Grundlagen der ergonomischen Arbeitsgestaltung
PD Dr. Ulrich Glitsch, IFA, Sankt Augustin
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• Einleitung• Definition von Ergonomie• Geschichte
• Methodik• Ziele und Prinzipien der ergonomischen Arbeitsgestaltung• Konzept Belastung / Beanspruchung• Arbeitsbezogene Muskel-Skeletterkrankungen (MSE)• Physische Risikofaktoren / Erfassungsinstrumente
• Praktische Beispiele• Praxisbeispiele mit positiver Bilanz• Grenzen und Problemfälle• Neue Herausforderungen
• Zusammenfassung
Gliederung:
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Definition ErgonomieErgonomie ist ein Kunstwort griechischen Ursprungs
zusammengesetzt aus:
„ergon“ + „nomos“
„Arbeit“ + „Ordnung, Gesetz“
Ergonomie bedeutet:• die Lehre von der menschlichen Arbeit
• die Anpassung der Arbeit an die Eigenschaften und Fähigkeiten des Menschen
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Geschichtliche Entwicklung der Arbeit Erste Ansätze von Ergonomie bereits in der
Steinzeit mit der Entwicklung „funktionell“ gestalteter Werkzeuge
Erste bekannte Definition von Arbeitswissenschaft in einer polnischen Wochenzeitschrift (v. Jastrzebowski, 1857)
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Methodik:
Ziele und Prinzipien der ergonomischen Arbeitsgestaltung
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Ziele der Ergonomie
Humanität:• Einsatz des Menschen nach körperlicher und geistiger Eignung• Schulung und Ausbildung• Gestaltung der Arbeitsplätze nach den Anforderungen des
Menschen Wirtschaftlichkeit:
• optimale Anpassung der Mittel an die Aufgaben• Arbeitsablaufoptimierung• Erhöhung der Arbeitsproduktivität
Sicherheit:• Verbesserung der Arbeitssicherheit durch ergonomische
Gestaltungslösungen
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Ergonomie - Humanität
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4
5Sozialverträglichkeit der Arbeit
Persönlichkeitsförderlichkeit/Zufriedenheit
Zumutbarkeit/BeeinträchtigungsfreiheitHandlungs- u. Tätigkeitsspielraum
Schädigungslosigkeit und Erträglichkeit
Ausführbarkeit der Arbeitsaufgabe
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Humanitäre und wirtschaftliche VorteileBeispiel: Reparatur von Arbeitskleidung
• Ergonomische Umgestaltung von 40 Arbeitsplätzen• Kosten von 1.500 € pro Arbeitsplatz, insgesamt ca. 60.000 €• Rückgang der Arbeitsunfähigkeitstage um 16 %• Produktivitätssteigerung um ca. 15 %
→ Investition hat sich bereits nach wenigen Monaten amortisiert!
Vorher: Nachher:
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Verbesserung der Arbeitssicherheit
Ergonomische PSA (atmungsaktive Bekleidung) Moderne Schutzeinrichtungen an Maschinen
(Kreissäge mit elektronischer Handerkennung) Intelligente Steuerung kollaborierender Roboter
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Belastung vs. Beanspruchung
WirkungArbeitsplatz
Mensch/Indi-viduum
Individuelle körperliche Gegebenheiten, Leistungsvoraussetzungen,
Leistungsfähigkeit
Beanspruchung Belastung
Tätigkeiten, Arbeitsplatzgegebenheiten, Umwelteinflüsse
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Belastungen und Beanspruchungen
Leistungsfähigkeit:Eignung, Ausbildung, Übung,Alter, Konstitution, Geschlecht
BelastungKörperhaltung,Muskelarbeit,Arbeitsplatz, Klima, Lärm, Beleuchtung
optimaleBeanspruchung
Gesundheit, Motivation, Zufriedenheit, Wohlbefinden
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Belastungsarten: Belastungen durch
die Arbeitsaufgabe (Arbeitsinhalt, Arbeitsplatz/-raum, Arbeitsorganisation, Arbeitsmittel,…)
die Arbeitsumgebung (Beleuchtung, Klima, Lärm, Gefahrstoffe, Vibrationen, Strahlung,…)
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Wozu ergonomisch gestaltete Arbeitsmittel?
Ergonomisch gestaltete Arbeitsmittel fördern dieLeistungsfähigkeit.
Die Leistungsfähigkeit des Mitarbeiters wird nicht durch schlecht gestaltete Arbeitsmittel reduziert, sondern kann optimal für den Arbeitsprozess genutzt werden.
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Strategien ergonomischer Arbeitsgestaltung
Korrigierende Arbeitsgestaltung:Veränderung bestehender Arbeitsplätze
Konzipierende Arbeitsgestaltung :
Anwendung arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse bereits bei der Planung von Arbeitsabläufen
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Muskel-Skeletterkrankungen (MSE)
Arbeitsbedingte Erkrankungen sind alle Krankheiten, die durch Arbeitseinflüsse mit-verursacht bzw. durch die Arbeitsverhältnisse in ihrem Verlauf ungünstig beeinflusst werden.
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Arbeitsbezogene Muskel-Skeletterkrankungen (MSE) in Deutschland
• Ca. 24 % aller Arbeitsunfähigkeitstage (AU-Tage) sind auf MSE zurückzuführen*
• Jährlich ca. 26.000 neue Frühberentungen aufgrund von MSE*
• Mit MSE verbundene Kosten durch Produktionsausfall werden auf ca. 9,5 Mrd €jährlich geschätzt*.
→ MSE-Prävention ist eines der Hauptziele der „Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie – GDA“
*Bericht zur Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2007http://www.baua.de/nn_51314/de/Publikationen/Fachbeitraege/Suga-2007.html
U. Glitsch, Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA)17Ulrike Hoehne-Hückstädt - IFA Seite 17
• Manuelle Lastenhandhabung
• Heben, Halten, Tragen
• Ziehen und Schieben
• Sonderformen,z. B. Pflege, Schaufeln,..
Belastungen/MSE
U. Glitsch, Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA)18Ulrike Hoehne-Hückstädt - IFA Seite 18
• Tätigkeiten mit andauernden, erzwungenen Körperhaltungen
• Rumpfbeugen, -drehen• Kopfneigung, -drehen
• Sitzen, Stehen, Liegen
• Hocken, Knien, Fersensitz• Arme über Schulterniveau
Belastungen/MSE
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• häufige, gleichartige Bewegungen im Hand/Arm-Bereich
• Einzel- oder Kombinationsbelastung aus:
• Repetition• ungünstigen Gelenkstellungen,
Hand- o. Armhaltungen• Kraftaufwand, -einwirkung• Vibration
• Einsatz von Hand o. Armals Werkzeug(Klopfen, Hämmern, Drücken)
Belastungen/MSE
U. Glitsch, Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA)20Ulrike Hoehne-Hückstädt - IFA Seite 20
• erhöhte Kraftanstrengung/-einwirkung
• Kraftbetonte Tätigkeiten,Einsatz von Ganzkörperkräften
• Kraft- oder Druckeinwirkung bei Bedienung von Arbeits-mitteln
• Steigen, Klettern
Belastungen/MSE
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MSE-Berufskrankheiten in Deutschland• Obere Extremitäten:
• Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- oder Muskelansätze (2101)
• Erkrankungen durch Erschütterung bei der Arbeit mit vibrierenden Werkzeugen/ Maschinen (2103)
• Karpaltunnelsyndrom, CTS (21XX)
• Wirbelsäule:• Bandscheibenbedingte Erkrankungen der
Lenden- und Halswirbelsäule (2108, 2109, 2110)
• Untere Extremitäten:• Meniskusschäden (2102)• Gonarthrose (2112)
U. Glitsch, Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA)22Ulrike Hoehne-Hückstädt - IFA Seite 22
Körperwinkel und -kräfte, Haltungen/Tätigkeiten, Aktivitätsintensität,…
Video
3D-Animation
Graphische Darstellung
EMG, EKG
Handkraft
GKV/HAVBodenreaktionskraft
Video
Messungen in der Praxis: CUELA-System (Computer-Unterstützte Erfassung und Langzeit-Analyse von Belastungen des Muskel-Skelett-Systems)
U. Glitsch, Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA)23Ulrike Hoehne-Hückstädt - IFA Seite 23
Messungen in der Praxis:Praxisbeispiele
U. Glitsch, Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA)24 Seite 24
Ablauf der ergonomische Arbeitsgestaltung
Kenntnis derBelastungen/Be-anspruchungenundder Nutzer-population
Implemen-tierung ergonomischer Arbeitsplätze
Konzeption/ Entwicklung ergonomischer Arbeitsplätze
Evaluation hinsichtlich Humanität und Wirtschaft-lichkeit in der Praxis
Prinzipielles Vorgehen
U. Glitsch, Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA)25Ulrike Hoehne-Hückstädt - IFA Seite 25
Problematik• Arbeit in Zwangshaltungen• hoher Anteil manueller Lastenhandhabung• schlechte Beleuchtung am Arbeitsplatz
Messungen in der Praxis:Ergonomische Beratung: Gussputzerarbeitsplatz
U. Glitsch, Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA)26Ulrike Hoehne-Hückstädt - IFA Seite 26
Maßnahmen:• Verringerung der Arbeiten in Zwangshaltungen
(u.a. durch Höhenanpassung)• Reduktion manueller Lastenhandhabungen• Verbesserung der Beleuchtung am Arbeitsplatz
Messungen in der Praxis:Ergonomische Beratung: Gussputzerarbeitsplatz
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Gussputzerarbeitsplatz
vorher: nachher:
kgkg
Umfang Lastenhandhabung:
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Mechanisierte Hilfsmittel
• Hebetische• Hebe- und Neige- bzw. Kippgeräte
Hilfsmittel zum Heben von mittelschweren Lasten und zur Anpassung an die richtige Arbeitshöhe, leichte Ausführung und einfache Bedienung
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Konventioneller SchleiferErgonomische Gestaltung eines Schleifarbeitsplatzes
Ergonomischer Schleifer
Humanität:- Reduzierung von Zwangshaltungen um 90 %- Signifikante Verminderung der Einwirkung von HAV- Rückgang der StaubexpositionWirtschaftlichkeit:- Geringe Investitionskosten- Deutliche Steigerung der Effizienz
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Konv. NäharbeitsplatzErgonomische Gestaltung von Näharbeitsplätzen
Ergonomischer Näharbeitsplatz
Humanität:- Signifikante Verbesserung von Körperhaltungen und Gelenkwinkelstellungen
- Erhöhung und Optimierung der physischen und muskulären Aktivität- Hohe Akzeptanz bei Beschäftigten und Steigerung des WohlbefindensWirtschaftlichkeit:- Nachweisbarer Rückgang der AU-Tage in Unternehmen- Produktivitätssteigerungen um bis zu 20 %- Nachhaltige Umsetzung in betriebliche Praxis
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Nachhaltige Umsetzung seit 2004
• Handlungshilfe für betriebliche Praxis
• Installation des ergonomischen Näharbeitsplatzes in mehr als 30 deutschen Unternehmen (> 50 % KMU)
• Pro Unternehmen zwischen 2 und 240 Arbeitsplätzen umgestaltet
• Branchenübergreifende Umsetzung, u. a. in Automobilindustrie, Spielzeugindustrie, Bekleidungsindustrie, Polstermöbel-industrie, Behindertenwerkstätten
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Problematik durch Sichtfeld des Kranführers
Kabine an der Stirnseite
beschwerdefrei
Kabine an der Längsseite
Schulter-/Nacken-Beschwerden
Messungen in der Praxis:Ergonomische Beratung: Kranfahrer im Müllheizkraftwerk
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Alter Sitz
• einfacher drehbarer Fahrzeugsitz
• keine Kippmöglichkeit
• feste Bedienelemente
Messungen in der Praxis:Ergonomische Beratung: Kranfahrer im Müllheizkraftwerk Umbau des Kranführersitzes
Empfohlener Sitz
• Sitzneigung verstellbar
• Bedienelemente verstellbar
U. Glitsch, Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA)34 Seite 34
Konv. Kranfahrerarbeitsplatz, -sitz
Beispiel: Ergonomische Gestaltung von Kranfahrerarbeitsplätzen
Ergonomischer Sitz
Humanität:- Signifikante Verbesserung von Körperhaltungen und Gelenkwinkelstellungen- Höhere Akzeptanz bei Beschäftigten und Steigerung des Wohlbefindens
Wirtschaftlichkeit:- Rückgang von Beschwerden nachweisbar, jedoch keinsignifikanter Rückgang von AU-Tagen
- Produktivitätssteigerungen nicht nachweisbar
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• Die einzelnen Tätigkeiten scheinen ergonomisch unbedenklich und die Ausführung einfach
• Die zeitliche Verdichtung und die Abfolge der Tätigkeiten lassen dagegen Bedenken aufkommen
• Wo liegt das ergonomisch richtige Maß?
Neue Herausforderungen: Komplexe Arbeitsabläufe in der Produktion
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Beispiel: Chaku-Chaku Produktionslinien
U. Glitsch, Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA)36
Zusammenfassung
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Ergonomische Arbeitsgestaltungen leisten einen wichtigen Beitrag zur Prävention arbeitsbezogener Muskel- und Skeletterkrankungen.
Der humanitäre und ökonomische Nutzen ergonomischer Gestaltungsmaßnahmen sollte fundiert nachgewiesen werden.
Je klarer sich der Nutzen quantifizieren lässt, umso besser finden ergonomische Lösungen eine Verbreitung in die betriebliche Praxis.
Im Idealfall sollten ergonomische Prinzipien bereits im Planungsstadium von Arbeitsprozessen integriert werden (konzeptive Ergonomie).
Neue Arbeitssysteme können mit neuen Belastungen für das Muskel-Skelettsystem einhergehen. Klassische ergonomische Bewertungsverfahren bilden hier die Risiken nicht sachgerecht ab.