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Text Achim Pilz*
Bilder Achim Pilz und Rolf Canters
Ein denkmalgeschütztes Riegelhaus hat einen modernen Luft-Wasser-
Kollektor aus erneuerbaren Baustoffen erhalten. Auch Lehm und Kalk kamen
zum Einsatz. So entstanden minimale Emissionen bei optimalem Materialein-
satz. das europäischen GreenConServe-Programm förderte das Projekt.
Solarfassade mit Lehm und Kalk
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Über die baubiologische Sanierung ei-
nes Dorfschulhauses von 1857 im
schwäbischen Murrhärle berichtete
die «Applica» im Heft 6/2011. Unter
anderem war der Fachwerkgiebel des
denkmal geschützten Riegelhauses in-
nen mit 5 cm Schilf gedämmt und mit
Lehm verputzt worden.
Unterdessen hat ihn der Bauherr Rolf
Canters, Inhaber des Inge nieurbüros
Bau Plusenergie und Baubiologe, wei-
ter erneuerbar optimiert. Im Rahmen
des GreenConServe-Programms für
mehr Klimaschutz baute er den südli-
chen Giebel in eine diffusionsfähige Ver-
suchsfassade mit einem Luft-Wasser-
Kollektor um.
Kollektor als Zentralheizung
Der Kollektor deckt den Brauchwas-
serbedarf zu 75 Prozent und produ-
ziert gleichzeitig warme Luft. Damit ist
er eine handwerklich erstellte Zentral-
heizung. Mit ihr erreicht die zugehörige
Dachwohnung Passivhausstandard. An-
ders als bei gängigen Systemen wurde
der Sonnenab sorber direkt auf eine mi-
neralische Putzschicht montiert, die eine
Aussendämmung schützt. Die Gebäude-
hülle wird dadurch nicht nur besser ge-
dämmt, sondern gewinnt rund siebenmal
mehr Energie als sie Wärme abstrahlt.
Die Energiegewinnfassade reduziert
den Heizwärme- und Lüftungsbedarf von
104 m2 Wohn'äche im Dachgeschoss
um bis zu 40 Prozent (Ausgangszustand:
Holzheizung und Warmwassererwärmung
mittels Elektroheizstab). Die realisier-
te CO2-Einsparung beträgt 3 bis 4 Ton-
nen pro Jahr.
Baubiologische Materialien
Wichtig war dem Baubiologen Canters,
nachhaltige Baumaterialien und eben-
solche Technikkomponenten einzuset-
zen. Die Unterkonstruktion ist aus Dou-
glasieholz, die eingesetzte Dämmung
aus Schilf. Zusammen mit Lehm und
Kalk ist die Fassade durchgängig dif-
fussionsfähig.
Die mineralischen Putze sind zu-
dem kapillaraktiv. So optimieren sie
das Feuchtemanagement der Fassade.
Da viele nachwachsende Rohstoffe ver-
wendet wurden, ist die CO2-Einlagerung
entsprechend gross. Das steigert die
Ef*zienz der Fassade noch einmal. Der
Aufwand für die Steuerung der Anlage
wurde minimiert.
Handwerkliche Ausführung
Für den wärmebrückenoptimierten
Einbau des Schilfs hinter die Holz-
konstruktion kombinierten die Fach-
leute eigene Ernte, Bundware und
Platten. Den Schiefstand der Fassa-
de glichen sie mit Dämmstärken von
5 bis 8 cm aus. Die Anschlüsse an die
Dachschräge waren mit Bundware ein-
fach zu schliessen. Für eine Reduk tion
der Wärmebrücken *xierte man das
Schilf mit Edelstahldrähten. Neben ei-
ner erheblich geringeren Wärmeleitfähig-
keit sind sie auch länger haltbar. Nach
dem Grundieren des Schilfs mit Lehm-
schlämme erfolgte das Verputzen in zwei
Schichten mit Wärmedämmlehm und fa-
serverstärktem Lehm. Als Schlagregen-
schutz in der Bauphase wurde zudem
teilweise ein farblich zu den bläulichen
Absorbern passender, durch Fasern ver-
stärkter Kalkputz aufgebracht.
Abstimmung mit dem Denkmalschutz
Viele Details wurden vor Ort entwickelt
und mit dem Denkmalamt abgestimmt.
Die ursprünglich eingeplanten Photo-
voltaikmodule kamen wegen des Ein-
spruchs der Behörde nicht zur Realisa-
tion. Die historisch belegte Wiederkehr
stellten die Handwerker wieder her.
Die Leitungen des Heizkreises sind
auch über Bauteile geführt und wärmen
diese. Leitungen mit höheren Tempe-
raturen laufen 12 Meter in der Wand
Altes Schulhaus mit moder-
nem Luft-Wasser-Kollektor:
Wo es möglich war,
kamen nachwachsende oder
mineralische Materialien
zum Einsatz.
* Freier Architekturjournalist in Stuttgart, [email protected]
Auf den Bestandputz
schraubten die Handwerker
die Unterkonstruktion aus
Douglasie auf. Die Fugen
wurden zum Insektenschutz
mit faser armiertem Kalk-
Sanierputz geschlossen.
Der Bestandputz erhielt
eine erneuerbare Schilf-
dämmung aus loser Ware
und Platten.
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Auf das geschlämmte
Schilf kam ein Lehm-
Wärmedämmputz.
Damit der Kalkputz zur Farbe
der Solarabsorbers passt,
ist er blau eingefärbt.
aus Kalkputz und Natursteinen. 25 Me-
ter laufen im Boden aus Terrazzo (aus
Jura- und Muschelkalksplitt sowie Zie-
gelmehl). Insgesamt werden zirka 3 Ton-
nen mineralische Baumaterialien durch-
strömt.
Ökobilanzierung
Für den Kollektor kamen nur erneuer-
bares Schilf und Holz sowie Glas, Kup-
fer, Kunststoffdichtungen und Edelstahl
zum Einsatz. Aluminium, das bei der Her-
stellung viel Energie benötigt, wurde auf
ein Minimum reduziert. Das System wur-
de nach den Kriterien der Deutschen
Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen
(DGNB) mit zwei am Markt vorhande-
nen Luft- und Warmwasser-Kollektorsys-
temen verglichen, und man erstellte eine
Ökobilanz. Der realisierte Hybridkollek-
tor schnitt dabei am besten ab.
Erste Ergebnisse
Das europäischen GreenConServe-Pro-
gramm förderte das wohngesunde und
bauphysikalisch robuste System. Eben-
falls bezuschusst wurde der Einbau von
Feuchte- und Temperatursensoren für
eine wissenschaftliche Auswertung. Die
ersten Ergebnisse übertreffen die Be-
rechnungen mit einem professionellen
Simulationsprogramm um über 15 Pro-
zent. Über einen sonnigen Wintertag
wurden fast 18 kWh geerntet. Das ent-
spricht einer Bioenergiemenge von fast
4 kg Holz pro Sonnentag. Zudem wird
Sonnen energie zur solaren Frischlufter-
wärmung geerntet. ■
Putzmaterialien
■ Wärmedämm-Lehmputz
5–10 mm, Claytec Grundputz mineral
mit 3–4 Vol. % Blähglas
■ Faserverstärkter Lehm-Deckputz
3–4 mm, Clayfix weiss, blau eingefärbt,
mit Flachsfasern
■ Kalk-Deckputz
ca. 5 mm, Marmorit SM 700