Resolution der Vollversammlung des 30. Weltkongresses des Internationalen Theaterinstituts in Tampico (Mexiko) zum Projekt einer internationalen
Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt
Eingebracht von folgenden nationalen Zentren des Internationalen Theaterinstitutes: Bangladesh, Deutschland, Kamerun, Kolumbien, Mexiko, Philippinen, USA, Schweden, Schweiz, Sudan Der dreißigste Weltkongress des Internationalen Theaterinstitutes
bekräftigt
- dass die Freiheit des Denkens und des künstlerischen Schaffens untrennbar mit der kulturellen Vielfalt verbunden ist
- dass die Werke des Geistes nicht allein auf die kommerzielle Dimension reduziert werden können
- dass die Art der gegenwärtigen Globalisierung dahin tendiert, die Werke der Kunst einzig und allein den Gesetzen des Marktes zu unterwerfen
- dass das Recht der Völker und Gemeinschaften auf eine Pluralität lebendiger Kulturen- gemeinsames Erbe der Menschheit- auf wirksame und dauerhafte Weise garantiert werden muss
- dass ohne kulturelle Vielfalt kein Austausch unter den Kulturen stattfinden kann
erinnert
- dass die Demokratie und die Menschenrechte nicht ohne die Vielfalt des geistigen und künstlerischen Ausdrucks begriffen werden können
- dass jegliche Form von Hegemonie, als Faktor der Uniformisierung, diese Vielfalt bedroht
- dass die Staaten und die überstaatlichen Organisationen eine Politik zu bewerkstelligen haben, die kulturelle Vielfalt gewährleistet
- dass die Logik der WTO die Unterwerfung aller Bereiche, einschließlich der Kultur, unter die Gesetze des Marktes induziert und letzterer eine unangemessene Liberalisierung aufzwingt, die zudem nicht mehr rückgängig gemacht werden kann
Folglich begrüßt der 30. Weltkongress des Internationalen Theaterinstitutes die Absicht, eine internationale Konvention über kulturelle Vielfalt zu schaffen.
Er verlangt
- dass die genannte Konvention zu einem Rechtsinstrument wird, das imstande ist, ein wirksames Gegengewicht zu den Verhandlungsinstanzen im Bereich des Handels zu werden, gleich ob es sich um die WTO oder eine andere Instanz handelt
- dass diese Konvention es ermöglicht, auf den kulturellen Bereich Regeln anzuwenden, die im Einklang mit seiner Spezifik stehen. Die Anwendung dieser Regeln muss jedoch mit den individuellen und kollektiven Rechten in Einklang stehen, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und in den anderen Texten der Vereinten Nationen, die sich auf die Grundrechte beziehen, festgeschrieben sind
- dass diese Konvention bindende Regeln enthält, die es erlauben, den kulturellen Bereich aus jedweder Instanz internationaler kommerzieller Verhandlungen auszuschließen, gleich ob es sich um die WTO oder eine andere Instanz handelt.
Zudem er erklärt sich das Internationale Theaterinstitut bereit, in einen vertieften Dialog mit den zuständigen Instanzen der U.N.E.S.C.O., sowie mit den internationalen Berufsorganisationen zu treten, die die Schaffung der Konvention unterstützen und begleiten.
Der Kongress schlägt vor, zu diesem Zweck eine ständige Arbeitsgruppe zu konstituieren, die die Diskussion über die Konvention innerhalb der U.N.E.S.C.O. verfolgt und begleitet, und die Informationen über den Fortschritt und über die Probleme ihrer Ausarbeitung sammelt.
(Die Resolution wurde am 4. Juni 2004 einstimmig und ohne Enthaltungen von der Vollversammlung des Internationalen Theaterinstitutes verabschiedet)
Comité de vigilance pour la diversité culturelle
Wachsamkeitskomitee für die kulturelle Vielfalt
POSITIONSPAPIER ZU EINEM INTERNATIONALEN VERTRAG ÜBER DIE KULTURELLE VIELFALT
November 2002
Kultur ist die Sprache der Völker oder der Gemeinschaften von Individuen. Das Recht auf Gedankenfreiheit und auf freien Ausdruck in der eigenen Kultur ist unveräußerlich. Dieses Recht kann nicht ausgeübt werden ohne Freiheit des künstlerischen Schaffens und ohne Fähigkeit zur kulturellen Produktion und Verbreitung. Diese Fähigkeit wird meistens durch die Staaten gesichert, die diejenigen Maßnahmen treffen müssen, die sie für notwendig halten, damit ihre Bürger Zugang zu einer Darstellung der Welt haben, die aus ihrer eigenen Kultur hervorgeht. Diese Fähigkeit eines jeden Volkes die Welt durch die eigene Sprache zu repräsentieren, konstituiert die kulturelle Vielfalt. Ohne sie gibt es keinen kulturellen Austausch.
Heute gefährdet der Prozess der Globalisierung, der nur zu oft einzig und allein durch die Regeln des Handels gelenkt wird, diese Pluralität im Namen eines Weltmarkts, der als einzige Größe gedacht wird und in dem industrielle und finanzielle Entwicklung synonym ist mit Formatierung und Uniformisierung.
Angesichts der Bedrohungen für die Kultur will das Wachsamkeitskomitee internationale Lösungen fördern, die es allen Kulturen ermöglichen, sich zu entfalten und nebeneinander zu existieren.
I. DER INTERNATIONALE KONTEXT: DIE VORHERRSCHAFT DER WELTHANDELSORGANISATION WTO
Nachdem es lange Zeit als einfaches allgemeines Zoll- und Handelsabkommen fungiert hatte, wurde das GATT-Übereinkommen 1995 am Ende der Uruguay-Runde zu einer eigenständigen internationalen Organisation ausgebaut, die ihr Interventionsfeld auf den Dienstleistungsbereich1 und den Bereich des geistigen Eigentums2 ausgedehnt hat.
Das ursprüngliche GATT-Übereinkommen von 1947 sah in seinem Artikel IV die Möglichkeit für einen Staat vor, eine innerstaatliche quantitative Reglementierung aufrechtzuerhalten, die zur Projektion von Filmen nationaler Herkunft verpflichtete. Der Artikel präzisierte jedoch, dass die
1 Allgemeines Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen GATS 2 ADPIC
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Kontingente projektierter Filme Verhandlungsgegenstand werden sollte, mit dem Ziel die Tragweite dieser Kontingentierung zu begrenzen, sie flexibler zu machen oder sie zu beseitigen.3
Hingegen wurde es während der Verhandlung 1993 strikt abgelehnt, im Allgemeinen Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen GATS eine spezifische Klausel über die Kultur oder über kulturelle und audiovisuelle Dienstleistungen aufzunehmen; die Geschmeidigkeit des GATS-Übereinkommens liegt also in seiner Struktur: Der Zugang zum Markt und die Inländerbehandlung, zwei wichtige Disziplinen des internationalen Handels, werden nur dann wirksam, wenn die Staaten in Verpflichtungslisten, die dem Übereinkommen beigefügt werden, diejenigen Bereiche einschreiben, die sie diesen Disziplinen unterwerfen wollen. Hingegen ist die Meistbegünstigungsklausel in den Artikel II eingeschrieben und findet folglich Anwendung auf die Gesamtheit der Bereiche; sie verlangt, dass auf die Gesamtheit der WTO-Mitgliedsstaaten diejenigen Präferenzen angewendet werden, die man gewissen Staaten gewährt. Es ist jedoch möglich gegenüber dieser Klausel Vorbehalte zu machen, und zwar durch Deponierung einer Dispensliste, um einzelne Übereinkommen abzudecken (z.B. Übereinkommen über Koproduktionen im Filmbereich).
Die Geschmeidigkeit, die den Staaten eine gewisse Freiheit einzuräumen scheint, ist jedoch in Wirklichkeit eine Struktur, die die fortschreitende Liberalisierung ermöglicht. Selbst wenn während der Uruguay-Runde die Mehrzahl der Staaten sich zunächst nicht zu einer Liberalisierung im audiovisuellen Bereich verpflichtete (122 von 144 gegenwärtigen Mitgliedern der WTO) und Dispensierungen von der Meistbegünstigungsklausel deponiert hat (51 Staaten darunter die 15 Mitgliedsländer der Europäischen Union), zwingt sie die progressive Liberalisierungsverpflichtung, die als vertragliche Verpflichtung in den Artikel XIX des GATS-Abkommens eingeschrieben ist, in ihren Liberalisierungsverpflichtungen qualitativ und quantitativ bei jeder Verhandlungsrunde weiter zu gehen und die Ausnahmen von der Meistbegünstigungsklausel, die im Prinzip auf 10 Jahre begrenzt sind, zu eliminieren. Die Doha-Runde, die im November 2001 auf der 4. Ministerkonferenz der WTO begann, verfolgt diese Ziele.
Sobald die kulturellen und audiovisuellen Dienstleistungen von den Disziplinen des GATS-Abkommens abgedeckt werden, betreffen die Diskussionen über die Subventionen und den elektronischen Handel, die zur Zeit anlässlich potentieller Disziplinen laufen, ebenfalls direkt die künftige Behandlung dieser Dienstleistungen.
Infolge der Weigerung der Mehrheit der Staaten eine wirklich dauerhafte Ausnahmeregelung in das GATS-Abkommen einzuführen, bestand somit die Rückzugslösung der Europäischen Union und anderer einzelner Staaten darin, keine Liberalisierungsverpflichtung im audiovisuellen und/oder kulturellen Bereich einzugehen und eine Dispensliste zu deponieren. Eine solche Lösung kann jedoch nicht als dauerhaft angesehen werden.
3 Diese Bestimmung des GATT von 1947 ermöglicht noch heute den Staaten, Kontingente projektierter Filme beizubehalten (Spanien, Südkorea, Brasilien, Ägypten usw.).
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Wie lässt sich eine kulturelle Annäherung an die Problematik des Austauschs kultureller Güter und Dienstleistungen entwickeln?
Kulturelle Güter und Dienstleistungen haben eine kulturelle und kommerzielle Doppelnatur. Die rechtlich am weitesten entwickelte Sichtweise ist zur Zeit die der WTO, also eine rein kommerzielle.
Im Kontext der Vorherrschaft der kommerziellen Regelungen wurde die Berücksichtigung der kulturellen Dimension in der Form von Dispensregelungen vorgenommen. Eine solche Annäherung verstärkt die kommerzielle Sichtweise als allgemeines Prinzip, indem sie dem Handel Vorrang vor der Kultur gibt. Für eine wirkliche Anerkennung der kulturellen Dimension der kulturellen Güter und Dienstleistungen ist es notwendig, dass Regeln geschaffen werden, die außerhalb des kommerziellen Systems stehen.
Es ist deshalb notwendig, von der Problematik der Behandlung der Güter und Dienstleistungen überzugehen auf die allgemeinere Problematik der Erhaltung der kulturellen Identitäten und der kulturellen Vielfalt. Diese Entwicklung gründet auf der Feststellung, dass das kommerzielle System zur Behandlung der kulturellen Dimension vollkommen ungeeignet ist. Die WTO ist nicht imstande, die Erhaltung der kulturellen Identitäten und der kulturellen Vielfalt zu gewährleisten: die Kultur liegt nicht in ihrem Kompetenzbereich.
Die Lösung muss von anderer Stelle kommen. Die verschiedenen Erklärungen zur kulturellen Vielfalt, die in den letzten Jahren beschlossen wurden (Europarat, Frankophonie, UNESCO) müssen als erster Schritt in die richtige Richtung angesehen werden4.
Für das fundamentale Recht der Staaten, diejenige Kulturpolitik zu beschließen und durchzuführen, die sie für angemessen halten, muss eine rechtliche Grundlage geschaffen werden, um vom kulturellen Standpunkt aus die Bedingungen zu artikulieren, die notwendig sind, um kulturelle Identitäten und kulturelle Vielfalt zu erhalten und zu fördern. Die Vorteile einer solchen Annäherung an die Problematik, die die Ausarbeitung eines internationalen Vertrages zum Ziel hat, lägen darin:
- eine breite Diskussion über die Beziehungen zwischen Kommerz und Kultur zu beginnen und eine globale Vision der Kultur zu entwickeln;
- über eine Lösung außerhalb der Zwänge und Grenzen nachzudenken, die von den kommerziellen Verhandlungen vorgegeben werden;
- eine langfristige Lösung vorzuschlagen.
Diese Vorgehensweise steht in Parallele zu unserer Ablehnung, Liberalisierungsverpflichtungen im kulturellen und audiovisuellen Bereich einzugehen, sie ist untrennbar mit dieser verbunden.
4 Sie sind jedoch ungenügend, da sie im gegenwärtigen Stadium rein deklarativer Natur sind.
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Unter den augenblicklichen Bedingungen ( der laufenden Liberalisierung bei der WTO) bleibt die wirksamste Art und Weise, die kulturelle Vielfalt zu bewahren, die Enthaltung von allen Liberalisierungsverpflichtungen im Bereich der kulturellen Güter und Dienstleistungen im Rahmen der WTO und in jedem anderen Verhandlungsrahmen von Handelsabkommen. Die Weigerung, diese Bereiche zu liberalisierenm ist augenblicklich die einzig mögliche konkrete und unmittelbare Haltung, um das Ziel der kulturellen Vielfalt zum Ausdruck zu bringen.
Da jedoch eine solche Haltung der Staaten starkem Druck ausgesetzt ist, ist es dringend geboten, einen internationalen Reglementierungsrahmen mit universalem Charakter zu erarbeiten, um die kulturelle Vielfalt zu fördern. Dieser Rahmen muss die Legitimität der Staaten und der Regierungen bestätigen, Unterstützungspolitiken zugunsten der kulturellen Vielfalt aufrechtzuerhalten, zu etablieren und zu entwickeln.
II. DER INHALT EINES INTERNATIONALEN VERTRAGS ÜBER DIE KULTURELLE VIELFALT
1. Der Gegenstand des Schutzes: die kulturelle Vielfalt
Jede Ausarbeitung eines Regelwerks geht von einer definitorischen Geltendmachung der wesentlichen Elemente aus, um den Anwendungsbereich des Regelwerkes abzugrenzen. Für das Wachsamkeitskomitee muss ein internationaler Vertrag über die kulturelle Vielfalt das künstlerische Schaffen und diejenigen Berufe, die mit ihm verbunden sind, zum allgemeinen Schwerpunkt haben. Auf diese Weise kann man versuchen, Kultur als Ausdruck kultureller Identitäten durch künstlerisches Schaffen zu definieren.
Künstlerisches Schaffen bringt Werke des Geistes hervor, die durch das Urheberrecht und benachbarte Rechte geschützt wird. Es äußert sich auf klassische Art vermittels der Künste und Literatur und lässt Kulturindustrien entstehen, insbesondere in den Bereichen des Films und der audiovisuellen Medien, der Musik, der darstellenden Künste, des Verlagswesens, der bildenden und graphischen Künste und dem Multimediabereich.
Kulturelle Vielfalt setzt ihrerseits die Existenz einer Pluralität von Kulturen und Sprachen voraus. Die erste Etappe zur Förderung kultureller Vielfalt ist deshalb die Unterstützung der nationalen und lokalen Kulturen durch Kulturpolitiken, die sich auf die Schaffung, Produktion, Distribution und Verbreitung künstlerischer Werke beziehen. Die meisten demokratischen Gesellschaften mit rechtsstaatlichen Grundlagen haben begriffen, dass ohne diese Unterstützungsmaßnahmen kulturelle Vielfalt nicht erreicht werden kann.
2. Mittel des Schutzes: die Grundrechte und die Kulturpolitiken
Kulturelle Vielfalt kann sich nicht entfalten, wenn die notwendigen Bedingungen für die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks und für die Informationsfreiheit fehlen. Die Anerkennung und Respektierung dieser Grundrechte sind unabdingbar.
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Weil kulturelle Güter und Dienstleistungen Träger der Identität der Völker sind und bei der freien Entfaltung der Persönlichkeit mitwirken, müssen sie zum Gegenstand einer gesonderten Behandlung gemacht werden. Das Betreiben einer die kulturelle Vielfalt fördernden Kulturpolitik durch die Staaten und Regierungen ist mehr denn je legitim und notwendig, ob es sich dabei um operative Unterstützung oder um das Ausarbeiten von geeigneten Rahmenregelwerken sowohl für die Erschaffung und Produktion, als auch für die Verbreitung handelt.
Angesichts der Risiken einer Uniformisierung der Lebens-, Ausdrucks- und Verhaltensweisen erscheint die freie Entscheidung der Staaten und Regierungen als beste Garantie für die Pluralität des kulturellen Ausdrucks.
Der neue Vertrag sollte deshallb das Recht und die Pflicht der Staaten und Regierungen garantieren, alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, um die Förderung und Erhaltung der kulturellen Vielfalt zu sichern,
-indem sie die Grundrechte der Persönlichkeit im Bereich der Kultur garantieren;
-indem sie die notwendigen Maßnahmen zu Erhaltung und Förderung der kulturellen Vielfalt auf nationaler und infranationaler Ebene treffen, und zwar von der Entstehung bis zur Verbreitung;
-indem sie die Öffnung gegenüber der kulturellen Vielfalt, die von außen kommt, fördern.
Grundrechte der Person: kulturelle Rechte
Es ist nicht das Ziel dieses Kapitels, neue Normen in diesem Bereich zu errichten, sondern die engen Verbindungen zu präzisieren, die zwischen der Respektierung der kulturellen Rechte, die in den großen Texten der Vereinten Nationen5 niedergelegt sind, und der Erhaltung der kulturellen
5 Universelle Erklärung der Menschenrechte von 1948: Artikel 22 (Jeder hat als Mitglied der Gesellschaft das Recht auf soziale Sicherheit und Anspruch darauf, durch innerstaatliche Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit sowie unter Berücksichtigung der Organisation und der Mittel jedes Staates in den Genuss der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen, die für seine Würde und die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlich sind.) und Artikel 27 (1) (Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben. 2. Jeder hat das Recht auf Schutz der geistigen und materiellen Interessen, die ihm als Urheber von Werken der Wissenschaft, Literatur oder Kunst erwachsen.) Internationaler Pakt über
wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966: Artikel 1 (Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.) und Artikel 15 (1) (Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden an, a) am kulturellen Leben teilzunehmen; b) an den Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts und seiner Anwendung teilzuhaben; c) den Schutz der geistigen und materiellen Interessen zu genießen, die ihm als Urheber von Werken der Wissenschaft, Literatur oder Kunst erwachsen. (2) Die von den Vertragsstaaten zu unternehmenden Schritte zur vollen Verwirklichung dieses Rechts umfassen die zur Erhaltung, Entwicklung und Verbreitung von Wissenschaft und Kultur erforderlichen Maßnahmen. (3) Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die zu wissenschaftlicher Forschung und schöpferischer Tätigkeit unerläßliche Freiheit zu achten. (4) Die Vertragsstaaten erkennen die Vorteile an, die sich aus der Förderung und Entwicklung internationaler Kontakte und Zusammenarbeit auf wissenschaftlichem und kulturellen Gebiet ergeben.) Pakt
über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 Art. 27 (In Staaten mit ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten darf Angehörigen solcher Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden,
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Vielfalt bestehen. Es handelt sich dabei um individuelle Rechte, die die Staaten anerkennen, respektieren und garantieren müssen.
- Freiheit des Denkens, Freiheit der Meinung und des künstlerischen Ausdrucks
- Recht auf Teilhabe am kulturellen Leben der Gemeinschaft
- Recht auf Schutz des moralischen und materiellen Interesses an den geschaffenen Werken (Urheberrechte und Nachbarrechte)
- Recht auf Zugang zur kulturellen Vielfalt innerhalb eines gegebenen Territoriums und auf internationaler Ebene
- Recht auf Information.
Förderung und kulturelle Entwicklung innerhalb der Staaten und in Gruppierungen des Zwischenregierungsbereichs
Der Vertrag muß das Recht der Staaten, der Regierungen und der Gruppierungen im Zwischenregierungsbereich anerkennen, alle Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um die Förderung und Erhaltung der kulturellen Vielfalt zu gewährleisten, die vom Ungleichgewicht des kulturellen Austauschs auf internationaler Ebene und von zunehmender Konzentration bedroht sind.
Die Intervention der Kulturpolitiken während der ganzen Kette des Schaffensprozesses ist äußerst wichtig:
- Unterstützung der schöpferischen Tätigkeit
- Unterstützung der Produktion, besonders der unabhängigen Produktion
- Unterstützung der Distribution, besonders der unabhängigen Distribution
- Unterstützung der Verbreitung und Ausstellung kultureller Güter und Dienstleistungen
Gewisse Charakteristika der Interventionsmaßnahmen im kulturellen Bereich müssen erneut bekräftigt werden. Dies gilt für:
- die öffentlichen Kultureinrichtungen, insbesondere den öffentlichen Rundfunk
- die nationalen und transnationalen Vorrichtungen gegen die Konzentration im Kulturbereich.
gemeinsam mit anderen ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene Religion zu bekennen und auszuüben oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen.)
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Auf jeden Fall gilt es, die Entscheidungsfreiheit der Staaten und Regierungen und der zwischenstaatlichen Gruppierungen hinsichtlich der zu treffenden Maßnahmen verankern, gleich ob es sich um rechtliche, juristische oder andere Maßnahmen handelt.
Man kann sich dabei einen nicht erschöpfenden indizierenden Katalog der Maßnahmen vorstellen, der für die Erhaltung und Begünstigung der kulturellen Vielfalt notwendig ist: Subventionen, Quoten, fiskalische Maßnahmen, Eigentumsregeln für die Medien, Regeln zu Verhinderung der Konzentration usw. Diese Maßnahmen müssen der wirtschaftlichen und finanziellen Situation eines Landes und der existierenden kulturellen Landschaft angepasst sein. Der Vertrag sollte verlangen, dass die getroffenen Maßnahmen transparent, das heißt klar identifiziert sind, und dass sie in einem kulturellen Interventionsrahmen stehen.
Durch die Unterzeichnung dieses Vertrages würden sich die Staaten verpflichten, das Recht der anderen Staaten und Regierungen anzuerkennen, in Funktion ihres eigenen Kontextes über die Natur der zu treffenden Maßnahmen zu entscheiden.
Erhaltung und Förderung der kulturellen Vielfalt auf internationaler Ebene
Das Ziel der kulturellen Vielfalt kann nicht ohne reichhaltige und vielfältige schöpferische Tätigkeit auf internationaler Ebene erreicht werden. Die Unterstützung nationaler und lokaler Produktionen ist wesentlich, damit der internationale Austausch und die Zirkulation einer großen Vielfalt kultureller Güter und Dienstleistungen ermöglicht werden können.
Der kulturelle Austausch ist ein Instrument der friedlichen Koexistenz zwischen den Völkern. Er verbessert das wechselseitige Verstehen. Die Aktionen, dies es in diesem internationalen Rahmen für die Erhaltung und Förderung der kulturellen Vielfalt zu entwickeln gilt, zielen darauf ab:
- den Zugang zur Vielfalt der Kulturen der Welt zu begünstigen
- die Zirkulation der kulturellen Güter und Dienstleistungen zu fördern
Dies wird nur möglich sein
- durch internationale Kooperation im Bereich der Kultur
- durch bilaterale oder plurilaterale Kooperation im Bereich der Kultur
- durch Informationsaustausch über Kulturpolitiken und über Abkommen im Bereich der kulturellen Kooperation
- durch die Förderung der kulturellen Vielfalt in den anderen internationalen Gremien
- durch die besondere Berücksichtigung der Entwicklungsländer.
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3. Handhabung und fortlaufende Überwachung des Instruments
Um seine konkrete Umsetzung zu gewährleisten und eine Konzertierung zwischen den Mitgliedsstaaten zur Verwirklichung der verfolgten Ziele zu fördern, müsste der Vertrag einen fortlaufenden Kontrollmechanismus beinhalten, sowie ein Treffen aller Mitglieder im Ein- oder Zwei-Jahres-Rhythmus in Form einer großen Weltkulturkonferenz vorsehen.
Die Unterzeichner würden sich zum Informationsaustausch hinsichtlich ihrer jeweiligen Kulturpolitik verpflichten; sie könnten sich in Regionalforen zusammenschließen, um bestimmte spezifische Problemfelder zu behandeln.
III. DIE POSITIONIERUNG DES VERTRAGS IN DER INTERNATIONALEN RECHTSORDNUNG
Die Hauptschwierigkeit bei der Entwicklung eines solchen Vertrages ist seine Positionierung in der internationalen Rechtsordnung, insbesondere seine Beziehung zur normativen Ordnung der WTO
1. In welchem Rechtsraum soll der Vertrag entwickelt werden?
Die WTO
Für das Wachsamkeitskomitee ist es völlig klar, dass ein internationaler Vertrag über die Kultur nicht innerhalb der WTO entwickelt werden kann. Was im ersten Teil über die Ziele der WTO, sowie über ihre Mechanismen gesagt wurde, zeigt klar, dass diese Handelsorganisation nicht imstande ist, eine kulturelle Annäherung an die Problematik der kulturellen Güter und Dienstleistungen zu entwickeln. Über die Komplexität einer solchen Lösung und ihrem Mangel an Rechtssicherheit hinaus würde jeder –notwendigerweise begrenzte- Veränderungsvorschlag der kommerziellen Regeln innerhalb der WTO zugunsten des Überlebens der Kulturen nur den Minderheitsstatus der kulturellen Werte verstärken und die Oberhoheit der kommerziellen Regeln bestätigen.
Die Kultur benötigt einen universal anerkannten internationalen Status, der für alle kommerziellen Rechtsräume gilt, sowohl multilateral wie im Falle der WTO, als auch bilateral oder plurilateral (ZLEA, OECD usw.)
Die Uno (Organisation der Vereinten Nationen)
Die Organisation der Vereinten Nationen ist die universale Organisation, sie ist Mutter aller spezialisierten internationalen Organisationen. Zahlreiche Texte, die für Kultur grundlegend sind, verbinden Kultur und die kulturelle Vielfalt mit den Menschenrechten, die von der UNO verteidigt werden
Die UNO könnte einen solchen Vertrag aufnehmen, sie ist universal und neutral. Im Umweltbereich führte sie den Vorsitz beim Abschluss der Autonomen Konvention über die
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Klimaveränderungen und der Autonomen Konvention über die biologische Vielfalt auf dem Umweltgipfel von Rio 1992, die von mehr als 180 Staaten ratifiziert wurden.
Die Existenz der UNESCO, die der UNO angeschlossen ist, kann als Hindernis für die Entwicklung eines internationalen Vertrags innerhalb der UNO empfunden werden.
Die UNESCO (Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur)
Die nächstliegende internationale Organisation die für eine Intervention im kulturellen Bereich geeignet erscheint, ist legitimerweise die UNESCO, die 1945 geschaffen wurde und 188 Staaten vereint; ihr Hauptziel ist es, durch Erziehung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation die Zusammenarbeit der Nationen zu stärken und so zur Erhaltung des Friedens und der Sicherheit in der Welt beizutragen. Die Kultur gehört also zu ihren Interventionsbereichen; zudem hat sie im November 2001 eine Universelle Erklärung über die kulturelle Vielfalt beschlossen.
Der Aktionsplan, der die Deklaration begleitet, sieht eine Vertiefung der internationalen Debatte über die Fragen der kulturellen Vielfalt vor, sowie weiteres Nachdenken über die Opportunität eines internationalen Rechtsinstrumentes hinsichtlich der kulturellen Verschiedenheit. Man kann sich jedoch auch fragen, ob die UNESCO willens ist, über einfache Deklarationen in dieser Angelegenheit hinauszugehen, und ob ihre Strukturen dazu fähig sind.
Die Notwendigkeit einer autonomen Entwicklung des Vertrags
Es erscheint uns unabdingbar, dass der Vertrag zumindest in der Anfangszeit Gegenstand einer autonomen Entwicklung ist. Da in der Tat keine internationale Organisation die vollständige Zustimmung der Experten findet, riskiert jede Organisation, den Eindruck zu vermitteln, sich mit dem Gegenstand zu befassen, ohne dass je ein Text zustande kommt. In diesem Stadium scheint deshalb die autonome Entwicklung eines Vertrages eine Garantie für einen Inhalt auf dem gebotenen Niveau zu sein, da sie auf diese Weise nicht der bürokratischen Schwerfälligkeit einer internationalen Organisation unterliegt.
Wenn sich jedoch die Staaten für eine Anbindung an eine existierende internationale Organisation entscheiden würden (wobei die WTO natürlich ausgeschlossen ist), müssten sie äußerst sorgfältig darüber wachen, dass die Entwicklung des Vertrages nicht einer bremsenden administrativen Schwerfälligkeit und Starrheit unterworfen wird, die willige Staaten davon abhalten könnte, in der Sache vorwärts zu kommen.
Auf jeden Fall, wie auch immer die Lösung aussehen mag, für die man sich letztendlich entscheidet, darf die Ausarbeitung eines Vertrages über die kulturelle Vielfalt in keinerlei Hinsicht zum Vorwand für eine Liberalisierungsverpflichtung bei der WTO in den Bereichen Kultur und audiovisuelle Medien dienen.
2. Notwendigkeit einer führenden Gruppe von Ländern
Die Notwendigkeit, einen internationalen Vertrag über die kulturelle Vielfalt zu entwickeln, ist an eine „conditio sine qua non“ gebunden, die heute noch nicht vorhanden ist, nämlich den Willen einer nennenswerten Anzahl von Staaten, in der Sache selbst voranzukommen.
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Zum jetzigen Zeitpunkt haben nur Frankreich und Kanada entschiedene Positionen zugunsten eines internationalen Vertrags über kulturelle Vielfalt eingenommen. Es ist notwendig, dass eine nennenswerte Anzahl führender Länder, das Projekt auf der internationalen Szene verteidigt und auf seine Annahme drängt, gleich welcher Rahmen für die Vertragsentwicklung gewählt wird. Diese Option ist nur realistisch, wenn es Frankreich und Kanada gelingt, andere Länder für eine solche Haltung einzunehmen.
Um dies zu bewerkstelligen erscheinen das internationale Netzwerk der Kulturminister RIPC, das 1998 auf Initiative Kanadas geschaffen wurde und heute 47 Staaten verbindet, die für die Verteidigung der Kulturpolitiken sensibel sind, sowie die internationale Organisation der Frankophonie (OIF) gute Foren zu sein, um eine gewisse Anhängerschaft für einen internationalen Vertrag über die kulturelle Vielfalt zu gewinnen.
3. Die bindende Wirkung eines internationalen Vertrags
Die internationalen Rechtsprinzipien der Verträge
Die Experten unterscheiden zwischen Instrumenten, die als bindend angesehen werden (Konventionen, Verträge, Charten und Protokolle) und Instrumenten, die nicht bindend sind (Deklarationen, Resolutionen, Aktionspläne, Empfehlungen). Unsere Haltung zur Annahme eines bindenden internationalen Rechtsinstruments im kulturellen Bereich bringt uns zur Entscheidung für eine Konvention, einen Vertrag oder ein Protokoll. Der Begriff des Vertrags ist in diesem Zusammenhang privilegiert, denn er scheint uns der einfachste und klarste zu sein. Mit der Unterzeichnung und Ratifizierung eines Instrumentes dieses Typs verpflichten sich die Staaten, dessen Regeln zu respektieren und anzuwenden.
Im übrigen ist die Frage der Verknüpfung dieses Vertrages mit dem übrigen internationalen Recht, auch mit dem Recht der WTO, von äußerster Wichtigkeit.
Allgemein werden die Beziehungen zwischen Verträgen durch die Wiener Konvention über das Vertragsrecht von 1969 geregelt: es handelt sich dabei um Regeln hinsichtlich des Abschlusses, der Respektierung und der Interpretation der Verträge. Unter Beachtung dieser Regeln, wäre es geboten, in den Vertrag über kulturelle Vielfalt einige Prinzipien einzufügen, die imstande sind, seinen Einfluss in der internationalen Rechtsordnung festzuschreiben, insbesondere das Prinzip, dass der Vertrag gegenüber anderen internationalen Verträgen nicht als untergeordnet angesehen werden kann. Wobei er allerdings nicht so interpretiert werden darf, als impliziere er eine Modifizierung der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien, die aus anderen internationalen Verträgen herrühren.
Diese Regel würde es ermöglichen, dass eine Prioritätsregel zum Tragen kommt; sie würde bekräftigen, dass dieser Vertrag nicht zur Seite geschoben werden kann, wenn ein anderes Abkommen anwendbar ist. Eine solche Regel läuft auf eine kumulative Anwendung der vorhandenen Verträge hinaus.
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Die Auswirkungen auf die WTO
-Indirekter Interpretationseffekt
Weil er nicht innerhalb der WTO ausgearbeitet wird, ist ein künftiger Vertrag über die kulturelle Vielfalt nicht imstande, das existierende Recht der WTO in Frage zu stellen oder es direkt abzuändern. Somit wird unter Berücksichtigung des internationalen Vertragsrechts ein Staat den Nicht-Respekt seiner Verpflichtungen, die sich aus dem Recht der WTO ergeben, nicht durch seinen Beitritt zu einem Vertrag über die kulturelle Vielfalt rechtfertigen können. Jede Modifizierung der Pflichten der WTO muss in der WTO verhandelt werden.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Recht außerhalb der WTO keine Auswirkung auf die WTO hat. Das Konfliktregelungsorgan der WTO hat seit den ersten Fällen klar zu verstehen gegeben, dass das Recht der WTO nicht klinisch vom Rest des internationalen Rechts isoliert ist. Es muss im Licht der allgemeinen Prinzipien des internationalen Rechts interpretiert werden. Somit bezieht sich das Konfliktregelungsorgan auf externe Regeln und Prinzipien, gleich ob sie aus bindenden oder nicht bindenden Rechtsinstrumenten herrühren.
Ein kultureller Vertrag, der einen gewissen Konsens wiederspiegelt, könnte das interpretative Vorgehen des Konfliktregelungsorgans der WTO beeinflussen.
-Auswirkung auf die internationalen Normen im Bereich der Kultur
Ein internationaler Vertrag über die kulturelle Vielfalt, der gewisse Grundprinzipien aufstellt im Hinblick auf die Kulturpolitiken und die diesbezügliche Souveränität der Staaten und regionalen Staatengruppen, wird internationale Normen im Bereich der Kultur schaffen. Eine gewichtige Anzahl von Signaturen und Ratifizierungen durch Staaten wird die Legitimität und universelle Bestimmung des Vertrags verankern.
Das Forum, das ein solcher Vertrag über die Kulturpolitiken und die Zirkulation von kulturellen Gütern und Dienstleistungen darstellt, könnte für die Staaten zugleich ein privilegierter Ort der Diskussion sein, und andere internationale Gremien davon abhalten, in diesem spezifischen Bereich zu intervenieren.
-Eine Stütze für die Staaten, um eine Ablehnung von Liberalisierungsverpflichtungen bei der WTO zu rechtfertigen
Im Bezug auf die laufenden und kommenden Verhandlungen besonders bei der WTO, kann der neue Vertrag nicht zum Ziel haben, deren Ablauf zu verhindern. Er könnte jedoch den Staaten als Stütze dienen, um eine Liberalisierungsverpflichtung abzulehnen und um einen unterschiedlichen Ansatz für die Behandlung von kulturellen Gütern und Dienstleistungen zu rechtfertigen.
Schon vor seiner Annahme könnte das bloße Engagement in der Aushandlung eines solchen Vertrags als Rechtfertigung für die Ablehnung von Liberalisierungsverpflichtungen dienen.
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Ein Bezugsrahmen für die kulturelle Vielfalt
Der neue Vertrag wird zunächst und vor allem als Bezugsrahmen und als ein Ort der Konzertierung dienen für alle Staaten, die die Aufrechterhaltung der Vielfalt des kulturellen Ausdrucks für ein wesentliches Element zur Schaffung einer Globalisierung mit menschlichem Antlitz halten. Als Bezugsrahmen, soll er eine Gesamtheit von Prinzipien und Normen enthalten, deren Bestimmung es ist, die Intervention der Staaten im kulturellen Bereich zu leiten, ausgehend von einer einheitlichen Auffassung von kultureller Vielfalt, die auf die Erhaltung der existierenden Kulturen und auf die Öffnung zu anderen Kulturen ausgerichtet ist.
Mit der Zustimmung einer wachsenden Anzahl von Staaten zu diesem Bezugsrahmen könnte im kulturellen Bereich eine neue Rechtsordnung etabliert werden, die imstande ist, entscheidenden Einfluss auf das internationale Recht zu nehmen, indem der Austausch von kulturellen Gütern und Dienstleistungen nicht mehr auf eine strikt kommerzielle Dimension reduziert wird.
Zu diesem Zweck bekräftigt das Wachsamkeitskomitee sein Bestreben, alle Akteure im Bereich der Kultur zu vereinen, sich den laufenden Liberalisierungsprojekten zu widersetzen, auf die politischen Entscheidungen Einfluss zu nehmen und zur Ausarbeitung eines internationalen Vertrags über die kulturelle Vielfalt beizutragen.6
Paris, im November 2002
Das Wachsamkeitskomitee für die kulturelle Vielfalt:
ADAGP (Auteurs des Arts Graphiques et Plastiques) Urheberverband der Graphiker und bildenden Künstler.
ADAMI (Société civile pour l’administration des droits des artistes et musiciens) Gesellschaft bürgerlichen Rechts für die Verwaltung der Urheberrerechte von Künstlern und Musikern.
ADDOC (Association des cinéastes documentaristes) Verband der Dokumentarfilmer
AFCAE (Association Française des Cinémas d’Art et d’Essai) Französischer Verband der künstlerischen und experimentellen Filmtheater
ARP (Société civile des auteurs, réalisateurs, producteurs) Gesellschaft bürgerlichen Rechts der Autoren, Film- und Fernsehregisseure und Produzenten
CSPEFF (Chambre syndicale des producteurs et exportateurs de films français) Verbandskammer der Produzenten und Exporteure französischer Filme
CPE (Club des producteurs européens) Klub europäischer Produzenten
CPE (Conseil permanent des écrivains) Permanenter Rat der Schriftsteller
ETATS GENERAUX DE LA CULTURE Generalstände der Kultur
6 Das Positionspapier war der offizielle Beitrag der französischen Delegation zum Zweiten Internationalen Treffen der kulturellen Fachorganisationen vom 2.-4-Februar 2003 in Paris
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FASAP–FO (Fédération des syndicats des spectacles, de la presse et de l’audiovisuel –Force Ouvríère) Bund der Gewerkschaften Theater, Presse und Fernsehen – Force Ouvrière
FERA (Fédération européenne des réalisateurs de l’audiovisuel) Bund europäischer Fernsehregisseure)
FICAM (Fédération des industries du cinéma, de l’audiovisuel et du multimedia) Verband der französischen Film-, Fernseh- und Multimediaindustrie
FNSAC-CGT (Fédération des syndicats CGT du spectacle) Bund der Gewerkschaften Darstellende Künste CGT
GROUPE 25, IMAGES, IMPALA PROCIREP (Société civile des producteurs de cinéma et de télévision) Gesellschaft bürgerlichen Rechts der Film- und Fernsehproduzenten
MAISON DES ECRIVAINS Haus der Schriftsteller
SACD (Société des auteurs et compositeurs dramatiques) Gesellschaft der dramatischen Schriftsteller und Komponisten
SACEM (Sociéte des auteurs, compositeurs et éditeurs de musique) Gesellschaft der Komponisten, Musikautoren und –verleger
SCAM (Société civile des auteurs multimédia) Gesellschaft bürgerlichen Rechts der Multimedia-Autoren
SCELF (Société civile de l’édition littéraire française) Gesellschaft bürgerlichen Rechts des französischen literarischen Verlagswesens
SDI (Syndicat des distributeurs indépendants) Verband unabhängiger Filmverleiher
SFA-CGT (Syndicat français des artistes interprètes CGT) Französische Gewerkschaft künstlerischer Interpreten CGT
SFR-CGT (Syndicat français des réalisateurs CGT) Französiche Gewerkschaft der Film- und Fernsehregisseure
SGDL (Société des gens de lettres) Gesellschaft der Schriftsteller und Publizisten
SNAC (Syndicat national des auteurs et compositeurs) Nationale Gewerkschaft der Autoren und Komponisten
SNAM (Syndicat national des artistes musiciens) Nationale Musikergewerkschaft
SNAP (Syndicat national des artistes plasticiens) Nationaler Berufsband bildender Künstler
SNCA (Syndicat national du cinéma et de l’audiovisuel) Nationaler Verband für Film- und Fernsehen
SNE (Syndicat national de l’édition) Nationaler Verlegerverband
SNEP (Syndicat national de l’édition phonographique) Nationaler Verband der Schallplattenverlage
SNM (Syndicat national des musiciens) Nationaler Musikerverband
SNPCT (Syndicat national des travailleurs de la production cinématographique et de télévision) Nationale Gewerkschaft der in der Film und Fernsehproduktion Beschäftigten
SNTR (Syndicat national des techniciens et réalisateurs) Nationale Gewerkschaft Filmtechniker und –regisseure
SPEDIDAM (Société de perception et de distribution des droits des artistes interprètes de la musique et de la danse) Verwertungsgesellschaft für die Rechte der künstlerischen Musik- und Tanzinterpreten
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SPFA (Syndicat des producteurs de films d’animation) Verband der französischen Trickfilmproduzenten
SPI (Syndicat des producteurs indépendants) Verband der unabhängigen Filmproduzenten
SPPF (Société civile des producteurs de phonogrammes en France) Gesellschaft bürgerlichen Rechts der Produzenten von Tonaufnahmen in Frankreich
SRF (Société des réalisateurs de films) Gesellschaft der Filmregisseure
UGS (Union guilde des scénaristes) Gilde der Drehbuchschreiber
UNAC (Union nationale des auteurs compositeurs) Nationale Union der Musikautoren
Union des écrivains Union der Schriftsteller
UPF (Union des producteurs de films) Union der Filmproduzenten
UPFI (Union des producteurs phonographiques français indépendants) Union der unabhängigen französischen Schallplattenproduzenten
USPA (Union syndicale des producteurs audiovisuels)
Übersetzung: Dieter Welke
14
ADRIC (Association pour les Deuxièmes Rencontres Internationales des organisations professionnelles de la Culture), créée par le Comité deVigilance
11 bis rue Ballu . 75009 Paris . Tél : 33 (0) 1 40 23 46 90 . Fax : 33 (0) 1 40 23 45 58 . E-mail : [email protected]
Final Declaration of the Second International Meeting
of Cultural Professional Organizations
(The Louvre Declaration)
Cultural professional organisations from over 30 countries, representing all aspects of artistic creation, met in Paris
from 2nd
to 4th
February 2003. They agreed on the following principles:
• works of the human spirit must not be reduced solely to their market value;
• the right of all peoples to cultural diversity is a fundamental human right;
• diversity of expression cannot exist without freedom of expression;
• cultural and economic domination of any kind threatens the intellectual and artistic expression of this
diversity;
• countries have the right and the duty to pursue the cultural policies of their choice, free from external
constraints, providing they respect human rights and freedom of expression.
Considering that culture is guardian of the collective memory of all peoples, the participants call on each country to:
• oppose liberalisation commitments of any kind relating to goods and services in all fields of culture;
• pursue an ambitious policy of supporting its own culture;
• promote the balanced international circulation of all creative works;
• implement an active program of solidarity with developing countries through policies of cooperation;
• participate in the development of a binding international convention, independent of the World Trade
Organization (WTO) or any other international trade body, whose purpose will be to maintain and develop
cultural diversity.
In light of WTO trade deadlines as well as regional and bilateral negotiations now underway, it is imperative that a
Treaty be developed and adopted on an urgent basis to provide a legal foundation for the fundamental right of States
and governments to freely establish their own cultural policies. It is essential that this process be transparent and
reflect the real needs of cultural professionals. For this reason, the process for developing a Treaty at UNESCO
must fully involve professional organizations from the cultural sector.
The professional organizations at the Paris Meeting urge the creation of coalitions for cultural diversity in all
countries and call on governments to implement such a Treaty.
At the conclusion of the Meeting, the professional organizations decided to establish a liaison committee, composed
of existing and emerging coalitions, in order to coordinate their activities and to support the creation of coalitions in
other countries.
Manifest der Berufsverbände- und Organisationen im Kulturbereich
Paris, November 2002
Wir, die Vertreter aller kulturellen Disziplinen, der Musik, der darstellenden Künste, des
Verlagswesen, der bildenden Künste, des Films, des Fernsehens, wir, die Vertreter der
Gesellschaften, Verbände oder Gewerkschaften
bekräftigen,
dass die Gedankenfreiheit und die Freiheit des künstlerischen Schaffens untrennbar verbunden
ist mit der kulturellen Vielfalt;
dass die Werke des Geistes nicht allein auf ihre Dimension als Ware reduziert werden können;
dass die fortschreitende Globalisierung dahin tendiert, die Werke des Geistes ausschließlich den
Gesetzen des Marktes zu unterwerfen, wie man dies gleichfalls in den Bereichen des
Gesundheitswesens, der Erziehung und Ausbildung und der Umwelt feststellt;
dass das Recht der Völker auf lebendige Kulturen, das gemeinsame Erbe der Menschheit,
dauerhaft gemacht werden muss;
dass gegenwärtig die kulturelle Vielfalt durch kulturelle Ausnahme erreicht wird.
Wir erinnern daran,
dass Demokratie und Menschenrechte nicht begriffen werden können ohne die Pluralität des
geistigen und künstlerischen Ausdrucks;
dass jegliche Form von kultureller Hegemonie, als Faktor der Uniformierung, diese Pluralität
bedroht;
dass der Staat und die regionalen Organisationen die Verantwortung tragen, eine Politik zu
betreiben, die kulturelle Verschiedenheit garantiert;
dass die neuen Arten seiner Verbreitung keineswegs die Natur eines Werks verändern;
dass die Logik der WTO eine Unterwerfung aller Bereiche unter die Gesetze des Marktes
induziert, einschließlich der Kultur, und dieser eine unangemessene Liberalisierung aufzwingt, die
zudem noch unumkehrbar ist;
dass von nun an ein offensives Vorgehen notwendig ist, um den Begriff der „kulturellen
Ausnahme“ zu konsolidieren, der unter dem Druck der Vertreter der kulturellen Berufe anlässlich
der Uruguay-Runde 1993 zustande kam.
Wir verlangen daher
dass die Staaten und regionalen Zusammenschlüsse wie die Europäische Union, in Freiheit ihre
Kulturpolitik definieren können, sowohl im Hinblick auf Unterstützung des künstlerischen
Schaffens, als auch im Hinblick auf Hilfsmassnahmen für die Produktion, die Verbreitung und
den Austausch geistiger Werke;
dass die Staaten sich dafür einsetzen, die Vielfalt der kulturellen Unternehmen zu begünstigen,
öffentliche Kulturbetriebe zu errichten oder aufrechtzuerhalten und Konzentrationsvorgänge zu
kontrollieren,
dass die Staaten das Urheberrecht und benachbarte Rechte schützen und verstärken,
dass die Staaten es ablehnen, sich in den Verhandlungen bei der WTO auf Liberalisierungen im
kulturellen Bereich zu verpflichten, auch was die neuen Arten der Verbreitung betrifft;
dass auf die Kultur Regeln angewendet werden, die ihrer Spezifik Rechnung tragen, und zwar
durch die Etablierung eines internationalen juristischen Instrumentes mit Zwangsfunktion, das es
ermöglicht, den Bereich der Kultur definitiv aus jeder Instanz kommerzieller Verhandlungen
auszuschließen, ob es sich um die WTO oder andere Instanzen handelt.
Zu diesem Zweck bekräftigt das Wachsamkeitskomitee sein Bestreben, alle im
Kulturbereich tätigen Personen und Institutionen zu sammeln, sich den laufenden
Liberalisierungsprojekten zu widersetzen und zur Ausarbeitung eines internationalen
Vertrags über die kulturelle Vielfalt beizutragen.
ADAGP (Auteurs des Arts Graphiques et Plastiques) Urheberverband der Graphiker und Bildenden Künstler.
ADAMI (Société civile pour l’administration des droits des artistes et musiciens) Gesellschaft bürgerlichen Rechts für die Verwaltung der Urheberrerechte von Künstlern und Musikern.
ADDOC (Association des cinéastes documenaristes) Verband der Dokumentarfilmer
AFCAE (Association Française des Cinémas d’Art et d’Essai) Französischer Verband der künstlerischen und experimentellen Filmtheater
ARP (Société civile des auteurs, réalisateurs, producteurs) Gesellschaft bürgerlichen Rechts der Autoren, Film- und Fernsehregisseure und Produzenten
CSPEFF (Chambre syndicale des producteurs et exportateurs de films français) Verbandskammer der Produzenten und Exporteure französischer Filme
CPE (Club des producteurs européens) Klub europäischer Produzenten
CPE (Conseil permanent des écrivains) Permanenter Rat der Schriftsteller
ETATS GENERAUX DE LA CULTURE Generalstände der Kultur
FASAP–FO (Fédération des syndicats des spectacles, de la presse et de l’audiovisuel –Force Ouvríère) Bund der Gewerkschaften Theater, Presse und Fernsehen – Force Ouvrière
FERA (Fédération européenne des réalisateurs de l’audiovisuel) Bund europäischer Fernsehregisseure
FNSAC-CGT (Fédération des syndicats CGT du spectacle) Bund der Gewerkschaften Darstellende Künste CGT
GROUPE 25 IMAGES
PROCIREP (Société civile des producteurs de cinéma et de télévision) Gesellschaft bürgerlichen Rechts der Film- und Fernsehproduzenten
MAISON DES ECRIVAINS Haus der Schriftsteller
SACD (Société des auteurs et compositeurs dramatiques) Gesellschaft der dramatischen Schriftsteller und Komponisten
SACEM (Sociéte des auteurs, compositeurs et éditeurs de musique) Gesellschaft der Komponisten, Musikautoren und –verleger
SCAM (Société civile des auteurs multimédia) Gesellschaft bürgerlichen Rechts der Multimedia-Autoren
SCELF (Société civile de l’édition littéraire française) Gesellschaft bürgerlichen Rechts des französischen literarischen Verlagswesens
SDI (Syndicat des distributeurs indépendants) Verband unabhängiger Filmverleiher
SFA-CGT (Syndicat français des artistes interprètes CGT) Französische Gewerkschaft künstlerischer Interpreten CGT
SFR-CGT (Syndicat français des réalisateurs CGT) Französiche Gewerkschaft der Film- und Fernsehregisseure
SGDL (Société des gens de lettres) Gesellschaft der Schriftsteller und Publizisten
SNAC (Syndicat national des auteurs et compositeurs) Nationale Gewerkschaft der Autoren und Komponisten
Declaration of the professional organizations
from the cultural milieu of the Americas WE, representatives of Argentinean, Brazilian, Canadian, Colombian, Chilean, Mexican professional organizations
of writers, composers, screenwriters, directors, performers, independent producers, distributors, publishers,
broadcasters and distributors from the film, radio/television, book and music sectors of our respective countries, on
the occasion of the First Meeting of Ministers and High Authorities of Culture within the framework of CIDI affirm
that : ● only with access to a broad diversity of artistic expression reflecting the richness, complexity and variety of
human experience can culture be enabled to play its true role;
● by virtue of their unique and irreplaceable role, artistic works, cultural productions and cultural goods and
services are not commodities like any other and can therefore not be reduced to economic terms alone;
● free market forces cannot guarantee that culture is able to fully play its role and that the objective of cultural
diversity is attained within every society and worldwide, even less so in this era of globalization; It is for us essential that: ● while respecting freedom of expression, States and governments have both the right and the duty to preserve,
develop and implement their own cultural policies, which are essential to cultural development and to the support
of the diversity of cultural expression in every society and worldwide; the exercise of such a right must not be
subject to retaliatory measures; We declare that: ● in applying the rules that usually govern international trade agreements to the cultural sector, there is a risk that
many key cultural policies would be dismantled. We urge all States, within the context of the ongoing WTO services negotiations or all other bilateral, regional or
global trade agreement or treaty negotiations currently underway, to: ● refrain from making commitments of any kind that would limit the rights of States and governments to set their
own cultural policies in the sectors of creation and interpretation of artistic works, as well as the production,
dissemination and distribution of cultural goods and services; and,
● firmly oppose the establishment of any negotiating or discussion group dealing with audio-visual matters or any
other cultural sector, within the WTO or any other forum for the negotiation of international trade agreements or
treaties; We believe it necessary that professional organizations and public authorities maintain a dialogue and pursue a
process of reflection with respect to mechanisms or instruments that could provide an international legal basis for
the fundamental right of States and governments to freely adopt the cultural policies they deem appropriate; as a
working hypothesis, we consider that such a right could only be effectively implemented in a framework in which
the importance of defending, protecting, promoting, disseminating and preserving the cultural expressions of all
countries were predominant; We firmly wish that the aforementioned concerns of the professional organizations from the cultural milieu be
integrated in the Declaration and Plan of Action of Cartagena de Indias endorsed by the ministers and high
authorities of culture. Presented in Cartagena de Indias (Colombia), July 12, 2002
Pais/
Country/
Pays
Agrupaciones/
Group of
organizations/
Regroupements
Organizaciones profesionales del ámbito de la cultura/Professional organizations from the cultural milieu/Organisations de profesionnels
du milieu de la culture
Número/ number/
nombre miembros/
members/membres
1. Association of Canadian Publishers (ACP) 140
2. Association nationale des éditeurs de livres (ANEL) 100
3. The Writers’ Union of Canada (TWUC) 1 400
4. Union des écrivaines et écrivains québécois (UNEQ) 1 000
Canada Coalition for
Cultural
Diversity/
Coalition pour
la diversité
culturelle
5. Association des producteurs de films et de télévision du Québec (APFTQ)
130
6. Association des réalisateurs de Radio-Canada (AR SRC) 385
7. Association des réalisateurs et réalisatrices du Québec (ARRQ)
350
8. Canadian Association of Broadcasters (CAB) 600
9. Canadian Association of Film Distributors and Exporters (CAFDE)
-
10. Canadian Film and Television Production Association (CFTPA)
400
11. Directors Guild of Canada (DGC) 3 400
12. Société des Auteurs de Radio, Télévision et Cinéma (SARTeC)
800
13. Writers Guild of Canada (WGC) 1 500
14. American Federation of Musicians – Canada (AF of M) 15 000
15. Association québécoise de l’industrie du disque, du spectacle et de la vidéo (ADISQ)
250
16. Canadian Independent Record Production Association (CIRPA)
150
Canada
Coalition for
Cultural
Diversity/
Coalition pour
la diversité
culturelle
17. Centre de musique canadienne (Québec) -
18. Société professionnelle des auteurs et des compositeurs du Québec (SPACQ)
144
19. Society of Composers, Authors and Music Publishers of Canada (SOCAN)
60 000
20. Songwriters Association of Canada (SAC) 1 100
21. Association québécoise des auteurs dramatiques (AQAD)
-
22. Canadian Actors’ Equity Association (CAEA) 5 000
23. Conseil québécois du théâtre (CQT) 3 000
24. Playwrights Union of Canada (PUC) 350
25. Regroupement québécois de la danse (RQD) 400
26. Canadian Artists’ Representation (CARFAC)
27. Regroupement des artistes en arts visuels du Québec (RAAV)
1 300
28. Alliance of Canadian Cinema, Television and Radio Artists (ACTRA)
18 000
29. Canadian Conference of the Arts (CCA) 800
30. Fédération culturelle canadienne française -
31. Société des auteurs et compositeurs dramatiques (SACD-Canada)
750
32. Union des artistes (UDA) 9 700
Chile
Coalición
Chilena para la
Diversidad
Cultural
33. Plataforma Audiovisual de Chile (see membership below)
10
34. Asociación de Editores Independientes (ED-IN) 7
35. Sindicato de Actores de Chile (SIDARTE) 1 200
36. Sindicato de Trabajadores de la Música Chilena (SITMUCH) 120
37. Sociedad de Escritores de Chile 1 500
Plataforma
Audiovisual de
Chile
38. Asociación de Productores de Cine y TV (APCT) 10
39. Asociación de Cortometrajistas de Chile (ACORCH) 200
Chile 40. Asociación de Documentalistas de Chile (ADOC) 100
41. Sindicato de Técnicos Cinematográficos (SINTECI) 200
42. Sindicato de Actores de Chile (SIDARTE) 200
43. Corporación Cinematográfica Chilena 30
44. Corporación Chilena de Video 10
45. Fundación Chilena de las Imágenes en Movimiento 10
México
Coalición
Mexicana
para la
Diversidad
Cultural
46. Asociación Mexicana de Productores Independientes, A.C. 20
47. Asociación Nacional de Actores (ANDA) 11 000
48. Asociación Nacional de Intérpretes (ANDI) 3 000
49. Cámara Nacional de la Industria Editorial Mexicana (CANIEM)
300
50. Eje Sociedad de Ejecutantes de Música, S. de G.C. de I.P. 2 000
51. Productores y Distribuidores de Películas Mexicanas, A.C 22
52. Sindicato de Trabajadores de la Producción Cinematográfica de la República Mexicana (STPC)
3 500
53. Sindicato Nacional de Trabajadores de la Educación (SNTE) 1 200 000
54. Sindicato Unico de Trabajadores de la Música (SUTM) 9 000
55. Sociedad de Autores y Compositores de Música, S. de G.C. de I.P. (SACM)
28 000
56. Sociedad General de Escritores de México (SOGEM) 3 000
57. Sociedad Mexicana de Autores de las Artes Plásticas (SOMAAP)
1 200
58. Sociedad Mexicana de Caricaturistas, S. de G.C. de I.P. 200
59. Sociedad Mexicana de Directores, Realizadores de Obras Audiovisuales, S. de G.C.
300
60. Sociedad Mexicana de Fotógrafos, S. de G.C. de I.P. 250
61. Sociedad Mexicana de Historietistas, S. de G.C. de I.P. 500
Argentina
Foro para la
Defensa de las
Industrias
Culturales
62. Asociación Argentina de Actores (A.A.A.) 8 621
63. Asociación Argentina de Empresarios Teatrales (A.A.D.E.T.)
64. Cámara Argentina del Libro 275
65. Asociación Argentina de Trabajadores de las Comunicaciones (AATRAC)
10 256
66. Cámara Argentina de Productoras Independientes de Televisión (CAPIT)
-
67. Directores Argentinos Cinematográficos (DAC) 60
68. Federación Argentina de Productores Cinematográficos y Audiovisuales (FAPCA)
120
69. Federación Argentina de Trabajadores de Prensa (FATPREN)
25 200
70. Federación de Trabajadores de la Imprenta, Diarios y Afines (FATIDA)
10 200
71. Sindicato Argentino de Televisión (SAT) 20 120
72. Sindicato de la Industria Cinematográfica Argentina (SICA) 1 650
73. Sindicato Único de la Publicidad (SUP) 6 120
74. Sindicato Único de Trabajadores del Espectáculo Público (SUTEP)
20 023
75. Sociedad Argentina de Locutores (SAL) 4 000
76. Sociedad Argentina de Músicos (SADEM) 22 500
Federación
Colombiana de
Realizadores
77. Asociación de Cinematografistas Colombianos (ACCO) 23
78. Asociación Colombiana de Creadores Audiovisuales (ACCA)
170
Colombia
Audiovisuales
FEDEIMAGEN
79. Asociación de Documentalistas Colombianos (ALADOS)
18
80. Corporación del Nuevo Cine Latino Americano (C.N.C.L.) 80
Colombia 81. Corporación Colombiana de Teatro (CCT) 40 gr.
Colombia 82. Circulo Colombiano de Artistas 380
Colombia 83. Actores Sociedad Colombiana de Gestion 200
Brasil 84. Camara Brasileira de Livro (CBL) 450
Brasil 85. Sindicato dos Artistas e Tecnicos Em Espectaculos de Diversoes (SATED–RJ)
15 000
Australian Coalition for Cultural DiversityAustralia – United States Free Trade Agreement Briefing
Cultural Services & Trade
BACKGROUND
• Australia and the United States are currently negotiating a Free Trade Agreement.Leading into these negotiations, the Minister for Trade, the Hon Mark Vaile MP, hasclearly stated that the Australian Government is committed to “preserving its ability toregulate in relation to social and cultural objectives”.
• The ACCD has applauded the Australian Government’s commitment to retainingAustralia’s cultural sovereignty, their commitment to the promotion of Australianculture and their understanding of the special and unique place that culture has inthe business of nation building.
• The Government has recognised that cultural goods and services are different toother goods and services because a nation’s culture can not simply be substitutedwith the culture of another country. This position was recognised in the text of theAustralian – Singapore Free Trade Agreement where cultural services wereexcluded from the Agreement. It was also recognised in the context of the WorldTrade Organisation (WTO) in Australia’s position on the General Agreement onTrade in Services (GATS).
• The Australian Government has recognised that the maintenance of Australia’scultural sovereignty and cultural policy is consistent with a commitment to free trade.
• The Australian Government has also recognised that specific exclusions for culturalservices from Free Trade Agreements does not equate with protectionism ascurrently our film and television markets are amongst the most open, efficient andcompetitive in the world.
CURRENT ISSUES
• It is expected that the USTR will argue for a standstill commitment in the area ofcultural services and for complete liberalisation of e-commerce provisions, as theyhave in other bilateral and multilateral trade negotiations (Chile – US FTA, Singapore– US FTA, WTO).
• The US is promoting ‘standstill’ as a concession in the negotiations. This has beenaccepted by some of the broader Australian Media as such.
WHY IS THIS NOT A CONCESSION?
Standstill
• Standstill is a commitment which would lock the Government into the current culturalpolicy regime and leave Government without the flexibility to intervene in thepromotion of Australian culture.
• Standstill commitments in cultural services will effectively mean that the creation ofAustralian cultural policies will be outsourced to Hollywood.
• Standstill commitments will mean that Government will be unable to intervene in newmarkets as they flourish, and unable to deal with new technologies as they becomeavailable to the cultural services industries.
• Standstill commitments in cultural services will put an end to Australia’s culturalsovereignty.
• Standstill could affect the Australian Government’s wider new media and broadbandpolicies and objectives, including the Creative Industries Clusters, and thosestrategies developed by the Broadband Advisory Group to promote digital contentindustries in Australia.
• Standstill, combined with provisions negotiated within the e-commerce chapter couldalso limit the Government’s ability to enforce anti-piracy and classification legislation.
e-commerce provisions
• Removing cultural services from all provisions and chapters within the Australia – USFTA does not restrict the promotion or development of e-commerce.
• The United States has so broadly defined e-commerce within the Chile – US FTAand the Singapore – US FTA, that it includes all products that are traded or delivereddigitally. Increasingly this includes cultural goods and services such as films, books,music and television.
• Essentially, the US is arguing that a digital product should be treated differently to ananalogue version of the same product. The Australian position is that digitisation issimply a means of delivery, not a new product or service.
• If the Australian Government does not retain its right to intervene in these newmarkets as they flourish and develop, then the Australian Government will lose theflexibility to be able to intervene within these markets it order to achieve economic,social and cultural objectives.
• The definition of e-commerce must not encompass all digitised audio-visualproducts. The cultural characteristics of a book or a film or an interactive CD Rom,does not change simply because of the technology through which it is delivered.
• Digital products were excluded from the Australia – Singapore FTA and this shouldserve as a model for the current negotiations with the US.
For Further Information Please Contact:
Megan Elliott
Executive DirectorAustralian Writers’ Guildtel: 02 9281 1554 (ext. 227)email: [email protected]
Richard Harris
Executive DirectorAustralian Screen Directors Associationtel: 02 9555 7045email: [email protected]
José BorghinoExecutive DirectorAustralian Society of Authorstel: 02 9318 0877email: [email protected]
Geoff Brown
Executive DirectorScreen Producers Association of Australiatel: 02 9360 8988email: [email protected]
The Australian Coalition for Cultural Diversity
The ACCD is made up of a broad coalition of Australia’s cultural industry professionals.The ACCD’s total membership numbers around 220,000.
The Coalition includes the Screen Producers Association of Australia, the NationalAssociation for the Visual Arts, the Music Council of Australia, Museums Australia, theMedia Entertainment and Arts Alliance, Copyright Agency Ltd, CREATE Australia, theAustralian Writers’ Guild, Australian Society of Authors, Australian Screen DirectorsAssociation, Australian Publishers Association, Australasian Mechanical Copyright
Owners Society, Australian Library and Information Association, Australian InteractiveMultimedia Industry Association, Australian Guild of Screen Composers, Ausdance,Australasian Performing Right Association, Australian Literary Agents Association,
Australian Major Performing Arts Group and the Arts Law Centre.
ANNEX
FACTS ABOUT AUSTRALIAN FILM AND TELEVISION
• Australia is a net importer of film and television product.
• Australia is a net importer of copyright: the US Copyright industries are worthAUD $850 billion. Our copyright industries are worth AUD $20 billion, makingthe US industry 40 times bigger than ours.
• 63.4% of all new television hours broadcast on Australian Television in 2002were sourced from outside the region*
• 70% of all new television hours broadcast on Australian Television in 2002were non-local*
• 28% of all new television hours broadcast on Australian Television in 2002were from non-US sources*
• 98.5% of US television broadcast in the US is new local programming – only1.5% of all US television broadcast in the US is sourced from overseas*
• 95.7% of UK television broadcast in the UK is new local programming – only4.3% of all UK television broadcast in the UK is sourced from overseas*
• 70% of the 250 films released in Australia each year are from the US
• 10% of the 250 film released in Australia each year are local
• The US takes more than 83% of the gross Australian cinema box office
• The US and India are home to the two largest film and television productionindustries in the world, they are the only two countries in the world that do notmechanisms for supporting local film and television production
• Australia’s matrix of measures which support our local cultural industries,including film and television production, are transparent, targeted, do notexclude the presentation or broadcast of foreign material and still leaveAustralia open to international trade.
• The measures that support Australia’s cultural services, are those required todeal with market failure.
• Outside of the US and India, local screen content is provided through acombination of regulation and subsidy
(*Source: EURODATA TV/ MEDIAMETRIE – New On The Air Survey 2002)
MARKET FAILURE
US and UK television product is sold into the Australian market at a fraction ofthe real costs of production. The cost of production is substantially or fullyrecouped in their local markets.
An American AUD$3 million per hour series, fully financed out of the US, can besold to an Australian broadcaster for AUD $30,000/100,000 per hour, in otherwords between 1% - 3.5% of its production costs.
An Australian AUD$500,000 per hour is a big budget series. Local broadcastersonly pay AUD$250,000 per hour and the rest is funded against potentialoverseas sales by the Australian production company.
The transparent and modest regulatory matrix that Australian Government usesensures that there is space for Australian stories on Australian screens.
CONTENT QUOTAS AND SUBQUOTAS – AUSTRALIAN CONTENT
The current local content quotas for free to air commercial television is 55%,however this is inclusive of ALL broadcasting: news, sport, lifestyle magazineshows, reality television programs, current affairs, business affairs, as well asdrama, children’s programming, documentaries.
Australian drama, children’s programming and documentaries are also subject toa complex subquota system.
The table below shows that in terms of broadcast hours, Australian drama,Australian children’s drama and Australian documentaries, take up just over 4%of total broadcast hours over the 3 commercial free to air networks. TheAustralian audiovisual markets are among the most open in the world.
The amount of Australian Drama, Children’s Drama, Children’sProgramming and Australian Documentaries screened on Australian FreeTo Air Television in 2001
(source: Australian Broadcasting Authority, Australian Content and Chilren’sTelevision Standards Compliance 2001, www.aba.gov.au)
ProgramType
Seven Network(ATN Sydney)
Nine Network(TCN Sydney)
Ten Network(TEN Sydney)
HoursBroadcast
Percentageof all hoursbroadcast
HoursBroadcast
Percentageof all hoursbroadcast
HoursBroadcast
Percentageof all hoursbroadcast
FirstReleaseAust Drama
229.67 2.62% 119.09 1.36% 187.64 2.14%
ProgramType
Seven Network(ATN Sydney)
Nine Network(TCN Sydney)
Ten Network(TEN Sydney)
FirstReleaseAustralianDocumen-tary
26 0.29% 21.08 0.24% 20 0.23%
FirstReleaseAustralianChildren’sC Drama
32.50 0.37% 32 0.37% 32.50 0.37%
FirstReleaseAustralianChildren’sCprograms(total hoursincludes CDrama)
132.50 1.51% 134.50 1.54% 131.50 1.50%
Children’sC ProgramsALL
261 2.98% 263.50 3% 260.50 2.97%
ALLAustralianPreschoolP Programs
130 1.48% 130.50 1.49% 130.50 1.49%
OTHER CULTURAL INDUSTRIES
Government support promotes Australian stories and faces not just on Australianscreens, but also on Australian stages, on our radios, in our music halls, on ourbookshelves and wherever else Australian identity and culture is beingexpressed.
Australia’s cultural industries are inter-woven and interlinked. Support in onearea flows on to support other areas of cultural expression. Should Governmentmake liberalising commitments in one area of cultural services, this will then flowon to adversely affect many other areas within the cultural sector.
Support for a Free Trade Agreement with the United States
Overall Support for Free Trade Agreement
“Do you support or oppose a free trade agreement withthe United States?”
0
10
20
30
40
50
60
70
9th to
14th
August
2002
1st to 8th
March
2003
28th to
30th
March
2003
24th to
28th April
2003
Support
Oppose
Unsure
Depends
ß Overall support fora Free TradeAgreement is nowbelow 50%.ß Results based onnationallyrepresentative sampleof 1000 Australians,18 years of age andover. Conducted byUMR Research on thedates indicated.
Pharmaceutical Benefits Scheme
“Do you support or oppose an agreement that couldmake it more expensive to buy prescription drugs inAustralia?”
Support
7%
Depends
1%Unsure
3%
Oppose
89% UMR Research
1st - 8th March 2003
ß Due to forthrightpublic and politicalopposition, thePharmaceuticalBenefits Scheme wastaken ‘off the table’ inthe first round ofnegotiations. With89% of the publicopposed to anychanges, the PBSwas considered theprimary ‘dealbreakers’ for anyagreement.
Local TV Content Quotas
“Do you support or oppose a free trade agreement thatwould lead to fewer Australian made television showsand movies being seen on free-to-air television?”
Oppose71%
Depends1%
Support15%
Unsure13%
UMR Research
1st - 8th March
ß With 71% publicopposition to anyreduction in localtelevision content,Australia’s culturalquotas and subsidiesshould be consideredthe second ‘dealbreaker’.
Australia’s Cultural Industries
Australian Film and Television
Share of imported programming on commercial free-to-air
networks
USA
92%Other
1%
UK
7%
ß United Statesalready has a largemarket share.ß To increase theirshare even further,the US may seek toreduce or abolishAustralia’s localcontent laws.
Total share of programming on commercial free-to-air networks
USA
38%
Australia
59%
Other
<1%
UK
3%
ß Local producersare already underthreat due to anti-competitive Americanpractices such asbundling, anddumping.ß Because of theirlarge domesticmarket, Americansoaps and sitcoms arecheaper for Australiannetworks to buy thanquality local
quality localprogramming.
Share of Australian Box Office by Country
UK
9%
Other
3%
Australia
8%
USA
80%
ß The United Statesalready has a largeshare of the Australianbox office.ß Australian filmsstruggle to achieveover 10% of totalAustralia box officetakings.ß The United Statesmay seek to outlaw allfunding and subsidiesfor Australian film, asoccurred in NewZealand’s GATSnegotiations.
Australian share of the Australian Box Office, 1977-2002
0
5
10
15
20
25
30
1977
1979
1981
1983
1985
1987
1989
1991
1993
1995
1997
1999
2001
Amount spent by local and foreign feature film
productions in Australia, 1994-2002, $millions
3986 104
145 113 12679
12954
60 32
67 102 78 114
185
20
112
0 324
28
0
100
200
300
400
1994
/5
1995
/6
1996
/7
1997
/8
1998
/9
1999
/200
0
2000
/200
1
2001
/200
2
Australian features Co-productions Foreign Features
$95m $146m$147m
$214m $215m $207m $217m
$342m
ß Local and foreignfilms contributesubstantial amounts tothe Australian andstate economies.ß The majority of thisspending is located inNSW (68%); QLD(14%); and Victoria(12%) (1998-2002).
Amount spent by local and foreign TV drama
productions in Australia, 1994-2002, $millions
157 194 193 238 183 234 235 207
81 834879
77
87
1213 38
27 106
4131
42 3126
0
100
200
300
400
500
1994
/5
1995
/6
1996
/7
1997
/8
1998
/9
1999
/00
2000
/1
2001
/2
Australian features Co-productions Foreign Features
$210m$228m
$279m $307m$349m $366m $393m
$321m
ß From 1997 - 2002,TV drama productionsspent an average of athird of a billion dollarsannually in Australia.ß The majority ofspending came fromlocal productioncompanies.
How does Australia’s film and television industry perform in the world?
Australia’s Cultural Trade
Cultural exports to various countries, as percentage of total
0
10
20
30
40
50
60
70
80
1987/8
1989/90
1991/2
1992/3
1993/4
1994/5
1995/6
1996/7
1997/8
1998/9
1999/2000
2000/2001
% o
f to
tal
va
lue
USA UK Other
ß Australian cultureis increasinglyexported to countriesother than the US andthe UK.ß In total, Australiaexports its film andtelevision to over 50countries worldwide.ß Australian filmsand televisionprograms have wonmore than 400 awardseach year since 1996.ß Australia’s culturalexports were worth$1.2 billion in1998/1999.
Cultural imports from various countries, as percentage of total
0
20
40
60
80
100
1987
/8
1989
/90
1991
/2
1992
/3
1993
/4
1994
/5
1995
/6
1996
/7
1997
/8
1998
/9
1999
/200
0
2000
/200
1
% o
f to
tal v
alu
e
USA UK Other
ß Despite thesesuccesses, Australiancultural importsremain dominated bythe US market.
Key Areas of Concern
US Requests Abolition of Local Content Quotas
Evidence:“We will also seek to … eliminate restrictions that makeit difficult for U.S. service providers to operate in theAustralian market, and address other barriers to U.S.goods and services.”U.S. Trade Representative Robert Zoellick
US Seeks a “Standstill” on Cultural Regulation
Evidence:In the Doha round of WTO negotiations, the UnitedStates requested a “standstill” on any expansion ofcultural protection measures.US Proposes no Restrictions on Digital Trade and E-Commerce
Evidence:Robert Zoellick’s blueprint for the Free Trade Agreementincludes the goals“Seek to affirm that Australia will allow goods andservices to be delivered electronically on terms thatpromote the development and growth of electroniccommerce”; and”Seek to ensure that Australia does not apply customsduties in connection with digital products or unjustifiablydiscriminate among products delivered electronically.”
Letter to U.S Senate regarding President’s Intent toinitiate Free Trade Negotiations, Robert B. Zoellick
ß Many of Australia’snew cultural productsand services are nowproduced, delivered,utilised and storeddigitally. The trend willonly increase overtime.ß The vaguephrasing of the USposition allows for thepossibility of futurepunitive action ifAustralia sought toprotect or promote itsown cultural products,if those audiovisualproducts and serviceswere in digital format.
AN OPEN LETTER FROM ARTI STS
Septem ber 1 2 , 2 0 0 3
I t is t im e to secure the r ights of art ists globally. These r ights are at r isk
because internat ional t rade courts are ruling on art ist ic m at ters.
We are art ists and cit izens of the global village. We com e from every
com m unity and work in all art ist ic fields. Through our words, m usic, film s,
dance, paint ings and plays, in every language on earth, we entertain,
inform and engage our fellow cit izens in the adventure of being hum an.
I t is an excit ing t im e to be an art ist . Technologies can overcom e physical
distance and allow our works to be shared m ore widely than ever before.
We have the potent ial to exchange and blend our r ich diversity of cultural
pract ices in ways our ancestors could only im agine.
I t is also a dangerous t im e. Many hum an conflicts ar ise from a failure to
recognize cultural com plexit ies or from perceived threats to cultural
values. The road to security and prosperity requires that we celebrate and
encourage our cultural diversity and em brace and respect our cultural
differences.
Som e believe art ist ic creat ions are no different from convent ional goods
and services and they deny or ignore the powerful cultural im portance of
works of the hum an im aginat ion. For som e of the world’s largest
corporat ions, art ist ic works are com m odit ies to be bought and sold like
any other. They seek to dom inate the world’s m arkets with hom ogenized
form s of popular culture and thus m arginalize art ists in m any of our
com m unit ies.
Our world of unequal econom ic relat ionships has created unequal cultural
relat ionships. We believe governm ents have a responsibilit y to resist the
econom ic push by im plem ent ing policies that support diverse local art ists
and cultural producers, and ensure pluralism in the m edia and the arts.
This will create m ore choice and bring about a greater balance in
exchange between cultures. Governm ents m ust also preserve threatened
cultures and languages, especially those of indigenous peoples.
An im portant st ruggle between these incom pat ible visions is underway in
t rade negot iat ions. Trade officials negot iate rules that would hasten a
global m onoculture and m ake it vir tually im possible for com m unit ies to
support their art ists. We oppose these efforts.
At the sam e t im e, discussions have started within and outside UNESCO to
develop a new global Convent ion on Cultural Diversity to provide a legal
foundat ion for governm ent m easures that support cultural diversity and to
encourage governm ents to use that authority dom est ically. We support
this init iat ive.
As art ists, we com e from different disciplines; as cit izens, we com e from
different count r ies.
But , we are united in our call to the world’s leaders:
o don’t bargain away culture in t rade talks
o im plem ent a legally binding Convent ion on Cultural Diversit y
o use your powers to support diverse local art ists and cultural
producers
o help those count r ies that don’t yet have the capacity to bring their
stor ies, m usic and other art ist ic expressions to audiences
everywhere.
“I do not w ant m y house to be w alled in on all sides and m y
w indow s to be stuffed. I w ant the cultures of a ll lands to be
blow n about m y house as freely as possible. But I refuse to
be blow n off m y feet by any.”
Mahatm a Gandhi, from the w all of his ashram at Ahm edabad .
I N I TI AL SI GNATORI ES TO THE I NCD ARTI STS LETTER
Eugenio Aguirre (México, writer)
Bibi Andersson (Sweden, act ress)
Angélica Aragón (México, act ress)
Hom ero Aridj is (México, writer)
Gillian Armst rong A.M. (Aust ralia, Film Director)
Margaret Atwood (Canada, writer)
I ngm ar Bergm an (Sweden, film m aker)
Harry Belafonte (USA, actor/ m usician)
Jorge Bosso (Spain)
Michael Boyd (UK, Head, Royal Shakespeare Com pany)
Byungki Hwang (Korea, Composer/ Musician)
Agricola de Cologne (Germ any, New Media art ist )
Bec Dean (Aust ralia, Curator/ Visual arts)
Gabriel Garcia Marquez (Columbia, writer – Nobel Prize)
Salvador Elizondo (México, writer)
Karel Glast ra van Loon (Netherlands, writer)
Danny Glover (USA, Actor)
Nadine Gordim er (South Afr ica, writer)
Probir Guha ( I ndia, Theat re director)
Jung Rae Jo (Korea, Writer)
Kwon Taek I m (Korea, Film director)
Tom Keneally (Aust ralia, writer)
Chiha Kim (Korea, Poet / Writer)
Ludwig Laher (Aust r ia, Writer)
Pierre Larauza (France, Architect videographer)
Robert Lepage (Canada, Film / theat re director)
I gor Marinkovic (Serbia, Visual art ist )
Carlos Monsivais (México, writer)
Carlos Montem ayor (México, writer)
Sam Neill (New Zealand, Actor)
Abraham Oceranski (México, theat re director)
Michael Ondaat je (Canada, writer)
Victor Hugo Rascón (México, writer)
María Rojo (Mexico, act ress)
Volker Schlöndorff (Germ any, Film director)
Tom ás Segovia (Mexico, writer)
Tang Shu-wing (Hong Kong, Theat re director)
Sin Cha Hong (Korea, Dancer/ writer)
Sum i Jo (Korea, Vocalist – Opera)
Danis Tanovic (Bosnia-Herzegovina, film director)
RH Thom son (Canada, Actor)
Francisco Toledo (México, painter)
Antonio Traverso (Aust ralia, Academ ic, media and video art ist )
Victor Ugalde (México, movie director)
Roger Von Gunten (Mexico, painter)
Youn Taek Lee (Korea, Drama producer)
Proposed Convention on Cultural Diversity Prepared for the
International Network for Cultural Diversity 2003
INCD/RIDC
804 -130 rue Albert St
Ottawa ON K1P 5G4 Canada
Tel/tél: 1 613 238 3561
Fax/Tlc: 1 613 238 4849
www.incd.net
Preamble – Convention on Cultural Diversity www.incd.net
2
Proposed Convention on Cultural Diversity
Preamble
The International Network for Cultural Diversity (INCD) is a world wide network of
artists and cultural groups dedicated to countering the corrosive effects of globalization
on cultural diversity.
The INCD represents individual artists and cultural activists, professional and other
cultural organizations and creative industries. Its members come from all continents,
sectors and disciplines of the cultural community, ranging from new media artists to
traditional artisans. Organizations from more than 70 countries belong to the network.
The proposal for a Convention on Cultural Diversity is a product of the work pursued by
the INCD since its founding meeting in Santorini Greece in 2000. It reflects the
direction, advice and comments of more than three hundred delegates who have
participated in discussions since the founding meeting and those held subsequently in
Lucerne and Cape Town.
This work has been carried out during a time when the need for a new international
agreement concerning cultural diversity has been receiving wide attention and broad
support at international meetings, conferences and among national coalitions of cultural
organizations in all parts of the globe.
The importance of cultural expression is rooted in the Universal Declaration of Human
Rights, the United Nations International Covenant on Economic, Social and Cultural
Rights, and in declarations of UNESCO, the International Organization of the
Francophonie, and the Council of Europe.
The need to take the next step, by transforming declaratory statements into a legally
binding international agreement has become increasingly apparent as the forces of
globalization, trade liberalization and rapid technological change threaten to overwhelm
the capacity of many societies to maintain their own cultural institutions and industries,
or sustain local artists and creators.
On the government side, the primary impetus for such a new international agreement
flows from the work of the International Network on Cultural Policy (INCP) - an
informal group of over 40 culture ministers that has been meeting annually since 1998.
At its meeting in Lucerne in 2001, the INCP directed a working group on cultural
diversity and globalization to prepare a draft of a new international instrument on cultural
diversity.
Since their respective meetings in Lucerne, the work of the INCD and INCP have
proceeded in tandem. Thus in May, 2002, the first draft of the INCD proposal for a
Convention of Cultural Diversity was presented to the Minister’s working group at its
meeting in Johannesburg. Later that year the INCP published its own proposal for a new
Preamble – Convention on Cultural Diversity www.incd.net
3
International Instrument on Cultural Diversity. Now a third proposal for such an
instrument has been offered by a Canadian multi-stakeholder trade advisory group.1
Common Ground
What is most remarkable about these three initiatives is how much they have in common.
It is unusual to find that governments, civil society and key business groups agree on an
important international legal initiative.
Several underlying and common themes emerge from these proposals. There is the need
to ensure that cultural diversity is preserved in the face of the unprecedented challenges
posed by rapid technological change, the convergence of telecommunications and media
corporations, erosions of distinctions between content and carriage and the increasing
global concentration of ownership over the production and distribution of cultural
content. At the same time, efforts to dramatically expand the framework of international
trade regimes to encompass services, investment, competition policy and government
procurement, impose constraints on the capacity of governments to implement cultural
policies in response to these pressures.
It is understandable then that all three proposals state the same fundamental purpose: to
preserve the sovereign right of all nations to take such actions as they consider
appropriate to preserve, promote and enhance cultural diversity.
All three drafts also state explicitly that cultural goods and services must not be treated as
mere economic commodities as has been the case when trade dispute bodies have been
called upon to adjudicate conflicts between trade liberalization policies and those
necessary to achieve non-commercial cultural objectives.
There is also strong agreement about the need for the new international instrument2 on
cultural diversity to be legally binding. A purely declaratory instrument will not be an
adequate buffer against the coercive forces that now threaten cultural diversity. For this
reason, meaningful enforcement procedures are seen as an essential component of the
new Convention.
All three proposals recognize the importance of balancing the goal of protecting
indigenous and national cultural institutions and works, with the need to encourage the
international exchange of cultural products and forms of artistic expression. Preserving
the sovereign prerogatives of all nations to protect their cultures should not, and need not,
impede efforts to foster greater international cultural cooperation and exchange.
1 The Cultural Industries Sectoral Advisory Group on International Trade (SAGIT); An
International Agreement on Cultural Diversity: A Model for Discussion, Sept 2002.
2 Instrument is a neutral term that would include all forms of international agreement,
which are variously described as treaties, conventions, protocols.
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4
Finally, there is unanimity about the importance of respecting the right of artists and
creators to freedom of expression. On this essential point both the INCP and INCD
proposals explicitly prohibit government actions that might infringe basic human rights.
For the INCD the right of artists and creators to freedom of expression and freedom from
censorship is pointedly one of five over-arching objectives for the Convention.
A Diversity of Definitions
While there are broad areas of convergence there are also three important differences
between the INCD proposal for a new Convention, and that tabled by the Ministerial
network.
The first concerns the question of whether the Convention should establish common
definitions for key terms, including “culture” and “cultural diversity”. The INCD has
considered varying understandings of these terms as they have come to be articulated in
different societies and historical contexts. Delegates at INCD meetings have had a rich
debate about how the meanings of these words differ across cultures and languages
worldwide. The INCD has concluded there is no need to impose a universal standard for
these terms outside of those already embodied in other recognized international
understandings, while the other two treaties specifically lay out definitions for their usage
of key terms.
However, it is vital to note that when the INCD uses the term “cultural diversity” it is
intended to be inclusive, and to denote tolerance and respect. Unfortunately, cultural
differences all too frequently have engendered discrimination, or led to wars. The INCD
believes that cultural differences should instead be nurtured and celebrated, as a source of
unity and strength.
Therefore, with the important qualification that such definitions not be used to diminish
diversity, freedom of expression or basic human rights, we believe that there is no reason
to interfere with the right of each nation to define culture and cultural diversity as it
considers appropriate and relevant to its particular cultural context.
The Need for Positive Commitments
The second area in which our proposals diverge concerns the need for the Convention to
require a commitment by its signatories to take positive steps to preserve and enhance
cultural diversity.
In the INCD view, it is vital that the Convention adopt more than a defensive posture. It
must, in addition to operating as a bulwark against economic, trade and technological
forces that threaten cultural diversity, commit its member States to a proactive agenda for
cultural diversity.
The INCD acknowledges that real differences exist in the capacity of nations to take up
this challenge and the proposed Convention accommodates these differences. But while
Preamble – Convention on Cultural Diversity www.incd.net
5
the scale of commitments will vary, the need for all signatories to establish the basic
public policy foundation for cultural diversity should be clear.
Therefore, the INCD has made explicit the importance of signatories taking positive
steps, within their individual capacities, to implement the spirit of the Convention and to
develop, implement and maintain cultural programs and policies that support their artists,
creators and cultural producers. The INCD also anticipates and will solicit support from
international agencies and institutions to provide expertise and resources to assist this
process.
The Need for Precise and Unambiguous Provisions
The INCD proposed Convention is more specific in delineating the types of government
measures - policies, programs, laws, regulations and other actions - they may maintain or
establish for the purposes of achieving the goals of the Convention. The INCD has
adopted the somewhat arcane language and terminology of trade agreements, but with the
fundamental distinction of seeking to preserve the authority of governments to take
actions that international trade agreements explicitly forbid.
Thus, Part III of the proposed Convention delineates the specific types of government
measures which may be needed to achieve the goals of the Convention, but which might
otherwise run afoul of international trade disciplines, particularly those concerning
investment and services. By explicitly using the language of trade agreements, the INCD
hopes to bring into sharper relief the nature of the challenges posed by these regimes.
Transparent and Participatory Dispute Resolution.
The third point of divergence between the draft proposals is the character of the dispute
resolution procedures established by the Convention. The INCD proposes that
transparency be an essential hallmark of a dispute resolution process that would provide
for the protection of individual as well as corporate rights, including non-commercial
rights such as freedom of artistic expression.
The dispute resolution options proposed by the INCP have considerable merit. The
INCD endorses the principle of ensuring that international disputes over cultural matters
be resolved by specialized bodies with the mandate and competence to weigh and
consider the full spectrum of value of policies and programs that may come under fire,
with special attention to the non-commercial aspect.
However, the INCD believes that participation by civil society in the dispute process is as
important as the role it has played in working with the INCP to encourage this current
initiative. Not only does this require a thoroughly transparent dispute resolution process,
but one which provides a role for civil society as both intervener in, and initiator of,
dispute proceedings.
Preamble – Convention on Cultural Diversity www.incd.net
6
The INCD believes that it may be appropriate to establish more than one dispute
resolution regime for the purpose of ensuring compliance with the Convention. For
example, the protection of the individual rights of the artist, which are analogous to basic
human rights, speaks to the need for procedures that may be invoked by individuals, as is
the case under certain human rights conventions. For the commercial interests of
transnational corporations, or collective interests of arts organizations, a different
approach would be needed, perhaps one modelled on the labour and environmental side-
accords to the North American Free Trade Agreement (NAFTA).
For the time being, the INCD believes that it is more important to seek agreement about
the fundamental characteristics of a dispute resolution regime, rather than its details or
mechanics.
The Potential for Conflicts With WTO and Other Trade Agreements
Fortunately, the edifice of international trade disciplines concerning investment, services,
competition policy and procurement is still only under construction. Current negotiations
to extend the application of the General Agreement on Trade in Services (GATS), to
audio-visual and other cultural services, is one example where maintaining the status quo
will do a great deal to preserve the options of most nations to protect the diversity and
integrity of their own cultures
The next few years will be critical in determining the success of efforts to extend the
WTO framework in the areas of investment, competition policy and procurement. Each
of these encompass areas of domestic economic policy where the tenets of trade
liberalization will often conflict with those necessary to protect indigenous cultural
industries, products, artists and creators. Moreover, the failure of the most recent WTO
Ministerial Declaration adopted in Doha, Qatar, to acknowledge the importance of
cultural diversity belies any confidence that WTO negotiators will become more sensitive
to issues of cultural diversity than has been the case to date.
A similar trade liberalization agenda is also being pursued in regional fora, such as the
Free Trade Area of the Americas initiative. While in that context, Ministers have been
willing to recognize the importance of cultural diversity in hortatory terms, experience
has shown it takes more than preambular language to counter the precise, substantive and
enforceable disciplines of the agreements themselves.
Under international law, the provisions of this Convention would be deemed to prevail
over those of an earlier treaty relating to the same subject matter, but only as between
States that are parties to both Agreements. For states that are not party to the Convention,
a prior treaty (e.g. certain agreements of the WTO) will govern with respect to their
relationships with all State Parties to that earlier treaty, including those that may also be
Parties to this Convention.
In other words, it is not open to the Parties to the Convention to assert the Convention’s
priority with respect to non-signatory nations with which they have pre-existing
Preamble – Convention on Cultural Diversity www.incd.net
7
international obligations - namely those arising under the WTO, international investment
treaties, and regional trade agreements.
Therefore, until an international Convention on Cultural Diversity is concluded and
ratified, the most important strategy for most nations seeking to protect cultural diversity
will be to refuse to make further trade commitments that may undermine the objectives
and ultimate effectiveness of the Convention.
Conversely, the adoption of the proposed Convention has the potential for not only
qualifying trade commitments already taken, but for establishing important safeguards
against the future expansion of the multilateral trading framework for government
measures taken to preserve or foster cultural diversity. It may also serve to qualify future
commitments that may be made under such agreements as the GATS, or to frame
reservations under other trade agreements.
However, even after the Convention is established, considerable caution should guide
judgment about any proposed new trade commitments in favour of nations not party to
the Convention. A non-signatory to the Convention would still be entitled to stand on its
rights under international trade agreements, even where these are entirely contrary to the
goals of the Convention. Moreover the efficacy of unilateral reservations declared in
favour of the Convention is far from certain.
The best guarantee therefore that future trade commitments will not undermine the
capacity of nations to protect and enhance cultural diversity, is for those commitments to
be made only in respect of nations that are also Party to the Convention on Cultural
Diversity, and which have explicitly acknowledged its primacy concerning matters of
cultural diversity when conflicts arise with past or present trade obligations.
A New Vision
The INCD understands that adoption of the Convention by governments is only one step
in our campaign to promote global cultural diversity. The Convention can ensure a space
for domestic artistic creations, but it cannot guarantee every country will have the
capability to occupy that space. It cannot guarantee that every artist and cultural
producer will be able to work and create, to interact with their community. All of the
world’s citizens are impoverished when they are denied the opportunity to experience the
full rich diversity of artistic expression, language and culture which is our common
human heritage. Our vision includes the flourishing of cultures, locally, regionally and
globally, shared by all.
During a time when cultural divisions and intolerance has spawned the most egregious
assaults on human dignity and security, the INCD believes that this modest initiative may
also offer a guidepost to a peaceful path for resolving our most pressing challenges.
15 January 2003
Proposed Convention on Cultural Diversity
The State Parties to the present Convention,
Desiring to maintain and strengthen the capacity of all sovereign states to preserve
and enhance cultural diversity, and to ensure their capacity to develop and
implement measures to support diversity of artistic, linguistic and cultural
expression, within and among nations; and taking into account the potential
impediments to these goals that may arise from international trade, investment and
services disciplines,
Desiring to promote the full social, human and economic aspects of cultural
diversity;
Acknowledging the need to increase the exchange of ideas, information and
expression around the world;
Recognizing that support for artistic expression and cultural production can be an
important tool of sustainable economic development;
Acknowledging that many forms of artistic and cultural expression have value,
meaning and importance for human societies greater than their commercial value
as goods and services;
Recognizing that the rights of individual artists and creators to practice their craft
in security and freedom are fundamental human rights;
Endorsing the right of artists and creators to freedom of expression and freedom
from censorship;
Recognizing that freedom of information and freedom and pluralism of the media
are preconditions for diverse cultural creation and exchange;
Recognizing that there is a clear link between cultural diversity and identity,
pluralism of ideas, human and societal values and sustainable development;
Confirming that there is a special need to preserve the cultures and traditional
knowledge of indigenous peoples;
Proposed Convention on Cultural Diversity www.incd.net
2
Confirming the importance of preserving languages as reservoirs of thought,
history and knowledge;
Recognizing also the special needs of the less developed country members for
maximum flexibility in the domestic implementation of laws and regulations in
order to achieve the objectives of this Convention;
Recognizing the need for effective and appropriate means for preventing and
settling disputes concerning measures adopted in accordance with the provisions
of this Convention;
Desiring to establish a mutually supportive relationship with the World Trade
Organization (WTO), the World Intellectual Property Organization (WIPO), and
the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO);
and
Emphasizing the need to ensure that the implementation and enforcement of
international disciplines concerning trade in goods, investment, services and
intellectual property, not occur in a manner that undermines, or derogates from the
rights and obligations of Parties to this Convention.
Hereby agree as follows:
PART I: OBJECTIVES AND SCOPE
Article I: Objectives and Purposes
1. The objectives and purposes of this Convention are to:
(a) establish a multilateral framework of principles, rules and disciplines for the
purpose of preserving and enhancing cultural diversity both within and among
nations;
(b) maintain and strengthen the capacity of sovereign states to preserve and
enhance cultural diversity by taking actions, or adopting, maintaining and
enforcing measures to preserve or enhance cultural diversity;
(c) secure the rights of individual artists and creators to freedom of expression
and to work in security and free from censorship,
(d) promote the exchange of ideas, information and artistic expression around the
world; and
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3
(e) provide effective and appropriate means for preventing and settling disputes
concerning measures adopted in accordance with the provisions of this
Convention.
Article II: Definitions
1. Subject to the proviso that such measures are consistent with the objectives
and purposes of this Convention, and conscious of the often unique characteristics
of the social, linguistic, economic, educational, recreational, ecological and
aesthetic values that are inherent to cultural diversity, nothing in this Convention
shall be construed to limit the sovereign authority of a Party to define such terms
and concepts as “culture”, “cultural diversity”, and “indigenous or national
culture” in a manner it considers appropriate to the characteristics of its particular
society.
2. Subject to the same proviso, and for the purpose of defining the “diverse”
rather than “like” characteristics of cultural goods and services, a Party may
distinguish between goods and services based upon the:
(a) distinct indigenous, and national forms of cultural expression;
(b) country of origin of the artist or cultural producer;
(c) character, content, language or informational characteristics of such
goods or services; or
(d) any other qualities or features that are relevant to preserving and
enhancing diverse forms of cultural expression.
PART II: GENERAL COMMITMENTS
Article III: Policies, Plans and Programs
1. Each Party shall, in accordance with its particular conditions and capabilities:
(a) develop policies, plans or programs for the preservation and
enhancement of cultural diversity or adapt for this purpose existing
strategies, plans or programs which shall reflect, inter alia, the
measures set out in this Convention; and
(b) integrate, as far as possible and as appropriate, the preservation and
enhancement of cultural diversity into relevant economic, international
trade, social and environmental policies and programs.
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4
Article IV: Protection of Human Rights
1. In addition to ensuring that all actions taken pursuant to this Convention
are consistent with the objectives of Article I:1(c), each Party further affirms
that nothing in this Convention shall be construed to permit actions or
activities that infringe upon human rights as guaranteed either by international
law, or by the domestic law or custom of that State-Party.
Article V: Protection of Linguistic Diversity and Indigenous Cultures
1. Each Party shall respect, preserve, maintain and support linguistic
diversity, and the diverse forms of cultural expression practiced by aboriginal,
indigenous and local communities within its society, including those
embodied in traditional lifestyles.
Article VI: Transparency
1. Understanding the importance of transparency each Party shall, in
accordance with its particular conditions and capabilities, publish all relevant
measures of general application which pertain to or affect the operation of this
Convention and also establish one or more inquiry points to provide specific
information on all such measures.
PART III: SUPPORTING CULTURAL DIVERSITY
Article VII: Financial Support
1. Each Party undertakes to provide, in accordance with its capabilities,
financial support and incentives in respect of activities which will achieve the
objectives of this Convention. These measures may include, but are not
limited to: the provision of subsidies and grants; and the granting of any
advantage, favour, privilege or immunity, including tariff and/or tax
preferences.
2. These financial supports and incentives may be allocated in a manner which
accords special, preferential, or more favourable treatment to indigenous, or national
forms of cultural expression where the Party considers that such measures will
support or achieve the objectives of this Convention.
3. Such financial supports and incentives may be provided directly or
indirectly to individuals, institutions, state enterprises, associations, non-
governmental organizations or cultural enterprises.
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Article VIII: Development Assistance
1. The developed country Parties may also provide, and developing country
Parties avail themselves of, financial resources related to the implementation
of this Convention through bilateral, regional and other multilateral channels.
2. The Parties shall take full account of the specific needs and special
situation of less developed countries in their actions with regard to funding the
international exchange of cultural goods and services.
PART IV: MEASURES TO PRESERVE AND ENHANCE
CULTURAL DIVERSITY
Article IX: General
1. Each Party may adopt and implement appropriate measures which from
time to time it considers necessary for the purpose of achieving the objectives
of this Convention.
Article X: Investment, Competition Policy and Procurement
1. Each Party shall, in accordance with its particular conditions and
capabilities, ensure that its investment and competition policies reflect the
objectives of this Convention, and may for such purposes prohibit or limit
foreign investment in the cultural sector. Where such investment is allowed in
cultural undertakings, a Party may maintain, adopt or enforce any of the
following requirements:
(a) to achieve a given level or percentage of domestic content;
(b) to purchase, use or accord a preference to goods produced or services
provided in its territory, or to purchase goods or services from persons
in its territory;
(c) to restrict sales of goods or services in its territory that such investment
produces or provides;
(d) to enter into independent, co-production, or co-distribution
agreements; and
(e) that members of the board of directors or senior management be
nationals of that Party.
2. For greater certainty, nothing in this Convention shall be construed to
prevent a Party from adopting, maintaining or enforcing measures to ensure
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that investment activity in its territory is undertaken in a manner sensitive to
concerns and policies concerning cultural diversity.
3. Each Party may adopt procurement policies and practices which favour or
accord preferences to indigenous and national cultural goods and services in
order to preserve or enhance cultural diversity.
Article XI: Cultural Goods and Services
1. Each Party shall ensure that all measures of general application established
to preserve and enhance cultural diversity both in and among nations, are
administered in a reasonable manner, but nothing in this Convention, or any
other International Agreement to which it may be a Party, shall be construed
to prevent a Party from adopting, maintaining or enforcing measures that
accord special, preferential, or more favourable treatment to indigenous or
national goods and services for the purpose of achieving the objectives of this
Convention.
2. Each Party undertakes to establish, in accordance with its capabilities,
measures intended to preserve and enhance cultural diversity, and foster the
exchange of ideas, information and artistic expression regionally, nationally
and internationally, which may include measures relating to:
(a) qualification requirements and procedures, technical standards and licensing
requirements with respect to cultural goods and services;
(b) limitations on the number of cultural service suppliers whether in the form of
numerical quotas, monopolies, exclusive service suppliers or the requirements
of an economic needs test;
(c) limitations on the total value of cultural service transactions or assets in the
form of numerical quotas or the requirement of an economic needs test;
(d) limitations on the total number of cultural service operations or on the total
quantity of service output expressed in terms of designated numerical units in
the form of quotas or the requirement of an economic needs test;
(e) limitations on the total number of natural persons that may be employed in a
particular cultural service sector or that a service supplier may employ and
who are necessary for, and directly related to, the supply of a specific service
in the form of numerical quotas or the requirement of an economic needs test;
and
(f) measures which restrict or require specific types of legal entity or joint
venture through which cultural goods or services are supplied.
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Article XII: Public Cultural Institutions
1. In recognition of the vital role that governments have to play in providing cultural
goods and services, each Party may, in accordance with its particular conditions and
capabilities, establish institutions, such as museums, theatres and libraries; language
and/or heritage programs which it considers necessary to achieve the objectives and
purposes of this Convention.
2. Each Party may establish, endow or empower state enterprises, monopolies, and
other publicly governed institutions to provide cultural goods and services, such as arts
education and funding, film development, and public service broadcasting.
PART V: DISPUTE SETTLEMENT
Article XIII: Relationships With Other Agreements
1. Nothing in this Convention shall derogate from existing obligations that Parties may
have to each other under the Paris Convention, the Berne Convention, the Rome
Convention, the WIPO Copyright Treaty, the WIPO Performances and Phonograms
Treaty and the Treaty on Intellectual Property in Respect of Integrated Circuits.2
Article XIV: Dispute Resolution:
1. The Parties agree to establish by the first anniversary of the ratification of this
convention a dispute resolution regime that will have the following essential
characteristics and features:
i) disputes arising under this Convention will be initiated, conducted, and
resolved in a manner that places the greatest emphasis on transparency,
fairness, and respect for the interests of all those potentially effected by
the resolution of the matters in issue;
ii) dispute procedures, while emphasizing the value of consensual resolution,
will nevertheless provide for the final and binding determination of any
disagreements or disputes concerning the implementation, or application
of this Convention;
iii) dispute procedures will allow for the protection of individual and
collective interests, as well as those of corporations including non-
commercial rights such as freedom of artistic expression.
iv) dispute procedures should provide for the intervention by interested third
parties, including non-governmental organizations;
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v) dispute procedures should be multifaceted and draw upon the experience
of other multilateral agreements that provide for investigation, reporting,
alternative dispute resolution and other means for encouraging compliance
with the requirements of the Convention;
vi) dispute procedures may be initiated only after recourse is sought under the
domestic laws and procedures of the State Parties against which the
complaint is made; and,
vii) dispute procedures shall provide an effective incentive for nations to
become Parties to the Convention, and thereafter to comply with its
requirements;
2. The Parties agree those empowered to resolve or mediate disputes arising under this
Convention will possess the specialized expertise needed to address the full social,
aesthetic, as well as commercial dimension, of the cultural measures at issue.
3. As among or between Parties, disputes concerning the meaning or application of the
Convention will be resolved in accordance with the dispute procedures of this
Convention and not those provided for by international trade agreements that might also
apply to the measures in question.
ITI Erklärung vor der bundesweiten Koalition zur kulturellen
Vielfalt
Rede von Dr. Manfred Beilharz
Als Präsident des Zentrums der Bundesrepublik Deutschland des Internationalen Theaterinstitutes begrüße und unterstütze ich ausdrücklich das Projekt der UNESCO-Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt, das sich derzeit in der Phase der konkreten Ausarbeitung befindet. Dem Internationalen Theaterinstitut, einem weltweiten Netzwerk, das seit mehr als 55 Jahren unter dem Schirm der UNESCO dem wechselseitigen Austausch der Theaterschaffenden der Welt dient, kommt bei der Schaffung eines solchen Vertrags eine besondere Verantwortung zu, zumal ich auf diesem Meeting auch zu Ihnen in meiner Eigenschaft als Weltpräsident des ITI spreche. Ich möchte deshalb zunächst einige Bemerkungen zur Bedeutung der UNESCO-Konvention für die weltweite Zukunft des Theaters machen.
Das Recht auf Gedankenfreiheit und auf freien Ausdruck in der eigenen Kultur ist unveräußerliches Menschenrecht. Dieses Recht kann nicht ausgeübt werden, ohne Freiheit des künstlerischen Schaffens und ohne Fähigkeit zur kulturellen Produktion und ihrer Verbreitung. Diese Fähigkeit wird meistens durch die Staaten gesichert, die diejenigen Maßnahmen treffen müssen, die sie für notwendig halten, damit ihre Bürger Zugang zu einer Darstellung der Welt haben, die aus ihrer eigenen Kultur hervorgeht. Diese Fähigkeit eines jeden Volkes, jeder Gemeinschaft, die Welt durch die eigene Sprache und die eigenen Ausdrucksformen zu repräsentieren, konstituiert die kulturelle Vielfalt. Ohne sie gibt es keinen kulturellen Austausch.
Heute gefährdet der Prozess der Globalisierung, der nur zu oft ausschließlich durch die Regeln der Warenwirtschaft gelenkt wird, diese Pluralität im Namen eines Weltmarktes, der als einzige Größe gedacht wird und in dem die finanzielle Entwicklung einhergeht mit der Formatierung und Uniformisierung kultureller Produkte. Die Mechanismen des GATS Abkommens sind kennzeichnend für diese Entwicklung. Die Unterwerfung kultureller Tätigkeiten und Produkte unter ausschließlich kommerzielle Kategorien und die damit verbundenen Interessen, das Primat der Ökonomie über die Grundaufgaben und Inhalte kultureller Arbeit und ihrer Produkte, sind der Wahrung und Entwicklung kultureller Vielfalt, insbesondere auch der künstlerischen Ausdrucksformen, abträglich. Gesellschaftliche Bedürfnisse und kommerzielle Interessen sind in der künstlerischen Produktion, wenn überhaupt, nur sehr bedingt miteinander identisch.
Im Bereich des Theaters ist dies besonders deutlich wahrnehmbar. In vielen Ländern Lateinamerikas, Asiens und Afrikas kämpfen die Theaterschaffenden mit enormen Schwierigkeiten, die wirtschaftliche Lage der Theater und der Theaterschaffenden ist äußerst prekär. Gerade in diesen Ländern gewinnt die Kommerzialisierung der kulturellen Produktion wegen der finanziellen Schwäche des Staates und auf Grund der politischen,
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wirtschaftlichen und oft auch ideologischen Abhängigkeit von den globalen Machtzentren immer weiter an Terrain und marginalisiert zusehends das künstlerische Theaterschaffen zugunsten der weltweit operierenden Unterhaltungsindustrie. Die großen künstlerischen Leistungen, die die Theaterleute dieser Länder hervorbringen – Leistungen, die wir auf den europäischen Festivals oft bestaunen – stehen unter tödlicher Bedrohung. In den Ländern Asiens, Lateinamerikas und Afrikas wie auch in den wenigen reichen Ländern der Welt ist das Theater als öffentlicher Ort, an dem das Schicksal der Gesellschaft, der Platz des Menschen in der Welt verhandelt wird und den Namenlosen eine Stimme gegeben werden kann, ein unverzichtbares Gut. Überall dort, wo Krisen ausbrechen, wo Gewalt herrscht, besitzt das Theater als schöpferischer Ausdruck und geistiger Katalysator eben dieser Krise, eine friedens- und identitätsstiftende Kraft, die in ihrer sinnlichen Konkretheit und ihrem geistigen Gehalt zugleich universal und völkerverbindend ist. Seine Wirkung ist nicht mit marktwirtschaftlichen Kategorien fassbar, sein Wert kann nicht in Geld gemessen werden. Gerade in Zeiten, in denen kulturelle Fundamentalismen zu Gewalt und Krieg führen, ist ein lebendiges Theater notwendig, das vorrangig nicht kommerziellen Interessen, sondern den Inhalten seiner Kunst verpflichtet ist. Das vielfältige, lebendige Theater unserer Welt, insbesondere in den armen Ländern dieser Erde zu schützen und seine freie, autonome Entfaltung zu ermöglichen und zu fördern, ist Aufgabe der Staaten, der Völkergemeinschaft und vornehmste Aufgabe des Internationalen Theaterinstitutes. Es ist unser bescheidener Beitrag zu einer gerechteren Weltordnung.
Auf allgemeiner Ebene ergeben sich deshalb u.E. einige wichtige internationale Grundpositionen und Forderungen für die Ausarbeitung einer UNESCO-Konvention zum Schutz und der Förderung kultureller Vielfalt. (Diese Grundpositionen und Forderungen sind (waren) auch Gegenstand der Beratungen auf dem 10. Weltkongress des ITI in Tampico (Mexico) vom 28.05. bis 4.06.2004.)
1- Wir lehnen Liberalisierungsverpflichtungen im kulturellen Bereich und damit auch Theaterbereich ab.
2- Wir benötigen ein völkerrechtlich verbindliches Instrument, dessen Einhaltung durch einen fortlaufenden Kontrollmechanismus gewährleistet wird, der in das Vertragswerk integriert ist. Ebenfalls benötigt wird ein Gremium zur Schlichtung von Streitfällen.
3- Im Kontext der Vorherrschaft kommerzieller Regelungen innerhalb der WTO wurde die Berücksichtigung der kulturellen Dimension in der Form von Dispensregelungen vorgenommen. Eine solche Vorgehensweise verstärkt die kommerzielle Sichtweise als allgemeines Prinzip, indem sie dem Handel Vorrang vor der Kultur gibt. Wir benötigen jedoch eine Konvention, die ein wirkliches Gegengewicht zur WTO darstellt. Aus diesem Grunde ist es notwendig, dass Regeln geschaffen werden, die außerhalb des kommerziellen Systems stehen. Die dafür notwendigen Begrifflichkeiten müssen der Spezifik kultureller Tätigkeiten und Produkte gerecht werden. Zu diesem Zwecke muss von Seiten der UNESCO
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eine breite Diskussion mit den Kulturschaffenden und ihren Verbänden geführt werden, insbesondere mit denjenigen Nichtregierungsorganisationen, die sich explizit für die Wahrung und Förderung der kulturellen Vielfalt einsetzen. Ein solches Vorgehen setzt voraus. dass die Kulturschaffenden selbst diese Diskussion untereinander zum Zwecke der autonomen politischen Willensbildung führen. Im Theaterbereich ist das ITI als Weltorganisation für eine solche Diskussion und Willensbildung auf internationaler Ebene ein privilegierter Ort.
4- Grundlegend für die Ausarbeitung der Konvention muss eine spezifisch kulturelle Sichtweise der Problematik sein. Ein solcher Ansatz legitimiert die Zuständigkeit der UNESCO als völkerrechtlicher Instanz. Zugleich wird damit klargestellt, dass die WTO für die kulturelle Dimension dieser Güter und Dienstleistungen nicht kompetent ist. Die Konvention muss gewährleisten, dass kulturelle Güter und Dienstleistung definitiv aus der Verhandlungsmasse des GATS herausgenommen werden können. Dies muss auch für die Theaterkünste gelten.
5- Unter Beachtung der Regeln der Wiener Konvention von 1969 wäre es geboten, in die Konvention einige Prinzipien einzufügen, die imstande sind, seinen Einfluss in der internationalen Rechtsordnung festzuschreiben, insbesondere das Prinzip, dass die Konvention gegenüber anderen Verträgen nicht als untergeordnet angesehen werden kann, wobei sie allerdings nicht so interpretiert werden darf, als impliziere sie eine Modifizierung der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien, die aus anderen internationalen Verträgen herrühren.
6- Die in den großen Texten der Vereinten Nationen niedergelegten individuellen kulturellen Grundrechte müssen in das Vertragswerk einfließen: es handelt sich um Rechte, die die unterzeichnenden Staaten anerkennen, respektieren und garantieren müssen. Ferner müssen diese Rechte vor den Kontroll- und Schlichtungsgremien der Konvention individuell und kollektiv einklagbar sein. Dazu hören: a- Freiheit des Denkens, Freiheit der Meinung und des künstlerischen Ausdrucks, Recht auf Teilhabe am kulturellen Leben der Gemeinschaft. b- Recht auf Schutz des moralischen und materiellen Interesses an den geschaffenen Werken (Urheberrechte und Nachbarrechte). In diesem Zusammenhang lehnen wir ein Urheberrecht, dass kulturelle Produkte lediglich als Ware betrachtet und dem jeweiligen Eigner die volle Verfügungsgewalt, also auch die moralische, über das Produkt zuspricht, ab. c- Recht auf Zugang zur kulturellen Vielfalt innerhalb eines gegebenen Territoriums und auf internationaler Ebene. d- Recht auf Information.
7- Der Schutz und Förderung der Kulturschaffenden sind eine wesentliche Grundvoraussetzung für kulturelle Vielfalt. Die Konvention muss allgemeine Rahmenbestimmungen für den Schutz und die Förderung der Kulturschaffenden enthalten. Die Kulturschaffenden, insbesondere die Künstler, arbeiten oft in prekären Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnissen. Nur wenige genießen die Privilegien des Reichtums oder der Wohlhabenheit. Materieller Schutz und Förderung der Künstler muss deshalb zur Aufgabe eines jeden
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Unterzeichnerstaates je nach seinen finanziellen und legalen Möglichkeiten gemacht werden. Auch in der Europäischen Union wird die materielle Lage der Künstler, insbesondere auch die Lage der Theaterleute zunehmend prekärer. Es muss deshalb auf europäischer Ebene über den Ausbau bzw., die Schaffung spezifischer Systeme sozialer Sicherung für Künstler und andere Kulturschaffende nachgedacht werden, damit die notwendigen politischen Entscheidungen getroffen werden können. Auch für diese Diskussion steht im Theaterbereich neben Dachverbänden der europäischen Bühnen wie Pearle und den Gewerkschaften das ITI als Informations- und Diskussionsforum zur Verfügung.
8- Für das fundamentale Recht der Staaten, diejenige Kulturpolitik zu beschließen und durchzuführen, die sie für angemessen halten, muss eine rechtliche Grundlage geschaffen werden, um vom kulturellen Standpunkt aus diejenigen Bedingungen zu artikulieren, die notwendig sind, um kulturelle Identitäten und kulturelle Vielfalt zu erhalten und zu fördern. Dieses fundamentale Recht souveräner Staaten muss im Einklang mit den Menschenrechten ausgeübt werden, insbesondere auch mit den kulturellen. Eine staatliche Kulturpolitik, die den Menschenrechten zuwiderläuft, muss ausgeschlossen sein.
Im zweiten Teil meiner Ausführungen möchte ich auf die nationale Situation eingehen. In der Bundesrepublik Deutschland findet die notwendige öffentliche Debatte über den Problembereich der UNESCO-Konvention recht spät statt. Es ist bedauerlich, dass die wichtige Stellungnahme des Deutschen Kulturrats, der ARD und der Heinrich-Böll-Stiftung in der gemeinsamen Erklärung von Cancún nicht die gebührende öffentliche Beachtung fand. Trotz der verdienstvollen Arbeit des deutschen Kulturrates, der in zahlreichen Stellungnahmen und Hintergrundartikeln die Problematik der Liberalisierung von kulturellen Gütern und Dienstleistungen im Rahmen des GATS thematisiert hat, wurde das Thema der kulturellen Vielfalt in den Berufsverbänden und repräsentativen Gremien des deutschen Theaters nur sehr sporadisch behandelt, ohne dass es bislang zu einer vertieften Diskussion und Willensbildung gekommen ist. Spätestens seit seiner letzten Mitgliederversammlung im Herbst 2003 versucht jedoch das deutsche Zentrum des ITI, diesem Zustand abzuhelfen und durch die Schaffung eines Informations- und Diskussionsforums, sowie durch die Publikation von Hintergrundartikeln und internationalen Dokumenten zu einer vertieften und detaillierten Debatte innerhalb des deutschen Theaters beizutragen. In den westeuropäischen Nachbarländern, insbesondere in Frankreich ist die Diskussion über die kulturelle Vielfalt wesentlich weiter vorangekommen, zahlreiche Berufsverbände und Gremien der Kulturschaffenden haben sich zusammengeschlossen und gemeinsame politische Plattformen erstellt. Das ITI verfolgt diese Aktivitäten mit großer Aufmerksamkeit. Der Informations- und Meinungsaustausch mit den europäischen Theaterleuten ist für die deutsche Diskussion von hohem Nutzen, das ITI hat auch in diesem Zusammenhang eine wichtige Funktion.
Im nationalen Kontext erscheinen uns folgende Punkte wichtig:
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1- Als Ergebnis einer spezifischen geschichtlichen Entwicklung verfügt die Bundesrepublik Deutschland über mit seinen Staatstheatern, Stadttheatern, Landesbühnen und der freien Theaterszene über eine Theatervielfalt, die in Europa und der Welt einzigartig ist. Diese Tradition der öffentlich betriebenen Theater, sowie die öffentliche Förderung der Freien Theaterszene gilt es zu erhalten und weiterzuentwickeln. Sie ist eine wesentliche Garantie für die im Grundgesetz garantierte Freiheit und Unabhängigkeit der Kunst. Diese Theaterlandschaft ist ein großes historisches Erbe und ein unverzichtbares Gut der deutschen Gesellschaft und wesentlicher Bestandteil unserer kulturellen Identität. Wir erhoffen von einer UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt, dass sie die völkerrechtlich verbindlichen Grundlagen schafft, die es ermöglichen, den Bereich des öffentlich betriebenen bzw. öffentlich subventionierten Theaters definitiv aus den Liberalisierungsprozessen des GATS auszuschließen.
2- Falls im Theaterbereich Liberalisierungsverpflichtungen des GATS zur Anwendung kommen würden, hätte dies u. E. katastrophale Folgen für den Bestand und die Fortentwicklung der deutschen Theaterlandschaft. Die Meistbegünstigungsklausel des GATS-Abkommens träte dann in Kraft. In diesem Falle würde die Subvention nationaler Theaterbetriebe dann als unzulässige Bevorteilung angesehen werden, wenn sich internationale Bewerber gleichfalls auf dem nationalen Markt bewegen. Konkret könnte dies bedeuten, dass ein privates internationales Theaterunternehmen gegen die Subvention der staatlichen Theaterbetriebe bei der WTO Beschwerde einlegen und die WTO entsprechende Sanktionen verfügen könnte. Damit käme das gesamte System öffentlicher Theaterbetriebe und öffentlicher Subventionen von Theaterprojekten ins Wanken. Ein noch weitergehendes Beispiel wäre die internationale Ausschreibung von Opernprojekten, bei denen die deutschen Opernhäuser in direkte ökonomische Konkurrenz zu anderen international operierenden Opernproduzenten treten würden. Weitere Konstellation ist durchaus denkbar. Angenommen, die staatlichen und kommunalen Theater werden von der Liberalisierung in den GATS-Verhandlungen ausgenommen. Was geschieht dann mit denjenigen öffentlichen Theatern, die der Rechtsform nach Privatgesellschaften sind, also etwa mit Stadttheatern, die in GmbHs umgewandelt wurden? Welchen Bedingungen werden diese Theater dann ausgesetzt? Allgemein steht zu Befürchten, dass durch die fortschreitende Unterwerfung des kulturellen Bereiches unter kommerzielle Interessen, diejenigen Künste, die auf Grund ihrer spezifischen Produktionsformen der öffentlichen Förderung bedürfen, zunehmend marginalisiert. Diese Entwicklung ist in denjenigen Ländern, in denen die Liberalisierungstendenzen weiter fortgeschritten sind, besonders im Bereich des Theaters spürbar.
3- Die Souveränität des Bundes und der Länder in Fragen der Kulturpolitik muss erhalten bleiben. Die staatliche Souveränität in Fragen der Kulturpolitik und das Subsidiaritätsprinzip ist gerade in diesem Bereich von besonderer Bedeutung. Kulturpolitische Souveränität ist unverzichtbarer Bestandteil eines demokratischen
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Gemeinwesens. Sie gestattet die Transparenz der Entscheidungen, Öffentlichkeit der Diskussion, Nähe zu den kulturellen Institutionen und zu den Kulturschaffenden. Gerade für das Theater gilt, dass die lokale Verwurzelung der Theaterkultur die Grundlage für ihre Universalität ist. Die mangelnde Transparenz der europäischen Kommission im Hinblick auf die GATS-Verhandlungen wurde zurecht sowohl von namhaften europäischen Kulturpolitikern, wie auch von den Berufsverbänden und Gremien der Kulturschaffenden zu Recht kritisiert. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt halten wir eine Verlagerung kulturpolitischer Verantwortungen auf europäische Ebene nicht für angebracht, zumal die Regierungen der Mitgliedsstaaten der EU zu dem GATS und zur UNESCO-Konvention durchaus unterschiedliche Positionen haben. Das in Art. III 217.4 des Entwurfes der Europäischen Verfassung festgelegte Prinzip der Einstimmigkeit der Entscheidungen des Rates im Bereich der Verhandlung und dem Anschluss von Übereinkommen im Bereich des Handels mit kulturellen und audiovisuellen Dienstleistungen muss unbedingt beibehalten werden.
4- Die deutsche Theaterlandschaft ist durch die gesellschaftliche, insbesondere die ökonomische Entwicklung in eine bedrohliche Lage geraten. Die Finanzkrise des Bundes, der Länder und der Kommunen, kann zu einer tiefgreifenden Theaterkrise werden. In der kulturpolitischen Debatte spielen zunehmend ökonomische und warenwirtschaftliche Kategorien und Sichtweisen eine prioritäre Rolle. Unbeschadet der Tatsache, dass in Zeiten knapper öffentlicher Ressourcen die Theater sparsam und effektiv mit den ihnen zur Verfügung stehenden Gelder wirtschaften müssen, ist in der Kulturpolitik immer öfter eine Vorrangstellung ökonomischer Kosten-Nutzen-Rechnung vor den inhaltlichen Aufgaben des Theaters zu beobachten. Dieses Primat der Ökonomie ist derjenigen Logik verwandt, die das GATS-Abkommen bestimmt. In welchem Verhältnis ökonomische und inhaltliche Bestimmung der Kulturpolitik stehen, muss auch in der öffentlichen Diskussion der UNESCO-Konvention eine entscheidende Rolle spielen. Die uns bekannten Verlautbarungen der Bundesregierung zeichnen sich in dieser Hinsicht nicht durch besondere Klarheit aus, zumal die marktorientierte Umgestaltung der Gesellschaft das Engagement Staates im sozialen wie im kulturellen Bereich insgesamt beschneidet. Diese Entwicklung erfüllt uns mit großer Sorge. Allem Anschein nach strebt die Bundesregierung bei der Ausarbeitung der UNESCO-Konvention einen Ausgleich zwischen marktwirtschaftlichen und kulturellen Interessen an. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich in dieser Hinsicht deutlicher zu artikulieren. Angesichts der allgemeinpolitischen Entwicklung steht zu befürchten, dass letztlich doch die Marktinteressen die Oberhand behalten. In diesem Falle wäre jedoch nicht einsehbar, warum eine solche Konvention von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet würde. Zugespitzt gesagt: Was würde eine Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt als Gegengewicht zum GATS nützen, wenn die Theater im eigenen Land prioritär marktökonomischen Kriterien unterworfen würden?
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5- Lassen Sie mich abschließend noch einige inhaltliche Bemerkungen zur Kunst des Theaters machen. Die Globalisierung der Märkte, hat dazu geführt, dass der Mensch in wachsendem Maße ausschließlich unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet wird. Soziale Fragen sind nur noch von Belang, droht von ihnen eine Störung der Kapital- und Warenflüsse. Diese Entwicklung, beginnend mit den Schlachten des I. Weltkrieges, setzt sich auf den neuen Schlachtfeldern – den globalisierten Märkten – in wachsendem Tempo fort: der Mensch ist Material in einem Prozess, der sich selbst Zweck geworden ist. Mit Kant hätte Theaterarbeit gegen diesen Trend anzuarbeiten, eingedenk des Satzes, der Mensch sei sich selbst Zweck und dürfe als Mittel zu ihm fremden Zwecken nicht missbraucht werden. Ist von der Aufklärungsfunktion des Theaters die Rede, fände sie darin ihre inhaltliche Bestimmung. Theaterarbeit hat ökonomischen wie politischen Zwecksetzungen zu widerstehen, will sie diesem Auftrag nachkommen. Was sich an der aktuellen Produktion als Gefahr zeigt: im Bemühen um die materielle Sicherstellung der Produzenten, im Versuch, nachzuweisen, dass Theater notwendig sei, übernehmen Theatermacher zunehmend das Effizienzmodell einer vom Marktdenken beherrschten Gesellschaft. Kunst dient sich, ohne es noch zu bemerken, den herrschenden Verhältnissen an, übernimmt mit dem Hinweis auf die nun einmal so seiende Situation Quotendenken, Unterhaltungsideologie und Marktdruck, froh, wenigstens noch die Verpackung für den schlechten Zustand liefern zu dürfen. Dagegen gilt: Theater ist provinziell, vertritt das Lokale gegen die Anmaßungen einer abstrakten Universalität (und sei es die angebliche der Menschenrechte). Dazu Büchner in seiner Novelle Lenz: "Ich verlange in allem – Leben, Möglichkeit des Daseins, und dann ists gut; wir haben dann nicht zu fragen, ob es schön, ob es hässlich ist, das Gefühl, dass, was geschaffen sei, Leben habe, stehe über diesen Beiden, und sei das einzige Kriterium in Kunstsachen... Man versuche es einmal und senke sich in das Leben des Geringsten und gebe es wieder in den Zuckungen, den Andeutungen, dem ganzen feinen, kaum bemerkbaren Mienenspiel. Es sind die prosaischsten Menschen unter der Sonne; aber die Gefühlsader ist in fast allen Menschen gleich, nur ist die Hülle mehr oder weniger dicht, durch die sie brechen muss. Man muss nur Aug und Ohr dafür haben." Darauf wird es ankommen, fragen Theatermacher sich, was sie ihrem Publikum noch zu erzählen haben. Theater steht auf der Seite der Vergessenen, der Erniedrigten, der Nutzlosen, all derer, die in den offiziellen Rechnungen nicht vorkommen. Um Missverständnisse nicht aufkommen zu lassen: es geht um die Erarbeitung einer ästhetischen Position, nicht um die Eröffnung einer weiteren Sozialstation. Doch ist der bequemen Meinung, ästhetische Positionen seien ohne ethische Reflexionen zu haben, entgegenzutreten. Die Wirklichkeit mit ihren Konflikten ist nicht abgeschafft, nur weil uns die militante Propaganda mit dem immergleichen Hinweis auf die Virtualisierung des Wirklichen dies glauben machen will.
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Erklärung von Cancún zur Kulturellen Vielfalt
Aus Anlass der 5. Ministerkonferenz der WTO im September 2003 in Cancún, Mexiko, erklären die unterzeichnen-den Repräsentanten der Zivilgesellschaft, dass kulturelle Vielfalt einen unabdingbaren Bestandteil derMenschheit darstellt, den wir jetzt und in der Zukunft unterstützen und fördern werden. Wir nehmen daher folgende Erklärung an:
● In Anerkennung, dass kultureller Ausdruck ein elementares Menschenrecht und die Grundlage für eine
funktionierende Demokratie ist;
● als Bestätigung, dass kulturelle Vielfalt ebenso notwendig für die Menschheit ist wie biologische Vielfalt für die
Natur, und dass daher eine Politik, die kulturelle Vielfalt sichert und fördert, wesentlicher Bestandteil einerPolitik der nachhaltigen Entwicklung ist;
● in der Erwägung, dass kulturelle Dienstleistungen einzigartige gesellschaftliche Werte wiederspiegeln und
vermitteln, die weit über kommerzielle Interessen hinausgehen und dass entsprechende handelspolitischeMaßnahmen diese Werte voll berücksichtigen müssen;
● unter Berücksichtigung, dass die Möglichkeit des Einzelnen, sich über die eigene Kultur zu bilden, zu ihr
Zugang zu finden und an ihr teilzuhaben, die Grundlage für den Schutz und die Förderung kultureller Vielfaltdarstellt;
● in Erwägung von Fällen, in denen Handelspolitik negative Auswirkungen auf Kulturpolitik gehabt hat und dass
daher die Evaluierung möglicher Auswirkungen von Handelspolitiken auf kulturelle Vielfalt ein wesentlichesInstrument jeder Verhandlung im Handelsbereich sein muss;
● unter Berufung auf und in Bestätigung der UNESCO Erklärung zur kulturellen Vielfalt vom November 2001
sowie der Erklärung des Europarats zur kulturellen Vielfalt vom Dezember 2000;
● unter Berücksichtigung, dass die Globalisierung auf unterschiedliche Weise neue Herausforderungen stellt, wie
Kulturen bewahrt und entwickelt werden können;
● unter Betonung, dass kulturelle Vielfalt auf der Freiheit der Meinungsäußerung, Medienpluralismus und
Sprachenvielfalt und einem ausgewogeneren Austausch zwischen Kulturen beruht; und dass sie einen ebenbürtigen Zugang zu allen Formen des kulturellen Ausdrucks und den Mitteln ihrer Artikulation, Produktionund Verbreitung, auch in digitaler Form, voraussetzt;
rufen wir die Mitglieder der Welthandelsorganisation dazu auf,
● Politiken, die geeignete Existenzbedingungen für audiovisuelle und andere kulturelle Güter und
Dienstleistungen auf nationaler und lokaler Ebene sichern sollen, zu erhalten und zu stärken;
● innovative Kulturpolitiken zu entwickeln und umzusetzen, damit kulturelle Vielfalt in einem globalisierten
Umfeld bewahrt und gefördert wird;
● alle notwendigen Schritte in den laufenden GATS-Verhandlungen und allen künftigen Verhandlungen über
Investitionen, Wettbewerbspolitik oder öffentliche Auftragsvergabe zu unternehmen, damit Kulturpolitiken zumSchutz und zur Förderung kultureller Vielfalt als Folge internationaler Handelsregelungen weder gefährdetnoch geschwächt werden;
● Kulturexperten und alle relevanten Organisationen der Zivilgesellschaft vollständig in einen Dialog über
mögliche Handelsverpflichtungen, die die kulturelle Vielfalt betreffen, einzubeziehen;
● solche Politiken zu fördern, die die am wenigsten entwickelten Länder, die Entwicklungsländer sowie die
Schwellenländer dabei unterstützen, vor Ort nachhaltige Entwicklungsbedingungen zu schaffen, damit sicheinheimische kulturelle Ausdrucksformen in allen Medien und allen Künsten entfalten können.
Argumentationsleitfaden Kulturelle Vielfalt der Bundesweiten Koalition / Red. DUK13.12.05
Bundesweite Koalition zur kulturellen Vielfalt
Argumente zum Arbeitsprozess an einem
UNESCO-Abkommen zum Schutz kultureller Vielfalt
Diese Argumentationsskizze basiert auf Ergebnissen der ersten Beratungsrunde der bundesweiten Koalition für Kulturelle Vielfalt (Januar bis Juli 2004). Ziel war die Formulierung der Erwartungen an ein völkerrechtlich verbindliches Instrument zum Schutz kultureller Vielfalt. Der Argumentationsleitfaden stützt sich auf die dort geäußerten Kerngedanken von Expertinnen und Experten aus den Bereichen Musik, Literatur, Theater, bildende Kunst, Museen, Bibliotheken, Hochschulen, Film, Rundfunk, internationaler und interkultureller Kulturarbeit, Völker- und Medienrecht, Architektur etc. Er berücksichtigt außerdem die ersten Reaktionen kulturpolitisch Verantwortlicher aus Sicht der Kommunen, der Länder und des Bundes1.
Arbeitsplattform Bundesweite Koalition für kulturelle Vielfalt Die Koalition verfolgt drei zentrale Ziele
Impulse für die Ausgestaltung und Weiterentwicklung von Rahmenbedingungen der Kultur geben (Konsultation, Vorschläge)
Beratung und Evaluation (v.a.) staatlicher Maßnahmen und (Markt-)Regelungen
zeitnahe und konstruktive Begleitung des Arbeitsprozesses am Textentwurf des
UNESCO-Abkommens zum Schutz kultureller Vielfalt Die Koalition arbeitet als pluralistische Arbeitsplattform und Netzwerk von Personen, die als unterschiedliche Akteure im Bereich der Kultur wirken. Das sind u. a.
1das Verzeichnis der Einzelbeiträge findet sich am Schluss der Vollfassung dieses Dokuments; die Diskussionen
beim Kick-Off Meeting am 14.6.04 im Museum für Kommunikation in Berlin wurden auf Band aufgezeichnet und ausgewertet. Die Vielfalt der Arbeitsbereiche der siebzig Beteiligten bringt auch einen großen sprachlichen Spannungsbogen mit sich: Er reicht von literarischen Ausdrucksweisen über die Sprache der Kulturpolitik und -statistik bis hin zu juristischen Fachausdrücken aus den Bereichen Völker-, Medien- und Handelsrecht. Die Verantwortung für etwaige sachliche Fehler und/oder sprachliche Unschärfen liegt allein bei der Redaktion, jedoch in keiner Weise bei den Urhebern der Einzelbeiträge
1
Argumentationsleitfaden Kulturelle Vielfalt der Bundesweiten Koalition / Red. DUK13.12.05
• KünstlerInnen und ihre Verbände • KulturproduzentInnen • Kulturverbände, Einrichtungen des Dienstleistungssektors, Parteien / Parteistiftungen • Kulturwirtschaft • NutzerInnen • nichtstaatlicher öffentlicher Bereich wie die Kommunen und ihre Zusammenschlüsse, öffentlich-rechtliche Körperschaften und Organisationen • staatlicher Bereich: Bund, Länder und die jeweiligen Zusammenschlüsse • Forschung, Publizistik
Der Arbeitsprozess wird vom Sekretariat der Deutschen UNESCO-Kommission koordiniert, der Vorsitz liegt ex officio beim Präsidenten der DUK. Als Informationsangebot wird die Website http://www.unesco.de/c_arbeitsgebiete/kulturelle_vielfalt.htm laufend aktualisiert. Die bundesweite Koalition für Kulturelle Vielfalt beteiligt sich am Internationalen Liaisonkomitee der Koalitionen für kulturelle Vielfalt, das beratenden Status bei der UNESCO hat. Derzeit gibt es international ca. 15 Koalitionen, unter anderem in Australien, Chile, Frankreich, Kanada, Korea, Marokko, Senegal, Spanien (vgl. dazu www.cdc-ccd-org http://www.cdc-ccd.org/coalition_currents/).
Zusammenfassung Ausgangssituation
Die bislang gekannte und erfahrene kulturelle Vielfalt in Deutschland und in Europa
steht sowohl durch nationale (Haushalts-)Entscheidungen als auch durch internationale Entwicklungen (Konzentrationsprozesse, Freihandelsabkommen) unter Druck. Die derzeit vorhandenen Ansätze der Kulturarbeit und Kulturpolitik können diesem Druck nicht wirksam Einhalt gebieten
Entscheidend ist hierbei die Tatsache, dass das Allgemeine Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen (GATS) immer weitergehende Liberalisierungsregelungen vorsieht und einmal eingegangene Liberalisierungs-Verpflichtungen rechtlich unumkehrbar sind, selbst wenn sich die kulturpolitische und wirtschaftliche Bewertung geändert haben sollte2. Darin liegt seine besondere Brisanz
Allerdings haben die Mitglieder des GATS das Recht, "die Erbringung von
Dienstleistungen in ihrem Hoheitsgebiet zu regeln und neue Vorschriften hierfür einzuführen, um ihre nationalen politischen Ziele zu erreichen"3 . Darin liegt die besondere Bedeutung eines UNESCO-Abkommens zum Schutz kultureller Vielfalt: Im Falle ausreichender Ratifizierung kann es eine völkerrechtlich verbindliche Grundlage werden für das Recht jedes Mitgliedsstaates auf eine eigenständige Kulturpolitik
Die Arbeit am Entwurf des UNESCO-Abkommens zum Schutz kultureller Vielfalt
2004/2005 und die politische Selbstverpflichtung zur vollen Unterstützung dieses Prozesses ist deswegen von besonderer Dringlichkeit
2 wie am Beispiel des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Neuseeland zu sehen war - die im Rahmen des GATS-Abkommens eingeleitete Liberalisierung/Abschaffung war in diesem Fall nicht wieder rückgängig zu machen, obwohl die Regierung hier zu einer grundsätzlichen Neubewertung der Situation gekommen war 3 Präambel des GATS-Abkommens
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Argumentationsleitfaden Kulturelle Vielfalt der Bundesweiten Koalition / Red. DUK13.12.05
Kein anderer Zweig der Weltwirtschaft zeigt so hohe Wachstumsraten wie jener der kultureller Dienstleistungen. Zwischen 1980 und 1998 hat sich nach UNESCO-Angaben das jährliche Handelsvolumen mit Druckerzeugnissen, Literatur, Musik, bildender Kunst, Kino, Fotografie, Radio, Fernsehen, Spiel- und Sportartikeln vervierfacht, mit Japan, den USA, Deutschland, Großbritannien und Frankreich als den fünf größten Ex- und Importeuren, seit 1998 erweitert um China (an dritter Stelle)
Das Volumen des Weltmedienhandels hat sich in den letzen 20 Jahren vervierfacht,4 wobei 80 % dieses Handels zwischen 13 Ländern stattfindet, unter denen die USA die Spitzenposition einnimmt. Parallel dazu führten Deregulierungsmaßnahmen zu starken Konzentrationsprozessen
Die wichtigsten Ziele des UNESCO-Abkommens sind
(1) Die Anerkennung der in den Menschenrechtserklärungen enthaltenen Bestimmungen zur
kulturellen Selbstbestimmung des Individuums und sozialer Gruppen, u.a. formuliert als persönliche Wahlfreiheit des künstlerisch-kulturellen Ausdrucks und als Recht auf freien Zugang und Teilhabe an Kultur
(2) Die Anerkennung der "Doppelnatur" von Kulturgütern und -dienstleistungen als zugleich 'Handelsware' und Gegenstand von Kulturpolitik, Träger von Identität, Wertvorstellungen und Bedeutung
(3) Die Anerkennung des Rechts aller Staaten auf eine eigenständige Kulturpolitik, gefasst als Rechte und Pflichten der Vertragsstaaten
(4) Die Verpflichtung zu internationaler Kooperation mit verbindlichen Regeln für den Austausch von kulturellen Erzeugnissen mit dem Ziel, für einen umfassenderen und ausgewogeneren Kulturaustausch zwischen den Ländern der Welt zu sorgen, u.a. mit Hilfe der Sicherung tragfähiger lokaler und regionaler Märkte
(5) Etablierung eines globalen Beobachtungsmechanismus zur Beurteilung der weltweiten Situation in bezug auf die kulturelle Vielfalt, besonders im Falle akuter Gefährdung ('cultural vulnerability')
Das Kulturleben in Deutschland
Deutschland verfügt - trotz, wegen und mit den tiefen Brüchen und Zerstörungen des 20.
Jahrhunderts - auch heute noch und wieder über eine historisch gewachsene Vielfalt der Kulturlandschaft (z.B. Theater, Orchester, öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Off-Kultur)
Durch den Reifegrad der europäischen Integration, das dichte Netz von Städte- und
Kulturpartnerschaften und Kulturnetzwerken sowie durch die Breitenwirkung der modernen internationalen Migrationprozesse gibt es zudem eine Fülle internationaler Kulturkontakte
Für diese Kulturlandschaft spielen die vom demokratischen Gemeinwesen unterhaltenen
öffentlichen Dienste in den Bereichen Bildung, Kultur und Medien eine tragende Rolle
Die innerstaatlichen Probleme sind wegen der Kürzungen in den öffentlichen Haushalten groß. Die künftige Sicherung kultureller Vielfalt für die Gesellschaft wird zur Schlüsselfrage für Länder und Kommunen.
4 von 95 Mrd. US $ auf 380 Mrd. US $, UNDP Bericht über die menschliche Entwicklung 2004
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Argumentationsleitfaden Kulturelle Vielfalt der Bundesweiten Koalition / Red. DUK13.12.05
Die völlige Öffnung der geschützten öffentlichen Dienstleistungen durch uneingeschränkten weltweiten Zugang für private Wettbewerber und Unternehmen würde diese kulturpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten drastisch einschränken
Qualitäten und Herausforderungen der europäischen Kulturlandschaft
Der Doppelcharakter kultureller Produkte hat sich zwar als Verständnis in der europäischen Rechtsordnung bereits etabliert, die Vielfalt steht jedoch nicht selten der Bildung tragfähiger Märkte entgegen
Europa verfügt über den Reichtum einer großen kulturellen Vielfalt an sich, die sich jedoch nicht automatisch als kulturelle Vielfalt für die Europäer auswirkt, da die Kenntnis und Erfahrung der real vorhandenen kulturellen Vielfalt durch Marktstrukturen allein nicht erfolgreich geleistet werden kann (Beispiele dafür sind u.a. Literatur, Film)
Mit der Verabschiedung der europäischen Verfassung ist die Union beauftragt, das
gemeinsame Kulturerbe und die kulturelle Vielfalt Europas, die Vielfalt seiner Sprachen und Kulturräume, seiner Ideen und Lebensformen zu bewahren und zu fördern
Argumente zur Arbeit an einem UNESCO-Abkommen für Kulturelle Vielfalt
Die Argumente nennen Aspekte, bei denen auf dem jetzigen Stand der Debatte starker Konsens besteht, Fragen, die unterschiedlich bewertet werden und der Klärung bedürfen sowie Aufgaben für die weitere Arbeit
Konsenspunkte
Die Bekräftigung der in den Menschenrechtserklärungen enthaltenen Bestimmungen zur kulturellen Selbstbestimmung der/des Einzelnen und sozialer Gruppen und insbesondere der persönlichen Wahlfreiheit des künstlerisch-kulturellen Ausdrucks
Kulturelle Vielfalt als eine Aufgabe mit internationaler Dimension: Es muss grundsätzlich möglich sein, Kulturprodukte aus allen Ländern zu sehen, kennen zu lernen und zu importieren. Dies ist das Gegenteil von Protektionismus unter kulturellen Vorzeichen
aus deutscher / aus europäischer Sicht besteht ein ureigenstes aufgeklärtes Eigeninteresse
an der Entwicklung kultureller Infrastrukturen und Kulturindustrien in den Ländern des Südens und Ostens. Beim heute erreichten Grad internationaler Wissensgesellschaften bedeutet die Sicherung kultureller Vielfalt, einen globalen Maßstab anzulegen
Die Notwendigkeit und Schlüsselrolle kultureller Bildung für den Schutz kultureller Vielfalt - die Bedeutung von Sinnlichkeit und Erfahrungszuwachs für Kulturelle Vielfalt wird unterschätzt ("man vermisst nicht, was man nicht kennt")
eine wesentliche kulturpolitische Aufgabe besteht in der Mobilisierung öffentlicher Aufmerksamkeit und öffentlicher Gelder für künstlerische Ausdrucksweisen und Kulturzeugnisse, die es heute schwer haben, sich aber möglicherweise künftig als bahnbrechend erweisen werden
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Argumentationsleitfaden Kulturelle Vielfalt der Bundesweiten Koalition / Red. DUK13.12.05
de facto findet derzeit bundesweit eine nicht gewollte und unerwünschte Einschränkung kultureller Vielfalt unter den aktuellen Sparzwängen öffentlicher Haushalte statt
Fragen, die zu klären sind:
Einwirkungsmöglichkeiten auf die GATS-Verträge: Lassen sich diejenigen Bereiche, die für kulturelle Vielfalt unverzichtbar sind, tatsächlich aus dem Gültigkeitsbereich der WTO- und GATS-Verträge herausnehmen?
Bedeutung und Gewichtung von Inter-Kultur für das Miteinander in einer heterogenen Stadtgesellschaft und die Vielfalt des Kulturlebens in Deutschland
Neudiskussion des Verhältnisses von Kulturgut als Handelsware und öffentlichem Gut mit
der Kulturwirtschaft, mit dem Ziel, Formen "kooperativer Kulturpolitik" zu beleben
Inwieweit sind die heutigen Kulturmärkte 'normalisierbar' ? Wie können Bund, Länder und Gemeinden Kulturmärkte zugunsten kultureller Vielfalt beeinflussen?
Eine Kernaufgabe für die bundesweite und die internationalen Koalitionen kulturelle Vielfalt ist die intensive Prüfung von Marktregeln und Instrumenten, die geeignet sind kulturelle Vielfalt als notwendige kulturelle Vorsorge zu erhalten und zu entwickeln. Hierbei ist die Leitfrage, welche Regelungen und Instrumente möglich und sinnvoll sind, um die Konzentration der Kulturmärkte zu beeinflussen, kommen in Betracht Stipendien und andere Förderungen, die Regelung von Eigentumsrechten, die Regelung kultureller Inhalte (Sendezeitquoten u.a., Sprachquoten) sowie die Einforderung öffentlicher kultureller Verantwortung und Rechenschaftslegung. Besonders wichtig ist ein System positiver wirtschaftlicher Anreize, welche die Finanz- und Ressourcenströme zugunsten kultureller Vielfalt mobilisieren können. Für das Arbeitsverständnis der bundesweiten Koalition für kulturelle Vielfalt ist wesentlich, ob im Prozess und im Ergebnis des gegenwärtigen tiefgreifenden gesellschaftlichen Umbaus ein pluralistischer öffentlicher Kulturraum bleibt und gestärkt wird, in dem Bürger und Bewohner der Bundesrepublik Deutschland Zugang zum Kulturleben in seinen vielfältigen Formen haben und individuelle Wahlmöglichkeiten zwischen unterschiedlichen kulturell-künstlerischer Ausdrucksformen bestehen. Diese normative Basis soll mit dem Abkommen zum Schutz kultureller Vielfalt völkerrechtlich verbindlich geschaffen werden. __________________________________________________________________________
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Argumentationsleitfaden Kulturelle Vielfalt der Bundesweiten Koalition / Red. DUK13.12.05
Argumentationsleitfaden Der Leitfaden benennt (1)Aspekte des Kulturlebens in Deutschland und mögliche Folgen uneingeschränkter Liberalisierungen in Folge des GATS-Vertrags (2) Besondere Qualitäten und Herausforderungen der europäischen Kulturlandschaft (3) Argumente zum Arbeitsprozess an einem UNESCO-Abkommen für Kulturelle Vielfalt (3.1.) Konsenselemente zu den Grundprinzipien, zur Dimension Sinnlichkeit und Erfahrung, zur internationalen Dimension der Aufgabe sowie zur Stärkung der kulturpolitischen Regulierungsrolle des Staates (3.2.) zu klärende Fragen zu Grad und Qualität der in der eigenen Gesellschaft erreichten kulturellen Vielfalt, zu Kulturgut als Handelsware und öffentlichem Gut, zu den möglichen Auswirkungen eines UNESCO-Abkommens zur kulturellen Vielfalt sowie zur gewählten Terminologie (3.3.) Überlegungen zu Marktregeln und Instrumenten zugunsten kultureller Vielfalt, zur Frage von Indikatoren zur Entwicklung der Kulturmärkte und Kulturfinanzierung sowie zu Strategien öffentlicher Mobilisierung (4) Marktdynamik und Konzentration - Chancen und Risiken für kulturelle Vielfalt (5) Stellenwert des UNESCO-Abkommens zum Schutz kultureller Vielfalt Anhang: Verzeichnis der Beiträge zum Kick-Off Meeting für die bundesweite Koalition kulturelle Vielfalt am 14.6.2004 im Museum für Kommunikation, Berlin Zeitplan 2004/2005 zum Arbeitsprozess an einem UNESCO-Abkommen zum Schutz kultureller Vielfalt
Ausgangssituation
Die bislang gekannte und erfahrene kulturelle Vielfalt in Deutschland und in Europa steht sowohl durch nationale (Haushalts-) Entscheidungen als auch durch internationale Entwicklungen (Konzentrationsprozesse, Freihandelsabkommen) unter Druck. Die derzeit vorhandenen Ansätze der Kulturarbeit und Kulturpolitik können diesem Druck nicht wirksam Einhalt gebieten. Besonders wichtig ist hierbei die Tatsache, dass sich die Staaten im Rahmen des Allgemeinen Abkommens zum Handeln mit Dienstleistungen (GATS) zur Ausdehnung des freien Marktes und des Marktzugangs verpflichtet haben. Staatliche Monopole und geschützte öffentliche Dienstleistungen werden hierbei weltweitem Zugang und Verpflichtungen einer fortschreitenden Liberalisierung unterworfen und für private Wettbewerber und Unternehmen geöffnet. Dies gilt auch für die öffentlichen Dienstleistungen in den Bereichen Bildung, Kultur und Medien. Einmal eingegangene Liberalisierungs-Verpflichtungen sind rechtlich unumkehrbar, selbst wenn sich die kulturpolitische und wirtschaftliche Bewertung geändert haben sollte5. Darin liegt die besondere Brisanz des GATS-Vertrags. Allerdings haben die Mitglieder des GATS das Recht, "die Erbringung von Dienstleistungen
5 wie am Beispiel des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Neuseeland zu sehen war - die im Rahmen des GATS-Abkommens eingeleitete Liberalisierung/Abschaffung war in diesem Fall nicht wieder rückgängig zu machen, obwohl die Regierung hier zu einer grundsätzlichen Neubewertung der Situation gekommen war
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Argumentationsleitfaden Kulturelle Vielfalt der Bundesweiten Koalition / Red. DUK13.12.05
in ihrem Hoheitsgebiet zu regeln und neue Vorschriften hierfür einzuführen, um ihre nationalen politischen Ziele zu erreichen"6 . Darin liegt die besondere Bedeutung eines UNESCO-Abkommens zum Schutz kultureller Vielfalt: Im Falle ausreichender Ratifizierung kann es eine völkerrechtlich verbindliche Grundlage werden für das Recht jedes Mitgliedsstaates auf eine eigenständige Kulturpolitik. Die relativ kurze Zeitspanne des Arbeitsprozesses am Entwurf des UNESCO-Abkommens
zum Schutz kultureller Vielfalt 2004/2005 ist in dieser Situation besonders wichtig. Im Rahmen der deutsch-französischen Zusammenarbeit hat es eine frühzeitige politische Selbstverpflichtung zur aktiven Unterstützung dieses Prozesses gegeben. Dies gilt auch seitens der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments, des Europarats und der Versammlung der Regionen Europas. Damit hat die deutsche und europäische Debatte in ihrem globalen Kontext günstige Ausgangsbedingungen. Derzeit ist die Selbstverpflichtung des Europäischen Ministerrats, keine
Verhandlungsangebote zu Liberalisierungen im Kulturbereich, bei audiovisuellen Medien und bei der Bildung und im audiovisuellen Bereich anzumelden, unverändert gültig. Diese Situation kann jedoch möglicherweise bereits in der nächsten Verhandlungsrunde der Welthandelsorganisation ab Frühjahr 2005 grundsätzlich in Frage gestellt werden: Die Staaten sind aufgefordert, Vorschläge für weitergehende Liberalisierungen auch bei kulturellen, audiovisuellen und Bildungsdienstleistungen einzureichen7
. So muss z.B. politisch sicher gestellt bleiben, dass der Entwurf der Generaldirektion IV für eine Richtlinie des europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt vom Februar 20048 den Kultur- und Bildungsbereich von diesen Regelungen ausnimmt. Eine breite fachliche, gesellschaftliche und zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Materie ist nötig, um die Ziele kultureller Vielfalt normativ und gesellschaftlich zu verankern. Eine solche Verankerung kann Schutzwirkung entfalten und zu politischen Eingriffen berechtigen. Sie kann "Fehlerfreundlichkeit" im GATS-Prozess sichern und vor irreversiblen Fehlentscheidungen warnen.
1. Das Kulturleben in Deutschland
Deutschland verfügt - trotz, wegen und mit den tiefen Brüchen und Zerstörungen des 20. Jahrhunderts - auch heute noch und wieder über eine historisch gewachsene Vielfalt der Kulturlandschaft. Belege dafür sind u.a. die Anzahl und Vielfalt der Museen, Orchester, Theater, Kinos und Bibliotheken, die Zahl der musisch und kulturell aktiven Bürgerinnen und Bürger (Laienkultur, Besuche in öffentlichen Kultureinrichtungen, zivilgesellschaftliche Organisation kultureller Veranstaltungen), die Zahl der Neuerscheinungen9, die Vielfalt der Kulturinitiativen in freier Trägerschaft, die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als lokal gebundener und verpflichteter Garant für Meinungsvielfalt sowie die Zahl der internationalen und transnationalen Kunst- und Kulturkontakte. Dies kennzeichnet das 6 Präambel des GATS-Abkommens 7 Vgl. World Trade Organization, Doha Work Programme: Decision Adopted by the General Council on 1 August 2004 WT/L/579, " August 2004, 20 p , www.wto.org 8 KOM (2002) 2 endgültig/2, 2004/0001 (COD), Brüssel 25.2.2004 [SEK (2004) 21] 9 die Buchpreisbindung im deutschsprachigen Raum ist ein Beispiel für eine Regelung zugunsten kultureller Vielfalt, die nicht auf Eingriffen wie Quoten beruht
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Kulturleben sowohl in Groß- als auch in Mittel- bis hin zu Kleinstädten , wobei das Land-Stadt-Gefälle dennoch ausgeprägt bleibt und insbesondere die ostdeutschen Städte mit Schrumpfungsprozessen konfrontiert sind.. Die vielfältigen internationalen Kontakte sind Ausdruck des Reifegrades der europäischen Integration, des dichten Netzes von Städte- und Kulturpartnerschaften und Kulturnetzwerken. Sie spiegeln zugleich auch die Breitenwirkung der modernen internationalen Migrationprozesse. Kulturelle Vielfalt ist somit zum Normalfall einer pluralistischen Gesellschaft geworden. Die künftige Sicherung kultureller Vielfalt für die Gesellschaft wird zur Schlüsselfrage für Länder10 und Kommunen11. Die Erarbeitung eines Abkommens zum Schutz kultureller Vielfalt eröffnet hier eine große Chance politischer und öffentlicher Unterstützung. Zwei voneinander eigentlich unabhängige Entwicklungen überlagern sich hier faktisch: Die derzeitige Verknappung der öffentlichen Haushaltsmittel erschwert eine breitenwirksame Erfüllung dieser anspruchsvollen Aufgabe 'Kulturelle Vielfalt'. Der Zugang zu dieser kulturellen Vielfalt ist dadurch teils erheblich reduziert, insbesondere bei Bürgern, die mit knappen Budgets wirtschaften müssen sowie bei Bewohnern ländlicher Räume. Für die Kulturlandschaft in Deutschland spielen die vom demokratischen Gemeinwesen unterhaltenen öffentlichen Dienste in den Bereichen Bildung, Kultur und Medien eine tragende Rolle. Angebote im Rahmen dieser öffentlichen Förderung unterliegen weitgehend bereits heute bestimmten Wettbewerbsregeln (z.B. Ausschreibungsverfahren). Die auf dieser Basis gewährten Fördermittel spielen als 'Seed Money' oft eine entscheidende Rolle für Kulturproduktionen oder Bildungsangebote, die übergeordnete kulturpolitische Zielsetzungen verfolgen. Die völlige Öffnung dieser geschützten öffentlichen Dienstleistungen durch uneingeschränkten weltweiten Zugang für private Wettbewerber und Unternehmen würde diese kulturpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten drastisch einschränken. Solche weitergehende Liberalisierungen hätten möglicherweise zur Folge • dass ein anspruchsvoller Film wie "Good Bye Lenin" , gefördert von der Filmstiftung
Nordrhein-Westfalen (Produktion) sowie vom FilmFernsehFonds Bayern (Vertrieb), wahrscheinlich nicht mehr produziert werden könnte. Der Millionenerfolg des Films in Deutschland und im Ausland, ausgezeichnet mit zahlreichen Preisen und auch wirtschaftlich erfolgreich, war zum Zeitpunkt der Produktionsentscheidung nicht abzusehen • dass eine internationale Film-Koproduktion wie "Whale-Rider" , die sowohl von Deutschland wie auch von Neuseeland mit öffentlichen Mitteln gefördert wurde, erheblich erschwert würde
10 vgl. das Positionspapier der KMK zum GATS-Abkommen von 2002 11 vgl. das Positionspapier des Deutschen Städtetags 'Kulturelle Vielfalt in Deutschland' von 1992 sowie die aktuelle Debatte im Kulturausschuss des Deutschen Städtetags zu 'Kulturelle Vielfalt in der Stadtgesellschaft - Chance und Herausforderung für die kommunale Politik und kommunale Kulturpolitik.', als Entwurf eines Positionspapiers zum Thema 'Migration und Integration'
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• dass im Falle z.B. der internationalen Ausschreibung von Theaterfestivals oder Opernprojekten kommerzielle Großanbieter von Produktionen grundsätzlich ein Anrecht auf die Beantragung inländischer Kulturförderung hätten
• dass die Zulässigkeit von Rundfunkgebühren vor einem WTO-Expertenpanel ausschließlich unter den Gesichtspunkten des Wettbewerbs- und Handelsrecht verhandelt werden müsste, als Wettbewerbsverzerrungen eingestuft würden und vermutlich die staatlich finanzierte Deutsche Welle völlig aufgegeben werden müsste • dass Stipendienprogramme als Wettbewerbsverzerrungen beurteilt würden
• dass im Zusammenhang mit Marktöffnungsverpflichtungen im Fall der Künstlersozialkasse die Übernahme des Arbeitsgeberanteils durch den Staat als Wettbewerbsverzerrung bewertet würde. Damit könnte der weitere Ausbau oder sogar der Bestand der Künstlersozialkasse - die größte Errungenschaft der letzten zwanzig Jahre für die Lebenssituation von Künstlerinnen und Künstlern- gefährdet sein.
2. Besondere Qualitäten und Herausforderungen der
europäischen Kulturlandschaft Der Doppelcharakter kultureller Produkte - als öffentliches Gut und als gehandeltes Produkt - hat sich als Verständnis in der europäischen Rechtsordnung bereits etabliert. Dies wird z.B. laufend durch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs bestätigt. Die Vielfalt europäischer Sprachen und Kulturen steht jedoch nicht selten der Bildung tragfähig vernetzter kleiner und mittelgroßer Märkte entgegen. Auf solche nicht-homogenen kleinteiligen Sprach- und Kulturräume wird unter Weltmarktbedingungen mit ihrer dramatisch gewachsenen Konzentration auf Seiten der Anbieter ein erheblicher Druck ausgeübt. Kleine Staaten haben dann höchstens noch Chancen als solvente Kunden, als Anbieter sind sie längst in Außenseiterrollen verwiesen. Nach Inkrafttreten der europäischen Verfassung wird die Union beauftragt sein, das gemeinsame Kulturerbe und die kulturelle Vielfalt Europas, die Vielfalt seiner Sprachen und Kulturräume, seiner Ideen und Lebensformen zu bewahren und zu fördern. Ein Leitbild, das auch der Europarat in seiner Erklärung zur kulturellen Vielfalt (2000) verbrieft hat. Die Vielfalt europäischer Kultur steht nicht im Widerspruch zur Einheit des Kontinents sondern gehört wie die Offenheit gegenüber Neuem zum Kernbestand europäischer Identität. Dieses Selbstverständnis hat Folgen für die mögliche Rolle Europas in einer globalisierten Welt, und nach innen, für die Zusammenarbeit der europäischen Länder. Europa kennzeichnet eine pluralistische Vielfalt in der Kulturpolitik: in den einzelnen Ländern finden sich ganz unterschiedliche Kombinationen von Marktdynamik und öffentlichen Diensten in den Bereichen Bildung, Kultur und Medien. Europa verfügt über den Reichtum einer großen kulturellen Vielfalt an sich, die sich jedoch nicht automatisch als kulturelle Vielfalt für die Europäer auswirkt. Ein besonders deutliches Beispiel dafür ist die Filmproduktion: Zwar produzierte EU-Europa12 1/3 mehr Filme als die USA, diese Filme haben jedoch nicht im gleichem Masse den Zugang zum eigenen Bezugsmarkt erreicht. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist hier für Produktion und 12 die 'Alt' EU vor der Erweiterung vom Mai 2004
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Argumentationsleitfaden Kulturelle Vielfalt der Bundesweiten Koalition / Red. DUK13.12.05
Ausstrahlung von großer Bedeutung. Viele kleinere Literaturen sind nicht übersetzt13, Filme kleinerer Länder - so sie produziert werden - sind nicht ohne weiteres durch die großen Verleihstrukturen zugänglich und gelangen somit nicht in die Kinos.
3. Argumente zum Arbeitsprozess an einem UNESCO-Abkommen für Kulturelle Vielfalt Die Argumente benennen 3.1. Aspekte, bei denen auf dem jetzigen Stand der Debatte starker Konsens besteht, 3.2. Fragen, die unterschiedlich bewertet werden und der Klärung bedürfen sowie 3.3. Aufgaben für die weitere Arbeit
3.1. Konsens Zu den vier Grundargumenten zur Bedeutung kultureller Vielfalt für die künftige Entwicklung der Gesellschaft in Deutschland - dem Kulturargument, dem Argument der persönlichen Entwicklung, dem Demokratieargument und dem ökonomischen Argument - besteht weitgehend Übereinstimmung: • in der Form der allgemein geteilten Rechtfertigung des Rechts der Teilhabe an der eigenen
Kultur auf der Basis der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, insbesondere der Artikel 19 und 27, und des Artikel 4 der Allgemeinen Erklärung zur Kulturellen Vielfalt (UNESCO 2001).
• in der Anerkennung der in den Menschenrechtserklärungen enthaltenen Bestimmungen zur kulturellen Selbstbestimmung der/des Einzelnen und sozialer Gruppen und der persönlichen Wahlfreiheit des künstlerisch-kulturellen Ausdrucks. Der letzte Aspekt ist besonders wichtig, da in vielen Ländern Schriftsteller und KünstlerInnen unter Berufung auf die Verletzung nationaler kultureller Werte staatlicherseits verfolgt werden. • in dem Ziel, Kulturelle Vielfalt wesentlich als Ergebnis des Engagements von Zivilgesellschaft zu sehen. Die Bedeutung von kultureller Vielfalt wird hier nach dem Urteil der Diskutanten noch allgemein unterschätzt. Gesellschaftliche Instabilität kann auch auf dieser Ebene wirksam reduziert werden, z. B. im positiven Auffangen von Verunsicherungen.
• in dem Entwicklungsbeitrag, den 'kulturelles Kapital' für die Lebensqualität jedes Einzelnen und das Selbstverständnis unserer Gesellschaft leistet. Kreative Vielfalt 14 ist ein Gradmesser für die Erneuerungsfähigkeit eines Landes und seiner Gesellschaft. Neben den bekannten Wegen künstlerischer Produktion und den Kulturindustrien gibt es heute zusätzliche Formen einer faktischen Vielfalt kultureller Produktion15, die z.T. erst durch
13 z.B. sind Übersetzungen und Lektorat von europäischer Vielfalt verpflichteten Literaturzeitschriften nicht marktgängig zu leisten 14 vgl. dazu auch die Argumentation des UNDP Berichts über menschliche Entwicklung 2004, Kulturelle Freiheit in unserer Welt der Vielfalt, veröffentlicht am 16.7.2004 in Paris (deutschsprachige Ausgabe Berlin 2004) 15 so z.B. Hunderte von Popgruppen in den Niederlanden und Deutschland, die ihre eigenen Produktionsstudios und -vertriebsnetze organisieren, insbesondere unter Nutzung der Internet-Vertriebswege
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Argumentationsleitfaden Kulturelle Vielfalt der Bundesweiten Koalition / Red. DUK13.12.05
die digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien möglich werden. Diese Beobachtung leitet die Hypothese, dass es vermutlich mehr kulturelle und künstlerische Vielfalt gibt als öffentlich sichtbar wird.
Die unterschätzten Dimensionen Sinnlichkeit und Erfahrungszuwachs: • Unterschätzt wird nach Meinung der Diskutanten die Notwendigkeit und Schlüsselrolle
kultureller Bildung für den Schutz kultureller Vielfalt ("man vermisst nicht, was man nicht kennt"). Mit der menschlichen Fähigkeit zur Wahrnehmung steht und fällt dieses Thema. Kinder und Jugendliche sind offen für alle spannenden Erfahrungen, wenn ihnen entsprechende Angebote gemacht werden. Im Rahmen der Grundbildung muss deshalb ein Verständnis für die Bedeutung kultureller Vielfalt geweckt und eingeübt werden.
• Je früher diese Vielfalt als Erfahrungszuwachs sinnlich erfahrbar ist, desto geringer wird die Gefahr von Ghettobildung und Bedrohung durch Unkenntnis. Die aktuelle Entwicklung im deutschen Schul- und Bildungswesen wurde hier sehr kritisch als eine Situation "ernüchterter Sinne" gekennzeichnet.
Zur Frage der Aufwertung und Stärkung der kulturpolitischen Regulierungsrolle des
Staates: • Eine wesentliche kulturpolitische Aufgabe besteht in der Förderung dessen, was es heute
schwer hat, sich aber möglicherweise künftig als bahnbrechend erweisen wird. Hierfür öffentliches Verständnis, öffentliche Aufmerksamkeit und öffentliche Gelder zu mobilisieren ist immer eine entscheidende kulturpolitische Leistung gewesen, erst recht unter heutigen Bedingungen. • Die Rahmenbedingungen der öffentlichen Förderung von Kultureinrichtungen wie der Theater, Orchester, Museen, Bibliotheken, soziokulturellen Zentren u.a. sind unverzichtbare Investitionen in den Schutz von Überlieferung und Sicherung kultureller Bildung.
• Unter dem aktuellen Sparzwang öffentlicher Haushalte führt jedoch diese Form von Steuerung de facto zu einer nicht gewollten und unerwünschten Einschränkung kultureller Vielfalt.
• Für die Stärkung der kulturpolitischen Regulierung zugunsten kultureller Vielfalt müssen wirksame Wege der Kulturpolitik und der kulturellen Förderung unter den genannten Rahmenbedingungen entwickelt werden.
Die internationale Dimension der Aufgabe: • Es muss grundsätzlich möglich sein, Kulturprodukte aus allen Ländern zu sehen, kennen
zu lernen und zu importieren. Kulturelle Produkte müssen die Chance haben, öffentlich zu werden und aus dem öffentlichen Raum frei zugänglich zu sein. Beim heute erreichten Grad internationaler Wissensgesellschaften bedeutet dies einen globalen Maßstab. Erst eine nuancierte Weltsicht ermöglicht die umfassende Entwicklung der eigenen Kulturvielfalt, die dynamisch und mit Reibung ausgetragen wird, und die gleichwertige Befassung mit anderen Kulturtraditionen.
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Dabei ist wichtig, dass diese Traditionen nicht nur in einigen Nischen und Initiativen anzutreffen sind, sondern eben auch im Stadttheater, im Konzertsaal, im Museum, in den Kinos und Bibliotheken, ("nicht Sahnehäubchen, sondern Sauerteig"). Dies ist das Gegenteil von Protektionismus unter kulturellen Vorzeichen. Voraussetzung ist das Recht und die Möglichkeit des Zugangs zur Kultur im eigenen Lande.
• Deshalb gibt es auch aus deutscher / aus europäischer Sicht ein ureigenstes aufgeklärtes
Eigeninteresse an der Entwicklung kultureller Infrastrukturen und Kulturindustrien in den Ländern des Südens und Ostens, die zumindest soweit wettbewerbsfähig werden, dass sich aus Kostengründen nicht lediglich Produktionen aus Hollywood und Bollywood auf dem Weltmarkt durchsetzen können. Mögliche Wege dazu sind gemeinsame Produktion (Studios, Ressourcenpool), Marketing, Übersetzung,, Aufbau von Datenbanken und Informationsstrukturen etc.
• Hier ist staatlicherseits regionale und internationale Koordination der Politik zu leisten, damit für den Fall der Verabschiedung des Abkommens zum Schutz kultureller Vielfalt der künftige 'Club der Unterzeichnerstaaten' im Rahmen der UNESCO abgestimmte Vorgehensweisen entwickelt, um Kulturvielfalt im Kontext der Globalisierung und der internationalen Handelsregime aktiv zu stärken.
3.2. Fragen, die zu klären sind: Zur Frage der in der eigenen Gesellschaft erreichten kulturellen Vielfalt
• Das derzeit in Deutschland diskutierte Selbstverständnis der kulturellen Vielfalt thematisiert kulturelle Vielfalt als Synonym für die Vielfalt von Lebensentwürfen, Herkünften und Lebenszusammenhängen. Für das Miteinander in einer heterogenen Stadtgesellschaft ist es wichtig, die Vielfalt kultureller und künstlerischer Ausdrucksformen wahrzunehmen und zu fördern und gleichzeitig die Verbindungen zwischen diesen unterschiedlichen Formen herzustellen. • Die Vielfalt der Inter-Kultur - die sich oft in Projekten der Off-Kultur ausdrückt - spielte in der Debatte der ersten Beratungsrunde der Koalition für kulturelle Vielfalt keine zentrale Rolle, in einigen (Schrift-)Beiträgen jedoch schon. Dies beinhaltet auch die Frage nach der aktiven Förderung der Entwicklung transnationaler kultureller Identitäten (Gleichstellungsbemühungen, Förderinstrumente). • Thematisiert wurden die Risiken der Gettoisierung von eingewanderten Menschen, die -vorwiegend in den urbanen Zentren der alten Bundesrepublik- in Armut leben. Sehr wahrscheinlich liegen hier jedoch auch kulturelle Chancen. Diese können u.a. dadurch eröffnet werden, wenn die innovative Rolle der Off-Kultur stärker in das Blickfeld der Verantwortlichen in öffentlichen und privaten Kultureinrichtungen kommt.
• Die deutschen Kulturförderinstrumente sind daraufhin zu überprüften, inwieweit sie dieses umfassende Verständnis kultureller Vielfalt bereits abbilden. Dies betrifft u.a. Förderkriterien, die Zusammensetzungen von Jurys und Auswahlgremien z.B. von
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Stiftungen, Stipendienprogrammen, Kunst- und Medienpreisen sowie Wettbewerbskriterien16 .
Zur Frage des Verhältnisses Kulturgut als Handelsware und öffentlichem Gut • Das Verhältnis von Kulturgut als Potenzial für Wirtschaftsgüter und Dienstleistungen und
als öffentlichem Gut (im Sinne von Teil des freien Erbes der Menschheit und Grundlage menschlicher Entwicklung) ist in Deutschland mit der Kulturwirtschaft neu zu diskutieren, mit der Zielsetzung, Formen "kooperativer Kulturpolitik" zu beleben.
• Wie können Bund, Länder und Gemeinden Kulturmärkte zugunsten kultureller Vielfalt beeinflussen, welche Regeln und "effektive Instrumente" der Kulturpolitik sind in diesem Zusammenhang vorstellbar?
• Sind die heutigen Kulturmärkte 'normalisierbar' ? Welche Chancen gibt es, die erreichten Grade von Konzentration (v.a. in den Bereichen Film, Musik) abzubremsen oder zurückzudrehen? Wie kann mit den im Kulturbereich tätigen Großindustrien17 ein Dialog über öffentliche kulturpolitische Verantwortung und Rechenschaft eröffnet werden ?
Zur Frage der möglichen Auswirkungen eines UNESCO-Abkommens zur kulturellen
Vielfalt
• Welcher rechtliche Spielraum besteht, um öffentlich betriebene Kultureinrichtungen und weitere Bereiche, die für kulturelle Vielfalt unverzichtbar sind, tatsächlich aus dem Liberalisierungsautomatismus der WTO- und GATS-Verträge herausnehmen zu können? Rechtlich besteht die Verpflichtung der Bundesregierung durch die Unterzeichnung des GATS-Vertrags, in den kommenden Jahren horizontal über alle Dienstleistungsbereiche fortschreitend zu verhandeln, mit dem Ziel, immer weitergehende Liberalisierungen herzustellen. Ein UNESCO-Abkommen zum Schutz kultureller Vielfalt erlaubt hier, nicht nur aus einer defensiven Haltung heraus zu argumentieren, sondern auf Basis einer völkerrechtlich vereinbarten internationalen Normsetzung zugunsten kultureller Vielfalt (seine erfolgreiche Ratifizierung vorausgesetzt).
• Wie können die Streitschlichtungsverfahren im Rahmen der Welthandelsorganisation transparenter gestaltet werden? Der Entwurfstext des Generaldirektors für das UNESCO-Abkommen vom 20.7.200418 ist mit einem viergliedrigen Vorschlag zur Binnenstreitschlichtung innerhalb des
16 genannt wurde das Beispiel des Wettbewerbs 'Jugend musiziert', bei dem seit drei Jahren als Instrument auch die türkische Langhalslaute zugelassen ist; Beispiele aus der off-Kultur wären das sehr erfolgreiche mehrjährige Projekt der internationalen Kinderkulturkarawane oder (preisgekrönte) Festivals wie das Fest der Kulturen des Forums der Kulturen/Stuttgart oder der Karneval der Kulturen/Berlin 17 diese Großindustrien sind häufig Mischkonzerne, in denen die Tätigkeit im Rüstungs- oder Energiesektor verbunden wird mit der Produktion und/oder dem Vertrieb von Kulturprodukten wie CDs, DVDs, Filmen, Videos oder Büchern ; siehe dazu ausführlicher Joost Smiers, Arts Under Pressure, Promoting Cultural Diversity in the Age of Globalisation, London (Zed Books) 2003 18seit dem 19.7.2004 auf der UNESCO-Website in allen sechs UN-Sprachen verfügbar (http:/www.unesco.org/culture/diversite/convention)
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Abkommens kulturelle Vielfalt sehr weit gegangen. Wird dieser Vorschlag umsetzbar werden und in den Regierungsverhandlungen durchsetzbar sein?
• Was kann ein UNESCO-Abkommen zur kulturellen Vielfalt als Ergänzung und Gegengewicht zu den Verträgen der Welthandelsorganisation faktisch bewirken, wenn man zeitgleich zu seiner Erarbeitung in Deutschland die öffentlichen Kultureinrichtungen abbaut, ökonomisiert und kommerzialisiert ?
• Das positive politische Eintreten für die Beförderung kultureller Vielfalt international erfordert den kritischen Blick auf das eigene Haus. Hier stellt sich u.a. die Frage nach der Schlüssigkeit der Argumente deutscher (Regierungs-) Verantwortlicher in der innergesellschaftlichen und der internationalen Diskussion, formuliert als Fragen an die Vertreter der Bundesregierung , wie sie im Einzelnen den Ausgleich zwischen marktwirtschaftlichen und kulturpolitischen Interessen herzustellen beabsichtigt ?
Zur Frage der gewählten Terminologie für die Debatte kulturelle Vielfalt und die Erarbeitung des Abkommens • Der Begriff 'kulturelle Dienstleistungen' erkennt an, dass neben Gütern wie Büchern,
Schallplatten, DVDs etc. immaterieller Leistungen des Kulturbereichs immer wichtiger werden (z.B. Sprachkurse, Opernfahrten). Aus Sicht einiger Diskutanten z.B. aus dem Bereich des Theaters und der Kommunen wird der Begriff vermieden bzw. abgelehnt. Sie verbinden hiermit die Sorge, dass das Primat der künstlerischen Kriterien hinter eine Denkweise und Sprache der Ökonomie zurücktritt19.
3.3. Aufgaben für die bundesweite und die internationalen Koalitionen kulturelle Vielfalt Zu den KernAufgaben für die bundesweite und die internationalen Koalitionen kulturelle Vielfalt gehört die intensive Prüfung von Marktregeln und Instrumenten, die geeignet sind kulturelle Vielfalt zu erhalten und als notwendige kulturelle Vorsorgemaßnahmen zu entwickeln. Zu der Frage, welche Regelungen und Instrumente möglich und sinnvoll sind, um die Konzentration der Kulturmärkte zu beeinflussen, kommen folgende Instrumente in Betracht, nämlich Stipendien und andere Förderungen, die Regelung von Eigentumsrechten, die Regelung kultureller Inhalte (Sendezeitquoten u.a., Sprachquoten) sowie die Einforderung öffentlicher kultureller Verantwortung und Rechenschaftslegung20. Besonders wichtig ist ein 19 "das Dislozierte, an falscher Stelle angewandte wirtschaftliche Denken ist zum Kategoriefehler geworden",
in Anlehnung an Habermas in DIE ZEIT No. 21 vom 13.5.2004 20 Der erste Textentwurf des UNESCO-Abkommens zum Schutz Kultureller Vielfalt enthält eine von den Experten zusammengestellte Liste kulturpolitischer Instrumente (als Annex II), (http:/www.unesco.org/culture/diversite/convention) Das Internationale Netzwerk der Kulturminister (INCP) hatte 2001 am Beispiel von fünf Ländern eine Inventarisierung in Auftrag gegeben, welche kulturpolitischen Regelungen für den Schutz kultureller Vielfalt besonders wirksam sind ("All Talents Count", Studie des European Research Institute for Comparative Cultural
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System positiver wirtschaftlicher Anreize, welche die Finanz- und Ressourcenströme zugunsten kultureller Vielfalt mobilisieren können. Die Diskutanten bewerten diese Möglichkeiten nicht als markteinschränkende 'Krücken', sondern als notwendige kulturelle Vorsorge. • Bei allen Instrumenten geht es im Kern darum, wie durch wirtschaftliche Anreize oder
öffentliche Maßnahmen die Mittelflüsse so beeinflusst werden können, dass sie kulturelle Vielfalt befördern. Als Beispiel wurde das amerikanische Mäzenatentum als Fall von Regulierung durch Nicht-Besteuerung genannt, das Privatleuten Mittel in die Hand gibt, die sie durchaus im Sinne kultureller Vielfalt einsetzen können.
• Wie weit kann der Vorschlag tragen, die Werbeetats von Kulturindustrien zu besteuern ? Das Argument hierbei: die Werbeetats kaufen Aufmerksamkeit und verfälschen somit die Wettbewerbsbedingungen durch informelle Marktdominanz
• Wie weit trägt der Vorschlag der Entwicklung eines Kulturkodex ('Corporate Cultural Charter') für Firmen ? Solch ein Kodex kann z.B. die Offenlegung der Eigentumsverhältnisse beinhalten, die territoriale Bindung eines Unternehmens, Trennung von Eigentum und Entscheidungen über die Kulturinhalte (Redaktionsstatut) u.a. In anderen Branchen werden derartige Kodexe erfolgreich als PR-Instrumente genutzt - kann dies auch für mittelgroße Kulturunternehmen komparative Vorteile bringen ?
• Kann kulturellen Großbetrieben mit einem 'Prinzip auf Gegenseitigkeit' öffentliche Verantwortung und Rechenschaftspflicht für kulturelle Vielfalt nahegelegt werden ? So enthalten Komponenten des Abkommen zwischen dem Medienunternehmer Rupert Murdoch und der chinesischen Regierung z.B. eine wechselseitige Verpflichtung, mit der jeweils ein Marktanteil von 20 % an den Inhalten in den jeweiligen (TV- und Film-) Netzen vereinbart wurde. Bei einem Marktanteil des europäischen Films von 2 % in den USA würde eine vergleichbare Regelung eine Einschränkung des Anteils amerikanischer Filme in Europas Netzen auf 2 % bedeuten. Diese Illustration eines bestehenden krassen Ungleichgewichts zeigt, dass mögliche positiven Anreizsysteme zur Beförderung von intensiverem internationalen Austausch auf Situationen wie diese anwendbar sein müssten.
• Wie ist mit der Monopolisierung des Zugangs zu Kulturdepots umzugehen, wie z.B. dem aktuellen Trend der Großanbieter von Fotos und Bildmaterial (Aufkauf, Agentur, z.B. Bill Gates und Getty), mit der späteren Verpflichtung zur Zahlung von Nutzungsrechten auch im Falle wissenschaftlich-kultureller Nutzung ?
Zu der Frage der Indikatoren zur Entwicklung der Kulturmärkte und Kulturfinanzierung
• Wer stellt wie fest, ob und falls ja, wie weit kulturelle Vielfalt gefährdet ist ? Wie ist dieser Gefährdungsprozess im Einzelfall zu bremsen / umzukehren ? Geben hier die
Policy and the Arts, erstellt für die INCP Working Group on Cultural Diversity and Globalisation, www.ericarts.org )
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Argumentationsleitfaden Kulturelle Vielfalt der Bundesweiten Koalition / Red. DUK13.12.05
Bestimmungen des Artenschutzabkommens hilfreiche Hinweise ? • Wie werden die Verabredungen der Kulturminister im Rahmen des Internationalen Netzwerkes Kulturpolitik, 2003 in Opatja zur Entwicklung gemeinsamer Indikatoren und Datenerhebungsmaßstäben für Kulturstatistiken sowie zur Inventarisierung von Gesetzgebung und Mechanismen, die zur Kulturfinanzierung indirekt beitragen, konkret umgesetzt ?
Die kulturpolitische Souveränität von Bund, Ländern und Gemeinden muss von daher auch künftig erhalten bleiben21. Die Freiheit der Kunst ist zwar im Grundgesetz geschützt (Art. 5), Kultur ist jedoch - noch - kein Pflichtaufgabe. Im Sinne des Schutzes kultureller Vielfalt ist die Kulturstaatsklausel anzustreben und Kultur als Pflichtaufgabe auf allen staatlichen Ebenen zu verankern22. Dabei können die Art. 2 und 3 der EU-Verfassung als Anregung dienen, welche das Ziel kultureller Vielfalt ausdrücklich festhalten. Die künftige Qualität kultureller Vielfalt in Deutschland und die Entwicklung europäischer Vorschläge hängt auch davon ab, ob eine gesellschaftliche Mehrheit dauerhaft von Nutzen der Förderung künstlerisch-kulturelle Kreativität überzeugt ist. Die politische Debatte im Frühjahr 2004 und die Bewertung internationaler Kulturpolitik als "Subvention" durch das Koch-Steinbrück-Papier zu 'Subventionsabbau im Konsens' vom Dezember 2003 haben gezeigt, dass das Grundverständnis vom Investitionscharakter von Kulturausgaben grundlegend neu begründet werden muss23 und zudem in der öffentlichen Meinung ein realistisches Verständnis der Wertschöpfung des Kultursektors entwickelt werden muss24 . Zu der Frage einer breiten öffentlichen Mobilisierung • Die breite öffentliche Mobilisierung für den Erhalt der biologischen Artenvielfalt gelang
durch starke und gefühlsbetonte Bilder wie z.B. sterbende Wale oder verendende Robbenbabies. Welche Beispiele können das Anliegen der kulturellen Vielfalt mit vergleichbarer Power voranbringen? Welche Antworten gibt es auf das Dilemma, dass die Produkte, welche die Kulturindustrien weltweit massenhaft verkaufen, Millionen von Kunden Spaß machen - sonst wären sie nicht so erfolgreich - und zugleich ein erhebliches Problem darstellen, weil sie Banalisierung und Trivialisierung befördern ?
21 hier lässt sich u.a. pro-aktiv von einer US-Entwicklung lernen: Dort versucht die Theatre Communication Group in einer zweiten Welle verlorengegangenes Terrain wiederzugewinnen und ca. 400 Stadt- und Regionaltheater im öffentlichen non-profit Bereich zu organisieren. 22 die Landesverfassungen der Freistaaten Bayern und Sachsen enthalten entsprechende Formulierungen 23 Der im sog. Koch-Steinbrück-Papier geforderte Subventionsabbau für den Bereich Kultur und Medien von gut 35 Mio. Euro konnte für 2004 verhindert werden; für die Kürzungen in der Auswärtigen Kulturpolitik wurde für das Jahr 2004 eine vorläufige Lösung gefunden 24 vgl. den Beitrag von Norbert Lammert, Kultur schafft Werte, in Kulturpolitische Mitteilungen II_2004, der darauf hinweist, dass die Kulturausgaben relativ zum Gesamtvolumen der öffentlichen Haushalten 1,7 % betragen (davon entfallen 0,5 % auf den Bund, 2 % auf die Länder und etwa 2,4 % auf die Gemeinden) und damit mehr als 600 000 Arbeitsplätze im öffentlichen Kultursektor ermöglichen. Der Kultursektor in seiner Gesamtheit - öffentlich, privat-wirtschaftlich, gemeinnützig - erzielt einschließlich Film, Rundfunk und Fernsehen pro Jahr eine geschätzte Wertschöpfung von deutlich über 30 Milliarden Euro, damit vergleichbar dem Sektor der Energieversorgung und deutlich größer als Landwirtschaft, Bergbau oder Stahlindustrie
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• Was würde den Bewohnern dieses Landes in fünf oder zehn Jahren fehlen, wenn es nur noch wenige Künstler, einige wenige Theater, keinen öffentlichen Musikunterricht, keine Bilder für die Biennale in Venedig oder keine hierzulande produzierten Filme mehr gäbe?
4. Marktdynamik und Konzentration - Chancen und Risiken für
kulturelle Vielfalt Kein anderer Zweig der Weltwirtschaft zeigt so hohen Wachstumsraten wie jener der kultureller Dienstleistungen, insbesondere im audiovisuellen Bereich. Nach UNESCO-Angaben25 werden die Daten zum Welthandel mit Kulturgütern unverändert sehr uneinheitlich erfasst. Dies gilt selbst für die OECD-Länder mit ihren relativ vergleichbaren Lebensverhältnissen, die jedoch z.B. ihre Fernseh- und Filmproduktionen völlig unterschiedlich klassifizieren. Einige Trends zeichnen sich dennoch deutlich ab: • zwischen 1980 und 1998 hat sich das jährliche Handelsvolumen mit Druckerzeugnissen,
Literatur, Musik, bildender Kunst, Kino, Fotografie, Radio, Fernsehen, Spiel- und Sportartikeln vervierfacht. Dieser Handel konzentriert sich jedoch unverändert auf wenige Länder, mit Japan, den USA, Deutschland, Großbritannien und Frankreich als den fünf größten Ex- und Importeuren, seit 1998 erweitert um China (an dritter Stelle). Dies verstärkt den Trend zu (Einheits-) Waren, die unter diesen Händlerländern international möglichst gewinnträchtig abgesetzt werden können.
• die neunziger Jahre sahen einen Boom bei Multimedia, audiovisuellen Produkten, Software und anderen Industrien, deren Produkte auf urheberrechtlich geschützten Inhalten basieren (z.B. LPs, MCs, CDs und DVDs). Die Wachstumsraten dieses Sektors lagen z.B. in den USA und in Großbritannien zwischen 1977 und 1996 dreimal so hoch wie die Wachstumsrate der restlichen Volkswirtschaft. Das Volumen des Weltmedienhandels hat sich in den letzen 20 Jahren vervierfacht,26 wobei 80 % dieses Handels zwischen 13 Ländern stattfindet, unter denen die USA die Spitzenposition einnimmt.
• parallel dazu führten Deregulierungsmaßnahmen27 zu starken Konzentrationsprozessen: die Zahl der Eigentümer von Rundfunksendern sank so in den USA um 34 %, die 44 größten amerikanischen Rundfunksender gehören heute fünf Firmen, die gemeinsam über 70 % der "Prime Time" des amerikanischen Fernsehens verfügen28.
Die Globalisierungsprozesse und der damit verbundene Umbau der eigenen Gesellschaft bringen neue Formen gesellschaftlicher Organisation hervor, die sowohl bislang übliches kulturelles Handeln in Frage stellen als auch die vereinbarten zivilen Grundwerte herausfordern.
25 UNESCO - Culture, trade and globalisation - www.unesco.org/culture/industries/trade/html_eng/questions3.shtml, zitiert am 16.7.2004 26 von 95 Mrd. US $ auf 380 Mrd. US $ UNDP Bericht über die menschliche Entwicklung 2004 27 wie z.B. das amerikanische Telekommunikationsgesetz von 1996 28 Renaud Lambert, Observatoire Francais des medias, avril 2004/04, http://www.observatoire-medias.info/article124.html, 7.6.2004, zitiert nach Nouvelles sur la diversité culturelle, 7 juin 2004, www.mcc.gouv.qc.ca
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Das Ziel einer Balance und Gleichrangigkeit zwischen der langfristigen Kulturentwicklung und den Handelsregimes, die als Motor von Entwicklung dargestellt werden, ist derzeit nicht erreicht, auch wenn sich in der Debatte der letzten zwei Jahre die Akzente etwas zu verschieben scheinen. Daraus kann aber nicht folgen, die heute bestehende Kulturlandschaft und ihre Ausprägung deutscher und europäischer Identität auf ihrem jetzigen Stand einzufrieren. Im Gegenteil, dies birgt das Risiko, dass Kulturpolitik zu Zwecken der Abschottung missbraucht werden könnte. Jede lebendige und vitale nationale und transnationale Kultur muss sich immer wieder tiefgreifenden inneren und äußeren Veränderungen unterziehen. Für das Arbeitsverständnis der bundesweiten Koalition für kulturelle Vielfalt ist wesentlich, ob im Prozess und im Ergebnis des gegenwärtigen tiefgreifenden gesellschaftlichen Umbaus ein pluralistischer öffentlicher Kulturraum bleibt und gestärkt wird, in dem Bürger und Bewohner der Bundesrepublik Deutschland Zugang zum Kulturleben in seinen vielfältigen Formen haben und individuelle Wahlmöglichkeiten zwischen unterschiedlichen kulturell-künstlerischer Ausdrucksformen bestehen. Diese normative Basis soll mit dem Abkommen zum Schutz kultureller Vielfalt völkerrechtlich verbindlich geschaffen werden. Dieser Kulturraum ist eine Voraussetzung für ein demokratisches Gemeinwesen und für ein reges öffentliches Leben. Dies meint das Stichwort von der kulturellen Grundversorgung, die keine Minimalversorgung ist, sondern auf Regulierungsprinzipien zugunsten von Freiheit und größtmöglicher kultureller Vielfalt beruht. Wenn nur noch die reine Beziehung zwischen Käufer und Verkäufer das Kulturleben bestimmt, bedeutet dies eine ungebremste Zerklüftung und Filettierung des Kulturbereiches. Einmal aufgegebene Kultureinrichtungen sind nicht mehr so einfach wieder herstellbar, vor allem, wenn nachwachsende Generationen gar keine eigenen Erfahrungen damit machen konnten. Besonderes Gewicht hat hierbei die eingangs genannte Tatsache, dass im Rahmen des GATS einmal eingegangene Liberalisierungsverpflichtungen später nicht mehr rückgängig gemacht werden können, selbst wenn sich die fachlich-politische und wirtschaftliche Bewertung geändert haben sollte.
5. Stellenwert des UNESCO-Abkommens zum Schutz der
kultureller Vielfalt Die frühzeitige politische Selbstverpflichtung der deutschen Bundesregierung zur vollen Unterstützung dieses Prozesses im Rahmen der deutsch-französischen Zusammenarbeit, der einstimmige Beschluss des Kulturausschusses des Deutschen Bundestages29 sowie entsprechende Beschlüsse des Europäischen Ministerrats, der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments und des Europarats bieten für die deutsche und europäische Debatte in ihrem globalen Kontext derzeit besonders günstige Ausgangsbedingungen.
29 Bundestagsdrucksache 15/3054, angenommen am 30.6.2004; der Antrag wird nach derzeitigem Stand in der dritten Septemberwoche 2004 plenar zur Abstimmung gestellt. In diesem Zusammenhang ist auch der Bundestagsbeschluss aus dem Jahre 2003 zu Bildung und Kultur im Rahmen des GATS-Abkommens wichtig (BT 15/2204)
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Argumentationsleitfaden Kulturelle Vielfalt der Bundesweiten Koalition / Red. DUK13.12.05
Die neuen normativen Instrumente sind ein entscheidender Beitrag der UNESCO, die „Spielregeln“ der Globalisierung mit zu definieren. Das Recht ist sicherlich nicht die Lösung aller internationalen Probleme, die sich mit dem Projekt Global Governance verbinden. Ohne Recht jedoch, also ohne Verfahren und Konfliktregelungen, scheinen viele globale Problemlagen noch weniger lösbar. Der Auftrag der UNESCO-Generalkonferenz, ein Abkommen zur kulturellen Vielfalt auszuarbeiten, ist daher von besonderem politischen Gewicht. Deutsche Expertinnen und Experten haben hierbei eine verantwortliche Vermittlerrolle. Die erfolgreiche Verabschiedung eines Abkommens zum Schutz der kulturellen Vielfalt wird nur unter drei Bedingungen möglich sein a) eine Gruppe von Ländern muss sich miteinander abgestimmt und aktiv für einen starken Konventionstext einsetzen b) diese Regierungen müssen jegliche Handelsabkommen ablehnen, die direkte oder indirekte Liberalisierungsverpflichtungen im Kulturbereich zur Folge haben; sie müssen ihre Möglichkeiten absichern, auch künftig kulturpolitische Fördermaßnahmen zu ergreifen c) dieser Prozess muss durch die Zivilgesellschaft nachdrücklich unterstützt werden - was die Künstlerorganisationen, die Kulturverbände, die Wissenschafts- und Bildungseinrichtungen u.a. einschließt Ziel ist die Schaffung eines neuen „völkerrechtlich verbindlichen Instruments“ für die nationale Politik, mit dessen Hilfe *die in den Menschenrechtserklärungen enthaltenen Bestimmungen zur kulturellen Selbstbestimmung und Freiheit der/des Einzelnen und sozialer Gruppen und der persönlichen Wahlfreiheit des künstlerisch-kulturellen Ausdrucks anerkannt (Freiheits- und Teilhaberechte), *der Doppelcharakter kultureller Produktionen anerkannt (Güter, die Ideen, Symbole und Lebensweisen transportieren, dadurch zu Identitätsstiftung beitragen und kulturelle Gewohnheiten prägen - und zugleich Handelsware sind), *die kulturpolitische Ziele mit internationalen Handelsbestimmungen in Einklang gebracht werden und *bilaterale und multilaterale Kooperationsabkommen im Kulturbereich, vor allem zugunsten der Entwicklung der audiovisuellen Produktion in den Entwicklungsländern, befördert werden sollen. Die Konvention soll in erster Linie die Legitimität von Kulturpolitiken international anerkennen und Regierungen aktivieren, diese Verantwortung aktiv und offensiv wahrnehmen, insbesondere auch die öffentliche Verantwortung für kulturelle Bildung. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass nach den GATS-Regeln (insbesondere MFN-Regel, Inländerbehandlung) eine Vielzahl von Kulturpolitiken (wie z.B. Quotenregelungen bei Film/TV/Radio, Besitz von Kulturunternehmen, steuerliche Maßnahmen, Zuschüsse u.a.)
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Argumentationsleitfaden Kulturelle Vielfalt der Bundesweiten Koalition / Red. DUK13.12.05
als handelspolitisch unerwünschte Diskriminierungen einzustufen sind (Recht des Staates zur Intervention um die eigene Kultur und Sprache zu schützen). Die Konvention soll zugleich verbindliche Regeln - basierend auf Kriterien von Kunst und Kultur - für den internationalen Austausch von kulturellen Erzeugnissen aufstellen, bzw. diesen überhaupt erst ermöglichen. Dieses Ziel der kulturellen Vielfalt auf der internationalen Ebene basiert auf Offenheit gegenüber allen anderen Kulturen. Über den unmittelbaren Kultur- und Medienbereich hinaus ist die Problematik vor dem Hintergrund der GATS-Regeln auch für viele Einrichtungen aus Wissenschaft und Bildung wichtig. Die praktischen Wirkungen solcher Vereinbarungen werden formell erst ab dem Zeitpunkt eines Inkrafttretens des Abkommens sichtbar (vermutlich frühestens 2006, also nach Abschluss der Doha-Runde der Welthandelsorganisation). Faktisch ist jedoch davon auszugehen, dass die seit Anfang 2003 international deutlich intensivierte und informierte Debatte dieser Fragen sich auch im Vorfeld auf neue bilaterale und multilaterale Freihandelsabkommen30 mit Bedeutung für den kulturellen Bereich (insbesondere audiovisuelle Güter) positiv auswirken kann. Hier ist besonders eine Rückenstärkung für mittlere und kleinere Länder zu erwarten, die nicht zur weltweiten Führungsriege der dreizehn Ländern gehören, welche die Im- und Exportmärkte des Medienhandels zu 80 % beherrschen31. (Völker-) Recht kann jedoch nur dann neue Möglichkeiten für Kulturentwicklung eröffnen, wenn es mit politischer Handlungsbereitschaft einhergeht. Welche Schubkraft ein Abkommen zum Schutz kultureller Vielfalt haben wird, hängt auch davon ab, ob eine große Zahl von Kulturnutzern erkennt, dass diese Diskussionen zur Ausarbeitung einer internationalen Konvention zur kulturellen Vielfalt auch damit zusammenhängen, welche Musik, welches Theater, welches Fernsehen, welche Bücher und Filme wir in fünf, zehn oder fünfzehn Jahren noch sehen - und produzieren - werden können. Hier liegt eine wichtige Aufgabe für die Personen, die sich an der Arbeit der bundesweiten Koalition für kulturelle Vielfalt beteiligen. Für ihre Arbeit ist es wichtig aber nicht hinreichend, sich auf die völkerrechtliche Textarbeit zu konzentrieren.
30 eine interessante Analyse zu den seit 2002 von den USA im audiovisuellen Bereich abgeschlossenen und aktuell beabsichtigten bilateralen Freihandelsabkommen liefert Professor Ivan Bernier (Universität Laval) in der Chronique sur la diversité culturelle der Regierung von Quebec, Ausgabe d'Avril-Juin 2004. Der Text wurde am 19.7.04 online gestellt http://www.mcc.gouv.qc.ca/international/diversite-culturelle/pdf/conf_seoul_fra_2004.pdf (frz) http://www.mcc.gouv.qc.ca/international/diversite-culturelle/eng/pdf/conf_seoul_ang_2004.pdf (engl) Der Text wird auch auf Spanisch verfügbar sein 31 Angabe nach dem UNDP Bericht über menschliche Entwicklung 2004, Kulturelle Freiheit in unserer Welt der Vielfalt (am 16.7.2004 in Paris veröffentlicht, deutschsprachige Ausgabe Berlin 2004)
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Argumentationsleitfaden Kulturelle Vielfalt der Bundesweiten Koalition / Red. DUK13.12.05
Anhang 1. Verzeichnis der Beiträge zum Kick-Off Meeting für die bundesweite Koalition
kulturelle Vielfalt am 14.6.2004 im Museum für Kommunikation, Berlin
2. Zeitplan 2004/2005 Arbeitsprozess an einem UNESCO-Abkommen zum Schutz
kultureller Vielfalt
Beiträge zur ersten Beratungsrunde der bundesweiten Koalition zur kulturellen Vielfalt
Prof. Dr. Jörg Becker (Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung c/o KomTech Institut Solingen): Interne und externe Widersprüche in der deutschen Politik zum Schutz kultureller Vielfalt Dr. Manfred Beilharz (Präsident des Internationalen Theaterinstituts (ITI) und Intendant des Hessischen Staatstheaters): Erwartete kulturpolitische Auswirkungen der Konvention zur kulturellen Vielfalt aus der Sicht von Produzenten, Mittlern und Verwertern aus dem Bereich Theater
Frithjof Berger (Leiter K 31, Referat für Kulturelle Angelegenheiten der EU Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) Mitglied der FA Kultur und Kommunikation/ Information und des Dt. Nominierungskomitees für das UNESCO-Programm Memory of the World der Deutschen UNESCO-Kommission)
Dipl.-Ing. Architekt Wolfgang Esser (Rat für Baukultur im Deutschen Kulturrat e.V./ Vereinigung freischaffender Architekten Deutschlands): Argumentation zum Schutz kultureller Vielfalt
Prof. Dr. Max Fuchs (Direktor der Bundesakademie für Kulturelle Bildung, Remscheid / Vorsitzender des Deutschen Kulturrats) Prof. Dr. Hermann Glaser (Mitglied des Kuratoriums im Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V.): Bemerkungen zur „kulturellen Vielfalt“ Monika Griefahn (Mitglied des Deutschen Bundestags, Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien, Ministerin a.D.; Mitglied im Fachausschuss Kultur der Deutschen UNESCO-Kommission; Mitglied der Deutschen UNESCO- Kommission und Mitglied im Fachausschuss Kultur der Deutschen UNESCO-Kommission): Erwartete kulturpolitische Auswirkungen der Konvention zur kulturellen Vielfalt aus der Sicht von Produzenten und Verwertern aus den Bereichen Literatur/ Verlagswesen, Film und Musik MD Wilfried Grolig (Leiter der Abteilung für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, Auswärtiges Amt (AA)) Bettina Heinrich (Kulturreferentin, Europabüro des Deutschen Städtetags; Mitglied im Fachausschuss Kultur der Deutschen UNESCO-Kommission): Erste Überlegungen zur Notwendigkeit der geplanten „UNESCO-Konvention zum Schutz kultureller Vielfalt“
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Argumentationsleitfaden Kulturelle Vielfalt der Bundesweiten Koalition / Red. DUK13.12.05
Dr. Hans-Martin Hinz (Vorsitzender, Deutsches Nationalkomitee des International Council of Museums ICOM): Museen Christian Höppner(Generalsekretär des Dt. Musikrats (Musik)): Erwartete kulturpolitische Auswirkungen der Konvention zur kulturellen Vielfalt aus der Sicht des Deutschen Musikrats Prof. Dr. Hans J. Kleinsteuber (Institut für Politische Wissenschaft Universität Hamburg; Mitglied im Fachausschuss Kommunikation und Information der Deutschen UNESCO-Kommission): Kurzpapier Dr. Dorothea Kolland (Leiterin des Kulturamtes Berlin-Neukölln/ Beisitzerin Kulturpolitische Gesellschaft e.V.): Kulturelle Vielfalt lokal - Garant einer produktiven Zukunft Thomasz Komorowski (Kulturreferent der Polnischen Nationalkommission): Die Konvention Kulturelle Vielfalt aus polnischer Sicht Prof. Dr. Dieter Kramer (Mitglied des Kuratoriums im Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V.): Zur Konvention für kulturelle Vielfalt- Kulturelle Vielfalt und ihre Bedeutung für die Entwicklung der Kultur in Deutschland Prof. Dr. Rainer Kuhlen (Vorsitzender des Fachausschusses Kommunikation und Information der Deutschen UNESCO-Kommission, Lehrstuhl für Informationswissenschaften an der Universität Konstanz) Absicherung von kultureller Vielfalt durch Freiheit des Zugriffs auf Information - Kulturpolitik ist Informationspolitik Dr. phil.h.c. Gerhard Kurtze (Altvorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e.V.; Mitglied der Deutschen UNESCO-Kommission): Normen zum Schutz der kulturellen Vielfalt - Chancen und Gefahren für die internationale Gemeinschaft der Verleger: inoffizielle deutsche Fassung eines Positionspapiers der Internationalen Verleger-Union, Genf Dr. Hartwig Lüdtke (Vorsitzender des Fachausschusses Kultur der Deutschen UNESCO Kommission und Kurator der Museumsstiftung Post und Telekommunikation) Gerald Mertens (Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung e.V.): Kurzthesen Dr. Veronika Metze-Mangold (Vizepräsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission) Einführung zum Stand der Arbeiten an der UNESCO-Konvention zum Schutz kultureller Vielfalt MDg Dr. Wilhelm Neufeldt (Leiter der Abteilung Kultur, Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Brandenburg) Mitglied des Kulturausschuss der Kultusminister-konferenz, bestelltes KMK-Mitglied der Deutschen UNESCO-Kommission, Mitglied im Fachausschuss Kultur der Deutschen UNESCO-Kommission Fritz Pleitgen (Intendant des WDR; Vizepräsident der European Broadcasting Union EBU): Kulturelle Vielfalt weltweit schützen- Der öffentlich-rechtliche Rundfunk und die internationale Liberalisierung des Handels
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Argumentationsleitfaden Kulturelle Vielfalt der Bundesweiten Koalition / Red. DUK13.12.05
Hans Pakleppa (Kultur Transnational e.V.; Mitglied im Fachausschuss Kultur der Deutschen UNESCO-Kommission)/ Ralf Classen (Büro für Kultur-und Medienprojekte, Hamburg)/ Prof. Dr. Dieter Kramer (Kustode Abteilung Europa des Museums der Weltkulturen, Frankfurt; (Mitglied des Kuratoriums im Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V.): UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt aus der Sicht von Akteuren interkultureller Projektarbeit Dr. Georg Ruppelt (Leitender Bibliotheksdirektor Niedersächsische Landesbibliothek; Sprecher der Bundesvereinigung deutscher Bibliotheksverbände): Bibliotheken – Informationsservice für die Öffentlichkeit Prof. Dr. Dr. Sabine von Schorlemer (Lehrstuhl für Völkerrecht, Recht der Europäischen Union und Internationale Beziehungen TU Dresden): UNESCO Konvention zum Schutz Kultureller Vielfalt - Aufgaben und Perspektiven Dr. Claudia Schwalfenberg (Referentin für Öffentlichkeitsarbeit, Bundesarchitektenkammer e.V.): UNESCO-Konvention zum Schutz kultureller Vielfalt: Architektur Prof. Dr. Faruk Şen (Direktor Stiftung Zentrum für Türkeistudien; Mitglied der Deutschen UNESCO-Kommission): Wissenschaft im Spannungsfeld von Freihandel und Schutz kultureller Vielfalt Prof. Dr. Walter Siebel (Mitglied des Kuratoriums im Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V.): Wortklauberei zur kulturellen Vielfalt Prof. Dr. Joost Smiers (Professor political Science of the arts, Research Group Arts & Economics, Utrecht School of the Arts (HKU)): Cultural Industries Absent Landlords- Unesco on its way to a Convention on Cultural Diversity Prof. Dr. Fritz Steininger (Direktor der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft; Vorsitzender des deutschen Nationalkomitees für das International Geoscience Programme (IGCP) Mitglied der Deutschen UNESCO-Kommission; Mitglied im Fachausschuss Wissenschaften der Deutschen UNESCO-Kommission): Kulturpolitische Bestandsanalyse und Entwicklungsperspektiven der naturwissenschaftlichen Schausammlungen in Deutschland Johano Strasser (Präsident des P.E.N. – Zentrums (Literatur) Aussprache - weitere Statements der Fachgesprächsteilnehmer): Erwartete kulturpolitische Auswirkungen der Konvention zur kulturellen Vielfalt aus der Sicht des Bereiches der Literatur unesco heute online 10/ 2003: Stichwort: GATS und kulturelle Vielfalt Thomas Weis (Geschäftsführer Internationale Gesellschaft der Bildenden Künste): Kulturpolitische Ziele aus der Sicht der bildenden KünstlerInnen. Eine Stellungnahme der Internationalen Gesellschaft der Bildenden Künste (IGBK), Berlin Dieter Welke (Regisseur und Dramaturg; persönliches Mitglied des Internationalen Theater-Instituts Deutschland): Hausaufgaben- Gedanken zur Schaffung eines Diskussionsforums und einer Arbeitsgruppe zu einem künftigen UNESCO-Vertrag über den Schutz und die Förderung der kulturellen Vielfalt
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Argumentationsleitfaden Kulturelle Vielfalt der Bundesweiten Koalition / Red. DUK13.12.05
Dr. Verena Wiedemann (Leiterin des ARD-Verbindungsbüros Brüssel; Stellv. Vorsitzende im Fachausschuss Kommunikation/ Information der Deutschen UNESCO-Kommission): Die Konvention zur kulturellen Vielfalt aus der Sicht des Rundfunks Petra Zilken-Leitgeb (Kommissarische Leiterin der Internationalen Programmkoordination, ZDF; Mitglied im Fachausschusses Kommunikation/ Information der Deutschen UNESCO-kommission): Anmerkungen aus der Sicht des ZDF
__________________________________________________________________________ Zeitplan 2004/2005 des Arbeitsprozesses an einem UNESCO-Abkommen zum Schutz
kultureller Vielfalt
Arbeitsprozess an einem UNESCO-Abkommen zum Schutz
kultureller Vielfalt
Zeitplan 2004-2005 (Stand: 2.8.2004)
14. Juni 2004
Auftaktveranstaltung für die bundesweite Koalition zur kulturellen Vielfalt (Berlin)
20.Juli. 04 Erste Fassung des UNESCO Textentwurf zur Konvention zum Schutz kultureller Vielfalt online in allen sechs UN-Sprachen: www.unesco.org/culture/diversite/convention
20. – 25.Sept. '04 UNESCO, Erste zwischenstaatliche Expertenkonferenz (Paris)
22. Oktober `04 Bundesweite Koalition zur Kulturellen Vielfalt, zweite Fachkonsultation (Köln oder Düsseldorf)
bis 15. November `04 Möglichkeit der Stellungnahme der Mitgliedsstaaten zum UNESCO-Textentwurf (sowie der zwischenstaatl. Organisationen und NGOs)
Dezember `04 Stellungnahme der Welthandelsorganisation
Januar 2005 Ende der Doha-Verhandlungsrunde der Welthandelsorganisation
20. Januar '05 Bundesweite Koalition zur Kulturellen Vielfalt, dritte Fachkonsultation (Berlin)
Februar/März `05 Bericht des Generaldirektors der UNESCO zum Konventionsprozess Veröffentlichung des überarbeiteten Konventionsentwurf
Oktober 2005
33. General-
konferenz der
UNESCO
Bericht des Generaldirektors der UNESCO zum Arbeitsprozess an dem Abkommen zum Schutz kultureller Vielfalt - Beratung des Entwurfs im Rahmen der 33. Generalkonferenz der UNESCO (Paris)Ggfs. Verabschiedung des Abkommens (alternativ Oktober 2007)
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Anmerkungen zur Zusammenfassung des „Kick-Off“-Meetings der
Deutschen UNESCO-Kommission Von Dieter Welke
Die folgenden Anmerkungen beziehen sich auf die Zusammenfassung der Diskussion durch Frau Merkel und berücksichtigen lediglich die schriftlichen Beiträge zum ersten Meeting der deutschen UNESCO-Kommission vom 13.06.04. Alle Punkte können in diesem Beitrag nur angerissen werden. Jeder Punkt erfordert eine vertiefte Diskussion.
1. Kontroll-, Sanktions- und Schlichtungsmechanismen der künftigen UNESCO-Konvention
Damit die künftige UNESCO-Kommission ein wirksames Gegengewicht zum GATS-Abkommenwird, ist es notwendig, immer wieder auf der Schaffung von Kontroll- und Sankti-onsmechanismen zu insistieren. Die Diskussion der im Konventionsentwurf vorgeschlagenen Kontroll-, Sanktions- und Schlichtungsmechanismen sollte auf jeden Fall eines der Hauptthemen auf dem nächsten Meeting der deutschen Koalition für kulturelle Vielfalt sein, gerade auch des-wegen, weil hier mit einer erheblichen Verwässerung des Entwurfs durch EU-Instanzen und na-tionale europäische Regierungen zu rechnen ist. Die Bundesregierung muss auf eine möglichst rasche Stellungnahme zu diesem Themenkomplex gedrängt werden. Aus diesem Grund sollte er in der Argumentationsgewichtung besondere Beachtung finden.
Das deutsche Zentrum des ITI geht davon aus, dass die Dispensregelung im Rahmen des GATS-Abkommens keinen wirksamen Schutz der kulturellen Vielfalt darstellt. Diese Position steht im Einklang mit der Resolution des 30. Weltkongresses des ITI, die ausdrücklich die Schaffung eines verbindlichen Regelwerks fordert, der den definitiven Ausschluss des kulturellen Bereiches aus jedweder Instanz internationaler kommerzieller Verhandlungen garantiert, gleich ob es sich um die WTO oder eine andere Instanz handelt.1 Diese Forderung ist nur dann erfüllbar, wenn die Konvention wirksame Kontroll- Sanktions- und Schlichtungs-mechanismen enthält. Zum Kern-bereich der völkerrechtlichen Forderungen muss ebenfalls gehören, dass die Konvention in kei-nem nachgeordneten Verhältnis zu anderen Verträgen gehört, dies unter Beachtung der Wiener Konvention von 1969.
2. Sozialer Schutz der Künstler
Der Entwurf der UNESCO-Konvention sieht in Art. 7 Abs. 2 a und b ausdrücklich Verpflich-tungen der Unterzeichnerstaaten zum Schutz der Künstler und kreativen Arbeiter vor. Diese be-ziehen sich sowohl auf den Schutz des legalen und gesellschaftlichen Status der Künstler und kreativen Arbeiter, wie auf das Urheberrecht. 2 Dieser Aspekt der Konvention kommt in der Argumentationslinie der deutschen Koalition für kulturelle Vielfalt zu kurz.
1 As a consequence, the ITI Congress welcomes UNESCO’s intention to create an International Convention of Cultural
Diversity and requests (…) that it should contain binding rules which permit the cultural field to be definitely excluded from
any international trade body whether this be the WTO or any other. (Resolution concerning the proposed UNESCO Con-
vention on Cultural Diversity, XXX. World Congress Tampico (México) June 3. 2004 2 vgl. UNESCO: CLT/CPD 2004/CONF-201/2 Preliminary Draft of a convention on the protection of the diversity of
cultural contents and artistic expressions. Paris July 2004 Art. 7. 2: „States Parties shall also ensure:
(a) that the legal and social status of artists and creators is fully recognized, in conformity with international existing
instruments, so that their central role in nurturing the diversity of cultural expressions is enhanced.
(b) that intellectual property rights are fully respected and enforced according to existing international instruments,
particularly throug the development or strengtening of mesures against piracy.”
Die soziale Lage der Künstler in Deutschland hat sich in den letzten Jahren stark verschlechtert. Die Bundesregierung hat sich in den letzten Jahren herzlich wenig um dieses Problem geküm-mert. Kennzeichnend dafür ist, dass trotz der zahlreichen Mahnungen des Deutschen Kulturrates zur Zeit nur sehr unzureichendes statistisches Material zur Einkommenssituation und Beschäfti-gungssituation der Künstler vorhanden ist. Bislang hat auch die Enquête-Kommission des Deut-schen Bundestages meines Wissens noch kein Material zu diesem Thema veröffentlicht.
Welche Auswirkung die derzeitige Reform der sozialen Sicherungssysteme auf die materielle Lage der Künstler hat, ist derzeit nicht abzusehen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass von staatlicher Seite bewusst statistisches Material nicht erhoben bzw. zurückgehalten wird, um die öffentliche Diskussion der Probleme niedrig zu halten. So hat zum Beispiel der Deutsche Kulturrat mehrfach auf die Gefahren hingewiesen, die sich durch die Einführung einer Bürger-versicherung oder einer Kopfpauschale für die Künstlersozialversicherung ergeben. Eine ange-messene Reaktion von Seiten der im Bundestag vertretenen Parteien oder der Bundesregierung ist mir nicht bekannt.
Im Bereich der darstellenden Künste möchte ich auf folgende Probleme hinweisen. Im Zuge der Finanzkrise der öffentlichen Haushalte und der Einsparmaßnahmen in den öffentlichen Theatern hat sich die Beschäftigungslage des künstlerischen Personals erheblich verschlechtert. Genaues Zahlenmaterial liegt jedoch zur Zeit nicht vor. Die Zentralstelle für Bühnen- Film und Fernsehen (ZBF) der Agentur für Arbeit etwa verfügt nach eigenen Angaben über kein zusammenhängen-des statistisches Material. Wie viele Personen in diesem Bereich arbeitslos sind, kann nach mei-nem Informationsstand nur geschätzt werden. Eindeutig steht jedoch fest, dass sich die Zahl der Personen mit Festverträgen (Normalvertrag) erheblich verringert hat, und dass durch die Redu-zierung der festen Ensembles und die Zunahme der Engagements mit Gastverträgen ein immer größer werdender Personenkreis in prekären Beschäftigungsverhältnissen steht; bei steigender Arbeitslosigkeit wird der Konkurrenzdruck unter den Künstlern, immer größer. Dies hat sowohl materielle Konsequenzen –z.B. im Hinblick auf die Höhe der Gagen- wie auch künstlerische Auswirkungen. Gerade im Bereich des Theaters ist die Synergie der künstlerischen Kräfte ein grundlegendes Element des Schaffensprozesses. Ökonomischer Konkurrenzdruck, der nicht gleichzusetzen ist mit künstlerischem Wetteifer, ist der Theaterarbeit, insbesondere der En-semblearbeit nicht zuträglich, er ist kontraproduktiv.
Beim Regiepersonal (Regisseure, Bühnen- und Kostümbildner, Theatermusiker, und in letzter Zeit auch zunehmend Dramaturgen) ist der Werkvertrag, bei dem die Künstler über die Künst-lersozialversicherung zwar kranken- und rentenversichert sind, jedoch nicht unter dem Schutz der Arbeitslosenversicherung stehen, sowieso seit langem die vorherrschende Beschäftigungs-form. Auch hier ist, wenn man von man einigen prominenten Künstlern absieht, sowohl die Ga-genhöhe als auch die Anzahl der Werkverträge pro Jahr rückläufig, so dass es vielen gestandenen Theaterleuten immer schwerer fällt, ihre materielle Existenz oft nur minimal zu sichern. Durch den sogenannten „Generationswechsel“ im deutschen Theatersystem – in der öffentlichen Dis-kussion häufig mit theaterinternen Generationskonflikten begründet – werden ältere Künstler zunehmend aus den Engagements verdrängt. In dieser Hinsicht folgt das deutsche Theatersystem den allgemeinen Tendenzen des Arbeitsmarktes, ältere Arbeitnehmer nicht mehr oder nur sehr begrenzt zu beschäftigen. Hat diese Tendenz im deutschen Theater sich in den 90er Jahren be-sonders bei den über 50-jährigen manifestiert, so erfasst sie inzwischen schon die über 40-jährigen.
Das System der deutschen Arbeitslosenversicherung ist grundsätzlich nicht auf derartige prekäre Arbeitsverhältnisse zugeschnitten. Diejenigen Theaterleute, die früher in festem Vertragsverhält-nis arbeiteten und somit Anrecht auf Arbeitslosenhilfe hatten, überbrücken sehr oft die Zeit zwi-schen zwei Werkverträgen mit Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung solange bis die Leis-tungsansprüche aufgebraucht sind, danach überbrücken sie die vertragslose Zeit mit Arbeitslo-senhilfe.
Da zur künstlerischen Arbeit im Theaterbereich stets Vorbereitungs-, bzw. Trainingszeit gehört, die in der vertragsfreien Periode stattfindet, kann man bei diesen Berufen nicht von Arbeitslosig-keit in engerem Sinn reden. Die vertragsfreie Zeit ist durchaus eine Zeit in der gearbeitet wird, allerdings ohne Gage. Es wäre sehr wichtig, in diesem Zusammenhang zu eruieren, wie groß der Personenkreis ist, der sich in dieser Situation befindet. Nach eigenen Recherchen ist er beträcht-lich. Die Auswirkungen der „Reform“ Harz IV auf die Lage der nicht im Festengagement be-schäftigten Künstler im Theaterbereich bedürfen dringend einer genauen Untersuchung. Durch Harz IV wird nicht nur das ohnehin schon geringe Einkommen der „freien“ Künstler geschmä-lert. Durch die Pflicht jedwede Arbeit anzunehmen, wird eine große Zahl von Theaterleuten jeg-lichen und jedweder Qualifikation endgültig aus ihrem künstlerischen Beruf gedrängt werden. Hier besteht dringend politischer Handlungsbedarf. Eine spezielle soziale Absicherung der künst-lerischen Zeitarbeiter im deutschen Theater, die den zunehmend prekären Beschäftigungsver-hältnissen Rechnung trägt, ist dringend notwendig.
In Frankreich wie in den meisten anderen westeuropäischen Ländern gibt es so gut wie keine festen Ensembles im deutschen Sinn. Frankreich hatte bis 2003 eine spezielle Arbeitslosenversi-cherung für künstlerische Berufstätige im audiovisuellen und im Theaterbereich. Seit der Reform dieser Spezialversicherung im Jahre 2003 ist auch dieses spezielle System der sozialen Sicherung für Künstler in seinen Kernfunktionen bedroht. Besagte Reform der Spezialversicherung war der Auslöser für den heftigsten sozialen Konflikt der französischen Kulturszene. Er dauert bis heute an. Die Veränderung der Spezialversicherung hat nach den Berechnungen des französischen Bühnenverbandes SYNDEAC katastrophale Auswirkungen auf die berufliche Situation der Theaterschaffenden. Bis zu 50% der Künstler und Bühnentechniker wird durch diese Reform aus ihrem Beruf gedrängt. Gerade die französischen Theaterkollegen waren es, die den Zusammen-hang dieser Reform mit den allgemeinen Globalisierungstendenzen aufzeigten und viel früher als in Deutschland die Wichtigkeit eines internationalen Rechtsinstruments zum Schutz der kulturel-len Vielfalt betonten.
Trotz aller nationalen Unterschiede lassen sich in den meisten europäischen Ländern gleichartige Entwicklungstendenzen beobachten. Die Entwicklung neuer Maßnahmen zum materiellen Schutz der Künstler ist deshalb nicht nur eine nationale, sondern auch eine europäische Aufgabe. Die deutsche Koalition für kulturelle Vielfalt täte gut daran, sich über die bestehenden Netzwerke in die europäische Diskussion einzuklinken. Das ITI jedenfalls wird sich nach Kräften bemühen, in dieser Hinsicht aktiv zu werden.
Eine UNESCO-Konvention, die Unterzeichnerstaaten zum sozialen Schutz der Künstler ver-pflichtet, kann in der nationalen wie in der europäischen Auseinandersetzung um die soziale Si-cherung der Künstler eine wichtige Stütze sein.
3. Einbettung der nationalen Situation in die internationale Situation
Trotz aller nationalen Probleme gilt es, die internationale Dimension nicht aus dem Auge zu ver-lieren. Es ist Aufgabe des ITI, immer wieder auf diese Dimension zu verweisen. Die gegenwärti-gen Globalisierungstendenzen treffen weltweit auf die unterschiedlichsten Bedingungen, die all-gemeine Stoßrichtung dieser Tendenzen ist jedoch klar erkennbar. In vielen außereuropäischen Ländern sind die Theaterkünste durch die Vorherrschaft der Unterhaltungsindustrie, durch die Finanzkrise des Staates bzw. des Mangels an öffentlicher Förderung weitgehend marginalisiert. Im Zuge des Eindringens internationaler Konzerne, vor allem der US-amerikanischen Medien-konzerne, das durch zahlreiche bilaterale Freihandelsabkommen begünstigt wird, sind die gesell-schaftlichen Freiräume, die den Theaterkünsten zur Verfügung stehen, zunehmend beengt. Als Beispiel für die Situation im außereuropäischen Bereich seien hier zwei südamerikanische Länder genannt, Argentinien und Kolumbien, zu deren Theaterlandschaft sich jeweils eine ausführliche Beschreibung im Anhang findet.
4. Expansion des Festivalwesens
Ein wesentliches Merkmal der globalen Entwicklung im Theaterbereich ist die Expansion des internationalen Festivalwesens. Es ist unbestritten, dass Festivals eine ungemein wichtige Funkti-on für den kulturellen Austausch haben. Sie ermöglichen im besten Fall die produktive Begeg-nung von Theaterleuten aus den unterschiedlichsten Kulturen, die Konfrontation verschiedener ästhetischer und thematischer Entwicklungstendenzen des Theaters, sie fördern die Neugier des Publikums und erweitern seine Sichtweisen... die Liste der positiven Eigenschaften ist lang. Die Expansion des Festivalwesens bringt jedoch ebenso Entwicklungen mit sich, die der Kommerzia-lisierung Vorschub leisten und der kulturellen Vielfalt abträglich sind. In den letzten Jahrzehnten haben sich viele Festivals, darunter das größte europäische Festival in Avignon zu einem wesent-lichen Faktor der Tourismusindustrie entwickelt. Die damit verbundene Interessenverschiebung zum Primat des wirtschaftlichen Interesses bringt zwar die regionale Regionalwirtschaft in Schwung, für die künstlerischen Produzenten fällt jedoch wenig davon ab. Der Ausfall des Festi-vals von Avignon im letzten Jahr hat für die regionalen Tourismusindustrie einen Umsatzverlust von 40 Millionen Euro gebracht. Diese Summe steht in keinem Verhältnis zu den Subventionen für die Theaterproduktionen und zu den Einnahmen der Kompagnien. Die Diskrepanz zwischen dem regionalwirtschaftlichen Gewinnen und dem geringen Nutzen, den die künstlerischen Pro-duzenten davon haben, ist ein Grund für den immer noch andauernden Konflikt innerhalb des französischen Theaters.
Auch in Deutschland ist das Primat des Ökonomischen bei der Neugründung von Festivals deut-lich zu erkennen: nicht ohne Grund wird z.B. die Ruhrtriennale mit Wirtschaftsstrukturgeldern finanziert, zugleich beteiligt sich das Land Nordrhein-Westfalen nur gering an der Finanzierung seiner Theater, obwohl die Finanzkraft der Kommunen durch die hohen Ausgaben im Sozialbe-reich stark geschwächt ist. Wie sich diese Gemengelage in den nächsten Jahren auswirken wird, sollte in den nächsten Jahren aufmerksam beobachtet werden.
Der räumlichen und zeitlichen Konzentration von Theaterproduktionen in den Festivals ent-spricht die Gefahr der Monopolisierung der Entscheidungskompetenz durch die Festivalleitun-gen. Die Spielpläne der internationalen Festivals profitieren zwar von der weltweiten Vielfalt der theatralischen Ausdrucksformen. Was jedoch gezeigt wird, entscheidet eine kleine Minderheit von Festivalleitern mit ihren jeweiligen Mitarbeiterstäben. Der Machtzuwachs dieser Gruppe in der internationalen Theaterszene ist erheblich. Ob mit dieser Macht verantwortungsvoll umge-gangen wird, hängt größtenteils von den jeweiligen Verantwortlichen ab; zusätzlich gibt es auch institutionsbedingte strukturelle Zwänge, die die Stückauswahl und den Spielplan beeinflussen. Da die Festivalleitungen aus ökonomischen Gründen sich nur bedingt Experimente leisten kön-nen, setzen sie oft auf bewährte Highlights der nationalen und internationalen Theaterszene, die ihnen einen Publikumserfolg garantieren. So kommt es dazu, dass gewisse Produktionen weltweit von einem Festival zum anderen „durchgereicht“ werden. Die dadurch entstehende Uniformisie-rungstendenz ist unübersehbar. Festivalleiter mit künstlerischem Gewissen versuchen zwar gegen diese Tendenz anzugehen, ob sie aber unter den gegebenen Bedingungen überwindbar sind, bleibt dahingestellt.
Da die Produktionsbedingungen für Theater in den meisten Ländern der Welt immer schlechter werden, geraten viele Gruppen in Abhängigkeit vom internationalen Festivalbetrieb. Zwar er-möglichen ihnen die Festivaltourneen das materielle Überleben, zugleich werden sie jedoch aus ihrem lokalen gesellschaftlichen Kontext herausgerissen und nomadisieren von einem Festival zum anderen, getrieben von der Angst, dem nächsten kurzfristigen Trendwechsel im Festivalbe-trieb zum Opfer zu fallen und wieder in Vergessenheit zu geraten. Die für die eigenen Verhältnis-se opulenten Gagen verführen im Falle großer Erfolge zu vorrangig kommerziellen Verhaltens-weisen. Oft hat dieses Nomadisieren eine Verflachung der Inhalte zur Folge; es fehlt die Retroa-limentierung durch die eigene soziale und kulturelle Umgebung.
Diese Verflachung wird verstärkt durch die ständige Wiederholung formalästhetischer oder in-haltlicher Elemente, die von den Produzenten, der Kritik oder dem Publikum als Markenzeichen des internationalen Erfolgs angesehen werden. Schlimmstenfalls führt ein solcher Prozess zur Stagnation der schöpferischen Prozesse und zur Auflösung des künstlerischen Zusammenhalts der Gruppe. Der hier in groben Zügen beschriebene Zerfallsprozess hängt mit einer bestimmten Form der kulturellen Globalisierung zusammen, die es näher zu untersuchen gilt. Fest steht je-denfalls, dass Theater sich in der Spannung zwischen zwei entgegengesetzten Polen entwickelt, der Sesshaftigkeit einerseits und der Mobilität andererseits. Geht einer dieser Pole verloren, gerät das künstlerische Schaffen in die Krise.
Problematisch ist auch die Tatsache, dass die Festivals verstärkt Produktionen in Auftrag gibt, so dass die Gruppen nicht mehr aus eigenem Antrieb ihre Themen wählen und aus der eigenen künstlerischen Entwicklung heraus ihre Projekte betreiben. Sie produzieren dann von vornherein Inszenierungen für einen vorgegebenen ästhetischen und thematischen Rahmen, der nicht unbe-dingt dem eigenen künstlerischen Weg und den eigenen Fähigkeiten entspricht, ein Umstand, der die Inszenierung letztlich scheitern lassen kann. Unter welchen Umständen eine Auftragsarbeit künstlerisch produktiv sein kann, bleibt ein heißes Diskussionsthema. 3
5. Managerisierung der Theaterproduktion
Ein weiteres globales Phänomen ist die wachsende Managerisierung der Theaterproduktion. In den deutschen Theatern hat sich das Profil des Leitungspersonals deutlich in Richtung Kultur-management entwickelt. Die durch die Finanzkrise gebeutelten Kommunen und Länder legen bei der Wahl der Intendanten immer größeren Wert auf maximale Rentabilität ihres Theaters und bevorzugen Intendanten, die künstlerisches Gespür und künstlerische Qualifikation mit be-triebswirtschaftlichem Geschick verbinden, wobei sich der Akzent zunehmend auf das betriebs-wirtschaftliche Geschick verschiebt. Diesem Trend folgen auch viele Dramaturgien, die den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit von den Aufgaben der klassischen Produktionsdramaturgie und der Spielplangestaltung zur Öffentlichkeitsarbeit und zum Produktmanagement verlegen. Die Ten-denz zur Managerisierung ist, wie bereits gesagt, weltweit zu beobachten. In vielen europäischen und außereuropäischen Ländern ist sie weiter fortgeschritten als in Deutschland. Die deutschen Theater bewegen sich in dieser Hinsicht eher noch im Mittelfeld. Dieser Trend führt in vielen Ländern zu starken unterschwelligen Konflikten zwischen den Managern in den Leitungsfunkti-onen und den Künstlern, die von ihnen abhängen.
Die Managerisierung betrifft aber auch die Kunstproduzenten selber. In zunehmendem Maße. Angesichts der wachsenden Dominanz warenwirtschaftlicher Kriterien und marktorientierter künstlerischer Produktion betreiben viele Gruppen, aber auch einzelne Künstler intensive Markt-studien und wenden in ihrer Öffentlichkeitsarbeit und in ihrer Selbstdarstellung Techniken und Sprache des Handels- und Industriemanagements an. Auch in diesem Bereich sind detaillierte Untersuchungen notwendig, um die Auswirkungen der Managerisierung auf Inhalte und Formen der Theaterproduktionen zu untersuchen. Eigene Erfahrungen in diesem Bereich lassen mich eher einen Marktopportunismus und eine Verflachung der künstlerischen Arbeit befürchten.
3 Durchaus bemerkenswert sind im Zusammenhang der Abhängigkeit der Künstler vom internationalen Festival-
betrieb die kritischen Anmerkungen von Matthias Pees, dem Dramaturgen der Ruhrfestspiele Recklinghausen
2004. Die Küche der Kannibalen. Theater heute Nr. 8/9 2004, S. 12-13
6. Abschlussbemerkung
Abschließend möchte ich eine grundsätzliche Anmerkung machen. In einer beträchtlichen An-zahl von Beiträgen zum „Kick-off“-Meeting wird die gegenwärtige prekäre Lage der kulturellen Produktion in Deutschland zu Recht in Zusammenhang mit den weltweiten Globalisierungsten-denzen gesehen. Es wäre wünschenswert, dass diese Zusammenhänge genauer analysiert werden, auch deshalb, weil dem eventuellen Vorwurf entschieden entgegengetreten werden muss, dass die Mitglieder der Koalition für kulturelle Vielfalt die internationale Problematik der UNESCO-Konvention mit den Problemen der nationalen Kulturpolitik vermischen. Dem ist entgegenzu-halten, dass es sich hier um eine nationale wie internationale Sachlage handelt, die ein wirksames internationales Rechtsinstrument notwendig macht. Die nationalen Probleme der deutschen Kul-turpolitik sind Bestandteil der internationalen Problematik und sollten auch als solche begriffen werden. Um einer derartigen Polemik entgegenzuwirken, muss der deutschen Öffentlichkeit ver-stärkt vermittelt werden, wie die nationale Entwicklung mit der internationalen zusammenhängt.
Das gegenwärtige politische Klima in Deutschland lässt solche Polemiken leider zu. Die herr-schenden politischen Kräfte möchten sich nicht allzu sehr auf Verbindlichkeiten festlegen, die dem neoliberalen Gesamtumbau der Gesellschaft im Wege stehen könnten. Dies lässt sich jetzt schon aus diversen Verlautbarungen herauslesen. Wie weit die künftige UNESCO-Konvention für diese Kräfte eine Feigenblattfunktion hat, wird sich in den nächsten Monaten zeigen.
Der 30. Weltkongress des Internationalen Theaterinstitutes hat eine politische Resolution verab-schiedet, die sich entschieden gegen die fortschreitende Unterwerfung des Kulturbereichs unter die Prinzipien der Warenwirtschaft wendet und die Schaffung einer UNESCO-Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt ausdrücklich begrüßt. Zur Zeit konstituiert sich die in der Resolu-tion vorgeschlagene internationale Arbeitsgruppe, die den Entstehungsprozess der Konvention kritisch begleiten soll. Eine der Hauptaufgaben der Gruppe, die eng mit der deutschen Arbeits-gruppe nichtstaatlicher Kultur-NGOs zusammenarbeitet, wird es sein, die Auswirkungen der Globalisierungsprozesse auf die jeweilige nationale Situation im Bereich der darstellenden Künste zu untersuchen, allgemeine Tendenzen aufzuzeigen und die Vermittlungsebenen auf denen diese Prozesse verlaufen herauszuarbeiten. Durch die Bündelung empirischer Befunde soll die Argu-mentation der nationalen Zentren wie auch die der internationalen Instanzen des ITI gestärkt werden. Im übrigen plant das deutsche Zentrum des ITI für den Herbst 2004 eine öffentliche Veranstaltung, in der die künftige UNESCO-Konvention im Zusammenhang mit der Lage des deutschen und des europäischen Theaters diskutiert werden soll.
ANHANG:
a- Argentinien
Argentinien verfügt unter anderem auf Grund seiner starken europäischen Prägung über eine vielfältige, sehr lebendige Theaterszene. Das System öffentlicher Theater und das System öffent-licher Subventionen ist traditionell weiter entwickelt als in anderen lateinamerikanischen Staaten. Die argentinischen Theaterleute gehören zu den bestqualifizierten in ganz Südamerika. Durch die fortdauernde Finanzkrise des Staates, die sich seit 2001 zum Staatsbankrott entwickelte, waren schon Mitte der 90er Jahre, die großen öffentlichen Theater in ihrer Existenz bedroht. Das Teat-ro Colón in Buenos Aires, das größte Opernhaus Lateinamerikas, konnte seine Sänger, Tänzer und Musiker zeitweilig nicht mehr vertragsgemäß bezahlen, das von der Stadt Buenos Aires be-triebene Teatro San Martín, das größte Sprechtheater des Landes, musste bereits Mitte der 90er Jahre sein festes Ensemble auflösen. Seit Ende der 90 Jahre sind die zentralen öffentlichen Insti-tutionen des argentinischen Theaters zunehmend in ihrer Existenz gefährdet. Die zahlreichen Theatergruppen, die von der Vielfalt und dem künstlerischen Reichtum der argentinischen Thea-terszene zeugen, können sich kaum noch durch nationale Subventionen am Leben erhalten, zu-mal die Einnahmen aus den Vorstellungen die Produktionskosten nicht abdecken. Das Überle-ben der meisten Gruppen hängt von der Förderung ausländischer, insbesondere europäischer Kulturinstitutionen ab, wie z. B. durch das Goethe-Institut, das in den neunziger Jahren in die-sem Bereich exemplarische Arbeit geleistet hatte. Durch die ständigen Etatkürzungen im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik, ist jedoch auch diese Förderung in den letzten Jahren stark einge-schränkt worden. Dies gilt im übrigen nicht nur für Deutschland, sondern auch für andere euro-päische Länder. Die einzige wirkliche Überlebensmöglichkeit, die den meisten argentinischen Theatergruppen verbleibt, ist der internationale, insbesondere der europäische Festivalbetrieb, der in den letzten Jahren dem argentinischen Theater besondere Aufmerksamkeit zollte. Die ma-terielle Abhängigkeit vom internationalen Festival erzeugt jedoch neue Probleme, von denen an anderer Stelle die Rede sein soll.
Abgesehen von einer verschwindend kleinen Minderheit kann kein argentinischer Schauspieler allein vom Theater leben. Die Arbeitslosigkeit, auch unter hochqualifizierten, bekannten Schau-spielern ist sehr hoch. Bereits Mitte der neunziger Jahre bewarben sich z.B. beim Casting für eine Protagonistenrolle im Teatro San Martín im Schnitt mehr als 200 Schauspieler. Der Großteil der Schauspieler arbeitet in Billigproduktionen des kommerziellen Fernsehens, in der Fernsehwer-bung oder schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch. Von den Theatergagen können nur die we-nigsten leben. Zwei oder drei Jobs zur gleichen Zeit sind die Regel. Zeitweilig ist auch Hungern angesagt. Warum sollte es den Künstlern anders gehen, als dem Großteil der Bevölkerung, die unter den unsäglichen Folgen der argentinischen Schuldenkrise zu leiden hat?
Eine beträchtliche Anzahl von Theatern der Haupstadt Buenos Aires ist in den Händen kom-merzieller Betreiber und bietet hauptsächlich Entertainement. Die Betreiberfirmen sind oft mit den großen Medienkonzernen verbunden. Das künstlerische Personal dieser Theater rekrutiert sich im wesentlichen aus einem geschlossenen Personenkreis, der zugleich auch in der audiovisu-ellen Unterhaltungsindustrie tätig ist. Das Starsystem ist hier die Regel. Die Produktionen orien-tieren sich im wesentlichen an den ästhetischen Normen des internationalen Show Bussiness und der lateinamerikanischen oder us-amerikanischen Serienproduktion (soap operas, reality tv, co-medy, telenovela). Der Unterhaltungssektor des Theaters, der auf ein Massenpublikum ausgerich-tet ist, wird von finanzstarken Investoren betrieben. Vorherrschend sind im Bereich der Massen-kultur die kommerziellen Fernsehstationen, die zum Großteil internationalen Konzernen gehö-ren. Die Vorherrschaft des Kommerzfernsehens konditioniert nicht nur die Sehweisen breiter Publikumskreise, sie hat auch Rückwirkungen auf die ästhetischen Formen vieler Theaterproduk-tionen; dies gilt sowohl für die Spielweisen der Schauspieler, wie auch für die Verwendung von Bühnenbild und Licht, gelegentlich auch für die Regie. Das künstlerisch anspruchsvolle Theater
setzt sich auf vielfältige Weise von dieser Beeinflussung ab, es findet jedoch weitgehend in klei-nen gesellschaftlichen Nischen statt. Trotz des immer noch starken Publikumsinteresses wird es zunehmend marginalisiert. Der Rückzug des Staates aus kulturellen Verpfichtungen und die da-mit verbundenen Privatisierungstendenzen im Kulturbereich, die unter der Regierung Menem vorangetrieben wurde, haben sich unter der Regierung des derzeitigen Präsidenten Kirchner zwar verlangsamt, zugleich wächst aber der Einfluß des Kulturmanagements auf die Theaterprodukti-onen. Hier kam es seit der Regierung de la Rúa zu einer starken Machtkonzentration. So kontrol-liert z.B. die Direktion des Teatro San Martín über Koproduktionsverträge ca. 80% der künstle-risch ambitionierten Produktionen der Hauptstadt Buenos Aires.
b- Kolumbien
In vielerlei Hinsicht ist die kolumbianische Situation repräsentativer für Südamerika als die argen-tinische. Auf den ersten Blick erscheint Kolumbien, mit seinen gewaltsamen Konflikten, seiner Drogenwirtschaft, seiner hohen Armutskriminalität als lateinamerikanischer Sonderfall. In Wirk-lichkeit aber kulminieren in Kolumbien die politischen und sozialen Probleme, die für den ge-samten Kontinent kennzeichnend sind. Der jahrzehntelange Bürgerkrieg, der das Land verwüstet und die Gesellschaft in den moralischen und materiellen Ruin treibt, wird von gesellschaftlichen und politischen Problemen verursacht, die in fast allen lateinamerikanischen Ländern existieren. Die ökonomische und politische Macht liegt in den Händen einer verschwindend kleinen Min-derheit, der Gegensatz zwischen arm und reich ist äußerst krass, jede grundlegende Reform, die die ungleichen Eigentumsverhältnisse zumindest mildern könnte, insbesondere eine Landreform, ist bislang gescheitert. Kolumbien ist ein potentiell reiches Land mit zahlreichen Bodenschätzen, günstigen Voraussetzungen für die Landwirtschaft und einer einzigartigen biologischen Arten-vielfalt, die in letzter Zeit die Begehrlichkeiten der biogenetischen Industrie geweckt hat. Der jahrzehntelange Bürgerkrieg hat die militärischen Konflikte völlig verrohen lassen. In vielen Tei-len des Landes herrscht die blanke Gewalt. Die politischen Ziele der Guerillabewegungen sind in diesem permanenten Blutbad längst untergegangen. Die Pattsituation, in der sich die kriegfüh-renden Parteien befinden, wird unter anderem auch durch die massive militärische Unterstützung des kolumbianischen Staates durch die USA beeinflusst. Die wirtschaftliche, militärische und politische Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten ist groß. Mehrmals kam es im Verlauf der kolumbianischen Geschichte zu direkten militärischen Interventionen der USA, die traditionell ein starkes ökonomisches und militärstrategische Interesse an diesem Land haben.
Das kolumbianische Theater ist verhältnismäßig jung. Die heutige Theaterszene hat ihren Ur-sprung in den 50er Jahren. Das gesellschaftliche Engagement der Gründergenation des zeitge-nössischen kolumbianischen Theaters, verkörpert durch Theatermacher wie Santiago García und Enrique Buenaventura, prägt bis heute entscheidend das Theaterschaffen. Das kolumbianische Theater versucht mit den verschiedensten ästhetischen Mitteln, die Konflikte und Nöte der Ge-sellschaft zu artikulieren, es versteht sich selbst als Ausdruck der Krise. Die mit einer solchen Theaterarbeit verbundene kathartische Funktion ist für die kolumbianische Gesellschaft unver-zichtbar. Deshalb finden Theaterproduktionen auch sehr schnell ein waches und interessiertes Publikum, sowohl in der Hauptstadt Bogotá als auch in der Provinz. Die Theaterarbeit in Ko-lumbien ist nicht ungefährlich. Oft werden Theaterleute, die man als unbequem empfindet, mit Mord bedroht oder schlichtweg ermordet. So wurde zum Beispiel 1999 der populäre Satiriker Jaime Garzón von einem Killerkommando umgebracht, das höchstwahrscheinlich im Auftrag der Armee handelte.
Charakteristisch für die heutige Situation ist die Vorherrschaft einer privaten Theaterfirma, das Teatro Nacional, die von der Schauspielerin Fanny Mickey geleitet wird. Diese Theaterfirma wie-derum ist mit Caracol TV, dem mächtigsten privaten Fernsehkonsortium mit US-Kapitalbeteiligung verbunden. Das Teatro Nacional betreibt mehrere kommerzielle Spielstätten, sowie ein Theaterhaus (la Casa del Teatro Nacional), das sich theaterpädagogischen Aktivitäten
widmet und Theatergruppen ohne festem Domizil eine Spielstätte bietet. Allerdings ist dieses Theaterhaus nur mit minimalen Mitteln ausgestattet. Die Produktionsbedingungen sind kläglich. Die Casa del Teatro dient als künstlerisches Aushängeschild für ein Unternehmen, dessen Haupt-aktivität in kommerziellem Unterhaltungstheater besteht, das sich ästhetisch und inhaltlich an den internationalen Standards ausrichtet. Spezifisch kolumbianisches Theater findet hier nur am Ran-de statt. Das Teatro Nacional richtet das Festival Iberoamericano aus, das größte Theaterfestival in Lateinamerika, das alle zwei Jahre stattfindet. Es ist das zentrale Kulturevent der Haupstadt. Die dafür eingesetzten Geldmittel sind enorm. Neben staatlichen Subventionen fließen auch viele Sponsorengelder aus der Privatindustrie in die Organisation des Festivals. Das Festival gilt als wichtigster Faktor des nationalen und internationalen Kulturtourismus. Das Interesse der Spon-soren gilt im wesentlichen dem ökonomischen Nutzen dieses Events. Der Gigantismus des Fes-tivals steht im krassen Gegensatz zur Armut der kolumbianischen Theatergruppen. Für die Ar-beit der kolumbianischen Truppen stehen nur minimale staatliche Förderbeträge zur Verfügung. Auch hier ist die Unterstützung durch internationale Organisationen und durch die Kulturinstitu-te der reichen Industrieländer außerordentlich wichtig. Die kommunalen und staatlichen Einrich-tungen sind durch großen Bürokratismus gekennzeichnet. Die Korruption spielt erfahrungsge-mäß eine nicht zu unterschätzende Rolle. Der informelle Einfluß der privaten Theaterfirma Teat-ro Nacional auf die Entscheidungen der staatlichen Kulturpolitik ist hoch.
In den letzten Jahren sind die renommierten kolumbianischen Theater zunehmend in ihrer mate-riellen Existenz bedroht. Das Teatro de la Candelaria, geleitet von Santiago García, hält sich mühsam über Wasser und ist immer wieder von der Schließung bedroht. Das gleiche gilt für das Teatro Experimental de Cali. Das Teatro Libre widmet sich aus Finanznot immer stärker dem reinen Unterhaltungstheater. Auch das Festival von Manizales, eines der wichtigsten künstleri-schen Gegengewichte zum Festival Iberoamericano, steht unter erheblichem ökonomischen Druck. Das gleiche gilt für das Festival von Santa Marta, das vom kolumbianischen Zentrum des ITI ausgerichtet wird. Durch die gegenwärtige Politik des Präsidenten Uribe, der den Bürgerkrieg mit militärischen Mitteln beenden will, steht für die kulturellen Aufgaben des Staates noch weni-ger Geld zur Verfügung.
Die Existenzbedingungen der Theaterleute sind sehr schlecht. Viele arbeiten in Billigproduktio-nen des kommerziellen Fernsehens, diejenigen, die sich eine Rolle in den zahlreichen Telenovelas ergattern können, gehören zu den Privilegiertesten. Andere schlagen sich als Animateure bei Fa-milien- und Betriebsfesten oder als Mickymäuse in Vergnügungsparks durch, andere wiederum arbeiten als Theaterpädagogen mit kurzen Zeitverträgen in den Schulen. Von der Theaterarbeit leben nur die Wenigsten.
Der legale Status der Theaterleute ist prekär. Theaterberufe werden in Kolumbien nicht als Beru-fe (profesión) anerkannt, sondern lediglich als Beschäftigung (oficio). Daran hat auch die Einfüh-rung einer staatlichen Ausbildung als Theaterkünstler mit universitären Abschlußdiplom (Mas-ter/Maestría) nichts geändert. Eine Gesetzgebung, die den beruflichen Status von Künstlern ab-sichert, ist bislang nicht zustande gekommen. Die damit verbundene gesellschaftliche Abwertung der Theaterberufe belastet zusätzlich die Situation.
Bislang waren die staatlichen Universitäten, wie etwa die Universidad Nacional in Bogotá, die Universitäten in Cali und Medellin noch ein Zufluchtsort für künstlerisch ambitionierte Theater-produktionen. Im Zuge der gegenwärtigen Verhandlungen mit den USA über einen Freihandels-vertrag mit den Andenstaaten soll der Bildungssektor nun weitgehend privatisiert und für US-Kapital geöffnet werden. Es steht zu befürchten, dass auch hier ein Kahlschlag stattfinden wird.
TO, GATS, Meistbegünstigung,Commitments ja oder nein, internationales Instrument zurkulturellen Vielfalt, »exceptionculturelle«? Dahinter die Frage:Wozu das Ganze? Was kümmert
das die ARD? Eine ganze Menge, wie gleichklar wird. Zunächst aber noch mehr Fragen.
Spiegeln europäische Filme die amerikani-sche Wirklichkeit wider? Treffen französischeFilmemacher den amerikanischen Geschmack?Tragen Filme deutscher Regisseure, die mitdeutschen Teams und Schauspielern in Japanproduziert werden, dazu bei, dass sich dieJapaner ihrer kulturellen Eigenart vergewissernund sich mit ihr identifizieren? Würde es ver-wundern, wenn für solche Filmprojekte keinejapanischen Fördermittel zur Verfügung gestelltwürden? Sind Qualitätsprogramme Selbstläufer,die am Markt ohne weiteres Zutun produziert
werden? Wird eine vielfältige und unabhängigeMedienlandschaft dadurch gefördert, dass sichdie Medien- und Filmproduktionsunternehmeneines Landes mehrheitlich im Besitz ausländi-scher Investoren befinden? Wird eine lebendigeund vielfältige nationale Produzentenland-schaft, die authentische und originelle Inhalteschafft, die lokale, regionale und nationaleEigenarten reflektiert, dadurch geschaffen, dassausländischen Filmstudios der Zugriff auf dienationale Filmwirtschaft ermöglicht wird?
Macht man sich protektionistischer Neigun-gen oder klein karierter Engstirnigkeit verdäch-tig, wenn man diese Fragen in den kultur- undmedienpolitischen Diskurs einwirft? Oder istman gar antiquiert, ja anachronistisch, da manscheinbar die Zeichen der Zeit – Globalisierung,weltumspannende Kommunikations-, Informa-tions- und Unterhaltungsindustrien, InternetAge – partout anzuerkennen sich weigert?
Nein! Alle diese Fragen sind zu verneinen.Wollte man sie bejahen, müsste man bereit sein,
Kulturelle Vielfalt A R D - J A H R B U C H 2 0 0 3 17
Rundfunk war und ist in Deutschland Ländersache.
Das steht seit dem Fernsehurteil des Bundesverfas-
sungsgerichts von 1961 eindeutig fest. Das führte aber
auch dazu, dass die rundfunkpolitische Diskussion
lange Zeit höchstens auf nationaler Ebene geführt
wurde. Erst nach der EG-Fernsehrichtlinie von 1989
erweiterte sich der Horizont und wurde deutlich,
welche Bedeutung Entwicklungen auf europäischer
Ebene für das deutsche Rundfunksystem haben
können. Inzwischen muss der Blick über den europäi-
schen Tellerrand hinausgehen und die weltweiten
Bemühungen um die Liberalisierung des Handels mit
Dienstleistungen einbeziehen.
Fritz Pleitgen, Intendant des WDR und Vizepräsident
der UER, über die Gefährdung der kulturellen Vielfalt
durch diese Bemühungen.
Kulturelle Vielfalt
weltweit schützen______________________
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk und dieinternationale Liberalisierung des Handels______________________
Von Fritz Pleitgen
______
W______
der Kultur ihre wesentliche Bestimmung zu ent-ziehen, denn Kultur ist, so der Europarat, »wasmir hilft, mich in der Welt zurechtzufinden«.
_ Im Zweifel für den freien Handel?Kultur braucht einen Standpunkt, eine Basis,einen Nährboden, der sich aus Tradition, Sitte,Sprache, Lebenserfahrungen und Weltsichtensowie den Ausdrucksmitteln – klassisch wie Literatur oder Musik, moderner wie Film undFernsehen – speist, die zu ihrer Vermittlung seitjeher entwickelt und eingesetzt werden. Kulturund Kulturproduktion, die das jeweils Eigeneeiner Gesellschaft widerspiegeln sollen, bedür-fen bis zu einem gewissen Grad des Schutzes,nicht der Abschottung, um sich behaupten zukönnen. Mit der eigenen Kultur bilden Men-schen Filter und Bewertungsraster, mit denensie Informationen, Ideen, Bilder, die von außenkommen, ordnen, vergleichen, analysieren undin ihre Wahrnehmungsmuster integrieren. Einelebendige und vielfältige Kultur bedarf der aktiven Förderung – durch angemessene recht-liche Rahmenbedingungen, ausreichende Finanzmittel und geeignete Institutionen, dieals Vermittler, aber auch als Träger von Kulturagieren.
Ausreichender Schutz und aktive Förderungvon Kultur in ihrer ganzen Vielfalt haben nichtsmit Protektionismus und Abschottung zu tun.Im Gegenteil, sie dienen dazu, Kultur auf derGrundlage gefestigter Identitäten für Neuesund Anderes zu öffnen. Kultur ist ohnehin nurin wechselseitiger Wahrnehmung und Anerken-nung sowie im ständigen Austausch vorstellbar.Kultur ist bei aller Eigenständigkeit immer nurim Plural denkbar und erfahrbar.
Kultur braucht Freiheit und Vielfalt. Kultur-politik braucht Handlungsspielräume. Ohne siewird sie ihrer Aufgabe nicht gerecht, kulturelleEntwicklungen zu ermöglichen und zu fördern.Das ist der Punkt, wenn es um Fragen vonKultur und Handelsliberalisierung geht. Denndie internationale Handelsliberalisierung zieltdarauf ab, alle nationalen Regelwerke, Förder-mechanismen und Einrichtungen, die poten-ziell oder tatsächlich handelshemmend sind,abzuschaffen oder zumindest so zu verändern,dass sie dem freien ungehinderten Austauschvon Gütern und Diensten nicht entgegenste-hen. »Im Zweifel für den freien Handel« lautetdie oberste Liberalisierungsmaxime. Schnellbleiben dabei Regelwerke und Mechanismenzur Wahrung und Förderung der kulturellenVielfalt auf der Strecke.
_ Keine Meistbegünstigung im audiovisuellen SektorHierbei geht es zuallererst um das GATS. DasGeneral Agreement on Trade in Services ist einAbkommen, das die Mitglieder der Welthandels-organisation (WTO) untereinander geschlossenhaben. Es dient dazu, den weltweiten Handelmit Dienstleistungen zu liberalisieren und be-stehende Handelsbarrieren in diesem Bereichsukzessive abzubauen. Das GATS erfasst grund-sätzlich alle Dienstleistungen. Praktisch istkeine Dienstleistungsindustrie a priori vomGATS ausgenommen – auch nicht die audio-visuellen Industrien in Europa. Die viel be-schworene europäische »exception culturelle«ist insoweit eine Schimäre.
Dennoch finden derzeit – und das soll auchkünftig so bleiben – die Liberalisierungsprin-zipien des GATS keine Anwendung auf dieaudiovisuellen Industrien in Europa. Grunddafür ist die Verhandlungsstrategie der Euro-päischen Gemeinschaft in der letzten Welthan-delsrunde, der so genannten Uruguay-Rundezwischen 1986 und 1993. Seinerzeit, und dies istinsbesondere der französischen Handelspolitikzu verdanken, ließ sich die Gemeinschaft imaudiovisuellen Sektor von der Anwendung desMeistbegünstigungsprinzips freistellen.
Dieses Prinzip besagt, dass ein WTO-Mit-glied die handelsrechtliche Begünstigung, die eseinem anderen Mitglied einräumt, zugleichallen Mitgliedern zuerkennen muss. Hätte sichdie Gemeinschaft diese Ausnahme nicht aus-bedungen, hätte sie beispielsweise innergemein-schaftliche Filmförderprogramme, an denenauch einige osteuropäische Länder teilnehmen,allen übrigen WTO-Mitgliedern gleichermaßenöffnen müssen. Die großen Filmstudios Holly-
Artikel A R D - J A H R B U C H 2 0 0 318
Schlusskonferenz der Uruguay-Runde
1994 in Marrakesch
woods hätten damit Anspruch darauf gehabt,in europäische Filmfördertöpfe hineinzugrei-fen. Zugleich hat die Europäische Gemeinschaftdarauf verzichtet, konkrete Liberalisierungs-zugeständnisse, so genannte Commitments, bei den Grundsätzen des Marktzugangs und derInländerbehandlung einzugehen. Nach letzte-rem Prinzip stellt ein WTO-Mitglied inlän-dische und ausländische Unternehmen und dieBedingungen zur Erbringung ihrer Dienstleis-tungen faktisch gleich.
Mit dem skizzierten Vorgehen ist es der Ge-meinschaft möglich, bestimmte nationale bzw.gemeinschaftliche Unterstützungsmaßnahmenzugunsten der Film- und Fernsehproduktion,Programmquoten (Fernsehrichtlinie) bzw.Quoten zur Beschränkung des Eigentums aus-ländischer Unternehmen an nationalen Rund-funkveranstaltern aufrechtzuerhalten.
_ Erhalt kultureller Vielfalt als VerhandlungszielDer Vorwurf, diese Maßnahmen seien Protektio-nismus, ist bar jeden Realitätssinns, denn tat-sächlich gehören die audiovisuellen Märkte inder Europäischen Union (EU) zu den offenstenweltweit. Was könnte dies besser bekunden, alsdas eklatante und stetig wachsende Handels-bilanzdefizit der EU gegenüber den VereinigtenStaaten im audiovisuellen Sektor. Zudem: DieEuropäer produzieren Jahr für Jahr mehr Filmeals die USA. Dennoch beherrschen amerikani-sche Filme 70 Prozent des europäischen Mark-tes. 75 Prozent der an den Kassen europäischerKinos verbuchten Einnahmen fließen in dieSchatullen der amerikanischen Filmindustrie.
Diese Situation ist seit 1989 praktisch kon-stant. Die Freistellungen, die sich die Gemein-schaft in der Uruguay-Runde hat zugestehenlassen, haben darauf keinerlei Einfluss gehabt.Das zeigt, dass die europäische audiovisuellePolitik in keiner Weise dazu beiträgt, Handels-barrieren zu errichten. Müssen also auch nochdie restlichen Marktanteile im Filmsektor inamerikanische Portfolios wechseln, um zweifels-frei dokumentieren zu können, dass die euro-päischen Märkte ausländischen Investorenoffen stehen?
Die EU-Mitgliedstaaten haben der Kommis-sion für die laufende Welthandelsrunde bereits1999 ein Verhandlungsmandat im audiovisuel-len Sektor erteilt. Danach »achtet die Unionbei den nächsten WTO-Verhandlungen wie be-reits bei der Uruguay-Runde darauf, dass derGemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten dieMöglichkeit erhalten bleibt, ihre Befugnis zur
Bestimmung und Umsetzung ihrer Politik imkulturellen und audiovisuellen Bereich zu wah-ren und auszubauen, um so die kulturelleVielfalt zu erhalten«. Nach dem Verständnis derARD und der überwiegenden Mehrheit der europäischen audiovisuellen Industrien ist dasMandat so zu interpretieren, dass es die Kom-mission verpflichtet, in den Verhandlungen denStatus quo im europäischen audiovisuellenSektor zu festigen und abzusichern.
Bislang folgt die Kommission, die im Namender Union und ihrer Mitgliedstaaten die GATS-Verhandlungen führt, dieser Linie voll undganz. Nachdem die Mitglieder der WTO beiihrer 5. Ministerkonferenz im Herbst 2001 in
Kulturelle Vielfalt A R D - J A H R B U C H 2 0 0 3 19
In Marrakesch stimmten 111 Staaten
der Gründung der WTO zum 1. 1. 1995 zu:
Peter Sutherland, Generaldirektor des
WTO-Vorgängers GATT, mit der Schlussakte.
WTO-Ministerkonferenz in Doha 2001
Doha das Mandat für die nächste, nunmehrlaufende Verhandlungsrunde verabschiedethatten, waren sie bis März dieses Jahres aufge-fordert, sich ihre Liberalisierungsforderungen,aber auch Liberalisierungsangebote zu unter-breiten (so genannter Request & Offer Process).Nach Ablauf der Fristen steht fest, dass dieKommission im Namen der EuropäischenUnion und ihrer Mitgliedstaaten im audiovisu-ellen Sektor weder Angebote gemacht nochForderungen präsentiert hat.
Damit hat sie eindrücklich dokumentiert,dass sie keinerlei Absicht hat, den Status quozu ändern. Zumindest bisher, denn es bleibtabzuwarten, wie sich die Kommission im weite-ren Verlauf der Verhandlungen verhalten wird.Es ist ganz offenkundig, dass der Druck auf dieKommission bzw. die Gemeinschaft, dieseHaltung zugunsten einer offensiven Verhand-lungsstrategie aufzugeben, existiert und sichverstärken wird.
_ Europäische Position unter DruckDer Druck wird von innen und von außen erzeugt. Innerhalb der Union setzen sich ein-zelne Mitgliedstaaten für die Öffnung desaudiovisuellen Sektors ein. Dazu gehören Groß-britannien, die Niederlande, Dänemark und,wenn auch zaghaft, Deutschland. Deutschlandkann diese Politik nicht aktiv vorantreiben, dain dieser Frage ein Bund-Länder-Dissens be-
steht. Während das Bundeswirtschaftsministe-rium die Liberalisierung des audiovisuellenSektors fordert, setzen sich die Bundesländerzur Wehr. Auch bestimmte europäische Ak-teure in den audiovisuellen Industrien, die al-lerdings international aufgestellt sind und eineeher amerikanische handelspolitische Agendaverfolgen, so im Musiksektor, drängen die EUzu einem Liberalisierungskurs. Von außen wirddie Union von mehreren Handelspartnern gedrängt, Liberalisierungsschritte zu unterneh-men. Dazu gehören allen voran die USA undJapan, aber beispielsweise auch Brasilien.
_ Kein »Alles oder Nichts«?Nun sagen die Befürworter der Liberalisierungdes audiovisuellen Sektors, das GATS sei hin-länglich flexibel, dem Erfordernis nach speziel-ler Regulierung zur Wahrung und Förderungder kulturellen Vielfalt gerecht zu werden, zu-gleich aber den Einstieg in die Liberalisierungunternehmen zu können, denn die Liberali-sierungsangebote ließen sich präzise definierenund klar begrenzen. Bei der Liberalisierungnach den Regeln des GATS gehe es also geradenicht um »Alles oder Nichts«.
Dieses Argument macht sich insbesonderedie amerikanische Verhandlungsstrategie zuEigen. Die Vereinigten Staaten offerieren derEuropäischen Union einen »sanften Einstieg«in die Liberalisierung. Danach sind sie bereit,der Union Beschränkungen entlang der Bestimmungen der gegenwärtig geltenden EG-Fernsehrichtlinie zuzugestehen. Die Gemein-schaft solle Marktzugang und Inländerbehand-
Artikel A R D - J A H R B U C H 2 0 0 320
Seit Anfang der 90er Jahre stoßen die
Konferenzen der WTO weltweit
auf Proteste von Globalisierungsgegnern,
hier 2001 in Manila.
WTO-Konferenz 1999 in Seattle:
US-Präsident Bill Clinton
lung für ausländische Film- und Fernsehpro-duktionen in Europa einräumen, dafür seiendie USA bereit anzuerkennen, dass die Uniondiese Liberalisierungszugeständnisse begrenze.So könnten etwa die Quotenbestimmungen derFernsehrichtlinie aufrechterhalten bleiben, mit-hin der Status quo in den europäischen audio-visuellen Industrien handelsrechtlich kodifiziertwerden.
Das liest sich doch auf den ersten Blick ganzvernünftig – oder? Bei näherem Hinsehen aberentpuppt sich diese Offerte als Wolf im Schafs-pelz. Wollte die Gemeinschaft auf dieses An-gebot eingehen, würde sie damit den Anfangvom Ende des europäischen audiovisuellenModells einläuten. Also in der Tat nicht »Allesoder Nichts«, sondern anfangs nicht gleichalles, am Ende aber sicherlich doch.
_ Vom sanften Einstieg zur sicheren PreisgabeDiese Einschätzung bedarf der Erläuterung:Die Fernsehrichtlinie ist mittlerweile nicht mehrstate of the art. Sie entspricht nicht mehr denHerausforderungen an die Medienregulierung,die mit der Digitalisierung und der Konvergenzder Medien einhergehen. Sie reguliert lediglich
das klassische Fernsehen der analogen Rund-funkwelt. Den interaktiven digitalen Rundfunkmit seinen neuen Bouquet- und Zusatzdiens-ten, etwa Elektronischen Programmführern,erfasst sie nicht. Würde man also den audiovi-suellen Sektor unter Wahrung der Bestimmun-gen der Fernsehrichtlinie liberalisieren, würdeman sich der Möglichkeit begeben, auf dieneuen technologischen, wirtschaftlichen undgesellschaftlichen Herausforderungen künftigmit angemessener Regulierung zu reagieren.Eine solche Regulierung würde nämlich überdie festgelegte Begrenzung der Liberalisierunghinausgehen und somit als das Errichten neuerHandelsbarrieren untersagt werden.
Hinzu kommt ein weiterer entscheidenderFaktor. Das GATS enthält einen eingebautenLiberalisierungsautomatismus. Begrenzungender Liberalisierung, die ein WTO-Mitglied ineiner Verhandlungsrunde vorgenommen hat,stehen in der nächsten Verhandlungsrunde zurDisposition. Das Prinzip der fortschreitendenLiberalisierung zielt darauf, sukzessive alleHandelshemmnisse abzubauen und einmal geöffnete Sektoren vollständig zu liberalisieren.Das Angebot eines sanften Einstiegs in dieLiberalisierung des audiovisuellen Sektors, dasdie USA der Europäischen Union unterbreiten,würde also zwangsläufig zu harten Einschnittenund letztendlich zur völligen Preisgabe des europäischen audiovisuellen Modells führen.
Kulturelle Vielfalt A R D - J A H R B U C H 2 0 0 3 21
Während der WTO-Konferenz wurde
über Seattle der Ausnahmezustand verhängt.
Auf der Konferenz in Seattle kritisierte
EU-Handelskommissar Pascal Lamy
die »mittelalterlichen Prozeduren« der WTO.
_ Rundfunkgebühren für ausländische Medien?Diese Prozesse würden natürlich auch nicht vordem öffentlich-rechtlichen Rundfunk Haltmachen. Die Freiheit der EU-Mitgliedstaaten,den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu orga-nisieren und zu finanzieren, könnte empfind-lich eingeschränkt werden, sollten jemals dieLiberalisierungsprinzipien des GATS im euro-päischen audiovisuellen Sektor greifen. EinSubventionsabkommen im Rahmen des GATS,einmal unter den Mitgliedern der WTO ausge-handelt, würde volle Wirkung auch auf denöffentlich-rechtlichen Rundfunk entfalten, wäreder audiovisuelle Sektor erst einmal – und wennnur in sehr begrenztem Maße – liberalisiert. Eswäre davon auszugehen, dass ein solches Ab-kommen die öffentlich-rechtlichen Rundfunk-gebühren als handelshemmende Subventioneneinstufen würde. Das hätte zur Folge, dass sieentweder abgeschafft oder GATS-konform um-gestaltet werden müssten.
Letzteres würde beispielsweise dadurch mög-lich, dass ausländische Medien gleichberechtigtmit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk Zu-gang zur Gebührenfinanzierung erhielten,damit es auch ihnen möglich wäre, Rundfunk-dienste, die im öffentlichen Interesse liegen, zuerbringen. Ebenso könnten bestimmte Auf-lagen, die der öffentlich-rechtliche Rundfunkzu erfüllen hat – etwa Jugendschutzbestim-mungen – und die das Gebührenprivileg oderden Zugang zu Übertragungskapazitäten mitbe-gründen, als Handelshemmnisse gebrandmarktund von einem WTO-Mitglied der Streit-schlichtungsinstanz der Organisation zur Beur-teilung vorgelegt werden. Es dürfte nicht weiterschwierig sein zu erahnen, wie ein solcherSchiedsspruch aussehen würde. Im Zweifel fürdie Liberalisierung, zumal die Schlichtungs-panels der WTO in aller Regel von Handels-fachleuten besetzt sind, denen jegliche kultur-spezifische Kompetenz abgeht.
_ Resolutionen von Europarat und UNESCOAus der Erkenntnis handelnd, dass vom GATSerhebliche Gefahren für das audiovisuelleModell und den öffentlich-rechtlichen Rund-funk in Europa, für den Medienpluralismusund die kulturelle Vielfalt ausgehen können,engagiert sich die ARD seit mehreren Jahrenauf vielfältige Art in Deutschland, Europa unddarüber hinaus bei Initiativen, welche die legi-timen Anliegen staatlicher Kultur- und Medien-politik mit den Gesetzmäßigkeiten des interna-
tionalen Handels in Einklang bringen wollen.Sie unterstützt damit nach Kräften einen Pro-zess, durch den sich allmählich ein internatio-nales Bewusstsein dafür formiert, dass die kul-turelle Vielfalt der aktiven Förderung durchgeeignete Regelwerke und Förderinstrumentebedarf. Regeln und Instrumente, die als legi-time Gestaltungsmittel staatlicher Politik denBestimmungen des internationalen Handels-rechts ebenbürtig und nicht untergeordnet sind.
Zu diesem Prozess haben maßgeblich dieResolutionen des Europarates (2000) und derUNESCO (2001) zur kulturellen Vielfalt bei-getragen. »Kulturelle und audiovisuelle Politi-ken, die die kulturelle Vielfalt fördern und res-pektieren, sind ein notwendiges Gegenstück zurHandelspolitik«, formuliert der Europarat. Er
fordert seine Mitgliedstaaten auf, in anderenForen, in denen sie aufgefordert werden könn-ten, Verpflichtungen einzugehen, die im Wider-spruch zu den kulturellen Instrumenten desEuroparats stehen würden, die Politik der kultu-rellen Vielfalt zu verteidigen.
Weniger als ein Jahr nach dem Europaratverabschiedete die UNESCO ihre UniverselleErklärung zur Kulturellen Vielfalt. Die UNES-CO führt aus:
Artikel A R D - J A H R B U C H 2 0 0 322
Parlamentarier des Europarats
bei einer Abstimmung 2003
»Während Kulturpolitiken den freien Aus-tausch von Ideen und Werken sicherstellensollen, müssen sie gleichzeitig diejenigen Be-dingungen schaffen, die für die Produktionund den Vertrieb von unterschiedlichen kultu-rellen Waren und Dienstleistungen durch Kul-turindustrien notwendig sind, die die Mittelhaben, sich auf der lokalen und globalen Ebenezu behaupten. Es ist Sache jedes Staates, unterBerücksichtigung seiner internationalen Ver-pflichtungen, seine Kulturpolitik zu definierenund durch diejenigen Maßnahmen umzuset-zen, die er für geeignet hält, sei es durch opera-tionelle Unterstützung oder angemessene Regu-lierung.«
_ Netzwerke für kulturelle VielfaltDie Entwicklung ist nicht bei diesen Deklara-tionen stehen geblieben. Sie hat bereits einelängere Vorgeschichte und greift mittlerweiledeutlich über sie hinaus. Bereits seit 1998bemüht sich eine Reihe von Staaten unter derFührung Kanadas darum, ein internationalesInstrument zur kulturellen Vielfalt zu schaffen.Bald wurde das International Network on Cul-tural Policies (INCP) gegründet, dem heute bereits über 40 Staaten angehören. Die Bemü-hungen des INCP laufen darauf hinaus, eineinternationale Konvention mit rechtlich bin-denden Verpflichtungen für die Unterzeichner-
staaten zu schaffen. Seit Oktober 2002 liegt einerster Konventionsentwurf vor. Mittlerweile hatsich auch Deutschland auf Bitten Frankreichsdieser Initiative zugewandt. Gemeinsam mitanderen Staaten trägt es eine Aufforderung andie UNESCO, die Konvention fertig zu stellenund zu verabschieden. Die Staateninitiativewird von einem globalen Netzwerk von Nicht-regierungsorganisationen, dem InternationalNetwork for Cultural Diversity (INCD), unter-stützt. Die ARD ist diesem Netzwerk über ihrBrüsseler Verbindungsbüro beigetreten.
Eine der entscheidenden Fragen, die sich bei der Verwirklichung der Konvention stellt,ist, in welchem Verhältnis sie zu den Regelndes internationalen Handelsrechts, konkret desGATS, stehen soll. Damit sie nicht lediglich aufder Ebene deklaratorischer Bedeutung verharrt,muss ermöglicht werden, dass die Bestimmun-gen der Konvention auf die GATS-Regelneffektiv einwirken. Klar scheint bisher lediglich,dass von einer Konvention, die außerhalb derWTO abgeschlossen würde, keine zwingenderechtliche Wirkung auf das GATS ausgehenwürde. Deshalb stellen die Befürworter des Pro-jekts darauf ab, die Konvention innerhalb derWTO zu verwirklichen, um sie dadurch »han-delsfest« zu machen.
_ Ein modus vivendi zwischen Handelsrecht und Kulturpolitik?
Welche rechtliche Konstruktion zum Tragenkommt, bleibt abzuwarten. Gewiss ist, dass dieKonvention ihre politische Wirkung nicht ver-fehlen wird. Allein deshalb ist es außerordent-lich wichtig, sie zu schaffen. Sie dürfte zumKristallisationspunkt der Diskussion darüberwerden, wie das internationale Handelsrechtmit der legitimen Forderung, die kulturelleVielfalt weltweit zu schützen und zu fördern,vereinbart werden kann. Die Mitglieder derWTO, die zugleich potenzielle Unterzeichner-staaten der Konvention wären, dürften jeden-falls kein Interesse daran haben, dass sich inter-nationales Handelsrecht und internationaleKulturpolitik gegenseitig die Legitimation strei-tig machen.
Allein das dürfte dazu führen, einen modusvivendi zwischen Handels- und Kulturrecht zuarrangieren, der beide Interessensphären zueinem gütlichen Ausgleich führt. Gegenwärtiggilt es, das kulturpolitische Moment in derskizzierten Diskussion nicht zu verlieren. Dafürzu sorgen, ist die ARD bereit, sich nach Kräfteneinzusetzen.
Kulturelle Vielfalt A R D - J A H R B U C H 2 0 0 3 23
Auf einer Pressekonferenz in Berlin am
8. 9. 2003, kurz vor der nächsten WTO-Minister-
konferenz in Cancún, bekräftigten Fritz
Pleitgen (r.) für die ARD, Prof. Max Fuchs,
Vorsitzender des Deutschen Kulturrates (l.), und
Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung,
ihr gemeinsames Engagement für den Schutz
und die Förderung der kulturellen Vielfalt.
1
Dieter Welke
Hausaufgaben Gedanken zur Schaffung eines Diskussionsforums und einerArbeitsgruppe zu einem künftigen UNESCO-Vertrag über denSchutz und die Förderung der kulturellen Vielfalt.
1- Die Problematik des Warencharakters von kulturellen Gütern und
Dienstleistungen 7
2- Analyse der Stellung und Struktur der deutschen Kulturindustrie 8
3- Status, Schutz und Förderung der künstlerischen Produzenten 9
4- Analyse und Bewertung der staatlichen Kulturpolitik 10
5- Einschätzung der konkreten Auswirkungen der
Liberalisierungsbestrebungen des GATS auf die deutsche
Theaterlandschaft. 10
6- Information über die internationale Diskussion und Bewertung der
internationalen Positionspapiere zum UNNESCO Vertrag über kulturelle
Vielfalt 11 Die fortschreitende Unterwerfung menschlicher Aktivitäten und Äußerungen unter die Verwertungsmechanismen der Warenwirtschaft erfasst zunehmend den Bereich der Kultur. Entgegen den Beteuerungen der Verfechter des Liberalisierungsprozesses bedroht das massive Eindringen von Kapitalinteressen im Zuge der von der WTO geplanten Liberalisierung des Handels mit kulturellen Gütern und Dienstleistungen weltweit die Vielfalt der kulturellen Ausdrucksformen durch Uniformisierung und Standardisierung.*1* Diese Entwicklung wird in vielen Ländern der Welt nicht unwidersprochen hingenommen. Zur Zeit formiert sich in Westeuropa und in anderen Kontinenten erheblicher politischer Widerstand, sowohl bei den Kulturschaffenden und ihren Organisationen selbst, wie auch innerhalb eines breiten Spektrums gesellschaftlicher und politischer Organisationen. Zugleich wächst in der internationalen globalisierungskritischen Bewegung das Bewusstsein, dass diese Entwicklung ein wichtiges Teilmoment des allgemeinen Globalisierungsprozesses ist. Beleg dafür sind unter anderem die ausdrückliche
Einbeziehung der Problematik der kulturellen Vielfalt in die Diskussionen des letzten Europäischen Sozialforums in Paris, das im November 2003 stattfand, sowie das Projekt eines Weltkulturforums in Sao Paulo im Juni 2004. Auf vielen internationalen Treffen von Theaterschaffenden wird die Entwicklung ebenfalls heftig diskutiert, so etwa während des II. Internationalen Kunsttreffens von Valencia. Dort meldeten sich vor allem die lateinamerikanischen Kollegen mit detaillierten Analysen und engagierten Stellungnahmen zu Wort. Und so nimmt es auch nicht Wunder, dass dieses Thema als wesentlicher Punkt auf der Tagesordnung des nächsten Weltkongresses des Internationalen Theaterinstituts in Mexiko steht. Auf staatlicher Ebene sind die Haltungen höchst unterschiedlich: sie reichen von der uneingeschränkten Unterstützung der Liberalisierungsbestrebungen der WTO durch die Regierung der USA über die eher unentschlossene und verschwommene Haltung vieler europäischer Länder bis zur Kritik der jetzigen Politik der WTO im Kulturbereich durch die Regierungen Frankreichs und Kanadas, wobei es im Falle Frankreichs wohl weniger um den Schutz der Kultur als um den Schutz der heimischen Filmindustrie vor der US-amerikanischen Konkurrenz geht. Aber immerhin, Frankreich und die Länder der Frankophonie nehmen bei der Schaffung eines kulturpolitischen Gegengewichts eine Vorreiterstellung ein. Viele EU-Staaten haben sich mehr oder weniger deutlich den französischen Initiativen angeschlossen, wobei allerdings zu eruieren wäre, wie weit es sich um bloße Lippenbekenntnisse handelt. So kam im November 2001 durch die französische und kanadische Initiative und ihre Unterstützung durch die Mehrzahl der EU-Länder, wie auch durch den öffentlichen Druck vieler Nicht-Regierungsorganisationen, eine universale Erklärung der UNESCO über die kulturelle Vielfalt zustande. Da eine Erklärung keinen völkerrechtlich bindenden Status hat, wurde die UNESCO-Erklärung von 2001 nicht als ausreichendes Gegengewicht zur Vormachtstellung der WTO angesehen, die ihrerseits sowohl über legislative, d.h. regelstiftende, wie auch judikative und exekutive Machtpotentiale verfügt, ohne dass irgendeine Form von Gewaltenteilung auf dieser Ebene existiert. So hat die WTO das Recht über Verletzungen der von ihr selbst geschaffenen Regeln zu urteilen und Sanktionen gegen diejenigen Staaten zu verhängen und anzuwenden, die nach ihrer Auffassung gegen das Regelwerk der Welthandelsorganisation verstoßen. Wenn also ein wirkliches Gegengewicht zur Vormachtstellung der WTO im Bereich kultureller Güter und Dienstleistungen geschaffen werden soll, so bedarf es eines
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internationalen Rechtsinstrumentes, das bindenden Charakter hat, also eines Vertrages, eines Abkommens oder eines gleichwertigen Instrumentes. Aus diesem Grunde wurde nach langen und zeitweilig zähen Vorverhandlungen im Rahmen der UNESCO und unter Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen aus dem Kulturbereich das Projekt eines internationalen Vertrages über kulturelle Vielfalt von der Generalversammlung der UNESCO im Herbst 2003 beschlossen, das nun zur Verhandlung ansteht. Dieses Vertragsprojekt ist von entscheidender Bedeutung für die jeweilige Kulturpolitik der Staaten, für den kulturellen Austausch und für die Bedingungen kultureller Arbeit, sowohl im institutionellen als auch im nichtinstitutionellen Bereich. Damit dieses Projekt nicht dasselbe Schicksal ereilt, wie die UN-Menschenrechtscharta, die vielerorts mit Füßen getreten wird ist höchste Wachsamkeit geboten: Es geht um die künftigen Existenzbedingungen der Kultur, vor allem auch um die des künstlerischen Schaffens. Wenn nicht klar herausgearbeitet wird, welche Auswirkungen die fortschreitende Kommerzialisierung und die damit verbundene Unterwerfung der Kunst unter die Prinzipien der Warenwirtschaft auf die kulturellen Institutionen und die künstlerische Produktion hat, wenn die gesellschaftlichen und politischen Vermittlungsebenen, auf denen dieser Prozess läuft, nicht klar beschrieben und analysiert werden und aus einer solchen Analyse nicht ebenso klare Konsequenzen gezogen werden, wird dieser Vertrag nicht mehr als eine Sammlung wohltönender algebraischer Formeln sein, ein Potemkinsches Dorf der internationalen Kulturdiplomatie. Es liegt also im unmittelbaren Interesse aller im Kulturbereich Tätigen, eine kritische Analyse der jeweiligen nationalen und/oder lokalen Situation vorzunehmen und in einen vertieften Erfahrungsaustausch auf internationaler Ebene einzutreten, um durch gemeinsame Aktionen Einfluss auf die politischen Entscheidungsträger zu nehmen. Dass dies möglich ist, zeigen die Bemühungen der vornehmlich in Kanada und Frankreich entstandenen Wachsamkeitskomitees, die das Vertragsprojekt der UNESCO kritisch begleiten. In beiden Ländern hat sich die öffentliche Meinung für die Problematik der kulturellen Vielfalt in den beiden letzten Jahren stark sensibilisiert, der größte Teil der kulturellen Fachverbände, sowie die Gewerkschaften der Kulturschaffenden haben gemeinsame Positionen und politische Plattformen mit bemerkenswert präzisen Forderungen entwickelt.
Die in Frankreich seit Juni 2003 andauernden Auseinandersetzungen und sozialen Kämpfe im Bereich der darstellenden Künste, des Films und des Fernsehens zeigen deutlich die Brisanz der Problematik. Zum ersten Mal in der Geschichte des französischen Theaters hat eine beträchtliche Anzahl von Theaterleuten der Unterwerfung der Kunst unter die Prinzipien der Warenwirtschaft den offenen Kampf angesagt. Die aus den Auseinandersetzungen um die Arbeitslosenversicherung für kulturelle Zeitarbeiter entstandene Protestbewegung wird nicht nur von vielen Kulturschaffenden getragen, ob gewerkschaftlich organisiert oder nicht, auch zahlreiche Fach- und Berufsverbände haben sich ihr angeschlossen oder stehen ihren Zielen nah, so etwa die SACD (Gesellschaft der französischen Autoren und Komponisten im Bereich Bühne, Film und Fernsehen) und der SYNDEAC, der nationale französische Bühnenverband. Inzwischen greift diese Bewegung zunehmend auf andere westeuropäische Länder über, so etwa auf Italien und Belgien. Die soziale Bewegung der Künstler hat die Diskussion über die Problematik der Kommerzialisierung der Kunst und der Bedrohung der kulturellen Vielfalt erweitert und vertieft. Der wachsende Druck des internationalen Kapitals auf die Senkung der Arbeitslöhne und Lohnnebenkosten, die damit verbundene hohe Arbeitslosigkeit, die Finanzkrise der staatlichen Institutionen, der international konzertierte Abbau sozialstaatlicher Strukturen und der Rückzug des Staates aus seinen kulturellen Verpflichtungen wird in engem Zusammenhang mit der Globalisierungsproblematik begriffen und analysiert. Deshalb versteht sich die Bewegung der Kulturschaffenden zunehmend als Teilmoment derjenigen politischen Kräfte, die dem neoliberalen Umbau der westeuropäischen Gesellschaften Widerstand leisten, und vernetzt sich mit anderen sozialen Bewegungen. Da sich der Protest der französischen Kulturschaffenden sowohl an der Politik des Unternehmerverbandes MEDEF als auch an der Kulturpolitik der Regierung entzündet hat, entwickeln die Berufsbände der Kulturschaffenden ihre Positionen zu einem internationalen Vertrag über die kulturelle Vielfalt autonom, das heißt sie lassen sich nicht vorgängig durch Konzertierungspolitik und Oberflächenkonsens in die staatliche Kulturpolitik einbinden, geschweige denn für die Politik der Regierung Raffarin instrumentalisieren. Diese Haltung zwingt zur Präzision der eigenen Standpunkte; sie hat zudem den Vorteil, die anstehenden Probleme in den Verbänden und Gewerkschaften frei und kontrovers zu diskutieren, um dann die eigenen Analysen und Forderungen deutlich und scharf in die öffentliche politische
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Auseinandersetzung einzubringen. Die Klarheit der entsprechenden Positionspapiere zeugen von dem Vorteil einer solchen Vorgehensweise für die demokratische Willensbildung.*2* In Deutschland verläuft der Prozess anders. Der gesellschaftliche Widerstand gegen den Abbau des Sozialstaates ist im Unterschied zu Frankreich oder Italien zur Zeit zwar verhältnismäßig gering, das latente gesellschaftliche Protestpotiental ist jedoch nicht zu unterschätzen. Die allgemeine Stimmung in breiten Kreisen der Bevölkerung ist durch Ängste vor dem sozialen Abstieg, Politikverdruss und lähmende Hilflosigkeit angesichts fehlender gesellschaftlicher und politischer Alternativen geprägt. Die Gründe hierfür sind vielfältig. In diesem Zusammenhang können nur einige wenige benannt werden, die von unmittelbarer Relevanz für die kulturelle Problematik sind. Der weitaus größte Teil der Medien übt im Einklang mit den dominierenden politischen Parteien in ihrer Berichterstattung und Kommentaren erheblichen ideologischen Druck aus: der neoliberale Umbau der Gesellschaft wird als alternativlos und unausweichlich dargestellt; die Fetischisierung der angeblich naturwüchsigen Verhältnisse soll zum allgemein gültigen gesellschaftlichen Konsens gemacht werden. Eine Berichterstattung, die deutlich macht, dass diese international konzertierte Politik in Europa keineswegs widerstandslos akzeptiert wird, kann dabei nur stören. Und so braucht man sich nicht zu wundern, dass mit Ausnahme einschlägiger Publikationen globalisierungskritischer Bewegungen, eines Teils der Gewerkschaftspresse, und einiger kirchennaher Veröffentlichungen wenig über die gesellschaftlichen Widerstandsbewegungen in den Nachbarländern berichtet wird. Über den Protest der französischen Kulturschaffenden wurde so gut wie nicht informiert, wenn man einmal von den teilweise hämischen und oberflächlichen Artikeln über die Absage der Sommerfestivals absieht. Rühmliche Ausnahme waren die Artikel und die Dokumentation in „Theater der Zeit“. In der Tagespresse und den Medien jedenfalls wurde die Nachrichten über die Aktionen der französischen Theaterleute unterdrückt, die politischen Hintergründe, die zahlreichen Stellungnahmen der Künstler und Theaterleiter fanden in den Feuilletons und Kulturmagazinen so gut wie keine Beachtung. Die breite internationale Debatte über die Problematik der kulturellen Vielfalt hat in Deutschland keinen nennenswerten Niederschlag gefunden. Daran ändern auch die
Bemühungen des Deutschen Kulturrates und der ARD wenig. Wer liest "Politik und Kultur“ oder die Ausführungen von Fritz Pleitgen im „Jahrbuch der ARD“? – der gleichen ARD, die in ihren Nachrichten, Reportagen und Kommentaren wenig einschlägiges zum Thema zu bieten hat. Als Schwerpunkt von Fachtagungen hat sich die „kulturelle Vielfalt“ zwar etabliert, die Kulturschaffenden selber involvieren sich dabei eher selten, unter anderem auch deshalb, weil das Informationsdefizit recht groß ist. Es liegt an den Theaterleuten selbst, dies zu ändern. Schon aus diesem Grund scheint die Einrichtung eines Informations- und Diskussionsforums im Rahmen des deutschen I.T.I. dringlich geboten zu sein. Ein Charakteristikum der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft im Vergleich zu den westeuropäischen Nachbarländern war die vorherrschend konsensuelle Bewältigung der Probleme und Widersprüche, die aus der unterschiedlichen Interessenlage der gesellschaftlichen Klassen und Schichten resultierten. Diese konsensuelle Grundtendenz ergab sich aus der besonderen Situation des Bundesrepublik in der wirtschaftlichen Aufschwungsphase der fünfziger und sechziger Jahre und in der Zeit des kalten Krieges, in der die Unternehmerseite aus ökonomischen wie politischen Gründen zu weitgehenden Konzessionen bereit war, um soziale Konflikte zu vermeiden und das westdeutsche Modell des „rheinischen Kapitalismus“ attraktiv zu machen. Die Volksparteien, der deutsche Sozialstaat, die weitgehend in die Konsenspolitik eingebundene Gewerkschaftsbewegung wie auch die großzügige staatliche Förderungen der Kultur waren Markenzeichen dieses Modells. Spätestens seit dem Ende des Kalten Krieges und der deutschen Einigung sind jedoch die historischen Voraussetzungen für ein solches Modell nicht mehr gegeben. Die Politik der konsensuellen Konfliktbewältigung ist von der Unternehmerseite längst aufgekündigt worden, die sich anbahnenden Gesellschaftskonflikte werden in der immer noch konsensuell geprägten Öffentlichkeit als Zerfall der allgemeinen gesellschaftlichen Interessen in Partikularinteressen wahrgenommen. Die historisch bedingte konsensuelle Wahrnehmung und die entsprechenden Prozesse der Entscheidungsfindung stoßen heute an ihre Grenzen. Die Instrumentalisierung der Konsensideologe für den neoliberalen Umbau der Gesellschaft fällt den politischen Akteuren immer schwerer. Dafür zeugen die augenblicklichen Spannungen innerhalb der Sozialdemokratie und die Schwierigkeit des DGB, sich auf eine klare Haltung gegenüber den Reformprojekten der Regierungen zu einigen. Konsens hin oder her: die Gesellschaft war und ist eine Klassengesellschaft, wenn auch eine äußerst
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differenzierte. Dieselbe konsensuelle Orientierung, die in der Vergangenheit als erfolgreicher Garant für eine weitgehend befriedete Wohlstandsgesellschaft angesehen wurde, erweist sich nun als lähmend. Die historischen Bedingungen für die bestehenden Klassenkompromisse lösen sich auf, zugleich wird immer noch so getan, als existierten sie. Erst langsam setzt sich die lange verdrängte Erkenntnis durch, dass man zur Erreichung politischer und gesellschaftlicher Ziele kämpfen muss und dass der Dissens ebenfalls unabdingbares Grundelement demokratischer Willensbildung ist. Von dieser Erkenntnis wird auch das Theater nicht verschont, zumal es seit zweitausendfünfhundert Jahren die Krise selbst zum Inhalt hat. Das Bewusstsein, dass der seit mindestens 10 Jahren anhaltende ökonomische und politische Druck auf das System der öffentlichen Theater Deutschlands nicht nur eine nationale, sondern auch eine internationale Dimension hat, ist bislang sowohl in den Gremien, Berufs- und Fachverbänden des deutschen Theaters, als auch in den Theatern selbst nur begrenzt wahrgenommen worden. Vorherrschend war die Ansicht, dass das System des deutschen Stadt- und Staatstheaters mit den Theatersystemen der westeuropäischen Nachbarländer strukturell nicht vergleichbar ist, und dass trotz aller finanzieller Bedrängnisse der letzten Jahre, die „blühende deutsche Theaterlandschaft“ mit ihren künstlerischen Großbetrieben eine privilegierte Schutzzone darstellt. Dass eine solche Sicht der Dinge, die überdies andere Konstituenten der deutschen Theaterlandschaft wie etwa die freie Szene weitgehend ausblendet, der Wirklichkeit nicht standhält, ist seit der Schließung des Berliner Schillertheaters zwar allmählich begriffen worden, eine umfassende kritische Analyse der Entwicklung ist jedoch nur ansatzweise geleistet. Aus diesem Grunde werden auch die übergreifenden internationalen Tendenzen nur verschwommen wahrgenommen; in der aktuellen Diskussion wurde bislang nicht klar herausgearbeitet, über welche Vermittlungsebenen und -instanzen die internationale Entwicklung mit der deutschen verbunden ist. Erst wenn eine umfassende Analyse dieses Vermittlungsbereichs vorliegt, können die nationalen Spezifika in genauer Relation mit der internationalen Entwicklung wahrgenommen werden. Eine solche Arbeit muss geleistet werden, wenn man ernsthaft an der internationalen Diskussion teilnehmen will. Es gilt dabei auch eine gewisse Nationalboniertheit zu überwinden, die ja keineswegs eine Besonderheit des deutschen Kulturbetriebs, sondern ein europäische Plage ist. Angesichts der Sachlage wundert es nicht, dass deutsche Theaterleute bei den zahlreichen internationalen Treffen zum Thema der kulturellen Vielfalt bislang nur wenig aktiv
waren. Was hätten sie auch sagen können? Die notwendigen Hausaufgaben sind noch nicht gemacht. Daraus ergibt sich die unmittelbare Notwendigkeit, dies baldigst zu tun. Erst dann können die kulturpolitischen Analysen und Plattformen, die in anderen Ländern erarbeitet wurden, als Vorarbeiten für eigene politische Stellungnahmen verwendet werden. Die Politik der Gremien-, Berufs und Fachverbände des deutschen Theaters ist immer noch stark von den bereits erwähnten konsensuellen Verhaltensweisen geprägt, vor allem gegenüber der staatlichen und kommunalen Kulturpolitik. Dies hängt zumindest teilweise damit zusammen, dass die öffentlichen Theaterinstitutionen, soweit sie Regiebetriebe sind, selbst staatliche Institutionen sind, und, falls sie in GmbHs umgewandelt wurden, von staatlichen oder kommunalen Trägern, die als Hauptgesellschafter fungieren, in hohem Maße abhängig sind. In dieser Hinsicht ist das deutsche Theatersystem viel stärker in die staatliche Kulturpolitik eingebunden, als in anderen Ländern, in denen das Compagnie-System überwiegt und der Staat ungleich weniger öffentliche Theater unterhält. Durch das föderale System ist die Natur dieser Einbindung außerordentlich komplex. Neben diesem strukturellen Grund steht die allgemeine konsensuelle Ausrichtung der politischen Verhaltensweisen. Oft wird nach einem Konsens gesucht, bevor man überhaupt einen autonomen Standpunkt eingenommen und eventuelle Konflikte ausgetragen hat. Im Falle des internationalen Vertrags über kulturelle Vielfalt, könnte sich diese Haltung als fatal erweisen, da die Position der verantwortlichen staatlichen Stellen in dieser Angelegenheit alles andere als klar ist. Umso dringlicher ist deshalb die Erarbeitung eigenständiger Positionen. Nur so ist der Anschluss an die internationale Diskussion möglich. In dieser Hinsicht können wir von den Kulturschaffenden anderer Länder lernen. Auf alle Fälle ist in der jetzigen Krisensituation notwendig, die eigenen Fähigkeit zum Austragen von Konflikten zu verstärken. Die gegenwärtige Stimmung der Theaterschaffenden ist von starken Ängsten geprägt. Man schließt die Augen, aus Angst vor den anstehenden fundamentalen gesellschaftlichen Konflikten, die vor dem Theater nicht haltmachen. Auch dies mag ein Grund sein, weshalb die Brisanz der Globalisierungsproblematik für die Lage des Theaters nur wenig wahrgenommen wird. Zwar bleibt es unbenommen, dass die darstellenden Künste, die gegenwärtige gesellschaftliche Lage, – auch die des Theaters, in Freiheit ästhetisch artikulieren und thematisieren, – ob zu viel oder zu
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wenig, ob gut oder schlecht, steht hier nicht zur Debatte. Das reale politische Handeln der Theaterschaffenden ist jedoch viel zu oft von derselben ängstlichen Hilflosigkeit geprägt, wie das der übrigen gesellschaftlicher Gruppen, die von massiven ökonomischen und sozialen Veränderungen betroffen sind. Warum sollte es auch anders sein? Viele Theaterleiter bangen um den Erhalt ihrer Theater. Andere bangen um ihren Arbeitsplatz und sind bereit, zur Sicherung ihrer materiellen Existenz Kröten zu schlucken, die sie aus Verantwortung gegenüber ihrem Beruf eigentlich nicht schlucken dürften. Andere wiederum, die sogenannten „Freiberufler“, die künstlerischen Zeitarbeiter, deren Zahl immer größer wird, sind auf Grund ihrer prekären Beschäftigungssituation oft noch verwundbarer. Und die ebenfalls wachsende Schar arbeitsloser Theaterleute jedweden Alters, Qualifikation oder Berufserfahrung starrt ratlos auf die immer näher rückende Reform der Arbeitslosenversicherung, die sie sang- und klanglos in einen anderen Beruf zwingt oder zur Sozialhilfe verdonnert. Man schimpft hinter vorgehaltener Hand, man gibt sich „notcool“, man hat jedoch selten den Mut, öffentlich und autonom seine Kritik zu artikulieren, weil man sonst den Eindruck konsensueller Unbotmäßigkeit erwecken würde. Diese Ängste sind unproduktiv und lähmen. Die Probleme, die mit der Bedrohung der kulturellen Vielfalt verbunden sind, betreffen alle Theaterleute und müssen aktiv angegangen werden. Das Informations- und Diskussionsforum des ITI muss deshalb offen sein für alle Theaterschaffenden. Die Diskussion muss frei, transparent und kontrovers verlaufen können. Dissens wie Konsens müssen als unabdingbare Elemente demokratischer Willensbildung verstanden werden. Notwendig ist die Herausbildung eines autonomen Standpunktes der Theaterleute, sowie der anderen Kulturschaffenden. Nur von einem solchen Standpunkt aus, – der im übrigen nicht notwendigerweise interessenborniert ist –, können klare Forderungen an die Politik gestellt werden. Die Haltung der Bundesregierung zum Thema kulturelle Vielfalt ist, wie bereits gesagt, alles andere als eindeutig. Einerseits hat sie sich der Initiative der französischen Regierung angeschlossen und befürwortet einen UNESCO-Vertrag zur Bewahrung der kulturellen Vielfalt unter Verweis auf grundsätzliche Wertvorstellung. So schreibt etwa Wilfried Grolig, Leiter der Kultur- und Bildungsabteilung des Auswärtigen Amtes: „Kulturelle Vielfalt ist Ausdruck eines demokratischen Pluralismus und Quelle von Denk- und Handlungsoptionen, die
menschliche Freiheit erst ermöglichen. Das auszuarbeitende Rechtsinstrument sollte daher im wesentlichen die kulturpolitische Verantwortung des Staates und damit die Legitimität der zu ihrer Umsetzung erforderlichen legislativen, regulatorischen und finanziellen Steuerungsinstrumente festschreiben.“*3* Grolig betont nachdrücklich die kulturelle Verantwortung des Staates ein. Zugleich aber gießt er reichlich Wasser in den Wein: „Ein UNESCO-Abkommen (...) darf jedoch nicht Berufungsgrundlage eines staatlichen Dirigismus werden, der gegen die freie Zirkulation von Ideen und kulturellen Erzeugnissen interveniert und unangemessene protektionistische Maßnahmen legitimiert.“*4* Dass bei der freien Zirkulation von Ideen und Erzeugnissen in marktwirtschaftlichen Kategorien gedacht wird, die einem wie auch immer gearteten staatlichen Dirigismus entgegengestellt werden, letztlich in Kategorien der Warenwirtschaft gedacht wird, geht aus der folgenden Argumentation Groligs hervor: „Auch in politisch sensiblen Bereichen wie Kultur und Bildung, die nach unserem demokratischen Verständnis nicht dem Spiel der Marktkräfte allein*5* überlassen werden können, erweisen sich erhöhter Wettbewerb und die Anwendung marktwirtschaftlich erprobter Instrumente zur Messung von Effizienz und Erfolg als sinnvoll. Die Verbesserung der Kosten- Nutzen-Relation und eine gewichtende Analyse von Angebot und Nachfrage sind gerade dort notwendig, wo mit knappen Ressourcen – zu denen die öffentlichen Mittel bekanntlich zählen – möglichst viel erreicht werden soll." Damit wird der eigentliche Begründungszusammenhang für die Notwendigkeit eines internationalen Vertrags über kulturelle Vielfalt gleich wieder außer Kraft gesetzt. Die Schaffung eines internationalen Rechtsinstruments, dass als Gegengewicht zum GATS-Abkommen wirksam sein soll, muss ja einen spezifischen kulturellen Angang, des Problems enthalten, weil gerade die Unterwerfung der Kultur unter die Warenwirtschaft Angelpunkt des Problems ist. Es geht darum, dass die WTO nicht die Spielregeln für die Produktion und den Austausch kultureller Güter und Dienstleistungen bestimmt, weil sie ausschließlich als Handelsgüter definiert, was sie ihrer Natur nach nicht sind. Was nützt zudem ein UNESCO-Vertrag, wenn die Einzelstaaten, die einen solchen Vertrag in die Wege leiten wollen, sich gleichzeitig immer mehr aus ihrer kulturellen Verantwortung zurückziehen und das kulturelle Schaffen fortschreitend den Prinzipien des Marktes unterwerfen wollen? Unter diesen Voraussetzungen ist der Vertrag ein Potemkinsches Dorf. Die implizite Gleichsetzung von freier Zirkulation von Ideen und Erzeugnissen mit der freien Warenzirkulation, die aus dem Arsenal der neoliberalen Ideologie stammt, kann durch drastische Beispiele schnell wiederlegt werden. Herr Grolig bräuchte sich nur
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in eine beliebige Videothek in einer beliebigen deutschen Stadt zu begeben: Dort hat die Freiheit der Zirkulation audiovisueller Waren längst zu einem Angebot von erschreckender Gleichförmigkeit und miesester Qualität geführt, ganz abgesehen von der Tatsache, dass dieser Markt fast ausschließlich von US-Produkten dominiert wird. Hingegen ist die freie Zirkulation von Ideen und kulturellen Gütern die nicht der Fremdbestimmung der Gewinnmaximierung unterworfen ist, eine Grundvoraussetzung für das Entstehen einer internationalen Kulturarbeit, die sich durch ihre Inhalte bestimmt. Dass eine solche Arbeit trotz vieler Widrigkeiten möglich ist und getan wird, davon zeugen nicht zuletzt die Biographien vieler Kulturschaffenden. Durch die Verwässerung des Grundanliegens ist es schließlich nicht mehr klar, wieso die WTO eigentlich nicht die Spielregeln bestimmen soll. Gegenüber den Befürwortern des UNESCO-Vertrages, die befürchten, dass die „economy of scale“ und die Wirtschaftlichkeit kreatives Potential in der Kultur ersticken könnten, vermerkt Grolig, dass es auf die Frage, welche Auswirkungen die GATS-Verhandlungen auf die deutsche Kultur- und Bildungslandschaft und auf die globale Entwicklung der kulturellen Vielfalt haben werden, keine verbindliche Antwort gäbe. „Mit Verweis auf die Flexibilität des GATS, das staatliche Initiativrecht für Liberalisierungsangebote und die aktuelle Haltung der die Verhandlung führenden EU-Kommission werden mögliche Auswirkungen zur Zeit überwiegend verneint." Mit dieser Behauptung kommt Herr Grolig den Kollegen des Bundeswirtschaftsministeriums entgegen, die Liberalisierung der kulturellen Güter und Dienstleistungen durchaus befürworten. Zugleich werden die Mechanismen der WTO entschieden verharmlost. Gerade die Flexibilität des GATS ist seine Stärke: die Geschmeidigkeit des Abkommens ist so angelegt, dass eine fortschreitende Liberalisierung ermöglicht wird.*6* Die in einer Verhandlungsrunde erzielten Ausnahmen vom Abkommen, sind in der nächsten Runde wieder Verhandlungsgegenstand. Abgesehen davon liegen empirische Untersuchungen zu den negativen Auswirkungen der Liberalisierung bereits vor.*7* Die möglichen Auswirkungen auf Deutschland sind deshalb nicht ersichtlich, weil die notwendige analytische Arbeit nur ansatzweise geleistet wurde. Als kärglicher Restbestand der Argumentation zugunsten des UNESCO-Vertrags bleibt der Erhalt der staatlichen Souveränität: „Über das Modell der Steuerung unserer nationalen Kultur- und Bildungsangebote sollte nicht im Rahmen eines
Handelsabkommens entschieden werden.“*8* Ansonsten soll versucht werden, einen Kompromiss mit dem GATS zu finden: „Es wird in der künftigen Debatte auf eine angemessene Abwägung zwischen dem Schützen und Bewahren gewachsener Strukturen der kulturellen Vielfalt einerseits und der Öffnung und Erleichterung des Austauschs in dem vom GATS angestrebten Sinne andererseits ankommen.“ Mit dieser Formulierung hält sich die Bundesregierung jede Option offen, d.h. auch die fortschreitende Übernahme marktwirtschaftlicher Prinzipien in die eigene Kulturpolitik. Bei einer derart reduzierten Positionsbestimmung kann man noch nicht einmal von einem Spagat der Bundesregierung zwischen den Liberalisierungsbestrebungen des GATS einerseits und dem Schützen und Bewahren der kulturellen Vielfalt andererseits sprechen. Entscheidend ist, dass die Bundesregierung die Kulturpolitik unter ökonomischem Primat sieht, was wiederum der Politik der WTO entspricht. Warum also ein internationaler Vertrag über kulturelle Vielfalt? Die Antwort ergibt sich vielleicht aus der gemeinsamen Erklärung des französischen Kulturminister Jean-Jacques Aillagon und der Staatsministerin Christina Weiss: "...Jean-Jacques Aillagon und Christina Weiss... wünschen in dem Bewusstsein der Gefahren, die auf internationaler Ebene für die Vielfalt kultureller Inhalte bestehen, dass die Globalisierung in rechtlich geordneter Form die Förderung eines pluralistischen Kulturangebots und ein harmonisches Wachstum der Kulturindustrien ermöglicht und zur Sicherstellung des Medienpluralismus beiträgt“*9* Es geht in erste Linie um den Schutz der heimischen Kulturindustrien und nicht unbedingt um den Schutz der Kultur und der Kulturschaffenden. Auch hier wird letztlich wieder das Primat der Ökonomie sichtbar. Es geht in Deutschland zunächst einmal um eine kritische Bestandsaufnahme der nationalen Situation durch die Kulturschaffenden und ihre Organisationen, d.h. in diesem Falle um die Situation des Theaters. Erst dann kann eine Einschätzung der Auswirkungen des Liberalisierungsprozesses auf die Theaterlandschaft erfolgen. Eine Arbeitsgruppe im Rahmen des ITI könnte hier initiativ werden, wobei allerdings klar sein muss, dass dieser Rahmen für die Diskussion der anstehenden Probleme zu klein ist. Die Arbeit muss von den anderen Gremien und Gruppierungen des deutschen Theaters mitgetragen werden und mit den entsprechenden Arbeiten anderer kultureller Bereiche vernetzt werden. Das erste Ziel einer solchen Arbeit müsste die Herausbildung einer selbstständigen Position und die Erarbeitung einer möglichst breiten politischen Plattform sein, die
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derjenigen der französischen und kanadischen Kollegen entspricht. Mittelfristiges Ziel sollte die Konstituierung eines deutschen Wachsamkeitskomitees sein, das auf die nationale politische Entscheidungsfindung Einfluss nehmen kann. Der deutschen Sektion des ITI kommt hierbei eine Sonderstellung zu: Das internationale Theaterinstitut ist als Nichtregierungsorganisation der UNESCO angegliedert. Erst wenn es zu einer vertieften Meinungsbildung und zu klaren Positionen innerhalb des deutschen Theaters kommt, kann die deutsche Sektion des ITI mit Fug und Recht diese Positionen auf den internationalen Foren und Arbeitstreffen der Organisation vertreten und im Rahmen der UNESCO zu Gehör bringen. Auf diese Art und Weise würde das ITI seiner Aufgabe gerecht, eine kulturpolitische Schaltstelle zwischen der nationalen und der internationalen Theaterszene zu bilden. Auf keinen Fall darf eine solche Arbeitsgruppe zum bloßen Debattierklub verkommen. Sie sollte vielmehr klare politische Ziel verfolgen. Die Zeit drängt. Die Verhandlungsmechanismen der WTO folgen einem ausgeklügelten Zeitplan, der mit den großen Wirtschaftsmächten abgesprochen ist. Die Schwerfälligkeit der UNESCO und die widersprüchliche Politik der Einzelstaaten, die für die Schaffung eines internationalen Rechtsinstruments zum Schutz und zur Förderung der kulturellen Vielfalt eintreten, lassen durchaus befürchten, dass die WTO die Verspätung wieder aufholt, die durch das Scheitern der Konferenz von Cancún entstand, und dass der internationale Vertrag über die kulturelle Vielfalt, zu spät zustande kommt. Aus diesen Gründen wird die Arbeitsgruppe, falls sie sich konstituiert, unter erheblichem Zeitdruck stehen. Die Problemfelder, mit denen sich die Arbeitsgruppe beschäftigen müsste, können hier nur grob umrissen werden. Die folgenden Ausführungen sollten als Anregung für die Diskussion und als Arbeitsvorschläge begriffen werden. Im begrenzten Rahmen dieses Artikels können sie nur verhältnismäßig abstrakt formuliert werden, um einige allgemeine Charakteristika der Probleme aufzuzeigen. Die Diskussion muss jedoch möglichst konkret geführt werden.
1- Die Problematik des Warencharakters von kulturellen
Gütern und Dienstleistungen
Zentraler Punkt der Verhandlungen ist die inhaltliche Bestimmung des besonderen Charakters und Status der Kultur. Nur eine solche Bestimmung rechtfertigt einen
internationalen Vertrag über die kulturelle Vielfalt. Zwei grundsätzliche Standpunkte stehen sich hier diametral gegenüber. Der erste Standpunkt, den man als reformkapitalistisch bezeichnen könnte, sieht kulturelle Güter und Dienstleistungen als Waren besonderer Natur an und versucht über die Erstellung von Merkmallisten und -taxonomien ihren Sondercharakter zu erfassen.*10* Die Erstellung solcher Merkmallisten, mit denen man den kulturellen Waren einen Sonderstatus zuweisen will, erweist sich jedoch als höchst problematisch, da die Vergleichskriterien zu anderen Warenkategorien ebenfalls der Warenökonomie entstammen. Diese Kriterien sind jedoch für eine inhaltliche Definition kultureller Güter und Dienstleistungen unbrauchbar, da sie sich ausschließlich warenökonomisch definieren und somit kulturelle Produkte und Tätigkeiten nur in Warenform erfassen. Schon die Begriffe „kulturelle Güter“ und „kulturelle Dienstleistung“ entstammen ja der Warenökonomie und werden dem eigentlichen Wesen künstlerischer Arbeit, kultureller Ausdrucksformen und Inhalte in keinster Weise gerecht. Mit einer Definition kultureller Produkte und künstlerischer Tätigkeiten als „Sonderwaren“ kann man zwar die regionale oder nationale Kulturindustrie gegen die Übermacht der Großkonzerne der Kulturindustrie schützen, aber nicht generell Kunst und Kultur. Allerdings können auf diese Weise politische Plattformen entstehen, die Regierungen, nationale Kulturindustrien und Kulturschaffende einigen. Solche Bündnisse können jedoch nur taktischer Natur sein, da die Interessen der nationalen Kulturindustrien vorrangig warenökomisch sind und für die Regierungen zur Zeit ebenfalls der Schutz der heimischen Kulturindustrien im Vordergrund steht. Sie entsprechen, wenn überhaupt, nur sehr bedingt den Interessen, die sich aus den Merkmalen und Eigenschaften künstlerischer Arbeit und künstlerischer Produktion ergeben. Deswegen kann ein Bündnis der Kulturschaffenden mit der heimischen Kulturindustrie nur ein sehr begrenztes Zweckbündnis sein. Die Definition von kulturellen Gütern und Dienstleistungen als Bereich von „Sonderwaren“ steht letztlich wiederum unter dem Primat der Warenökonomie und liefern deshalb keinen hinreichenden Grund die Kultur dem Kompetenzbereich der WTO zu entziehen. Dies wiederum schwächt die Stellung der UNESCO gegenüber der WTO und dem GATS. Abgesehen davon ist die zu beobachtende Standardisierung und Uniformisierung kultureller Produkte Resultat des Eindringens der Warenwirtschaft per se in den kulturellen Bereich. Die Konzentration und Monopolisierung innerhalb der Kulturindustrie verschärft nur diesen Prozess.
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Der zweite Standpunkt ist eher kapitalismus- und kulturkritisch orientiert. Er setzt sich für die Gestaltung des künftigen Vertrages über einen autonomen Ansatz ein, in denen kulturelle Tätigkeiten nicht durch warenwirtschaftliche Kategorien definiert werden. Dabei geht er von der Grundvoraussetzung aus, dass sich das Wesen kultureller Tätigkeit und Produktion den Kategorien der Warenökonomie entzieht. Dieser Standpunkt wird zur Zeit im wesentlichen von den Kulturschaffenden selbst artikuliert. Als Beispiel seien hier die Stellungnahmen der französischen und mexikanischen Theaterschaffenden genannt.*11* Ein solcher Ansatz, der sich in abgemilderter Form im Positionspapier des französischen Wachsamkeitskomitees niederschlägt, hat den politischen Vorteil einer klaren Argumentation hinsichtlich der Inkompetenz der WTO in kulturellen Fragen, diese Argumentation führt weiter als der letztlich defensive Rekurs auf die einzelstaatliche Souveränität im Bereich der Kulturpolitik. Es ist allerdings unbestritten, dass kulturelle und insbesondere künstlerische Tätigkeiten und Produkte innerhalb des Kapitalismus Warenform haben und dass das Verhältnis ihres Inhalts und Wesens zur Warenform höchst widersprüchlicher Natur ist. Es ist gleichfalls unbestritten, dass die Warenform wiederum auf die Inhalte kultureller Tätigkeiten und Produkte zurückwirkt. Die Sprengkraft dieser Probleme ist zur Zeit in den kulturpolitischen Auseinandersetzungen insbesondere in Frankreich außerordentlich wirksam. In Deutschland hat die theoretische Analyse dieser Problematik eine lange Tradition. Man denke nur an die Arbeiten der Frankfurter Schule und die theoretischen Diskussionen der frühen 70er Jahre. Allerdings hat man sich nur selten aus dem kulturkritischen Theoriehimmel in die Niederungen der Praxis hinabgelassen. Die jetzige Situation erzwingt eine klare praktische Haltung in diesen Fragen: in absehbarer Zeit soll der Status der Kultur und der Kunst in eine weltweit gültige Rechtsnorm eingeschrieben werden. Im deutschen Theater ging man auf Grund der Existenz eines starken Systems hochsubventionierter öffentlicher Theaterbetriebe lange davon aus, dass zumindest dieser Bereich aus der Warenwirtschaft ausgegrenzt ist. Dies war jedoch nie vollständig der Fall. Gerade die Existenz künstlerischer Großbetriebe hat seit langem Marktstrukturen hervorgebracht, dies gilt vor allem für den Arbeitsmarkt des künstlerischen und technischen Personals und für den Markt der Theaterliteratur. Die Finanzkrise der öffentlichen Hand und der gesellschaftliche Wandel zu einem erheblichen Druck auf die künstlerischen Märkte geführt: immer stärker werden warenwirtschaftliche
Kriterien zur Beurteilung und Förderung künstlerischer Arbeit und Produkte verwendet. In diesem Zusammenhang wäre zu untersuchen, in welchen Kategorien und nach welchen Kriterien sich der Marktwert der künstlerischen Arbeit und ihrer Produkte bestimmt und welche Instanzen, Gruppierungen und Funktionsträger solche Bestimmungen vornehmen. Die gesellschaftliche Entwicklung hat überdies dazu geführt, dass das die ideologische Legitimation des Theaters ins Wanken geraten ist. Auch hier spielen zunehmend warenökonomische Kategorien eine Rolle, ob nun das Theater als „öffentlicher Dienstleistungsbetrieb“ oder als „weicher Standortfaktor“ definiert wird, oder gar Theater als Teil der Unterhaltungsindustrie gesehen wird. Beachtenswert ist, dass diese Entwicklung von den Theaterschaffenden weitgehend hingenommen wird, zugleich aber das eigene Selbstverständnis und die konkrete Erfahrung der Theaterpraxis durchaus im Widerspruch zu ihr stehen. Wer sich einen distanzierten Blick auf die deutschen Verhältnisse bewahrt hat, kann sich über die schafsmäßige Erduldung dieses Zustands nur wundern.
2- Analyse der Stellung und Struktur der deutschen
Kulturindustrie
Die Problematik des Warencharakters kultureller Tätigkeiten und Produkte ist eng mit der Existenz von Kulturindustrien verbunden. Generell wird abzuklären sein, in wie weit der Schutz der heimischen Kulturindustrie den Schutz künstlerischer Tätigkeit und Produkte impliziert, bzw. ob er überhaupt die Künstler schützt. Die Funktionsweise und die Struktur dieser Industrien und ihr kulturelles und ökomisches Gewicht in Deutschland müssen deshalb möglichst genau erfasst werden. Diese Arbeit ist vom Theaterbereich aus natürlich nicht zu leisten. Deshalb ist es von vornherein notwendig, die Tätigkeit der Arbeitsgruppe mit anderen Institutionen und Gruppierungen, die sich mit der Thematik befassen, zu vernetzen. Eine Zusammenarbeit mit dem deutschen Kulturrat wie auch mit anderen Gremien, die diesbezügliche Informationen und Analysen zentral erfassen, ist unbedingt notwendig. Eine wesentliche Frage ist die Stellung der deutschen Kulturindustrie zu dem Projekt eines internationalen Vertrages über die kulturelle Vielfalt. Sie ist entscheidend für die Bestimmung derjenigen gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse, die auf die politischen Entscheidungen der Bundesregierung einwirken. Dabei spielt die Frage, welchen Status und welches Gewicht die Institutionen öffentlichen Rechts
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innerhalb der Kulturindustrie haben. Die Tatsache, dass die öffentlich rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten immer stärker unter ökomischen und politischen Druck geraten, schlägt sich in den Stellungnahmen des WDR-Intendanten und Vizepräsidenten der Union Europäischer Rundfunkanstalten Fritz Pleitgen nieder, der die Schaffung eines Gegengewichts zum GATS in Form eines UNESCO-Vertrags über kulturelle Vielfalt ausdrücklich unterstützt und zusammen mit dem Deutschen Kulturrat und der Heinrich-Böll-Stiftung die Erklärung von Cancún unterzeichnet hat.*12* Die ARD ist im übrigen dem globalen Netzwerk von Nichtregierungsorganisationen „International Network for Cultural Diversity“, das die Schaffung des UNESCO-Vertrags unterstützt und begleitet, beigetreten. Die Organisationen und Berufsverbände des deutschen Theaters wären gut beraten, das Gleiche zu tun. Auf jeden Fall muss von Seiten des Theaters die Argumentation der ARD, des Deutschen Kulturrates und der Heinrich Böll genau geprüft und eine eigenständige Position erarbeitet werden, die es ermöglicht als gleichwertige Partner in die deutsche Diskussion einzusteigen. Das spezifische System öffentlicher Theater in Deutschland trägt selbst kulturindustrielle Züge. Zum einen sind die künstlerischen Produzenten, ob als fest Angestellte oder als Zeitarbeiter, von ihren Produktionsmitteln getrennt. Die Strukturen der Theater mit ihrer höchst differenzierten Arbeitsteiligkeit und ihrem hohen Produktausstoß sind der industriellen Produktion durchaus verwandt. Dies unterscheidet das deutsche Theatersystem wesentlich von den meisten anderen Theaterstrukturen in Europa und in der Welt, in denen der Produktionsprozess eher handwerklich organisiert ist. Unter der Annahme, dass der konkrete künstlerische Arbeitsprozess im Theater immer noch handwerklich orientiert ist, muss man sich fragen, welche spezifischen Antinomien und Widersprüche entstehen, wenn einem handwerklich orientierten Produktionsprozess quasi-industrielle Produktionsformen aufgestülpt werden. Von aufmerksamen ausländischen Beobachtern der deutschen Theaterszene wird diese Frage immer wieder gestellt. Es wäre an der Zeit, dass man dies auch in Deutschland tut. Zahlreiche deutsche Theater sind künstlerische Großbetriebe, die zunehmend unter das Primat der Marktökonomie geraten. Dies gilt sowohl für die Rationalisierung der Produktionsabläufe und für Marketingstrategien, wie für die Natur der Beschäftigungsverhältnisse. Auch hier kann nicht unbedingt von einer Identität der Interessen der Produktionsapparate mit den Interessen der Produzenten
ausgegangen werden. Vor der Diskussion dieser Themen scheut man aus ideologischen wie aus Opportunitätsgründen zurück. Angesichts der Bedrohungen, die sich aus der gegenwärtigen Krise für die Gesamtheit der deutschen Theater ergeben, wird sie jedoch unvermeidbar sein. Auf internationaler Ebene wird die Frage des Verhältnisses von Theater und Kulturindustrie jedenfalls offen und kontrovers geführt.
3- Status, Schutz und Förderung der künstlerischen
Produzenten
Das Projekt eines internationalen Vertrages über kulturelle Vielfalt sieht ausdrückliche eine Einbeziehung des Schutzes und der Förderung der Kunstschaffenden vor. Dies erfordert eine möglichst genaue Bestandsaufnahme und Analyse der Beschäftigungssituation und sozialen Lage der Künstler in Deutschland vor. Es ist geradezu skandalös, dass zu diesem Bereich bislang kaum gesichertes Datenmaterial vorliegt. In ihrer Antwort vom 17. Dezember 2003 auf die große Anfrage der Bundestagsabgeordneten Neumann, Noole, Blank und anderer gab die Bundesregierung ihr Informationsdefizit in dieser Angelegenheit zu.*13* Sie verwies auf die im September 2003 eingesetzte Enquête-Kommission, die sich am 13. September 2003 konstituiert hat. Bislang sind jedoch keine Daten bekannt. Im Theaterbereich kommt es durch Abbau der Festengagements im Zuge der Sparpolitik und durch die fortschreitende Präkarisierung der Arbeitsverhältnisse zu einer wachsenden Zahl von Arbeitslosen. Die rapide Zunahme von Gastverträgen, die an die Stelle fester Verträge treten, lässt die Zahl der künstlerischen Zeitarbeiter immer schneller wachsen. Das soziale Sicherungssystem der Arbeitslosenversicherung fußt jedoch auf festen Verträgen. Viele Theaterleute, die heute „frei“ arbeiten, erschöpfen in den beschäftigungsfreien Zeiten ihre Versicherungsansprüche aus ihrer Anstellung im Festengagement, um ihren Beruf weiter ausüben zu können. Danach wursteln sie mit Arbeitslosenhilfe weiter. Auf diese Art und Weise wird das Arbeitsamt zum unfreiwilligen Mäzen der Theaterkunst. Und ein großer Teil der Theaterschaffenden, derjenige, der immer „frei“ gearbeitet hat, kommt gar nicht in den Genuss der Arbeitslosenversicherung. Welche Auswirkungen die gegenwärtigen Reformen des Arbeitsmarkts auf die Situation der Theaterschaffenden hat, lässt sich auf Grund der miserablen Informationslage kaum eruieren. Warum eventuell vorhandenes Zahlenmaterial der ZBF oder des Deutschen Bühnenvereins nicht einer breiteren Öffentlichkeit
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zugänglich gemacht wird, ist ebenfalls der Nachfrage wert. Auch die gewerkschaftlichen Vertretungen der Theaterschaffenden sind in dieser Hinsicht nicht besonders aktiv. Spätestens nach Inkrafttreten der Reform Harz IV ab Januar 2005 wird es voraussichtlich zu einer Situation kommen, in der ein großer Teil der Theaterleute endgültig aus dem Beruf gedrängt wird. Wie viele es sein werden, bleibt zur Zeit im Dunkeln. In Frankreich ist durch die Konflikte des letzten Jahres inzwischen klar geworden, dass ungefähr die Hälfte der Theaterschaffenden aus dem Beruf gedrängt werden, und dies bei einem speziellen Versicherungssystem, dass auf prekäre Beschäftigungs-verhältnisse bereits zugeschnitten ist. Die Auswirkungen dieser Entwicklung auf das System der öffentlichen Theater in Frankreich können deshalb bereits beschrieben werden. In Deutschland ist dies nicht der Fall. Die soziale Sicherung und der Schutz der Theaterschaffenden ist ein dringliches Thema, das in der augenblicklichen Diskussion viel zu kurz kommt. Es wäre ausgesprochen peinlich, wenn die Vertreter des deutschen Theaters in der internationalen Diskussion auf präzise Fragen der ausländischen Kollegen mit vagen Ausführungen antworten müssten, und noch peinlicher wenn in dieser Hinsicht kein substantieller Beitrag zur politischen Diskussion geleistet würde. Wie soll man etwas zum Schutz der Künstler in einem internationalen Vertrag sagen, wenn man dieses Thema im eigenen Land vernachlässigt?
4- Analyse und Bewertung der staatlichen Kulturpolitik
Zunächst ist es notwendig, die Arbeit der zuständigen Stellen des Außen- und Wirtschaftsministeriums und die Arbeit der deutschen UNESCO-Vertretung im Hinblick auf den künftigen Vertrag genau zu verfolgen und kritisch zu bewerten. Das gleiche gilt für die Aktivitäten der Europäischen Kommission und die Arbeit des Europaparlaments. Auf Bundesebene muss die Arbeit der Enquête-Kommission, sowie die Kulturpolitik des Bundes, der Länder und Gemeinden ebenfalls verfolgt werden. Dies ergibt sich aus der Komplexität der Zuständigkeiten in diesem Bereich. Die Informationsarbeit des Deutschen Kulturrates in diesem Gesamtbereich sehr hilfreich: In vielen Instanzen steckt der Prozess der politischen Willensbildung noch in den Anfängen. Er verläuft durchaus nicht einheitlich. Oft decken sich die politischen Differenzen nicht mit Parteigrenzen. Aufschlussreich ist etwa die Erklärung von Brixen/Bressanone der europäischen Regionalminister für Kultur und Bildung vom 23.09.2002, die die mangelnde Transparenz der Politik der EU-Kommission hinsichtlich des GATS-Abkommens scharf kritisiert.*14*Die
theaterspezifischen Bereiche der Kulturpolitik müssen selbstverständlich besondere Beachtung finden. Allerdings ist hier eine distanzierte Betrachtung und Analyse notwendig. Auf die Gefahren einer vorgängig konsensuellen Einbindung in die staatliche Kulturpolitik wurde bereits hingewiesen.
5- Einschätzung der konkreten Auswirkungen der
Liberalisierungsbestrebungen des GATS auf die deutsche
Theaterlandschaft.
Über die möglichen konkreten Auswirkungen der Liberalisierungsbestrebungen des GATS auf die deutsche Theaterlandschaft gibt es zur Zeit keine umfassende Untersuchung. Anstelle über diesen Zustand zu klagen, sollte man ihn schleunigst beseitigen. Methodisch ist erforderlich zwischen zwei Kategorien von Auswirkungen zu unterscheiden, die unmittelbaren und die mittelbaren. Beim gegenwärtigen Stand der Diskussionen können deshalb nur mutmaßliche Beispiele für die Problematik gegeben werden. Falls bestimmte Bereiche der öffentlichen Theaterproduktion liberalisiert würden, träte die Meistbegünstigungsklausel in Kraft. In diesem Falle würde die Subvention nationaler Theaterbetriebe dann als unzulässige Bevorteilung angesehen werden, wenn sich internationale Bewerber gleichfalls auf dem nationalen Markt bewegen. Konkret könnte dies bedeuten, dass ein privates internationales Theaterunternehmen gegen die Subvention des staatlichen Opernbetriebs bei der WTO Beschwerde einlegen und die WTO entsprechende Sanktionen verfügen könnte. Ein noch weitergehendes Beispiel wäre die internationale Ausschreibung von Opernprojekten, bei denen die deutschen Opernhäuser in direkte ökonomische Konkurrenz zu anderen international operierenden Opernproduzenten treten würden. Diese Beispiele sind zunächst einmal konstruiert. Welchen Wahrheitsgehalt solche vorstellbaren Konsequenzen haben, wäre zu untersuchen. Eine weitere Konstellation ist durchaus denkbar. Angenommen, die staatlichen und kommunalen Theater werden von der Liberalisierung in den GATS-Verhandlungen ausgenommen. Was geschieht dann mit denjenigen öffentlichen Theatern, die der Rechtsform nach Privatgesellschaften sind, also etwa mit Stadttheatern, die in GmBHs umgewandelt wurden? Welchen Bedingungen werden diese Theater dann ausgesetzt?
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Man sollte die Agressivität des GATS nicht unterschätzen. Die generelle Stoßrichtung des Abkommens zielt auf das Zurückdrängen der Staatsfunktionen zugunsten der „global market governance“. Insgesamt wird der politische Handlungsspielraum der Nationalstaaten durch die ökonomische Globalisierung fortschreitend eingeschränkt. Der Kahlschlag, den die Liberalisierungspolitik in der Kultur verursacht, lässt sich in den USA, Kanada und Großbritannien, sowie in den lateinamerikanischen Ländern besichtigen. Insofern ist die Untersuchung der Theatersituation in diesen Ländern von ausschlaggebender Bedeutung.*15* Dem ITI kommen bei der Vermittlung von Informationen über die Auswirkung der neoliberalen Globalisierung auf die Theater in den genannten Ländern eine besondere Rolle zu. Es liegt in deutschen und europäischen Interesse, sie wahrzunehmen. Wichtig sind aber nicht nur die direkten Auswirkungen WTO-Politik. Durch den ständigen Druck des internationalen Kapitals, die Arbeit zu verbilligen, den internationalen Konkurrenzdruck und das damit zusammenhängende Anwachsen der Arbeitslosigkeit, durch den drohenden Kollaps der sozialen Sicherungssysteme, und die Finanzkrise der öffentlichen Hand, Phänomene die letztlich alle auf die Entwicklung der globalisierten Weltwirtschaft zurückzuführen sind sehen sich die europäischen Staaten veranlasst, die sozialstaatliche Strukturen zu reduzieren oder gänzlich aufzugeben. Die kulturellen Verpflichtungen, die sowieso in den meisten Ländern als freiwillige Leistungen gelten, stehen oft als erste zur Disposition. Der Rückzug des Staates aus dem Kulturbereich ist kein deutsches, sondern ein europäisches Phänomen, Begleitet wird er von es Vordringen einer marktradikalen Ideologie, die grundsätzlich alle menschlichen Regungen und Tätigkeiten der Verwertung durch den Markt zugänglich machen will, und diejenigen Tätigkeiten und Produkte, die nicht unmittelbar oder mittelbar zu verwerten sind oder sich der Verwertung entziehen sind, als unrentabel brandmarkt und aus der Gesellschaft ausgrenzen will. Diese Ideologie ist grundsätzlich kunst- und kulturfeindlich. Die Kürzungen der Theaterhaushalte, die Schließungen öffentlicher Theater, die Streichung von Subventionen von künstlerischen für freie Gruppen oder Einzelprojekte sind bekannt, wie auch der immer größere Zwang zur Kosten-Nutzen-Rechnung und zur marktwirtschaftlich orientierten Betriebsführung in den Theatern. Weniger bekannt ist, dass diese Politik mit gleichen oder ähnlichen Begründungen in vielen europäischen Ländern vollzogen wird. Sie wird auch international koordiniert. Wie hierbei die Fäden laufen, ist eine Analyse wert. Aus
diesem Grunde ist es wichtig, dass der Informationsaustausch und die kritische Diskussion über die Gemeinsamkeiten und nationalen oder regionalen Unterschiede der Entwicklung unter europäischen Theaterleuten ermöglicht wird. Hierbei kann das ITI eine wesentliche Mittlerrolle übernehmen. Methodisch ist es wichtig, die komplexen Zusammenhänge im Auge zu behalten und sich nicht einseitig auf die unmittelbaren Auswirkungen einer Liberalisierung im Theaterbereich zu beschränken. Wie kann man sich für einen internationalen Vertrag über kulturelle Vielfalt einsetzen, wenn die eigene nationale Entwicklung den Inhalt dieses Vertrages unterläuft? Was uns klar werden muss, ist das, was wir verteidigen wollen.
6- Information über die internationale Diskussion und
Bewertung der internationalen Positionspapiere zum
UNNESCO Vertrag über kulturelle Vielfalt
Ein guter Einstieg in die Problematik der kulturellen Vielfalt ist die Lektüre und Bewertung der Positionspapiere und Manifeste von Kulturschaffenden, die auf internationaler Ebene zirkulieren. Solchen Positionspapiere und Manifeste, die zugleich politische Plattformen sind, gehen oft langwierige Willensbildungs- und Diskussionsprozesse voraus. In ihnen steckt eine gehörige Portion Arbeit, die in Deutschland erst geleistet werden muss. Aber immerhin, man kann sich nur freuen, dass die ausländischen Kollegen uns einen Teil der Arbeit abnehmen, soweit sie Probleme artikulieren, die alle Länder betreffen. Ein Beispiel für ein solches Positionspapier ist das genannte Papier der französischen Kulturorganisationen, das in Zusammenarbeit mit Völkerrechtlern entstanden ist. Unsere Aufgabe bleibt es, diese Dokumente auf die Konsistenz seiner politischen Positionen und ihre Relevanz für die deutsche Situation zu prüfen, um sich eventuell solchen Plattformen anzuschließen. Dies ist jedoch nur sinnvoll und methodisch gerechtfertigt, wenn in Deutschland selbst die Hausaufgaben erledigt werden.
Dieter Welke
Autor und Theaterregisseur Mitglied der deutschen Sektion des ITI,
Als Gesellschafter der Société des Auteurs et Compositeurs Dramatiques S.A.C.D. Mitglied der Coalition Française pour la Diversité Culturelle. (Frankreich)
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*1* Neben den weithin bekannten eher theoretisch orientierten Analysen der FrankfurterSchule und anderen sozial- und kulturwissenschaftlichen oder philosophischen Arbeiten, wieetwa die diesbezüglichen Schriften von Pierre Bourdieu sind in letzter Zeit zu diesem Themazunehmend empirische Analysen und politische Stellungnahmen von Fachverbänden undkulturpolitischen Gremien getreten. In Deutschland ist die empirische Analyse allerdings nochrecht wenig entwickelt, bei aller Würdigung der kritischen Stellungnahmen des DeutschenKulturrats, der ARD und der Heinrich-Böll-Stiftung. Eine der fundiertesten Studien zumKommerzialisierungsprozess des kulturellen Bereichs und seinen Folgen ist die Arbeit desUtrechter Professors für politische Wissenschaft der Künste Joost Smiers: Arts underPressure. Promoting Cultural Diversity in the Age of Globalization. London/New York:
Zed Books 2003
*2* Als Beleg dafür seien die Resolutionen und das Positionspapier desWachsamkeitskomitees für die kulturelle Vielfalt genannt, die wir in der Dokumentationwiedergeben
*3* Wilfried Grolig: Das UNESCO-Übereinkommen zur kulturellen Vielfalt.Deutschlands Beteiligung an der Erarbeitung des Konventionstextes. Politik und Kultur
Jan. –Feb. 2004, S. 10
*4* ebda.
*5* von uns unterstrichen
*6* Vgl. hierzu die Ausführung im Positionspapier des französischen Wachsamkeitskomiteesfür kulturelle Vielfalt.
*7* s. z. B. die bereits angeführte Studie von Jost Smiers
*8* s. W. Grolig, ebda.
*9* Kulturelle Vielfalt als Quelle der Kreativität: Kulturgüter, audiovisuelle Politik und
Globalisierung; Saarbrücker Erklärung vom 21. November 2003
*10* S. z.B. die von Peter S. Grant auf dem 2. Internationalen Treffen der kulturellenBerufsorganisationen 2003 in Paris vorgestellten Merkmalliste, die von dem kanadischenAnwaltskabinett McCarthy Tétrault entwickelt wurde. Actes des 2èmes RecontresInternationales des organisations professionnelles de la Culture. Comité de Vigilance
pour la diversité culturelle, Paris 2003 S. 55
*11* a- Zur französischen Diskussion sind zahlreiche Dokumente erschienen, die leiderbislang nicht ins Deutsche übersetzt wurden. Es wird beabsichtigt in nächster Zeit wichtigeDokumente zu übersetzen und auf der Website des ITI zur Verfügung zu stellen. b- Einwesentlicher Beitrag zur internationalen Diskussion in diesem Sinne war der Vortrag desmexikanischen Regisseurs und Theaterleiters Luis de Tavira auf dem 2. Weltkunsttreffen2002 in Valencia (Spanien). Wir möchten ihn ebenfalls in deutscher Übersetzungpräsentieren.
*12* a- Fritz Pleitgen: Kulturelle Vielfalt schützen. ARD-Jahrbuch 2003. S. 17-23; b-"Cancún Erklärung zur Kulturellen Vielfalt" der ARD, der Heinrich Böll-Stiftung, des
International Network for Cultural Diversity und des Deutschen Kulturrates
(08.09.2003).
*13* Vgl. Deutscher Bundestag. 15. Wahlperiode, Drucksache 15/2275 vom 19.12.2003
*14* Versammlung der Regionen Europas: Zusammenfassung der Brixen/BressanoneErklärung zur kulturellen Vielfalt und GATS (von den Europäischen Regionalministerneinstimmig verabschiedet, Brixen/Bressanone, den 18.09.2003). Strasbourg 2002
*15* Der Verfasser dieses Artikels hat im letzten Jahrzehnt sehr oft in lateinamerikanischenTheatern gearbeitet. Ihm wurde bei seiner Arbeit klar, dass in diesen Ländern bereits in den90er Jahren das praktiziert wurde, was heute in Europa zur Anwendung kommen soll.Entsprechende Warnungen, man sollte das was in Lateinamerika geschieht nicht als „Dritte-Welt-Phänomen“ begreifen, sondern als Experimentierfeld für die entsprechendenVeränderungen in Europa, fanden kein Gehör. So weit war das Bewusstsein für diefortschreitende Globalisierung der Verhältnisse damals leider noch nicht gediehen.Glücklicherweise hat sich dies in den letzten Jahren etwas geändert.
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virus31 - kultur in gefahr (Dieter Welke)
http://www.utopieprojekt.de/
Dokumente zum UNESCO Vertrag über kulturelle Vielfalt
http://www.utopieprojekt.de/docliste.html
Wachsamkeitskomitee für die kulturelle Vielfalt
Comité de vigilance pour la diversité culturelle - Frankreich
Positionspapier zu einem internationalen Vertrag über die kulturelle Vielfalt - November
2002
http://www.utopieprojekt.de/docs/wachsamkeitskomitee.html
"Cancún Erklärung zur Kulturellen Vielfalt" der ARD, der Heinrich Böll-Stiftung, des
International Network for Cultural Diversity und des Deutschen Kulturrates (08.09.2003).
http://www.kulturrat.de/aktion/Cancundeklaration.pdf
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Drittes Fachgespräch zur UNESCO-Konvention zum Schutz kultureller Vielfalt
Konsultation für die Bundesweite Koalition zur kulturellen Vielfalt
Rede von Prof. Dr. Max Fuchs
Kulturelle Vielfalt, der Welthandel und der Staat
Einige Überlegungen zu Schwierigkeiten bei der Diskussion der Konvention zur kulturellen
Vielfalt
Vorbemerkung
Die Bundesweite Koalition zur kulturellen Vielfalt hat sich u. a. die folgenden beiden
Aufgaben gestellt: Zum einen sollte der Entstehungsprozess der Konvention zur kulturellen
Vielfalt insofern begleitet werden, als insbesondere die Interessen wichtiger Akteure und
Organisationen in der Kulturpolitik – vor allem im außerstaatlichen Bereich der
Zivilgesellschaft – gesammelt und in Form einer Politikberatung an die zuständigen Stellen
(Regierung, UNESCO) weitergegeben werden. Zum anderen sollte die Diskussion über die
Notwendigkeit einer solchen Konvention in der kulturpolitischen Landschaft Deutschlands
verbreitert werden. Inzwischen haben wir über zwei Jahre Erfahrungen mit der Idee einer
solchen Konvention, so dass es interessant sein könnte, eine kurze Zwischenbilanz über
Erfahrungen, Beobachtungen und insbesondere über Schwierigkeiten in diesem
Diskussionsprozess zu geben. Insbesondere hat sich im Deutschen Kulturrat, dem
Spitzenverbands der Bundeskulturverbände, gezeigt, das ist doch sehr viel schwieriger ist,
die beiden genannten Ziele der Bundesweiten Koalition miteinander zu vereinbaren, als man
zunächst gedacht hatte. Ich habe daher meine Beobachtungen und Erfahrungen in sechs
Punkten zusammengefasst.
1. Gerade wenn einem die eingangs genannten beiden Ziele, Begleitung der Genese der
und Verbreiterung des kulturpolitischen Diskurses über die Konvention, einsichtig und
plausibel erscheinen, wird man sich vielleicht wundern, dass ich jetzt von einer Spannung
zwischen diesen beiden Zielformulierungen spreche. Man kann dies sogar noch
deutlicher so formulieren, dass sich nämlich zwischen beiden Zielen notwendig eine
Schere auftut. Dies findet seine Begründung darin, dass die fachlichen Diskussionen und
Beratungen über den vorliegenden Textentwurf zunehmend präziser werden, und dies
heißt insbesondere: dass ein erhebliches Expertenwissen nicht nur über das Völkerrecht
und das internationale Handelsrecht, sondern auch über die Prozeduren und Abläufe in
der Welthandelsorganisation WTO und der UNESCO notwendig ist, wenn die
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Kommentare zu dem Text eine gewisse Relevanz haben sollen. Daraus folgt allerdings
notwendigerweise, dass der Kreis derer, die dies aufgrund ihrer Ausbildung oder ihrer
beruflichen Tätigkeit tun können, immer kleiner wird. In der Tat ist festzustellen, dass es
in der deutschen kulturpolitischen Landschaft erhebliche Unklarheiten über Ziele,
Begrifflichkeit, Methoden und insbesondere auch Irritationen über die Sprache des
Textentwurfes gibt.
2. So entsteht ein erstes und gravierendes Erkenntnisproblem bereits in dem
Zusammenhang, den ich wie selbstverständlich in meinen bisherigen Ausführungen
hergestellt habe: dass nämlich kulturelle Vielfalt und das internationale Handelsrecht
überhaupt etwas miteinander zu tun haben, dass insbesondere die
Welthandelsorganisation WTO und das internationale Dienstleistungsabkommen GATS
für die Kultur und für die Kulturpolitik bedeutungsvoll sind. Man kann vielmehr feststellen,
dass ein großer Teil der Debatten über den Konventionsentwurf über solche Inhalte und
in einer solchen Sprache geführt wird, die der größte Teil der deutschen kulturpolitischen
Akteure überhaupt nicht als kulturpolitische Debatte werten würde. Man sollte einmal
den Versuch machen, einen kulturell informierten Menschen nach „kultureller Vielfalt“ und
seinen Assoziationen und Überlegungen dazu zu fragen. Ich bin sicher, dass man dann
sehr viel Kluges zur Relevanz von Vielfalt im Zusammenleben der Menschen hören
könnte, ganz so, wie es der Aufruf der Deutschen UNESCO-Kommission nach Gründung
der Bundesweiten Koalition auch erbracht hat. Wenn man diese Überlegungen
anschließend mit dem Konventionstext vergleicht, wird man zwar Verbindungen zur
Präambel und den ersten Artikeln herstellen können: der überwiegende Teil des Textes
mit seinen Regularien, den spezifischen Definitionen und Abgrenzungen wird nur schwer
mit dem Inhalt des Begriffs der kulturellen Vielfalt in Verbindung zu bringen sein. Ein
erstes Vermittlungsproblem besteht daher darin, eine solche Verbindung zwischen der
(kulturtheoretischen) Diskussion und der eher technisch-juristischen
Argumentationsweise der Konvention herzustellen. Um diesen Zusammenhang
aufzuzeigen, lohnt es sich daher, einige historische Anmerkungen zur Genese der Idee
zu einer solchen Konvention anzufügen. Ich stütze mich dabei auf die Broschüre von
Joost Smiers: Artistic Expression in a Corporate World. Utrecht School of Arts 2004, die
als Download auf der Homepage der Deutschen UNESCO-Kommission
(www.unesco.de) zu finden ist.
In Deutschland wurde die Idee zu einer Konvention zur kulturellen Vielfalt zum ersten Mal
einer größeren Öffentlichkeit bei der Tagung „Unbegrenzt Kultur“ im Dezember 2002
vorgestellt. Die kanadische Kunstwissenschaftlerin Joyce Zeman hat im Kontext eines
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Vortrages zur kulturellen Identität und ihrer Gefährdung durch die internationale
Kulturwirtschaft von einem völkerrechtlichen „Instrument" gesprochen, das einige
nationale und internationale kulturpolitische Netzwerke in die Diskussion gebracht haben.
In der Tat gab es zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Entwürfe einer solchen Konvention
zur kulturellen Vielfalt, einmal von einem zivilgesellschaftlichen Zusammenschluss von
Kulturorganisationen (INCD) und einem Zusammenschluss von Kulturministern (INCP).
Hierbei ist es durchaus aufschlussreich, sich die Mitgliederzusammensetzung
insbesondere des zivil-gesellschaftlichen Bündnisses näher anzuschauen: Es handelte
sich in erster Linie um Organisationen der nationalen, vor allem der kanadischen
Kulturwirtschaft, die erhebliche Überlebens- und Existenzängste hatten angesichts der
Übermacht von global playern im Film, im Kunsthandwerk, in der Literatur und in der
Musik. Insbesondere empfand man in Kanada eine große Bedrohung durch die
entsprechende Kulturwirtschaft in den Vereinigten Staaten. Denn immerhin gibt es
zwischen Kanada und den USA 8000 Kilometer offene Grenzen.
In dieser als bedrohlich empfundenen Situation konnte man an eine Diskussion
anschließen, die rund um die neue Weltinformations- und Kommunikationsordnung, also
in der Medienpolitik, geführt worden ist. Diese hatte zum Ziel, ebenfalls vor dem
Hintergrund einer voranschreitenden Ökonomisierung, die Vielfalt der Medien zu
erhalten. In diesem Kontext gab es auch eine besondere Sensibilität und Wachsamkeit
gegenüber der Welthandelsorganisation, der gegenüber man schon einige Jahre zuvor
die Forderung erhoben hat, dass die audiovisuellen Medien aus den Handelsabkommen
herausgehalten werden müssten. Diese eher ökonomische Diskussion wurde zudem
überlagert durch die kulturpolitische Diskussion über den Schutz der französischen
Sprache gegenüber einer Übermacht des Englischen.
Seither diskutiert man im wesentlichen zwei große Strategien, die den Erhalt einer
nationalen Kulturpolitik (einschließlich einer nationalen Kulturförderung und
Kulturwirtschaft) sicherstellen sollen: Zum einen versucht man zu verhindern, dass
weitere Bereiche von Kultur und Medien in das internationale Dienstleistungsabkommen
GATS aufgenommen werden. Parallel dazu ist die Idee entstanden, ein völkerrechtliches
Schutzinstrument, also eine internationale Konvention zu entwickeln, die das
ausdrückliche Ziel enthält, dass die Staaten auch weiterhin eine nationale Kulturpolitik
betreiben dürfen. Als geeigneter Begriff, der dieses Anliegen auch tragen könnte, lag der
Begriff der „kulturellen Vielfalt“ nahe. Zum einen konnte man sich bereits auf den Begriff
der Medienvielfalt stützen, zum anderen machte der Erfolg mit der „Konvention zur
biologischen Vielfalt“ Mut, wobei man mit dem (kulturwissenschaftlich überaus
fragwürdigen) Argument einer Parallelisierung zwischen biologischer und kultureller
Entwicklung operierte. Zudem hat die UNESCO im Jahre 2001 die „Universelle Erklärung
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zur kulturellen Vielfalt“ verabschiedet, so dass der Begriff der kulturellen Vielfalt auf der
Ebene des Völkerrechtes zumindest eingeführt war.
Trotz der eingangs angesprochenen Diskursprobleme, dass nämlich die mit „kultureller
Vielfalt“ verbundenen Assoziationen durchaus in eine andere Richtung gehen, als mit
dieser Konvention beabsichtigt, muss man feststellen: Der Begriff hat bislang die
Erwartung, Basisbegriff einer internationalen Konvention zu sein, durchaus erfüllt. Ohne
dies also in Frage stellen zu wollen, mag man in Form eines Gedankenspiels sich einmal
überlegen, ob es nicht doch eine Alternative zu dieser Begriffswahl gegeben hätte (ohne
natürlich die Bedeutung des Sachverhaltes „kulturelle Vielfalt“ schmälern zu wollen).
3. Bei Lichte besehen ist der Weg von einem eher kulturtheoretisch orientierten Diskurs
über kulturelle Vielfalt zu den harten Fakten eines vielleicht von global playern
dominierten Kulturmarktes doch etwas weiter, als man es sich vorgestellt hat. Man muss
sich verdeutlichen, dass das zentrale Ziel der im Entstehen begriffenen Konvention im
wesentlichen darin besteht, auch zukünftig eine eigenständige nationale Kulturpolitik mit
allen spezifischen Schutzrechten (wie etwa einer Buchpreisbindung), aber auch mit
öffentlichen Fördertöpfen, sicher zu stellen. Die Frage ist daher, ob man dieses Ziel nicht
auch durch eine Anbindung an einen vielleicht schon etablierten völkerrechtlichen Begriff
hätte erreichen können.
Aus meiner Sicht (als juristischer Laie!) wäre es durchaus vorstellbar gewesen, etwa den
Begriff der kulturellen Teilhabe als Trägerbegriff zu wählen. Für diesen Begriff hätte
gesprochen, dass er ein sehr gut eingeführter völkerrechtlicher Begriff ist, der sich bereits
in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Art. 27 findet. Dieser Artikel ist
überschrieben mit „kulturelle Teilhabe“ und lautet: „Jeder Mensch hat das Recht, am
kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich der Künste zu erfreuen und
am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Wohltaten teil zu haben." Warum hat man
also nicht überlegt, eine „Konvention zur kulturellen Teilhabe“ zu entwickeln? Man kann
sich dabei daran erinnern, dass es so etwas – zumindest der Richtung nach – bereits
gibt: den 1966 verabschiedeten und 1976 in Kraft gesetzten „Pakt für soziale,
ökonomische und kulturelle Rechte“. Seither gibt es außerdem dem Wunsch nach einer
„Deklaration kultureller Rechte“, der allerdings kaum großer Energie verfolgt wird. Man
muss sich klar machen, dass man sich hierbei nicht mehr auf der Ebene bloßer
Schutzrechte des Einzelnen (etwa gegenüber dem Staat) befindet, sondern auf der
Ebene der Ansprüche des Einzelnen an den Staat auf Umverteilung (zweite Generation
der Menschenrechte). Denn wer über Teilhabe redet, muss gleichzeitig über notwendige
Ressourcen einer Teilhabe, über rechtliche Voraussetzungen, über geografische
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Zugangsmöglichkeiten und über die individuelle Bildung als Voraussetzung einer
Teilhabe sprechen. Genau so wird etwa in der Sozialpolitikforschung der Begriff der
„sozialen Teilhabe“ durchdekliniert (F. X. Kaufmann: Herausforderungen des
Sozialstaates. Frankfurt/M. 2001). Teilhabe wird dabei als Ermöglichung einer aktiven
Mitwirkung von Einzelnen oder Gruppen verstanden, so dass man hieraus leicht andere
kulturpolitische Ziele wie etwa das der Anerkennung von Teilgruppen der Gesellschaft
oder eben auch die Artikulation einer Vielfalt kultureller Ausdrucksformen und
Präferenzen ableiten kann. Kulturelle Vielfalt ergibt sich daher zwangsläufig aus dem
Begriff der kulturellen Teilhabe, ist aber in der Theoriensystematik diesem nachgelagert
(s. hierzu den neuen Weltentwicklungsbericht der UNDP: Cultural liberty in today’s
diverse world. New York 2004, wo insbesondere Armatya Sen den Zusammenhang von
kultureller Freiheit, Demokratie, Vielfalt und Teilhabe hervorhebt).
Eine solche Überlegung mag nun angesichts des fortgeschrittenen Stadiums bei der
Diskussion der Konvention überflüssig erscheinen (siehe jedoch die Schlussbemerkung).
Sie könnte aber Relevanz haben im Hinblick auf eine andere Problemstellung, nämlich
erneut eine Kohärenz zwischen unterschiedlichen Leit- und Zielbegriffen in der
UNESCO-Programmatik herzustellen. Denn in den letzten Jahren sind mit einer
gewissen Regelmäßigkeit zu den schon vorhandenen Leitbegriffen, so wie sie in den
vorliegenden Konventionen und Deklarationen verwendet wurden und definiert worden
sind, neue Begriffe dazugekommen. So hat man spätestens seit der Weltdekade für
kulturelle Entwicklung am Ende des letzten Jahrtausends „Entwicklung“ auch als
kulturpolitischen Begriff eingeführt. Als Nächstes hat man spätestens seit Johannesburg
den Begriff der „Nachhaltigkeit“ in die Familie kulturpolitischer Leitbegriffe aufgenommen.
Seit einigen Jahren gehört auch der Begriff der „kulturellen Vielfalt“ zu diesem Kern. Nun
muss man sich daran erinnern, dass Begriffe – quasi als „Knoten“ in dem Netzwerk einer
Theorie – nicht bloß jeweils für sich definiert werden, sondern sich vielmehr auch in
wechselseitigem Bezug eine Bedeutung geben. Kommt also ein neuer Begriff dazu, so
verändern sich notwendig die Bedeutungsgehalte aller anderen Begriffe.
Es lässt sich nun bei aller Akzeptanz der Wichtigkeit dieser neuen Begriffe und der mit
ihnen erfassten Sachverhalte der Eindruck einer gewissen Beliebigkeit nicht vermeiden.
Zu leisten wäre daher ein verstärktes Nachdenken darüber, wie ein kulturpolitisches
Grundsatzprogramm aussehen könnte, das auch eine Kohärenz in diese Grundbegriffe
einbringt. Bei dieser Debatte spielt es dann durchaus auch eine Rolle, welchen Status
diese Begrifflichkeit in einer zu entwickelnden Begriffhierarchie hat. Allerdings ist hier
anzumerken, dass das Problem der Konsistenz der kulturpolitischen Konzeption der
UNESCO kein Problem des deutschen Diskurses war. Dieses liegt vielmehr auf einer
anderen Ebene.
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Speziell in Deutschland hat man trotz der in den Neunziger Jahren des letzten
Jahrhunderts lebendigen Diskussion über die „Kultur als Wirtschaftsfaktor“ immer noch
erhebliche Schwierigkeiten damit, dass im Rahmen der Europäischen Union der
Handels- und der Wettbewerbskommissar eine größere Rolle für die Kulturpolitik spielen
als die Kultur-Kommissarin. In dieser ohnehin schon schwierigen Situation muss man
sich jetzt auch noch damit auseinander setzen, dass die bislang im kulturpolitischen
Bereich eher unbekannte Welthandelsorganisation WTO nunmehr ebenfalls eine gewisse
Relevanz für kulturpolitische Fragen beansprucht.
4. Hinter den Erkenntnisschwierigkeiten im Umgang mit der Konvention steckt häufig eine
fast klassische Kernfrage des deutschen Kulturdiskurses: Wieviel Ökonomie verträgt die
Kultur, oder besser: Wieviel ökonomische Sprache verträgt der kulturpolitische Diskurs?
Die Haltung in der Kultur und in der Kulturpolitik ist dabei durchaus widersprüchlich: Zum
einen weiß man natürlich, dass man es mit einem erheblichen Arbeitsmarkt zu tun hat,
dass der Umsatz und auch der Anteil am Bruttosozialprodukt durchaus erwähnenswert
sind und dass die Kulturwirtschaft im kulturellen Leben Deutschlands eine erhebliche
Rolle spielt. Andererseits gibt es traditionell gerade in Deutschland im Kulturbereich
immer noch eine große Scheu vor der Ökonomie und der ökonomischen Dimension von
Kunst und Kultur, und dies selbst bei denen, durch deren Hände erhebliche Mittel gehen.
Wir haben es hier mit einer gewissen Erblast zu tun, für die es zumindest zwei
historische Ursachen gibt: Zum einen ist diese Scheu vor dem Ökonomischen eine Folge
der idealistischen Autonomieästhetik im Anschluss an Kant, bei der die „Zweckmäßigkeit
ohne Zweck“ sicherstellen sollte, dass der Umgang mit Kunst fern von allen
Zwecksetzungen des Alltags zu geschehen habe. Daraus hat dann Schiller in seinen
„Briefen zur ästhetischen Erziehung“ eine politische Reformkonzeption entwickelt, bei der
die in der Kunst erlebte Freiheit geradezu Lust auch auf eine politische Freiheit machen
soll. Als zweiter Erblast ist in dem Gemeinschaftswerk von Horkheimer und Adorno, der
„Dialektik der Aufklärung“, ein großer Vorbehalt gegenüber der Kulturindustrie formuliert
worden. Denn in diesem Buch haben die beiden Autoren und hat insbesondere der
Musiker und Musiktheoretiker Adorno seine Abscheu vor der Kulturindustrie in den USA
formuliert, so wie er sie in der Zeit seiner Emigration in den Vereinigten Staaten erlebt
hat. Kunst und Wirtschaft sind also mitnichten in der deutschen Tradition „derselbe
Kampf“, so wie es ein früherer französischer Kulturminister (Jack Lang) einmal formuliert
hat, sondern sie werden immer noch als einander entgegengesetzt betrachtet. Joost
Smiers spricht daher folgerichtig geradezu von einem „battlefield“.
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Eigentlich müsste vor diesem Hintergrund die Idee, mit einer solchen Konvention eine
Waffe gegen eine voranschreitende Ökonomie, gegen eine ökonomische Globalisierung
im Kulturbereich zu bekommen, bei den ökonomiekritischen Akteuren in der Kulturpolitik
offene Türen einrennen. Das Problem besteht jedoch darin, dass auch die Konvention es
nicht vermeiden kann ihr anti-ökonomisches Anliegen in einer ökonomischen Sprache zu
formulieren. So ist nicht nur ganz selbstverständlich von kulturellen „Gütern und
Dienstleistungen“ die Rede, was deutschen KünstlerInnen oft schon erhebliche
Akzeptanzprobleme bereitet, sondern es wird in einem Anhang eine zwar als
unvollständig charakterisierte, nichtsdestotrotz jedoch sehr umfassende Liste von
künstlerischen Ausdrucksformen und Angeboten präsentiert, die auf den ersten Blick
keine Lücken hat. Zwar wird zudem ausdrücklich in der Konvention formuliert, dass
Kulturwaren einen Doppelcharakter hätten, nämlich nicht bloß als Waren einen
bestimmten ökonomischen (Tausch-)Wert auszudrücken, sondern dass sie zusätzlich
einen kulturellen Wert hätten, nämlich Träger von Kultur-Werten und Identitäten zu sein.
Doch ist auch diese Formulierung weniger originell und schon gar kein besonderer
Schutz der „Kulturwaren“ vor der ökonomischen Denkweise. Denn spätestens seit Karl
Marx weiß man, dass alle marktfähigen Waren einen Doppelcharakter haben, nämlich
neben einem Tauschwert einen spezifischen Gebrauchswert, der erst die Grundlage
dafür ist, dass man mit ihnen erfolgreich Tauschprozesse durchführen kann. Also selbst
in dieser Formulierung, in der man die besondere Spezifik der Kunst vermuten könnte,
bewegt man sich auf der ganz banalen Ebene der Politischen Ökonomie.
Man muss also feststellen, dass selbst in einem völkerrechtlichen Instrument, das
ausdrücklich eine Sicherung von Kultur ermöglichen soll, dies nicht in einer kulturellen,
sondern in einer ökonomischen und bestenfalls in einer juristischen Sprache geschieht,
so dass man nachempfinden kann, wenn dies Kulturakteure – gerade in Deutschland –
als Niederlage der Eigenwertigkeit von Kunst und Kultur empfinden.
5. Wie wenig die grundsätzliche Gefahr für eine nationale Kulturpolitik, die von der WTO
und von GATS ausgehen, in Deutschland bekannt ist, kann man in der häufiger
vorgetragenen Annahme erkennen, mit Hilfe der Konvention solle mehr Geld für die
Kultur durch den Staat bereitgestellt werden. Diese Annahme ist verständlich vor dem
Hintergrund des erheblichen Engagements der öffentlichen Hand für die Kultur, so wie es
in kaum einem andern Staat auf der Welt zu finden ist. Die Tatsache, dass sich die
öffentliche Hand nicht nur aus der Kulturförderung zurückziehen, sondern dies auch noch
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von einer internationalen ökonomischen Organisation erzwungen werden könnte, wird
nicht gesehen und auch nicht verstanden.
Vor diesem Hintergrund ist eine ebenfalls im Anhang der Konvention (Annex II)
angefügte Liste von spezifischen Kulturpolitiken hilfreich, die der Erhaltung kultureller
Vielfalt dienlich seien. Wer diese Liste einem deutschen kulturpolitischen Akteur
präsentiert, wird recht häufig erleben, dass sie wenig Eindruck hinterlässt. Die lakonische
Antwort wird sein: Na und, all dies haben doch schon! Genau dies ist also das
Vermittlungsproblem, aufzuzeigen, dass es weniger darum geht, neue Instrumente zu
installieren oder sogar neue Finanzmittel zu akquirieren. Sondern speziell in Deutschland
geht es darum, diese Liste unterschiedlichster Kulturpolitiken als mögliche Streichliste zu
verstehen. Denn all dies, was hier aufgelistet ist und was es in Deutschland weitgehend
bereits gibt, ist genau das, was wegfallen würde, wenn uns die Abwehr einer
handelsrechtlichen Vereinnahmung von Kultur nicht gelingen wird.
Wir haben übrigens in Deutschland dasselbe Problem bei der Diskussion über die so
genannte „Dienstleistungsrichtlinie“ der Europäischen Union: Auch dort mussten wir
innerhalb unseres Verbandes sehr viel Mühe aufwenden, um nachzuweisen, dass in der
Tat die Europäische Union unter „Dienstleistungen" durchaus auch künstlerische und
audiovisuelle Aktivitäten und Angebote subsumiert, sodass handelsrechtliche und
ökonomische Regularien von der Kommission ohne Probleme auf die Kultur angewendet
werden würden (falls uns keine geeigneten Gegenmaßnahmen einfallen).
6. Neben der Tatsache, dass man sich in Deutschland kaum vorstellen kann, dass der
bisherige kulturpolitische Status Quo wegfallen könnte, gibt es noch ein weiteres
Erkenntnisproblem, das damit zusammenhängt: Vieles an unserer kulturpolitischen
Ausstattung erscheint so selbstverständlich, dass es gar nicht mehr als etwas
Besonderes (und damit als gefährdet) wahrgenommen wird. Wir hatten daher im
Deutschen Kulturrat die Idee, nicht bloß aufzulisten, was es alles an kulturpolitischen
Instrumentarien in Deutschland bereits gibt, sondern davon ausgehend auch zu
formulieren, was an weiteren Instrumenten noch wünschenswert wäre. Hierfür war es
notwendig, für die unterschiedlichsten Bereiche des Kulturellen zu präzisieren, was es
gibt, und insbesondere auch Begründungen dafür zu finden, dass es dies auch weiterhin
geben müsse. Das war zwar ein letztlich erfolgreiches, aber während des Prozesses ein
ausgesprochen mühsames und kompliziertes Unternehmen. Ebenso wie ich es im
Hinblick auf die Konvention dargestellt habe, dass man für ein solches Anliegen nämlich
tragfähige und belastbare Begriffe braucht, galt dies für unsere Unternehmung. Wir
haben bei unserem Versuch zwei Begriffe ausgewählt, die in der kulturpolitischen
Diskussion eine gewisse Relevanz hatten. Der erste Begriff ist „Daseinsvorsorge“, den
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nicht bloß die Europäische Union seinerzeit bei ihrer Diskussion über „Dienstleistungen
von allgemeinen Interesse“ verwendet hat, sondern mit dem auch insbesondere die
kommunale Ebene ihr (auch kulturelles, aber auch ihr soziales) Engagement beschreibt.
Der zweite Begriff ist der erst in jüngster Zeit in die Diskussion gebrachte Begriff der
„Grundversorgung“.
Bei beiden Begriffen kann man nunmehr fragen, ob sie als zentrale Trägerbegriffe für
dieses ambitionierte Anliegen dienen können, sowohl eine Bestandsaufnahme, als auch
einen begründeten Forderungskatalog für eine zukünftige Kulturpolitik zu formulieren. Bei
dem Begriff der Daseinsvorsorge führt eine historische Analyse seiner Genese zu einer
Schrift des Verfassungs- und Verwaltungsrechtler Ernst Forsthoff aus dem Jahre 1938,
bei dem die spezifischen historischen Bedingungen des Erscheinungsjahres deutlich
spürbar sind. Trotzdem hat man ihn in der Nachkriegszeit wieder aufgegriffen und
verwendet, und dies sowohl in der politischen als auch in der wissenschaftlichen
Fachsprache (vgl. meinen Artikel „Kultur als Daseinsvorsorge?“ in „Politik und Kultur“,
1/04)
Sehr viel mehr Probleme machte das Konzept der „Grundversorgung“, das durchaus als
Schutzbegriff in die Diskussion eingebracht worden ist, das aber offenbar in weiten Teilen
der kulturpolitischen Akteure falsche Assoziationen auslöste, die etwa in Richtung einer –
dann auch noch paternalistisch verantworteten – Minimalversorgung auf niedrigem
Niveau gehen. Trotz dieser sprachlichen Probleme hat sich herausgestellt, dass das
Philologische oft nur vordergründig eine Rolle spielte: Im Kern geht es um das inhaltliche
Problem einer Begründung, warum und wie viel, für wen und zu welchem Preis ein
Kunst- und Kulturangebot gemacht werden soll.
Wir haben dieses Papier unter dem Titel „Kultur als Daseinsvorsorge“ inzwischen
verabschiedet und veröffentlicht ( www.kulturrat.de)
Schlussbemerkung
Schwierig ist die Diskussion um die Konturkonvention zur kulturellen Vielfalt, weil es natürlich
zwar auch um kulturelle Vielfalt geht, aber in diesem Zusammenhang ein wichtiges
Grundproblem unsrer Gegenwart diskutiert wird: Das zukünftige Verhältnis zwischen Markt
und Staat. Dies ist schon schwierig auf nationaler Ebene und liegt allen Reformdiskussionen
der letzten zwanzig Jahren zu Grunde. Im Kern geht es dabei um die Zukunft unseres
Sozial- bzw. Wohlfahrtsstaates, also um die Frage, in welcher Weise sich der Staat zukünftig
um soziale Gerechtigkeit kümmern will. Auf der Ebene der UNESCO ist diese Diskussion
noch schwieriger, weil sehr verschiedene Traditionen im Verständnis von Staat, Gesellschaft
und Wirtschaft in dieser internationalen Staatengemeinschaft vorhanden sind. Insbesondere
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gibt es gravierende Unterschiede im Hinblick darauf, welche öffentlichen Aufgaben durch
den Staat überhaupt erfüllt werden müssen.
Gehen wir nun einmal davon aus, dass die Konvention verabschiedet und in Deutschland
auch ratifiziert wird. In diesem Fall wird es nun nicht so sein, dass man sich dann mit Ruhe
zurücklehnen kann: Es wird die Arbeit erst anfangen. Etwas grob formuliert kann man
nämlich sagen, dass der Leitbegriff der kulturellen Vielfalt sich sehr viel stärker auf die
Angebotsseite einer kulturellen Praxis als auf die Nutzer-, Subjekt- oder Nachfrageseite
bezieht. Die eigentliche Legitimität einer jeglichen öffentlichen Kulturförderung ergibt sich
jedoch nicht aus der Reichhaltigkeit eines Angebotes, sondern durch die Breite der Nutzung.
An dieser Stelle komme ich dann doch wieder zu dem Leitbegriff der kulturellen Teilhabe
zurück, so wie ich ihn oben (Ziffer 3) in die Diskussion eingeführt habe. Denn nicht eine bloß
angebotene, sondern erst eine gelebte kulturelle Vielfalt, also eine kulturelle Vielfalt, die sich
in der Praxis der unterschiedlichen Menschen bewährt und durch diese entsteht, kann die
weitreichenden Ziele erreichen helfen, die man mit dieser Konvention anstrebt. Dies
bedeutet allerdings auch, dass man sich über Zugangsmöglichkeiten und eventuelle -
barrieren einer solchen Teilhabe sehr viele Gedanken machen muss. Das bedeutet
insbesondere, finanzielle, rechtliche, bildungsmäßige und auch geografische
Zugangsbarrieren genauer zu reflektieren. Dies heißt dann aber auch, dass sich eine der
Vielfalt verpflichtete Kulturpolitik – und nur eine solche kann es dann noch geben – sehr
stark einmischen muss in die Frage der Ressourcen und ihrer Verteilung, und dies nicht
primär bei den Kultureinrichtungen, sondern bei den Menschen, die man als Nutzer
gewinnen muss. Eine solche Kulturpolitik der kulturellen Vielfalt ist also entschieden
Gesellschaftspolitik.
Das Fazit dieser Überlegungen besteht darin, dass diese Konvention, wenn sie denn in Kraft
gesetzt wird, notwendigerweise zu einem bestimmten Konzept von Kulturpolitik führen muss,
das neben der Frage der Ästhetik in der kulturellen Praxis insbesondere auch die Frage der
sozialen Gerechtigkeit einschließt. Damit kann ich nur meine These wiederholen: Die Arbeit
in der Kulturpolitik und auch der Streit um die richtigen Konzeptionen und die Verteilung der
Mittel fängt mit der Ratifizierung der Konvention erst an.
Der Autor:
Max Fuchs, Prof. Dr., Erziehungs- und Kulturwissenschaftler, Direktor der AkademieRemscheid, Vorsitzender der Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung, des DeutschenKulturrates und des Instituts für Bildung und Kultur, lehrt Kulturarbeit an der UniversitätDuisburg-Essen.