Reisen in Burma
BuRmaReisen in
Bettina Flitner | Fotos
Alice Schwarzer | Text
Burma im Wandel20
Bagan und die Kobra42
Der Inle-See und die Pa-Os68
mandalay und die Chinesen88
Drei Flussfahrten: ayerwaddy, Kaladan und Delta112
Ngapali, der Traumstrand und das Fischerdorf132
Fotoübersicht150
Die autorinnen 157
Inhalt
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er melancholische Prinz auf der Titelseite ist
ein Pa-O. Die chinesisch-stämmigen Pa-Os im
Nordosten des Landes sind nur eine von über
hundert Ethnien in Burma. Ihre Rebellion gegen
den einst von den britischen Kolonialherren geschmie-
deten Vielvölkerstaat ist beigelegt – und nun managen
die Ex-Rebellen ein Pfahl-Hotel mitten auf dem Inle-See.
abends führen sie im Golden Island Cottage in bizarr-
anmutigen Kostümen Heimisches für die Gäste auf, mit
musik und Tanz. und der tragische min Dha, der Prinz, ist
der Höhepunkt.
Wenig hat mich so berührt wie dieser Tänzer in der
traditionellen Rolle des Prinzen. Verkörpert er doch diese
versinkende Welt; die Trauer, aber auch die Hoffnung, zwi-
schen der die Burmesen heute schwanken. Ich schreibe
diesen Text im mai 2012, nach unserer sechsten Reise
nach Burma in den letzten zwölf Jahren. Die Fotos in die-
sem Buch entstanden in den Jahren 2000 bis 2012. Jetzt
befindet sich das so lange isolierte Land in einem rasan-
ten Wandel. Es ist schwer zu sagen, wie es in dem so
verwunschenen Land zwischen China und Indien in ein
paar Jahren aussehen wird.
anfang april haben Nachwahlen für 45 von 485 Parla-
mentssitzen stattgefunden. 43 gingen an die „Nationale Liga
für Demokratie“ (NLD), die Partei von aung San Suu Kyi. Das
ist viel. Zu viel für die Generäle, denn die NLD kann bei den
für 2015 anstehenden Wahlen mit vielen Stimmen, wenn
nicht gar der mehrheit rechnen. Ihre Gründerin, die „Lady“,
wie die Tochter des revolutionären Staatsgründers General
aung San und Witwe eines Engländers vom Volk genannt
wird, war über zwei Jahrzehnte das Symbol der Hoffnung
in dem von einer postsozialistischen militärdiktatur bevor-
mundeten Land. auch wenn das, was aung San Suu Kyi tat,
nicht immer realistisch und schon gar nicht zum Besten des
Volkes war. So befürwortete sie als erste über 20 Jahre und
bis zuletzt den von amerikanischen menschenrechtlern ge-
forderten und westlichen Regierungen verordneten Boykott
Burmas. Der trieb das Land in den Ruin und vollends in die
arme seines mächtigen Nachbarn China.
Es war dann zu aller Überraschung der jüngste unter
den alten Generälen, der den Schritt zur Öffnung des ver-
schlossenen Landes wagte: Thein Sein, den heute alle,
auch die Lady, für integer und guten Willens halten. Eine
Öffnung, die Chance und Gefahr zugleich ist für das bisher
relativ unberührte Land und seine entsprechend ahnungs-
lose Bevölkerung: Freie Wahlen, eine realistische Währung,
Internet und Fernsehen – und das Ende der Boykotte.
Der Westen hat ein Interesse an Burma, nicht nur
wirtschaftlich, sondern auch und wohl vor allem geopo-
litisch: Burma teilt eine 2.000-Kilometer-Grenze mit China,
der kommenden Weltmacht. Da ist der Westen gern so
dicht wie möglich auf Posten.
also passierte auf unserer letzten Reise Ende 2011/
anfang 2012 innerhalb von zwei Wochen mehr als in den
20 Jahren zuvor. als erste kam Hillary Clinton und schüt-
telte zunächst der Lady und sodann Präsident Thein Sein
vor klickenden Kameras lange die Hand. Ihr folgten auf
dem Fuße der britische und sodann der französische
außenminister. Beide wollen ihre Deutungshoheit in der
Region nicht verlieren. Der Franzose als einstiger Herr
von „l’Indochine“ (heute Vietnam, Laos und Kambodscha).
Die Briten als die Ex-Kolonialherren von Burma, die nach
56 Jahren harter Herrschaft außer Landes gejagt wurden,
aber bis heute ihren Boden- und Immobilien-„Besitz“ in
der Region zurückfordern. Wie das so war in der Kolonial-
zeit, erzählt niemand so eindrücklich wie George Orwell,
einst britischer Polizeioffizier in Burma. Er stieg 1927 aus
und schrieb seinen ersten Roman über das triste Herren/
Sklaven-Verhältnis zwischen Engländern und Burmesen:
„Tage in Burma“. Das Buch wurde bis vor kurzem im eng-
lischen Original an zahlreichen offiziellen Stellen für einen
Dollar angeboten. allmählich verschwindet es, so wie die
Erinnerung an die Kolonialzeit. Die letzten Zeitzeugen
sterben.
1948 wurde Burma unabhängig und nach einer
wechselvollen halbdemokratischen Phase putschten 1962
die Generäle und führten ein sozialistisches Regime ein.
Die Folge: Isolation, Stagnation und Korruption. Doch gab
es kaum sichtbares Elend in Burma, keine Bettelnden oder
gar Verhungernden auf den Straßen, wie im Nachbarland
Indien. Sicher, das Land rangiert ganz oben unter den
ärmsten Ländern der Welt. aber es war einfach ein ganz
anderes Leben: mit Kerosinlampen statt Elektrizität, in Bam-
bushütten statt Hochhäusern, mit Longyis (den traditionel-
len Wickelröcken) statt Labels und Tanaka statt Kosmetik,
mit Buddhismus statt Konsumrausch.
Dennoch, so kann es nicht weitergehen. Das einst
reichste Land asiens hat zu Beginn des 21. Jahrhunderts
kein Gesundheitssystem, kein Bildungssystem, kein Rechts-
system und keine funktionierende Wirtschaft, nur Naivität
oder Raffgier. aber es hat seine menschen, seine Kultur,
sein Land: überwältigende Landschaften, einen allgegen-
wärtigen Buddhismus und liebenswürdige menschen.
Noch nie bin ich in einem Land so unbefangen im Dun-
keln durch Stadtzentren wie durch Townships und über
einsame Strände geschlendert, nirgendwo so offen auch
in den ärmsten Hütten empfangen worden wie in diesem
Land. Tipp: unbedingt eine Taschenlampe mitnehmen.
Der Strom fällt oft aus.
Wir sind durch Thein Gyi, die mittelalterlichen markt-
hallen von Yangon gestreift und haben mit den Burmesen
barfuß bei Sonnenuntergang die unvergleichliche Swe-
dagon umrundet. Wir haben die Tausend-Pagoden-Fel-
der von Bagan durchwandert und unter dem mächtigen
Burma im Wandel
D
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Eulen-Baum am ayerwaddy lauwarmes myanmar-Bier
getrunken. Wir haben auf den staubigen Straßen von
mandalay in Fahrrad-Rikschas unser Leben riskiert und
den Goldbeatern beim Schlagen der Goldplättchen zuge-
sehen, die im ganzen Land als Zeichen der Ehrerbietung
meterdick die Buddhas bedecken. Wir sind vom nörd-
lichen Bhamo aus mit dem öffentlichen Verkehrsboot
unter Hunderten von Burmesen und Reissäcken den
ayerwaddy hinuntergeglitten und haben gestaunt, wie
gut ein Curry mit frischem Fisch aus dem Fluss und so
einer verdreckten Bordküche schmecken kann. Wir sind
auf dem Inle-See von einem einstigen Rebellenführer in
den verbotenen Süden des Sees gefahren worden, ha-
ben auf archaischen märkten die spröden Pa-O-Frauen
angelächelt und in einer kleinen Weberei am See einen
Schal aus Lotusseide erstanden. Wir sind unter Vollmond
auf einem verschmierten Öltanker, allein mit Kapitän und
Schiffsjungen, den Kaladan hinaufgeschippert bis mrauk
u, haben nachts die Hyänen heulen hören und am Tag
biblische Szenen unter Palmen bestaunt. und wir haben
an dem auch unter Burmesen legendären Strand von
Ngapali genossen, dass ein Palmenstrand wirklich so un-
wirklich schön sein kann – und haben uns auch von den
Bürokraten unseres Staatshotels nicht entzaubern lassen.
Ja, der Vielvölkerstaat Burma, der zurzeit offiziell
myanmar heißt, hat viel zu verlieren. aber er hat auch viel
zu gewinnen. Die größte Gefahr beschwörte Präsident
Thein Sein erneut am 4. Januar 2012, dem Tag der nationa-
len unabhängigkeit: das Zerbrechen der „nationalen Ein-
heit“. Sollte das passieren, droht Burma ein jugoslawisches
Schicksal. Nicht minder heikel ist der Übergang von der
alten militärdiktatur zur neuen Demokratie. Daran stricken
natürlich nicht nur die Freunde Burmas. Die Goldgräber
und Sextouristen stehen schon ante portas. Noch drohen
Letzteren schwere Gefängnisstrafen (2010 wurde ein Deut-
scher wegen missbrauchs eines Jungen zu acht Jahren Ge-
fängnis verurteilt). aber wie lange noch? Erste anzeichen
für offene Prostitution sind schon jetzt in Yangon zu sehen.
Doch die stärkste Veränderung scheint vom Fern-
sehen auszugehen. als wir im Jahr 2000 zum ersten mal
durch das Stranddorf Ngapali schlenderten, da gab es
ein einziges Fernsehgerät im ganzen Dorf, davor saß die
halbe Nachbarschaft – und auch wir wurden freundlich
eingeladen. Heute, im Jahr 2012, hat dort fast jedes Haus,
jede Hütte ein Fernsehgerät, und davor sitzen menschen,
die so ganz anders aussehen und ganz anders leben als
die, die sie da in koreanischen und amerikanischen Soaps
mit runden augen bestaunen. Welche Schlüsse werden
die Burmesen daraus ziehen? In Yangon, einst das geis-
tige und kulturelle Zentrum asiens und bis 2005 Regie-
rungssitz, ist der Wandel schon jetzt unübersehbar. Neben
dem kleinen, vertrödelten Provinzflughafen von früher, der
jetzt nur noch für innerburmesische Flüge genutzt wird,
ist ein überdimensionierter Beton/Glaskasten entstanden,
dessen vier Gates bis auf eines brachliegen, noch. an den
marktständen verdrängt die Plastikware aus China zuneh-
mend das burmesische Handwerk. Neben den männern
in Wickelröcken schlendern neuerdings Jungs in Jeans
und provozieren die ersten Punks. Zwischen den überfüll-
ten, uralten Bussen gleiten autos, ja Vans, und sogar erste
tiefverschleierte musliminnen im Tschador sind zu sehen.
Die waren bisher eine unauffällige, integrierte minderheit
mit Kopftuch.
Doch noch, noch ist fast alles beim alten. Neben
der buddhistischen Pagode ruft der muezzin zum Gebet
und öffnet die letzte Synagoge ihre Pforten. In der Sule
Pagode tafeln die Händler, in der Swe Bontha Street trin-
ken die Wahrsager und Diamantenhändlerinnen Tee, und
auf der goldenen Swedagon, dem höchsten – und wohl
auch schönsten – Heiligtum des Buddhismus packen die
Burmesen ihre Reistöpfe aus. Der Buddhismus gehört in
Burma zum alltag. und die Generäle haben gut daran ge-
tan, den Glauben nicht – wie im maoistischen China – zu
unterdrücken. Vermutlich haben sie es nie auch nur erwo-
gen, schließlich sind sie selber tief gläubig.
Im Jahr 2005 zog die Junta quasi über Nacht um und
machte die aus dem Boden gestampfte Stadt Naypyidaw
zum Regierungssitz. Yangon, die versandete Hafenstadt,
blieb mit ramponierten Straßen und verfallenden Häusern
aus der Kolonialzeit zurück. Es heißt, die Generäle hätten
den umzug nicht ohne Befragung diverser Orakel vollzo-
gen. auch damit wären sie volksnah. Denn neben dem
Buddhismus existiert ein lebendiger Glaube an die Nats,
an Tiergötter und Naturphänomene. und der umzug einer
Regierung bei Beginn einer neuen Ära hatte bereits bei
den burmesischen Königen Tradition. Doch gibt es auch
rationale Gründe für die Verlegung des Regierungssitzes. In
der Tat liegt Naypyidaw in der mitte des Landes, zwischen
den beiden metropolen Yangon und mandalay. Vor allem
wäre es auch nicht so gefährdet bei einer Invasion vom
meer her. und damit, mit einem „Einmarsch zur Befreiung“,
musste das Regime bis 2005 durchaus noch rechnen.
Jetzt öffnet Burma sich aus eigenen Stücken – wohl
auch unter dem Eindruck des „arabischen Frühlings“ (der
längst zum Winter zu werden droht). Denn der hat allen
autoritären Regimen der Welt noch einmal gezeigt, wel-
che Rolle Internet und Westen beim Sturz unliebsamer
Herrscher spielen können. Sollte in einem der letzten
postsozialistischen Länder der Welt die sanfte Öffnung ge-
lingen und ein behutsamer Übergang vom militärregime
zur Demokratie westlichen Stils oder vielleicht sogar ein
dritter Weg gangbar sein – dann wäre das nicht nur gut für
Burma, sondern gut für alle, die dieses Land lieben gelernt
haben. So wie wir.
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