemeindemitglied. Ich
freue mich, dass so viele da sind.“
„Mensch, wo bist du?“ Unter diesem Leit-
wort stand der jüngste evangelische Kirchen-
tag im kleinsten Bundesland. Er knüpfte an
die erste biblische Frage Gottes an Adam - und
Eva - an, um das Menschenpaar, das sich im
Garten Eden versteckt hatte, ans Licht der
Öffentlichkeit zu locken. Auch Bremen lockte
viele der inzwischen sehr viel weniger gewor-
denen engagierten Christen an. Wieder waren
100.000 gekommen, um miteinander öffent-
lich zu feiern, zu beten, zu singen, Rednern
und Musikern zuzuhören, um zu essen und zu
trinken und Abendmahl zu halten. Inmitten
einer größeren Gemeinschaft der Glaubenden
wollen sie sich auch meditierend ins Geheim-
nis des Glaubens versenken.
Es war erneut ein junges Christentreffen.
Vierzig Prozent der Teilnehmenden hatten die
Dreißig noch nicht erreicht. Fast jeder zweite
Besucher kam aus der kirchlich extrem dis-
tanzierten mittleren Generation zwischen
dreißig und sechzig. Dabei bestätigte sich:
Christentum ist weiblich. Die Frauen stellten
knapp zwei Drittel der Teilnehmer.
Für Pastor Renke Brahms setzt sich ein
Trend im Protestantismus fort: „Die Feier des
Glaubens und die Vergewisserung im Glau-
ben spielen eine große Rolle.“ Der sogenannte
Schriftführer der Bremischen Kirche, die an-
ders als andere Landeskirchen nicht bischöf-
lich oder präsidial verfasst ist, sondern den Ge-
meinden weitgehende Autonomie einräumt,
sieht eine große evangelische Sehnsucht nach
Spiritualität und Liturgie. Viele Kirchentags-
veranstaltungen sind inzwischen „Kult“, nicht
nur im säkularen Sinne von Faszination und
Wiederholung. Zu beobachten ist eine Wieder-
entdeckung des Sakralen: Kerzen, Farbe, heili-
ge Räume, Stille, Versenkung, Stundengebete
im Takt der Tageszeiten.
Junge Architekturstudenten setzten in
Bremen in Zusammenarbeit mit Psychologen
und Theologen und natürlich ihren Profes-
soren eigene Akzente für eine Neubewertung
des Sakralen inmitten des Alltäglichen. Sie ge-
stalteten mobile Mini-Kapellen, die wie kleine
Zelte mitten im Trubel der Geschäftigkeit auf-
gestellt werden können.
Der Einzelne, der zu Besinnung oder Gebet
einkehrt, ist durch mehr oder weniger trans-
parente Stoffe von der Außenwelt getrennt,
„geschützt“ und kann trotzdem innerhalb von
Sekunden den Anschluss ans bunte Leben wie-
dergewinnen. Ein wunderbares künstlerisch-
theologisches Experiment für eine Passanten-
religiosität, im Kontext der Kunstkirche. Leider
nur scheint solche asketische Architektur dem
breiten Massenbedürfnis nach konventionel-
ler Behaglichkeit und überladener sakraler
Sinnlichkeit nicht zugänglich zu sein.
Bildung, wo bist du?Was Größe und Menge betrifft, lassen die Kir-
chentage die Katholikentage um Längen hin-
ter sich. Beim Gemeindegottesdienst sind die
Verhältnisse genau umgekehrt. Offensichtlich
fördert es den Kirchentagsbesuch, dass sich
evangelische Christen in ihrer Heimatge-
meinde besonders einsam und verlassen füh-
len und daher Ausgleich in der Ferne suchen:
Gemeinschaft, Gefühl, Gemüt des Glaubens.
Die liturgischen Akzente sind unübersehbar.
Auch wird stets ein christologisch-eucharisti-
scher Schwerpunkt gesetzt durch die Feiera-
bendmahle jeweils am Freitag. Der Tisch des
Kelches gehört neben dem Tisch des Wortes
zur selbstverständlichen Schwingung der fünf
Tage.
Solches Bekenntnis zu einer pfingstlichen
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CHRIST IN DER GEGEN-
WART richtet sich als wö-
chentliches Magazin an
religiös Interessierte, an
ein bildungsorientiertes
Publikum: Glauben durch
Lesen, ökumenisch und
weltoffen.
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Ökumene gegenseitiger Bereicherung statt
neokonfessionalistischer Selbst-Profilierung
freut auch Katholiken, die sich mit der blei-
ernen kirchlichen Neo-Stagnation ebenfalls
nicht abfinden wollen. Immerhin knapp acht
Prozent der Kirchentagsteilnehmer waren Ka-
tholiken.
Bildung, wo bist du? Für den Religionspä-
dagogen Fulbert Steffensky liegt ihr Kern in
der biblischen Botschaft. „Die Bibel führt uns
dahin, wo wir noch nicht sind. Sie bildet uns.
Sie ist eine alte Lehrerin.“ Steffensky, der in ei-
gener Weise als früherer Benediktinermönch
die Grenzüberschreitung zwischen den Kon-
fessionen und Spiritualitäten gewagt hat, ist
zu einem bedeutenden geistlichen Redner der
evangelischen Christenheit geworden, inzwi-
schen mit seinem katholischen Ordensbru-
der Anselm Grün, der stets Hallen überfüllt.
Steffensky wies darauf hin, dass die biblische
Spiritualität widerborstig, anstoßerregend,
aufrührend ist - somit politisch. Die Bibel ist
eine Bibel der Armen. Wie aber können sich
begüterte Wohlfahrts-Christen wie wir daran
messen und davon korrigieren lassen?
Steffensky sieht es so: „Die Bibel ist das
Gottesgespräch unserer Toten, unserer Väter
und Mütter.“ So inspiriert sie das kritische
Gottesgespräch von uns Lebenden. „Die Bi-
bel ist auch das Buch der Unsagbarkeiten, die
Gott und Christus nennt.“ Sie reißt uns heraus
aus dem, womit wir Christus verniedlicht, uns
gefügig gemacht haben. „Die biblische Gepflo-
genheit ist Schwarzbrot, nicht Kuchen.“ Daran
muss man kauen. Steffensky plädiert dafür,
dieses Kauen selbst dann wie eine Pflicht zu
üben, wenn man keine Lust und keine Zeit hat,
in spirituellen Dürrezeiten. Die einfache, be-
scheidene Gewohnheit hilft weiter. „Aus Frag-
menten setzt sich unser Glaube zusammen.“
Das aber genau ist Bildung, eine Anstrengung
und Übung in Fragmenten, in einem dauer-
haften Prozess.
Nicht Aufstieg, vielmehr TeilhabeDie ehemalige Universitätspräsidentin und
Katholikin Gesine Schwan steckte in einem
glänzenden Vortrag den weiten Horizont zwi-
schen Bildungsnot und Bildungslust ab. Ihr
gelang dabei ein äußerst seltener Brücken-
schlag zwischen säkularem und christlichem
Bildungsideal.
Gegen das eindimensionale Ziel, Bildung
allein für den persönlichen Aufstieg einzuset-
zen - womöglich noch exklusiv für die Eliten
- und sie damit ökonomisch-technischen Inte-
ressen im „entfesselten Wettbewerb“ zu unter-
werfen, plädierte die Politikwissenschaftlerin
für eine Neuorientierung und Öffnung des Bil-
dungsbegriffs. Entscheidend sei, dass sie dem
Menschen zur Teilhabe verhelfe, zur Teilhabe
an Gesellschaft, Welt, Mitmensch und - dem
Schöpfungsauftrag Gottes. Gesine Schwan
war eine der wenigen Persönlichkeiten, die
Sensibilität und Professionalität besaßen, die
fachliche Erörterung von Sachfragen mit der
Gottesfrage zu verbinden und damit ebenso
mit dem, was sie persönlich berührt - und das,
ohne die Ebenen in falscher Weise zu vermi-
schen. Solche Intellektuelle sind leider selten
geworden, auch im Kirchenleben.
Gesine Schwan benannte als Ziel einer
neuen Bildungsoffensive, dem einzelnen
Menschen zu helfen, die Vielfalt der Talente
zu entwickeln. Die Menschen sind zwar nicht
gleich in dem, was sie leisten, aber sie sind
gleich vor Gott. Bildung im christlichen Sin-
ne soll dazu beitragen, die Persönlichkeit zu
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entfalten, wie es das Grundgesetz im zweiten
Artikel als Recht formuliert. Gesine Schwan
scheute den theologischen Bezug nicht: Es sei
das christliche Verständnis „der gleichen Got-
teskindschaft aller Menschen“. Bildung und
Bildungspolitik müsse sich dem Anspruch
stellen, „Gottes Schöpfung durch Teilhabe
weiterzuentwickeln“. Entsprechend appellier-
te die Wissenschaftlerin: „Hören wir auf, un-
sere eigenen Zukunftsängste auf unsere Kin-
der zu übertragen.“ Das verlange auch, damit
aufzuhören, die nachfolgenden Generationen
nur fit machen zu wollen für einen Weltmarkt,
der überhitzt zusammenzubrechen droht.
Darf man es Herzensbildung nennen, wie Ge-
sine Schwan andeutete? Oder gar noch direk-
ter: „Freude, mitzuwirken am Weinberg des
Herrn“? Das sind Worte, die in den Ohren einer
säkularen Öffentlichkeit befremdlich klingen,
aber sie sind wahr. Wie Bildung ist auch Religi-
on kein funktionalistisches Schmiermittel für
Staat, Politik oder Ökonomie.
Arzt, wo bist du?Arzt, wo bist du? Was rettet uns, wenn uns das
bisherige aufgeblähte medizinisch-industri-
elle Gesundheitswesen nicht mehr so unbe-
grenzt zur Verfügung stehen kann wie bisher?
In Bremen wurde vor großem Publikum auch
gefragt, ob nur noch der ärztlich bestens ver-
sorgt wird, der es sich finanziell leisten kann.
Was wird aus dem Kassenpatienten? Staatsse-
kretär Klaus Theo Schröder warnte davor, un-
ser Gesundheitssystem schlechtzureden. Man
müsse sehen, was es inzwischen leistet. Nicht
einmal ein halbes Jahrhundert ist vergangen,
seitdem in Südafrika die erste Herztransplan-
tation vorgenommen wurde. Heute gehören
solche Eingriffe zur Tagesroutine. Vor noch
nicht allzu langer Zeit mussten Patienten bei
Nierenversagen sterben. Heute kann jeder mit
einer Dialyse als Regelversorgung rechnen.
„Dieses System ist sehr viel robuster und leis-
tungsfähiger, als viele glauben.“ Es bleibe da-
bei: „Es wächst aus Solidarität.“
Die Mediziner setzten andere Akzente. Sie
sehen die Probleme erheblicher Bürokratisie-
rung, Reglementierung und Gängelung, die
sie in ihrer ärztlichen Vollmacht beschneiden
und das Heilungsethos beeinträchtigen. Da
die Ressourcen begrenzt sind, gilt es, ein neues
Maß, eine neue Mitte zu finden zwischen dem
Notwendigen und dem Nichtnotwendigen.
Jeanne Nicklas-Faust, Professorin für Innere
Medizin und engagiert in der Lebenshilfe für
Menschen mit geistiger Behinderung, sieht
die ärztlichen Spielräume noch längst nicht
ausgeschöpft. Es liege ebenso in der Kreativi-
tät und Unterscheidungsfähigkeit der Ärzte,
Sinnvolles von weniger Sinnvollem zu unter-
scheiden und die Maßnahmen zu gewichten.
„Zum ärztlichen Ethos gehört ein vernünftiger
Gebrauch der ärztlichen Kunst und der medi-
zinischen Wissenschaft.“ Die Ärztin, die schwer
chronisch kranke Patienten aus schwierigen
sozialen Schichten betreut, erläuterte, dass
es selbst in der vermeintlich aufklärungsres-
istenten Bevölkerung Chancen gibt, Einsicht
zu wecken, gesundheitsschädliches Verhalten
aufzugeben, Risiken vorzubeugen. Dazu sei
eine intensive ärztliche Gesprächsführung
wichtig. Nur: „Das wird leider kaum an der Uni
gelehrt.“
Ökumene, wo bist du?Ökumene, wo bist du? Ein Jahr vor dem zwei-
ten Ökumenischen Kirchentag waren zwar
Vertreter verschiedener Konfessionen an
zahlreichen der über 2500 Veranstaltungen
beteiligt. Doch das theologische ökumenische
Gespräch blieb seltsam blass. Auch fehlten -
abgesehen vom ökumenischen Gottesdienst
zu Christi Himmelfahrt - Feiern mit starker
symbolischer Ausstrahlung, wie es berührend
beim letzten Katholikentag in Osnabrück der
Fall war. Reicht die Krise der Ökumene doch
tiefer, als es die Funktionäre der Ökumene zu-
geben möchten?
Ja, es ist vieles erreicht worden, von dem
unsere Großeltern und Eltern nicht einmal
träumen konnten. Aber insgesamt scheint
sich nachhaltige Enttäuschung eingestellt zu
haben. Wer denkt heute noch daran, dass be-
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reits 1984 beim Katholikentag in München
Hans Küng eine Eucharistie nach der Lima-
Liturgie leitete, mit Jörg Zink an seiner Seite.
Die einst große Hoffnung weckenden, auch
vom Vatikan anerkannten Lima-Dokumente
der Weltkirchenratskommission für Glaube
und Kirchenverfassung sind dem Vergessen
anheimgegeben. In Bremen wurde ein Got-
tesdienst gemäß der hochkirchlichen Lima-Li-
turgie, die sehr weit der katholischen Liturgie
angepasst ist, gefeiert, freilich ohne jedwede
Resonanz auf katholischer oder orthodoxer
Seite. Am Altar standen leitend ein alt-katholi-
scher Bischof, ein anglikanischer Bischof und
drei evangelische Kirchenführer, darunter eine
Frau. Unter den Teilnehmern der Liturgie wie-
derum machten viele das Kreuzzeichen und
gaben sich so als Katholiken zu erkennen, um
dann auch die eucharistischen Gaben zu emp-
fangen, über die der alt-katholische Bischof
die Wandlungsworte gesprochen hatte. Drif-
ten wir faktisch längst auf eine Privat-Ökume-
ne zu, der es gleichgültig ist, was das Lehramt
sagt? Das sollte nicht sein. Warum aber lassen
Lehramt und Theologie den Glaubenssinn des
Volkes Gottes derart im Stich und vertrösten
permanent weiter, ohne dass sich substanziell
etwas rührt? Was ist denn aus all den schon
vor Jahrzehnten vorgebrachten bedeutenden,
zukunftsweisenden Vorschlägen geworden -
von Rahner, Küng, Fries, Pannenberg, Meyer,
Jüngel, Pesch?...?
Es wäre ungerecht, für Blockaden einseitig
vatikanische Einsprüche verantwortlich zu
machen. Leider wird auf evangelischer Seite
nicht thematisiert, dass bei der substanziellen
Annäherung zwischen Lutheranern und Ka-
tholiken in der Rechtfertigungserklärung fast
zweihundert evangelische Theologieprofes-
soren bevorzugt aus dem deutschen Sprach-
raum mit ihrem „Lehramt“ die faktisch er-
reichte Einigung im gemeinsamen Dokument
hintertrieben und somit jenen vom Lutheri-
schen Weltbund und vom Vatikan gebilligten
großartigen Text seiner ursprünglich zuge-
dachten Autorität beraubten. Wann wird die
evangelische Kirche mit ihren evangelischen
Theologen einmal redlich, wahrhaftig und
selbstkritisch über diesen selbstproduzierten
evangelischen und damit auch universalkirch-
lichen Gau diskutieren?
Theologe, wo bist du?Kirchen- wie Katholikentage haben an theolo-
gischem Profil und theologischer Inspiration
massiv verloren. Vielleicht liegt es daran, dass
große Gelehrte und Lehrmeister des Glaubens
mit Kreativkraft nicht mehr so nachwachsen
wie einst. Ähnliches gilt für geistliche Persön-
lichkeiten, die mit Intellektualität und Emotio-
nalität Visionen entwerfen und die Menschen
aufrütteln, mitnehmen. Allzu vieles bleibt im
Vagen, Zaudernden, Beliebigen, Appellativen,
Moralisierenden. Theologe, wo bist du?
Spitzenpolitiker waren dagegen auch in
Bremen wieder vielfach vertreten. Nur lei-
den deren Äußerungen auch dort unter der
allgemeinen Sprechblasen-Rhetorik und PR-
Routine. Alles schön rund, blass, irgendwie
schon gehört. Den wohl einzig aufgrund des
Promifaktors überfüllten Podien wünschte
man sich einmal ein Politiker-Fasten: dass
wenigstens hin und wieder die Veranstalter
darauf verzichten, die Berliner „Schaubühne“,
die über Fernsehen und Talkshows hinrei-
chend bekannt ist, einzufliegen, um nur zu
wiederholen, was nicht wiederholenswert ist.
Eine solche Askese spricht nicht gegen die
Politik und ihre Protagonisten. Sie spricht
nur für mehr Sensibilität zur rechten Zeit am
richtigen Ort. Es ist schon eigenartig, dass die
Kirchen- wie Katholikentage ständig unpoli-
tischer geworden sind, je mehr Politiker dort
auftauchten. Manche scheinen nicht einmal
mehr zwischen Rednerpult und Kanzel un-
terscheiden zu können, so dass sie sogar nach
rituell-liturgischen Veranstaltungen meinten,
die Wahl-Werbetrommel für sich rühren zu
müssen. Aber es gibt eben aus gutem Grund
im Leben nicht nur verschiedene Atmosphä-
ren, sondern auch verschiedene Sphären.
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Die interessantesten Gestalten der Kir-
chentage treten meistens gar nicht auf den
großen Bühnen auf, obwohl sie auf den wirk-
lich großen und bedeutenden Bühnen der
wahren Welt zu Hause sind, auf den Bühnen
der Kunst, des Theaters. Ein solcher Theater-
mann, Ulrich Khuon vom Thalia in Hamburg,
demnächst Intendant des Deutschen Theaters
in Berlin, fand etwas abseits ein kleines, aber
sehr nachdenkliches Publikum: bei einer so-
genannten Kunstkirche. Seine Bibelarbeit über
das Gleichnis vom barmherzigen Samariter
war ein Meisterstück erzählerischer Kraft, die
uns die professionelle Exegese leider allzu oft
vorenthält. Womöglich hat das Theater mit
dem echten Spiel des Lebens inzwischen auch
viel mehr zu tun als das Theater der Liturgie,
des heiligen Spiels des Gottesdienstes, bei dem
doch eigentlich das Drama von Leben, Leiden,
Tod und Auferweckung Jesu Christi und damit
unserer Erlösung inszeniert sein sollte, zu un-
ser aller Erschütterung.
Khuon wies darauf hin, dass in der Bibel oft
die Frage auftaucht: „Was muss ich tun?“ Und
dann: Was muss ich darüber hinaus tun, um
das richtige Leben zu leben und das ewigen
Leben zu erlangen? Manchmal stecke dahinter
eine Anmaßung. Der Einzelne will gleich die
ganze Welt verändern - und scheitert daran.
Beim barmherzigen Samariter ist die Antwort
der Erzählung scheinbar einfach: Der Mensch
soll aus dem Augenfälligen die Konsequenzen
ziehen. Khuon sieht darin eine wohltuende re-
ligiöse Bescheidenheit. Der Samariter tut das
Schlichte, und das ist genau das Notwendige,
Wahre, Richtige. „Und er tut es praktisch, ver-
nünftig.“ Dann erst geht sein Einsatz für den,
der unter die Räuber gefallen ist, weit über
das hinaus, was man erwarten würde. Wer ist
der Nächste? Kein philosophisches Konstrukt,
keine psychologische Definition. Nicht das
Objekt der Liebe ist der Nächste, sondern das
Subjekt hat sich am Ende als der Nächste er-
wiesen. Der Notleidende macht mich zu sei-
nem Nächsten. „Der Begriff des Nächsten wird
entschränkt und enttheoretisiert.“
Gott, wo bist du?Ist Gott, der Fernste, für uns vielleicht doch
der, den wir Bedürftigen zu unserem Nächsten
machen können? Gott, wo bist du? Die Umkeh-
rung der Adamsfrage wird zur großen Frage
nicht nur der Bibel, sondern der Menschheit
aller Zeiten. Khuon sieht sie verankert in der
Liebe und ihrer tödlichen Zerbrechlichkeit,
diesem immerwährenden größten Mensch-
heitsthema. Der Intendant erinnerte an den
verstorbenen Religionsphilosophen Bernhard
Welte, der immer wieder betont habe, dass am
Anfang von allem die Liebe Gottes steht - und
nicht, dass wir liebesfähig handeln könnten.
Diese Liebe Gottes ist universal, ein freies
Geschenk, keine Leistung. Sie ist für Khuon
Überschuss, kein Tauschgeschenk. Sie steht
unter einem eschatologischen Vorbehalt. Die
menschliche Liebe bewirkt nicht das Reich
Gottes. Aber sie ist eine Vorstufe, eine - so
Khuon - „diesseitige Verschwendung der Kräf-
te“, ohne Belohnung zu erwarten. Wie schön
aber ist es, wenn der, der liebt, geliebt wird! Ist
das Theater nicht nur der Bibel am Ende doch
die wahre Bühne des Lebens?
Der evangelische Kirchentag von Bremen
hatte - wie alle Treffen dieser Art - viele Büh-
nen quer durch die Stadt aufgestellt, und sie
alle wurden dort von zigtausend Zuschauern
umlagert, immer wieder neu. Manchmal mei-
nen wir Menschen, bei unserem Lebensspiel
und Glaubensspiel nur Objekte zu sein. Tat-
sächlich sind wir Spieler, Protagonisten der
ewig neuen, ewig alten Frage: Mensch, wo bist
du? Und wenn wir von Zeit zu Zeit dann trotz-
dem weiterfragen: Gott, wo bist du?, dann ist
die Antwort angekommen auf der Bühne, die
wir selbst sind. Bremen war ein bewegendes,
schönes Glaubens- und Kirchenfest. Kleines
Theater im besten Sinne. Aber was wäre der
kleine Mensch ohne das große Theater Gott,
was wäre Gott ohne das große Theater Mensch
im tragikomischen kosmischen Welttheater?
www.christ-in-der-gegenwart.de
(aus CHRIST IN DER GEGENWART, Heft 22/2009)
Johannes Röser, geboren 1956, Chefredakteur
der Wochenzeitschrift CHRIST IN DER GEGEN-
WART (Freiburg im Breisgau). Schwerpunkte:
Religion, Theologie,
Gesellschaft, Na-
turwissenschaften,
Lateinamerika und
Afrika.
Nach Studium der
Theologie in Frei-
burg und Tübingen
seit 1981 Journalist.
Autor und Her-
ausgeber verschie-
dener Bücher zur
religiösen Frage, zuletzt: „Mein Glaube in Be-
wegung - Stellungnahmen aus Religion, Kulur
und Politik“, „Mut zur Religion - Erziehung,
Werte und die neue Frage nach Gott“, „Was sag
ich Gott? Was sagt mir Gott? - Jugendgebete
und Gedanken“ (Verlag Herder).
Evangelischer Kirchentag 2009
KircheBewegen - Ausgabe 2 / 2009
Aktuelle Meldungen
Forschung
Buchvorstellungen
Service
Thema: Regionalisierung
Tagungsbeiträge
Editorial
9
Christliche Werte definierenund zum Leben erweckenCorporate Identity (CI) auf dem Bremer Kirchentag
„Mensch, wo bist du?“ war
auch beim CI-Workshop im
Rahmen des „Zentrums Ge-
meinde“ eine zentrale Frage.
Zu diesem Workshop, aus
einer Reihe von Veranstal-
tungen, die das Netzwerk
Kirchenreform während des
Kirchentags anbot, hatten
sich hier am Samstag gut 25
Teilnehmer unter der Leitung
von Gerhard Regenthal (Cor-
porate Identity-Akademie,
Braunschweig) und Prof. Dr.
Wolfgang Nethöfel zu diesem
intensiven Arbeitstreffen ein-
gefunden.
Mit der einfachen ZUG-
Methode, also der Frage: „Wo
herrscht Zufriedenheit, wo
Unzufriedenheit, wo gibt es
Gestaltungsvorschläge?“ wa-
ren alle Teilnehmer sofort
bei der Analyse ihrer eigenen
Gemeindesituation und nach
zehn Minuten Murmelphase
lagen 30 Ergebnisse auf dem
Fußboden, an denen konkret
weiter gearbeitet werden
könnte.
Im Anschluss an diesen
Einstieg gab es ein reges Fra-
ge- und Antwortspiel um die
Kirchentagslosung „Mensch,
wo bist Du?“. Nach Ansicht
der beiden Referenten reicht
aber die bloße Antwort „Hier
bin ich“ nicht mehr aus.
Christliche Werte müssen
bewusst und klar benannt,
Arbeitsweisen der Kirchen
müssen schlüssig erklärt wer-
den können.
Haben Sie das schon ein-
mal probiert? Können Sie an-
deren gegenüber Ihre Kirche
oder Ihre kirchliche Organi-
sation in nur zwei kurzen ein-
fachen Sätzen präsentieren.
Versuchen Sie doch einmal
das spezifische Profil Ihres
kirchlichen Denkens und Ar-
beitens verständlich und zu-
sammengefasst als Antwort
auf die Frage „Wer sind Sie
eigentlich?“ zu verdeutlichen
und dabei das Besondere her-
auszuheben.
Oftmals hört man Reakti-
onen wie diese: „Wir machen
doch gute kirchliche Arbeit,
haben ein gutes Konzept und
ein vielseitiges Gemeinde-
leben. Unsere Zielgruppen
schätzen unsere Einrichtung,
wir sind sehr angesehen. Wir
müssen keine Werbung ma-
chen. Kirche und kirchliche
Einrichtungen brauchen kei-
ne billige Reklame, das haben
wir gar nicht nötig. Manage-
ment- und Marketingstrate-
gien, wie in der Wirtschaft,
brauchen wir nicht.“
Brauchen Kirchen eine
ganzheitliche CI? Eigentlich
ist das gar nicht die richti-
ge Fragestellenung, denn
Kirchen haben immer eine
ganz spezifische Corporate
Identity – nur ist ihnen diese
oft nicht bewusst. Ganzheit-
liches Denken und vernetz-
tes Arbeiten (= corporate)
sowie gemeinsames Selbst-
verständnis, Motivation und
Selbstbewusstsein (= identi-
ty) sind aber für alle Beteilig-
ten notwendig, um mit den
Veränderungen, Anforderun-
gen und Belastungen fertig
zu werden. Darüber hinaus
braucht es Kraft und Mut,
um die eigenen christlichen
Vorstellungen, Werte und Vi-
sionen verwirklichen zu kön-
nen. Effektives und strategi-
sches Zusammenarbeiten für
eine gemeinsame Sache, für
die sich jeder engagiert und
nicht in der Motivation nach-
lässt, macht einen fundierten
CI-Prozess notwendig.
Kirchen und kirchliche
Einrichtungen brauchen Cor-
porate Identity weil ...
... ganzheitliche christli-
che Denkweisen, ganzheitli-
che Konzepte und Strategien
eine ganzheitliche Theorie
brauchen.
... sie eine herausragende
Positionierung in unserer Ge-
sellschaft haben, vermehrt in
der Öffentlichkeit stehen und
entsprechend ihres Auftrages
die christlichen Werte vertre-
ten, vermitteln und präsen-
tieren.
... sie als große Organisa-
tion so viele Projekte haben,
die aufeinander abgestimmt
werden müssen und die ihre
Zusammenarbeit ständig
weiter verbessern müssen,
sonst bleibt es blinder Aktio-
nismus und Verzettelung mit
mehr Belastungen und Auf-
wand und sich aufhebenden
Wirkungen.
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Editorial
Evangelischer Kirchentag 2009
10
Die Krise als Chance?Bericht von der Jahrestagung des Netzwerks auf dem 4. KVI-Kongress
von Stefan Bölts
Warme Sonnenstrahlen locken viele Men-
schen in den Innenhof des Erbacher Hofs in
Mainz. Wie nobel die geschlossenen Jacketts
aussehen, hat man sich untereinander schon
zur Eröffnung des KVI Kongresses rund um
Kirche, Verwaltung und Informationstechno-
logien präsentieren können. Nun nutzt man
mit erleichterter Anzugsordnung die seltene
Chance, bei einer Tasse Kaffe im informellen
Rahmen mit Anbietern, Fachexperten aus
Wirtschaft und Forschung, sowie potentiellen
Kunden aus kirchlichen Einrichtungen und
Verwaltungen ins Gespräch zu kommen.
Die Verzahnung von Vertretern aus der
Praxis mit den Anbietern passender Soft-
warelösungen ist dabei ebenso reizvoll, wie
der Austausch zwischen den einzelnen profes-
sionalisierten Fachrichtungen der Verwaltun-
gen. Vom Facilitymanagement bis zum Rech-
nungswesen, von der Gebäudeklassifizierung
bis zum Einsatz von Geoinformationssyste-
men hatte auch der 4. Kongress diesen For-
mats wieder ein breit aufgestellten Programm
und bot eine Fülle von Fachvorträgen, inter-
essanten Workshopangeboten und eine Viel-
zahl an Infoständen. Und so wie sich im ver-
gangenen Jahr eine Fachgruppe zum Thema
„Kirchliche Tagungshäuser“ gefunden hatte,
wurden auf dem diesjährigen Kongress vier
weitere Fachgruppen ins Leben gerufen – zu
den Themenbereichen „Energie & Umwelt“,
„Geoinformation“ und „Rechnungsprüfung
& Controlling“ gesellte sich als viertes eine
Fachgruppe „Personalmanagement“, zu deren
Thematik das Netzwerk Kirchenreform auf
dem zurückliegenden Kongress ein Symposi-
um organisiert hatte.
Auch in diesem Jahr beteiligte sich das
Netzwerk Kirchenreform und bettete die
Jahrestagung in den bewährten Rahmen des
KVI-Kongresses ein, der nun schon zum zwei-
ten mal im Erbacher Hof, dem kirchlichen Ta-
gungszentrum des Bistums Mainz, unweit des
altehrwürdigen Doms stattfand. Zum Einstieg
in unser diesjähriges Thema „Leitungs- und
Führungskultur in der Kirche“ referierte kein
geringerer als der Vorstandsvorsitzender der
Führungsakademie für Kirche und Diakonie
(FAKD) und Geschäftsführer der Bundesa-
kademie für Kirche und Diakonie gGmbH
(BAKD), Prof. Dr. Udo Krolzik aus Berlin. Zur
Eröffnung dieses vierten KVI-Kongresses ver-
mittelte er einen Input zur Krisenpräsenz und
bereicherte die aktuelle Debatte, um diverse
tatsächliche oder herbei geredete Krisen, mit
der religionswissenschaftlichen Dimension
eines „Leitungshandeln zwischen Kairos und
Alarmismus“.
Dabei unterstrich er seine Grundthese,
dass der Alarmismus in der gegenwärtige
Finanz- und Wirtschaftskrise nur bewirke,
dass mögliche Chancen verkannt werden:
„Schwarzmalerei führt dazu, dass Menschen
resigniert die Hände in den Schoß legen“. Er
verglich die vieldiskutierte Wirtschaftskrise
mit einer Epidemie, die ihre bestimmten Pha-
sen in Form von Ausbruch, Höhepunkt und
Abklingen mit sich bringt und in verschieden
stark ausgeprägter Intensität wellenförmig
immer wieder auftritt. Es wird nicht immer
die gleiche Krise sein, sondern neue Wellen
der Krise werden neue Gesichter haben. Sie
werden aus neuen Gründen entstehen und
bedürfen deshalb immer wieder neue und be-
sondere Therapien. Sein kompletter Vortrag
wird in der nächsten Ausgabe dieses Magazins
zu lesen sein.
Zum Auftakt der Netzwerktagung stand
Prof. Krolzik im ersten Programmblock für
Fragen und Diskussion über seinen Vortrag
zur Verfügung und bekräftigte, dass aktuelle
Krisen in der Kirche entstehen, weil die Füh-
rungsstrukturen innerhalb der Kirchen nicht
mehr stimmen. Zudem dauere das Verändern
KVI-Kongress 2009Eine Veranstaltung der
Initiative „Kirche, Verwal-
tung & Informationstech-
nologien“
www.kvikongress.de
Tagungsbeiträge
KircheBewegen - Ausgabe 2 / 2009
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Thema: Regionalisierung
Editorial
Evangelischer Kirchentag 2009
11
einer Führungskultur in der Wirtschaft rund
sechs bis acht Jahre, in der Kirche könne man
für den gleichen Fortschritt mit einem Zeit-
raum von bis zu 25 Jahren rechnen. Entschei-
dende Veränderung muss dabei sein, dass
man die zentrale Steuerung zugunsten flexib-
ler Steuerung vor Ort mit den entsprechenden
ausgelagerten Kompetenzen und Entschei-
dungsbefugnissen aufgibt.
Nach der Feststellung, dass uns Krisen in
der Kirche nun schon seit Jahren beschäftigen
und eine Art von Dauerzustand zu werden
scheinen, kamen im Publik weitere Fragen
auf: Warum reagieren wir seit Jahren nur auf
Krisen, statt aktiv Veränderungen herbeizu-
führen? Und warum gelingt es nicht, eine dau-
erhafte Krisenbewältigung herbeizuführen?
„Die Veränderung ist langwierig, da nicht
nur Strukturen, sondern auch Personen ver-
ändert werden müssen“, erklärte der Referent
und kritisierte, dass bei der Besetzung von
Führungspositionen häufig nur auf die fach-
lichen, nicht aber auf die persönlichen Vor-
aussetzungen geachtet wird. Ein Beispiel ist
der oft vollzogene Aufstieg aus einer Sachbe-
arbeiterposition in eine Führungsrolle. Damit
gewinnt man zwar gute und fachlich qualifi-
zierte Kräfte, aber keine Führungspersönlich-
keiten.
Als weiteres Beispiel führt er aus, dass un-
ter typischen Führungspersönlichkeiten oft
narzisstische Züge vertreten sind. „Aber ein
Übermaß an Narzissmus disqualifiziert für
eine Führungsrolle. Diese Menschen haben
Schwierigkeiten zu delegieren, die Verantwor-
tung auch dort zu lassen, wo sie hingehört
und sorgen so für frustrieren Mitarbeiter. Man
braucht in der Krise glaubwürdige, fähige Füh-
rungspersönlichkeiten. Nur sie schaffen das
notwendige Vertrauen, das zur Überwindung
der Krise führt.“
„Gier frisst Hirn“, kommentierte Dietmar
Krüger von der Bank für Sozialwirtschaft
nicht nur das Verhalten seiner Berufskolle-
gen in der Finanzwirtschaft, sondern auch die
in den USA lange vorherrschende Mentalität
eines „Kaufen auf Pump bis zum Umfallen“.
Zum Einstieg des zweiten Programmblocks
unserer Jahrestagung präsentierte er kurz und
informativ die entscheidenden Etappen der
zurückliegenden Jahre und Monate, die zur
aktuellen Krisensituation in der Finanz- und
Wirtschaftswelt geführt haben und schloss
seine Einführung mit der These, dass ein
freiwilliges Rating und offene Kommunika-
tionsstrukturen das Aufkommen neuer „Kre-
ditblasen“ vorbeugen könne: „Der Erfolg liegt
im wechselseitigen Vertrauen zwischen Bank
und Kunde“.
Da die Sozialwirtschaft eher konservativ
ausgerichtet ist und deshalb „träge“ auf so
manchem Hype in der Finanzbranche rea-
giert, sei sie nun ein stabilisierender Anker in
der Gesamtwirtschaft. Kritisch sieht er aber
die Entwicklungen, dass die Spendenbereit-
schaft insgesamt sinkt und wichtige Banken-
gruppen sich aus dem Segment des Sozialwe-
sens zurückziehen.
In der anschließenden Diskussion wurde
vor allem seine Aussage hinterfragt, dass eine
Privatisierung in den meisten Fällen die bes-
sere Lösung gegenüber einer kommunalen
Trägerschaft darstelle. Einige Zuhörer sahen
eine Privatisierung gerade im Sozialmarkt
besonders skeptisch und forderten hier eine
gesellschaftliche Solidarität ein. Krüger sieht
hingegen einen Vorteil im Ideenwettbewerb:
„Not macht erfinderisch“, und unterstrich
ein anderes Statement aus dem Publikum,
dass entsprechende Kompetenzen gebraucht
werden, um inhaltliche Signale zu setzen und
beispielsweise den Markenkern von Caritas
und Diakonie zu profilieren. In karitativen
oder diakonischen Werken und Einrichtungen
gäbe es oft eine Diskussion um den Spagat
zwischen Nächstenliebe und Profit. Aus seiner
Sicht sei dies aber kein großes Thema: „Der
Gewinn eines Unternehmens ist kein Selbst-
zweck, sonder eine notwendige Grundlage für
eine vernünftige Rücklagenpolitik“.
„Es gibt keine Auferstehung ohne das Ster-
ben“. Das war eines der theologischen Schlag-
lichter, die Dr. Holger Böckel in seinem Input
zum abschliessenden Programmblock der
Tagungsbeiträge
„Leitung und Führung in
der Kirche ist auch eine
Frage der Richtungsent-
scheidungen. In der EKD
legt man momentan
einen großen Wert auf
die Konzentration aufs
Kerngeschäft. Die Kirche
ist aber nicht dazu da,
Pastoren glücklich zu ma-
chen. Das Erfolgskonzept
der Urkirche lag darin,
die Bedürfnisse derer
wahrzunehmen, die in der
Gesellschaft ‚unten‘ und
‚an den Rändern‘ verortet
waren.“
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Thema: Regionalisierung
Editorial
Evangelischer Kirchentag 2009
12
Netzwerktagung ausführte. Unter dem Titel
„Durch Werte führen - gerade in der Krise?“
griff er dabei verschiedene biblische Motive
auf, um Leitungshandeln zu beschreiben. Zum
einen gehe es beim Leiten darum, das Säen
und Ernten, nicht aber das Wachsen an sich,
organisieren zu wollen. Zum anderen könne
gerade auch im wirtschaftlichen Handeln De-
mut und ein Angewiesensein auf Vergebung
ein Zeichen der Stärke sein.
Besondern einprägend war in der abschlie-
ßenden Diskussionsrunde das Statement ei-
nes Teilnehmers, dass sich Führung notfalls
auch von unten neu organisieren kann: „Wenn
die Leitkuh einer Herde Elefanten stirbt, dann
irren die Elefanten zunächst im Kreis und lau-
fen mal der einen oder anderen hinterher, bis
sich schließlich eine damit abfindet, dass die
gesamte Herde hinter ihr herläuft.“
Führung ist vor allem etwas, an dem man
wächst und lernt, weshalb eine Kultur des Ler-
nens wieder gestärkt werden sollte und eine
Balance zwischen „Verantwortung tragen und
dafür auch einsteigen“ und eine gesunde „Of-
fenheit für Fehler und Lernfähigkeit“ gefun-
den werden muss. Wer Führung wahrnimmt,
sollte Treiber sein und nicht Getriebener. Lei-
der wird in der Kirche schnell nur noch über
„Macht und Autorität“ diskutiert, wenn man
sich an dieses historisch geprägte „heiße Ei-
sen“ einer Führungskultur annähert.
Das eine Führung notwendig ist, sollte aber
inzwischen außer Frage stehen. Dabei geht es
aber nicht primär um die Frage, wie man eine
Entscheidung umsetzt, sondern wie man zu
einer Entscheidung kommt. Hier sind Struk-
turen von Leitungsgremien ebenso zu hin-
terfragen wie das Rollenbild von Führungs-
persönlichkeiten. Diese sollten nicht durch
herorische Bilder vom Führen überfordert
werden. Der Fokus muss auf Lern- und Ent-
wicklungsfähigkeit liegen. Dabei kann man
sicherlich auch aus Bereichen der Wirtschaft
lernen, wobei eine wesentliche Erkenntnis
die ist, dass es nicht „die Wirtschaft“ oder „die
Kirche“ gibt, sondern dass sich gerade in der
freien Wirtschaft eine Vielzahl an organisa-
torischen Strukturen und Führungskulturen
entfaltet hat. Hier spielen auch Management-
methoden, Delegationsinstrumente und die
Schulung entsprechender Methodenkompe-
tenzen eine Rolle. Gerade die Kompetenz in
der Nutzung dieser Werkzeuge kommt in der
Kirche aber viel zu kurz: „Die Kirche läuft 20
bis 25 Jahren hinter den Entwicklungen in der
Wirtschaft hinterher“, kommentierte ein Teil-
nehmer die Abschlussdiskussion.
Mission und BildungEin Pladoyer für Glaubenskurse
Ein leidenschaftliches Plädoyer für Glaubens-
kurse hielt Dr. Burghard Krause in seinem
Hauptvortrag auf der diesjährigen Deligier-
tentagung des AMD in Hofgeismar. Er ging da-
bei auch auf das nicht immer spannungsfreie
Verhältnis von Mission und Bildung ein. Sie
finden im Folgenden die ersten vier Haupt-
punkte seines Vortrags, den kompletten Text
finden Sie im Internet: www.a-m-d.de.
1. Mission und Bildung - was haben beide
miteinander zu tun? Sollten sie sich aus dem
Weg gehen, weil sie sich gegenseitig doch nur
stören? Oder brauchen sie einander? Muss
es vielleicht sogar eine enge Verbindung zwi-
schen beiden geben, wenn das Evangelium
nachhaltig unter die Leute kommen soll? Wie
sieht eine bildungsoffene Mission aus? Und
wie eine missionsoffene Bildung? Welche Kri-
terien sind an missionarische Bildungsange-
bote anzulegen, damit Mission ihr Anliegen
nicht verrät und Bildung ihre Standards nicht
einbüßt? Und was hat das alles mit den Glau-
benskursen zu tun, für die sich die AMD so lei-
denschaftlich einsetzt - mit „Emmaus“, „Stu-
fen des Lebens“ und „Christ werden – Christ
bleiben“? Um diese Fragen soll es in meinem
Referat gehen.
2. Mission und Bildung – kein Paar zum
Verlieben. So sah es bislang aus. Man ging sich
geflissentlich aus dem Weg. Evangelische Bil-
dungsträger und evangelistisch motivierte
Missionsfreunde misstrauten sich gegensei-
tig. Eine missionsvergessene Religions- und
Gemeindepädagogik stand einem bildungs-
vergessenen missionarischen Gemeindeauf-
Tagungsbeiträge
KircheBewegen - Ausgabe 2 / 2009
Aktuelle Meldungen
Forschung
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Thema: Regionalisierung
Editorial
Evangelischer Kirchentag 2009
13
bau gegenüber. Vorbehalte blockierten das
Gespräch. Mission mache den Menschen zum
rein rezeptiven Objekt und beraube ihn seines
mündigen Subjektseins in der Auseinander-
setzung mit religiösen Themen – so ein Vor-
wurf der Bildung an die Mission.
Bildung im Raum der Kirche erspare den
Menschen die werbende Einladung zum
Glauben, den Ruf in die Nachfolge und zum
Leben in der Gemeinde – so ein Vorbehalt
der missionarischen Szene gegenüber kirch-
licher Bildungsarbeit. Den Religions- und Ge-
meindepädagogen ging es um ergebnisoffene
Lernprozesse zu Glaubensthemen. Den mis-
sionarisch Engagierten dagegen um ein ganz
und gar nicht offenes Ergebnis: dass nämlich
Menschen tatsächlich zum Glauben finden.
Zwei Welten ohne Korridore. Und so gebärdete
sich die kirchliche Bildungsarbeit lange Zeit
dezidiert missionsresistent. Und die missio-
narische Arbeit zeigte sich am Bildungsthema
kaum interessiert. Heute sehen wir: Das hat
beiden Seiten nicht gut getan.
3. Mission und Bildung - es gibt Anzeichen
dafür, dass sich das zwischen Desinteresse und
Gegnerschaft schwankende Verhältnis zwi-
schen beiden zur Zeit verändert. Allerdings:
Es gibt in beiden Szenen auch Einwände ge-
gen die neue Annäherung. Die Vorbehalte auf
der Bildungsseite will ich hier nicht näher be-
leuchten. Aber die aus dem missionarischen
Lager können wir als AMD nicht übergehen. So
höre ich unter den evangelistisch Engagierten
Stimmen wie: Dürfen wir als AMD dem Bil-
dungsverständnis der Evangelischen Erwach-
senenbildung so einfach die Hand reichen?
Büßen wir nicht in einer Annäherung an die
innerkirchliche Bildungsszene unser missio-
narisches Proprium ein? Suchen wir vielleicht
nur deshalb das Gespräch mit der kirchlichen
Erwachsenenbildung, um Mission in der Kir-
che wieder salonfähig zu machen? Aber um
welchen Preis?
4. Hinter diesen kritischen Einwänden
steht die Angst vor einem missionarischen
Profilverlust als Folge fragwürdiger Kompro-
misse. Das ist ernst zu nehmen. Darum sage
ich gleich zu Beginn: Es kann bei einer neuen
Bestimmung des Verhältnisses von Missi-
on und Bildung nicht darum gehen, dass wir
uns als AMD unhinterfragt einem fremden
Bildungsparadigma unterwerfen, das unser
missionarisches Anliegen verwässert oder ab-
schwächt. Es geht vielmehr darum, im Dialog
mit anderen Bildungsbegriffen ein seriöses ei-
genes, ein missionarisches Bildungsverständ-
nis zu entwickeln und dafür offen zu werben.
Dabei wird sich dann zeigen, ob und wo dieses
Bildungsverständnis anschlussfähig ist.
Aber diese Arbeit an einem missionari-
schen Bildungsbegriff setzt eins voraus: Wir
müssen in der missionarischen Szene endlich
begreifen: Wir haben selbst einen Nachholbe-
darf in Sachen Bildung. Das Bildungsthema ist
ja kein missionsfremdes Thema, das uns von
außen aufgedrängt wird. Es ist unser ureige-
nes, wenn auch oft sträflich vernachlässigtes
Thema seit Anbeginn der Kirche. Denn wo im-
mer Glaube geweckt und gestaltet wird, sind
Bildungsprozesse mit im Spiel. Gerade dieje-
nigen, die Mission wollen, dürfen der damit
verbundenen Bildungsdimension nicht aus-
weichen. Um der Mission willen gilt: Bildung
und Mission gehören zusammen. [ ... ]
Tagungsbeiträge
„Intelligent Transformation“ Ev. Kirchbautag 2009: Kirchenbau und Kirchenreform im 21. Jahrhundert
von Prof. Dr. Thomas Erne
Die EKD unternimmt gegenwärtig den Ver-
such einer Reform der Kirche an Haupt und
Gliedern. Der äußere Anlass sind Zahlen. Die
vorhandenen kirchlichen Strukturen müssen
an sinkende Einnahmen und schwindende
Mitglieder angepasst werden. Dieses „Intel-
ligent Shrinking“ betrifft in einer alternden
Gesellschaft nicht nur die Kirche. Aber für
die Kirche verbindet sich das quantitative
Schrumpfen mit einem Interesse an qualita-
tivem Wachstum. Denn die moderne Selbst-
organisation des eigenen Lebens (U. Beck) hat
zur Folge, dass auch die christliche Religion
unter die Bedingung der Wählbarkeit fällt.
Menschen wählen frei ihre religiösen Orien-
tierungen und sie wählen frei die Art ihrer
Bindung an die Kirche.
Auf diese Herausforderung muss die Kir-
che mit einem Qualitätssprung reagieren,
sowohl bei ihren Inhalten wie in ihrer Orga-
nisationsform. Worin besteht nun bei dieser
„Intelligent Transformation“ der Kirche die
KircheBewegen - Ausgabe 2 / 2009
Aktuelle Meldungen
Forschung
Buchvorstellungen
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Thema: Regionalisierung
Editorial
Evangelischer Kirchentag 2009
14
Bedeutung der Kirchengebäude? Drei Aspekte
scheinen mir wichtig zu sein:
1. Institution Kirchengebäude sind öffentliche Zeichen der
christlichen Religion. Sie stehen für die ge-
samtgesellschaftliche Akzeptanz der Religion,
die der individuellen Wahl des Einzelnen vo-
rausgeht. Das erklärt den hohen öffentlichen
Symbolwert der Kirchengebäude. Die Kirche
kann im Grunde keine Kirche verkaufen oder
abreißen. Sie würde sonst ihre gesellschaftli-
che Basis eigenhändig unterminieren.
2. OrganisationKirchengebäude bleiben aber nur dann öf-
fentliche Zeichen der christlichen Religion,
wenn in ihnen auch attraktive Religionsange-
bote gemacht werden, die für die Menschen
von heute von Belang sind. Darin sehe ich das
Wahrheitsmoment von Luthers Empfehlung,
wo keine lebensrelevante religiöse Kommu-
nikation mehr stattfindet, „solle man dieselbe
Kirche abbrechen, wie man alle anderen Häu-
sern tut, wenn sie nimmer nütz sind“ (Martin
Luther Kirchenpostille). Das Zeichen „Kirchen-
gebäude“ ist auf Dauer nur dann ein öffentli-
ches Zeichen der Religion, wenn in ihnen auch
regelmäßig und verlässlich christliche Religi-
on stattfindet.
3. InteraktionKirchengebäuden wächst unter der Bedin-
gung der freien Wählbarkeit der Religion ein
neue Aufgabe zu. Sie sind zumindest doppelt
codiert: Einerseits sind sie domus ecclesiae,
der Raum für den Gottesdienst einer Ortsge-
meinde, anderseits sind Kirchen „Räume der
Begegnung“ (Kulturdenkschrift der EKD) für
Passanten, für Suchende, Fragende und Neu-
gierige.
Die Kirchengebäude werden als eine Art
„Übergangszone zwischen Innen und Außen“
(U. Wagner-Rau, Auf der Schwelle) in Anspruch
genommen. In ihnen finden Begegnungen
mit christlicher Religion in vielfältigen For-
men und Medien statt, die vom Raumerlebnis
über das Gästebuch bis zur Videoinstallation
reichen, und nicht an die Mitgliedschaft in der
Kirche und die Zugehörigkeit zur Ortsgemein-
de gekoppelt sind.
Aus diesen drei Aspekten ergibt sich die
Aufgabe die strategische Ressource der „Kir-
chengebäude“ zu gestalten, eine Aufgabe,
an der sich das EKD-Institut für Kirchenbau
und kirchliche Kunst der Gegenwart beteiligt
durch die Organisation des Ev. Kirchbautages,
die Herausgeberschaft der Zeitschrift „kunst
und kirche“, die Homepage www.kirchbautag.
de, wissenschaftliche Tagungen, Vorträge und
Workshops in Kirchen und Gemeinden und
durch religionsästhetische Schwerpunkte im
Studium der Evangelischen Theologie an der
Universität Marburg:
a. Erhaltung und Neubau
In Zusammenarbeit mit den kirchlichen
Bauämtern begleitet das Marburger EKD-In-
stitut die Bemühungen, die Kirchengebäude
flächendeckend zu erhalten. Das kann nur in
Kooperation mit Kommunen, Vereinen, Stif-
tungen wie der KiBa gelingen. Zugleich sucht
das Institut, indem es gelungene Beispiele
benennt, den Spielraum für qualitativ neue
Konzepte zu erweitern. Bestimmte Kirchen
müssen sich entwickeln können zu City-, Kul-
tur- und Jugendkirchen, um der Situation der
freien Wählbarkeit religiöser Orientierung
gewachsen zu sein. Und neue Kirchen und
Kapellen müssen an den Orten entstehen, wo
Menschen sie brauchen, um der christlichen
Religion neu zu begegnen, in Neubaugebie-
Prof. Dr. Thomas ErneInstitut für Kirchenbau
und kirchliche Kunst der
Gegenwart , Philipps-
Universität Marburg
www.kirchbautag.de
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Thema: Regionalisierung
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Evangelischer Kirchentag 2009
15
ten, an Autobahnen, auf Flughäfen, in Stadien,
in touristischen Zentren.
b. Nutzungserweiterungen
Das EKD-Institut reflektiert die ekklesio-
logischen Chancen und Risiken, die sich aus
Nutzungserweiterungen von Kirchen ergeben.
Das inhaltliche Zentrum einer Kirche kann ge-
stärkt werden, wenn die religiöse Kommunika-
tion durch die erweiterte Nutzung der Kirche
neu an die sozialen Prozesse in einem Dorf
oder Stadtteil angeschlossen wird. Die Risiken
sind nicht nur ein möglicher Profilverlust der
Kirche, sondern auch ein Verlust an „empty
space“, an zweckfreier Weite. Eine Qualität, die
Kirchenräume als einzige öffentliche Gebäude
in einer Stadt repräsentieren.
c. Religionsästhetik
Die Begegnung mit der christlichen Reli-
gion in den Räumen der Kirche bedarf einer
ästhetisch reizvollen Inszenierung, die reli-
giös von Belang ist. In Zusammenarbeit mit
den Kunstbeauftragten der Landeskirchen
organisiert und reflektiert das Marburger
EKD-Institut das Zusammenspiel der Künste
und der christlichen Religion im Blick auf die
gastfreundliche Gestaltung der Kirchenräume
und im Blick auf neue sinnlich-sinnige Litur-
gien.
Tagungsbeiträge
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Evangelischer Kirchentag 2009
16
Freiraum Region – AlbtraumRegionalisierung? Erste Konsultationen am neuen Standort des Gemeindekollegs der VELKD
von Andreas Brummer
Regionalisierung ist
anders, so das Fazit
einer Arbeitsgruppe
nach dem „Praxistag“
der Konsultation. Sie
vollzieht sich anders
in einem württember-
gischen Kirchenbezirk,
einem hannoverschen Kir-
chenkreis oder einer Region
am Rand des Braunkohleab-
baus in Sachsen-Anhalt. Und
wieder anders im Fusions-
prozess dreier Landeskirchen
oder in der Regionalentwick-
lung zwischen Kommunen
aus Bayern und Thüringen.
Bei all dieser Unterschied-
lichkeit wurden im Verlauf
der Konsultation jedoch auch
gemeinsame Einsichten und
Perspektiven deutlich:
Wer in Regionalisierungs-
prozesse verantwortlich
eingebunden ist, der findet
sich in einem Spannungs-
feld wieder, das sich nicht
einfach auflösen lässt. In ih-
ren „Verortungen“ zu Beginn
der Konsultation haben die
Teilnehmenden dieses Span-
nungsfeld in mehrfacher
Hinsicht beschrieben, z.B. als
Spannung zwischen Inhalt
und Struktur oder zwischen
einer Regionalisierung „von
oben“ (Top down) und einer
„von unten“ (Bottom up) bzw.
zwischen befürchtetem (lo-
kalen) Relevanzverlust und
erhofftem (regionalen) Rele-
vanzgewinn.
Den „Königsweg“ gibt es
nicht. Deutlich ist jedoch: Ex-
terne Beratung gibt Prozess-
sicherheit und sorgt für die
Überschaubarkeit des Prozes-
ses. Darüber hinaus können
landeskirchliche Beratungen
inzwischen auf weitreichen-
de Prozesserfahrungen und
ausgefeilte Methoden und
Werkzeuge (z.B. der geogra-
phischen Statistik) zurück-
greifen. Horst Bracks von der
Gemeindeakademie in Rum-
melsberg und Mathias Besser
vom Erlanger Civos-Institut
haben dies am Beispiel der
Dekanatsberatung in Bayern
aufgezeigt. Auch die befris-
tete Anstellung einer Orga-
nisationsentwicklerin auf
Kirchenkreisebene – wie im
Kirchenkreis Burgwedel-Lan-
genhangen – bietet die Chan-
ce zu einem passförmigen
„Prozessdesign“.
Fixierungen auf die Orts-
gemeinde sind nicht weiter-
führend. Bereits vom Neuen
Testament her lässt sich die
Anfrage an eine „Ortskir-
chenromantik“ stellen. Lan-
desbischof Kähler machte in
seinem Vortrag deutlich, dass
Paulus über die Gemeinde hi-
naus gedacht hat (vgl. z.B. 2.
Kor 1,1), und verwies auf übe-
rörtliche Organisationsmerk-
male urchristlicher Gruppen.
Kommunale Prozesse
vollziehen sich – durch pro-
fessionelles Regionalmanage-
ment gestützt – häufig par-
allel zu kirchlichen, werden
aber kirchlicherseits kaum
wahrgenommen. Kirchliche
Prozesse bleiben so oft bin-
nenorientiert, wechselseitige
Lernprozesse bzw. Koope-
rationen finden kaum statt.
Frank Neumann vom Inge-
nieurbüro für Planung und
Umwelt in Erfurt zeigte auf,
welche Chancen sich im Blick
auf Beteiligung, die Erschlie-
ßung von Finanzmitteln oder
die Mitgestaltung des öffent-
lichen Raumes ergeben könn-
ten.
Hilfreich ist eine verän-
derte Wahrnehmung der Am-
bivalenzen und Spannungen
im Handlungsfeld der
Regionalisierung. Profes-
sor Jan Hermelink knüpfte in
diesem Zusammenhang an
den Begriff der „konziliaren
Zusammenkünfte“ bei Ernst
Lange an, der Differenz und
Dissens nicht als Defizit, son-
dern als Ausdruck der Leben-
digkeit von Kirche deutet. Die
Inszenierung des Konflikts
erweist sich auf diesem Hin-
tergrund als eine erste und
notwendige Aufgabe auf dem
Weg zum „Mehrwert der grö-
ßeren Wahrheit“.
Regionalisierung braucht
geistliche Verankerung.
Wo die gottesdienstlichen
Formen, die der Kirche zur
Verfügung stehen, selbstver-
ständlich und zweckfrei ge-
nutzt werden, können sie zu
Ressourcen auch in Regiona-
lisierungskonflikten werden.
Der „Mehrwert der Regio-
nalisierung muss reale oder
befürchtete Nachteile deut-
lich übersteigen“, so ein Teil-
nehmer in seinem Tagungsfa-
zit. In den Diskussionen und
Arbeitsgruppen, aber auch in
den informellen Begegnun-
gen im Zinzendorfhaus wa-
ren die Teilnehmerinnen und
Teilnehmer diesem Mehr-
wert auf der Spur. Sie gingen
mit „geschärftem Blick für
die örtliche Situation“ nach
Hause, wie es eine Teilneh-
Thema: Regionalisierung
KircheBewegen - Ausgabe 2 / 2009
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Forschung
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Service
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Editorial
Evangelischer Kirchentag 2009
17
merin in ihrem Feedback
formulierte. Deutlich wurde
in Neudietendorf aber auch:
Der Austausch über landes-
kirchliche Binnenhorizonte
hinweg ist weiterhin nötig
– Regionalisierung bleibt ein
Kundschafterthema.
www.gemeindekolleg.de
(Beitrag aus „Kirche in Bewe-
gung“, Mai 2009)
Pro Provincia
von Albert Herrenknecht
Das ländliche Entwicklungs-
büro „PRO PROVINCIA“ beschäf-
tigt sich seit über 30 Jahren
mit der „Binnenmodernisie-
rung ländlicher Räume“ und
der daraus folgenden „sozio-
kulturellen Ausdifferenzierung
der ländlichen Bevölkerung“.
Zur sozialräumlichen und so-
ziologischen Beschreibung die-
ses Erweiterungsprozesses wur-
de von PRO PROVINCIA in den
1990er Jahren der Begriff des
„Regionalen Dorfes“ (weitere
Informationen, siehe: www.pro-
provincia.de / Link: Regionales-
Dorf) geprägt.
Das „Regionale Dorf“ hat
inzwischen auch die Dorf-Kir-
che erreicht. Das Dorf ist inzwi-
schen - fast überall - eine Mi-
niatur der Gesamtgesellschaft
geworden: Noch nie in der
Dorfgeschichte gab es so viele
unterschiedlichen Berufsarten,
Wohnstile und Alltagsleben wie
im heutigen „Regionalen Dorf“
(Albert Herrenknecht).
Dieser Binnenmodernisie-
rungsprozess läuft auch an der
Dorfkirche nicht vorbei, son-
dern geht teilweise mitten
durch diese hindurch. Die „Re-
gionalisierung der Kirche“ ist
also nicht nur eine „räumliche
Frage“ zwischen Pfarrerpräsenz
vor Ort oder regionaler Zentra-
lisierung, sondern auch ein „in-
nerörtlicher Prozess“ einer im-
mer breiteren sozio-kulturellen
Ausdifferenzierung der (Kir-
chen-)Bevölkerung. Diese zwei-
te Seite (die „inner-örtliche Re-
gionalisierung zu Dorf-Kirchen
in der Kirche“) wird in der ak-
tuellen „Regionalisierungsde-
batte“ um Kirche leider bisher
vollkommen vernachlässigt.
Die neue plurale Zusam-
mensetzung der regionalen
Dorfgesellschaft hat auch den
Blick auf die lokale Dorf-Kir-
che grundlegend verändert. Die
neuen Lebensformen der Dorf-
bewohner haben neue Ansprü-
che, aber auch neue Distanzen,
zur Kirche und zur Arbeit der
Kirchengemeinde geschaffen.
Welche Ansprüche haben
die neu-entstandenen dörfli-
chen Kulturkreise im heutigen
„Regionalen Dorf“ an Kirche ?
Wie das heutige Verhältnis
der unterschiedlichen dörfli-
chen Kulturkreise (= der „Alt-
Dörfler“, der „Neu-Dörfler“, der
„Emanzipierten Dörfler“ und der
„Dorf-Rand-Dörfler“) zur loka-
len Kirche und Kirchengemein-
de vor Ort ist, kann im PRO-
PROVINCIA-Workshop „KIRCHE
IM REGIONALEN DORF“ unter-
sucht und erarbeit werden.
Aus ihm heraus werden
wichtige Erkenntnisse ge-
wonnen, wie plural inzwi-
schen das Kirchenbild im
heutigen Dorf aus Sicht der
Bürger geworden ist und wie
die Kirche(ngemeinde) mit die-
ser pluralen Sichtweise heute
richtigerweise umgehen sollte.
Der Workshop hilft dabei,
die neue Realität von Kirche im
heutigen Dorf in vollem Um-
fang zu erfassen und die statt-
gefundenen Verschiebungen
genauer zu analysieren. Die
neue Kirchen-Wahrnehmung
kommt sozusagen in der neu-
en Wirklichkeit des „Regionalen
Dorfes“ an.
Welche unterschiedlichen
orts-kirchlichen Interessens-
gruppen gibt es bereits im heu-
tigen „Regionalen Dorf“ ?
Ein weiterer PRO-PROVIN-
CIA-Workshop befasst sich mit
den heute bereits in jedem Dorf
bestehenden unterschiedli-
chen „ORTS-KIRCHLICHEN IN-
TERESSENSGRUPPEN IM REGI-
ONALEN DORF“. Unter diesem
Begriff werden inzwischen die
sehr ausdifferenzierten, unter-
schiedlichen Nutzer-Interessen
an Kirche im Dorf verstanden,
also das ganze Spektrum der
Ansprüche und Erwartungen,
aber auch der Distanzierungen
und Ablehnungen an eine zeit-
gemäße „Dorfkirche“, bzw. „Re-
gionalkirche“ thematisiert.
Dieser neue Ansatz schafft
den dringend notwendigen
Perspektivwechsel innerhalb
der bisher einseitig aus dem
„Kirchturmsblick“ (d.h. vom
Blickwinkel der Kirche auf das
Dorf) geführten Kirchendebat-
te, deren Hauptfrage immer
vorschnell lautet: „Wie können
wir mehr Leute für die Kirche
(zurück)gewinnen ?“
Anstatt immer nur vom
Pfarrhaus und vom Kirch-
„Dorf-Kirche im Regionalen Dorf“Eine dorf-gemeindliche Betrachtung der Kirchenthematik
Thema: Regionalisierung
KircheBewegen - Ausgabe 2 / 2009
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Editorial
Evangelischer Kirchentag 2009
18
turm aus auf die Christenschar
der Dorfbewohner zu schau-
en, wird hier der „Gegen-Blick“
(d.h. vom Dorf und seinen Be-
wohnerinteressen) auf die
Kirche(ngemeinde) gewagt und
gefragt: „Welche Kirche wollen
eigentlich die heutigen Dorfbe-
wohner ?“
Dieser Workshop hilft dabei,
das bisher kaum thematisierte
„Selbstbild der Kirche vor Ort“
kritisch zu hinterfragen und ge-
nauer auszuloten, wie weit die
Kirche noch in den Lebensalltag
der Menschen hineinreicht und
wie die Dorfbewohner selbst
heute ihr „Kirche-Sein“ definie-
ren und leben wollen.
Beide „Workshops“ garantie-
ren, dass alle Teilnehmer in ei-
ner tiefgründigen Diskussion
der Thematik einen klaren, lo-
kal-verwertbaren Erkenntnis-
gewinn erzielen, indem ihnen
sozusagen eine „Brille“ für den
schärferen Blick auf „ihre Dorf-
Kirche“ verpasst wird. Der klei-
ne Nachteil dabei ist: Keiner
wird sein eigenes Dorf danach
mehr mit den gleichen Augen
sehen, sondern immer wieder
diesen in den Workshops er-
lernten „analytischen Blick“ an-
wenden.
Das PRO PROVINCIA – Mo-
dul: „DORF-KIRCHE IM REGI-
ONALEN DORF“ umfasst diese
beiden Workshop-Angebote, die
separat umgesetzt, aber auch
im Paket (als „Doppel-Work-
shop“) gebucht werden können.
Es ist auch möglich, Teile dar-
aus nur als Vortrag oder als Se-
minarteil (Referat, Arbeitsgrup-
pen-Einstieg usw.) „zu leasen“,
oder einen eigenständigen Bei-
trag zur Thematik: „Kirche im
heutigen Dorf – Annäherung
an die dorf-kirchliche Realität
im Regionalen Dorf“ erarbeiten
zu lassen.
Der besondere Analyse-An-
satz von PRO PROVINCIA könn-
te auch dazu genutzt werden,
die unterschiedlichen Inter-
essensfraktionen im Dorf (z.B.
zur Frage: „Die Kirche muss im
Dorf bleiben - die wahre Dorf-
kirche kann nur eine Ortskirche
sein !“) genauer auszuloten und
das „Für-und-Wider“ der Kir-
chengemeinde-Zusammenle-
gung von Seiten der Bürgerin-
teressen her differenzierter zu
betrachten.
PRO PROVINCIA versteht
sich als ländliches Entwick-
lungsbüro in alter ländlicher
Handwerkstradition, d.h. wir
fertigen - auf den jeweiligen Be-
darf hin - maßgeschneiderte
Veranstaltungs- und Vortrags-
modelle an. Sollten Sie Inter-
esse an einer Zusammenarbeit
haben, so bitte wir um eine
diesbezügliche Anfrage.
Buchbesprechung in der „Bestenliste 2009“ von PRO-REGIO-ONLINE
Obwohl das Thema „Regio-
nalisierung“ für die Kirchen ei-
gentlich kein neues Thema ist,
sondern bereits seit den 1970er
Jahren immer wieder diskutiert
wird, hat es sich in den letzten
Jahren zu dem zentralen Struk-
turthema sowohl in der evan-
gelischen, als auch in der ka-
tholischen Kirche entwickelt.
Die Ursachen für die aufgebro-
chene, inzwischen sehr breite
„Regionalisierungsdebatte“ in
den beiden Volkskirchen liegen
zum einen in den innerkirchli-
chen Verschiebungen (wie z.B.
im Rückgang der Kirchenmit-
glieder, in den sinkenden Kir-
chensteuereinnahmen und in
dem - vor allem bei den Katho-
liken - eingetretenen Priester-
mangel) begründet, zum an-
deren sind sie die Folge von
stattgefundenen Verschiebun-
gen im gesellschaftlichen Be-
zug zur Kirche (wie z.B. der, im
rapiden Schwund der Kirchen-
besucher allgemein-spürbaren
Relevanzkrise von Kirche vor
Ort, der zunehmenden Ausdif-
ferenzierung der kirchlichen
Nutzermilieus und der neu-
en und gestiegenen Erwartun-
gen an das Pfarramt). Hinzu
kommt, dass sich in einigen Kir-
chengemeinden im Zuge die-
ser Prozesse und des allgemei-
nen demographischen Wandels
die lokale Kirchengemeinde be-
reits zu einem kleinen Kreis ei-
ner alternden Kerngemeinde
(quasi zu einem „ekklesiologi-
schen Altersheim“) herunterge-
schrumpft hat, die Kirche lokal
nur noch in einer Art „Club-
und Wagenburgmentalität“
pflegt und damit jegliche Öff-
nung und Veränderung erstickt.
Das idyllische Bild, dass unter
jedem Kirchturm ein Pfarrer
sitzt, ist häufig nicht nur nicht
mehr finanzierbar, sondern
auch von Seiten der alltäglichen
praktischen Bedeutung der Kir-
che vor Ort auch nicht mehr zu
rechtfertigen, d.h. die Notwen-
digkeit zur Regionalisierung ist
auf breiter Front gegeben. Das
Problem dabei ist, dass der Be-
griff der „Regionalisierung“
heute in Regel – wie es beim
einst auch eher positiv–besetz-
ten Begriff der „Reform“ eben-
falls der Fall war – inzwischen
eher negative Assoziationen
hervorruft und zum Synonym
für Zwangsfusion, Gemein-
deauflösung oder den Abbau
von hauptamtlichen Stellen im
kirchlichen Arbeitsbereich ge-
worden ist. Gegen diese „Enteig-
nungs-Ängste“ hat es die Regio-
nalisierung schwer, ihre Vorteile
einer profilierten und struktu-
rierten Aufgabenverteilung zu
Thema: Regionalisierung
Stefan Bölts, Wolfgang
Nethöfel (Hrsg.)
Aufbuch in die RegionKirchenreform zwischen
Zwangsfusion und profi-
lierter Nachbarschaft
ISBN 978-3-936912-88-3
Preis: 26,80 Euro
KircheBewegen - Ausgabe 2 / 2009
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Editorial
Evangelischer Kirchentag 2009
19
vermitteln. Gerade im ländli-
chen Raum kommt bei vielen
älteren Gemeindebewohnern
noch die „traumatische Erfah-
rung“ mit den negativen Fol-
gen der Gebietsreform und der
dauerhaften infrastrukturellen
Ausdünnung hinzu: Nachdem
den Dörfern ihre Eigenständig-
keit und Selbstversorgung ge-
raubt wurde, will nun auch die
Kirche – als die letzte verblie-
bene Basis einer Großorgani-
sation im Dorf – ihre Bastion
räumen, sich, als meist noch
einziger Kulturträger, Begeg-
nungsort und Orientierungs-
punkt in der Fläche, davonma-
chen. „Die Kirche muß im Dorf
bleiben !“ wird für diese, meist
älteren, Kirchengemeindemit-
glieder zu einer zweiten Glau-
bens- und Glaubwürdigkeitsfra-
ge für und an ihre Institution.
Sie sind mit der felsenfesten
Einheit von Ort und Kirche, mit
dieser lokal-eingebetteten Paro-
chie, mit der klaren Parole: „Ein
Dorf – ein Pfarrer“, aufgewach-
sen und können und wollen
sich eine Kirche außerhalb die-
ser Ordnung nicht vorstellen.
Sie sind auch kaum umzustim-
men mit den Argumenten der
Regionalisierungs-Befürwor-
ter, die ins Felde führen, dass
die Dörfer heute längst mobi-
le Orte, eingebunden in eine re-
gionale Arbeitsteilung, mit sehr
ausdifferenzierten Bürgerinte-
ressen, geworden sind und die
Kirche dieser neuen Komplexi-
tät und Realität auch in ihrem
Angebot und in ihren Organi-
sationsstrukturen endlich fol-
gen sollte.
Der „Regionalisierungs-
kampf“ in der Kirche tobt also
weiter und ihre „neue regi-
onale Subjektwerdung“ zwi-
schen „Heimatmuseum und
Zukunftswerkstatt“ wird an-
dauern. Gleichzeitig ist festzu-
stellen, dass es, obwohl es zu
diesem Thema inzwischen Re-
formpapiere, Studien und Ar-
beitshilfen zuhauf gibt, diese
offensichtlich an der Kirchen-
basis kaum Beachtung finden.
Die Kirche hat ein Kommuni-
kationsproblem das darin liegt,
ihren Mitgliedern ihre Reform
nicht klar verständlich und
nachvollziehbar machen zu
können. Diese Diskrepanz war
eines der Motive, diesen Sam-
melband aufzulegen, um der
breiter werdenden Schar von
Interessierten diesen, bisher
primär auf der kircheninternen
Funktionärs- und Wissenschaft-
sebene geführten, Diskurs zu-
gänglich zu machen. Der Rea-
der versammelt sowohl ältere
grundlegende Artikel, als auch
aktuell-erstellte Einzelbeiträge
zum Thema, stellt sowohl ana-
lytische Beiträge, als auch Er-
fahrungsberichte vor und bie-
tet auf seinen umfangreichen
475 Seiten eine Fülle von Anre-
gungen, Diskussionsbeiträgen
und Praxisansätzen zum The-
ma „Regionalisierung“. Obwohl
das Buch primär die Kirchen-
diskussion innerhalb der evan-
gelischen Kirche wiedergibt,
befinden sich in ihm auch Ar-
tikel zur Regionalisierungspra-
xis aus der katholischen Kirche.
Die beiden Volkskirchen sind
also in der „Frage der Regiona-
lisierung“ wieder ökumenisch
vereint.
Der große Verdienst dieses
Sammelreaders ist, dass er mit
dieser sehr guten Zusammen-
stellung der teilweise bisher
nur in einzelnen Fachzeitschrif-
ten oder kircheninternen Mate-
rialsammlungen, Leitfäden und
Richtlinien, geführten Diskussi-
on diese nun öffentlich zugäng-
lich macht und sie damit quasi
in den öffentlichen Gemeinde-
raum hinein rück-überträgt.
Ein wichtiges Buch für alle Kir-
chenmitglieder, Kirchenenga-
gierten und Kircheninteressier-
ten, die sich zur Kirche vor Ort
Sorgen, Gedanken oder Reform-
wünsche machen und vor allem
für die Kirchengemeinden und
Bürger in den Dörfern, für die
es die Chance bietet, aktiv und
informiert an dieser Struktur-
debatte teilzuhaben und teilzu-
nehmen. Dieses Buch wird von
uns zur breiten Lektüre und
Diskussion empfohlen und ge-
hört daher zurecht auf Platz 3
unserer BestenListe.
www.pro-regio-online.de
Thema: Regionalisierung
Regionale Kooperation undFusion Ein Ratgeber für Gemeinden in der Reihe Gemeindepraxis
Buchbesprechung von Kerstin Neddermeyer
Der sehr handliche und pra-
xisorientierte Band „Regiona-
le Kooperation und Fusion“
von Dieter Pohl liest sich wie
ein Bericht gelingender Bera-
tungsarbeit.
Nach grundlegenden Ge-
danken zur Entstehung und
Entwicklung von Kirche und
Gesellschaft, nach der Suche
einer Orientierung in diesem
Veränderungsprozess, der
einer Kirche Jesu Christi an-
gemessen ist, beschreibt der
Autor mögliche Perspektiven
für die Zusammenarbeit von
Gemeinden. Die besondere
Aufmerksamkeit legt Dieter
KircheBewegen - Ausgabe 2 / 2009
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Forschung
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Tagungsbeiträge
Editorial
Evangelischer Kirchentag 2009
20
Impressum
Redaktion (ViSdP): Stefan Bölts <stefan.boelts(at)netzwerkkirchenreform.de>
Redaktionsadresse: Netzwerk Kirchenreform, Postfach 1165, 61477 Glashütten
Autoren dieser Ausgabe: Stefan Bölts, Andreas Brummer, Prof. Dr. Thomas Erne, Albert Herrenknecht, Martin Horstmann, Kerstin Neddermeyer, Elke Neuhausen, Dr. Burghard Krause, Gerhard Regenthal,
Johannes Röser.
Internet: www.netzwerk-kirchenreform.de
Sprecher des Netzwerks: Prof. Dr. Wolfgang Nethöfel, Propst Dr. Sigrud Rink
Vertrieb: Sie können dieses Magazin auf der Internetseite des Netzwerks Kirchenreform online abonnieren und auch wieder abbestellen: http://www.kirche-bewegen.de
Pohl dabei auf die Zukunfts-
fähigkeit von Gemeinden, die
ihre Arbeit miteinander ver-
knüpfen. Die Erarbeitung re-
gionaler Handlungsfähigkeit
steht somit im Mittelpunkt
der Perspektiventwicklung,
die in diesem Buch angebo-
ten wird.
Von einer klaren und
unerbittlichen Analyse der
Ist-Situation in der Evange-
lischen Kirche im Rheinland
führt der Weg über die Bil-
dung von Regionen bis hin
zu Zusammenschlüssen von
Kirchengemeinden.
Gedacht ist das Buch „Re-
gionale Kooperation und
Fusion“ als Ratgeber für Ge-
meinden, die sich in die Ver-
änderung begeben wollen.
Wie weit dieser Band das leis-
ten kann, weiß ich nicht zu
sagen. Viele Überlegungen
zum Verlauf der Sitzungen
und des Prozesses scheinen
mir an Beratende gerichtet
zu sein, oder doch zumindest
Handelnde im Blick zu haben,
die prozessorientiert planen.
Durch die Anbindung der
Prozessschritte an einen kon-
kreten Beratungsfall wird der
Lesende auf der einen Seite
gut in den Veränderungsver-
lauf dieser Kirchengemeinde
hinein genommen. Auf der
anderen Seite bleibt aber die
Perspektive der Entwicklung
eng an dieser konkreten Situ-
ation gebunden. Bei dem sehr
emotional besetzten Thema
der Vereinigung wird den Fra-
gen der Konfliktbearbeitung
und Trauerarbeit nur wenig
Raum zugedacht und die an-
gebotenen Hilfen bleiben in
allgemeinen Aussagen zum
Kommunikationsgeschehen
stecken.
Dieter Pohl stellt jedoch
bewährte Arbeitsmaterialien
vor und stellt den Beraten-
den 26 Schaubilder zur Wei-
terarbeit zur Verfügung. Die
Erläuterungen zu den Schau-
bildern helfen, den Anwen-
dungsrahmen der einzelnen
Schritte gut nachzuvollzie-
hen.
Den Abschluss der Dar-
stellung bildet konsequen-
terweise die Empfehlung
einer Gestaltungshilfe zur
Feier eines Gottesdienstes
zur Schließung einer Gottes-
dienststätte.
Für die Beratungspraxis
ist diese Materialsammlung
eine schöne Ergänzung zum
eigenen Planen.
Dieter Pohl
Regionale Kooperation und FusionEin Ratgeber für Gemeinden
Reihe Gemeindepraxis, Bd. 3
Preis 12,80 Euro
Paperback
184 Seiten mit zahlreichen
Checklisten
ISBN 978-3-374-02649-4
Evangelische Verlagsanstalt
Leipzig
Thema: Regionalisierung
KircheBewegen - Ausgabe 2 / 2009
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Thema: Regionalisierung
Tagungsbeiträge
Editorial
Evangelischer Kirchentag 2009
21
Forschung
Suchet der Stadt Bestes!Studie zu Erfolgsfaktoren in der Gemeinwesendiakonie
von Martin Horstmann und Elke Neuhausen
Das Sozialwissenschaftliche Institut der EKD
(SI) führt, in Kooperation mit dem Kirchen-
amt der EKD und dem Diakonischen Werk der
EKD, von Sommer 2008 bis Ende 2009 ein
Forschungsprojekt zur Gemeinwesendiakonie
durch. Ziel ist es, Erkenntnisse über gemein-
wesendiakonische Arbeit zusammenzutra-
gen, um theoriegeleitete Empfehlungen für
die Praxis ableiten zu können.
Im Bereich von Kirche und Diakonie stößt
man zunehmend auf Hinweise zur Gemein-
wesendiakonie, wenn auch nicht dem Namen
nach, so zumindest von der Sache her. Bisher
gibt es allerdings noch wenig systematische
Erkenntnisse über die Gemeinwesendiakonie.
Mit dem Forschungsprojekt nimmt das
SI nun die Gemeinwesendiakonie sozialwis-
senschaftlich in den Blick. Im Frühjahr und
Sommer 2009 werden an sechs Standorten
gemeinwesendiakonisch ausgerichtete Pro-
jekte mit Methoden der qualitativen Sozial-
forschung untersucht. Von November 2008
bis Januar 2009 startete eine deutschland-
weite Abfrage zu gemeinwesendiakonischen
Projekten.
Diese Abfrage wurde speziell für die Aus-
wahl der Untersuchungsstandorte konzipiert.
Aufgrund der positiven Rückmeldungen
möchten wir jedoch über die Projektauswahl
hinaus einige Ergebnisse der Abfrage vorstel-
len. Dadurch ergeben sich Einblicke in die ge-
meinwesendiakonische Projektlandschaft von
Kirche und Diakonie. Die zusammengetrage-
nen Ergebnisse können nicht den gegenwär-
tigen Stand der Gemeinwesendiakonie abbil-
den, bieten aber Aufschlüsse über Trends.
Der Begriff Gemeinwesendiakonie be-
schreibt eine Gestalt kirchlich-diakonischer
Arbeit, die von Kirchengemeinden, diakoni-
schen Diensten und Einrichtungen gemein-
sam getragen wird. Gemeinsames Handeln
von verfasster Kirche und organisierter Dia-
konie setzt eine strategische Zusammenar-
beit voraus, um so Klienten-, Mitglieder- und
Gemeinwesenorientierung in Balance zu
bringen. Wir unterscheiden zwischen den Be-
griffen Gemeinwesenarbeit und Gemeinwe-
senorientierung. Gemeinwesenorientierung
bezeichnet eine „Öffnung einer Institution
zum Stadtteil hin, um deren Arbeit effektiver
zu machen, z.B. Öffnung der Schule, Dezentra-
lisierung psychosozialer Dienste, stadtteilori-
entierte Volkshochschularbeit“. Synonym wird
der Begriff der Statteilorientierung verwendet.
Der Begriff Gemeinwesenarbeit geht über eine
bloße Gemeinwesenorientierung hinaus und
wird definiert als „eine sozialräumliche Stra-
tegie, die sich ganzheitlich auf den Stadtteil
und nicht pädagogisch auf einzelne Individu-
en richtet. Sie arbeitet mit den Ressourcen des
Stadtteils und seiner Bewohner, um seine De-
fizite aufzuheben. Damit verändert sie dann
allerdings auch die Lebensverhältnisse seiner
BewohnerInnen“.
In der Theorie zur Gemeinwesenarbeit
wird grundsätzlich zwischen dem Arbeits-
feld Gemeinwesenarbeit und dem Arbeits-
prinzip Gemeinwesenarbeit unterschieden.
Beim Arbeitsfeld Gemeinwesenarbeit rücken
vor allem die beteiligten Institutionen und
Personen in den Vordergrund, beim Arbeits-
prinzip Gemeinwesenarbeit handelt es sich
um eine grundsätzliche Herangehensweise
an soziale Problemlagen. Gemeinwesenar-
beit als Arbeitsprinzip wird gegenwärtig im
Zusammenhang mit einer Sozialraumorien-
tierung diskutiert. Diese „hebt die klassische
Abgrenzung von Fallarbeit, Gruppenarbeit
und Gemeinwesenarbeit auf und integriert
die Arbeitsformen der Sozialen Arbeit zu ei-
nem mehrschichtigen Ansatz“. Der Begriff der
Sozialraumorientierung umfasst damit auch
den Begriff der Gemeinwesenarbeit. Früchtel/
Cyprian/Budde verstehen Sozialraumorien-
tierung als integrierten mehrdimensionalen
Arbeitsansatz, der folgende sechs theoretische
Konzepte aufgreift: Lebensweltorientierung,
Empowerment, Neue Steuerung, Organisa-
tionsentwicklung, Soziales Kapital und eben
das Arbeitsprinzip der Gemeinwesenarbeit.
Wenn wir im Folgenden von Gemeinwe-
senorientierung sprechen, meinen wir damit
die Ausrichtung der kirchlich-diakonischen
Akteure auf das Gemeinwesen hin. Einerseits
um dessen Ressourcen zu nutzen, anderer-
seits um vor Ort Wirkung zu erzielen. Dazu
bedarf es der Vernetzung mit weiteren Ko-
operationspartnern vor Ort. Kooperationen
sollen nicht ausschließlich Versorgungsstruk-
turen optimieren, sondern eine eigenständige
Die komplette Studie mit
der Auswertung und allen
Ergebnissen erhalten Sie
beim Sozialwissenschaftli-
chen Institut der EKD:
www.si-ekd.de
KircheBewegen - Ausgabe 2 / 2009
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Editorial
Evangelischer Kirchentag 2009
22
Form vernetzter kirchlich-diakonischer Arbeit
ermöglichen, um im Gemeinwesen selbst eine
Wirkung zu entfalten.
Das unsere Abfrage leitende Verständnis
von Gemeinwesendiakonie geht von drei zen-
tralen Aspekten aus:
Gemeinwesendiakonisches Handeln als ge-meinwesenorientiertes Handeln:
Gemeinwesenorientierung bezeichnet
die Öffnung zum Gemeinwesen hin. Dies
geschieht durch Kooperationen im Gemein-
wesen, den Einbezug von Ressourcen vor Ort
und der Vernetzung verschiedener Akteure,
auch über die Bereiche von verfasster Kirche
und organisierter Diakonie hinaus.
Gemeinwesendiakonisches Handeln als ge-meinsames Handeln von verfasster Kirche und organisierter Diakonie:
Erst wenn kirchliche und diakonische
Akteure gemeinsam Verantwortung vor Ort
und für den Ort wahrnehmen, kann von Ge-
meinwesendiakonie gesprochen werden. Eine
sozialräumliche (Neu-)Ausrichtung diakoni-
scher Einrichtungen oder die Ausweitung der
Gemeindeaktivität zur Gemeinwesenaktivität
sind in unserem Verständnis noch kein ge-
meinwesendiakonisches Engagement.
Gemeinwesendiakonisches Handeln als stra-tegisches Handeln der beteiligten Akteure:
Die Beteiligten begreifen ihr gemeinwe-
sendiakonisches Engagement als strategi-
sches und nicht als bloß zufälliges Handeln.
Davon unbenommen bleibt, dass dieses Han-
deln durchaus zufällig und situativ entstehen
kann. Um in unserem Verständnis tatsächlich
von Gemeinwesendiakonie sprechen zu kön-
nen, bedarf es allerdings der bewussten Ent-
scheidung, dieses Handeln als strategisches
Handeln zu begreifen.
In einem zeitlichen Rahmen von Novem-
ber 2008 bis Januar 2009 erfolgte eine bun-
desweite Abfrage unter dem Titel „Suchet der Stadt Bestes!“ Studie zu Erfolgsfaktoren in der Gemeinwesendiakonie: Modellprojekte gesucht!
Der Fragebogen erfasst Projektträger, in-
haltliche Projektschwerpunkte, Laufzeit des
Projektes, zur Verfügung stehende Räumlich-
keiten und Personal, beteiligte Kooperations-
partner und die Projektfinanzierung.
Eine Schwierigkeit bestand für uns darin,
dass wir die Abfrage nicht direkt an die Tätigen
in der Gemeinwesendiakonie richten konn-
ten. Gegenwärtig gibt es keine (überregional)
organisierte Struktur der gemeinwesendiako-
nisch Tätigen in Deutschland. Daher wurde
die Abfrage per Email an folgende Fachkreise
gesandt mit der Bitte um Weiterleitung an Be-
teiligte in der Gemeinwesendiakonie:
› Referenten des Diakonischen Werks
der EKD
› Referenten bzw. Kontaktpersonen der
Diakonie-Landesverbände für den
Bereich „Soziale Stadt“,
› Diakonie-Referenten der Landeskirchen,
› eingetragene Teilnehmer des Netzwerks
„Diakoniekirchen in Europa“.
Die Anforderung an die Projektstandorte be-
stand in der Beteiligung von Akteuren aus
dem Bereich der verfassten Kirche, der or-
ganisierten Diakonie und aus dem sozialen,
politischen oder wirtschaftlichen Bereich.
Außerdem sollen die Projekte gemeinwesen-
orientiert ausgerichtet sein. Inhaltlich wurde
die Gemeinwesenorientierung nicht näher be-
stimmt und operationalisiert; an dieser Stelle
genügt die Selbstdefinition der Projektbetei-
ligten.
Aus der Auswertung der Fragen zu Träger-
struktur, Finanzierung und Kooperationspart-
nern ließen sich vier verschiedene Typen von
Kooperationen erkennen und eindeutig un-
terscheiden:
› Kooperation zwischen Akteuren der
verfassten Kirche und der organisierten
Diakonie, die sich zum Gemeinwesen hin
öffnen, aber über keine weiteren Koope-
rationspartner außerhalb von Kirche und
Diakonie verfügen.
› Kooperation zwischen Akteuren der
verfassten Kirche und der organisierten
Diakonie, die sich zum Gemeinwesen hin
öffnen und darüber hinaus über weitere
Kooperationspartner im Gemeinwesen
verfügen.
› Kooperation zwischen Akteuren organi-
sierter Diakonie, die sich zum Gemeinwe-
sen hin öffnen und mit weiteren Akteuren
im Gemeinwesen kooperieren, allerdings
ohne expliziten Einbezug kirchlicher
Akteure.
› Kooperation zwischen Akteuren verfass-
ter Kirche, die sich zum Gemeinwesen
hin öffnen und mit weiteren Akteuren
im Gemeinwesen kooperieren, allerdings
ohne expliziten Einbezug von Akteuren
der organisierten Diakonie.
Forschung
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Buchvorstellungen
Gottesdienst feiern -aber wie?
Keine christliche Gemeinde
ohne Gottesdienst. Aber was
macht den Gottesdienst zum
Gottesdienst? Und wie feiern
Christen im dritten Jahrtau-
send? Pfarrer Johannes Eiß-
ler, Prälat Ulrich Mack, Refe-
rentin Martina Liebendörfer
u.a. erzählen von Erfahrun-
gen in ihren Gemeinden.
Theologisch fundierte und
praktische Beiträge runden
die persönlichen Statements
ab. So wird verständlich, was
Gottesdienst ausmacht und
wie man ihn attraktiv und
kreativ feiern kann.
Das Buch erscheint als
dritter Band der Reihe „Kir-
che wächst“ und wird von
Maike Sachs, der Leiterin des
Projektes „Wachsende Kirche“
des Evangelischen Gemein-
dedienstes für Württemberg
herausgegeben.
Preis: 12,95 Euro (D)
August 2009
Paperback, ca. 208 Seiten
ISBN 978-3-7751-5082-8
MissionarischeGemeindeentwicklung
Lassen (Zweit)Gottesdienste,
Glaubenskurse und Haus-
kreise Gemeinden neu auf-
brechen? In diesem neuen
PraxisBuch sind die Ergeb-
nisse der Neuendettelsauer
Tagung „Gemeinde im Auf-
bruch“ zusammengefasst
und durch weiterführende
Artikel ergänzt.
Das Buch enthält eine Ein-
führung in verschiedene Mo-
delle und Konzepte aus den
Bereichen (Zweit-)Gottes-
dienst, Glaubenskurs und
Hauskreis; bietet viele hilf-
reiche Tipps und Hinweise,
und es zeigt die Spannung
zwischen Resignation und
Hoffnung in der Gemeinde-
entwicklung auf.
Mit Beiträgen von zehn
Autoren aus Wissenschaft
und Praxis, u.a. Prof. Paul M.
Zulehner, Prof. Beate Hof-
mann, Dr. Thomas Popp,
Hans-Hermann Pompe, Fritz
Neubacher; Herausgegeben
von Friedrich Rößner
Preis: 9,60 Euro (D)
Paperback, 100 Seiten
ISBN 978-3-00-027101-4
Verantwortet Kirchesein - hier und heute
Wie geht es mit unseren Ge-
meinden, wie geht es mit
unserer Kirche weiter? Das
fragen sich viele Haupt- und
Ehrenamtliche in unseren
Pfarreien, dazu gibt es aber
nur wenige Visionen.
In Form eines Sammelbandes
publiziert die Theologische
Fakultät Fulda Beiträge aus
dem 6. Symposion zum Pas-
toralen Prozess und führt die
dort diskutierten Überlegun-
gen weiter.
Dabei wird vor allem deut-
lich, das Aktionismus die
Kirche nicht weiter führt. Es
braucht eine vertiefte Refle-
xion auf die Wurzeln und die
Sendung der Kirche. Hilfreich
ist der Blick in außereuropä-
ische kirchliche Wirklichkeit,
aber auch auf eine Weitung
der Milieus, eine Weitung der
Pastoralen Räume und der
Kooperationen. Dabei muss
manches aufgegeben werden,
um Freiraum für missionari-
sche Praxis zu gewinnen.
Nicht der Blick auf die
schrumpfende Kirche fördert
die Hoffnung, sondern das
Wagnis, mit neuen Ideen, un-
gewohnter Kooperation an-
dere anzusprechen, verheißt
Zukunft. So will das Buch Mut
machen und schaut hoff-
nungsfroh in die Zukunft.
Allen die sich haupt- und eh-
renamtlich in der Kirche en-
gagieren ist dieses Buch zur
Lektüre und zum vertiefen-
den Gespräch zu empfehlen.
Preis: 16,00 Euro (D)
Juli 2009
Paperback, 204 Seiten
ISBN 978-3-7820-0914-0
Buchvorstellungen
KircheBewegen - Ausgabe 2 / 2009
Forschung
Buchvorstellungen
Service
Thema: Regionalisierung
Tagungsbeiträge
Editorial
Evangelischer Kirchentag 2009
24
Auf dem Gelände der Lan-
desgartenschau möchte Pas-
tor Gunnar Urbach, Ev.-Luth.
Kirchengemeinde Harkshei-
de, eine Gläserne Kirche errich-
ten. Damit soll ein besonde-
rer Akzent gesetzt werden, der
sich transparent in die Land-
schaft einfügt. Die Gläserne Kir-
che soll dauerhaft und nachhal-
tig für Gottesdienste (z. B. auch
als Hochzeitskirche) und kirch-
liche Veranstaltungen genutzt
werden. Als Anregung für die
Gestaltung dient die Wayfarers
Chapel in Rancho Palos Verdes,
Kalifornien/USA.
Die Gläserne Kirche soll
den zentralen Mittelpunkt der
kirchlichen Aktivitäten zur Lan-
desgartenschau im Jahr 2011
bilden. Sie soll durch ihre ein-
zigartige Gestaltung und durch
ihre Angebote Menschen an-
sprechen, die mit den kirchli-
chen Angeboten bisher kaum
oder nicht erreicht werden.
Dazu werden u. a. Gottesdiens-
te und Andachten „unter frei-
em Himmel“ und mit „Blick in
die Schöpfung Gottes“ sowie
vielfältige weitere kirchliche
Veranstaltungen gehören.
Die Gläserne Kirche soll,
mit einem Blick durch den Al-
tarraum auf
den großen
See, direkt
an der gro-
ßen Prome-
nade lie-
gen. Der
E i n g a n g s -
bereich von
Westen her liegt bereits im
Waldpark. Ganz besonders wer-
den daher die Blickverbindun-
gen in die Kirche hinein und
aus der Kirche heraus sein.
Durch die weitgehende Ver-
wendung von Glas soll eine
größtmögliche Transparenz
und zusätzlich eine Transzen-
denz geschaffen werden. Die
Gläserne Kirche wird als inno-
vatives und ökologisches Mus-
terprojekt gestaltet werden. Sie
setzt wie ein „Leuchtturm“ ein
Zeichen für die grundlegenden
Werte des Lebens und für die
Bewahrung der Schöpfung. Ihre
Architektur strahlt in die umge-
bende Landschaft aus. Sie wird
einzigartig in Deutschland sein
und ein besonderes Alleinstel-
lungsmerkmal für die Landes-
gartenschau und für die Stadt
Norderstedt bedeuten.
Die Kirche soll 80 bis 120
(max. 180) Plätze haben und
wird eine Grundfläche von ca.
300 m2 umfassen.
Der architektonische Ide-
enwettbewerb für die Gestal-
tung der Gläsernen Kirche ist
Anfang Mai mit über 25 Studie-
renden der HafenCity Universi-
tät Hamburg gestartet worden
und wird als Prüfungsarbeit
durchgeführt. Die Jury wird
am 15. Juli im Kirchlichen Zen-
trum am Falkenberg tagen und
mit der Preisverleihung durch
Stadtpräsidentin Kathrin Oeh-
me abschließen. Anschließend
werden die Entwürfe dort aus-
gestellt und können bis zum 26.
Juli besichtigt werden.
Die Stadt Norderstedt ist ge-
beten worden, das Grundstück
zur Verfügung zu stellen und
die Erschließung zu überneh-
men. Die Baukosten von maxi-
mal 1,2 Mio. E sollen ausschließ-
lich durch Spenden finanziert
werden. Erster Sponsor ist die
HPI Ingenieurbüro GmbH,
Hamburg, die unentgeltlich die
Vorarbeiten begleitet und die
Projektsteuerung übernom-
men hat. Der Oliver Hauschildt
Verlag und Werbeagentur un-
terstützt die Öffentlichkeits-
arbeit mit Spenden und Sach-
leistungen. Kontakte gibt es
außerdem bereits zu großen
Unternehmen der Glasindust-
rie und zu GlaskünstlerInnen,
die sich am Bau der Gläsernen
Kirche beteiligen wollen.
Nach historischem Vorbild
wird jetzt eine Bauhütte ge-
gründet, in der Handwerksfir-
men und BürgerInnen zusam-
menarbeiten, um den Bau der
Gläsernen Kirche zu erreichen
und zu vollenden. Deshalb bit-
tet Pastor Gunnar Urbach: „Ge-
ben Sie der Vision Leben. Bauen
Sie mit an der Gläsernen Kir-
che!“
Weitere Informationen
im Internet:
www.glaeserne-kirche.de
Der Himmel steht offen ...Die Gläserne Kirche auf der Landesgartenschau in Norderstedt 2011
Gottesdienst in der „Way-
farers Chapel“ im kali-
fornischen Rancho Palos
Verdes. Die Norderstedter
Kirche könnte laut Pastor
Gunnar Urbach ganz ohne
eine Holzkonstruktion und
komplett aus Glas gebaut
werden.
Aktuelle Meldungen
KircheBewegen - Ausgabe 2 / 2009
Forschung
Buchvorstellungen
Service
Thema: Regionalisierung
Tagungsbeiträge
Editorial
Evangelischer Kirchentag 2009
25
Die Barmer Theologische
Erklärung wurde auf der ers-
ten Bekenntnissynode der Be-
kennenden Kirche von 29. - 31.
Mai 1934 in Wuppertal-Barmen
verabschiedet. Sie bezeichnet
einen der wenigen Momente,
da die evangelische Kirche in
Deutschland ernsthaften Wi-
derstand gegen den totalitären
Anspruch des nationalsozialis-
tischen Weltanschauungsstaa-
tes geleistet hat. Damit trug sie
vor allem zu einem innerkirch-
lichen Konsolidierungsprozess
bei, während die Wirkung in
die Gesellschaft hinein gering
blieb.
„Die evangelische Kirche
muss sich heute entscheiden“,
so Bernd Hans Göhrig, Bun-
desgeschäftsführer der IKvu,
„ob sie die Barmer Theologi-
sche Erklärung auf ein musea-
les Podest erheben will, um sich
ihrer damit faktisch zu entledi-
gen, oder ob sie sich ernsthaft
darum bemühen wird, der Ak-
tualität der Barmer Erklärung
nachzugehen und sich von ihr
anfragen zu lassen.“
Sockel oder Basis, Main-
stream oder beständige Refor-
mation aus eigener Kraft und
Quelle - die evangelische Kir-
che hat die Wahl. Ansatzpunk-
te dafür gäbe es viele:
- Die Verwerfung totalitä-
rer Ansprüche hat nach wie vor
Gültigkeit - nur dass die Kirche
heute in der Bundesrepublik
nicht durch den Totalitätsan-
spruch eines Weltanschauungs-
staates bedroht ist, sondern sich
gegen das universelle Heilsver-
sprechen des totalen Marktes
zur Wehr setzen muss. Dass die
Propheten des Neoliberalismus
mangels Sinn und Erfolgsnach-
weis in der Finanzkrise vorü-
bergehend kleinlaut geworden
sind, ist nur eine Momentauf-
nahme.
- Außerdem legte die Bar-
mer Theologische Erklärung
den Grundstein für kollektive
und demokratische Leitungs-
strukturen in der evangeli-
schen Kirche und leistete damit
einen Beitrag zur Überwindung
des landesherrlichen Führungs-
prinzips. „Für die vom Top-
Down-Syndrom geplagte evan-
gelische Kirche in Deutschland
könnte daher von der Barmer
theologischen Erklärung ein
heilsamer Impuls ausgehen“,
so Uwe-Karsten Plisch, evange-
lischer Theologe und Mitglied
im Leitungsteam der IKvu.
- Zudem sollte die stren-
ge Anbindung der Barmer The-
ologischen Erklärung an das
evangelische Schriftprinzip die
evangelische Kirche an die seit
Jahren vernachlässigte ehema-
lige protestantische Kernkom-
petenz der verantwortlichen Bi-
belauslegung gemahnen.
- Ein weiterer Anstoß wäre
die ernste Anfrage, ob die evan-
gelische Kirche den Umbau der
Bundeswehr von der Vertei-
digungsarmee zur internatio-
nal agierenden Interventions-
armee durch Militärseelsorger
geistlich begleiten muss oder
nicht vielmehr mutig dagegen
streiten müsste.
www.ikvu.de
Jahrestag ist MahnungPressemitteilung des Ökumenischen Netzwerks „Initiative Kirche von unten“
„Dialogverweigerung“Pressemitteilung zu: Bischöfe dürfen Protestierer aus Räten ausschließen
Als neuerliches und äußerst
bedenkliches Zeichen der in-
nerkatholischen Dialogver-
weigerung sieht die Kirchen-
VolksBewegung „Wir sind
Kirche“ die Entscheidung des
obersten Gerichtshofs der ka-
tholischen Kirche (KNA-Mel-
dung: Bischöfe dürfen Protes-
tierer aus Räten ausschließen
vom 25.5.2009), die Bischöfen
das Recht zuspricht, Mitstrei-
ter der „Wir sind Kirche“-Be-
wegung aus kirchlichen Gre-
mien auszuschließen.
Ausgehend von einem Ein-
zelfall im Bistum Regensburg
- der Klage eines seit seiner Ju-
gend in der katholischen Kir-
che engagierten Mannes we-
gen des Entzugs des passiven
Wahlrechts bei der Kirchenver-
waltungswahl - wird der Ver-
such unternommen, eine seit
bald 15 Jahren weltweit vertre-
tene innerkatholische Reform-
bewegung grundsätzlich zu dis-
kreditieren. Dies geschieht in
totalitärer Art und Weise von
römischen Schreibtischen aus,
ohne dass es je eine Anhörung
oder die Möglichkeit einer Stel-
lungnahme gab. Der Kläger aus
dem Bistum Regensburg hat
das vom 14. März 2009 datier-
te Dekret nur auf Latein erhal-
ten, der KirchenVolksBewegung
wurde es bisher noch nicht ein-
mal auf Anfrage zur Kenntnis
gegeben.
Die heute veröffentlichte
Entscheidung ruft Erinnerun-
gen wach an die schrittweise
Ausgrenzung von Katholikin-
nen und Katholiken, die sich
Aktuelle Meldungen
KircheBewegen - Ausgabe 2 / 2009
Forschung
Buchvorstellungen
Service
Thema: Regionalisierung
Tagungsbeiträge
Editorial
Evangelischer Kirchentag 2009
26
in der Schwangerschaftskonf-
liktberatung in dem von ZdK-
Mitgliedern gegründeten Ver-
ein „Donum Vitae“ bzw. in dem
zur KirchenVolksBewegung ge-
hörenden Verein „Frauenwür-
de e.V.“ engagieren sowie an die
erst kürzlich von einigen Bi-
schöfen verweigerte Zustim-
mung zum designierten Präsi-
denten des Zentralkomitees der
deutschen Katholiken (ZdK).
Falls einzelne Bischöfe dem
Beispiel des Regensburger Bi-
schofs Dr. Gerhard Ludwig
Müller folgen und in der Kir-
chenVolksBewegung engagier-
te Menschen aus kirchlichen
Gremien ausschließen sollten,
so würde das schon jetzt vie-
lerorts gestörte Vertrauens-
verhältnis zwischen Kirchen-
volk und Kirchenleitung weiter
massiv beeinträchtigt, ja die
Gefahr einer Kirchenspaltung
„von oben“ von den amtskirch-
lichen Verantwortlichen selbst
provoziert. Solche Art der Dia-
logverweigerung widerspräche
auch eklatant der Communio-
Theologie („communio“ heißt
„Gemeinschaft“), die das Zwei-
te Vatikanische Konzil (1962-
65) besonders in der Dogma-
tischen Konstitution über die
Kirche „Lumen gentium“ for-
muliert hat.
Den Bischöfen sollte be-
wusst sein, dass nicht nur so-
genannte „Laien“, sondern auch
viele Priester, pastorale Mit-
arbeiterInnen und Ordens-
leute die Reformanliegen der
KirchenVolksBewegung unter-
stützen. Auch für die Freiheit
der theologischen Forschung
bedeutet das Dekret eine gro-
ße Gefahr, stellt es doch jedes
Vorausdenken und damit die
Reformwilligkeit und Reform-
fähigkeit der römisch-katholi-
schen Kirche grundsätzlich in
Frage, und dies trotz des so of-
fensichtlichen Reformstaus auf
vielen Gebieten.
Wären die Bischöfe zum
konstruktiven Dialog bereit,
wie ihn die Internationale Be-
wegung „Wir sind Kirche“ schon
seit Jahren sucht und ihn auch
das Staatssekretariat in Rom im
Sommer 2006 empfohlen hat,
hätte es nicht zu dieser pau-
schalen Ausgrenzung der Kir-
chenVolksBewegung kommen
können, die sich um innerkirch-
liche Reformen auf der Linie
des Zweiten Vatikanischen Kon-
zils und der darauf aufbauen-
den theologischen Forschung
und pastoralen Praxis bemüht.
Mit Schreiben vom 23. Au-
gust 2006 hatte das Staatsse-
kretariat in Rom über die Apos-
tolische Nuntiatur in Berlin der
KirchenVolksBewegung mit-
teilen lassen: „Sie und die an-
deren Mitglieder können zu je-
der Zeit mit den Bischöfen und
Priestern der zuständigen Bis-
tümer und Pfarreien einen kon-
struktiven Dialog über die ak-
tuellen Fragen und Probleme
in der Kirche führen.“ Doch lei-
der währt die auch nach die-
sem Schreiben praktizierte Di-
alogverweigerung schon lange:
Bereits 1991 – noch vor dem
KirchenVolksBegehren 1995 –
hatte das ZdK in seiner Schrift
„Dialog statt Dialogverweige-
rung“ die Dialogverweigerung
der Bischöfe konstatiert.
Sogar das katholische Kir-
chenrecht sieht im Canon 212
§ 3 CIC vor, dass die Gläubigen
„entsprechend ihrem Wissen,
ihrer Zuständigkeit und ihrer
hervorragenden Stellung ... das
Recht und bisweilen sogar die
Pflicht (haben), ihre Meinung in
dem, was das Wohl der Kirche
angeht, den geistlichen Hirten
mitzuteilen und ... den übrigen
Gläubigen kundzutun.“ Die-
ser Kanon wird durch das Agie-
ren des vermutlich durch sehr
kirchenkonservative Kardinäle
und Bischöfe geprägten obers-
ten vatikanischen Gerichtshofs
stark in Frage gestellt.
www.wir-sind-kirche.de
Aktueller Lesetipp: Norbert Brieskorn SJ
Recht auf Kirchenkritik
„Stimmen der Zeit“
7/2009
Seite S. 433 f.
Aktuelle Meldungen
E I N L A D U N G
26. öffentliche Bundesversammlung der KirchenVolksBewegung „Wir sind Kirche“
am 23. - 25. Oktober 2009 in München
zur Vorbereitung des 2. Ökumenischen Kirchentages 2010 in München
Mit Prof. em. Dr. Urs Baumann (Institut für ökumenische Forschung der Universität Tübingen)
und Prof’in Johanna Haberer (Professorin für Christliche Publizistik an der Theologischen Fakul-
tät der Universität Erlangen, angefragt) im „Ökumenischen Dialog“ über die aktuellen Probleme
und Hemmnisse der Ökumene, vor allem aber über neue zukunftsweisende Perspektiven.
Weitere Informationen und Anmeldeunterlagen bei der Referentin der KirchenVolksBewegung:
Annegret Laakmann, Flaesheimer Straße 269, D-45721 Haltern,
Tel.: (02364) 5588, Fax: (02364) 5299,
E-Mail: <laakmann(at)wir-sind-kirche.de>
KircheBewegen - Ausgabe 2 / 2009
Aktuelle Meldungen
Forschung
Buchvorstellungen
Service
Thema: Regionalisierung
Tagungsbeiträge
Editorial
Evangelischer Kirchentag 2009
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Veranstaltungshinweise
Service
Neue Aufbrüche in der Kirche
Vortrag von Alt-Bischof Axel Noack (Magdeburg) mit an-schließend Podiumsgespräch und Projektvorstellung
Veranstalter:
Institut zur Erforschung von
Evangelisation und Gemein-
deentwicklung, Greifswald
Veranstaltungsort:
Universitätshauptgebäude
Greifswald
Termin:
8. Juli 2009, 20:00 Uhr
Referenten:
Bischof a.D. Axel Noack,
Bischof Dr. Hans-Jürgen
Abromeit, OKR Dr. Erhard
Berneburg, OKR Dr. Thies
Gundlach, PD Dr. Johannes
Zimmermann, Prof. Dr. Mi-
chael Herbst (Moderation)
Informationen:
www.ieeg-greifswald.de
EKHN - Kongress „Lust auf Gemeinde“
Kirchenvorstandstag mit Ideenmesse und umfangrei-chen Programmangeboten
Veranstalter:
Evangelische Kirche in
Hessen und Nassau (EKHN),
Darmstadt
Veranstaltungsort:
Rhein-Main-Hallen,
Wiesbaden
Termin:
19. Sept. 2009, 10 – 18 Uhr
Referenten:
u.a. Dr. Peter Böhlemann,
Prof. Dr. Kristian Fechtner,
Kirchenpräsident Dr. Volker
Jung, Hans-Ulrich Keßler, An-
dreas Klein, Hans-Martin Lüb-
king, Bischof a.D. Axel Noack,
Thorsten Schäfer-Gümbel
Informationen:
www.lust-auf-gemeinde.de
Vom Machen undLassen
Gemeinde Entwicklungs-Trainig – Impulse zur Gemeindeentwicklung
Veranstalter:
Arbeitsgemeinschaft Missio-
narische Dienste (AMD) und
Gemeindekolleg der VELKD
Veranstaltungsort:
Gemeindekolleg der VELKD,
Neudietendorf
Termin:
24.- 25. November 2009
Referenten:
Peter Barz, Horst Bracks, An-
dreas Brummer, PD Dr. Reiner
Knieling, Volker Roschke
Informationen:
www.gemeindekolleg.de