Matthias Luecke
http://www.ifw-kiel.de/staff/luecke_e.htm
IQSH – WIP0041 - Februar 2008
Globalisierung der Wirtschaft und Wirtschaftspolitik: Nationalstaaten vs. europäische Integration
IQSH - WIP0041 - Februar 20082
Impulse
1. Überblick: Was ist Globalisierung?2. Maßzahlen für die Globalisierung der deutschen
Wirtschaft3. Triebkräfte: Gravitationsmodell des
internationalen Handels und Währungsunion4. „Policy Space“, „Race to the Bottom“ und
Globalisierung
IQSH - WIP0041 - Februar 20083
(1.) Überblick: Was ist Globalisierung?
• Integration von nationalen Märkten für Güter und Produktionsfaktoren über nationale Grenzen hinweg:
– Internationaler Handel mit Gütern
– Internationaler Handel mit Dienstleistungen
– Internationaler Kapitalverkehr einschließlich Niederlassungsfreiheit von Unternehmen
– Internationale Wanderungen von Arbeitskräften
IQSH - WIP0041 - Februar 20084
Wirtschaftspolitische Herausforderungen
• Triebkräfte der Globalisierung
– Informations- und Kommunikationskosten
– Transportkosten (Containerisierung)
– Abbau von Marktzugangsbarrieren: Zölle, Regulierungen (Luftverkehr); Währungsunion: Euro
• Wirkungen:
– Gesamtwirtschaftlicher Einkommenszuwachs (weltweit: vermutlich; national: hoffentlich!)
– Einkommensumverteilung
IQSH - WIP0041 - Februar 20085
Politische Gestaltungsmöglichkeiten: EU
• Innerhalb der EU sind die 4 Freiheiten (Waren, Dienstleistungen, Kapital, Arbeitskräfte) weitgehend umgesetzt
– Übergangsfristen bei der Arbeitskräftewanderung
– “technischen” Probleme bei der Anerkennung von Ausbildungszeugnissen etc.
• Nachteilige / politisch problematische Auswirkungen werden durch Gemeinschaftspolitiken kompensiert (z.B. regionale Strukturpolitik).
IQSH - WIP0041 - Februar 20086
Politische Gestaltung: global
• Multilaterales Handelssystem (WTO/GATT); für Dienstleistungen nur in Ansätzen (GATS), außer für neue WTO-Mitglieder
• Kapitalverkehr und ausländische Direktinvestitionen: Regulierung in Teilbereichen (bilaterale Investitionsschutzabkommen; IWF)
• Arbeitskräftewanderungen durch die Aufnahme-bereitschaft der Zielländer begrenzt
• Kein internationaler Rahmen für die Kompensation von nachteiligen ökonomischen Effekten
IQSH - WIP0041 - Februar 20087
(2.) Maßzahlen der Globalisierung für Deutschland
• Zusammengestellt aus im Internet frei zugänglichen Datenquellen– Statistisches Bundesamt: www.destatis.de
(Bruttoinlandsprodukt)– Deutsche Bundesbank: www.bundesbank.de
(Zahlungsbilanz, Auslandsvermögensstatus)• Disaggregation der meisten Zahlen nach EU und
Rest der Welt aus diesen Quellen nicht ohne Weiteres möglich (wer es genau wissen will: www.zbw-kiel.de)
IQSH - WIP0041 - Februar 20088
Außenhandel, Deutschland (vH des BIP)
0
5
10
15
20
25
30
35
40
45
1991
1993
1995
1997
1999
2001
2003
2005
Warenausfuhr
Wareneinfuhr
DL-Ausfuhr
DL-Einfuhr
IQSH - WIP0041 - Februar 20089
Warenhandel - Wirtschaftspolitische Gestaltung
• Zölle sind weltweit in den letzte Jahrzehnten stark gesunken (u.a. durch multilaterale Liberalisierung: WTO/GATT).
• Marktsegmentierung heute durch Transport- und Kommunikationskosten, Produktstandards, ...
• EU: Binnenmarkt, weitgehend Herkunftslandprinzip (was im Herkunftsland in Verkehr gebracht werden darf, darf auch in jedem anderen EU-Land verkauft werden) – verbunden mit harmonisierten Regulierungen auf EU-Ebene.
• EU – Wettbewerbspolitik; Strukturpolitik; Mindestsätze für Mehrwertsteuer
IQSH - WIP0041 - Februar 200810
Dienstleistungshandel - Erbringungsarten
• Wie können Dienstleistungen überhaupt international gehandelt werden?
• Definition der Erbringungsarten nach GATS:– Mode 1: grenzüberschreitende Lieferung– Mode 2: Konsum im Ausland– Mode 3: ausländische Direktinvestitionen in
Dienstleistungssektoren– Mode 4: temporärer Aufenthalt von
natürlichen Personen
IQSH - WIP0041 - Februar 200811
Dienstleistungshandel - Trends
• Dienstleistungen stellen fast überall mehr als die Hälfte die BIP und etwa ein Fünftel des internationalen Handels.
• Internationaler Handel mit Dienstleistungen wird dominiert durch Transport und Tourismus.
• IT- Dienstleistungen nur für wenige Länder relevant (Indien, Irland).
• Europäischer Binnenmarkt für Dienstleistungen - revidierte Dienstleistungsrichtlinie:
– Sektorale Ausnahmen (Pflege etc.)
– Bestimmungsland- statt Herkunftslandprinzip (Löhne etc.)
IQSH - WIP0041 - Februar 200812
Finanzmärkte und Direktinvestitionen(Bestände in vH des BIP)
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
1991
1993
1995
1997
1999
2001
2003
2005
Geschäftsbanken -ausld. Aktiva
Geschäftsbanken -ausld. Passiva
Ausld. Direktinv. -Aktiva
Ausld. Direktinv. -Passiva
IQSH - WIP0041 - Februar 200813
Direktinvestitionen
• Erwerb oder Neuerrichtung eines Unternehmens mit unternehmerischer Kontrolle; OLI – Modell:– Ownership– Location– Internalization
• Vertikale (Zulieferungen) vs. horizontale (absatzmarktorientierte) Direktinvestitionen
• Unternehmenskonzentration im Europäischen Binnenmarkt (Mergers and Acquisitions) hat stark zugenommen.
IQSH - WIP0041 - Februar 200814
IQSH - WIP0041 - Februar 200815
IQSH - WIP0041 - Februar 200816
(3.) Gravitationsmodell und Währungsunion
• Modelle des des internationalen Handels: – Wer exportiert/importiert welches Gut? In welcher
Menge?– Welche Wirkungen auf Produktion,
Faktoreinkommen, Produktpreise? Gesellschaftliche Wohlfahrt?
• Ansatzpunkte:– Technologische Unterschiede (Ricardo)– Nationale Faktorausstattungen (Heckscher-Ohlin)– Produktdifferenzierung und Skalenerträge
(Krugman)– Transaktionskosten (Gravitationsmodell)
IQSH - WIP0041 - Februar 200817
Gravitationsmodell
Exporte von A nach B
= Funktion von
– BIP_A– BIP_B– „Entfernung“ (bilaterale
Transaktionskosten)• Transportkosten (km, Kostenschätzung)• Proxies für kulturelle Nähe
(gemeinsame Sprache, Kolonialgeschichte, Rechtssystem, ...)
• Handelsabkommen• Währungsunion
IQSH - WIP0041 - Februar 200818
Währungsunion?
• Andrew Rose (Auswertung von zahlreichen empirischen Schätzungen von Gravitationsmodellen): Eine Währungsunion erhöht langfristig den Handel zwischen zwei Ländern um 30 bis 90 vH (bei ansonsten gleichen Bedingungen)
• Warum?– Wechselkurse sind nicht prognostizierbar und
Wechselkursschwankungen sind nur begrenzt versicherbar (Terminmärkte).
IQSH - WIP0041 - Februar 200819
Währungsunion!
– Markterschließung (z.B. für Exporte) bedingt oft langfristige Investitionen, deren Rentabilität bei schwankenden Wechselkursen schwer zu prognostizieren ist.
– Unternehmensstrategien: betriebliche Standortpolitik und ausländische Direktinvestitionen – Kosten und Erlöse sollen möglichst in denselben Währungen anfallen.
– Währungsunion (äquivalent zu einem unwiderruflich festen Wechselkurs) eliminiert das Wechselkursrisiko.
IQSH - WIP0041 - Februar 200820
Wirkungen der Integration von nationalen Märkten
• Relevantes Modell: Produktdifferenzierung und Skalenerträge (Krugman)
• Verschärfter Wettbewerb führt zu – niedrigeren Preisen und höherem
Gesamtabsatz (zum Nutzen der Konsumenten)– höherer Produktion je überlebende Firma– Konzentration auf der Anbieterseite (einige
Firmen scheiden aus dem Markt aus)• Zum Vergleich: Wohlfahrtsgewinn durch den
Europäischen Binnenmarkt (1992) – 4 bis 6 vH des Volkseinkommens
IQSH - WIP0041 - Februar 200821
Währungsunion und ausländische Direktinvestitionen
• Horizontale Direktinvestitionen (zur Erschließung neuer Märkte): werden u.U. weniger wichtig, weil ausländische Märkte ohne Wechselkursrisiko vom Stammsitz aus beliefert werden können.
• Vertikale Direktinvestitionen (Kostensenkung durch Auslagerung von Produktionsabschnitten etc.): werden vermutlich attraktiver, da niedrigere Produktionskosten im Ausland nicht durch Wechselkursrisiko überkompensiert werden.
IQSH - WIP0041 - Februar 200822
(4.) Wirtschaftspolitische Herausforderungen
• Geringerer Spielraum für nationale Wirtschaftspolitik?
• Speziell Währungsunion: nominaler Wechselkurs fällt als möglicher Puffer aus.
• Zu fragen bleibt allerdings: Welche sinnvolle wirtschafts-politische Maßnahme wird durch die Integration von nationalen Märkten verhindert?
• „Policy space“: Forderung von Entwicklungsländern nach nationalen Entscheidungsspielräumen angesichts von „Weltmarktzwängen“ und Konditionalitäten der internationalen Finanzinstitutionen
IQSH - WIP0041 - Februar 200823
Policy Space:Para. 8, Sao Paulo Consensus, UNCTAD XI
"The increasing interdependence of national economies in a globalizing world and the emergence of rule-based regimes for international economic relations have meant that the space for national economic policy, i. e. the scope for domestic policies, especially in the areas of trade, investment and industrial development, is now often framed by international disciplines, commitments and global market considerations.
IQSH - WIP0041 - Februar 200824
Aber …
"It is for each government to evaluate the trade-off between the benefits of accepting international rules and commitments and the constraints posed by the loss of policy space. It is particularly important for developing countries, bearing in mind development goals and objectives, that all countries take into account the need for appropriate balance between national policy space and international disciplines and commitments."
IQSH - WIP0041 - Februar 200825
Industrieländer: „Race to the bottom“?
• Empirische Evidenz:– Umweltpolitische Regulierungen? – Unklar.– Unternehmensbesteuerung!
• Grundproblem: je mobiler ein Produktionsfaktor ist, desto schwieriger ist er zu besteuern; Kapital ist in den letzten Jahrzehnten wesentlich mobiler geworden.
• Folge: – Sinkende Steuersätze für Unternehmen!– Verschiebung des Steueraufkommens hin zu
indirekten Steuern, direkten Steuern auf (relativ immobile) Arbeit?
http://www.kpmg.at/de/files/Final_Tax_Data_Report_Web.pdf
SVR: Jahresgutachten 2007/8
IQSH - WIP0041 - Februar 200828
Deutschland: Kassenmäßige Steuereinnahmennach Steuerarten (vH)
1976 1986 1996 2003 2006
Gemeinschaftliche Steuern 69.6 74.6 70.0 68.2 68.0 Lohnsteuer 30.5 34.0 31.7 30.3 25.3 Veranlagte Einkommensteuer 11.7 6.7 1.5 1.0 3.6 Nicht veranlagte Steuern vom Ertrag 0.9 1.8 1.7 2.0 2.5 Zinsabschlag 0.0 0.0 1.5 1.7 1.6 Körperschaftsteuer 4.5 7.2 3.7 1.9 4.7 Umsatzsteuer 22.1 24.9 29.9 31.2 30.3Bundessteuern 14.0 11.4 17.4 19.7 17.4Ländersteuern 5.2 4.8 4.9 4.3 4.5Gemeindesteuern 11.2 9.2 7.8 7.8 10.2
BMF website
IQSH - WIP0041 - Februar 200829
Schlussfolgerungen
• Es kommt nicht nur auf die Steuersätze, sondern auch auf die Definition der Steuerbasis an.
• Da vor allem die Bedeutung der veranlagten Einkommen-steuer gesunken ist, die von natürlichen Personen zu zahlen ist, bleibt die Tragweite des internationalen Steuerwettbewerbs unklar.
• Theoretisch könnte eine Austrocknung der Steuern auf Unternehmensgewinne die Finanzierung staatlicher Transfers erschweren, die sozialen Sicherungssysteme aushöhlen und so die politische Unterstützung für weitere Schritte zur europäischen Integration untergraben. Es fehlt aber die empirische Evidenz.
IQSH - WIP0041 - Februar 200830
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.