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Integriertes Seminar Notfallmedizin - Selbstlerneinheit I Atmung und Kreislauf
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Selbststudieneinheiten dienen als Vorbereitung für die Seminare und praktischen Übungen
des Notfallkurses und des Integrierten Seminars Notfallmedizin. Für einige von Ihnen wird
vielleicht Bekanntes wiederholt und zusammengefasst, für viele wird sich jedoch eine
Vielzahl neuer Informationen finden. Wir haben in den Selbststudieneinheiten solche Aspekte
angesprochen, die für das Verständnis und die Behandlung notfallmedizinischer Situationen
von besonderer Bedeutung sind ohne dabei auf die pathophysiologischen und
pathobiochemischen Grundlagen in zu großem Detail einzugehen. In den begleitenden
Seminaren der Physiologie und der Physiologischen Chemie wird hierzu punktuell in die
Tiefe gegangen, bewusst verzichten wir dabei auf eine systematische Abarbeitung der
Thematik.
Die Evaluation am Ende der Selbstlerneinheit dient der Selbstkontrolle und dem Nachweis,
dass Sie sich mit der Thematik theoretisch beschäftigt haben. Die Fragen lassen sich aus den
Texten der Selbstlerneinheiten beantworten und können auch gerne in Gruppen beantwortet
werden. Wer die richtigen Antworten allerdings abschreibt ohne sich mit den Inhalten
beschäftigt zu haben täuscht nicht uns sondern sich selbst.
Nach Studium der Selbstlerneinheit 1 sollen Sie:
1. die Rettungskette als das Grundkonzept für die möglichst schnelle und effiziente Versorgung von
akuten Notfällen und organisatorische Regelungen des professionellen Rettungssystems in
Deutschland benennen können
2. Die Komponenten einer Notfallmeldung benennen können
3. wichtige Aspekte der Anatomie und Physiologie von Herz, Kreislauf und Atmung benennen können,
da diese Organsysteme und deren Funktionieren die Vorraussetzung für das Überleben des Organismus
darstellen und der Erhalt oder die Wiederherstellung dieser Funktionen die zentrale Aufgabe der
initialen Notfallversorgung darstellt
4. wichtige bedrohliche Störungen des Kreislaufs einschließlich der Ursachen und Symptome kennen,
5. einige Grundzüge der Elektrokardiographie (EKG), wie Erregungsausbreitung am Herzen, Ableitung
eines EKG und einige grundsätzliche Aspekte der EKG-Analyse benennen können und
6. die Defibrillation als die wichtigste und dringlichste Maßnahme zur Behandlung des akuten Herz-
Stillstandes mit Kammerflimmern kennen.
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I. Rettungskette (Chain of Survival)
Ein funktionierender Kreislauf ist die Voraussetzung für das Leben eines hochentwickelten
Organismus wie den des Menschen. Die schwerste Störung des Kreislaufs ist der
Kreislaufstillstand, der unbehandelt innerhalb von wenigen Minuten zum Tod führt. Um bei
akuten und vital bedrohlichen Störungen schnell und effizient Hilfe leisten zu können ist eine
möglichst zügige Abfolge von Maßnahmen, die durch verschiedene Personen oder
Organisationsformen geleistet werden müssen, notwendig.
Der Ablauf aller Hilfeleistungen bei einem Notfall kann wie eine Kette gesehen werden, die
aus fünf Gliedern besteht (Abb. 1). Sie umfasst die Durchführung von Sofortmaßnahmen, die
Alarmierung der professionellen Notfallrettung, die Einleitung der Ersten Hilfe Maßnahmen
durch Ersthelfer, den Einsatz des professionellen Rettungsdienstes und die Weiterbehandlung
im Krankenhaus. Hier gilt: Jede Kette ist so stark wie ihr schwächstes Glied. Darum müssen
alle Glieder der Kette gleichermaßen gestärkt werden. Die Ausbildung in Erster Hilfe soll
dazu beitragen, die ersten drei Glieder der Kette zu stärken.
Abbildung 1: Rettungskette
Schon von den Sofortmaßnahmen (Retten aus der Gefahrenzone, Ausschalten von
Maschinen) kann es abhängen, ob ein Verletzter einen Unfall überlebt oder weiterer Schaden
von ihm abgewendet werden kann. Danach folgt der Notruf über eine allgemein bekannte
Notrufnummer zur Alarmierung des professionellen Rettungsdienstes: 112 in ganz
Deutschland sowohl im Fest- und Mobilnetz. Erste Hilfe Maßnahmen auch durch Laienhelfer
oder zufällig anwesendes medizinisch ausgebildetes Personal (z.B. Atemspende bei
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Atemstillstand, Stillung von starken Blutungen, Schockbekämpfung usw.) überbrücken die
Zeit bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes. Auf die professionelle Versorgung des
Patienten durch den Rettungsdienst folgt der Transport des Patienten in ein geeignetes
Krankenhaus zur definitiven Versorgung. Auch hier müssen klare Regeln, welches
Krankenhaus für welchen Patient geeignet oder zuständig ist vorab festgelegt werden, um
Reibungs- und Zeitverluste in der Notfallsituation zu vermeiden.
Notrufnummer: 112
Nach Durchführung der Sofortmaßnahmen oder parallel dazu durch einen zweiten Ersthelfer
erfolgt die Alarmierung des Rettungsdienstes:
Der Notruf (die 5 „W’s“) Der Notruf besteht aus 5 Aspekten, die alle mit "W" beginnen:
WO geschah es? Sie sollten möglichst genaue Angaben über den Notfallort machen. Nur eine genaue Ortsangabe (Ort, Straße, Hausnummer u.s.w.) erspart dem Rettungsdienst unnötiges Suchen. WAS geschah? Sie sollten die Notfallsituation kurz beschreiben, damit die Rettungsleitstelle alle Maßnahmen für die Rettung einleiten kann (z. B. Einsatz von Bergungsfahrzeugen). WIE VIELE verletzte bzw. erkrankte Personen Sie müssen die Anzahl der Betroffenen angeben. Das ist wichtig für den Abtransport mit Rettungs- und Krankenwagen. WELCHE ART von Verletzung bzw. Erkrankung bzw. Störung Sie sollten dabei besonders auf vorliegende lebensbedrohliche Verletzungen hinweisen, damit gegebenenfalls der Notarzt zur Notfallstelle beordert wird.. WARTEN auf Rückfragen Merke: Das Gespräch wird immer von der Leitstelle beendet.
Entsprechend der Notfallmeldung entscheidet die Leitstelle über die Entsendung des am
besten geeigneten Rettungsmittels. Zur Verfügung hat die Leitstelle im Prinzip folgende
Fahrzeuge und personelle Besetzungen, die je nach lokalen Gegebenheiten vorgehalten
werden.
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Rettungsdienstpersonal Notarzt (NA) Zusatzweiterbildung Notfallmedizin (neu): 2 Jahre Weiterbildung,
davon 6 Monate auf einer Intensivstation oder Notaufnahme + zertifizierter 80-Stunden-Kurs + mindestens 50 Einsätze in Begleitung eines Notarztes Fachkundenachweis Rettungsdienst (alt): zertifizierter 80-Stunden-Kurs + mindestens 10 lebensrettende Einsätze + mindestens 1-jährige Tätigkeit auf einer Intensivstation oder Notaufnahme oder in einem Akutkrankenhaus + Mindestzahl Intubationen, Thoraxdrainagen, zentralvenöse Katheter
Rettungsassistent (RA)
Beifahrer und Transportführer auf dem RTW, Beifahrer des NAW , 2-jährige Ausbildung in Theorie, Klinik und Rettungsdienst, Staatliche Abschlussprüfung
Rettungssanitäter (RS)
Fahrer des RTW, Beifahrer und Transportführer auf dem KTW (Krankentransportwagen) ca. 4 – 6-monatige Ausbildung in Theorie, Klinik und Rettungsdienst, sog. 520 Stunden-Ausbildung (je 160 h Theorie +.Klinikpraktikum + Rettungswachenpraktikum, Abschlusslehrgang
Rettungshelfer (RH / RDH)
Fahrer des KTW ca. 2 – 3-monatige Ausbildung in Theorie, Klinik und Rettungsdienst, 160 h Theorie (identisch mit RS-Theorie), 80 h Klinikpraktikum, 80 h Rettungswachenpraktikum.
Sanitäter (San)
ca. 2 – 3-wöchige Ausbildung (regional und organisations-abhängig unterschiedliche Ausbildungsdauer und -Schwerpunkte), Einsatz vor allem im Sanitätsdienst
Sanitätshelfer (SanH)
ca. 2-wöchige Ausbildung (regional und organisationsabhängig unterschiedliche Ausbildungsdauer und -Schwerpunkte), Einsatz vor allem im Sanitätsdienst
Rettungsmittel NAW Notarztwagen 1 NA + 2 nicht Ärzte,
davon mind. 1 RA Abtransport erfolgt mit Notarztbegleitung.
NEF Notarzteinsatzfahrzeug 1 NA + 1 RA Rendez-vous-System mit gleichzeitiger Alarmierung eines RTW
RTW Rettungswagen 1 RA + 1 RS Beim NEF-System Transport im RTW
RTH Rettungshubschrauber 1 NA + 1 RA + 1 Pilot
wird benötigt in Situationen, bei denen die Einsatzstelle oder das nächstliegende versorgende Krankenhaus für das bodenge-bundene Rettungsfahrzeug zu weit entfernt liegt
RTW-N
Rettungswagen mit Notarzt im Hintergrund
1 RA + 1 RS (b.B. 1 NA)
ist ein Rettungswagen, der im Notfall mit einem in der Klinik arbeitenden Notarzt bestückt werden kann, vorwiegend aber RTW-Einsätze fährt
KTW Krankentransportwagen nur für Patientenverlegungen ohne mögliche vitale Gefährdung des Patienten (Taxifahrt)
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Zeitproblem Das Überleben des Organismus hängt von der Energiegewinnung aus Substraten
(Kohlenhydrate, Fette, Eiweiße) mittels Oxidation ab. Für die ausreichende Oxidation ist die
kontinuierliche Versorgung des Gewebes mit Sauerstoff entscheidend. Die Energiegewinnung
ohne Sauerstoff (anaerober Stoffwechsel) ist zwar möglich liefert aber nur 1/18 der Energie,
die durch die Verbrennung von Sauerstoff möglich wäre. Sie reicht für das Überleben des
Organismus nicht aus. Eine Unterbrechung der Sauerstoffversorgung führt deshalb innerhalb
von Sekunden zum Verlust des Bewusstseins und innerhalb von Minuten zum Tod.
Der gesunde Erwachsene benötigt etwa 250 ml Sauerstoff pro Minute zur Aufrechterhaltung
der Körperfunktionen. Fällt die Atmung aus, so befinden sich zu diesem Zeitpunkt noch
maximal 1,4 Liter Sauerstoff im Organismus, was für eine Deckung des Sauerstoffbedarfs
von nur circa 5 Minuten ausreicht. Folgende Stufen der Schadensentwicklung bei
Sauerstoffmangel treten ein:
1. Aerobe Latenz:
Störungsfreies Intervall mit Ausschöpfung der Sauerstoffreserven
2. Störung der Funktion:
Gestörte Funktion bei erhaltener der Funktionsbereitschaft, d.h. eine Wiederaufnahme
der Funktion bei Reoxygenierung ist ohne Latenz möglich
3. Störung der Funktionsbereitschaft:
Reversible Schädigung. Die Reoxygenierung führt nach einer schadensabhängig
unterschiedlich langen Erholungszeit zur strukturellen und funktionellen
Wiederherstellung der Funktion.
4. Generalisierte irreversible Schädigung:
Die Reoxygenierung und unbegrenzte Erholungszeit führen zu keiner bzw. keiner
vollständigen Wiederherstellung der Funktion.
Das für Sauerstoffmangel empfindlichste Organ ist das Hirn. Da es von allen Organen den
größten Anteil am Sauerstoffbedarf des Organismus (ca. 22% des Gesamtsauerstoffbedarfs
von 250 ml/min) und die geringsten Substratreserven hat reagiert es als erstes Organ
erkennbar (Bewusstlosigkeit nach Sekunden) und als erstes Organ mit irreversiblen
Funktionsverlusten (nach 5 bis 10 Minuten) bis hin zum Hirntod bei noch erhaltener bzw.
wiederhergestellter Funktion anderer Organe wie beispielsweise von Herz und Kreislauf .
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Atmung und Kreislauf sind die für eine ausreichende Bereitstellung von Sauerstoff
entscheidenden Organsysteme. Deshalb gilt die Aufmerksamkeit der notfallmedizinischen
Maßnahmen zunächst. der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Funktion dieser
beiden Organe.
II. Physiologie der Atmung
Vorraussetzung für die Versorgung des Gewebes mit Sauerstoff ist seine Aufnahme in den
Organismus, der Transport zu den Organen und Zellen und seine Abgabe an die Zellen.
Dieser Gasaustausch zwischen Organismus und Umwelt bzw. Zelle und Umgebung heißt
Atmung, der Transport erfolgt mittels der Herz-Kreislauffunktion. Man unterscheidet in
die äußere Atmung oder Lungenatmung (Transport von Sauerstoff und Kohlendioxid in und
aus dem Körper) und die innere Atmung oder Zellatmung, bei der die einzelne Zelle den
Sauerstoff aufnimmt und das Kohlendioxid abgibt.
Atemantrieb Die Atmung wird zentral über das Atemzentrum in der Medulla oblongata (verlängertes
Mark) und das Rückenmark gesteuert. In der Medulla oblongata liegen räumlich getrennt
inspiratorische und exspiratorische Nervenzellen, die abwechselnd aktiv sind. So kommt es
zur regelmäßigen, abwechselnden In- und Exspiration (Ein- und Ausatmung). Die
unwillkürliche Atmung wird vor allem von den Sauerstoff- und Kohlendioxid-
Partialdruckwerten bestimmt. Der Sauerstoff-Partialdruck im arteriellen Blut wird von
Chemorezeptoren in der Aorta und der Arteria carotis registriert. Ist er niedrig, wird die
Atmung stimuliert. In der Medulla oblongata sitzen Chemorezeptoren, die auf den
Kohlendioxid-Partialdruck und den pH-Wert im Liquor cerebrospinalis (Gehirn-Rückenmark-
Flüssigkeit) reagieren. Die Atemtätigkeit wird bei hohem Kohlendioxid-Partialdruck und
niedrigem pH-Wert angeregt.
Bei unfallbedingten Schädel-Hirn-Verletzungen, Sauerstoffmangel, Vergiftungen oder
Überdosierungen bestimmter Medikamente oder Substanzen (z.B. Opiate wie Morphin oder
Heroin) kann die Funktion des Atemzentrums beeinträchtigt werden und im
schwerwiegendsten Fall dazu führen, dass der Mensch nicht mehr atmet, da der Atemantrieb
fehlt. Um solche Störungen zu erkennen ist die Bestimmung der Atemfrequenz von
entscheidender Bedeutung. Sie liegt beim gesunden Erwachsenen bei 15 bis 20 Atemzüge pro
Minute, beim Kind alterabhängig höher.
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Atemmechanik
Damit die Luft in die Lunge gelangen kann, ist es notwendig, einen Unterdruck zu erzeugen
(Abb. 2). Dieses geschieht durch Kontraktion des Zwerchfells, das sich dabei absenkt und
durch das Heben der Rippen. In beiden Fällen wird der Brustraum erweitert. Die Lunge, die
über das Lungenfell mit dem Zwerchfell und der Brustwand verbunden ist, dehnt sich dabei
aus und erzeugt im Brustraum einen Unterdruck. Dadurch wird über die Atemwege die Luft
von außen eingesaugt. Einatmung ist stets ein aktiver Vorgang. Die normale Ausatmung
erfolgt passiv. Nach Entspannung der Atemmuskulatur zieht sich der Brustkorb durch die
dann wirksamen elastischen Rückstellkräfte zusammen, wodurch im Brustkorb ein Überdruck
entsteht, der dann zum Herausdrücken des Gases aus der Lunge führt. Für eine vertiefte
Ausatmung ist jedoch eine zusätzliche muskuläre Aktivität notwendig.
Abbildung 2: Mechanik der Ein- und Ausatmung
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An der Erweiterung des Brustkorbs und damit an der Einatmung (Inspiration) ist das
Zwerchfell als wichtigster Atemmuskel beteiligt. Die Interkostalmuskulatur sowie die Mm
scaleni u.a. werden als Atemhilfsmuskulatur bezeichnet. Sie werden nur bei starken
Belastungen oder bei Atemnot benötigt.
Störungen der äußeren Atmung können u.a. verursacht werden durch
• Verlegung der Atemwege durch
o Fremdkörper im Rachen oder der Luftröhre
o ein Zuschwellen der Atemwege z.B. im Rachen- und Kehlkopfbereich durch
einen Insektenstich oder
o eine zurückfallende Zunge beispielsweise bei Bewusstlosigkeit
• Störung der Atemmuskulatur durch schockbedingte Minderversorgung mit Sauerstoff oder
durch Schmerzen (z.B. bei Rippenbrüchen)
• Lungenerkrankungen, die zu einer Überlastung der Atemmuskulatur führen (z.B. instabiler
Thorax, schwere Lungenentzündung, Lungenödem)
• Lungenerkrankungen, die zu einer gestörten Diffusion von Sauerstoff aus den Alveolen
ins Blut führen (z.B. Lungenödem)
Diese Störungen gilt es im Notfall schnell zu erkennen, um geeignete Maßnahmen ergreifen
zu können
III. Kreislaufstörung, Schock
Ein funktionierender Kreislauf ist neben der intakten Atmung Vorraussetzung für die
Versorgung der Organe und Gewebe mit Sauerstoff. Ohne diesen Sauerstoff kommen die
Organfunktionen in Abhängigkeit des Organs mehr oder minder schnell zum Erliegen.
Dementsprechend stellen Störungen der Kreislauffunktion ein vital bedrohliches Problem dar.
Die Schwere der Kreislaufstörung kann dabei von geringfügigen, schnell reversiblen
Einschränkungen über manifeste Schockzustände mit Lebensbedrohung bis zum
vollständigen Erliegen des Kreislaufes (Herz-Kreislaufstillstand) reichen. Beteiligt am
Funktionieren des Kreislaufs sind das Herz mit seiner Pumpfunktion, das Gefäßsystem mit
seiner Funktion als Transportweg und Blutdruckregulator und das Blut selbst als
Transportmedium für Sauerstoff, Energieträger und Stoffwechselprodukte. Eine Störung jedes
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einzelnen dieser drei Teilbereiche und auch kombinierte Störungen können dabei zur
Einschränkung der Kreislauffunktion und damit zur Gefährdung der Sauerstoffversorgung der
Peripherie führen.
Auch wenn nicht jede Kreislaufstörung bereits zum Vollbild eines Schocks führen muss und
ein Kontinuum verschieden starker Ausprägungen der Störung möglich ist, so können alle
Störungen, unabhängig vom Schweregrad auf einen der unten dargestellten
pathophysiologischen Mechanismen bzw. Schockformen zurückgeführt werden.
Grundsätzlich bezeichnet der Begriff Schock einen Zustand unzureichender Durchblutung
vitaler Organe mit so starker Verminderung des Sauerstoff-Angebots, dass der notwendige
Sauerstoffbedarf nicht mehr gedeckt werden kann und der daraus resultierende
Sauerstoffmangel auf der Zellebene zur Einschränkung der Zell- und Organfunktion führt. Da
die Sauerstoffversorgung nicht ohne weiteres zu messen ist wird die klinische Diagnose
anhand eines zu niedrigen Blutdruckes und zusätzlicher Symptome gestellt. Ein systolischer
Blutdruck von 90 mmHg oder weniger ist das Kardinalzeichen des Schocks; bei älteren
Menschen können auch höhere Blutdruckwerte schon pathologisch sein. Zu unterscheiden
sind 5 Schockformen.
Hypovolämischer Schock
Der hypovolämische Schock ist ein Zustand unzureichender Durchblutung vitaler Organe
infolge eines intravasalen Volumenmangels (Volumenmangel im Gefäßsystem). Der
Volumenmangel kann durch einen Blutverlust bei einer Blutung (hämorrhagischer Schock)
aber auch bei starken Flüssigkeitsverlusten ohne Blutung (hypovolämischer Schock im
engeren Sinne) verursacht werden, z.B bei schwerer Verbrennung oder starker
Durchfallerkrankung. Wird der Volumenmangel durch ein Trauma verursacht bezeichnet man
ihn als einem traumatisch-hämorrhagischen Schock. Hierbei wird der Volumenangelschock,
durch die traumabedingten Gewebszerstörungen und –schädigungen und der damit
verbundenen Freisetzung von endogenen Zellgiften verstärkt.
Die führenden klinischen Zeichen des hypovolämischen Schocks sind:
Agitiertheit und ggf. Bewusstseinstrübung.
Hautblässe und Kaltschweißigkeit ggf. mit Zyanose.
Tachypnoe (Atemfrequenz über 25 bis 30 Atemzüge pro Minute)
Systolischer Blutdruck unter 90 mmHg
Tachykardie
Oligurie (in der Präklinik nicht messbar)
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Zur klinischen Beurteilung des hypovolämischen Schocks dienen neben der Inspektion des
Patienten insbesondere das Ausmaß von Hypotonie und Tachykardie sowie darüber hinaus
auch das Verhältnis beider Größen (Schock-Index). Der Schockindex bezeichnet den
Quotienten aus Herzfrequenz und Blutdruck. Er liegt normalerweise unter 1. Ein Schockindex
über 1 bis 1,5 ist ein starker Hinweis auf einen Volumenmangelschock.
Kardialer (kardiogener) Schock
Der kardiale Schock umfasst alle kardialen und extrakardialen Erkrankungen, die zu einer
unmittelbaren Funktionsstörung des Herzens mit nachfolgendem Schockzustand führen.
Ursachen können in einer Schwäche des Herzmuskels (z.B. Herzinfarkt), in mechanischen
Störungen (z.B. Herzklappenerkrankung, Lungenembolie) oder in Herzrhythmusstörungen
liegen. Der kardiogene Schock ist durch eine primäre, kritische Verminderung der kardialen
Pumpleistung charakterisiert. Die Diagnose wird anhand klinischer und/oder
hämodynamischer Kriterien gestellt und erfordert den Ausschluss anderer korrigierbarer
Faktoren (z. B. Hypovolämie). Klinisch finden sich Zeichen der Kreislaufzentralisation wie
Agitiertheit und/oder Bewusstseinstrübung,
blasse, kühle, schweißige Haut und
Oligurie (in der Präklinik nicht messbar)
Systolischer Blutdruck < 90 mmHg
Anaphylaktischer Schock
Der anaphylaktische Schock ist eine akute Verteilungsstörung des Blutvolumens. Durch eine
allergische Überempfindlichkeitsreaktion kommt es zu einer Weitstellung der Blutgefäße, so
dass ein Teil des intravasalen Blutvolumens nicht mehr an der Versorgung der Organe
teilnimmt und der Blutdruck stark abfällt. Führende Symptome und Befunde sind
Hauterscheinungen (Juckreiz, Rötungen, Quaddeln),
Systolischer Blutdruck < 90 mmHg
Atemwegsobstruktion (Asthma-ähnlich Atemgeräusche, Zuschwellung durch Ödeme
im Larynx- und Pharynxbereich)
gastrointestinale Symptome (Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, kolikartige
Beschwerden, Harn- und Stuhldrang bzw. –abgang)
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Septischer Schock
Der septische Schock ist eine Verteilungsstörung des zirkulierenden Blutvolumens. Er
entsteht infolge einer schweren Infektion und geht mit einem systolischen Blutdruck < 90
mmHg sowie den klinischen Zeichen einer eingeschränkten Organfunktion einher. Als
allgemeine Befunde weisen die Patienten Bewußtseinstrübung, Fieber und Schüttelfrost auf.
Die Haut ist heiß, gerötet und trocken. Es besteht eine Tachykardie und es treten u.a.
Störungen der Atmung, der Nierenfunktion und der Blutgerinnung auf.
Neurogener Schock
Der neurogene Schock beruht auf einer generalisierten und ausgedehnten Vasodilatation
(Blutgefäßerweiterung) infolge einer Störung der sympathischen und parasympathischen
Regulation der glatten Gefäßmuskulatur und kann beispielsweise bei einer Verletzung des
Rückenmarks auftreten. Das Blutvolumen verändert sich nicht, während die Kapazität des
venösen Systems (Splanchnikusgebiet und/oder Skelettmuskel) steigt. Zu den führenden
Symptomen und Befunden zählen:
• Plötzlicher Blutdruck-Abfall,
• Bradykardie,
• langsamer „springender” Puls,
• Bewusstseinsverlust, Schädigungen schlagartig eintreten kann,
• blasse, warme und trockene Haut,
• Verlust der spinalen Reflexe und Sensibilität bei hoher medullärer Läsion.
IV. Anatomie und Physiologie des Herzens
Das Herz ist ein Hohlmuskel und ist in vier Kammern unterteilt. Es besteht aus rechtem
Vorhof, rechter Kammer, linkem Vorhof und linker Kammer (Abb. 3).
Das Blut gelangt über die obere und untere Hohlvene in den rechten Vorhof (Atrium), strömt
durch die Trikuspidalklappe in die rechte Kammer (Ventrikel), wird von dort durch die
Pulmonalklappe in die Lungenarterie gepumpt. In der Lunge wird das Blut mit Sauerstoff
angereichert und Kohlendioxyd eliminiert. Das Blut fließt dann über die Lungenvenen in den
linken Vorhof. Durch die Mitralklappe gelangt es in die linke Herzkammer, um dann durch
die Aortenklappe in die Aorta gepumpt zu werden.
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Beide Vorhöfe kontrahieren sich fast gleichzeitig, um das Blut in die Herzkammern zu
pumpen. Durch die Verzögerung der Reizleitung zwischen Vorhof und Kammern (s. unten)
wird erreicht, dass sich die Herzkammern etwas später kontrahieren und somit Zeit haben,
sich zu vorher mit dem Blut aus den Vorhöfen zu füllen.
Das Herz ist aus drei Schichten aufgebaut: Das Endokard kleidet das Herz innen aus, das
Myokard bildet die Arbeitsmuskulatur, das Epikard ist eine umgebende Bindegewebsschicht.
Das Herz ist zudem in den Herzbeutel, das Perikard eingebettet. Das Vorhofseptum trennt die
Vorhöfe, das Kammerseptum die Herzkammern.
Abbildung 3: Anatomie des Herzens
Das Herz wird von zwei wichtigen Arterien versorgt, den Koronargefäßen (Abb. 4). Sie
zweigen kurz hinter der Aortenklappe aus der Aorta ab: die rechte Koronararterie ( ACD )
und die linke Koronararterie, die sich nach dem Hauptstamm in zwei große Äste teilt, den
Ramus interventricularis anterior ( RIA) und den Ramus circumflexus ( RCX ). Die
Herzmuskulatur wird überwiegend in der Diastole mit Blut versorgt. In der Systole steht die
Herzwand wegen der Muskelkontraktion unter Spannung und lässt kaum Durchblutung zu.
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Erst nach Schluss der Aortenklappe in der Diastole, wenn der Herzmuskel entspannt, kann die
Herzmuskulatur mit Blut versorgt werden.
Abbildung 4: Koronararterien
V. Erregungsausbreitung am Herzen und Reizleitungssystem
Die Kenntnis der Erregungsausbreitung im Herzen ist für das Verständnis von
Herzrhythmusstörungen und die Interpretation des Elektrokardiogramms (EKG) von
Bedeutung. Im EKG wird die elektrische Aktivität des Herzens – Erregungsbildung und
Erregungsausbreitung – ermittelt. Aus dem EKG können keine unmittelbaren
Schlussfolgerungen auf die mechanische Funktion des Herzens gezogen werden. So besteht
bei einer pulslosen elektrischen Aktivität (PEA) ein Kreislaufstillstand obwohl EKG-Signale
registriert werden.
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Aktionspotential
Voraussetzung für die Analyse des EKG-Zyklus (bestehend aus der Abfolge von P-Welle,
QRS-Komplex und T-Welle) ist die Kenntnis der physiologischen Schrittmacher und des
Erregungsleitungssystems (Abb. 5). In Ruhe sind die Herzmuskelzellen negativ geladen bzw.
polarisiert. Jede elektrisch aktive Zelle des Herzens besitzt die Eigenschaft der automatischen
Depolarisation. Tritt diese auf wird die polarisierte Zelle schlagartig depolarisiert, was die
Freisetzung eines elektrischen Impulses zur Folge hat; man spricht vom Aktionspotential.
Dadurch wird sofort eine Depolarisation der Nachbarzellen ausgelöst und es kommt zu einer
Erregungsausbreitung über das ganze Herz (s.u.).Unmittelbar an die Depolarisation schließt
sich die Repolarisation an. Die Summe aller Aktionspotentiale des Herzens und ihrer
Ausbreitung wird im EKG als Herzzyklus dargestellt (Abb. 6 und 7). Nach abgeschlossener
Depolarisation ist die Herzmuskelzelle kurzfristig refraktär und nicht erregbar.
Die Depolarisierung löst an den Herzmuskelzellen eine Kontraktion aus. Da sich die
Herzmuskelzellen durch die schnelle Erregungsausbreitung koordiniert und fast gleichzeitig
kontrahieren, ziehen sich die Vorhöfe und Kammern zusammen und transportieren das Blut
vorwärts.
Physiologische Schrittmacher und Erregungsausbreitung
Unter physiologischen Bedingungen wird die Herzfrequenz vom Sinusknoten, einem kleinen
Zellverband im oberen rechten Vorhof, dem primären oder physiologischen Schrittmacher
des Herzens, bestimmt. Seine automatische Depolarisation liegt im Bereich der „normalen“
Pulsfrequenz zwischen 60 und 100/min und ist schneller, als diejenige aller anderen Bereiche
des Herzens. Vom Sinusknoten aus erfolgt die Erregungsausbreitung in die Muskulatur der
Vorhöfe. Die Summe der Aktionspotentiale der Vorhoferregung entspricht im EKG der P-
Welle. Von den Vorhöfen gelangt die Erregungswelle in den AV-Knoten (in der Ventilebene
zwischen Vorhöfen und Kammern) und sehr schnell weiter über das Hiss´che Bündel in die
beiden Tawara-Schenkel. Der linke Schenkel teilt sich in ein schmales vorderes Faszikel und
ein kräftiges hinteres Faszikel. Die Schenkel bzw. ihre Faszikel verlaufen unterhalb des
Endokards und verzweigen sich über die Purkinje-Fasern in Richtung des Epikards. Von den
Purkinje-Fasern aus erfolgt die Depolarisierung der Herzmuskelzellen in den Ventrikeln.
Die Ausbreitung der Erregung in den Ventrikeln wird im EKG als QRS-Komplex
repräsentiert. Die Erregungsausbreitung vom Sinusknoten über das Gebiet des AV-Knotens
bis zum Beginn der Kammererregung wird im EKG als PQ-Zeit bestimmt. Nach Abschluss
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der Erregung des Kammermyokards erfolgt die Repolarisation der Kammern, die im EKG als
T-Welle bezeichnet wird.
Abbildung 5: Reizleitungssystem des Herzens (rot)
Das Herz schlägt zwar auch ohne äußere Nervenversorgung, die Einflussnahme des
vegetativen Nervensystems ( Sympathikus und Vagus ) ermöglicht jedoch die Anpassung der
Herzfrequenz an den wechselnden Bedarf des Organismus. Die Herznerven des N. vagus
wirken bremsend und verlangsamen die Herzfrequenz, die des Sympathikus wirken fördernd
und erhöhen die Herzfrequenz.
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Abbildung 7: Schematische Darstellung einer elektrischen Herzaktion
VI. Ableitung des EKG
Heute ist es üblich, in den Rettungsfahrzeugen kombinierte EKG-Geräte mit integriertem
Monitor, schriftlichem Ausdruck und Defibrillator zu verwenden. Die marktüblichen Geräte
sind alle vergleichbar kompakt und robust, unabhängig vom Stromnetz und transportabel. Im
Rettungsfahrzeug werden die Akkumulatoren über das Bordnetz geladen und somit ständige
Betriebsbereitschaft garantiert.
Die Ableitung des EKG stellt neben dem intravenösen Zugang und der O2-Gabe die häufigste
Maßnahme im präklinischen Notfall dar und steht im Mittelpunkt der Vitaldiagnostik. Durch
die Ausrüstung der Rettungsmittel mit EKG-Geräten mit 5poligem oder 10poligem Kabel ist
es möglich, die EKG-Diagnostik schon präklinisch zu beginnen und den Verlauf eines
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kardialen Ereignisses zum einen frühen Zeitpunkt zu dokumentieren. Hierzu muss ein EKG
standardisiert abgeleitet werden.
Bei Verdacht auf Kreislaufstillstand wird das EKG über die Paddles (Elektroden) des
Defibrillators) abgeleitet. Sie werden rechts subklavikulär parasternal und in der linken
mittleren Axillarlinie unterhalb der Mamille aufgesetzt.
Diese Ableitung entspricht der Ableitung II (siehe unten). Eine unruhige Nulllinie bei
Kammerflimmern oder Verdacht auf Asystolie muss durch den Cross-Check verifiziert
werden: Die Paddles werden entgegengesetzt positioniert, d. h. das linke Paddle unter das
linke Schlüsselbein, das rechte an die rechte Thoraxapertur. War der Flimmervektor in der
Standardableitungsebene zu klein, sollte das Kammerflimmern in dieser Ebene erkennbar
sein.
Für das Monitoring, d.h. für die Überwachung der Herzfrequenz genügt eine 3-Kanal-
Ableitung:
Für die Diagnostik eines Herzinfarktes und von Herzrhythmusstörungen ist jedoch die
Ableitung eines Standard-12-Kanal-EKGs mit den 12 Standard-Ableitungen an den
Extremitäten ( I, II, III, aVR, aVL, aVF) und der Brustwand (V1, V2 , V3 , V4 , V5 , V6 )
notwendig. Hierfür benötigt man 4 Ableitungspunkte an den Extremitäten und 6
Ableitungspunkte an der Brustwand. Optimal ist der Einsatz eines 4-poligen Kabels mit
Farbkodierungen für die Extremitäten und eines Zusteckkabels mit „C1“ bis „C6“ (C steht für
Eine Elektrode wird
• rechts unterhalb des Schlüsselbeins
angebracht, eine
• links unterhalb des Schlüsselbeins. Die
• dritte Elektrode kleben Sie ebenfalls auf
die linke Thoraxhälfte, etwa auf Höhe
des Rippenbogens, leicht seitlich.
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Chest) beschrifteten Kabelclips für die Brustwandelektroden. Die Kabel werden mit
Einmalklebeelektroden am Patienten fixiert.
Positionierung der Elektroden an den Extremitäten:
• Schwarz rechter Fuß (Nullpunkt, Erdung), alternativ rechte Leiste
• Rot rechter Arm, alternativ rechte Schulter
• Gelb linker Arm, alternativ linke Schulter
• Grün linker Fuß, alternativ linke Leiste
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Positionierung der Brustwandelektroden:
• V1 4. ICR rechts parasternal
• V2 4. ICR links parasternal
• V3 zwischen V2 und V4
• V4 5. ICR links in MCL
• V5 zwischen V4 und V6
• V6 5. ICR links in MAL ICR = Interkostalraum (Wichtig! In der Regel ist erst der 2. ICR unter der Klavikula tastbar)
MCL = Mediklavikularlinie
MAL = mittlere Axillarlinie
Abbildung 8: Extremitätenableitungen (oberes Bild) und Brustwandableitungen (unteres Bild)
Die Position der Elektroden der Brustwandableitungen muss exakt sein, um die
Vergleichbarkeit des präklinisch abgeleiteten EKG mit der folgenden klinischen Diagnostik
zu gewährleisten. Besonders bei der Beurteilung des Infarktverlaufs ist das entscheidend,
denn das präklinisch aufgezeichnete EKG dokumentiert das kardiale Ereignis in seinem
akuten Bild und damit dessen Beeinflussung durch die ersten notfallmedizinischen
Maßnahmen. Ideal ist, die präklinisch geklebten Elektroden für die Folge-EKGs weiter zu
verwenden.
V1 V2
V3
V4 V5 V6
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Die Dokumentation erfolgt überwiegend durch Thermoschreiber auf Millimeterpapier. Für die
Beurteilung ist ein Ausdruck aller 12 Ableitungen über einige Herzzyklen in der
Geschwindigkeit des Papiervorschubs mit 50 mm/s zu empfehlen, da hierbei P-Wellen und
PQ-Abstände besser zu erkennen sind. Ein Rhythmusstreifen kann mit 25 mm/s ausgedruckt
bzw. gespeichert werden.
Die Verwendung von EKG-Linealen im Notfalleinsatz erübrigt sich, wenn wenige wichtige Kenndaten beachtet
werden. Moderne Geräte kennzeichnen den Ausdruck mit Informationen über Registriergeschwindigkeit und
Eichung, d. h. Größe der EKG-Zacken in mm. Üblicherweise entspricht die Höhe 10 mm = 1 mV. Dies ist
anhand der Eichzacke zu erkennen.
• Bei 50 mm/s entsprechen 5 mm einer Zeit von 0,1 s; Abstände von 5 mm sind als Kästchen mit
hervorgehobenen Randlinien im EKG-Papier deutlich sichtbar
• Bei 25 mm/s entsprechen 5 mm einer Zeit von 0,2 s
• Bei 50 mm/s sollte ein Kammerkomplex nicht die Dauer eines 5-mm-Kästchens überschreiten
• Bei 50 mm/s sollte die PQ-Zeit kürzer als 2 Kästchen (= 10 mm = 0,2 s) sein
Frequenzermittlung
Zwar geben moderne EKG-Geräte einen elektronisch ermittelten Wert für die Herzfrequenz an, doch kann die
Elektronik nicht immer Artefakte oder hohe spitze T-Wellen von Kammerkomplexen normaler Herzaktionen
bzw. von polymorphen VES unterscheiden. Diese Differenzierung muss durch Wissen erfolgen. Die
Herzfrequenz lässt sich mühelos aus dem Ausdruck bzw. der eingefrorenen Kurve des Monitors ermitteln:
Zählen Sie die Kammerkomplexe über einen Zeitraum von 6 sec (= 25 cm bei einem Vorschub von 50
mm/s) und multiplizieren Sie den Wert mit 10 = Frequenz/min
VII. Grundzüge der EKG-Analyse
Für die orientierende Analyse des EKGs soll sich an dieser Stelle auf einige wenige
Grundzüge der Rhythmusdiagnostik beschränkt werden, die für die allgemeine
Diagnosestellung in der Initialphase von Bedeutung sind. Die wichtige Rolle des EKGs bei
der Diagnosestellung eines Herzinfarktes und anderer Störungen werden hier nicht weiter
erläutert.
Bei einem Herzgesunden beträgt die Herzfrequenz zwischen 60 und 80 Schläge pro Minute
mit einer gleich- und regelmäßigen Abfolge der einzelnen Herzschläge. Unter
Herzrhythmusstörungen werden folgende Abweichungen subsumiert:
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• Tachykardie: Steigerung des Pulsschlags (Herzfrequenz) auf über 100 pro Minute
• Bradykardie: Abfall der Pulsschlags unter 60 pro Minute
• Arrhythmie: Unregelmäßigkeit des Herzschlags (auch normofrequent möglich)
• Extrasystolie (Extraschläge): plötzlich auftretender Herzschlag, der außerhalb des
regelmäßigen Grundrhythmus liegt. Diese zusätzlichen Herzschläge können sich durch
einzelne Schläge oder mehrere, auch gehäufte Schläge (Salven) äußern.
Die Herzrhythmusstörungen werden außerdem nach dem Ort der Entstehung unterteilt. Zum
einen können sie in den Vorhöfen (supraventrikulär) oder in den Kammern (ventrikulär)
entstehen.
Bei Sinusrhythmus, d.h. beim normalen Herzrhythmua, findet sich stets eine P-Welle vor
dem Kammerkomplex. Bei allen supraventrikulären Rhythmen werden die Erregungen über
die physiologischen Bahnen geleitet. Die QRS-Komplexe sind deshalb unauffällig schmal.
Bei ventrikulären Rhythmusstörungen sind im Gegensatz dazu die QRS-Komplexe verbreitet
(>0,11 sec). In Sonderfällen kann ein breiter QRS-Komplex auch supraventrikulären
Ursprungs sein.
Abbildung 6: Normaler EKG-Streifen
In der folgenden Abbildung sind EKG-Streifen mit einigen typischen und wichtigen
Herzrhythmusstörungen dargestellt:
Supraventrikuläre Tachykardie (schmale QRS-Komplexe, 150 Schläge/min)
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Bradykardie (50 Schläge/min)
Ventrikuläre Extrasystolie (2 mal auftretende breite QRS-Komplexe bei
Sinusrhythmus)
Ventrikuläre Tachykardie (regelmäßige, breite QRS-Komplexe, 150 Schläge/min)
Kammerflimmern (unregelmäßig breite und unregelmäßige hohe QRS-Komplexe in
unregelmäßigen Abständen)
Asystolie (keine QRS-Komplexe)
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Zur systematischen Untersuchung des Rhythmus empfiehlt sich folgendes Vorgehen:
1. Liegt ein defibrillationswürdiger Rhythmus vor?
Dies sind Kammerflimmern und die pulslose ventrikuläre Tachykardie. In beiden
Fällen ist kein Puls (Carotispuls) zu tasten und es liegt ein entspechendes Bild im
EKG (Ableitung über die Paddles oder Ekg-Streifen über Elektroden) vor
2. Besteht eine Asystolie?
Hier ist kein Puls tastbar und es ist keine elektrische Aktivität vorhanden (Achtung:
cross check durchführen!)
3. R-Zacken- bzw. QRS-Komplex-Muster (Rhythmus und Frequenz)?
Anhand der Häufigkeit der R-Zacken wird die Herzfrequenz (schnell / normal /
langsam) und anhand der Regelmäßigkeit bzw. Unregelmäßigkeit der Rhythmus
bestimmt
4. Beschaffenheit des QRS-Komplexes?
Breite des QRS-Komplexes zur Differenzierung zwischen ventrikulärer und
supraventrikulärer Rhythmusstörung
VIII. Kammerflimmern und die Prinzipien der Defibrillation
Kammerflimmern stellt eine unkoordinierte, nicht selbst-terminierte elektrische Aktivität des
Kammermyokards dar. Aufgrund der ungesteuerten Depolarisation der Herzmuskelzellen und
der entsprechend uneinheitlichen Repolarisation ist eine geordnete und mechanisch effiziente
Ventrikelkontraktion nicht mehr möglich. Kammerflimmern führt daher unmittelbar nach
dem Auftreten zu einem vollständigen Zusammenbruch des Kreislaufs.
Die einzig effektive Therapie des Kammerflimmerns besteht in der elektrischen
Defibrillation.
Der Wirkungsmechanismus der Defibrillation besteht in der Verabreichung eines starken
Stromstosses (Elektroschocks) von 200 bis 360 J auf das Herz. Dadurch werden alle
Myokardzellen zeitgleich depolarisiert und somit wieder synchronisiert. Das elektrische
Chaos im Herzen (Vorhof und Kammer) wird beendet. Aufgrund der automatischen
Depolarisation, die im Bereich des Sinusknoten am schnellsten eintritt, wird eine reguläre
Erregungsausbreitung und damit eine koordinierte Herzaktion und Kontraktion mit
Blutauswurf ermöglicht.
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Eine frühe Defibrillation ist für das Überleben eines Kreislaufstillstandes aus mehreren
Gründen entscheidend:
1. Kammerflimmern ist der häufigste initiale Rhythmus beim beobachteten
Herzstillstand und liegt bei ca. 80 % aller Herzstillstände vor.
2. Die Defibrillation ist die einzige effektive Behandlung des Kammerflimmerns
3. Die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Defibrillation nimmt über die Zeit schnell
ab
4. Kammerflimmern geht innerhalb weniger Minuten in eine Asystolie über. Die
Erfolgschancen einer kardiopulmonalen Reanimation bei Vorliegen einer Asystolie
sind schlecht und liegen unter 2%.
Erwachsene können Kammerflimmern ohne neurologische Folgeschäden überleben, wenn
eine Defibrillation innerhalb von 6 bis 10 Minuten nach Eintritt des Herzstillstandes erfolgt,
insbesondere, wenn vorher eine suffiziente Herz-Kreislauf-Wiederbelebung (Beatmung und
Herzdruckmassage) durchgeführt wird. Entscheidender Faktor für die Überlebensrate ist der
Zeitpunkt, zu dem die Defibrillation durchgeführt wird. Die Überlebenswahrscheinlichkeit
sinkt mit jeder Minute der Verzögerung um 7 bis 10%. Die Überlebensrate kann bis zu 90%
betragen, wenn die Defibrillation innerhalb der ersten Minute nach dem Kollaps erfolgt, sie
nimmt nach 5 min auf ca. 50%, nach 7 min auf ca. 30%, nach 9 bis 11 min auf 10% und
danach auf unter 5% ab.
Ein früher Defibrillationszeitpunkt kann einerseits durch eine Optimierung der Rettungskette
(chain of survival) erreicht werden. Während in der Vergangenheit eine Defibrillation nur
durch einen Arzt vorgenommen werden durfte, kann die Defibrillation auch durch
Rettungsassistenten vorgenommen werden. Vorraussetzung dafür ist eine entsprechende
Schulung und Einweisung des Rettungsdienstpersonals in die Durchführung der Defibrillation
und der Anwendung der Defibrillatoren im Rahmen der Notkompetenz. Weiterhin ist eine
kontinuierliche Evaluation der Frühdefibrillation durch den für den Rettungsdienst
verantwortlichen ärztlichen Leiter erforderlich. Der entscheidende technische Fortschritt um
die breitere Anwendung der Defibrillation durch nicht ärztliches Personal zu ermöglichen war
die Entwicklung halbautomatischer Defibrillatoren, die mittels spezieller Algorithmen
Kammerflimmern erkennen und die Empfehlung für die Verabreichung eines Elektroschocks
geben können. Durch die Einführung solcher Frühdefibrillationsprogramme konnte in
mehreren europäischen Regionen die Überlebensrate bei Kammerflimmern auf 27 bis 50%
gesteigert werden.
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Die hohe Qualität der Geräte führte zur Verbreitung automatischer Defibrillatoren, die sogar
in den Händen von Laienhelfern eine frühe und sichere Defibrillation erlauben. Solche Geräte
werden zunehmend in Schulen, öffentlichen Bereichen, Flughäfen und Linienflugzeugen
stationiert.
Weiterführende Publikationen:
• Lindner UK (2004) Notfall-EKG. Notfall & Rettungsmedizin 7: 205 - 220
• International Guidelines 2000 for CPR and ECC. A consensus on science.
Resuscitation 46 (2000): 1-186
• http://www.erc.edu
• http://www.anr.de/de/wissen/lernprogramm/index.jsp
• H. A. Adams, et al. (2001) Anaesthesiol Intensivmed Notfallmed 36: 140-143