Diagnostik und Therapie von Persönlichkeitsstörungen
Priv.-Doz. Dr. med. Manuela Dudeck
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Greifswald
Hippokrates (400 v. Chr.): Vier Säfte - Lehre
Sanguiniker: leichtblütig, wechselhafte Stimmungen
Melancholiker: schwerblütig, schwermütig
Choleriker: heftig, leicht erregbar
Phlegmatiker: kaltblütig, schwer erregbar
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Historisches
Persönlichkeit I
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Die individuelle Persönlichkeit zeichnet sich durch das Bestehen unterschiedlicher Persönlichkeitszüge aus (Big-five-Modell). Extraversion (kontaktfreudig-zurückhaltend)
Verträglichkeit (friedfertig-streitsüchtig)
Gewissenhaftigkeit (gründlich-nachlässig)
Neurotizismus (entspannt-überempfindlich)
Offenheit (kreativ-phantasielos)
Persönlichkeit II
Persönlichkeit und Persönlichkeitseigenschaften eines
Menschen sind Ausdruck der für ihn charakteristischen
Verhaltensweisen, mit denen er gesellschaftlich-kulturellen
Anforderungen und Erwartungen zu entsprechen und seine
zwischenmenschlichen Beziehungen auf der Suche nach
einer persönlichen Identität mit Sinn zu füllen versucht.
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Persönlichkeitsstörung
ist ein tief verwurzeltes, anhaltendes und weitgehend stabiles Verhaltensmuster, das sich in starren Reaktionen auf unterschiedliche persönliche und soziale Lebenslagen zeigt.
In vielen Fällen geht diese Störung mit persönlichem Leid und gestörter sozialer Funktionsfähigkeit einher.
Gegenüber der Mehrheit der Bevölkerung zeigen sich deutliche Abweichungen im Wahrnehmen, Denken, Fühlen und in der Beziehung zu anderen.
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Entstehung und Aufrechterhaltung
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Schemata Äußere Ereignisse
Voreingenommene
Wahrnehmung und
Erinnerung Reaktionen anderer
Automatische Gedanken
Emotionale Reaktion Zwischenmenschliches Verhalten
Threshold liability model (FARAONE,1999)
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Prävalenz (TORGERSON et al., 2001; CASEY, 1989)
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Deutschland: ca. 11% MAIER et al.,1992
Barnow S, Stopsack M, Ulrich I, Falz S, Dudeck M, Spitzer C, Grabe HJ, Freyberger HJ: Prävalenz und Familiarität von Persönlichkeitsstörungen in Deutschland: Ergebnisse der Greifswalder Familienstudie. Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie 2010, 60, 334 – 341
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Komorbidität
Persönlichkeitstörung 60%
Komorbidität
Depression
Panik
Störungen
Dissoziation
Sucht
Störungen
PTSD Psychosen
Somatoforme
Störungen
Zwangs
störungen
Klassifikation nach DSM IV
• Hauptgruppe A = „sonderbar, exzentrisch“: (1) paranoid (2) schizoid (3) schizotyp • Hauptgruppe B = „dramatisch, emotional, launisch“: (1) narzisstisch (2) histrionisch (3) antisozial (4) borderline • Hauptgruppe C = „ängstlich“: (1) selbstunsicher (2) dependent (3) zwanghaft Manuela Dudeck 10
Die paranoide Persönlichkeitsstörung I
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Die wesentlichen Merkmale
sind:
ausgeprägtes Mißtrauen
übertriebene Empfindlichkeit
rigides, streitsüchtiges
Beharren auf vermeintlichen
eigenen Rechten
Die paranoide Persönlichkeitsstörung II
Definition: Patienten mit einer paranoiden Persönlichkeitsstörung zeigen in verschiedensten Situationen die durchgängige und ungerechtfertigte Neigung, die Handlungen anderer als absichtlich erniedrigend oder bedrohlich zu interpretieren. Die Patienten vermeiden engere Kontakte und neigen zu pathologischer Eifersucht. Richtet sich die situationsunangemessene Reaktion auf eine überwertige Idee, so spricht man auch von einer fanatischen Persönlichkeit. Steht der Kampf gegen ein wirkliches oder vermeintliches Unrecht im Mittelpunkt, dann wird auch von einer querulatorischen Persönlichkeit gesprochen.
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Die schizoide Persönlichkeitsstörung I
Definition:
• Bei schizoiden Persönlichkeitsstörungen besteht ein in den verschiedensten Situationen auftretendes durchgängiges Verhaltensmuster, das durch Gleichgültigkeit gegenüber sozialen Beziehungen und eingeschränkte emotionale Erlebnis- und Ausdrucksfähigkeit gekennzeichnet ist.
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Die schizoide Persönlichkeitsstörung II
• Im Vordergrund stehen Auffälligkeiten im affektiven Bereich.
• Die Patienten sind reserviert, scheu, zurückgezogen, es imponiert eine emotionale Kühle.
• Das Verhalten ist einzelgängerisch; enge und vertrauensvolle Beziehungen fehlen. Gesellschaftliche Regeln werden oft nicht anerkannt. Häufig kommt es zu zwischenmenschlichen Konflikten.
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Die schizotype Persönlichkeitsstörung I
Definition:
• Das Hauptmerkmal der schizotypen Persönlichkeitsstörung ist ein in den verschiedensten Situationen auftretendes durchgängiges psychisches Muster, das durch Eigentümlichkeiten in der Vorstellungswelt, der äußeren Erscheinung, des Verhaltens sowie durch einen Mangel an zwischenmenschlichen Beziehungen gekennzeichnet ist.
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Die schizotype Persönlichkeitsstörung II
Auffällig sind:
• kalter und unnahbarer Affekt
• seltsames und exzentrisches Verhalten
• fehlende soziale Bezüge
• sozialer Rückzug
• Beziehungsideen und bizarre Überzeugungen
Begleitend finden sich Angst, Depression und andere
dysphorische Verstimmungen.
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Die narzisstische Persönlichkeitsstörung I
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Diese Persönlichkeitsstörung zeichnet sich durch ein durchgängiges Muster von "Großartigkeit" (in Phantasie oder Verhalten), von Überempfindlichkeit gegenüber der Einschätzung durch andere und von Mangel an Einfühlungsvermögen aus. Das Selbstwertgefühl ist oft sehr instabil. Das überwertige Selbstwertgefühl kann auch plötzlich in das Gefühl der absoluten Wertlosigkeit umschlagen. Durch dieses verhalten sind die zwischenmenschlichen Beziehungen meist deutlich gestört.
Die histrione Persönlichkeitsstörung
• Dramatisierung, theatralisches Verhalten, übertriebener Ausdruck von Gefühlen
• Suggestibilität, leichte Beeinflussbarkeit
• Oberflächlicher und labiler Affekt
• Egozentrik, Selbstbezogenheit und fehlende Bezugnahme auf Andere
• Dauerndes Verlangen nach Anerkennung, erhöhte Kränkbarkeit
• Verlangen nach aufregender Spannung
• Suche nach Aufmerksamkeit und Mittelpunkt
• Ausdauerndes manipualtives Verhalten zur Befriedigung eigener Bedürfnisse
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Die antisoziale Persönlichkeitsstörung
Definition: Das Hauptmerkmal der dissozialen Persönlichkeitsstörung ist ein Muster von verantwortungslosem und antisozialem Verhalten, das in Der Kindheit oder frühen Adoleszenz beginnt und bis ins Erwachsenenalter fortdauert. • Unvermögen zur Beibehaltung längerer Beziehungen • Geringe Frustrationstoleranz • Kein Schulderleben • Unfähigkeit aus Erfahrung (Strafe) zu lernen • Rationalisierungen für eigenes Verhalten
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„Es ist genau diese Furchtlosigkeit ein
besonderer Stoff, aus dem die Helden und die
antisozialen Persönlichkeiten sind.“ (Sass, 1987)
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Die emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline – Typus
Epidemiologie
Prävalenz: ca. 1,5 – 2%
(in Deutschland 3% aller Frauen, ca. 1% aller Männer)
In psychiatrisch/psychotherapeutischer Behandlung: ca. 80%, Ersthospitalisation mit 24 Jahren
Häufigkeit in Klinik: 15%
Suizidraten: 7-10%
Direkte Kosten: ca. 3 Mrd. Euro jährlich
(d.h. 15 % der Kosten für psychische Störungen)
90% davon sind stationäre Kosten
Liegezeit 68 Tage
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Die emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus
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Es kommt oft zu
selbstschädigendem Verhalten,
z.B. durch multiple
Schnittverletzungen an den
Unterarmen.
Arens EA, Stopsack M, Spitzer C, Appel K, Dudeck M, Völzke H, Grabe HJ, Barnow S. Borderline Personality Disorder in Four Different Age Groups: A Cross-Sectional Study of Community Residents in Germany. Journal of Personality disorders (in press)
Historisches
Die Bezeichnung „Borderline“ hielt vor ca. 110 Jahren Einzug in die Psychiatrie (Stone 1986).
• Kraepelin 1904: impulsives Irresein, Triebmenschen
• Bleuler 1911: latente Schizophrenie
• 1923 K. Schneider: stimmungslabiler, explosibler Psychopath
• 1925 Reich: „triebhafte Charaktere“
• 1938 Stern: Borderline ist ein Phänomen im „Übergangsbereich“ von Neurose und Psychose
• 1958 Knight: „pseudoneurotische Schizophrenie“
• Schmiedeberg: „Stabilität in der Instabilität“
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Leitsymptom der BPS
Einschießende, starke Spannung, die als äußerst aversiv erlebt wird und keiner klaren, handlungsweisenden Emotion zugeordnet werden kann.
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hippocampus
amygdala
hypothalamus
The Limbic System
Neurobehaviorales Entstehungmodell
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Frühe Traumata Neurobiologische Prädisposition
Störung der Affektregulation
(hohe Grundspannung)
Hohe Dissoziationsneigung
Löschungsresistenz
Dysfunktionale Grundannahmen
Mangelhaftepsychosoziale Realitätsorientierung
Rückgriff auf dysfunktionale Bewältigungsstrategien
Positiv
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Die selbstunsichere Persönlichkeitsstörung I
Definition:
• Das Hauptmerkmal dieser Störung ist ein durchgängiges Muster von Anspannung und Besorgtheit, Angst vor negativer Beurteilung und Schüchternheit. Diese Störung wird auch als ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung bezeichnet.
• Die Patienten sind durch Kritik von anderen übermäßig leicht verletzbar.
• Soziale oder berufliche Aktivitäten, bei denen engere zwischenmenschliche Kontakte gefordert sind, werden meist vermieden.
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Die selbstunsichere Persönlichkeitsstörung II
• Potentielle Probleme, Gefahren oder Risiken werden übertrieben. Beispielsweise wird eine Beförderung aus Angst vor höheren beruflichen Anforderungen abgelehnt.
• In Gesellschaft verhalten sich die Betroffenen zurückhaltend, aus Angst etwas Unpassendes oder Dummes zu sagen. Sie befürchten, vor anderen durch Erröten, Weinen oder durch Anzeichen von Angst in Verlegenheit zu geraten. Es widerstrebt ihnen alles, was vom gewohnten Alltag abweicht.
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Die abhängige Persönlichkeitsstörung I Definition: • Hauptmerkmale dieser Störung sind eine
Selbstwahrnehmung als hilflos und inkompetent sowie eine Überlassung der Verantwortung für wichtige Bereiche des eigenen Lebens an andere. Diese Störung wird auch als dependente Persönlichkeitsstörung bezeichnet.
• Die Patienten sind kaum in der Lage, eigene
Entscheidungen zu treffen. • Sie fühlen sich meist beim Alleinsein sehr unbehaglich und
entwickeln ausgeprägte Ängste vor dem Verlassenwerden.
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Die abhängige Persönlichkeitsstörung II
Es besteht eine unverhältnismäßige Nachgiebigkeit gegenüber den Wünschen anderer.
Durch Kritik oder Ablehnung sind diese Personen leicht zu verletzen.
Eventuell übernehmen sie freiwillig Tätigkeiten, die für sie unangenehm oder sogar erniedrigend sind, nur um Zuneigung anderer zu gewinnen.
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Die zwanghafte Persönlichkeitsstörung I
Definition:
• Das Hauptmerkmal dieser Störung ist ein durchgängiges Muster von Perfektionismus und Starrheit, sowohl im Denken als auch im Handeln.
• Sie zeigen nur selten offen ihre Gefühle, ihre alltäglichen Beziehungen sind konventionell, formal und ernst. Auf soziale Kritik reagieren sie ausgesprochen sensibel.
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Die zwanghafte Persönlichkeitsstörung II
• Die Patienten befinden sich typischerweise im Konflikt zwischen dem Streben nach Perfektion und den von ihnen selbst gesetzten, übermäßig strengen und oft unerreichbaren Normen. Wie gut ihre Leistungen auch sind, sie erscheinen ihnen nicht als gut genug. Arbeit und Produktivität werden leicht über Vergnügungen und zwischenmenschliche Beziehungen gestellt. Aufgrund einer ausgeprägten Unentschlossenheit werden Entscheidungen immer wieder hinausgeschoben, meist als Ausdruck einer übertriebenen Furcht vor einem Fehler. Personen mit dieser Störung sind häufig außerordentlich gewissenhaft und spielen gerne den "Moralapostel". Sie nehmen alles sehr genau, sowohl bei sich als auch bei anderen. Häufig treten depressive Verstimmungen auf.
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Therapie
Verhaltenstherapie
Dialektisch – behaviorale Therapie nach Linehan
Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
Schematherapie
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Entsprechen den Behandlungsrichtlinien der APA
2001
Metaanalyse zur Effizienz von Psychotherapie bei Persönlichkeitsstörungen (Leichsenring und Leibing, Am J Psychiatry, 2003)
Psychopharmakotherapie
Studien beruhen auf :
• Kleinen Fallzahlen
• Kurzen Beobachtungszeiträumen
d.h. bislang gibt es kein zugelassenes Medikament zur
Behandlung von Persönlichkeitsstörungen.
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