M. RoesslerKlinik für Anästhesiologie
Universitätsmedizin Göttingen
M. Roessler [email protected]
Das Polytrauma mit Schädel-Hirn-Beteiligung
-PRÄKLINIK
Primäres Assessmentdes Patienten
mit Schädel-Hirn-Trauma
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• Schädel-Hirn-Trauma ist Folge einer Gewalteinwirkung, die zu einer Funktionsstörung und/oder Verletzung des Gehirns geführt hat
• Kopfschwarte, knöcherner Schädel, Gefäße, Dura können mit verletzt sein
• Verletzung des Kopfes ohne Hirnfunktionsstörung oder Hirnverletzung = Schädelprellung
Definition
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• 2012 wurden in Deutschland254.594 Patienten aller Alterklassenwegen einer intrakraniellen Verletzung im Krankenhaus behandelt!
• Etwa 70.000 <16 Jahre
Epidemiologie
Statistisches Bundesamt, Ergebnisse der amtlichen Statistik 2012
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• In D wird von 332 Patienten mit SHT / 100.000 Einwohner ausgegangen1
• 5% schwer, 4% mittelschwer, 91% leicht1• ♂ : ♀= 4:1• 2.750 Patienten sterben in der Akutphase
5.789 (2015)2
• Bis zum frühen Erwachsenenalter häufigste Todesursache (<16 Jahre ca. 350/anno)3
Epidemiologie
1Schädel –Hirn-Trauma im Erwachsenalter, AWMF LL 008-001, S2e 02.12.20152Gesundheitsberichterstattung des Bundes; www.gbe-bund.de; Zugriff am 17.07.2017
3Das Schädel –Hirn-Trauma im Kindesalter, AWMF LL 024-018, S2k 13.02.2011
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= Umschriebene Läsion (ggf. operativ behandelbar)
• Epidurales Hämatom: fast immer Folge einer Verletzung der A. meningea media oder ihrer Äste
• Subdurales Hämatom: häufigste Ursache Blutungen aus den Windungskuppen (kortikale Venen) der Hirnoberfläche (Coup- oder Contre-coup-Verletzung) oder aus Brückenvenen
• Intrazerebrale Blutung: durch Zerreißung intraparenchymatöser Gefäße
• Hirnkontusion: perivaskuläre Blutungen mit umgebenden Hirnödem
Fokale Hirnschädigung
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Gehirn insgesamt betroffen, nicht operativ behandelbar• Hirnschwellung und Hirnödem
• Traumatische Subarachnoidalblutung
• Diffuse axonale Schädigung
Diffuse Hirnschädigung
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- Typisch beim Anprall des Kopfes an „weiche“ Gegenstände (Innenverkleidung Auto)
- Rotations- / Akzelerationskräfte- Zerreißverletzungen Corpus callosum / Hirnstamm- Häufig Koma (GCS 3) am Einsatzort (ohne Hirndruckzeichen)
Diffuse axonale Verletzung (DAI)
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Einteilung
• Commotio cerbri (Gehirnerschütterung)• Contusio cerebri (Hirnprellung)• Compressio cerebri (Hirnquestschung)
Heute nur noch historischVictor von Bruns 1854
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Einteilung
SHT 1. Grades:Volle Rückbildung innerhalb von 4 TagenSHT 2. Grades:Volle Rückbildung innerhalb von 3 Wochen SHT 3. Grades: Neurologische oder vegetative Störungen > 3 WochenEinteilung erst retrospektiv anwendbar ist.Nicht mehr verwendet!
Tönnies und Loew 1953
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Einteilung heute
• Leichtes, mittelschweres und schweres SHT
• Geschlossenes SHT: dura mater intakt • Offenes SHT: dura mater verletzt
GCS Bewusstlosigkeit AmnesieLeicht 15 – 13 < 30 min < 1 TagMittelschwer 12 – 9 > 30 min bis < 24 h > 1 Tag < 7 TageSchwer 8 - 3 > 24 h > 7 Tage
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Maßnahmen am Unfallort
Empfehlung LORDer neurologische Befund sollte standardisierterhoben werden. International hat sich hierfürdie GCS eingebürgert. Die Limitationen derSkala (Scheinverbesserungen, Befund bei Intubation,Analgosedierung u.a.) müssen berücksichtigtwerden
B
1Schädel –Hirn-Trauma im Erwachsenalter, AWMF LL 008-001, S2e 02.12.2015
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Glasgow Coma Scale
• Mindestens 3 Punkte,maximal 15 Punkte
• Beste Reaktion zählt!• CAVE:verlangsamte Reaktionnicht berücksichtigt
• Hemisymptomatiknicht berücksichtigt
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Glasgow Coma Scale
Motorik Verbal Augen
6 Auf Aufforderung
5 Gezielt zum Schmerz
Orientiert
4 Wegziehen vom Schmerz
Desorientiert Spontan
3 Beugen Wortsalat Auf Aufforderung
2 Strecken Unverständliche Laute
Auf Schmerzreiz
1 Keine Keine Keine
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Glasgow Coma Scale
Motorik Verbal Augen
6 Spontan
5 Gezielt zum Schmerz
Verständliche Worte
4 Wegziehen vom Schmerz
Unverständliche Worte
Spontan
3 Beugen Durchgehendes Schreien
Auf Aufforderung
2 Strecken Einzelne Laute Auf Schmerzreiz
1 Keine Keine Keine
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Glasgow Coma Scale
Motorik Verbal Augen6 Normales
Bewegungsmuster
5 Gezielt auf Berührung
Plappern
4 Gezielt auf Schmerzreiz
Stillbares Weinen
Spontan
3 Beugen Unstillbares Weinen
Auf Ansprache
2 Strecken Grunzlaute Auf Schmerzreize
1 Keine Keine Keine
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Maßnahmen am Unfallort
Empfehlung LORFolgende Parameter zum neurologischen Befund
• Bewusstseinsklarheit, Bewusstseinstrübung oder Bewusstlosigkeit
• Pupillenfunktion und• Motorische Funktion seitendifferent an Armen
und Beinensollen erfasst und dokumentiert werden
A
Kurzfristige Kontrollen des neurologischen Befundes zur Erkennung einer Verschlechterung sollen durchgeführt werden
B
Schädel –Hirn-Trauma im Erwachsenalter, AWMF LL 008-001, S2e 02.12.2015
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Bewusstseinsstörung
Quantitative Bewusstseinsstörung= Störung der Vigilanz• Benommenheit: Denken und Handeln
verlangsamt• Somnolenz (R40.0): Schlafneigung, durch
Stimuli prompt erweckbar• Sopor (R40.1): Schlaf, durch starke Stimuli
schwer und nur vorübergehend erweckbar• Koma (R40.2): Bewusstlosigkeit, nicht mehr
erweckbar
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Bewusstseinsstörung
Qualitative Bewusstseinsstörung= Klarheit des Bewusstseins ist verändert:• Delirante Symptome
(Störung der Gedächnisleistung, Orientierung)• Retrograde und anterograde Anmesie• Bewusstseinstrübung, Störung kognitiver
Prozesse (verwirrtes, verlangsamtes Denken, Schwierigkeit sich mitzuteilen oder sinnvoll zu handeln)
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Bewusstseinsstörung
„Kind nach Sturz, trübt ein“• Initial bewusstlos?
Oder sofort geschrien?• GCS 15 nach „Aufwecken“?• Große Fontanelle (bis ca. 2. LJ)
im Niveau?
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Monroe-Kellie-DoktrinDie Summe der drei Komponenten Gehirngewebe, Blut und Liquor muss innerhalb der Schädelhöhle gleich bleiben um den intrakraniellen Druck konstant zu halten.
1010
80
LiquorBlutParenchym
Vol I + Vol II + Vol III = konstant
Physiologie
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0
10
20
30
40
50
0 Intrakranielles Volumen (ml)
Hirn
druc
k (m
mH
g)
Vol I + Vol II + Vol III = konstant
1010
80
LiquorBlutParenchym
Partielle Kompensation durch die Verschiebung von Liquor in den Spinalraum
Ziel: ICP < 20 mmHg
Physiologie
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Pathophysiologie
0
10
20
30
40
50
0
Dru
ck (m
mH
g)
Volumen (ml)
ICP
ICP = Intrakranieller Druck
2 ml können den Unterschied machen!
(dP / dV)
Einklemmung:AnisokorieMydriasisBeuge- / Streck-synergismen
hohe Compliance niedrige Compliance keine Compliance
Was passiert, wenn das Volumen zunimmt??
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Auf Hirndruckzeichen achten
• Übelkeit• Erbrechen
(Kinder „Strahlerbrechen“)
• Kopfschmerzen• Unruhe• Bewusstseinsstörungen• Anisokorie / Mydriasis• Beuge- / Strecksynergismen
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Pupillomotorik
Eine Mydriasis / Anisokorie entsteht erst ab einem ICP von 35 mmHg
Transtentorielle Einklemmung
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Pupillomotorik
Mydriasis ohne Bewusstlosigkeit =nicht durch ICP Erhörung
Transtentorielle Einklemmung
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Pupillomotorik
Transforaminäre Einklemmung
Ggf. beidseitige Miosis vor Mydriasis
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• Transbulbär• 9-3 MHZ• ONSD gesund ~5,1 ± 0,5 mm
ONSD ICP ↑ 6,3 ± 0,5 mmGrenzwert 5,7 – 5,9 mm
• Sensitivität 90%, Spezifität 85%• Schnell• Beliebig oft wiederholbar
Optikussonographie
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Seitendifferenzen
• Hämodynamik u. Gasaustausch stabil• GCS 10• Desorientiert und agitiert• Extremitäten rechts werden nicht bewegt• Schweres Mittelgesichtstrauma• Intubation• Transport mit RTH
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Seitendifferenzen
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Seitendifferenzen
Angiographie: Langstreckiger Verschluss li. ACI distal Carotisgabel, V.a. Intimadissektion
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Red flag
• Trauma• Patient für kurze Zeit benommen oder bewusstlos• Dann wach• Zunehmende quantitative Bewusstseinsstörung
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Red flag• Rasanztrauma
(hohe Werte kinetischer Energie)• Quantitative Bewusstseinsstörung• GCS ≥ 9 ≤ 15
Unfallkinetik würdigen!• Nicht zu positiv denken
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• Dynamik wichtiger als Absolutwert des GCS• Frühe Intubation,
bei Verschlechterung auch schon vor GCS ≤ 8• CAVE „Talk and die“
Red flag
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Red flag
• Rasanztrauma(hohe Werte kinetischer Energie)
• Patient primär GCS 3• Pupillen beidseits weit, keine Lichtreaktion
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Maßnahmen am Unfallort
Empfehlung LORBewusstlose Patienten (Anhaltsgröße GCS ≤ 8)sollen intubiert werden und für ausreichende (Be-) Atmung ist zu sorgen.
A
Ein Absinken der arteriellen Sauerstoffstättigungunter 90% sollte vermieden werden
B
Beim Erwachsenen sollte versucht werden, den systolischen Blutdruck nicht unter 90 mmHg sinken zu lassen
B
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Bei (V. a.) erhöhtem Hirndruck
1. Analgosedierung• Auch bei Koma Intubation in
Analgosedierung / Narkose• Husten / Pressen unbedingt vermeiden
(anhaltender ICP Anstieg)
Wenn schon, denn schon
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Bei V. a. erhöhtem Hirndruck
2. Korrekte Beatmung• Normoxie (SpO2 > 90%)• Milde Hyperventilation PaCO2 (30) - 35 mmHg! CAVE Hyperventilation <34 mmHg;
Signifikante Reduktion des CBF trotz günstigem Einfluss auf CPP und ICP
(Cole, Crit Care Med 2002)
= e.t.CO2 nicht > 30 mmHg
Wenn schon, denn schon
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Rosner-Konzept
CPP = MAP – ICP
Optimaler CPP > 60 – 70 mmHg!?(Normalwert ICP < 10mmHg)
Gehirn: 2% des KG, benötigt 15% des HZV und20% des Sauerstoffverbrauches
Durchblutung graue Substanz 80-100 ml / 100g / min
(MAP = Mittlerer arterieller Druck / ICP = Intracerebraler Druck)
Druck = Fluss x WiderstandCPP = zerebraler Blutfluss (CBF) x zerebraler Gefäßwiderstand (CVR)
CBF = CPP / CVR (Autoregulation)
Rosner MJ, Rosner SD, Johnson AH. Cerebral perfusion pressure: management protocol and clinical results.J Neurosurg 1995; 83: 949-962.
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Bei V. a. erhöhtem Hirndruck
3. CPP: > 50 mm Hg < 70 mmHg• CPP = MAP – ICP
MAP = (RRsyst + RRdiast + RRdiast) /3• Normovolämie• Ggf. Einsatz von Vasopressoren
Wenn schon, denn schon
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CPP = MAP – ICP60 mmHg = 80 mmHg – 20 mmHg
RR 100/60 mmHg = MAP 73 mmHgRR 120/80 mmHg = MAP 93 mmHg
> Hypotonie behandeln
Rosner-Konzept
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Bei V. a. erhöhtem Hirndruck4. Optimalen venösen Abfluss sicherstellen
• 15-30° Oberkörperhochlagerung• Kopf achsengerecht (gerade)• HWS Immobilisationkrawatte
so lose wie vertretbar
Wenn schon, denn schon
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Bei V. a. transtentorielle Herniation
5. Osmotherapie• Verbesserung des outcome nicht bewiesen• Senkung des ICP aber möglich• Mannitol 15% (825 mosm) und
Mannitol 20% (1100 mosm)bei Einklemmungszeichen 1 (- 2) g/kgKG= 500 ml 15% oder 375 20% bei 75 kgKG
Wenn schon, denn schon
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Wenn schon, denn schon
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Gründliches präklinisches Assessment ist der Schlüssel zum Erfolg• Unfallkinetik würdigen• Neurologischen Status erheben (GCS, Pupillen)• Dynamik der neurologischen Symptome beachten• Alle Manöver die ICP steigern vermeiden
(insbesondere während der Diagnostik)• Mit einfachen Maßnahmen ICP Anstieg verhindern• Bei Hirndruckzeichen konsequent ICP senken• Keine voreilige Prognosen
Fazit
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Notfallnarkose