Prof. Dr. Martin Hafen, Sozialarbeiter und SoziologeInstitut für Sozialmanagement, Sozialpolitik und Prä[email protected]
Referat anlässlich des 7. Treffens des Netzwerks der kantonalen und kommunalen Ansprechstellen für GewaltpräventionBern, 10. Dezember 2015
Was heisst Evidenzbasierungin der Gewaltprävention?
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Gewaltprävention zwischen Prävention und Behandlung
Referat Martin Hafen, 10.12.2015
Was heisst Evidenzbasierung in der Gewaltprävention?
Averdijk & Eisner 2014, S. 13; Hafen 2013
Primär-Prävention
Sekundär-prävention
Tertiär-prävention
UniversellePrävention
SelektivePrävention
IndiziertePrävention
Prävention Behandlung Früherkennung
Die 70/25/5-Prozentregel
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Ausgangslage
Referat Martin Hafen, 10.12.2015
Was heisst Evidenzbasierung in der Gewaltprävention?
HTA-Bericht zur Alkoholprävention bei Kindern und Jugendlichen - nur 11 von 208 untersuchten Projekten haben eine Wirkungsevaluation, - nur bei 4 Projekten (1,8%) wird eine Wirkung nachgewiesen, - nur 2 Studien sind methodisch zufriedenstellend und damit evidenzbasiert.
Das Kölner Memorandum ‘Evidenzbasierung in der Suchtprävention’
Korszak 2012
Die Erkenntnisse lassen sich für jeden Präventionsbereich nutzen
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Die Definition von Evidenzbasierung
Definition Evidenzbasierte Suchtprävention (Gewaltprävention) entspricht der gewissenhaften, vernünftigen und systematischen Nutzung …
…als auch des Praxiswissens sowie des Wissens der Zielgruppen…
Davon zu unterscheiden ist die Generierung von neuem Wissen für evidenz- basierte Prävention. Sie erfolgt im Kontext von Forschung und Praxis.
… für die Planung, Implementierung, Evaluation, Verbreitung und Weiterentwicklung von verhältnis- und verhaltensbezogenen Massnahmen.
Referat Martin Hafen, 10.12.2015
Was heisst Evidenzbasierung in der Gewaltprävention?
… der gegenwärtig bestmöglichen theoretisch und empirisch ermittelten wissenschaftlichen Erkenntnisse …
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7-Stufenmodell der Evidenzbasierung und -generierung
Referat Martin Hafen, 10.12.2015
Was heisst Evidenzbasierung in der Gewaltprävention?
Die Stufe des Projektziels
Die Stufe der Projektfolgen
Die Stufe der Einflussfaktoren
Die Stufe der Massnahmen
Die Stufe der Zielsysteme
Die Stufe der Akteure
Die Stufe der Auftraggeber
Hafen 2013/2015
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Die Stufen des Projektziels und der Folgewirkungen
Referat Martin Hafen, 10.12.2015
Was heisst Evidenzbasierung in der Gewaltprävention?
Wissensgrundlagen - Theoretische Klärung (z.B. Gewaltformen) - Empirische Forschung zur Problementwicklung (z.B. Polizeistatistik, Jugendbefragungen) - Sonstige Konstruktionsinstanzen (Massen- medien, Politik) beachten
Wirkungsziele - Problemreduktion - erwünschte Folgewirkungen (Verhinderung von psychischen Problemen, Arbeitsplatzverlust etc.) - Verhinderung unerwünschter Folgewirkungen
Wirkungsmessung - oft sehr anspruchsvoll (unterschiedliche Einfluss- faktoren, kleine Interventionsgruppen, Kosten etc.) - Methodischer Standard: RCT-Studien mit Messung von Langzeiteffekten
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Die Stufe der Einflussfaktoren
Referat Martin Hafen, 10.12.2015
Was heisst Evidenzbasierung in der Gewaltprävention?
Wissensgrundlagen - Wissenschaftliches (empirisches und theoretisches) Wissen zur Problementstehung (Ätiologie)
Wirkungsziele - Stärkung der Schutzfaktoren - Verringerung der Risikofaktoren
Die Vielfalt der Risiko- und Schutzfaktoren - körperlich, psychisch, sozial, physikalisch-materiell - hochkomplexe, dynamische und individuelle (syste- mische) Einflussfaktorenkonstellationen
Wirkungsmessung - Messung der Faktoren vor und nach der präventiven Massnahme und idealerweise auch später
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Die Stufe der Zielsysteme in der Gewaltprävention
Referat Martin Hafen, 10.12.2015
Was heisst Evidenzbasierung in der Gewaltprävention?
Wissensgrundlagen - ‘Systemtheorien’ und empirische Erkenntnisse - ExpertInnenwissen und Zielgruppenwissen
Wirkungsziele/Wirkungsmessung - Stärkung der Schutzfaktoren in konkreten Systemen - Verringerung der Risikofaktoren in diesen Systemen - höchstmögliche Akzeptanz als Voraussetzung
Die Vielfalt der Zielsysteme - Individuen mit ihren Psychen und Körpern - soziale Systeme (Familien, Organisationen etc.) mit ihrer physikalisch-materiellen Umwelt
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Die Stufe der Massnahmen/Methoden
Referat Martin Hafen, 10.12.2015
Was heisst Evidenzbasierung in der Gewaltprävention?
Wissensgrundlagen - Theoretisches und empirisches Wissen zur Wirkung einzelner Methoden (Wirkungstheorien) - ExpertInnenwissen
Wirkungsziel qualitativ hochstehende Umsetzung der Massnahmen
Die Wahl der Massnahmen/Methoden - Verhältnis von verhaltens- und verhältnis-orientierten Massnahmen - wirkungsvolle vs. wirkungslose methodische Zugänge - ethische Reflexion der Massnahmen
Wirkungsmessung Prozessevaluation
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Die Stufe der Akteure
Referat Martin Hafen, 10.12.2015
Was heisst Evidenzbasierung in der Gewaltprävention?
Wissensgrundlagen - den Aufgaben angepasstes Grundlagen- und Methodenwissen
Wirkungsziel Selektion, Ausbildung und Begleitung geeigneter Akteure
Die Wahl und Ausbildung der Akteure - alle im Rahmen des Projekts aktiven Personen inkl. allfälliger MultiplikatorInnen - adäquate Vorbereitung auf ihre Aufgaben und ange- messene Begleitung
Wirkungsmessung Prozessevaluation
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Die Stufe der Auftraggeber
Referat Martin Hafen, 10.12.2015
Was heisst Evidenzbasierung in der Gewaltprävention?
Wissensgrundlagen wissenschaftliches und Expertenwissen zu den Akteuren
Wirkungsziel saubere Auftragsklärung (inkl. Klärung wechselseitiger Erwartungen und nicht deklarierter Motive)
Vielfalt der Auftrag- und Geldgeber - Bund, Kantone, Gemeinden, Private etc. - Relevante Rahmenbedingungen - allfällige verdeckte Motive
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Herausforderungen der Evidenzbasierung/-generierung
Referat Martin Hafen, 10.12.2015
Was heisst Evidenzbasierung in der Gewaltprävention?
Herausforderungen der Evidenzgenerierung - ökonomische Grenzen - instrumentelle Grenzen: empirische Daten sind nicht das einzige Wirkungsmerkmal - methodologische Grenzen: nicht alles, was sinn- voll ist, ist messbar und nicht alles, was messbar ist, ist sinnvoll - Wirkfaktorenverdeckung - ethische Grenzen
Herausforderungen der Evidenzbasierung - Zeit und Geld - Nicht vorhandenes wissenschaftliches Wissen
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Probleme der Evidenzbasierung/-generierung
Referat Martin Hafen, 10.12.2015
Was heisst Evidenzbasierung in der Gewaltprävention?
Uneinheitliche Verwendung von Begriffen
Ungeklärte Erwartungen bei der Akquise
Selektionsprobleme Vernachlässigung bestimmter Zielgruppen/Methoden zugunsten grosser Interventionsgruppen
Pauschalisierung Der fehlende Wirkungsnachweis bedeutet nicht zwangs- läufig, dass keine Wirkung vorhanden ist
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Handlungsempfehlungen für Forschung und Praxis
Referat Martin Hafen, 10.12.2015
Was heisst Evidenzbasierung in der Gewaltprävention?
Forschung praxisnah gestalten
Bessere Zusammenarbeit von Forschung und Praxis
Praxis der Prävention optimieren
Hoff et al. 2014, Hoff & Klein 2015, Hafen 2015a
Forschungsförderung verändern
15 Referat Martin Hafen, 10.12.2015
Fazit zur Evidenzbasierung in der (Gewalt-)Prävention
Was heisst Evidenzbasierung in der Gewaltprävention?
Bei vielen Projekten ist die Erforschung der Wirkung nicht möglich
Die Erforschung der Wirkung von Prävention ist oft suboptimal
Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Projekte wirkungslos sind
Mehr Evidenzbasierung ist notwendig und auch machbar
Für mehr Evidenzbasierung/-generierung braucht es angemessene Rahmenbedingungen; Grundlagen sind vorhanden
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Literatur• Averdijk, Margrit & Eisner, Manuel (2014). Wirksame Gewaltprävention. Eine Übersicht zum internationalen Wissensstand. Bern: Bundesamt
für Sozialversicherungen• Bühler, Anneke; Thrul, Johannes (2013). Expertise zur Suchtprävention. Aktualisierte und erweiterte Neuauflage der ‚Expertise zur Prävention
des Substanzmissbrauchs‘. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung• Fabian, Carlo; Käser, Nadine; Klöti, Tanja & Bachmann, Nicole (2014).Good Practice-Kriterien Prävention von Jugendgewalt in Familie, Schule und
Sozialraum. Bern: Bundesamt für Sozialversicherungen• Hafen, Martin (2015a). Systemisches Stufenmodell evidenzbasierter und wirkungsorientierter Prävention und Gesundheitsförderung. MS. Luzern• Hafen, Martin (2015b). Evidenzbasierte Suchtprävention aus systemtheoretischer Perspektive. S. 43-55 in: T. Hoff, M. Klein (Hrsg.), Evidenzbasierung
in der Suchtprävention. Berlin/Heidelberg: Springer• Hoff, Tanja; Klein, Michael; Arnaud, Nicolas; Bühler, Annekke; Hafen, Martin; Kalke, Jens; Lagemann, Christoph; Moesgen, Diana; Schulte-Derne,
Frank & Wolstein, Jörg (2014). Memorandum Evidenzbasierung in der Suchtprävention – Möglichkeiten und Grenzen. Köln: Deutsches Institutfür Sucht- und Präventionsforschung der Katholischen Hochschule NRW, Abt. Köln
• Korszak, Dieter (2012). Föderale Strukturen der Prävention von Alkoholmissbrauch bei Kindern und Jugendlichen. HTA-Bericht 112a Addendum.Köln: DIMDI
• Uhl, Alfred (2012). Methodenprobleme bei der Evaluation komplexerer Sachverhalte: Das Beispiel Suchtprävention. S. 56-78 in: Robert Koch-Institut,Bayrisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (Hrsg.), Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes: Evaluationkomplexer Interventionsprogramme in der Prävention: Lernende Systeme, lehrreiche Systeme? Berlin: RKI
Frühe Förderung aus der Perspektive der Prävention
Referat Martin Hafen, 10.12.2015
Was heisst Evidenzbasierung in der Gewaltprävention?