Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
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Titel
Lösungsansätze zur effektiven Steuerung und nachhaltigen
Weiterentwicklung von komplexen Systemen am Beispiel
der Schweizer Luftfahrt
Master Thesis zur Erlangung des akademischen Grades
Executive Master of Business Administration (EMBA)
an der Universität für Weiterbildung (Donau-Universität Krems)
eingereicht von
Jürg Hänni
1. Begutachter: Prof. Dr. Helmut Willke
2. Begutachter: Dr. Werner Langhans
Rafz, 1. September 2011
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
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I. Abstract - deutsch
Die Luftfahrt in der Schweiz wird in der vorliegenden Master-Thesis aus der
Perspektive eines komplexen, sozialen Systems - des nationalen Aviatiksystems -
betrachtet, das sich durch seine Akteure, deren Organisationen und Strukturen und
wechselseitigen Abhängigkeiten und Interdependenzen charakterisiert. Die Akteure
sind grösstenteils autonom, wechselseitig voneinander abhängig und in einem losen
Zweckverbund ohne eigentliche Hierarchie zusammengeschlossen. Die
Leistungsfähigkeit der gesamten Aviatiksystems ist das Resultat der Bemühungen,
Fähigkeiten und dem Willen aller Beteiligten für ein gesamtheitliches Ziel, was eine
Steuerung voraussetzt, weil die Ziele und Strategien der Akteure aufgrund ihrer
Aufgaben unterschiedlich sind. Die Lösungsansätze der Systemtheorie können auf
das Aviatiksystem übertragen werden. Die Fragestellung im Aviatiksystem lautet,
wie sich die nationale Aviatik als System verhält und wie es sich effizient und effektiv
steuern lässt. Die Komplexität der übergeordneten Systemebenen und Instanzen
sowie die funktionale Differenzierung und aufgabenbezogene Spezialisierung der
Akteure bedingt eine Koordination des verteilten Wissens, den Aufbau von neuem
Wissen und den dabei benötigten Kompetenzen wie der Projektführung in
firmenübergreifendem Kontext. Erst das gesamtheitliche Denken in
Zusammenhängen und sorgfältiges Analysieren der Auswirkungen auf die
Funktionsweise aller Akteure ermöglicht ein Beherrschen der Komplexität, was
bedingt, dass sämtliche Akteure sich zur aktiven Mitarbeit bekennen und einander
akzeptieren. Die Aufgabe der Entwicklung der Luftfahrt ist grundsätzlich Aufgabe des
Staates, der die Schirmherrschaft der Aktivitäten wahrnehmen und den
Schulterschluss zur Politik ermöglichen muss. Die Lösungsvorschläge umfassen 1)
eine aus Vertretern aller Akteure bestehende, unabhängige Denkfabrik für
Innovationen und Entwicklung, die sich um die strategische Ausrichtung der
Entwicklung des Aviatiksystems kümmert, 2) ein nationales Programm mit
Gremien, Strukturen und Prozessen, das die erfolgreiche Einführung von neuen
Technologien in das Aviatiksystem unterstützt und 3) eine Systemische Roadmap,
die eine Visualisierung der Einflussgrössen auf der Zeitachse ermöglicht.
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I. Abstract - english
In the present Master-Thesis the aviation in Switzerland is looked at from the
perspective of a complex, social system - the national aviation system - which is
characterized by its stakeholders, their organizations and structures as well as their
interdependencies. The stakeholders act mainly autonomously, but are depending on
each other and are tied together to a loose partnership based on their roles but
without a real hierarchy. The performance of the aviation system is the result of the
willingness, the capabilities and efforts of all involved stakeholders for a holistic goal,
which requires a steering as the objectives and strategies of the stakeholders are
different due to their functions and tasks. The approach of the system theory is
transferable to the aviation system. The question for the aviation system to ask is
how the national aviation system is behaving and how an efficient and effective
steering can be achieved. The complexity of the superior system levels and bodies
as well as the functional differentiation and role-specific specialization of the
stakeholders requires a coordination of the dispersed knowledge, the buildup of new
know-how and the competence in project management in a multi-corporate context.
Only a holistic and coherent thinking and careful analyzing of the effects of the
functioning of all stakeholders allows the mastering of the complexity what prescribes
that all stakeholders acknowledge their active participation and accept each other.
The development of the aviation is basically the task of the State that takes the
patronage of the activities and enables the involvement of the politics. The solution
proposes 1) an independent group for innovation and development which is
composed of representatives of all stakeholders for the definition of the strategic
orientation, 2) a national program including boards, committees, structures and
processes that enables the successful implementation of new technologies into the
aviation system and 3) a systemic roadmap to visualize all the influences in relation
to time.
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Vorwort Seite 4/126
II. Vorwort
Die vorliegende Master-Thesis setzt sich mit einem Thema auseinander, das mich
schon seit längerer Zeit auf meinem beruflichen Weg begleitet: Das Funktionieren
und die Steuerung des Aviatiksystems der Schweiz. Mit über zehn Jahren
praktischer Erfahrung als aktiver Flugverkehrsleiter im Kontrollturm und
Anflugleitstelle in Genf wie in Zürich und mittlerweile über elf Jahren Erfahrung in
verschiedenen operationellen Führungspositionen verfüge ich über einen reichen
Schatz an Wissen, wie die Luftfahrt als System funktioniert. In meiner Funktion als
Stabchef der Operationen betreue ich zu Handen des COO der Flugsicherung
skyguide interessante Dossiers, die sich mit dem systemischen Funktionieren und
der Weiterentwicklung beschäftigen. Die Master-Thesis ermöglicht mir den
akademischen Zugang zu dieser faszinierenden Welt der Aviatik. In jeder Hinsicht gilt
für mich sinngemäss das Antoine de Saint-Exupéry zugeschriebene Zitat:
"Wenn Du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Männer zusammen,
um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben
und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach
dem weiten endlosen Meer."
Es ist mir ein grosses Anliegen, an dieser Stelle all den Personen zu danken, die
mich während des ganzen Lehrganges und bei der Master-Thesis unterstützt haben.
Ein grosser Dank geht an Urs Ryf für die grosszügige Unterstützung und Zeit und an
Heinz Wipf für die geduldige Nachhilfe bei der Statistik und interessanten Diskussion
zu den unterschiedlichsten Fragestellungen und Themenkreisen.
Der grösste Dank gehört meiner lieben Gattin, der besten aller Lektorinnen für die
minutiöse Korrektur meiner Erzeugnisse, und für die vielen Stunden der
Entbehrungen. Es mögen alle Rosen Dir zu Ehren blühen!
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Inhaltsverzeichnis Seite 5/126
III. Inhaltsverzeichnis
Titel............................................................................................................................. 1
I. Abstract - deutsch................................................................................................. 2
I. Abstract - english.................................................................................................. 3
II. Vorwort ............................................................................................................. 4
III. Inhaltsverzeichnis ............................................................................................. 5
IV. Executive Summary.......................................................................................... 9
1 Einleitung............................................................................................................ 14
1.1 Faszination Fliegen ..................................................................................... 14
1.2 Die vier Ebenen der Aviatik ......................................................................... 14
1.3 Begriff Aviatiksystem ................................................................................... 16
1.4 Systemtheorie ............................................................................................. 17
1.5 Steuerung.................................................................................................... 18
2 Problemstellung.................................................................................................. 19
3 Analyse der Ausgangssituation .......................................................................... 21
3.1 Der Mensch im Zentrum .............................................................................. 21
3.2 System-Umwelt Konzeption ........................................................................ 22
3.3 Kommunikation............................................................................................ 23
3.4 Komplexität.................................................................................................. 24
3.5 Die fünf Dimensionen in der Systemtheorie ................................................ 25
3.6 Systemisches Denken ................................................................................. 25
3.7 Steuerung.................................................................................................... 26
4 Strukturierung des Problems .............................................................................. 28
5 Zielformulierung.................................................................................................. 29
6 Verwendete Methoden........................................................................................ 29
6.1 Literaturstudium........................................................................................... 30
6.2 Internet ........................................................................................................ 30
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6.3 Experteninterviews ...................................................................................... 30
7 Problembehandlung ........................................................................................... 31
8 Die Aviatik als System ........................................................................................ 32
8.1 Akteure im Aviatiksystem im internationalen Kontext .................................. 34
International Civil Aviation Organization ICAO ................................................... 34
Interdependenz der globalen und nationalen Ebene .......................................... 35
Eurocontrol ......................................................................................................... 36
Europäische Union EU ....................................................................................... 37
EU als Machtfaktor in der Luftfahrt ..................................................................... 38
Umgang mit dem Machtfaktor in demokratischen Strukturen ............................. 39
Single European Sky SES.................................................................................. 39
Functional Airspace Block Europe Central FABEC ............................................ 40
Single European Sky Air Traffic Management Research SESAR ...................... 41
Europäische Agentur für Flugsicherheit EASA ................................................... 42
8.2 Abhängigkeiten im internationalen Kontext ................................................. 42
8.3 Akteure des nationalen Aviatiksystems ....................................................... 44
Vergleich mit anderen nationalen Aviatiksystemen ............................................ 46
Das Transportministerium - Das Eidgenössische Department für Umwelt,
Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK ..................................................... 46
Luftfahrtpolitik des Bundes ................................................................................. 47
Luftfahrtbehörde - Das Bundesamt für Zivilluftfahrt BAZL .................................. 50
Flughafen............................................................................................................ 51
Luftraumnutzer und Anwender ........................................................................... 52
Flugsicherung - skyguide.................................................................................... 53
Luftwaffe ............................................................................................................. 56
8.4 Abhängigkeiten der Akteure im Aviatiksystem der Schweiz ........................ 59
9 Komplexität im Aviatiksystem ............................................................................. 61
10 Beispiel Satellitennavigation ........................................................................... 64
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10.1 Bedeutung für die Aviatik ......................................................................... 64
10.2 Pionierleistungen im Projekt..................................................................... 67
11 Rollenverständnis ........................................................................................... 69
12 Kompetenzen.................................................................................................. 78
12.1 Umgang mit der Kommunikation .............................................................. 78
12.2 Umgang mit der Vernetzung .................................................................... 79
12.3 Organisationsformen der Akteure ............................................................ 81
12.4 Ausrichtung der Ziele und Strategien ....................................................... 81
12.5 Umgang mit der Politik ............................................................................. 83
12.6 Wissen ..................................................................................................... 83
12.7 Kosten und Finanzen ............................................................................... 86
13 Steuerung des Aviatiksystems........................................................................ 87
13.1 Loser Zweckverbund ohne eigentliche Hierarchie.................................... 87
13.2 Problemstellung bei der Steuerung der Entwicklung................................ 89
14 Ergebnisse...................................................................................................... 91
14.1 Gruppierung der Erkenntnisse ................................................................. 91
14.2 Folgerungen aus den Erkenntnissen........................................................ 93
Firmenübergreifende Netzwerk-Struktur dank Kommunikation .......................... 93
Aufbau von Wissen............................................................................................. 95
Granularität des Wissens.................................................................................... 98
Umgang mit Innovationen................................................................................... 99
14.3 Anforderungen an das Aviatiksystem......................................................101
15 Vorschläge.....................................................................................................102
15.1 Modell für die Zusammenarbeit...............................................................102
Grundsätzliche Bedingungen.............................................................................103
15.2 Lösungsansatz: Unabhängige Denkfabrik für Innovationen und
Entwicklung ..........................................................................................................103
Zusammensetzung der Gruppe .........................................................................104
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Die Organisationsform.......................................................................................104
Aufgaben - Verantwortung - Kompetenzen........................................................104
Das Produkt.......................................................................................................105
Mehrwert............................................................................................................105
15.3 Lösungsansatz: Nationales Programm zur Einführung von neuen
technologischen Subsystemen .............................................................................106
Organisation und Struktur des nationalen Programms ......................................106
Aufgaben - Verantwortung - Kompetenzen........................................................108
Das Produkt.......................................................................................................109
Mehrwert............................................................................................................109
15.4 Lösungsansatz: Systemische Roadmap zur Visualisierung der Komplexität
eines technologischen Subsystems......................................................................110
15.5 Zusammenspiel der Lösungsansätze......................................................113
15.6 Praxistauglichkeit ....................................................................................114
16 Umsetzungshinweise.....................................................................................116
17 Zusammenfassung ........................................................................................119
18 Literaturverzeichnis........................................................................................121
19 Verzeichnis für Abbildungen ..........................................................................122
20 Verzeichnis für Tabellen ................................................................................124
21 Verzeichnis für Abkürzungen.........................................................................125
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IV. Executive Summary
Bei einem Aviatiksystem eines Staates handelt es sich um ein komplexes, soziales
System, das sich aus den Akteuren Luftfahrtbehörde, Flughafen, Fluggesellschaft,
Flugsicherung und Luftwaffe zusammensetzt. Das Aviatiksystem eines Staates
charakterisiert sich durch die starke, funktionale Spezialisierung und Differenzierung
sowie der wechselseitigen Abhängigkeiten der Akteure, die in einem Zweckverbund
ohne eigentliche Hierarchie und ohne marktwirtschaftliche Alternativen im Sinne von
Konkurrenz gezwungen sind, sowohl im täglichen Betrieb wie auch bei der
Weiterentwicklung in einer geeigneten Form kooperativ, effektiv und effizient
zusammenzuarbeiten. Dieser Umstand führt dazu, dass die Leistungsfähigkeit des
Aviatiksystems in direktem Masse von der Leistungsfähigkeit der einzelnen Akteure
abhängig ist. Die Handlungen bestimmen die Akteure im Rahmen ihrer eigenen
internen und externen Abhängigkeiten und im Sinne ihrer Rolle, Ziele, Strategien und
Absichten sowie im Rahmen der globalen Vorgaben und Bedingungen. Es liegt nahe,
dass in diesem komplexen System das Wissen von erstrangiger und
hauptsächlicher Bedeutung ist, weil das gesamtheitliche Wissen über die
Funktionsweisen auf Grund der Heterogenität der Akteure zwangsläufig verteilt ist.
Das führt dazu, dass der zielgerichtete und erfolgreiche Umgang mit verteiltem
Wissen nur durch eine geeignete Form von Kooperation und folgedessen durch
Kommunikation erfolgt. Damit die Kommunikation gelingt, müssen die
entsprechenden Rahmenbedingungen erfüllt sein, die sowohl allseitig anerkannt als
auch als verbindlich erklärt werden müssen: das Rollenverständnis über sich selbst
und über die anderen Akteuren, die Reflexionsfähigkeit und eine gemeinsame
Ausrichtung und Strategie. Es kann festgehalten werden, dass das Verständnis der
eigenen Rolle und der Rollen der anderen Akteure in einem hohen Mass vorhanden
ist.
Die Ziele, Strategien und Organisationsentwicklungen der Akteure richten sich nicht
nur national sondern auch international aus, wobei sich die Ausprägungen bei den
einzelnen Akteuren stark unterscheiden. Eine einheitliche Ausrichtung findet sich
zwar in groben Zügen, nämlich dass die Ausrichtung nach Europa unterstützt wird,
jedoch in unterschiedlicher Stärke.
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Auch wenn die Luftfahrtbehörde im Aviatiksystem eine steuernde Funktion innehat,
so übt sie sie zu wenig aus und sorgt mit dem stakeholder involvement für ein
Zusammentragen der Bedürfnisse der Akteure. Die Führung und Steuerung des
nationalen Aviatiksystems ist daher auf eine nach dem demokratischen Prinzip
des Konsens funktionierende Mehrheit angewiesen, die anschlussfähige Lösungen
findet. Auf regionaler Ebene übernimmt die EU mit ihren Initiativen und
Körperschaften aktiv eine bestimmende Rolle zum koordinierten Beeinflussen der
nationalen Aviatiksysteme. Andererseits verlangen die ausgeprägte Vielschichtigkeit
und die Interdependenzen ein koordiniertes Vorgehen auf allen Stufen und
Ebenen, denn je tief greifender und umfassender eine Änderung ausfällt, desto
länger und schwieriger ist ihre Umsetzung. Die Qualität des Funktionierens ist
abhängig davon, wie gut sich die einzelnen Funktionen vernetzen, sich gegenseitig
verstehen, ergänzen und unterstützen. Die Komplexität erhöht sich zusätzlich, weil
Kosten der Veränderung oft nicht dort anfallen, wo der Nutzen sein wird, was ein
marktwirtschaftliches Grundprinzip verletzt.
Ein robustes Netzwerk verlangt ein Beziehungsgeflecht auf verschiedenen
hierarchischen Stufen und ein regelmässiges, internes und externes Abstimmen
von Positionen, Auffassungen, Zielen und Strategien. Die Akteure können nur im
Verbund die Komplexität beherrschen und die nötige Steuerleistung erbringen.
Es besteht ein Unterschied zwischen dem täglichen Betrieb, worauf die
Aufbauorganisationen der Akteure mit ihren Zielen und Strategien ausgerichtet sind
und sich laufend in ihrer Effizienz verbessern, und der Entwicklung als
Aviatiksystem, die im firmenübergreifenden Kontext durch geeignete
Projektorganisation das über die Akteure verteilte Wissen zusammenzuführen und
zu koordinieren sucht. Die dazu benötigten Kompetenzen sind hingegen nur
ansatzweise vorhanden und wenig ausgebildet. Im Gegensatz zum primären
Innenfokus des täglichen Betriebes, richtet sich die Entwicklung in erster Linie auf die
Beziehung der Akteure zum Aviatiksystem und verlangt von den Akteuren eine aktive
Mitarbeit in Form von personellen und finanziellen Ressourcen. Steuerung wird
benötigt, weil Tagesgeschäft und Entwicklung unterschiedliche Anforderungen und
einen anderen Fokus haben. Die Leistungsfähigkeit des nationalen Aviatiksystems ist
das Resultat der Bemühungen, Fähigkeiten und dem Willen aller Beteiligten, sich
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für ein gesamtheitliches und gemeinsames Ziel einzusetzen. Für einen Akteur mag
eine bestimmte Lösung zu einem Problem die beste sein, aber für das
Gesamtsystem ist sie womöglich eher hinderlich. Die Fähigkeit der Akteure, sich als
Teil des Ganzen zu verstehen und in dem Sinn zu handeln ohne dabei die eigene
Position im Markt und im System zu gefährden, steht im Vordergrund. Das bedingt
einerseits, dass zwischen den Akteuren eine aktive und transparente
Kommunikationskultur herrscht, die auf gegenseitiges Verstehen ausgerichtet ist,
und dass andererseits das nötige Wissen vorhanden ist. Aus Sicht der Systemtheorie
sind die Kontextsteuerung und die Anregung zur Selbststeuerung die einzigen
effektiven Formen der Steuerung.
Die Steuerung des Aviatiksystems wird augenfällig am Beispiel der Einführung von
Satellitennavigation, weil die Satellitennavigation als neues Element und
technologisches Subsystem in das bestehende Aviatiksystem eingepasst werden
muss, was Anpassungen am Bestehenden zwangsläufig mit sich zieht, die sämtliche
Akteure betreffen und somit die Weiterentwicklung des Aviatiksystems ermöglichen.
Die These lautet demnach:
Die Ansätze der Systemtheorie erhöhen das Rollenverständnis der Akteure und die
Funktionalität des Aviatiksystems der Schweiz und begünstigen eine effektive und
effiziente Einführung eines neuen Aviatik-Subsystems. Gelingt die Steuerung für
die Entwicklung und Integration eines Subsystems, so gelingt auch die
Steuerung der Entwicklung des Aviatiksystems.
Die Kommunikation ist der Schlüssel zu gegenseitigem Verständnis und
gesamtheitlicher Sichtweise. Die Steuerung benötigt Macht zur Durchsetzung von
Massnahmen. Ergo ist Steuerung Aufgabe des Staates auf nationaler Ebene. Der
Vertreter des Staates kann gar nicht über das umfassende funktionale Fachwissen
verfügen, weshalb mit den Akteuren der Industrie eine Vernetzung auf
verschiedenen hierarchischen Ebenen aufgebaut werden muss. Das Wissen wird
allerdings zur entscheidenden Grösse bei der Entwicklung, insbesondere das Wissen
über Zusammentragen und Koordinieren von verteiltem Wissen. Es sind die
Akteure, die über das funktionale Fachwissen und je nach Ausrichtung auch über
das methodische Wissen verfügt, was die zur Bereitstellung der nötigen Ressourcen
drängt. Die Feinheiten des Rollenverständnisses in Relation zu den strukturellen
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Executive Summary Seite 12/126
Abhängigkeiten und den Freiheitsgraden geben Aufschluss, wer der Akteure die
Kosten der Ressourcen tragen soll. Für Innovationstätigkeiten muss ein Modell
geschaffen werden, das die Finanzierung der Aufwendungen sicherstellt, besonders
weil die Entwicklung des Aviatiksystems im Interesse aller Akteure ist.
Das nationale Aviatiksystem hat die Chance, sich mit geeigneten und
funktionierenden Modellen auf der regionalen und globalen Ebene einzubringen, und
beispielhaft eine effiziente und effektive Funktionsweise demokratischer Strukturen
zu demonstrieren. Die Innovationsfähigkeit im gesamtheitlichen Sinn, die auf der
nationalen Ebene aufgebaut wurde und sich bewiesen hat, wird auch für die
regionale Ebene Schlüssel zum Erfolg sein. Das verlangt von den regional
ausgerichteten Akteuren des nationalen Aviatiksystems das interne Vernetzen
innerhalb des Systems aber auch innerhalb der eigenen Organisationen. Die Ziele,
Strategien und Strukturen müssen flexibel genug gestaltet sein, um die nationalen
Interessen auf der regionalen Ebene mit einbeziehen zu können, denn das nationale
Netzwerk mit allen Akteuren wird die höhere Ebene wiederum beeinflussen. Um ein
starkes Netzwerk aufzubauen, werden Ressourcen, Bekenntnis und ein
gemeinsamer Nutzen benötigt. Das Ausmass der Reflexionsfähigkeit der Akteure
ist folgedessen entscheidend für die Ausgestaltung der Ressourcen des Netzwerkes,
weil die Aufwendungen von den Akteuren selber getragen werden müssen. Ergo
sollten in den Strukturen und Prozessen der Akteure entsprechende Elemente zu
finden sein. Es sind aber nur ernüchternd wenige Ressourcen für eine systematische
Schnittstellenbewirtschaftung ausgewiesen.
Jedes System benötigt spezielles Wissen. Im Falle des Aviatiksystems wird
dediziertes Wissen in der Führung und Leitung von Projektorganisationen benötigt,
die in der Lage sind, das verteilte Wissen in firmenübergreifendem Kontext zu
koordinieren und zu einem Ziel zu bringen, das dem Gesamtsystem dienlich ist, was
aber die Verfügbarkeit von kompetenten Ressourcen bedingt.
Die Lösungsansätze für eine effektive Steuerung und nachhaltige Entwicklung sieht
vor, eine unabhängige Gruppe mit der Ausrichtung der strategischen Innovationen
und Entwicklung des Aviatiksystems zu beauftragen, das sich aus Experten der
Akteure des nationalen Aviatiksystems und der regionalen, übergeordneten Ebene
zusammensetzt. Die Aufgabe ist es, aus der Vielzahl von Initiativen und
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Projektvorhaben diejenigen auszuwählen, die für das nationale Aviatiksystem von
Wichtigkeit sind, die über die nötige Entwicklungsreife verfügen, um erfolgreich
eingeführt zu werden und die sowohl die gemeinsam festgelegten Ziele und
Strategien als auch einer logischen Folge der Entwicklung Rechnung tragen. Dieser
Denkfabrik obliegt es auch, die nötigen Umsetzungsprogramme zusammenzustellen,
die geeigneten Ressourcen bei den Akteuren zu rekrutieren und die Unterstützung
von Projekten sicherzustellen.
Ein nationales Programm umfasst die einzelnen Projekte auf den Flughäfen, die
institutionellen Rahmenbedingungen, die wissenschaftliche Begleitung und die
Sicherstellung der Finanzierungen und Aufwendungen. Unter dem Vorsitz der
Luftfahrtbehörde obliegt die Führung des Programms dem Direktorium, das sich aus
den Direktoren und Geschäftsführern der Akteure zusammensetzt und somit die
Entscheidungskompetenz für Anträge aus der Programmführung hat. Die
Koordination der Aktivitäten wie auch das Erstellen eines Management Cockpits wird
von einer Steuerungsgruppe sichergestellt.
Die Systemische Roadmap ist ein aus der Industrie stammende Adaptierung auf
die speziellen Bedürfnisse der Aviatik. Es umfasst alle relevanten Einflussgrössen in
einer kompakten Visualisierung bezüglich ihres Entwicklungsstandes. So kann
beispielsweise anhand der Systemischen Roadmap eine Aussage gemacht werden,
wann ein Verfahren mit Satellitennavigation eingeführt werden kann und was die
limitierenden Faktoren sind.
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1 Einleitung
1.1 Faszination Fliegen
Der Traum vom Fliegen fasziniert die Menschheit schon seit der Antike. Die Frage,
warum ein Flugzeug fliegt, lässt sich anhand des Gleichgewichts der vier Vektoren
Auftrieb, Schwerkraft, Vorwärtsschub und Widerstand relativ leicht erklären. Als am
17. Dezember 1903 die Gebrüder Orville und Wilbur Wright ihre ersten erfolgreichen
Flugversuche unternahmen, brach ein Zeitalter an, das unaufhaltsam den Himmel
eroberte und bis heute die dritte Dimension in unseren Alltag integriert.
1.2 Die vier Ebenen der Aviatik
Das Fluggerät von damals sieht heute viel komplexer aus, ist auf Leistungseffizienz
getrimmt und verfügt über Reichweiten, die dazu führen, dass alle Länder angeflogen
werden können. Damit sind im Transportbereich die Grundlagen geschaffen, die eine
Globalisierung der Aviatik-Industrie fördern. Weil die Flugzeuge aus allen Ländern
praktisch jederzeit alle Kontinente erreichen können, werden von supranationalen
Organisationen wie der Internationalen Zivilluftfahrt Organisation ICAO, die am 7.
Dezember 1944 von 52 Nationen1 gegründet wurde, global gültige Standards als
Grundlage für die Ausrüstung, Verfahren und Kompetenzen als Basis für einen
sicheren Betrieb erlassen. Diese Richtlinien und Empfehlungen ermöglichen und
fördern eine harmonisierte Entwicklung, wie es in der Präambel der Chicago
Konvention2: formuliert ist:
"the undersigned governments having agreed on certain principles and
arrangements in order that international civil aviation may be developed in
a safe and orderly manner and that international air transport services may
be established on the basis of equality of opportunity and operated
soundly and economically." 3
1 Quelle: www.icao.int, Abfragedatum 20.7.2011 2 ICAO Doc 7300 Convention on International Civil Aviation, 9th edition 2006, Seite 2 3 ICAO Doc 7300 Convention on International Civil Aviation, 9th edition 2006, Preamble to the Convention on International Civil Aviation, Signed at Chicago, on 7 December 1944
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Neben der globalen Ebene spielt die Art und Weise, wie die verschiedenen Länder in
einer Region miteinander verflochten sind, eine Rolle, was die regionale Ebene
charakterisiert. So zum Beispiel bestehen grundsätzliche Unterschiede zwischen den
USA und Europa, die aufgrund der Geschichte, der Kultur und der politischen
Konstellation die Entwicklung regional unterschiedlich prägen und beeinflussen. Mit
der Entstehung der Europäischen Union und den entsprechenden Instanzen und
Initiativen wie Single European Sky (SES), die den durch die nationalen
Landesgrenzen zerstückelten, europäischen Luftraum neu strukturieren und die
Verkehrsströme optimieren wollen, ist eine politische Konstellation entstanden, die
fortan die regionale Entwicklung massgebend mitbestimmt.
Die vier Ebenen der Aviatik
global
regional
national
lokalDie ganze WeltEuropa
SchweizZürich
Quelle: eigene Darstellung Abbildung 1 - Die vier Ebenen der Aviatik beeinflussen sich gegenseitig: die globalen Richtlinien und Vorgaben werden durch die regional beeinflussten Staaten national umgesetzt und lokal beispielsweise auf einem Flughafen angewendet.
Die Chicago Konvention akzeptiert aber auch ausdrücklich in Art. 1 die Souveränität
der einzelnen Staaten, was die nationale Ebene ins Spiel bringt. Für die Umsetzung
der globalen Richtlinien und Empfehlungen sind demnach die einzelnen Staaten
zuständig, da nur sie mit ihrem Rechtsystem und politischen Verfahren die
Kompetenz haben, auf der nationalen Ebene die Umsetzung verbindlich festzulegen.
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
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Die Anwendung dieser verordneten, globalen Richtlinien und Empfehlungen erfolgt
auf der lokalen Ebene, beispielsweise auf einem Flughafen. Die geographischen
Gegebenheiten und räumlichen Bedingungen stehen neben den
kommunalpolitischen Einschränkungen aus Lärm- und Umweltschutzgründen den
Bedürfnissen der Sicherheit, Kapazität, Kosteneffizienz und Nachhaltigkeit
gegenüber.
1.3 Begriff Aviatiksystem
Die vorliegende Master-Thesis setzt das nationale Aviatiksystem der Schweiz in
den Mittelpunkt der Betrachtungen, wobei die regionale und globale Ebene als
übergeordnete Systemebenen bezeichnet werden. Im nationalen Aviatiksystem
bilden einerseits die Organisationen der Akteure Subsysteme aus, andererseits
können auch die Technologien für Kommunikation, Navigation und Ortung4 als
Subsysteme verstanden werden, besonders wenn sie sämtliche Bereiche des oben
beschriebenen Aviatiksystems betreffen.
Der Begriff Aviatiksystem bezieht sich auf die folgenden Inhalte:
das nationale Aviatiksystem,
o setzt sich aus den verschiedenen Akteuren als Subsysteme zusammen
und
o ist in das regionale und globale Aviatiksystem eingebettet.
die Akteure umfassen
o die Luftfahrtbehörde,
o die Flughäfen,
o die Fluggesellschaften,
o die Flugsicherung und
o die Luftwaffe
die drei systemischen Faktoren human - procedures - equipment
4 Der englische Fachausdruck lautet CNS = Communication, Navigation, Surveillance
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o Human: die Menschen-bezogenen Aspekte im Sinn von human
resources, die Anwender und Operateure, die Entscheidungsträger auf
allen hierarchischen Stufen,
Beispiel: Piloten, Fluglotsen, Techniker, Ingenieure und
Führungspersonen,
o Procedures: die angewendeten Verfahren und Abläufe im
operationellen und administrativen Sinn,
o Equipment: die technologische Ausrüstung der Anwender und
Operateure.
Drei systemische Faktoren
Human –Mensch
Equipment –technische Ausrüstung
Procedure –Verfahren
Quelle: eigene Darstellung
Abbildung 2 - Die drei systemischen Faktoren beschreiben die Einflussgrössen im Aviatiksystem und stehen in wechselseitiger Abhängigkeit zueinander, weshalb sie als Einheit betrachtet werden.
1.4 Systemtheorie
Nach der Systemtheorie nach Helmut Willke wird ein komplexes, soziales System
dadurch gekennzeichnet, wenn es "vielfältige und interdependente Handlungs- und
Entscheidungsmöglichkeiten gegenüber den wahrgenommenen Umweltbedingungen
hat."5 Das Aviatiksystem erfüllt ohne weiteres die Kriterien eines komplexen sozialen
Systems. Eines steht zwar fest: der Mensch kann ohne technische Unterstützung
nicht fliegen. Auch wenn die technologisch orientierte Komponente eher den Schluss
5 Helmut Willke, Systemtheorie I, Grundlagen, 2006, Seite 25
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
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zulassen würde, dass es sich beim Aviatiksystem eher um ein sozio-technisches
System handelt, werden die Entscheidungen und Handlungen von den darin
involvierten Menschen gefällt und getätigt. Der Mensch steht im Zentrum allen
Tuns, folgedessen kann abgeleitet werden, dass das Aviatiksystem als soziales
System bezeichnet werden kann. Die Technologien sind kein Selbstzweck, sondern
nur eines der systemischen Mittel zum Zweck, nämlich den sicheren und geordneten
Lufttransport von Personen und Fracht zu gewährleisten. Das Aviatiksystem besteht
also aus einer Vielzahl von verschiedenen Elementen und Faktoren, die eine
bestimmte Funktion erfüllen, die im Gesamten zusammengeführt die nötige Leistung
erbringen, die der Ziel- und Zweckerreichung dient. Die Akteure in einem System
sind funktional ausdifferenziert, was bedeutet, dass sie aufgrund ihrer Funktion
einschliesslich des benötigten Wissens und der Kompetenzen unterschiedlich
spezialisiert sind und dass sie, weil sie eben nicht gleich oder ähnlich sind,
voneinander abhängen.6
1.5 Steuerung
Die Fragestellung der Steuerung wird am Beispiel der Einführung von
Satellitennavigation dargestellt, weil die Satellitennavigation als neues Element in
das bestehende Aviatiksystem eingepasst werden muss, was Anpassungen am
Bestehenden zwangsläufig mit sich zieht. Die Satellitennavigation eignet sich
deshalb als Anschauungsbeispiel, weil es aufgrund ihrer Komplexität und
Neuartigkeit als eigenes Subsystem gilt und alle drei systemischen Faktoren
sämtlicher Akteure betrifft.
6 vgl. Helmut Willke, Systemtheorie I, Grundlagen, 2006, Seite 19
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2 Problemstellung
Die Problemstellung im Aviatiksystem der Schweiz besteht im Wesentlichen
einerseits darin, die bestehende Komplexität der Wechselbeziehungen zwischen
den vier Ebenen und den drei systemischen Faktoren zu verstehen und zu
beherrschen. Andererseits geht es um das Verständnis der eigenen funktionalen
Rollen und die der anderen Akteure. Aus systemtheoretischer Sicht formuliert geht
es um die Zahl und Qualität der Beziehung der einzelnen Organisationen als
Subsysteme zum nationalen Aviatiksystem als Ganzes.
Wenn die Entwicklung nicht dem naturwüchsigen Verlauf überlassen werden will, so
braucht es eine bestimmte Art von Steuerung. Aufgrund der Souveränität und
komplexen Verteilung der Kompetenzen und Zuständigkeiten in den einzelnen
Staaten sowie den global geltenden, standardisierten Vorgaben der Luftfahrt kann
die Entwicklung nicht zufällig erfolgen, sondern benötigt zur Harmonisierung einen
bewussten, steuernden Eingriff. Die Frage stellt sich daher nach der Effizienz und
Effektivität der Steuerung.
Es besteht ein Unterschied zwischen dem täglichen Betrieb und der Entwicklung des
Aviatiksystems. Der tägliche Betrieb betreibt das bestehende System und optimiert
die internen Abläufe und die Schnittstellen der Akteure, währenddem die Entwicklung
auf eine tiefergreifende Änderungen des Systems abzielt und neue Elemente zum
Ersatz von alten einführt. Die Funktionen der Akteure bleiben unverändert, hingegen
bedingt die Entwicklung eine Verlagerung der Kompetenzen. Zudem lässt sich die
Frage nach der Verfügbarkeit der überall knappen, personellen Ressourcen nur im
Zusammenhang des gesamten Aviatiksystems beantworten.
Die Systemtheorie beschreibt Macht, Geld und Wissen als Steuerungsmedien. Wie
sie eingesetzt werden, hängt von den Möglichkeiten, Absichten, Zielen und
Strategien der Akteure im globalen, regionalen, nationalen wie auch lokalen Kontext
ab. Das Wissen über das Zusammenspiel der drei systemischen Faktoren,
insbesondere in Bezug auf eine Veränderung und deren Kompatibilität zum
bestehenden Aviatiksystem, wird zur primären Antriebsgrösse, während Geld und
Macht die Entwicklung positiv oder negativ beeinflussen können. Das bedingt auf
allen Faktorenebenen eine Erweiterung des Fachwissens und der dazu
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Problemstellung Seite 20/126
anzuwendenden Methoden. Dadurch treten Kompetenzen in den Vordergrund, die
bislang eher unwichtig waren: die Kompetenz, in firmenübergreifendem Kontext das
verteilte Wissen zusammenzutragen und zu nutzen, damit die Integration in das
bestehende System erfolgreich gelingt.
Wenn es nun darum geht, ein neues Element als Subsystem in das bestehende
System zu integrieren, so wird eine Steuerung benötigt, die sämtlichen Aspekten und
Auswirkungen Rechnung trägt. Neben der integrativen Arbeit am neuen Element ist
ebenso die Steuerung mit Aufwendungen verbunden, die von einem oder mehreren
Akteuren getragen werden müssen. Die Akteure stehen in einem losen
Zweckverbund und hängen wechselseitig voneinander ab. Da werden die Grenzen
der Akteure schonungslos aufgezeigt, was das Finden neuer, kreativer Lösungen
erfordert. Am Beispiel der Einführung von Satellitennavigation wird
veranschaulicht, welche Elemente benötigt werden, um eine Steuerung effizient und
effektiv vorzunehmen.
In diesem Zusammenhang stellen sich vier Fragen:
1) Welche Ergänzungen an den existierenden Rahmenbedingungen und
Funktionsweisen des Aviatiksystems der Schweiz mit seinem Rollenverständnis,
seinen Zuständigkeiten, Gremien und Abläufen würden notwendig, um ein Vorhaben
diesen Umfangs, dieser Tragweite und Tiefe anzugehen?
2) Was muss von den einzelnen Akteuren unternommen werden, um das lose, aber
trotzdem interdependente System so zu führen und zu steuern, dass die
bestehenden systemischen Grenzen und strukturellen Rahmenbedingungen
erweitert werden können, um eine neue Technologie als Subsystem einzuführen und
was am heutigen System verändert oder ergänzt werden müsste, um es nachhaltig
und koordiniert inhaltlich zu erweitern?
3) Wer verfügt über die nötige Kompetenz und Wissen und ist dazu in der Lage ist,
die Einführung in einem firmenübergreifenden Kontext durchzuführen?
4) Ist die Schweiz gewillt, die Abhängigkeit vom Satellitenbetreiber zu akzeptieren
und sich in diese Abhängigkeit zu begeben, eventuell sogar unter Aufgabe seiner
bodengestützten Navigationsanlagen, damit der entsprechende kommerzielle Nutzen
auch entstehen kann?
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Analyse der Ausgangssituation Seite 21/126
Die Antwort auf die vier Fragestellungen lassen sich anhand der folgenden Thesen
finden:
Die Ansätze der Systemtheorie erhöhen das Rollenverständnis der Akteure und die
Funktionalität des Aviatiksystems der Schweiz und begünstigen eine effektive und
effiziente Einführung eines neuen Aviatik-Subsystems.
Gelingt die Steuerung für die Entwicklung und Integration eines Subsystems,
so gelingt auch die Steuerung der Entwicklung des Aviatiksystems.
3 Analyse der Ausgangssituation
Die Analyse der Ausgangssituation befasst sich mit der Systemtheorie und fasst die
in Bezug auf das Aviatiksystem relevanten Aspekte aus der theoretischen
Perspektive zusammen.
Die Entwicklung des Aviatiksystems kann nicht dem naturwüchsigen Verlauf
überlassen werden, weil eine global und regional harmonisierte Anwendung nicht
mehr sichergestellt wäre, was die Notwendigkeit einer Steuerung bedingt. Die
Systemtheorie und die Steuerungstheorie bieten die theoretischen Grundlagen
und Ansätze, wie sich ein komplexes System auszeichnet und wie es sich steuern
lässt. Diese Grundsätze und Erkenntnisse können auf das Aviatiksystem übertragen
werden.
Die Systemtheorie befasst sich mit der Soziologie als immer noch junge
Wissenschaft der Gesellschaft und entwickelt sich laut Willke7 wegen der
fachspezifischen und interdisziplinären Universalität und der Universalität des
Problems der Komplexität als wissenschaftliche Grundlage und allgemeine Theorie
sozialer Systeme.
3.1 Der Mensch im Zentrum
Die Aviatik wurde von den Menschen geschaffen, in dem sie im Laufe der Zeit
komplizierte, technisch ausgereifte Maschinen mit Hilfs- und Unterstützungsmittel
konstruiert und betrieben haben, um den langersehnten Traum vom Fliegen zu
7 vgl. Helmut Willke, Systemtheorie I, Grundlagen, 2006, Seite 1-4
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Analyse der Ausgangssituation Seite 22/126
verwirklichen. Trotz aller Technologie, es bleibt aber letztlich der Mensch im Zentrum
allen Tuns, sei es im Cockpit eines Flugzeuges, im Kontrollturm auf einem Flughafen,
oder im Ingenieurbüro oder sonst an einem der unzähligen Arbeitsplätze. Ein
Mensch allein kann aber unmöglich die Wirkung seines Tuns im gesamten
Zusammenhang erfassen. Er verfügt in seiner spezialisierten Funktion über ein
bestimmtes Wissen und Kompetenzen, und ist abhängig von anderen Funktionen
und deren Vorleistungen bzw. komplementären Leistungen wie auch von der
Anschlussleistung für andere Funktionen. Die Arbeitsprozesse und Regeln verbinden
die einzelnen Funktionen zu Gruppen, die wiederum in der Struktur einer
Organisation einem Subsystem als Teil zu einem Ganzen entsprechen. Das
Zusammenwirken aller Elemente kennzeichnet die Organisation, die mit ihren
Aufgaben, Zielen, Strategien Strukturen und Prozessen auf gesellschaftlicher,
sozialer wie auch auf fachlicher Ebene als Subsystem in das übergeordnete
Aviatiksystem integriert ist. So gesehen ist das Aviatiksystem ein komplexes,
soziales System.
3.2 System-Umwelt Konzeption
Der funktional-strukturelle Ansatz der Systemtheorie stellt die Frage nach der
Funktion von Systemen und betont den prozessualen Aspekt der Systembildung
als Stabilisierung einer selektiven Differenz zwischen Innen und Aussen. Damit die
Organisationen Ziele in ihrer Umwelt erreichen können, müssen sie als
Voraussetzung wissen, wie die Komplexität verarbeitet werden kann.8
Auf die Aviatik bezogen bedeutet das, dass jeder Akteur seine bestimmte Funktion
nicht alleine und losgelöst von den anderen Akteuren ausüben kann, weil sie
voneinander abhängig sind und seine Umwelt ausmachen. Jedes Agieren hat in
irgendeiner Form Auswirkungen auf einen oder mehrere Akteure. Die
Experteninterviews belegen, dass jeder der Akteure sich der Komplexität bewusst ist,
in der er sich befindet. Natürlich entspricht das Verständnis der Komplexität seiner
subjektiven Wahrnehmung, seine Beobachtung erfolgt aus seiner funktionalen
Perspektive. Das führt zur Kernaussage der System-Umwelt Konzeption, dass ein
8 vgl. Helmut Willke, Systemtheorie I, Grundlagen, 2006, Seite 7
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Analyse der Ausgangssituation Seite 23/126
System nicht isoliert, sondern nur im Kontext seiner Umwelt betrachtet werden
kann.9 Die Systemtheorie konzentriert sich primär auf die Art der Beziehung des
Systems zur Umwelt, was für die Aviatik bedeutet, welche Beziehungen zwischen
den einzelnen Akteuren zueinander bestehen und wie sie charakterisiert sind. Bei
der Systemtheorie geht es also um das Verhältnis zwischen Teil und Ganzem und
"es genügt zu sagen, dass das Ganze etwas anderes ist als die Summe seiner
Teile."10
3.3 Kommunikation
Soziale Systeme werden dadurch charakterisiert, dass sie auf der Grundlage der
Kommunikation bestehen, was für die kontinuierliche Weiterentwicklung unerlässlich
ist.11 Kommunikation besteht aus Sprache und setzt ein gegenseitiges Verstehen
voraus. Begriffe müssen klar umschrieben werden können und die Inhalte müssen
gleichermassen verstanden werden. Auf den ersten Blick scheint dies trivial zu sein,
doch bei näherer Betrachtung ist dem überhaupt nicht so. Die bisher gemachten
Erfahrungen in der Aviatik belegen oft, dass Missverständnisse dann bestehen, wenn
ein Begriff aus einer anderen Optik betrachtet wird und dadurch einen anderen Sinn
haben. Die Systemtheorie räumt dem Sinn einen hohen Stellenwert ein. Der Sinn
entsteht durch die Verarbeitung der erhaltenen Informationen. Die Sinngebung
erfolgt im Innern des Systems der Akteure durch deren Beobachtungen und
Vergleiche sowie durch eine darlegende Beschreibung mittels Kommunikation.
Die Kommunikation muss sich nicht zwingend nur auf einen Konsens ausrichten, der
Dissens kann einen durchaus ebenso lösungsorientierten Ansatz bieten,
vorausgesetzt, es herrscht Übereinstimmung im Sinne eines Rahmenkonsenses,
der den Sachverhalt des zu verändernden Systems beschreibt.12
Erkenntnis 1
9 vgl. Helmut Willke, Systemtheorie I, Grundlagen, 2006, Seite 126 10 Helmut Willke, Systemtheorie I, Grundlagen, 2006, Seite 133 11 vgl. Helmut Willke, Systemtheorie I, Grundlagen, 2006, Seite 65 12 vgl. Helmut Willke, Systemtheorie I, Grundlagen, 2006, Seite 167
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Analyse der Ausgangssituation Seite 24/126
Der Austausch von Informationen und deren interne, sinnhafte Verarbeitung bildet
die Voraussetzung für ein gemeinsames Verständnis und somit die Ausgangslage für
eine Selektion der eigenen Handlungen und folgedessen einer möglichen Steuerung
des ganzen Systems.
Daraus folgt, dass die Kommunikation strukturiert und konsequent eingefordert
werden muss. In Bezug auf das Aviatiksystem ist demzufolge von Bedeutung, dass
sowohl im firmenübergreifenden wie auch im firmeninternen Kontext Plattformen
geschaffen werden müssen, die die Kommunikation fordern und fördern. Dass dabei
die Offenheit und Transparenz von entscheidender Wichtigkeit ist, liegt auf der Hand.
3.4 Komplexität
Die Systemtheorie teilt einem System erst dann das Prädikat 'komplex' zu, wenn
"das System vielfältige und interdependente Handlungs- und
Entscheidungsmöglichkeiten gegenüber den wahrgenommenen Umweltbedingungen
hat."13 Das heisst, im Aviatiksystem muss sich jeder Akteur darüber klar werden,
woraus seine Umwelt besteht und auf wen und in welcher Form seine Handlungen
einen Einfluss haben. Die Schwierigkeit dabei ist die Eigenschaft komplexer
Systeme, dass die Kausalkette der eigenen Handlungen sich nicht auf alle
Handlungen auswirkt.14 Das bedeutet, dass die Akteure im Aviatiksystem in der Lage
sein müssen, ihre Beziehungen selber festzulegen und durch die Fähigkeit der
Informationsverarbeitung durch die Kommunikation die notwendigen und wichtigen
Relationen von den nicht-notwendigen und unwichtigen zu unterscheiden. Der Fokus
richtet sich also im Wesentlichen auf das systemspezifisch Sinnvolle.15
Die Komplexität ist vielschichtig und vernetzt, weil eine Aussage in einem
spezifischen Kontext nicht zwingendermassen auch in einem anderen Kontext gilt
und weil Teile untereinander und zum ganzen System in wechselseitigen
Abhängigkeiten stehen. Der themenspezifische Diskussionsgegenstand ist stets vor
Augen zu halten. Komplexität entsteht also ausschliesslich bei Entscheidungen in
13 Helmut Willke, Systemtheorie I, Grundlagen, 2006, Seite 25 14 vgl. Helmut Willke, Systemtheorie I, Grundlagen, 2006, Seite 25 15 vgl. Helmut Willke, Systemtheorie I, Grundlagen, 2006, Seite 55
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Analyse der Ausgangssituation Seite 25/126
Bezug auf ein bestimmtes Problem in einer bestimmten Situation.16 Die Schwierigkeit
im Umgang mit Komplexität besteht darin, dass die vielen unterschiedlichen,
interdependenten Faktoren von einer Person nicht mehr verarbeitet werden
können.17 Im Vordergrund stehen demnach die Wahrnehmung der Komplexität und
die Art wie sich die Akteure mit dem System verknüpfen.18
3.5 Die fünf Dimensionen in der Systemtheorie
In der Systemtheorie werden fünf Dimensionen unterschieden: die sachliche, die
soziale, die zeitliche, die operative und die kognitive Dimension. Bei einer
organisierten Komplexität steht jede der fünf Dimensionen in Abhängigkeit und
Beziehung zu den anderen.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die fünf Dimensionen der
Komplexität mit
fachlichem und methodischem Wissen,
dem Umgang mit Wissen,
der inhaltlichen und zeitlichen Abstimmung,
dem Rollenverständnis und
dem Kontext
verarbeitet werden können.
3.6 Systemisches Denken19
Die Systemtheorie geht davon aus, dass die Sprache das Schlüsselelement ist, um
Handlungen zu vollziehen.
Zusammenfassend umfassen Grundlinien systemischen Denkens folgende
Erkenntnisse:
ein Denken in Zusammenhängen,
alles hängt mit allem irgendwie zusammen,
16 vgl. Helmut Willke, Systemtheorie I, Grundlagen, 2006, Seite 23 17 vgl. Helmut Willke, Systemtheorie I, Grundlagen, 2006, Seite 18 18 vgl. Helmut Willke, Systemtheorie I, Grundlagen, 2006, Seite 129 19 vgl. Helmut Willke, Systemtheorie I, Grundlagen, 2006, Seiten 197 -200
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Analyse der Ausgangssituation Seite 26/126
alle denkbaren Zusammenhänge können unmöglich berücksichtigt werden,
Teile oder Prozesse stellen sich in der Analyse unterschiedlich dar, haben
unterschiedliche 'Realitäten',
beinhaltet die Voraussage von Verhaltensmustern zur wahrscheinlichsten
Entwicklung.
Reflexion ist die Grundlage für
das Bewusstsein seiner selbst,
sein Verhältnis zur Umwelt operativ zu definieren,
beides aufeinander beziehen zum Zwecke der Steuerung seiner internen
Relationen und
Handlungsrationalität zu eigen und somit zur Handlungsmaxime zu machen.
Langfristigkeit und Reflexionsfähigkeit bilden die Grundlage für die Fähigkeit eines
Systems, sich selbst zu beschränken.
Integration ist von den Teilen des Gesamtsystems im Hinblick auf das Ganze zu
leisten und eine notwendige Vorbedingung der Steuerbarkeit des Gesamtsystems.
3.7 Steuerung
Eine Steuerung ergibt nur dann einen Sinn, wenn der naturwüchsige Ablauf der
Ereignisse vom Beobachter als nicht mehr akzeptabel verstanden wird. Steuerung ist
eine bewusste Handlung, die den Ablauf der Entwicklung verändert.20 Die Steuerung
komplexer Systeme ist deshalb nötig, weil sie eigendynamisch getrieben nur den
Nutzen ihrer maximalen Möglichkeiten ohne Rücksicht auf die Umwelt anvisieren und
eine externe Kontrolle sie hingegen in ihrer Kreativität einschränken würde.21
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Steuerung eines komplexen
Systems nur in Form einer Kontextsteuerung oder in Form von Anregungen zur
Selbststeuerung erfolgreich sein kann, weil die Integrität und Autonomie des
Systems gewahrt werden muss. Der Interorganisationsansatz des Netzwerks oder
Verhandlungssystems verschafft dank einer geordneten Koordination einen
20 vgl. Helmut Willke, Systemtheorie III, Steuerungstheorie, 2001, Seite 81/82 21 vgl. Helmut Willke, Systemtheorie III, Steuerungstheorie, 2001, Seite 6
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Analyse der Ausgangssituation Seite 27/126
Überblick über die Komplexität. Der Umgang mit Wissen und Nichtwissen entwickelt
sich zur Schlüsselkompetenz. Macht und Geld ergänzen das Wissen als
Steuerungsmedien.
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Strukturierung des Problems Seite 28/126
4 Strukturierung des Problems
Die Problemstellungen lassen sich anhand der folgenden Fragestellungen
strukturieren:
1. Das Aviatiksystem
Was sind die wesentlichen Faktoren für das Funktionieren des
Aviatiksystems im internationalen und nationalen Kontext?
Wie stellen sich die gegenseitigen Abhängigkeiten der Akteure dar?
Was sind die Auswirkungen der Funktionsweise der Akteure auf das
Gesamtsystem?
2. Die Satellitennavigation als neues Subsystem
Was sind die Komponente und welche Bedeutung haben sie?
Was sind die Auswirkungen auf die Akteure?
Worin besteht der Unterschied zwischen Entwicklung und Integration?
Was sind die Schwierigkeiten bei der Integration eines neuen
Elementes?
3. Die Komplexität
Wie kann Komplexität verarbeitet werden?
Welche Rolle spielt die Kommunikation dabei?
Welche Art von Wissen wird zur Verarbeitung der Komplexität benötigt?
4. Das Rollenverständnis
Wie präsentiert sich das Rollenverständnis bezüglich der Funktionen,
Organisationen, Strukturen und Strategien der Akteure?
Wie gestaltet sich der Umgang mit Wissen, Komplexität, Politik?
5. Steuerung
Wie kann das Aviatiksystem gesteuert werden?
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Zielformulierung Seite 29/126
5 Zielformulierung
Die Master Thesis soll aufzeigen, wie sich die Ansätze der Systemtheorie auf das
Funktionieren des Aviatiksystems übertragen lassen. Durch das Studium der Theorie
und die Analyse der wechselseitigen Abhängigkeiten der internationalen und
nationalen Akteure aus der Sicht der Schweiz sollen wertvolle Erkenntnisse über die
systemische Funktionsweise gewonnen werden. Darauf aufbauend sollen sich die
Lösungsansätze zur Steuerung des Aviatiksystems und praktischen Verwendung
ableiten lassen und aufzeigen, inwiefern die bestehenden Führungsgrundsätze,
Gremien, Abläufe, Prozesse, Rollen und Zuständigkeiten im Aviatiksystem der
Schweiz für den Betrieb genügen, respektive ergänzende Elemente vorschlägt, die
zur Weiterentwicklung benötigt werden. Ein Vergleich mit der bestehenden Praxis
eruiert ihr Verbesserungspotential.
6 Verwendete Methoden
Die für das Thema der vorliegenden Master-Thesis verwendete Methoden umfassen
das Literaturstudium über das Führen und Steuern von komplexen Systemen, das
Suchen nach Artikeln im Internet und das Durchführen von Experteninterviews mit
Schlüsselpersonen und Entscheidungsträger der Akteure im Sinne von
Fachpersonen, die das Aviatiksystem der Schweiz gut kennen.
Zum Bearbeiten des Themas gedenke ich, explorativ vorzugehen und mit
Experteninterviews mit Entscheidungsträgern, Schlüsselpersonen und Fachexperten
herauszufinden, welche Stärken und Schwächen die einzelnen Akteure haben,
respektive wie sie von den anderen jeweils wahrgenommen werden und was aus der
Sicht der Akteure unternommen werden müsste, um die Systemgrenzen geordnet,
strukturiert und zielgerichtet zu erweitern. Dabei steht das gemeinsame aufeinander
Ausrichten der Strategien, die Führung und Steuerung sowie die organisatorischen
und strukturellen Fragenstellungen im Vordergrund.
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Verwendete Methoden Seite 30/126
6.1 Literaturstudium
Die Suche nach Literatur umfasste die Themenkreise "Führen und Steuern von
komplexen Systemen", Kooperationsformen und andere verwandte Themen.
Das Literaturstudium konzentrierte sich hauptsächlich auf die Systemtheorie I-III
und auf die Einführung in das systemische Wissensmanagement nach Helmut
Willke. Zusätzlich ist der Bericht über die Luftfahrtpolitik der Schweiz 2004 von
Bedeutung wie die Geschäftsberichte der Akteure.
6.2 Internet
Das Internet diente anfänglich zum Einlesen in die Thematik, dem Aufspüren von
Literaturen, Artikel und Referenzen, die auch artverwandte Themenkreise umfassten.
Im Internet wurden die offiziellen Publikationen als Grundlagen, Referenzen und
Definitionen der einzelnen Akteure der Aviatik nachgeschlagen, die sowohl deren
Rollen, Aufgaben, Ziele, Strategien und Strukturen beschreiben, die in den
Experteninterviews vertieft wurden.
6.3 Experteninterviews
Die Experteninterviews wurden qualitativ und anhand von einem einheitlichen
Fragebogen durchgeführt (vgl. Anhang I), damit in Quervergleichen der Aussagen
Erkenntnisse erzielt werden sollten, die einerseits das Verstehen der einzelnen
Sichtweisen ermöglicht und verbessert, andererseits die Grundlagen zu
Lösungsansätzen bieten. Nach dem ersten Interview drängte sich aufgrund der
gemachten Erfahrungen eine Überarbeitung des Fragebogens auf, weshalb die
Fragen nicht identisch sind.
Die Kriterien für die Auswahl der Experten richteten sich nach operationellen wie
führungstechnischen Gesichtspunkten. Einerseits sollten die Interviewpartner
Einsicht in das Funktionieren des Aviatiksystems haben und in den eigenen
Unternehmen eine hohe Führungsposition innehaben, die über die Strategie und
Struktur des Unternehmens mitentscheidet andererseits aber auch über das nötige
operationelle und funktionale Fachverständnis haben. Aus diesen Gründen drängte
sich die Wahl der Experten auf die jeweiligen Chief Operating Officers (COO) auf, die
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Problembehandlung Seite 31/126
in allen Unternehmen Mitglieder der Geschäftsleitung sind. Als Alternative wären die
Chief Executive Officers (CEO), respektive die Direktoren zur Wahl gestanden. Der
Hauptgrund, weshalb der Entscheid für die COO fiel, war die bessere
Ausgewogenheit der Funktion, die bei den CEO zu Lasten des operationellen
Wissens ausfiel.
7 Problembehandlung
Die Problembehandlung umfasst die folgenden fünf Kapitel:
1) Kapitel 8 Die Aviatik als System: Das Funktionieren der Akteure einschliesslich
ihren Rollen und Funktionen, Aufgaben, Zielen und Strategien und Abhängigkeiten.
2) Kapitel 9 Komplexität: Die Komplexität, die durch die Abhängigkeiten gegeben
ist, muss beherrscht werden und der Umgang mit kontinuierlicher Veränderungen
verlangt eine flexible Grundhaltung der Akteure.
3) Kapitel 11 Rollenverständnis: Das Rollenverständnis der Akteure über sich
selbst, über die anderen Akteure und über die eigene Beziehung zu den anderen
muss klar bewusst sein. Dabei spielen sowohl das Wissen und der Umgang mit
Wissen wie auch die Kommunikation innerhalb und ausserhalb der Organisationen
eine Rolle.
4) Kapitel 12 Kompetenzen: Die Kompetenzen umfassen den Umgang mit
Kommunikation, Vernetzung, Organisationsformen der Akteure, Ausrichtungen der
Ziele und Strategien, Umgang mit Politik, Wissen, Kosten und Finanzen.
5) Kapitel 13 Steuerung: Die Steuerung wird erst unter Voraussetzung der
vorstehenden Punkte ermöglicht.
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Die Aviatik als System Seite 32/126
8 Die Aviatik als System
Die systemtheoretische Relevanz und Bedeutung für das Aviatiksystem besteht
darin, dass die Ansätze der Systemtheorie einen universellen Charakter haben und
auf das Aviatiksystem übertragen werden können. Das Aviatiksystem setzt sich aus
einer Vielzahl von Elementen zusammen, die sowohl durch eine bestimmte
Beziehung miteinander verbunden sind als auch als Einzelelemente mit dem ganzen
System in einer Beziehung stehen. Dieser Umstand ist gemäss Willke22
charakterisierend für ein komplexes System.
Das Funktionieren eines Aviatiksystems ist geprägt von den landesspezifischen
Eigenheiten wie Kultur, Sprache, Geschichte und auch der wirtschaftlichen wie
politischen Grösse und Stärke im Verbund mit den Nachbarstaaten.
"Die schweizerische Kultur mit der direkten Demokratie färbt sehr stark auf
das Aviatiksystem der Schweiz ab, das als Grundlage die
Konsensfähigkeit hat." (Experteninterview BAZL, Frage 17)
Das Besondere an der Schweiz ist die selbstbestimmte Nicht-Zugehörigkeit zur
Europäischen Union (EU) und das vertragliche Verhältnis. Auf der politischen Ebene
besteht demzufolge ein Defizit, das sich nachteilig auf die globale Fachebene negativ
auswirkt, wie es Matthias Suhr BAZL treffend ausdrückt.23
Grundsätzlich funktioniert ein Aviatiksystem dann, wenn die grundlegenden
Funktionen in ausreichendem Masse vorhanden sind. Die Qualität des
Funktionierens ist abhängig davon, wie gut sich die einzelnen Funktionen vernetzen,
sich gegenseitig verstehen, ergänzen und unterstützen. Dass nicht alles per se und
in eitler Minne sauber aufeinander abgestimmt abläuft, liegt in Anbetracht der
Vielschichtigkeit und der komplementären Verteilung über verschiedene Akteure auf
der Hand. Es bedarf täglicher Arbeit, die nie enden wird.
Die Leistungsfähigkeit der gesamten Aviatik ist das Resultat der Bemühungen, den
Fähigkeiten und dem Willen aller Beteiligten für ein gesamtheitliches Ziel: das
sichere, geordnete, effiziente, pünktliche, ökonomische und kostengünstige Fliegen
22 vgl. Helmut Willke, Systemtheorie I, Grundlagen, 2006, Seite 129 23 vgl. Experteninterview BAZL, Frage 11
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Die Aviatik als System Seite 33/126
von einem Ort zum anderen. Für einen Akteur mag eine bestimmte Lösung zu einem
Problem die beste sein, aber für das Gesamtsystem ist sie womöglich eher
hinderlich. Die Fähigkeit der Akteure, sich dabei als Teil des Ganzen zu verstehen
und in dem Sinn zu handeln ohne dabei die eigene Position im Markt und im System
zu gefährden, steht dabei im Vordergrund. Das bedingt einerseits, dass zwischen
den Akteuren eine aktive und transparente Kommunikationskultur herrscht, die
auf gegenseitiges Verstehen ausgerichtet ist, und andererseits dass das nötige
Wissen vorhanden und verfügbar ist, denn je mehr Wissen für das Ausüben der
funktionalen Aufgaben benötigt wird, desto gravierendere Auswirkungen haben
Fehlentscheide, die auf mangelndes Wissen zurückzuführen sind.24 Der Umgang mit
Wissen - und somit auch der Umgang mit Nichtwissen25 - und das
Wissensmanagement erhält also eine zentrale Rolle, die es nicht zu unterschätzen
gilt. Für die Aviatik typisch verfügen weder die Fluggesellschaften, noch die
Flugsicherung, noch der Flughafen über das gesamtheitliche Wissen über Verfahren
und deren Implikationen auf Sicherheit, Kapazitäten und Kosten. Auch nicht die
Luftfahrtbehörde, auch wenn sie aber für letzteres zuständig wäre. Das für
spezifische Fragenstellungen benötigte Wissen ist über die Akteure verteilt und in
unterschiedlicher Ausprägung vorhanden.
Die Aviatik-Industrie kann aufgrund der Tatsache, dass die heutigen Flugzeuge in
der Lage sind, in einem Flugroutennetzwerk jeden Flughafen auf der Welt
anzufliegen, als so genannt truly global bezeichnet werden. Unter truly global wird
die Eigenschaft verstanden, dass die gleichen Standards und Normen für Verfahren,
Ausrüstung und Betrieb als Grundlage für ein geordnetes und einheitliches
Funktionieren weltweit Gültigkeit haben und zur Anwendung kommen.
Die globale Dimension des Aviatiksystems ist die oberste und umfassende Ebene,
die für die Einheitlichkeit sorgt. Auch wenn im sachlichen Kontext die globale
Dimension allgegenwärtig ist, wird sie durch die regionalen, nationalen und sogar die
lokalen Spezifitäten beeinflusst, abgeändert und angepasst. Besonders die nationale
Dimension des Aviatiksystems ist von entscheidender Bedeutung, da Gesetze und
amtliche Verordnungen die globalen Richtlinien und Empfehlungen als
24 vgl. Helmut Willke, Systemtheorie III, Steuerungstheorie, 2001, Seite 270 25 vgl. Helmut Willke, Einführung in das systemische Wissensmanagement, 2007, Kapitel 3.1
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Die Aviatik als System Seite 34/126
Rechtsgrundlage für einen Staat als verbindlich erklären oder präzisieren. Die
Souveränität der Staaten einschliesslich ihrer Rechtssysteme ist von Bedeutung, weil
die landesspezifischen, gesetzlichen Abläufe respektiert werden müssen, was einen
Einfluss auf den Zeitbedarf, Aufwand und zusätzlich juristisches Fachwissen hat.
Auch die Gesellschaft beeinflusst die nationale Ebene des Aviatiksystems, da die
Gesellschaft eine Doppelrolle innehat: auf der einen Seite ist sie als Passagier
Kunde und erwartet entsprechend attraktive Leistungen und preiswerte Angebote,
auf der anderen Seite ist sie als Bürger und Anwohner von Flughäfen den
Emissionen ausgesetzt. Die Geschichte des Staates und der Gesellschaft
widerspiegelt sich im jeweiligen Rechtssystem.
8.1 Akteure im Aviatiksystem im internationalen Kontext
Die im internationalen Kontext agierenden Instanzen sind supranationale
Organisationen, die sich aus einzelnen Staaten zusammensetzen und auf globaler
oder auch regionaler Ebene wirken. Die Abgrenzung zu den Staaten ist durch die
Anerkennung der Souveränität gegeben.
International Civil Aviation Organization ICAO
Die International Civil Aviation Organization (ICAO) wurde am 7. Dezember 1944
durch die so genannte Chicago Convention, dem Abkommen über die internationale
Zivilluftfahrt gegründet und hat seit einer am 13. Mai 1947 in Kraft getretenen
Vereinbarung den Status einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen. 190
Staaten26 haben sich vertraglich zur Umsetzung verpflichtet. "As the global forum for
cooperation among its Member States and with the world aviation community, the
International Civil Aviation Organization (ICAO) sets standards and recommended
practices for the safe and orderly development of international civil aviation."27
26 Stand 2009 27 Quelle http://www.icao.int/icao/en/howworks.htm, Abfragedatum 20.7.2011
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Die Aviatik als System Seite 35/126
Abbildung 3 - Die Internationale Zivilluftfahrt Organisation ICAO verkörpert die globale Dimension der Luftfahrt und sorgt mit Empfehlungen und Richtlinien für ein harmonisiertes Ausrichten der Anwendungen und Entwicklungen in den einzelnen Ländern.
Interdependenz der globalen und nationalen Ebene
Die ICAO unterhält eine riesige Anzahl an Gremien, Arbeitsgruppen,
fachspezifischen Untergruppen. Diese Gruppen und Gremien leben inhaltlich von
den Repräsentanten der Akteure der Staaten. Ob eine Vertretung in eine dieser
Gruppen und Gremien entsendet werden soll, liegt in der Entscheidung jedes
Akteurs und Staates, die Beteiligung ist in jedem Fall über die offizielle
Korrespondenz sichergestellt. Die Problemstellung für die Akteure besteht darin,
dass sie "nur" die Interessen ihres Akteurs vertreten können. Eine Absprache unter
den Repräsentanten auf nationaler Ebene würde erlauben, dass die Auswirkungen
der Entscheidungen gesamtheitlich analysiert werden könnten. Die Absprache findet
allerdings erfahrungsgemäss erst auf nationaler Ebene statt, wenn die Einführungen
bereits anstehen. Die Systemtheorie betrachtet unter anderem die Auswahl der
Beziehungen zum System als eine entscheidende Voraussetzung, was bedeutet,
dass sich die einzelnen Akteure auf das nationale Aviatiksystem ausrichten und
folgedessen sich das nationale auf das internationale System ausrichtet. Das
Dilemma ist, dass die nationalen Systeme keine eigentlichen Organisationen sind,
die über klare hierarchische Führungsstrukturen und Prozesse verfügen, sondern
eher ein loser Zweckverbund ohne eigentliche Hierarchie (vgl. Kapitel 13), der nach
demokratischen Prinzipien funktioniert. Demzufolge muss ein nationales
Aviatiksystem ein virtuelles Konstrukt von Zusammenarbeit bilden, das diese
Aufgabe wahrnimmt.
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Die Aviatik als System Seite 36/126
Das nationale Aviatiksystem benötigt ein gemeinsames Verständnis, wie die
Erkenntnis 2
Beziehungen zum globalen resp. regionale System gestaltet werden sollen.
Eurocontrol
Eurocontrol ist eine 1960 gegründete, interstaatliche Organisation, die 39 Staaten -
darunter auch die Schweiz - wie auch die EU als Mitglieder umfasst. Sie versteht sich
als "... a civil-military organization committed to building, together with its partners, a
Single European Sky that will deliver the air traffic management (ATM) performance
required for the twenty-first century and beyond."28
Abbildung 4 - Eurocontrol verkörpert als interstaatliche Fachorganisation die regionale Dimension und unterstützt die Mitgliedstaaten bei der harmonisierten Umsetzung und Erhöhung der Leistungsfähigkeit der europäischen Luftfahrt.
Ihre Rolle beschreibt Eurocontrol folgendermassen: "EUROCONTROL supports its
Member States to achieve safe, efficient and environmentally-friendly air traffic
operations across the whole of the European region. We play a pivotal role in Europe
by working together with all aviation partners to deliver a Single European Sky that
will help to meet the safety, capacity and performance challenges of European
aviation in the 21st century."29
Eurocontrol richtet ihre Struktur nach den Zielen und den Bedürfnissen der
Mitgliedstaaten aus: "The European ATM environment is undergoing significant
changes. In order to improve the way it meets the needs of all its 39 Member States
28 Quelle: http://www.eurocontrol.int/documents/eurocontrols-profile, Abfragedatum 20.7.2011 29 Quelle: http://www.eurocontrol.int/articles/eurocontrol-role, Abfragedatum 20.7.2011
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Die Aviatik als System Seite 37/126
and to contribute more actively to the successful delivery of the Single European Sky,
the EUROCONTROL Agency has been restructured to ensure separation of its
activities related to regulatory support and those related to service provision."30
ESSIP / LSSIP
Mit den beiden Plänen, dem European Single Sky ImPlementation (ESSIP) und dem
auf die einzelnen Staaten adaptierte Local Single Sky ImPlementation (LSSIP), übt
Eurocontrol eine koordinierende Rolle aus, die zur Harmonisierung und verbesserter
Leistungsfähigkeit der gesamten europäischen Aviatik beiträgt. Die Zielsetzungen
und Termine sind für die Staaten verbindlich und werden jährlich überprüft.
Europäische Union EU31
Die Europäische Union (EU) unterstützt offiziell die Luftfahrt und integriert sie in ihre
Initiativen. "Mit Blick auf Initiativen wie der Erweiterung der gemeinschaftlichen
Zuständigkeiten in den Bereichen Sicherheit und Gefahrenabwehr, Modernisierung
des einheitlichen europäischen Luftraums und Einrichtung neuer Systeme für das
Flugmanagement in Europa sowie angesichts der zu erwartenden
Kapazitätsverknappungen und der Besorgnis über die Umweltauswirkungen des
Luftverkehrs wird die Einbeziehung der allgemeinen Luftfahrt und der
Geschäftsreiseluftfahrt dringend notwendig. Aus diesem Grund hat sich die
Kommission mit den besonderen Gegebenheiten dieses Sektors befasst und legt
eine Agenda für die nachhaltige Zukunft der allgemeinen Luftfahrt und der
Geschäftsreiseluftfahrt vor."
Im Internet beschreibt die EU ihre Ziele folgendermassen: "Wichtigste Ziele sind eine
bessere Datenerfassung, die Gewährleistung von Verhältnismäßigkeit bei den
Vorschriften, eine angemessene Einbindung des Sektors in die Initiativen der
Kommission sowie eine bessere Nutzung der bestehenden Kapazitäten und die
Optimierung des Zugangs zu den Auslandsmärkten bei gleichzeitiger Sicherstellung
der Umweltverträglichkeit".
30 Quelle: http://www.eurocontrol.int/content/about-us, Eurocontrol Agency Structure, Abfragedatum 20.7.2011 31 Quelle: http://europa.eu/legislation_summaries/transport/air_transport/l24489_de.htm, Abfragedatum 24.7.2011
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Die Aviatik als System Seite 38/126
Abbildung 5 - Die Europäische Union ist eine wirtschaftliche und politische Partnerschaft von 27 europäischen Ländern - die Schweiz ist nicht Mitglied - die sich für die Stabilität und Frieden einsetzt. Mit wirtschaftlichem Interesse und politischem Nachdruck fordert und fördert die EU mit Initiativen und Instanzen die Vereinheitlichung und Leistungssteigerung der europäischen Luftfahrt.
EU als Machtfaktor in der Luftfahrt
Die EU hat sich als wirtschaftliche und politische Partnerschaft zu einer
dominierenden Macht entwickelt, die die Geschicke in Europa und insbesondere
auch in der Luftfahrt massgebend bestimmt. Was bislang in der Kompetenz der
einzelnen Staaten lag, wird mittlerweile zentral entschieden. Die einzelnen Staaten
geben mindestens Teile ihrer Macht bewusst zu Handen einer übergeordneten
Struktur ab. Die Mitsprachemöglichkeiten bleiben hingegen je nach wirtschaftlichem
und politischem Gewicht des Staates bestehen. Diese den einzelnen Staaten
übergeordnete, gemeinsame Stufe ähnelt durchaus hinsichtlich ihrer Aufgabe,
Organisation und Struktur einer Holding. Dadurch wird eine einheitliche Führung und
Steuerung einfacher möglich, als wenn erst ein Konsens mit den einzelnen Staaten
ausgehandelt werden muss. Durch ihre anerkannte, hierarchische Position erhält die
EU die nötige Macht, Entscheide zu fällen und durchzusetzen. Die Systemtheorie
betont die Affinität von Hierarchie und Macht, die sich gegenseitig verstärken. Macht
ist als Steuerungsmedium deshalb geeignet, weil sie über die Androhung von
physischer Gewalt respektive über die Möglichkeiten dazu verfügt, Sanktionen bei
Fehlverhalten zu verhängen. Die demokratischen Strukturen der EU mit der
Kommission und dem Parlament entsprechen den Wertvorstellungen der
Mitgliederstaaten, was bedeutet, dass als Voraussetzung für ein erfolgreiches
Funktionieren ein grundsätzlicher Rahmenkonsens besteht und das Bekenntnis zur
Operationsweise vorhanden ist.
Die Schweiz ist nicht Mitglied in der EU, kann demzufolge nur im Rahmen der
bilateralen Verträge in Arbeitsgruppen aktiv mitwirken, ein Stimmrecht besteht
hingegen nicht.
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Die Aviatik als System Seite 39/126
"Obwohl [die Schweiz] aus aviatischer Sicht als wichtiger stakeholder
anerkannt ist, entspricht die politische Einflussnahme nicht der
wirtschaftlichen Bedeutung in Europa, da besteht ein Defizit."
(Experteninterview BAZL, Frage 11, Anm. J.H.)
Umgang mit dem Machtfaktor in demokratischen Strukturen
Die demokratischen Strukturen sind einerseits ein Segen, denn sie erlauben die
gleichberechtigte Mitsprache, aber andererseits wird das Gewicht der eigenen
Stimme umso kleiner, je mehr Mitglieder bestehen. Interessengemeinschaften,
Koalitionen und Bündnisse entstehen, um bei entscheidenden Fragestellungen der
eigenen Position mehr Gewicht zu verleihen. Geschicktes Taktieren und der Aufbau
von Seilschaften sind die Möglichkeiten zur Mehrheitsbildung. In dieses Taktieren
spielen die Argumente des Sachwissens herein, die über die offiziellen Kanäle der
Luftfahrtbehörden als Staatsvertreter oder über die durch Lobbying informierten
Parlamentarier einfliessen. Dieser Mechanismus funktioniert nach dem gleichen
Prinzip. Deshalb ist für die Akteure im nationalen Aviatiksystem wichtig, zur
Luftfahrtbehörde und zu den Parlamentarier durch Lobbying ein gutes Verhältnis
aufzubauen, um sie zu unterstützen und so die politischen Prozesse für ihre Ziele
und Zwecke zu beeinflussen. Auf die Rolle der Luftfahrtbehörde bezogen bedeutet
das auch, dass sie ihre Rolle auch aktiv ausüben und nicht mangels Wissens oder
aus Angst vor Kritik in Untätigkeit verfallen.
Single European Sky SES32
Die von der Europäischen Kommission 1999 gegründete Initiative Single European
Sky (SES) hat zum Ziel, für die europäische Aviatik einen legislativen Rahmen zu
bilden, der es erlaubt, ein leistungsstärkeres Flugverkehrssystem in Europa zu
entwickeln, um der stetig wachsenden Nachfrage nach Kapazität nachzukommen.
32 Quelle: http://www.eurocontrol.int/dossiers/single-european-sky, Abfragedatum 24.7.2011
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Die Aviatik als System Seite 40/126
Abbildung 6 - Die EU-Initiative Single European Sky SES beabsichtigt, ein leistungsstärkeres und kostengünstigeres Flugverkehrssystem zu entwickeln, das sich an den funktionalen Verkehrsströmen und nicht an territorialen Grenzen orientiert.
Das heutige Flugverkehrssystem (air traffic management system ATM) bewältigt
täglich um die 26'000 Flugbewegungen, die jährlich im Vergleich mit anderen
Regionen Mehrkosten von € 2-3 Billionen33 verursachen. Verkehrsprognosen
rechnen mit einer Verdoppelung bis in das Jahr 2020. Um das Gesamtsystem
leistungsstärker und kostengünstiger zu gestalten, wurde im Rahmen der SES eine
Initiative entwickelt, die den Luftraum in so genannte funktionale Luftblöcke
(functional airspace block FAB) aufteilen soll, die sich nach dem Verkehrsfluss und
nicht nach staatlichen Grenzen richten. Ein Vorhaben dieser Dimension kann nur mit
gemeinsamen Regeln und Verfahren ermöglicht werden, die mit SES erstellt werden
sollen. Auf der operationellen Seite wurde die Rolle des Network Managers des
Europäischen ATM Netzwerks an Eurocontrol übertragen, auf der technologischen
Seite wird SES durch das Programm SESAR (SES ATM Research) unterstützt (vgl.
Seite 44).
Functional Airspace Block Europe Central FABEC
Der FABEC ist ein Zusammenschluss von sieben Flugsicherungen und den sechs
Staaten Deutschland, Frankreich, Belgien, Niederland, Luxemburg und der Schweiz
mit der Absicht der Schaffung einer multinationalen Führungsorganisation für den
Luftraum über einem Gebiet, das von 55% des europäischen Verkehrsflusses -
jährlich ca. 5.5 Mio. Flüge - überflogen wird und grosse europäische Flughäfen
verbindet. Durch gemeinsames Auftreten und Anbieten von nahtlosen
Flugsicherungsdienstleistungen soll die Leistung auf der regionalen Ebene deutlich
gesteigert werden. Im Rahmen der SES-Initiative bildet der FABEC aufgrund seiner
geographischen Lage einen zentralen Eckpfeiler. Die Anbindung und Verknüpfung zu
den Nachbar-FAB und dem gesamteuropäischen Routennetzwerk ist aus Sicht der
regionalen Ebene eine wichtige Voraussetzung. Im FABEC sind neben den
Luftfahrtbehörden auch die jeweiligen Luftwaffen vertreten, was dem
gesamtheitlichen Aspekt Rechnung trägt.
33 Quelle: http://www.eurocontrol.int/dossiers/single-european-sky, Abfragedatum 26.7.2011
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Die Aviatik als System Seite 41/126
Abbildung 7 - FABEC ist der Zusammenschluss von 7 Flugsicherungen und 6 Staaten zu einer zentralen, multinationalen Führungsorganisation, die 55% des europäischen Verkehrs betreut und durch das Auftreten als Einheit eine deutliche Leistungssteigerung bringen soll.
Single European Sky Air Traffic Management Research SESAR 34
SESAR ist das technologische und operationelle Entwicklungsprogramm der SES-
Initiative, das das zukünftige umweltfreundliche und leistungsstarke Air Traffic
Management (ATM) System mit einem Paradigmenwechsel und state-of-the-art und
innovativen Technologien bauen soll. Aufgrund der Dimension wurde von der
Europäischen Kommission und Eurocontrol mit dem SESAR Joint Undertaking (SJU)
im Februar 2007 eine Rechteinheit gegründet, die heute 15 Mitgliederorganisationen
und 13 assoziierte Partner umfasst. Mitglieder- und Partnerfirmen sind Flughäfen,
Flugsicherungen, Flugzeughersteller, Hersteller von Flugzeuggeräten und
Bodengeräten. Die gesamten Investitionskosten für die Entwicklungsphase betragen
€ 2.1 Mrd.
Abbildung 8 - SESAR Joint Undertaking versucht durch Unterstützung auf regionaler Stufe die nationalen Aviatiksysteme in technologischer und operationeller Hinsicht zu harmonisieren.
34 Quelle: http://www.sesarju.eu/programme, Abfragedatum 4.8.2011
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Die Aviatik als System Seite 42/126
Europäische Agentur für Flugsicherheit EASA35
Die Europäische Agentur für Flugsicherheit wurde 2003 auf der Grundlage der
Verordnung 1592/2002 des Europäischen Parlamentes und des Rates als
unabhängige Agentur mit dem Ziel gegründet, "...to promote the highest common
standards of safety and environmental protection in civil aviation."36
Abbildung 9 - Die Europäische Agentur für Flugsicherheit EASA erlässt als europäisch zentralisierte, unabhängige Agentur die verbindlich anzuwendenden Sicherheitsvorschriften und übernimmt dabei Aufgaben, die bisher durch die einzelnen Staaten ausgeführt wurden.
Mit diesem neuen Regulierungssystem sollen die Voraussetzungen geschaffen
werden, einen einheitlichen europäischen Markt für die Luftfahrtindustrie aufzubauen.
Zu den Aufgaben der EASA gehören unter anderem die Beratung der EU in
fachlichen Fragen und Erarbeitung neuer Rechtsvorschriften, die Überwachung der
Umsetzung der Sicherheitsvorschriften in den Mitgliedstaaten, die Musterzulassung
von Flugzeugen wie dem Airbus A380 im Dezember 2006. Die Aufgaben werden
laufend der Entwicklung angepasst, so wird die EASA die Vorschriften für die
Sicherheitsstandards auf Flughäfen und Flugsicherungen langfristig übernehmen.
Die Abgrenzung zu den staatlichen Aufsichtsorganen zielt auf die Vereinheitlichung
der Vorgaben ab, die operativen Aufgaben werden zu einem grossen Teil bei der
nationalen Luftfahrtbehörde verbleiben.
8.2 Abhängigkeiten im internationalen Kontext
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Abhängigkeiten im internationalen
Kontext um einiges grösser und anspruchsvoller sind als im nationalen Kontext, weil
die staatliche Dimension einen viel grösseren Einfluss hat. Auch wenn die EU den
Versuch einer zentralen Steuerung unternimmt, die Durchschlagkraft im Vergleich zu
35 Quelle: http//:www.easa.europa.eu, Abfragedatum 4.8.2011 36 EASA, Annual Report 2009, Seite 7
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Die Aviatik als System Seite 43/126
den USA hat sie noch nicht. Das profunde Kennen der Vielzahl von Gremien und
Arbeitsgruppen verlangt den Einsatz von Ressourcen, die sich aber weder ein
nationaler Akteur noch ein Staat leisten kann. Die Koordination unter den nationalen
Vertretern müsste zwingend erfolgen, was im Sinn von Informationsaustausch zwar
erfolgt, doch mangels Zuständigkeiten keine Vertretung des gesamtheitlichen
nationalen Aviatiksystems stattfindet.
Abhängigkeiten im internationalen Kontext
ICAO
Eurocontrol
EU
SES
SESARFABEC
EASA
Staat
Quelle: eigene Darstellung
Luftfahrtbehörde
FlugsicherungFlughäfenFluggesellschaften
Luftwaffe
Abbildung 10 - Die Abhängigkeiten der Akteure im internationalen Kontext setzen ein profundes Kennen der Rollen und Abläufe voraus, was jeder Akteur mit eigenen Ressourcen sicherstellen muss. Die Vertreter der Akteure müssen sich untereinander austauschen und ergänzen, um die Auswirkungen auf den nationalen Kontext gesamtheitlich zu erfassen.
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Die Aviatik als System Seite 44/126
8.3 Akteure des nationalen Aviatiksystems
Das nationale Aviatiksystem der Schweiz umfasst die folgenden Akteure
Transportministerium Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr,
Energie und Kommunikation - UVEK
Luftfahrtbehörde Bundesamt für Zivilluftfahrt - BAZL*)
Flughäfen Flughafen Zürich*)
Aéroport International de Genève
Verband Schweizer Regionalflugplätze
Luftraumnutzer Fluggesellschaften
Swiss International Airline*)
REGA37
Geschäftsluftfahrt (business aviation)
General Aviation
Aeroclub der Schweiz (AeCS)
Personal- und Fachverbände
Pilotenvereinigungen
Interessensverbände
Aircraft Owner and Pilots Association AOPA
Flugsicherung Skyguide, swiss air navigation services ltd*)
Luftwaffe Die Schweizer Luftwaffe*)
Tabelle 1 Übersicht der Akteure im Aviatiksystem der Schweiz
Auf die mit *) gekennzeichneten Akteure wird im Rahmen dieser Master-Thesis näher
eingegangen.
37 REGA = Rettungsflugwacht
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Die Aviatik als System Seite 45/126
Die mitbestimmenden Hauptakteure umfassen als öffentliches Amt, Vertreter der
Behörden und Schnittstelle zur Politik
1) das Bundesamt für Zivilluftfahrt, das für die Aufsicht und die Entwicklung des
Aviatiksystems der Schweiz zuständig ist,
2) die Luftraumnutzer mit den Fluggesellschaften als prominenteste Vertreter und
privat-wirtschaftlich organisierte Unternehmen, die am Markt agieren und einen
namhaften makroökonomischen Beitrag liefern,
3) die Flughäfen als Träger der aviatischen Infrastrukturen,
4) die Flugsicherung, die als privat-wirtschaftlich organisierte Unternehmung durch
das Staatsmandat eine Monopolstellung innehat und daher als sehr staatsnah
bezeichnet werden darf und schliesslich
5) die Luftwaffe, die nicht nur als dritte Dimension der Armee den Luftpolizeidienst im
Rahmen der Wahrung der Souveränität und Landesverteidigung sicherzustellen hat,
sondern auch zu Gunsten der Bevölkerung mit subsidiären Einsätzen ihren Beitrag
leistet.
Auch Bestandteil des Aviatiksystems, wenngleich als Akteure weniger
mitbestimmend, sind die so genannte Business Aviation, die neben den
Fluggesellschaften eine wichtige Stellung einnimmt, da sie die Geschäftsleute von
internationalen Firmen transportiert, und die General Aviation, die mit ihren
zahlreichen Fluggruppen im Aero-Club zusammengeschlossen ist und so einen
wichtigen Ansprechpartner darstellen für die ausgeprägt heterogenen Interessen, die
von Flugschulen über Segelfluggruppen, Ballonfahrern bis zu Hängegleitern und
Fallschirmspringer reichen.
Des Weiteren zählen zum Aviatiksystem der Schweiz die Luftfahrtindustrie und die
Wissenschaft, die aber keine mitbestimmende Rolle spielen, sondern für
Grundlagenarbeiten und themenspezifische Fachexpertisen zu Rate gezogen
werden:
die Luftfahrtindustrie mit dem Flugzeughersteller Pilatus sowie
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Die Aviatik als System Seite 46/126
die Wissenschaft und Forschung mit den technischen Hochschulen ETHZ38,
EPFL39, EMPA40 und dem Center for Aviation Competence CFAC der
Universität St. Gallen.
Vergleich mit anderen nationalen Aviatiksystemen
Im internationalen Vergleich mit anderen Ländern fällt auf, dass die Schweizer
Luftwaffe als vollwertiges und gleichberechtigtes Mitglied wahrgenommen wird, aktiv
in die Denkweisen, Prozesse und Entwicklungen integriert ist und tatkräftig
mitarbeitet. Damit sind sämtliche Organisationen vertreten, die auf Grund ihrer
Aufgabe und Rolle das Aviatiksystem Schweiz entscheidend und nachhaltig
mitbestimmen können.
Die zentrale Voraussetzung zum gesamtheitlichen Bewirtschaften des
Erkenntnis 3
Aviatiksystems ist der Einbezug und die Vernetzung durch aktive Teilnahme
sämtlicher mitbestimmenden Akteure einschliesslich der Luftwaffe.
Das Transportministerium - Das Eidgenössische Department für Umwelt,
Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK
Die Aufgaben eines klassischen Transportministeriums sind im Eidgenössischen
Department für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK integriert. Da
die Luftfahrt Auswirkungen auf die Umwelt wegen den Emissionen, auf die
bodenbezogenen Verkehrsträger wie Strasse und Bahn wegen der Anbindung, auf
die Energie und auf die Kommunikation wegen Themen wie Frequenzzuteilungen
hat, ergibt sich eine komplementäre Sichtweise, die innerhalb des Departements
logische, funktionale und sachbezogene Zusammenhänge aufweisen. In dem Sinne
wird die Luftfahrt als Teil des Verkehrs betrachtet. Der Stellenwert und die Wichtigkeit
38 ETHZ = Eidgenössische Technische Hochschule Zürich 39 EPFL = Ecole polytechnique fédérale Lausanne 40 EMPA = Eidgenössische Materialprüfanstalt
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Die Aviatik als System Seite 47/126
der Luftfahrt innerhalb des Departements stehen in direkter Abhängigkeit zur Affinität
des jeweiligen Bundesrates zur Luftfahrt.
In der Organisation des UVEK sind lediglich zwei Stellen ausgewiesen, die sich
dediziert um die Luftfahrt kümmern: der Civil Aviation Safety Officer CASO und sein
Stellvertreter. Die fachspezifischen Fragestellungen werden dem Bundesamt für
Zivilluftfahrt BAZL delegiert.
Das UVEK delegiert die Rolle des Besitzers der Flugsicherung skyguide ebenfalls an
das BAZL, das dadurch neben seiner funktionsspezifischen Aufgabe der Aufsicht
eine Doppelrolle trägt. Aus Sicht der Flugsicherung skyguide wird diese Doppelrolle
als Interessenkonflikt wahrgenommen.41
Luftfahrtpolitik des Bundes
Die Luftfahrtpolitik der Schweiz ist im Luftfahrtpolitischen Bericht42 des Bundesrats
beschrieben und stammt aus dem Jahr 2004. Seine Kernaussagen lauten einerseits
"Safety First" und andererseits soll mit dem Flughafen Zürich als Drehkreuz und
effizientes Mittel eine optimale Anbindung der Schweiz an die internationalen Zentren
sichergestellt werden. Damit ist die Grundlage für die politische Diskussion über die
künftige Ausrichtung der schweizerischen Luftfahrtpolitik gelegt.
Im Luftfahrtpolitischen Bericht wird die Luftfahrt Schweiz als System beschrieben:
"Die schweizerische Luftfahrt ist als Gesamtsystem zu verstehen, dessen
Träger sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene stark
miteinander vernetzt sind. Zu den Hauptträgern der Luftfahrt gehören die
Fluggesellschaften, die Flugplätze, die Flugsicherung, die Hersteller- und
Ausbildungsbetriebe und weitere, so genannte flugnahe Unternehmen
(Annex-Betriebe) wie die Unterhaltsfirma SR Technics, die
Bodenabfertigungsgesellschaft Swissport oder das Cateringunternehmen
Gate-Gourmet. Alle diese Protagonisten sind derart miteinander
verbunden, dass das Scheitern eines Teilnehmers massive
Auswirkungen auf die anderen Träger haben kann. In den zwei Jahren
41 vgl. Experteninterview skyguide, Frage 18 42 Quelle http://www.bazl.admin.ch/themen/lupo/00292/index.html?lang=de, Abfragedatum 20.7.2011
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Die Aviatik als System Seite 48/126
nach dem Grounding der ehemaligen Swissair verzeichneten die
Landesflughäfen Basel-Mulhouse und Zürich einen Verkehrs- und
Passagierrückgang von 20 %43. Als Folge davon waren der Flughafen
Zürich und die Flugsicherung skyguide gezwungen, ihre Gebühren zu
erhöhen, was wiederum die Kostenstrukturen der Swiss International Air
Lines AG (SWISS) als deren Hauptkundin zusätzlich belastete.
Abbildung 11 - Die Faktoren und das Zusammenspiel der Akteure des Aviatiksystems der Schweiz zeigen die starken Vernetzungen und Abhängigkeiten auf, die den Staat in seiner Steuerung begrenzt. (Quelle: Luftfahrtpolitischer Bericht 2004)
"Wegen diesen starken Vernetzungen und Abhängigkeiten sind die
Steuerungsmöglichkeiten für den Staat begrenzt. Folglich muss eine
umfassende Luftfahrtpolitik diesen Umstand berücksichtigen."44
Der luftfahrtpolitische Bericht äussert sich zur Rolle der Aufsichtsbehörde
dahingehend, dass die Gewährleistung eines hohen Sicherheitsstandards nicht von
43 gemäss BAZL Statistik 44 05.011, Bericht über die Luftfahrtpolitik der Schweiz 2004, Seite 1789, Hervorhebungen J.H.
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Die Aviatik als System Seite 49/126
der Industrie alleine sichergestellt werden kann, sondern dass der Staat
diesbezüglich mit einer intensivierten Aufsicht eingreifen muss.
Dieser staatliche Eingriff ist notwendig, weil der Staat dem Wettbewerbsdruck nicht
unterliegt.
"Der Bund will sich im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung für eine
leistungsfähige Luftfahrt einsetzen.45
Er geht davon aus, dass dieses Ziel, die Gewährleistung einer bestmöglichen
Anbindung der Schweiz an die europäischen und weltweiten Zentren, durch
schweizerische Gesellschaften am effektivsten sichergestellt werden kann.
"Der schweizerischen Luftfahrt kommt eine grosse volkswirtschaftliche
Bedeutung zu. (...) Deshalb will der Bundesrat die Wettbewerbsfähigkeit
der schweizerischen Luftfahrt durch gute Rahmenbedingungen fördern.
"Swiss bleibt wichtiger luftfahrtpolitischer Faktor: Die Fluggesellschaft
Swiss stellt auch künftig einen wichtigen luftfahrtpolitischen Faktor dar.
Von ihr erwartet der Bundesrat auch weiterhin, dass sie die für den
wirtschaftlichen Erfolg notwendigen unternehmerischen Massnahmen trifft,
um sich auf dem Luftverkehrsmarkt behaupten zu können. Das finanzielle
Engagement des Bundes ist vorübergehend; ein Rückzug des Bundes soll
aber nicht zur Unzeit erfolgen. Die Dienstleistungen der Flugsicherung
müssen nach Ansicht des Bundesrates im EU-Vergleich zu
wettbewerbsfähigen Preisen angeboten werden. Die Flugplätze haben
jene baulichen und betrieblichen Voraussetzungen zu schaffen, die es
dem Luftverkehr erlauben, seine Dienstleistungen markt- und preisgerecht
unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen der Nachhaltigkeit
abzuwickeln. Damit der Bund seine luftfahrtpolitische Verantwortung sowie
seine Interessen und Ziele künftig umfassender und direkter wahrnehmen
kann, prüft er Möglichkeiten zur Durchsetzung grösserer
Bundeskompetenzen bei den Landesflughäfen. Das konkrete Angebot an
Luftverkehrsverbindungen zur Sicherstellung einer ausreichenden
Anbindung der Schweiz überlässt der Bund jedoch den Marktkräften.
45 Quelle: http://www.uvek.admin.ch/dokumentation/00474/00492/index.html?lang=de&msg-id=6950
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Die Aviatik als System Seite 50/126
Der Bundesrat legt grossen Wert auf eine optimale Einbindung der
Schweiz ins internationale Umfeld. Die Schweiz übernimmt soweit wie
möglich internationale Standards, beteiligt sich an wichtigen europäischen
Projekten wie der Europäischen Agentur für Flugsicherheit der EU (EASA)
sowie dem Single-European-Sky-Projekt und setzt sich für einen
attraktiven und wettbewerbsfähigen Luftverkehrsstandort Schweiz ein."46
Luftfahrtbehörde - Das Bundesamt für Zivilluftfahrt BAZL
Als zentraler Akteur und gewissermassen als Vertreter des Staates spielt die
Luftfahrtbehörde eine entscheidende und systemprägende Rolle. Die
Luftfahrtbehörde ist diejenige Instanz, die als Fachbehörde die nationalen Gesetze
ausarbeitet, die für einen Staat Gültigkeit haben. Dabei richtet sie sich nach dem
globalen Kontext aus und berücksichtigt zudem die nationalen Ansprüche der
anderen Akteure wie auch die Interessen des Staates und der Gesellschaft. Die
Luftfahrtbehörde ist meistens von der Politik beauftragt und richtet sich nach den
strategischen, wirtschaftlichen und ökonomischen Grundsätzen des
Transportministeriums. Sie reguliert mit dem Erteilen von Bewilligungen die
Aktivitäten der anderen Akteure und hat somit in ihrer Monopolstellung eigentlich
faktisch eine Vormachtstellung unter den Akteuren im Aviatiksystem. Die Initiativen
für die Anträge hingegen stammen ausschliesslich von den anderen Akteuren, die
Luftfahrtbehörde agiert demnach nur passiv und nicht aktiv.
Im Experteninterview47 hat Matthias Suhr das Bundesamt für Zivilluftfahrt
folgendermassen umschrieben:
"Das BAZL ist ein klassisches Aufsichts- und Regulationsamt und hat eine
öffentliche Aufgabe wahrzunehmen. In diesem Sinn werden die Aufgaben
durch das Parlament festgelegt, das dem BAZL die Aufgaben überträgt.
Wir sind nicht wie ein Unternehmen am Markt durch die Kunden
beeinflusst, sondern primär durch den Gesetzgeber beauftragt. ... Das
BAZL nimmt zwei grundsätzliche Aufgaben wahr: Sicherheit und
Luftfahrtentwicklung." (Experteninterview BAZL, Frage 1)
46 05.011, Bericht über die Luftfahrtpolitik der Schweiz 2004 Seite 1789, Hervorhebungen J.H. 47 Experteninterview BAZL, Frage 1
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Die Aviatik als System Seite 51/126
Im Unterschied zur Luftfahrtentwicklung ist die Sicherheit sehr stark reguliert.48 Das
BAZL erhält den Grundauftrag vom Parlament, was eine starke politische
Beeinflussung mit sich bringt. Durch den Vertrag mit der EASA und den bilateralen
Luftverkehrsabkommen mit der EU werden die Vorgaben und Regeln übernommen,
was die Abhängigkeit des BAZL bzw. seine eingeschränkte Mitsprache auf der
regionalen Ebene kennzeichnet.49 Die klassischen Erfolgsfaktoren des BAZL ähneln
mit der Kommunikation, dem Personalwesen und dem Wissensmanagement der
Privatwirtschaft, wenngleich der Handlungsspielraum aufgrund der politischen
Grundlage beschränkt ist.50 Mit den Akteuren hat das BAZL während den letzten
zehn Jahren kontinuierlich wertvolle Beziehungen aufgebaut, die einen
gegenseitigen Nutzen bringen und das Verständnis für die schnell ändernden
Anforderungen der Akteure fördern.51 Die Bemühungen werden von den Akteuren
geschätzt und auch erwidert, so dass eine solide Grundlage zur konstruktiven
Vernetzung und Zusammenarbeit gelegt ist.
Flughafen
Die Flughäfen sind die Betreiber der aviatischen Infrastruktur und stehen an
vorderster Front zwischen den Anwohnern und den Nutzern. Die Infrastrukturen
werden sowohl von der Wirtschaft als auch von der Politik beeinflusst oder gar
vorgegeben. Die nationale Wichtigkeit eines Flughafens steht in Relation mit der
wirtschaftlichen Bedeutung und Wertschöpfung, besonders wenn eine
Fluggesellschaft ein Drehkreuz betreibt. Entsprechend können für die Flughäfen
eines Staates unterschiedliche Rahmenbedingungen entstehen.
Die Flughäfen sind für den so genannten landseitigen Anschluss zuständig,
ermöglichen den Passagieren den Zutritt, die Abwicklung und auf dem Vorfeld stellen
sie die nötigen Einrichtungen bereit für die Abfertigung, für den Umschlag von
Passagieren, Gepäck und Fracht und für die Wartung und Betankung der Flugzeuge.
Ebenso planen, bauen und unterhalten sie die Pisten und die Rollwege
einschliesslich ihrer Befeuerung und Beschilderung sowie die Standplätze der
48 vgl. Experteninterview BAZL, Frage 3 49 vgl. Experteninterview BAZL, Frage 7 50 vgl. Experteninterview BAZL, Frage 10 51 vgl. Experteninterview BAZL, Frage 17
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Die Aviatik als System Seite 52/126
Flugzeuge. Die Bedürfnisse des Zolls werden integriert wie die Aspekte der
Sicherheit. Auf den Flughäfen prallen die globalen und nationalen Vorgaben
aufeinander und müssen miteinander vereint werden.
Die kleineren Flughäfen oder Flugplätze spielen für die nationale Infrastruktur
ebenfalls eine Bedeutung, da sie primär zur Ausbildung und Schulung der Piloten
benutzt werden und so für die Aviatik einen wichtigen Beitrag leisten. Die
wirtschaftliche Tragbarkeit der Flugplätze ist ein Thema, um das sich nicht nur die
Betreiber, Partner und Nutzer kümmern müssen, sondern auch die Politik eines
Staates.
Damit die globalen Normen auch erwiesenermassen angewendet werden, müssen
sich die Flughäfen und Flugplätze für ihre Betriebsart zertifizieren lassen und ihr
Betriebsreglement wird von der Luftfahrtbehörde freigegeben. So wird sichergestellt,
dass die globalen und die nationalen Interessen bestmöglich gewahrt werden und
bleiben.
Die Flughäfen sind durch das Schweizerische Luftfahrtgesetz für die Beantragung
von An- und Abflugrouten zuständig, obwohl sie sie weder berechnen noch
betreiben, was in der Kompetenz der Flugsicherung liegt. Die gesetzlichen Verfahren
erfordern grosses, juristisches Wissen im Umgang mit Behörden und Gerichten. Weil
die Lärmproblematik um einen Flughafen stets zu Protesten führt, ist eine sorgfältige
langfristige Planung mit einer transparenten Kommunikationskultur zu begleiten. Die
Betriebsreglemente werden von der Luftfahrtsbehörde genehmigt, müssen aber
öffentlich aufgelegt werden. Auflagen aus Lärmschutzgründen schmälern die
operationellen Möglichkeiten der Anwender und Flugsicherung, so dass aus
betriebswirtschaftlicher und somit auch volkswirtschaftlicher Sicht ebenfalls
Einschränkungen resultieren.
Luftraumnutzer und Anwender
Die Luftraumnutzer umfassen einerseits die Fluggesellschaften und andererseits die
Piloten. Die Piloten werden lizenziert, die Flugzeuge und deren Ausrüstungen
werden zugelassen und die Fluggesellschaften zertifiziert, besonders ihre Unterlagen
und Handbücher sowie das Sicherheitsmanagementsystem. Die Interessen der
Piloten konzentrieren sich auf das sichere, speditive und pünktliche Operieren des
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
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Flugzeuges, währenddem die Fluggesellschaften minutiös das Netzwerk im Auge
behalten und wegen Anschlüssen lieber ein Flug einem anderen vorziehen und so ihr
System optimiert betreiben. Mitten in dieser Spannung arbeitet die Flugsicherung, die
nicht nur jeden Flug sondern auch den Verkehrsfluss beachten muss. Für die
Business Aviation und die General Aviation steht der freie und möglichst
uneingeschränkte Zugang zum Luftraum zu kleinstmöglichen Gebühren an oberster
Stelle. Da der Luftraum im Sinne der Güterarten derjenigen eines Klubgutes
entspricht, werden die Zutrittskriterien durch Benützungsvorschriften bezüglich
Ausrüstung der Flugzeuge und Ausbildungsnachweise der Piloten durch die
Luftfahrtbehörde geregelt.
Flugsicherung - skyguide
Flugsicherungen sind Dienstleistungsunternehmen, die in der Regel über einen
staatlichen Auftrag verfügen und demzufolge eine Monopolstellung innehaben. Bis
auf wenige Ausnahmen sind sie staatliche Betriebe. Die Flugsicherung in der
Schweiz wird von der Firma skyguide übernommen. Sie ist eine privatrechtlich
organisierte Aktiengesellschaft, die zu über 99 Prozent im Besitz des Staates ist und
die sowohl für die zivile wie auch für die militärische Flugsicherung zuständig ist. Ihre
Aufgabe ist es, den sicheren und geordneten Verkehrsfluss sicherzustellen. Ihre
Finanzierung erfolgt über Strecken- und Anfluggebühren, die durch den Staat als
Besitzer abgesegnet werden. Als Flugsicherungs-Experten lotsen sie die Flugzeuge
zu und von den Flughäfen mit Hilfe eines Luftstrassennetzes, Navigationsfunkfeuern
und verschiedenen Flugverfahren und verfügen daher über ein sehr breites Wissen
in operationellen, technischen und navigatorischen Fragen. Da die Sicherheit oberste
Maxime ist, richten die Flugsicherungen die Verkehrskapazitäten danach aus.
Die Flugsicherung wird daran gemessen, welche Kapazität an Verkehr sie zu
welchem Preis anbietet. Die Verspätungen – im Fachjargon Delay genannt - führen
bei den Fluggesellschaften zu höheren Betriebskosten und bei den Passagieren zu
Unannehmlichkeiten. Die Flugsicherungen definieren die möglichen Kapazitäten auf
einem Flughafen. Die Kapazitäten resultieren in Relation mit der aktuellen und
erwarteten Verkehrsmenge zu den meteorologischen Einflüssen wie Wind, Sicht,
Wolken, Niederschläge, Temperatur und deren zeitliche Dynamik sowie auch zur
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personellen und technischen Verfügbarkeit. Die Flughäfen und insbesondere die
Fluggesellschaften planen hingegen einen Flugbetrieb, der sich auf die maximale
Kapazität ausrichtet. Die Differenz zwischen der maximalen planbaren Kapazität und
der effektiv angewendeten Kapazität ist bekannt als Pünktlichkeit aus Sicht der
Fluggesellschaft oder als Verspätung aus Sicht des Passagiers. In diesem
Spannungsfeld liegt der Ursprung für die Reibungen zwischen den Akteuren.
Ergänzend dazu gesellt sich die Frage der Kosten und deren Finanzierung: die
Kosten entstehen nicht beim Nutzer, sondern beim Dienstleister.
Es ist auch die Aufgabe der Flugsicherung, die benötigten technischen und
personellen Infrastrukturen aufzubauen, die der Nachfrage der Luftraumnutzer und
den Ansprüchen der Interoperabilität gemäss den global gültigen Vorgaben
nachkommen. Wegen des staatlichen Mandates ist die Flugsicherung hingegen nicht
frei, den Umfang an Flugsicherungsleistungen selber zu bestimmen. Gewisse
Aufgaben werden für die Allgemeinheit im Sinne von service public durchgeführt. Es
liegt auf der Hand, dass die Luftraumnutzer das Maximum an Dienstleistungen
verlangen, aber nur für den von ihnen benutzten Teil auch bezahlen wollen.
Die Dienstleistungen werden von entsprechend ausgebildeten und lizenzierten
Flugverkehrsleitern52 erbracht, die als monopolistische Arbeitnehmer in einem
monopolistischen Arbeitgeber einen enorm starken Einfluss haben.
"Die Flugsicherung ist ein monopolistischer Arbeitgeber und die
Flugverkehrsleiter sind monopolistische Arbeitnehmer. Das heisst, wenn
zwei Monopole aufeinander treffen, besteht in aller Regel das Potential für
einen sozialen Konflikt. Dementsprechend gilt es, diesen Umstand und die
Abhängigkeit von den Sozialpartnern nicht zu bekämpfen sondern deren
Existenz zu akzeptieren." (Experteninterview skyguide, Frage 9)
Laut IFATCA53 fehlen weltweit rund 3'00054 qualifizierte Flugverkehrsleiter, was für
die Flugsicherungen bedeutet, dass sie attraktive Arbeits- und
Anstellungsbedingungen anbieten müssen, wenn sie ihre Personalengpässe
52 Der Begriff Fluglotse wird als Synonym verwendet 53 IFATCA = International Federation of Air Traffic Controllers' Association 54 Quelle: http://www.ifatca.org/docs/think08.pdf, Abfragedatum 20.7.2011
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Die Aviatik als System Seite 55/126
beheben und über eine genügende Anzahl an Ressourcen verfügen wollen. Die
Verfügbarkeit der Ressourcen gewinnt im internationalen Kontext immer mehr an
Bedeutung und stellt sich als Schlüsselfaktor für eine Flugsicherung heraus.
Die Erträge der Flugsicherung beziffern sich aus den Strecken- und Anfluggebühren,
die in Relation zum Gewicht des Flugzeuges und der zurückgelegten Distanz in
einem Zuständigkeitsgebiet festgelegt werden. Für die Flugsicherung bedeuten die
Streckengebühren die cash cow, währenddem die Anfluggebühren defizitär sind. Die
Höhe der Flugsicherungsgebühren setzt sich aus den Aufwendungen für Personal,
Infrastruktur und Leitung zusammen und sollte es dem Unternehmen ermöglichen,
die Kosten zu decken. Die Gebühren werden in Europa zentral durch die Eurocontrol
verwaltet und in Euro erhoben, was für die Schweiz ein erhebliches
Wechselkursrisiko mit sich zieht: der starke Schweizer Franken führt rasch zu einer
Ertragslücke von mehreren Millionen Franken.
Strategische Ausrichtung
Die Situation in Europa ist durch die Vielzahl von eigenständigen Staaten sehr
komplex, was dazu führt, dass die Flugsicherungsunternehmen nur mit einer
geeigneten Form von Zusammenarbeit eine nachhaltige Verbesserung erzielen
können. Die unrentablen kleinen Regionalflugplätze müssten in ein anderes
Geschäftsmodell überführt werden, weil die Quersubventionierungen von Strecken-
zu Anflugerträge wegen der Transparenz und Vergleichbarkeit der Dienstleistungen
von der EU ab dem Jahr 2012 nicht mehr akzeptiert werden. Demzufolge bedeutet
das für eine Flugsicherung, dass die Palette einer strategischen Ausrichtung vom
Status quo, über lose Kooperationen, teilweise Zusammenlegungen und Joint
Ventures bis hin zu einer Fusion reicht.
"Im Hauptfokus wird schwergewichtig stets der Auftrag des [Staates] zur
Durchführung der Flugsicherung in der Schweiz sein. Im Rahmen der
Positionierung in Europa verfolgen wir nicht den Alleingang, sondern eine
kreative Kooperationsstrategie. Zu diesem Zweck richten wir uns als
Innovator aus, der sich mittels flexibler Modularisierung der
Geschäftseinheiten und erhöhter Kostentransparenz darauf vorbereitet."
(Experteninterview skyguide, Frage 5, Anm. J. H.)
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Die Aviatik als System Seite 56/126
Die Kooperation auf der technischen Ebene wird durch die Initiative SESAR55 (vgl.
Seite 44) gefördert, die in die Single European Sky (SES) Initiative der EU
eingebettet ist. Der SES stellt primär das europäische Netzwerk in den Vordergrund
und verlangt nachhaltige Verbesserungen punkto Erhöhung der Kapazitäten und
Senken der Tarife. Ein ambitiöses Performance Scheme mit einem Bonus/Malus
System ist im Begriff, eingeführt zu werden. Diese Zielsetzungen kann ein
Flugsicherungsanbieter nicht mehr im Alleingang erreichen, dessen ist man sich
bewusst. Das bedeutet, dass die überstaatliche Regulation der EU - the political
and legal environment-, deren Vorgaben von den einzelnen Staaten verbindlich zu
übernehmen sind, die strategische Ausrichtung eines Flugsicherungsunternehmens
dominiert, was wie erwähnt eine engere Form der Zusammenarbeit verlangt. In dem
Sinne wird das Umfeld einer Flugsicherung verändert, so dass sich strategische
Allianzen bilden müssen. Eine Form von möglichen Allianzen bestehen mit den
Functional Airspace Blocks (FAB), die sich an den Verkehrsströmen orientieren und
funktional-logische Einheiten bilden. Der Functional Airspace Block Europe Central
(FABEC) (vgl. Seite 43), dem Deutschland, Frankreich, die Benelux-Staaten und die
Schweiz angehören, bildet ein Zusammenschluss, der es den einzelnen Staaten und
Flugsicherungen ermöglichen soll, die Ziele zu erreichen. Die politische Komponente
bei der Mitsprache und dem Wahren der Interessen der einzelnen Staaten spielt
dabei wohl die matchentscheidende Rolle. In diesem Sinn besteht die
Herausforderung für eine Flugsicherung darin, sich durch Anbieten von Kapazität
und günstigen Tarifen ihren Teil am neu zu verteilenden Kuchen zu sichern.
Luftwaffe
Die Luftwaffe eines Staates ist Bestandteil der Armee, die naturgemäss die
Landesverteidigung und die Wahrung der Souveränität und Lufthoheit als Aufgabe
hat und dem Verteidigungsministerium im Eidgenössischen Departement für
Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) unterstellt ist. Die
Landesverteidigung umfasst nicht nur den kriegerischen Luftkampf, sondern in
Friedenszeiten stehen der Luftpolizeidienst und subsidiäre Einsätze im Vordergrund.
Demzufolge muss der Zugang zum Luftraum prioritär, schnell und kompromisslos
55 Single European Sky Air Traffic Management Research
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Die Aviatik als System Seite 57/126
erfolgen, wenn die Effektivität eines Einsatzes in Anbetracht des kleinen Luftraumes
Schweiz sichergestellt werden muss. Das bedeutet einerseits, dass sich die beiden
zuständigen Ministerien UVEK und VBS auf der politischen Ebene für eine
koordinierte Nutzung des Luftraumes einigen müssen, und andererseits dass sich die
Luftwaffe auf ihre Einsätze vorbereiten und sie regelmässig trainieren muss. Und
dazu benötigt sie einen Teil des Luftraumes über dem Staat. Der so genannte
Operational Air Traffic (OAT), was die Staatsluftfahrzeuge umfasst, operiert nach
Möglichkeit getrennt vom zivilen Luftverkehr, weil sie einsatzbezogene Manöver
fliegen, die mit dem zivilen Verkehr nicht kompatibel sind. Die modernen
Waffensysteme der Kampfflugzeuge verfügen heute über grosse Reichweiten, was
entsprechend grosse Trainingsräume verlangt, um sinnvolle Übungen einzeln oder
im Verbund durchzuführen. Der enge Schweizer Luftraum wird den Bedürfnissen und
Prioritäten entsprechend flexibel genutzt, was ein Nebeneinander ermöglicht.
Abbildung 12 - Die blauen Flugspuren repräsentieren die zivilen und die grünen die militärischen Flugbewegungen Schweizer Luftraum vom 23.02.2000. Ein flexibles Luftraumbenutzungskonzept regelt die Prioritäten und Bedürfnisse und ermöglicht ein Nebeneinander im engen Luftraum.
Auf den ersten Blick scheint die Luftwaffe nichts Weiteres zu sein als eine
Fluggesellschaft mit speziellen Maschinen und Aufgaben - doch weit gefehlt. Die
Luftwaffe ist für das Aviatiksystem viel wertvoller als angenommen, denn sie vereinigt
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Die Aviatik als System Seite 58/126
drei Rollen in einer Organisation: erstens als selbständige Luftfahrtbehörde, zweitens
als Luftraumnutzer und drittens als Flugplatzbetreiberin. Somit ist sie in ihrer Aufgabe
und Funktion entsprechend autonom und kann unabhängig vom Rest des
Aviatiksystems funktionieren. Das muss sie auch können. Sie ist ein System im
System. Die Luftwaffe versteht ihre Rolle nicht losgelöst vom Rest der Welt, bzw. der
Schweiz, sondern als Partner mit hoheitlichen Aufgaben, die ihre Interessen nur im
Sinne eines gemeinsamen Nebeneinanders im engen Luftraum der Schweiz
optimiert verfolgen kann.
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Die Aviatik als System Seite 59/126
Die Schweizer Luftwaffe bietet eine einmalige Möglichkeit als autonomes System im
Erkenntnis 4
System neue Technologien wie die Satellitennavigation in einer abgeschlossenen
Benutzergruppe einzuführen, um rasch über praktische Erfahrungen zu verfügen.
8.4 Abhängigkeiten der Akteure im Aviatiksystem der Schweiz
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich die Abhängigkeiten der
Akteure im Aviatiksystem der Schweiz gemäss Abbildung 13 präsentieren.
Abhängigkeiten der Akteure im nationalen Kontext
Luftfahrtbehörde
Luftraumnutzer / Fluggesellschaft
Flughafen
Flugsicherung
Staat
Luftwaffe
Luftraumnutzung
Quelle: eigene Darstellung
Abbildung 13 - Die gegenseitigen Abhängigkeiten der Akteure im Aviatiksystem der Schweiz verlangen ein gegenseitig verstandenes Rollenverständnis und methodische Kompetenzen im firmenübergreifenden Kontext, um das Aviatiksystem im Sinne eines Netzwerks zu betreiben.
Augenfällig ist die zentrale Positionierung der Luftfahrtbehörde und die grosse
Autonomie der Luftwaffe, die über eigene Regulierungskompetenzen verfügt. Die
Abhängigkeiten von Flughafen, Fluggesellschaft und Flugsicherung führen dazu,
dass der Flughafen ebenfalls als funktionierendes System auf lokaler Ebene
betrachtet werden kann.
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Die Aviatik als System Seite 60/126
Die nachstehende Abbildung 14 zeigt schematisch die Tätigkeitsfelder der Akteure
und deren Ausrichtung auf. Dass eine Fluggesellschaft wie die Swiss mit ihren
interkontinentalen Flugverbindungen auf der regionalen und globalen Ebene agieren,
verwundert ebenso wenig, wie die ausschliesslich nationale Ausrichtung der
Luftwaffe. Die ortsgebundenen Flughäfen können mittels Kooperationen ihre
Managementerfahrung mit einbringen. Die Flugsicherung skyguide wirkt durch die
delegierten Lufträume faktisch gesehen im Ausland und hätte die Möglichkeit, im
Ausland Flugsicherungsdienste vor Ort zu übernehmen.
Tätigkeitsgebiete und Ausrichtungen der Akteure
International / globalEuropa / regionalSchweiz / national
Fluggesellschaften
Luftfahrtbehörde
Luftwaffe
Flughäfen
Flugsicherung
EASA
NATO PfP
FABEC
ICAO
Kooperationen
ICAO
Primäre AusrichtungSekundäre Ausrichtung Quelle: eigene Darstellung
Abbildung 14 - Die Tätigkeitsgebiete und Ausrichtungen der Akteure zeigen ein heterogenes Bild, was zu unterschiedlichen Perspektiven und Rollenverständnis führt. Die Ziele und Strategien der Akteure müssen mit gemeinsamen Zielen und Strategien des Aviatiksystems ergänzt werden.
Die strategische Entscheidung der Flugsicherung, sich nach FABEC auszurichten,
fördert bei der Luftwaffe logischerweise Ängste, da sie mit der militärischen
Flugsicherung einen Teil ihrer Kernkompetenz an skyguide abgetreten hat.
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Komplexität im Aviatiksystem Seite 61/126
9 Komplexität im Aviatiksystem
"Komplexität bezeichnet den Grad der Vielschichtigkeit, Vernetzung und
Folgelastigkeit eines Entscheidungsfeldes." (Helmut Willke, Systemtheorie
I, Grundlagen, 2006, Seite 23)
Die Systemtheorie beschreibt die Vielschichtigkeit als die Zahl der Ebenen, die
Vernetzung als den Grad der wechselseitigen Abhängigkeit und die Folgelastigkeit
als die Zahl und das Gewicht der ausgelösten Kausalketten. Das Aviatiksystem ist in
der Tat sehr vielschichtig und komplex. Das Aviatiksystem eines Staates steht im
Verbund mit den anderen Staaten, die sich zum Gesamtaviatiksystem ergänzen. Es
besteht aus hochspezialisierten Akteuren, die ihrerseits in einer eigenen
Organisationsform als eigenständige Subsysteme mit eigenen Subsystemen im
Aviatiksystem strukturiert und mit ihren Prozessen und Regeln vernetzt ihren Beitrag
leisten. Die Akteure können aber die Partner nicht wählen oder ersetzen, da diese im
Sinne einer Infrastruktur eine Monopolstellung innehaben, die unantastbar und nicht
auswechselbar sind. Sie sind also gezwungen, in einer geeigneten Form kooperativ,
effektiv und effizient zusammenzuarbeiten, sowohl im täglichen Betrieb wie auch bei
der Weiterentwicklung. Sie sind folgedessen in ihre Umwelt zwangsläufig
eingegliedert und von ihr wie auch von den internationalen Vorgaben abhängig. Sie
handeln aber soweit möglich autonom und verfolgen auf der einen Seite die eigenen
Ziele wie auch auf der anderen Seite gemeinsame Ziele im Interesse des ganzen
Aviatiksystems. Im nationalen Kontext ist das Aviatiksystem Schweiz in der Lage,
trotz der verflochtenen komplexen Problemlagen die erforderliche
Steuerungsleistung intuitiv zu erbringen.
Die Komplexität des Aviatiksystems besteht darin, dass die einzelnen Ebenen in
unterschiedlicher Abhängigkeit zueinander stehen und sich gegenseitig beeinflussen.
Was lokal angewendet werden will, muss einen globalen Charakter haben,
währenddem die Entwicklungsrichtung sowohl global und regional harmonisiert als
auch national zugelassen wird.
Die Komplexität wird dadurch verstärkt, dass sich die Entwicklung auf die
internationale und globale, regionale wie auch nationale und lokale Kompatibilität
bzw. Interoperabilität auszurichten hat und sowohl die einzelnen Staaten mit ihrer
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Komplexität im Aviatiksystem Seite 62/126
Form, Souveränität und Rechtssystem umfasst wie die darin agierenden Akteure, die
das Aviatiksystem eines Staates ausmachen.
Das Aviatiksystem eines Staates ist dadurch charakterisiert, dass es sich dabei um
eine Art Zweckverbund handelt, bei dem die Rollen der Akteure einerseits klar
definiert sind und die wechselseitigen Abhängigkeiten daher als vorgegeben und
nicht verhandelbar betrachtet werden können, andererseits aber wegen der
ausgeprägten hohen Regulierung der Aviatik kaum marktwirtschaftliche Alternativen
im Sinne von Konkurrenz bestehen. Dieser Umstand führt dazu, dass die
Leistungsfähigkeit des Aviatiksystems in direktem Masse von der
Leistungsfähigkeit der einzelnen Akteure abhängig ist. Demzufolge bestehen sowohl
für das Aviatiksystem als auch für die einzelnen Akteure vielfältige
Interdependenzen. Die Handlungen bestimmen die Akteure im Rahmen ihrer
eigenen internen und externen Abhängigkeiten und im Sinne ihrer Rolle, ihren Zielen
und Strategien und ihren Absichten sowie im Rahmen der globalen Vorgaben und
Bedingungen.
Es liegt nahe, dass in diesem komplexen System das Wissen von erstrangiger und
hauptsächlicher Bedeutung ist, weil das gesamtheitliche Wissen über die
Funktionsweisen auf Grund der Heterogenität der Akteure zwangsläufig verteilt ist.
Daher erhalten der Umgang mit dem Wissen und das Wissensmanagement zentrale
Rollen. Das führt dazu, dass der zielgerichtete und erfolgreiche Umgang mit
verteiltem Wissen nur durch eine geeignete Form von Kooperation und
folgedessen durch Kommunikation erfolgt. Damit die Kommunikation gelingt,
müssen die entsprechenden Rahmenbedingungen erfüllt sein, die sowohl allseitig
anerkannt als auch als verbindlich erklärt werden müssen: das Rollenverständnis
über sich selbst und über die anderen Akteuren, die Reflexionsfähigkeit und eine
gemeinsame Ausrichtung und Strategie.
Die Komplexität wird von Daniel Calleja, dem kürzlich ernannten Stellvertretenden
Direktor des Generaldirektoriums Enterprise der Europäischen Kommission in einem
Interview mit der Zeitschrift "airspace"56, bestätigt:
56 airspace, journal of the civil air navigation services organization, issue 12, Quarter 1 2011
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Komplexität im Aviatiksystem Seite 63/126
"The ATM domain is extremely complex, involving a lot of different
stakeholders with sometimes diverging interests, different cultures and
different business models, with an overarching safety dimension, involving
security and defence requirements and constraints, and essentially based
on the human factor. Nothing is possible without the active involvement
and commitment of professional staff."
Die Schlüsselfaktoren für den bisher erzielten Erfolg der SES Initiative beschreibt
Calleja wie folgt:
"We quickly took the measure of the complexity of the domain. We had the
wisdom to listen to the different actors, take their needs seriously, and
give them the role they asked for to create a single European sky in a spirit
of partnership and cooperation."
Die Luftfahrtindustrie hat bewiesen, dass sie in der Lage ist, herausragende und
hoch entwickelte Systeme zu bauen, allerdings mit folgender Erkenntnis:
"We tend to forget that we cannot live in isolation and we should always
bear in mind that our main objective is to ensure the safe and performing
mobility of people and goods, for the overall benefit of our economy and
for the well-being of our citizens. We should always make the effort of
taking a step back from time to time to have a look at the ‘big picture’,
not only to be reassured of the importance of our role, but mainly to remind
ourselves that our mission is to provide a safe, efficient and affordable
transport system."
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Beispiel Satellitennavigation Seite 64/126
10 Beispiel Satellitennavigation
10.1 Bedeutung für die Aviatik
Mit der Zeit wurde nicht nur das Flugzeug zu einem sehr komplexen Apparat,
sondern die gesamte Luftfahrt hat sich in allen Aspekten und Teilbereichen zu einem
komplexen Aviatiksystem weiterentwickelt, das sich durch die ausgeprägte
Standardisierung und eine hohe Dichte an internationalen, nationalen und
unternehmensinternen Regulationen auszeichnet. Das sorgt auf der einen Seite für
die grösstmögliche Sicherheit und globale Kompatibilität bzw. Interoperabilität, auf
der anderen Seite bedingen dieselben Regulationen aber auch einen enormen
Aufwand im täglichen Betrieb und bei der Weiterentwicklung, insbesondere bei der
Einführung von technologischen Innovationen. Das bedeutet, dass sämtliche
relevanten Grundlagen und Referenzdokumente für die Anwendung einer
Innovation sowohl bekannt wie auch aufgearbeitet sein müssen, bevor eine
Einführung möglich ist. Das umfasst alle Aspekte der systemischen Faktoren (vgl.
Abbildung 2) sowie auch die globale und regionale Ebene der institutionellen
Vorgaben. Eine Übersicht über die relevanten Grundlagen einschliesslich ihres
Entwicklungsstandes für eine Innovation zu erhalten, ist keine triviale, sondern eine
höchst anspruchsvolle, harte Arbeit, die nie endet.
Die herkömmlichen technischen Navigationsanlagen basieren auf dem Prinzip von
bodengestützten Funkfeuern, an Hand deren die Piloten mit ihrer bordseitigen
Ausrüstung die Navigation per Instrumentenflugregeln durchführen. Dabei verfügen
die verschiedenen Navigationsanlagen über unterschiedliche
Navigationsgenauigkeiten. Das Entwicklungspotential dieser Technologie ist aber
ausgeschöpft.
Eine weitere Entwicklung der Navigationstechnologien kann nur mittels neuer
Navigationstechnologien erfolgen. Im Rahmen der performance based navigation
PBN werden die Möglichkeiten der Satellitennavigation mit den Möglichkeiten der
Navigationsausrüstungen der Flugzeuge verbunden. Während bei den
herkömmlichen bodengestützten Navigationsanlagen und -verfahren die Navigation
relativ zu den Bodenstationen erfolgte, werden die Signale aus dem All empfangen,
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Beispiel Satellitennavigation Seite 65/126
was eine absolute Navigation über Referenzpunkte erlaubt. Umgangssprachlich
formuliert fliegen die Flugzeuge nicht mehr eine Piste an, sondern sie navigieren im
dreidimensionalen Raum von einem Referenzpunkt zum anderen - die Landung
erfolgt immer noch auf der Piste, die sich nunmehr hinter einem Referenzpunkt
befindet.
Die Einführung der Satellitennavigation kann als Quantensprung in der Luftfahrt
bezeichnet werden, weil es sich dabei nicht nur um die grundsätzlich neue Art der
Positionsbestimmung und Navigation der Flugzeuge handelt, sondern auch noch um
die Neugestaltung der Macht und Kontrolle über die Navigationsanlagen
einschliesslich deren Datenintegrität. Die heute verfügbaren Satelliten werden von
den US-Amerikanern (GPS57), von den Russen (GLONASS58) und von den
Chinesen (COMPASS) kontrolliert. Ursprünglich dienten die Satelliten nur
militärischen Zwecken, heute sind die Signale allgemein zugänglich. Auch das
europäische Galileo-Projekt beinhaltet Komponenten amerikanischen Ursprungs. Die
Satelliten werden von Kontrollstationen überwacht und geführt, auf die die einzelnen
Staaten keinen Einfluss haben. Diese Frage muss von der Luftfahrtbehörde
beantwortet werden und steht unter anderem auch im Zusammenhang mit der
Kostenfrage. Bislang werden für die Satellitendaten keine Gebühren erhoben. Was,
wenn es sich ändern sollte?
Die Satellitennavigation stellt in der Aviatik ein eigenes Subsystem dar und somit
eine besondere Herausforderungen an alle Akteure auf allen Ebenen im System, weil
die Satellitennavigation sämtliche Akteure fordert: Die Fluggesellschaften müssen
ihre Flugzeuge mit neuen Empfängern ausrüsten, die die Satellitensignale
empfangen können und sie mit dem Bordcomputer und flight management system
zur Flugzeugführung verbindet. Die Piloten müssen die neuen Geräte einschliesslich
ihrer Funktionsweise und Bedienung in ihre Abläufe integrieren. Für die
Flugsicherung bedeutet die Satellitennavigation, dass sie die
Berechnungsgrundlagen und die Möglichkeiten zum Zeichnen der An- und
Abflugrouten erlernen muss, da sie gegenüber den Herkömmlichen andere
Spezifikationen haben. Zudem ist die Handhabung der neuen Verfahren zu lernen.
57 Global Positioning System 58 Globalnaja Nawigazionnaja Sputnikowaja Sistema = Globales Satellitennavigationssystem
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Beispiel Satellitennavigation Seite 66/126
Die Abdeckung der Satelliten und deren Verfügbarkeit muss für die Routen
berechnet, ausgetestet und in einer Simulation nachgestellt werden können, da die
Satellitenkonstellation bekanntlich dauernd ändert. Ein weiterer Punkt ist die
Datenintegrität, die es sicherzustellen gilt, weil elektromagnetische Signale der
Satelliten von einer Erdumlaufbahn durch die Atmosphäre dringen und Störungen
ausgesetzt sind. Die Anforderungen an die Genauigkeit bewegen sich für
Präzisionsanflüge im Meterbereich, was heute noch nicht erreicht wird. Die
Flughäfen erhalten mehr Möglichkeiten für die Routenplanung und
Umweltschutzkonzepte. Letztendlich muss die Luftfahrtbehörde in der Lage sein,
die Anträge auf neue Verfahren und Ausrüstungen zu genehmigen. Hinsichtlich der
Sicherheitsüberprüfungen sind alle Akteure zu involvieren. Die Schwierigkeit dabei
ist, dass bislang keine Prozesse im Sinne eines Total System Approach bestehen,
die erst noch erstellt werden müssen und mit den bestehenden Sicherheitsvorgaben
abgestimmt sein müssen.
Die Integration in das Aviatiksystem gestaltet sich deshalb so komplex, weil es sich
bei der Satellitennavigation um ein neues, zusätzliches Element handelt, das ein
bestehendes vorerst nicht substituiert. Die Kernfunktionen der Akteure werden um
das neue Element ergänzt, was die Komplexität zusätzlich steigert. Eine Substitution
eines obsolet werdenden Elementes wird erst möglich sein, wenn sich das neue
Element zum global gültigen Standard entwickelt und sowohl seine
Alltagstauglichkeit wie auch seine Wirtschaftlichkeit bewiesen hat. Bei der Einführung
einer neuen Technologie wie die Satellitennavigation in der Aviatik ist nicht nur die
technologische Ebene zu berücksichtigen, sondern sie gilt es, mit der systemischen
und besonders der institutionellen Ebene abzustimmen. Der Quantensprung
bedeutet auch, dass die bestehenden Grundlagen, Regeln, Abläufe und Prozesse
erweitert werden müssen, um die benötigten Rahmenbedingungen zu schaffen, die
eine effiziente, systematische und erfolgreiche Integration in das gesamte
Aviatiksystem erlaubt.
Eine Eigenschaft der Aviatik ist die Standardisierung von Verfahren, Ausrüstungen
und Ausbildungen. Eine Technologie oder ein Verfahren muss erst den ganzen
Entwicklungszyklus durchlaufen, um die nötige Reife zu erlangen, die es für das
Prädikat Standard braucht. Bis sich einen neue Technologie als Standard
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Beispiel Satellitennavigation Seite 67/126
durchsetzen kann, dauert es mehrere Jahre. Während dieser Zeit wird die alte
Technologie noch nicht abgelöst, denn sie hat sich bewährt und wird weiterhin als
Standard gebraucht. Erst wenn sich eine neue Technologie durchgesetzt hat, die
gleiche oder bessere Integrität, Verlässlichkeit und Genauigkeit aufweist, wird sie die
alte nach und nach verdrängen. Wenn wir heute die Diskussion führen, ob die
Satellitennavigation die herkömmlichen Funkfeuer mit Richtstrahlen ablösen wird, so
ist die Antwort eigentlich offensichtlich. Die Frage ist nur, welche und wann.
Das Aviatiksystem wird demzufolge durch eine neue Komponente ergänzt, die im
Lichte der eignen und der resultierenden erhöhten Systemkomplexität mit dem
bestehenden Netzwerk an Interdependenzen auf allen Stufen und Ebenen integriert
werden muss. Dabei kann mit Sicherheit angenommen werden, dass sich das
bestehende System anzupassen hat, was ein grosser Aufwand nach sich zieht, denn
wie dargelegt ist jeder Akteur betroffen.
10.2 Pionierleistungen im Projekt
Um diesem Quantensprung gerecht zu werden, müsste ein Projekt zur Einführung
eines Satellitengestützten Anflugverfahren eine Vielzahl von zusätzlichen
Pionierleistungen erbringen, die die Kosten und vor allem auch die Dauer eines
Projektes in ungeheurer Weise erhöhen bzw. verlängern würde. Insbesondere geht
es einerseits darum, die Entwicklungsstrategien des Aviatiksystems wie auch
diejenigen der einzelnen Organisationen kohärent aufeinander abzustimmen,
andererseits auf der technologischen, systemischen und institutionellen Ebene die
nötigen Voraussetzungen zu schaffen, damit die benötigte Zertifizierung und
Lizenzierung der Anlagen, Verfahren und Anwender ausgestellt werden kann. Dass
dabei die bestehende Erfahrung mit Projekten zu kurz greift, zeigte sich an zwei
Beispielen: In Zürich wurde ein aus lärmpolitischen Gründen verlangtes Projekt zur
Einführung eines gekurvten Anfluges aus Sicherheitsüberlegungen gestoppt, weil
das vorgeschlagene Verfahren im Vergleich mit dem einfachen herkömmlichen zu
viele Unsicherheiten gesamtheitlicher Natur aufwies. Die Schweizer
Rettungsflugwacht REGA führte ihr Projekt zur Einführung eines satellitengestützten
Anfluges auf ein Universitätsspital während über sieben Jahren, bis sie die
Betriebsbewilligung erhielten. Diese beiden Beispiele zeigen auf, dass im
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Beispiel Satellitennavigation Seite 68/126
bestehenden Aviatiksystem eine neue Technologie und ihre Verfahren nicht ohne
weiteres eingeführt werden kann. Nur mit einer gemeinsam ausgerichteten
Vorgehensweise kann eine neue Technologie als Subsystem mit den bestehenden
Rahmenbedingungen verknüpft werden.
Die Erkenntnis, dass die Einführung einer neuen Technologie wie der
Satellitennavigation sämtliche Akteure fordert, bedeutet, dass das dazu über die
Akteure verteilte Wissen nicht nur durch eine geeignete und erfahrene
Projektorganisation zusammengetragen werden muss, sondern auch dass es an
effizienten und effektiven Kontroll- und Steuerfunktionen bedarf, die sich in neu zu
schaffenden, firmenübergreifenden Strukturen und Prozessen widerspiegeln.
Es wird ein gesamtheitliches, strukturiertes Vorgehen mit sämtlichen Akteuren an
Erkenntnis 5
Bord und gemeinsamer Ausrichtung auf eine erfolgreiche Einführung von
satellitengestützter Flugverfahren benötigt. Ein solches Vorgehen liegt im Interesse
des Staates, dem die Aufgabe die Luftfahrtentwicklung obliegt.
Die Steuerung des Aviatiksystems wird am Vermögen der Einführung eines neuen
technologischen Subsystems gemessen.
Die internationalen Initiativen und Arbeitsgruppen als alternativer Ansatzpunkt sind
nur bedingt in der Lage, die nötigen Voraussetzungen auf allen Ebenen zu schaffen,
zumal meist nur eine Organisation vertreten ist und die Koordination auf nationaler
Stufe bisher kaum vornimmt.
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Rollenverständnis Seite 69/126
11 Rollenverständnis
Im Aviatiksystem ergeben sich aufgrund der unterschiedlichen Funktionen,
Organisationen und Strukturen, Zielen und Strategien der Akteure die
entsprechenden Rollenverständnisse. Die Funktionen sind identisch und vergleichbar
mit den anderen Staaten Europas, wenngleich die politische Konstellation zwischen
der Schweiz und der EU einen Einfluss hat.
Ein gegenseitig gleichsam verstandenes Rollenverständnis bildet eine notwendige
Bedingung für das Verständnis über die Abhängigkeiten und somit über die
Funktionsweise des Aviatiksystems. Das Wissen über das Funktionieren des
Gesamtsystems ist dabei funktional differenziert und über die Akteure verteilt.
Die Systemtheorie versteht die Beziehung zwischen System und Umwelt wird als ein
Netz zusammengehöriger Operationen, die sich von den nicht-dazugehörigen
Operationen abgrenzen.59 Die Innenwelt der Systeme, also die Beziehung zwischen
dem System als Kollektiv verlangt eine Abstimmung der Rollen untereinander und
eine Koordination der divergenten Orientierungen unter dem Aspekt
systemrelevanten Handelns.60 Das bedeutet, dass das Selbstverständnis der
eigenen Rollen und das Verständnis über die Rollen der anderen in gleicher Weise
verstanden werden muss.
"Rollendifferenzierung und funktionale Interdependenzen erzeugen eine
zunehmende Kompliziertheit, Vielschichtigkeit und Vernetzung der
Interaktionen und internen Operationen. Sie erzeugen einen hohen
Abstimmungsbedarf, weil die Leistungen der einen auf Vorleistungen oder
komplementären Leistungen anderer beruhen und Anschlussleistungen
erfordern. Zugleich setzen differenzierte Aktionen unterschiedliche
Kausalketten in Gang und produzieren damit einerseits Widersprüche und
Folgeprobleme, andererseits eine vorher unvorstellbare Vielfalt von
Möglichkeiten aus zeitlich nebeneinander her laufenden Prozessen.
Besonders bemerkenswert ist, dass diese Möglichkeiten einer immensen
Steigerung von Komplexität auf einer strategisch ansetzenden
59 vgl. Helmut Willke, Systemtheorie I, Grundlagen, 2006, Seite 55 60 vgl. Helmut Willke, Systemtheorie I, Grundlagen, 2006, Seite 58
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Rollenverständnis Seite 70/126
Reduzierung beruht: der Reduzierung von Personen auf Rollen. Zugleich
schafft die Ausdifferenzierung von Rollen eine wichtige Scharnierstelle
zwischen der Ebene der Gruppe und der Ebene von gesellschaftlichen
Funktionssystemen und Gesellschaften insgesamt. Über dieses Scharnier
laufen strukturelle Kopplungen zwischen Gruppe und Organisation."
(Helmut Willke, Systemtheorie I, Grundlagen, 2006, Seite 89)
Das BAZL steht an der Schnittstelle zwischen Politik und Industrie, was besonders
bei der Luftfahrtentwicklung der Fall ist. Gerade diesbezüglich darf das
Rollenverständnis nicht entkoppelt und unvollständig sein, weil die Konsequenzen
verheerende Auswirkungen haben können, wenn sie auf falschen Annahmen
beruhen. Es wird erwartet, dass das BAZL die Luftfahrtentwicklung massgebend
festlegt und der Politik zur Ratifizierung vorlegt. Es ist aber nicht so, dass das BAZL
über das nötige Wissen verfügt, um die Entwicklung inhaltlich so zu bestimmen, dass
sie stufengerecht umgesetzt werden kann.
"Wir machen uns nichts vor und meinen, in allen Bereichen über ein
vollständiges Wissen zu verfügen. Aber wir müssen wissen, wie mit dem
Wissen umzugehen ist, also das Wissensmanagement erachten wir als
entscheidend. Mit dem 'stakeholder involvement' versuchen wir, uns das
fehlende Wissen anzueignen." (Experteninterview BAZL, Frage 14)
Diese Reflexion ist die entscheidende Erkenntnis zur Bildung der Grundlage für eine
gelingende Zusammenarbeit. Das BAZL nimmt jedoch im Rahmen der
Luftfahrtentwicklung angesichts der ausgesprochenen Komplexität und Dynamik der
globalen und regionalen Entwicklungen eine eher passive Rolle ein, überlässt zwar
den Fachstellen die inhaltliche Führung, sorgt aber gleichzeitig dafür, dass mit dem
Einbezug der Akteure die Hauptpunkte identifiziert und somit die Schwerpunkte der
Entwicklung gesetzt werden können. Das BAZL nimmt die Meinungen und
Stellungnahmen der Akteure im Rahmen des stakeholder involvement auf und
entscheidet nach demokratischen Grundsätzen, da damit die Entscheidungen auch
getragen werden.61 Diese sehr kollaborative Form der Zusammenarbeit ist nicht nur
der einzige Weg, der die Komplexität beherrschbar macht, indem das über die
61 vgl. Experteninterview BAZL Frage 17
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Rollenverständnis Seite 71/126
Akteure verteilte Wissen zusammengeführt wird, sondern er zeigt auch auf, dass der
demokratische Ansatz durchaus seine Tauglichkeit unter Beweis stellt. Die
Konsensfähigkeit wird dabei allerdings als Bedingung vorausgesetzt. Bei der
Entwicklung bedarf es aber auch Mut zur Beantwortung offener Fragestellungen, bei
denen noch keine globalen oder regionalen Vorgaben existieren. Das Wissen um
das Nichtwissen darf aber nicht mit Angst und Passivität ersetzt werden, weil die
Entwicklung dadurch zum Stillstand gerät.
Die Kontrolle übt das BAZL im Gegensatz zur Luftfahrtentwicklung eher aktiv aus
und entspricht dem eben erwähnten Merkmal einer staatlichen Einheit. Auch in
diesem Kontext verfügt das BAZL nicht über das spezifische Wissen der Akteure,
sondern fokussiert auf das Einhalten der Prozesse und die Nachvollziehbarkeit der
Argumentationen, insbesondere wenn es sich dabei um Anträge zu Änderungen
handelt, die in seine Entscheidungskompetenz fallen. Dass die Abgrenzung der
Rollen und Kompetenzen nicht einfach ist, unterstreicht Urs Ryf, COO skyguide,
wenn er von Überregulation spricht und dass das BAZL das Einhalten der Prozesse
sicherstellen sollte und nicht das inhaltliche Beurteilen von Resultaten, weil es über
die nötige Kompetenz gar nicht verfügt.62 Das kann als falsch verstandenes
Rollenverständnis interpretiert oder als Manifestation einer Angst, etwas Falsches zu
machen, aufgefasst werden.
Das BAZL verhält sich beim Ausüben seiner beiden Aufgaben, Aufsicht und
Entwicklung, unterschiedlich. Bei der Entwicklung ordnet es sich einer eher passiven
Rolle zu währenddem es im Rahmen seiner Aufsichtstätigkeit die Kontrolle als
staatliche Einheit aktiv ausübt. Das führt dazu, dass die beiden Aufgaben
demzufolge unterschiedlich wahrgenommen werden, was in den Augen der anderen
Akteure widersprüchlich erscheinen mag, wenn der Unterschied nicht erklärt und
verstanden wird. Dass es sich dabei um zwei unterschiedliche Aufgaben und
Prozesse handelt, wird vielleicht deshalb nicht realisiert, weil die Personen, die hinter
den Funktionen stehen, oftmals dieselben sind. Entsprechend dringend ist das
jeweilige Klären der Funktionen, was sicher nicht in jedem Fall trivial und
offensichtlich ist. Das BAZL hat aufgrund seiner Funktion für die Steuerung des
62 vgl. Experteninterview skyguide, Frage 19
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Rollenverständnis Seite 72/126
Aviatiksystems eine entscheidende und somit auch führende Rolle, weil es an der
Schnittstelle zwischen Industrie und Politik agiert und weil die Luftfahrtentwicklung in
demokratischer Zusammenarbeit mit den Akteuren erfolgt.
Die Flughafen Zürich AG sieht ihre Rolle als börsenkotierte und somit
wettbewerbsorientierte Betreiberin der national und international etablierten
Verkehrs- und Begegnungsdrehscheibe der Schweiz und grössten aviatischen
Infrastruktur.
"Als Flughafen wollen wir ein hoch stehendes Produkt erbringen im Sinn
von Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Effizienz wie auch 'compliance' mit den
Vorgaben." (Experteninterview Flughafen Zürich, Frage 17)
Die Flughafen Zürich AG versteht sich als Management-Firma und verfügt in ihrer
Struktur über genügend Ressourcen und das notwendige Wissen zum Definieren
von Anforderungen an Projekte. Zum Umsetzen werden Drittfirmen beauftragt. Die
Vernetzung mit den Partnern steht im Vordergrund:
"Letztendlich ist das Geheimnis des Flughafens die zentrale und
integrierte Steuerung." (Experteninterview Flughafen Zürich, Frage 10)
Das charakterisiert die Abhängigkeiten des Flughafens Zürich sehr deutlich. Die
Abhängigkeit von der Flugsicherung ist gross aber nur bedingt reziprok: einerseits
beeinflussen sowohl die Flugsicherungsanlagen die Verfügbarkeit und Verlässlichkeit
des Flughafens wie auch die im täglichen Betrieb situativ festgelegten Kapazitäten
die entsprechende Pünktlichkeit. Die Qualität der Arbeitsleistung der Flugsicherung
wirkt also direkt auf die Qualität der Dienstleistung des Flughafens. Andererseits ist
die Flugsicherung auf den Flughafen nur insofern angewiesen, als dass das
Betriebsreglement die nötigen Rahmenbedingungen beinhaltet, die die
Flugsicherung braucht, um einen geordneten und sicheren Betrieb zu gewährleisten.
Es ist die Aufgabe und Kompetenz der Flugsicherung, unter Wahrung einer
akzeptablen Sicherheitsmarge, die Kapazität zu bestimmen. Wenn die Auflagen des
Betriebsreglements zu einer zu hohen operationellen Komplexität führen, so kann
dies nur mit einer Reduktion der Kapazität aufgefangen werden. So gesehen hat die
Flugsicherung keine Kompetenz zur Bestimmung der Rahmenbedingungen, sondern
nur der Flughafen.
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Rollenverständnis Seite 73/126
"Eine operationelle Einschränkung der Kapazitäten infolge Reduktion der
Komplexität durch die Flugsicherung skyguide würde den Flughafen in
seine Grundfesten treffen." (Experteninterview Flughafen Zürich, Frage 9)
Natürlich resultiert unter Umständen auch für die Flugsicherung eine
Ertragseinbusse, doch die Auswirkungen sind auf die Flugsicherung kleiner als für
den Flughafen. Der Flughafen ist per Schweizer Luftfahrtgesetz für die Eingaben für
Bewilligungen von An- und Abflugrouten im Rahmen ihres Betriebsreglements
zuständig, verfügt aber weder über das Wissen und Kompetenz zu deren Berechnen
und Gestalten noch über praktische Erfahrung beim Betreiben. Die Symbiose
Flughafen - Flugsicherung führt meistens zu unterschiedlichen Auffassungen über
die Allokation von Ressourcen, besonders bei gemeinsamen Projekten. Die
Fachkompetenz des Flughafens konzentriert sich auf die juristisch-
verfahrenstechnische und politische Ebene, währenddem die Flugsicherung auf der
Ebene des operationellen Expertenwissens und der Projektleitungskompetenz über
ausgeprägte Stärken verfügt.
Die zweite grosse Abhängigkeit des Flughafens Zürich ist die Swiss International
Airline - kurz Swiss genannt. Der Flughafen Zürich ist die so genannte home base
der Swiss, die auf dem Flughafen mit ungefähr 58% Verkehrsanteil ein Drehkreuz
betreibt und ihren Hauptsitz hat. Die Swiss setzt den Flughafen damit unter Druck,
was beim Flughafen dementsprechend als fordernd und opportunistisch
wahrgenommen wird. Das Verhältnis wird aber als gut bezeichnet, denn sie befinden
sich in einer symbiotischen Verbindung, für die es keine Alternative gibt. Somit
tragen beide dazu bei, die Luftfahrtpolitik des Staates umzusetzen, nämlich die
Anbindung der Schweiz an die Wirtschaftszentren der Welt sicherzustellen.
Die Flughafen Zürich AG betreibt nicht nur die Aviatik als Kerngeschäft sondern hat
mit der kommerziellen Ausrichtung auch noch ein zweites Standbein, das nicht zu
vernachlässigen ist, weil es die Interessen und Ausrichtung deutlich macht.
Die Schweizer Flugsicherung skyguide umschreibt ihre Rolle als
Dienstleistungsunternehmen im Auftrag des Staates, das sich als High Reliability
Organization versteht und als Fachexpertin über ein grosses Wissen in technischen
und operationellen Flugsicherungsfragen verfügt. Das Hauptprodukt neben der stets
vorausgesetzten, implizierten, hohen Sicherheit ist die Kapazität, die sie anbietet. Die
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Rollenverständnis Seite 74/126
Qualität der Dienstleistung hat direkte Auswirkungen auf Pünktlichkeit der An- und
Abflüge und kann somit Folgekosten bei den Fluggesellschaften auslösen, wie auch
beim Flughafen. Um Flugsicherung durchzuführen, wird eine vielfältige technische
Infrastruktur wie auch hoch spezialisiertes Personal benötigt. Typischerweise für ein
Dienstleistungsunternehmen fallen die grössten Kosten beim Personal an, was sich
in hohen Gebühren niederschlägt. Die hohen Personalkosten sind auch daher
bedingt, dass in einer Monopolfirma Monopolberufe aufeinander treffen, was zu
einem überaus starken Hebel der Personalverbände und Gewerkschaften führt. Der
zweite Kostentreiber sind die Flugsicherungsanlagen auf den Regionalflugplätzen
und deren Finanzierung. Die Kosten können mit den Anfluggebühren nicht gedeckt
werden, weshalb alternative Finanzierungsmodelle ausgearbeitet werden müssen.
Ebenso ungedeckt sind Dienstleistungen, die vom Bund im Sinne von service public
verlangt, aber nicht weiterverrechnet werden können. Die Kostentransparenz steht
dabei im Vordergrund, wie sie auch im Kontext der SES Initiative und FABEC
verlangt wird. Der Kostendruck der Fluggesellschaften und die Forderung nach
höherer Produktivität ist nicht ein Schweiz-spezifisches Phänomen, die Dimension
und Wichtigkeit dieser Problemstellung widerspiegelt sich anschaulich in der SES
Initiative. Skyguide ist für die Flugsicherung der ganzen Schweiz und im delegierten
ausländischen Luftraum zuständig. Die Regelung des delegierten Luftraums ist sehr
komplex, da es sich dabei um ein staatspolitisches Thema handelt. Mit Frankreich,
Italien und Österreich funktioniert die Delegation gut, hingegen mit Deutschland
bestehen Spannungen, die sich hauptsächlich auf den Lärmstreit um den Flughafen
Zürich konzentrieren. Auf operationeller Stufe sorgt die Zuständigkeit der
ausländischen Behörden zu einer erhöhten Komplexität, weil jeder Staat die
Souveränität hat, über die Anwendungsvorschriften zu befinden. Auch wenn es nur
kleine Unterschiede sind, machen sie einen Unterschied aus, die sich letztendlich
wiederum auf die Sicherheit, Kapazität und Kosteneffizienz auswirken. Daher ist eine
einheitliche Regelung, wie sie in der SES Initiative und im FABEC vorgesehen ist,
eindeutig erstrebenswert. Die Rolle von skyguide, die Flugsicherung in der Schweiz
sicherzustellen, erhält im Kontext der europäischen Initiativen eine neue Dimension.
Selbstverständlich bleibt der Bundesauftrag der Hauptauftrag, die Perspektive liegt
aber somit klar auf der Ebene internationaler Zusammenarbeit. Das bedingt aber,
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
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dass die Zusammenarbeit auf nationaler Ebene auf soliden Grundfesten steht. Die
Flugsicherung skyguide ist neben dem BAZL der einzige Akteur, der auf der
nationalen Ebene tätig ist. Die Fachexpertise ist ausgeprägt vorhanden.
Die SWISS versteht ihre Rolle als die nationale Fluggesellschaft und leitet daraus
einen gewissen Führungsanspruch ab. Sie ist das einzige Unternehmen der Akteure,
das direkt den Gesetzesmässigkeiten des Marktes ausgesetzt ist, hat sich
entsprechend schlank aufgestellt und ist im Stande, sowohl in der Aviatik wie auch
makroökonomisch einen namhaften Beitrag zu leisten. Der Geist der Swissair ist
allgegenwärtig und schwebt mit. Bis zu ihrem Grounding und Konkurs am 2. Oktober
2001 hatte die damalige Swissair im Aviatiksystem eine sehr dominante Rolle inne.
Die Swiss ist als Tochtergesellschaft in den Lufthansa-Konzern eingegliedert, kann
daher nicht mehr unabhängig auftreten und konzentriert sich klar auf das Fliegen. Sie
vermag die Lücke, die die Swissair hinterlassen hat, nicht zu füllen. Die Swiss hat
sich zur Qualität verpflichtet und verlangt von ihren Partnern dasselbe. Der Flughafen
Zürich ist ebenso auf Qualität ausgerichtet, was sich bestens ergänzt.63
Das Grounding der Swissair hat in den Köpfen einen nachhaltigen Eindruck
hinterlassen, entsprechend drückt heute die Swiss auf die Kostenstruktur und darf
mit Stolz behaupten, dass sie es in der kurzen Zeit geschafft hat, positive Zahlen zu
schreiben, wahrscheinlich ist sie heute eine der wenigen Fluggesellschaften, die
Geld verdient.
Die Luftwaffe versteht ihre Rolle als einzige staatliche Institution in der dritten
Dimension64, die sich in ein zivil dominiertes, aviatisches Umfeld einzugliedern hat
und einen Weg finden muss, der den speziellen Ansprüchen einer im
"Sekundengeschäft" agierenden "Blaulicht-Organisation" gerecht wird. Als Teil der
Armee muss die Luftwaffe autonom agieren können und vereinigt drei Rollen in ihrer
Organisation: Luftfahrtbehörde, Flugeinsätze und Flugplätze. Die Luftwaffe ist aber
abhängig von den Vorgaben der Politik und den Schnittstellen zu den Partnern.
Hinsichtlich des Kernprozesses der Luftverteidigung ist die Luftwaffe von der
skyguide abhängig, weil die militärische Flugsicherung seit 2001 von der skyguide
63 vgl. Experteninterview Swiss, Frage 18 64 vgl. Experteninterview Luftwaffe, Frage 1
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
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durchgeführt wird. Die Zusammenarbeit ist mit einer Leistungsvereinbarung geregelt,
und der Chef Einsatz der Luftwaffe sitzt im Verwaltungsrat der skyguide und kann so
den Einfluss der Luftwaffe geltend machen. Dieser Umstand ist einzigartig in Europa
und bietet für das Aviatiksystem eine einmalige Chance der Zusammenarbeit. Der
Luftraum über der Schweiz ist eng, weshalb die militärischen und zivilen Ansprüche
nur nebeneinander Platz haben, wenn eine enge und konsensorientierte
Koordination auf allen hierarchischen und funktionalen Stufen stattfindet. Die
Luftwaffe ist in die bestehenden Gremien integriert, auch wenn sie sich nach den
Spezifitäten des operational air traffic OAT richtet, im Kontrast zum general air traffic
GAT der zivilen Aviatik. Die Ausrüstungen der Flugzeuge, insbesondere der
Helikopter und Transportflugzeuge sind identisch mit den zivilen Flugzeugen. So
betreiben die Luftwaffe und die REGA die gleichen Helikoptertypen, die über die
gleiche Instrumentierung verfügen. Auch die Ausbildung und Lizenzierung der
Luftwaffenpiloten richtet sich nach den zivilen Vorgaben. Nicht zu vergessen ist das
Milizprinzip der Schweizer Armee, das zivile Piloten als Piloten der Luftwaffe vorsieht.
Diesbezüglich sind die beiden Welten deckungsgleich.
Die Luftwaffe ist ein integrierter Bestandteil des Aviatiksystems und bietet dank ihrer
aviatischen Autonomie die Chance für Innovationen.
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Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Verständnis der eigenen
Rollen und der Rollen der anderen Akteure in einem hohen Mass vorhanden ist, wie
die Aussage von Rainer Hiltebrand, Swiss, belegt:
"Der wesentliche Faktoren ist das gleiche Verständnis unter den Akteuren.
Ich darf festhalten, dass in der Schweiz die Akteure nach gleichen Werten
funktionieren und ein gleiches Verständnis haben und dass die
Zusammenarbeit sehr gut ist." (Experteninterview Swiss, Frage 6)
Auch wenn unterschiedliche Auffassungen bestehen, kann die Kommunikation auf
der Basis von Dissens durchaus konstruktiv und lösungsorientiert erfolgen.
Das Rollenverständnis kann inhaltlich richtig verstanden werden, wenn die
Erkenntnis 6
Positionen untereinander ausgetauscht und unter verschiedenen Blickwinkeln
betrachtet werden. Dazu müssen einerseits geeignete Plattformen auf mehreren
hierarchischen Stufen geschaffen und benutzt werden, andererseits muss der Wille
zur Kommunikation und zu einem gemeinsamen Ausrichten auf ein Ziel vorhanden
sein.
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
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12 Kompetenzen
12.1 Umgang mit der Kommunikation
Die Systemtheorie geht davon aus, dass soziale Systeme ausschliesslich aus
Kommunikation bestehen65. Die interne Kommunikationskultur wird bei allen
Akteuren als gut und funktionierend beschrieben. Auch ausserhalb der
Organisationen finden auf Geschäftsleitungsstufe regelmässig Treffen zum
Austauschen von Informationen statt, die die Abstimmung untereinander und die
Reflexion innerhalb der Organisationen erlauben und fördern.
Die Akteure unterstreichen die Notwendigkeit wie auch die Bereitschaft zur
Kommunikation und die heute bereits bestehenden inoffiziellen und
institutionalisierten Plattformen werden genutzt. Auffallend ist, dass bei allen
Akteuren das Bedürfnis auf der Geschäftsleitungsstufe besteht, die Schnittstellen
aktiv und strukturiert zu pflegen und zu bewirtschaften und sich gegenseitig
auszutauschen. Diese Abstimmung ist die Grundlage für die Definition der
Beziehungen der eigenen Organisation zur Umwelt, wodurch die eigenen
Handlungsoptionen im Sinne des Ganzen beeinflusst werden. Die
Reflexionsfähigkeit und die Fähigkeit zur Integration richten sich stark nach der
System-Umwelt-Beziehung aus. Eine Voraussetzung für das Steuern des
Aviatiksystems ist also bereits vorhanden. Diese Schlussfolgerung ist in Bezug auf
den täglichen Betrieb sicher richtig, denn da liegt bei jedem Akteur der Hauptfokus.
Sie sieht aber anders aus, wenn es darum geht, die Luftfahrt weiter zu entwickeln.
Die offene und ehrliche Kommunikation unter den Akteuren ermöglicht den Aufbau
eines Vertrauensverhältnisses. Angesichts des monopolistisch geprägten
Zweckverbundes der Akteure erhält Vertrauen vor allem wegen der ausgeprägten,
wechselseitigen Abhängigkeiten einen besonderen Stellenwert.
"In einer Geschäfts- und Partnerbeziehung ist Vertrauen ein sehr
wertvolles Gut, das nicht vorausgesetzt werden kann, sondern das
65 vgl. Helmut Willke, Systemtheorie I, Grundlagen, 2006, Seite 232
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
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bewusst und sorgsam mit grosser zeitlichen Investition konstruiert und
aufgebaut werden muss." (Experteninterview skyguide, Frage 22)
Vertrauen bedingt einen respektvollen Umgang miteinander und erlaubt ein
Ansprechen von eigenen Wahrnehmungen. Das führt zu tiefergreifenden
Beobachtungen und Erkenntnissen über die Stärken und Schwächen des
Gegenübers und folgedessen zu einem besseren Verständnis für die Auswirkungen
des eigenen Handelns. Die Systemperspektive wird also ergänzt mit einem
gesteigerten Sinn, was ohne Vertrauen gar nicht möglich wäre. Der Nutzen und
Mehrwert von Vertrauen ist zwar monetär nicht bestimmbar, aber dennoch äussert
wertvoll, weil durch die verfeinerte gegenseitige Abstimmung kostspielige
Fehlentscheidungen vermieden werden können. Die Qualität der
Wertschöpfungskette des Aviatiksystems wird durch Vertrauen in verschiedenen
Hinsichten gesteigert:
durch erleichterten Aufbau von neuem, firmenübergreifendem Wissen,
durch proaktives Ansprechen von möglichen Problemen, bevor sie eintreten,
durch Ursachenanalysen anstelle von oberflächlicher Symptombekämpfung,
durch erhöhte Sinngebung.
Vertrauen erlaubt ein eigenständiges Funktionieren. Das schon fast abgedroschen
klingende Sprichwort "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" impliziert, dass eine
Kontrolle eine bessere Steuerungsgrösse sei als das Vertrauen. Das würde aber
eine Hierarchie bedingen, die die Macht wahrnimmt, Massnahmen durchzusetzen.
Der Aufbau von Vertrauen in einer Abhängigkeitsbeziehung der Kontrolle und
Aufsicht ist viel schwieriger, als inter pares. Dieser Umstand erklärt die
Wahrnehmung der Akteure über das BAZL, das die Aufsichtspflicht über die
Fluggesellschaften, Flughäfen und Flugsicherung hat.
12.2 Umgang mit der Vernetzung
Die Vernetzung auf der oberen Hierarchiestufe kann durch eine Vernetzung auf den
unteren Stufen ergänzt und die Wirkung dadurch potenziert werden, wenn der
interne Austausch durch die Hierarchien ebenso offen und transparent geführt wird
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
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und die Experten involviert, die über das nötige spezifische Fachwissen verfügen.
Die Flughafen Zürich AG involviert ihre unteren Stufen sehr explizit:
"Die Führungsstufe direkt unterhalb der Geschäftsleitung verfügt über eine
sehr hohe Kompetenz, zeichnet sich durch ein sehr hohes
Expertenwissen und hohe Fachkompetenz aus und hat die weitgehende
Befugnis, sich in die Strategieentwicklung der Geschäftsleitung und auch
in die Führungsebenen einzubringen." (Experteninterview Flughafen
Zürich, Frage 3)
Für den Aufbau eines Netzwerkes ist dieser Umstand insofern bedeutsam, weil die
Vernetzung erst dann robuster wird, wenn die externen Beziehungen auf
verschiedenen hierarchischen Stufen horizontal geknüpft und intern sachlich und
strategisch vertikal abgestimmt werden. Typisch für die Aviatik ist eine ausgeprägte
operationelle Verantwortung am sharp end66, sowohl bei der Flugsicherung wie auch
bei einer Fluggesellschaft:
"Die swissness ist unsere Dienstleistung, die von den Mitarbeitenden
täglich am Kunden erbracht wird." (Experteninterview Swiss, Frage 10)
Aus diesen Aussagen folgert die Notwendigkeit, die Spezialisten in die Analysen und
die Prozesse der Meinungsbildung, Lösungssuche und Entscheidungsfindung
einzubeziehen. Die Flughafen Zürich AG bestätigt den regelmässigen Austausch
auch auf mehreren Hierarchiestufen, was dazu führt, dass die Vertreter sich kennen
und sich frühzeitig über Neuigkeiten informieren.67
Ein robustes Netzwerk verlangt ein Beziehungsgeflecht auf verschiedenen
Erkenntnis 7
hierarchischen Stufen und ein regelmässiges, internes und externes Abstimmen von
Positionen, Auffassungen, Zielen und Strategien.
66 vgl. Experteninterview skyguide, Frage 1 67 vgl. Experteninterview Flughafen Zürich, Frage 11
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12.3 Organisationsformen der Akteure
Die Ausrichtung der Organisationsformen der einzelnen Akteure zeigt eine klare
Fokussierung auf die eigene Aufgabe. Dementsprechend sind alle Akteure in
unterschiedlichem Mass hierarchisch aufgebaut und strukturiert. Das lässt den
Schluss zu, dass sich alle Akteure gewohnt sind, in einem strukturierten Umfeld zu
agieren. Die entsprechenden Führungsstufen sind gegenseitig bekannt, die
Funktionsinhaber kennen einander persönlich, pflegen die jeweiligen Beziehungen
sehr intensiv und messen ihnen einen hohen Stellenwert bei.
Das BAZL ist als Bundesamt in Sachen organisatorischen Veränderungen relativ
träge. Im Vergleich zeigen sich die Swiss und die Luftwaffe besonders agil: der Markt
oder eine neue Situation mit neuem Auftrag zwingen zu einem raschen Handeln, weil
sonst umgehend die Grundlagen der Daseinsberechtigung in Frage gestellt werden
können. Die Monopol-Firmen wie Flughafen Zürich AG oder die Flugsicherung
skyguide funktionieren nach betriebswirtschaftlichen Aspekten, verfolgen ihre Ziele
aufgrund des fehlenden oder mindestens virtuell vorhandenen Marktes jedoch nicht
mit letzter Konsequenz.
Die Funktionsweisen der Akteure sind hinsichtlich der Geschwindigkeit bei
Veränderungen sehr unterschiedlich, was bedeutet, dass die Steuerung über den
Kontext in den Vordergrund tritt.
Die Steuerung des Aviatiksystems muss auf den existierenden Elementen aufbauen
Erkenntnis 8
und Veränderungen über den Kontext einleiten.
12.4 Ausrichtung der Ziele und Strategien
Infolge des Rollenverständnisses und der Aufgaben sind die Ziele und Strategien der
Akteure auf sich selbst und den eigenen Mehrwert bezogen. Eine einheitliche
Ausrichtung findet sich zwar in groben Zügen, nämlich dass die Ausrichtung nach
Europa unterstützt wird, jedoch in unterschiedlicher Stärke. Auf den Internetseiten
der Akteure (vgl. Anhang II) sind die jeweiligen Ausprägungen ersichtlich. Für die
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
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Flugsicherung ist die Ausrichtung nach Europa die einzige Möglichkeit, sich im
Rahmen der SES Initiative FABEC einzubringen. Abhängig ist sie dabei vom BAZL,
die auf der staatlichen Ebene die entsprechenden Diskussionen führt und die
Entwicklung beeinflusst. Aber auch das BAZL ist nach Europa ausgerichtet, denn
Teile der Aufgaben werden künftig von der EASA übernommen und Vorgaben
werden national umgesetzt werden müssen. Durch die Entwicklung einer Struktur auf
regionaler Ebene entstehen Machtverschiebungen. Es liegt auf der Hand, dass jeder
Staat sich entsprechend vorteilhaft positionieren will, um die Auswirkungen der
Machtverschiebungen möglichst klein zu halten. Für das Aviatiksystem der Schweiz
bedeutet das nicht zwingend nur die Bedrohung der Fremdsteuerung, weil die
Schweiz in der EU nicht mitentscheiden kann, sondern auch eine Chance, sich mit
geeigneten und funktionierenden Modellen einzubringen, die beispielhaft eine
effiziente und effektive Funktionsweise demokratischer Prinzipien demonstrieren. Die
Innovationsfähigkeit im gesamtheitlichen Sinn, die auf der nationalen Ebene
entwickelt wurde und sich bewährt hat, wird für die regionale Ebene Schlüssel zum
Erfolg sein. Das bedeutet für die einzelnen Akteure des nationalen Aviatiksystems
das interne Vernetzen innerhalb des Systems aber auch innerhalb der eigenen
Organisationen. Die Ziele, Strategien und Strukturen müssen flexibel genug sein, um
die nationalen Interessen auf der regionalen Ebene mit einzubeziehen, denn das
nationale Netzwerk mit allen Akteuren wird die höhere Ebene wiederum
beeinflussen. Um ein starkes Netzwerk aufzubauen, werden Ressourcen, Bekenntnis
und ein gemeinsamer Nutzen benötigt. Da keine übergeordnete Instanz dies
vorschreibt, müssen die Akteure diesbezüglich selber zur Erkenntnis gelangen. Das
Ausmass der Reflexionsfähigkeit der Akteure ist folgedessen entscheidend für die
Ausgestaltung der Ressourcen des Netzwerkes, weil die Aufwendungen von den
Akteuren selber getragen werden müssen. Ergo sollten in den Strukturen und
Prozessen der Akteure entsprechende Elemente zu finden sein. Es sind aber nur
ernüchternd wenige Ressourcen für eine systematische
Schnittstellenbewirtschaftung ausgewiesen.
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12.5 Umgang mit der Politik
Die Politik ist die Grösse, von der alle Akteure abhängig sind. Die Politik ist aber eine
schwer greifbare Institution, deren Vertreter und Instanzen zwar bekannt sind, aber
die sich nur sehr bedingt beeinflussen lassen, besonders in einem Staat wie die
Schweiz, wo die direkte Demokratie in sehr ausgeprägter Form gelebt wird, und wo
die politischen Kompetenzen zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden in einem
komplizierten Regelwerk festgelegt sind. Demzufolge übernimmt auch die
Bevölkerung eine Rolle, weil die Politiker von ihnen gewählt werden und somit
ihrerseits abhängig sind. Durch Lobbying der Akteure auf allen politischen Stufen
vom Gemeindepräsident bis zum Gesamtbundesrat68 kann versucht werden, den
Einfluss geltend zu machen und durch einen offenen und transparenten Dialog eine
Vertrauensbeziehung mit den wichtigsten Meinungsführern aufzubauen.69 Da jeder
der Akteure quasi "seine" Parlamentarier aufgebaut hat und pflegt, scheint es sinnvoll
zu sein, auch diesbezüglich eine Abstimmung unter den Akteuren sicherzustellen.
Mit diesem abgesprochenen, kollektiven Handeln werden die Akteure als
Subsysteme gegenüber ihrer Umwelt in einer bestimmten Weise zur Geltung
gebracht.70 Dadurch wird bei den Parlamentariern ein einheitliches Bild erzeugt, das
aus den Blickwinkeln der Akteure betrachtet kohärent ist. Der Umgang mit der Politik
ist aus systemtheoretischer Sicht von Bedeutung, weil die Politik die Macht besitzt,
Massnahmen anzuordnen und durchzusetzen. Die Beziehung zur Politik wird von
den Akteuren als immer wichtiger betrachtet, die Mittel werden aber unterschiedlich
zur Verfügung gestellt.
12.6 Wissen
Die Experten der Akteure sind sich einig: jeder verfügt über das nötige Wissen, das
er für die Durchführung seiner täglichen Aufgaben braucht:
"Das Wissen ist in den Köpfen der Mitarbeitenden." (Experteninterview
Flughafen Zürich AG, Frage 14)
68 vgl. Experteninterview Swiss, Frage 11 69 vgl. Experteninterview skyguide, Frage 22 70 vgl. Helmut Willke, Systemtheorie I, Grundlagen, 2006, Seite 170
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
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Der Umgang mit dem eigenen Wissen ist unter den Akteuren sehr ähnlich, die
Ausbildung erfolgt wegen der hochgradigen Spezialisierung in den Organisationen
selber. Aus Sicht des Aviatiksystems zeigt sich eine ausgeprägte, funktionale
Verteilung des Wissens. Es ist nicht einfach, verteiltes Wissen zusammenzuführen
und zu koordinieren, besonders, wenn eine Problemstellung das Wissen von
mehreren Organisationen erfordert. Aus systemischer Sicht ist die Schwierigkeit
gleich gross, ob die Fragestellung intern in einer Organisation oder im gesamten
Aviatiksystem bearbeitet wird. Wo mehrere Akteure unterschieden werden, die über
funktionales Wissen verfügen, besteht das Problem der Wissensverteilung. Innerhalb
einer Organisation kann im Gegensatz zum Aviatiksystem ein Wissensmanagement
allerdings einfacher aufgebaut werden. Die Zusammenstellung und Koordination von
verteiltem Wissen erfolgt praktischerweise nach den klassischen Prinzipien einer
Projektorganisation. Jedes System benötigt spezielles Wissen. Dementsprechend
benötigt das Aviatiksystem dediziertes Wissen in der Führung und Leitung von
Projektorganisationen, die in der Lage sind, das verteilte Wissen in
firmenübergreifendem Kontext zu koordinieren und zu einem Ziel zu bringen, das
dem Gesamtsystem dienlich ist. Das bedingt die Verfügbarkeit von kompetenten
Ressourcen. Die Flughafen Zürich AG verfügt über hoch spezialisierte Experten,
bekennt sich als Management Firma aber zum Einkaufen der Ressourcen für die
Durchführung. Sie entscheidet sich also gegen den Aufbau von Wissen innerhalb der
Organisation. Die Flugsicherung skyguide will sich in ihrer strategischen Ausrichtung
zum Innovator verändern, ist sich aber bewusst, nicht über die notwendigen
Ressourcen Personal und Wissen zu verfügen:
"Die Projektleiterkompetenz ist nicht ausgeprägt vorhanden. Bisher haben
wir häufig für grössere Projekte Projektleiter eingekauft einerseits wegen
fehlendem Know-how andererseits bedingt durch unsere Struktur, dass
Projektleiter in die Liniengeschäfte eingebettet sind und sich dadurch nicht
entfalten konnten." (Experteninterview skyguide, Frage 16)
In den Strukturen der Akteure lässt sich weder auf Projektleitung spezialisiertes
Wissen noch Personal ausmachen, das auf der Ebene des Aviatiksystems aufgebaut
wurde. Der Fokus liegt fast ausschliesslich auf dem Tagesgeschäft:
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"Wir müssen unsere Ressourcen heute zur Bewältigung des
Tagesgeschäfts einsetzen und haben keine Kapazitäten für
Innovationsaktivitäten." (Experteninterview Luftwaffe, Frage 25)
Die Ausrichtung auf das Tagesgeschäft führt zu einem Dilemma, weil Ressourcen
und Wissen auch zur Entwicklung des Aviatiksystems benötigt werden. Das BAZL
verfügt über eine Abteilung, die sich um die Luftfahrtentwicklung kümmert, jedoch
primär auf der politischen Ebene.
Bei den Akteuren bestehen gewisse Ansätze, die Verfügbarkeit der Experten ist
allerdings durch die Einbettung in den funktionalen Aufgabenbereich in der
Linienstruktur der Organisationen stark eingeschränkt. Erst die Feinheiten des
Rollenverständnisses in Relation zu den strukturellen und Abhängigkeiten und
Freiheitsgrade wird Aufschluss, welcher Akteur welche Kosten tragen soll.
Die Akteure anerkennen zwar die Notwendigkeit eines strukturierten
Wissensmanagements, sind hingegen bezüglich einer Umsetzung noch nicht
soweit fortgeschritten. Systemisches Wissensmanagement zielt auf eine
Unterstützung im Umgang mit unvermeidbarem Nichtwissen und systemspezifischer
Intransparenz ab.71 Typisch für aviatische Organisationen bezeichnen sich alle
Akteure als lernende Organisationen.
"Wo gearbeitet wird, gibt es Vorfälle, aber als lernende Organisation
wollen wir möglichst viele Lehren aus den Vorfällen ziehen. Es ist unser
Ziel, die bereits gemachte Erfahrung mit allen zu teilen bevor sie jeder
selber machen muss." (Experteninterview Luftwaffe, Frage 4)
Die Schwierigkeit befindet sich in der Komplexität der Abhängigkeiten und
Schnittstellen. Jeder Akteur verfügt über ein Sicherheits- und Qualitätssystem, die
die eigenen Operationen überprüfen und verbessern. Auf der Ebene des
Aviatiksystems ist hingegen nicht sichergestellt, dass die gezogenen Lehren als
aufgebautes Wissen gemeinsam genutzt werden, wodurch sich eine Schnittstelle
zu einer Nahtstelle verwandeln könnte.
71 vgl. Helmut Willke, Einführung in das systemische Wissensmanagement, 2007, Seite 54
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12.7 Kosten und Finanzen
Die Bereitstellung von Ressourcen für systemische Arbeiten unterliegt den ständigen
Bemühungen der Akteure, die Kosten im Griff zu behalten. Die Aviatik zeichnet sich
durch die Tatsache aus, dass es sich um eine Transportbranche handelt. Die
Akteure sind daher Dienstleistungserbringer mit hohen Personalkosten, weshalb ein
Aufbau von Ressourcen, die sich nicht direkt um das Tagesgeschäft kümmern und
den Gewinn erwirtschaften, grundsätzlich schwer fällt.
"Die Selektion von Handlungsoptionen unter Knappheitsgesichtspunkten
bedeutet in differenzierten Systemen Konflikt darüber, wie die Ressourcen
verwendet werden und welche Strategien verfolgt werden sollen." (Helmut
Willke, Systemtheorie I, Grundlagen, 2006, Seite 38)
Die Flugsicherung erbringt eine Dienstleistung im klassischen Sinn, da sie den
Flughäfen und somit den Fluggesellschaften die Erreichbarkeit, Pünktlichkeit und
Verfügbarkeit unter Wahrung der Sicherheit mit einer entsprechenden Kapazität
erbringt. Es ist für die Fluggesellschaften logisch, dass sie die resultierenden
Gebühren senken wollen, denn sie erachten diese Dienstleistung korrekterweise als
Staatsaufgabe. Ergo hat der Staat für die bestmögliche Dienstleistung zu sorgen und
die Flugsicherung hat sie zu erbringen. Der Nutzer der Dienstleistung ist daher
darauf ausgerichtet, dass er nur die Kosten von Leistungen übernehmen will, die er
auch benutzt. Diese Perspektive ist aus Sicht der Fluggesellschaft zwar logisch und
nachvollziehbar, jedoch aus gesamtheitlicher Sicht nicht unbedingt förderlich. Die
Flugsicherung ist die einzige Fachexpertin für An- und Abflugrouten, die in der
Zuständigkeit des Flughafens liegen. Im Auftragsverhältnis, das zwar
partnerschaftlich geregelt ist, werden Arbeiten durchgeführt, die nicht nur den
täglichen Betrieb, sondern auch die Entwicklung des Flughafensystems betreffen.
Die für die Erbringung der Dienstleistung anfallenden Kosten können von der
Flugsicherung nur über die Strecken- und Anfluggebühren gedeckt werden.
Zusätzliche Leistungen bedürfen einer zusätzlichen Einnahmequelle.
"Durch unseren gesetzlichen Auftrag erbringen wir die Flugsicherung in
der Schweiz. Über diese Funktion hinaus verstehe ich uns als
Brückenbauer, als die Organisation, die versucht, unter den Akteuren zu
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Steuerung des Aviatiksystems Seite 87/126
vermitteln, die versucht, Evolutionen und Innovationen voranzutreiben,
indem sie die Akteure an einen Tisch bringt, um das gesamte System
weiterzuentwickeln." (Experteninterview skyguide, Frage 17)
Die Erwartungen der Akteure an skyguide sind entsprechend hoch. Die
Flugsicherung als Dienstleistungserbringerin muss klare Grenzen ziehen zwischen
Aufgaben, die zum Leistungsportfolio dazugehören und welche nicht.
Für Innovationstätigkeiten muss ein Modell geschaffen werden, das die
Erkenntnis 9
Finanzierung der Aufwendungen sicherstellt, da die Entwicklung des Aviatiksystems
Sache aller Akteure des Staates ist.
13 Steuerung des Aviatiksystems
13.1 Loser Zweckverbund ohne eigentliche Hierarchie
In diesem relativ losen Zweckverbund besteht nur eine sehr bedingte, gemeinsame
Hierarchie, die einerseits sehr flach ist und andererseits höchstens ansatzweise mit
einer Holdingstruktur verglichen werden kann. Die Aufsichtsfunktion der staatlichen
Behörde hat zwar die Entscheidungskompetenz inne, wenn es um den laufenden
Betrieb geht, da Betriebsbewilligungen in zahlreicher Art erteilt werden müssen. Aber
die Strategie des Aviatiksystems wird vornehmlich von der Politik und der Wirtschaft
festgelegt und vorgegeben. In dem Sinne richten sich die Entscheidungen auch nach
demokratischen Gesichtspunkten, die durch das Rechtssystem des Staates geprägt
sind, was eine gut funktionierende Kommunikation absolut notwendig macht. In der
Schweiz ist die Legislative beim Nationalrat72 und Ständerat73, die Exekutive beim
Bundesrat, in dem sich die einzelnen Ministerien - so auch das Transportministerium
- vereinigen. Die Ausprägung der direkten Demokratie mit ihren Instrumenten auf
72 Der Nationalrat setzt sich aus 200 vom Volk gewählten Vertretern zusammen, die Kantone sind proportional zur Wohnbevölkerung vertreten. 73 Der Ständerat setzt sich aus 46 vom Volk gewählten Vertretern zusammen, jeweils 2 pro Kanton resp. 1 pro Halbkanton, unabhängig der Wohnbevölkerung.
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allen politischen Ebenen (Gemeinden, Kantone, Bund) verlangt zudem eine breit
abgestützte Konsensfähigkeit und beeinflussen die Akteure zusätzlich.
Das Aviatiksystem wird als Gesamtsystem erst dann effektiv, wenn sich die
Akteure zu einer gemeinsam ausgerichteten Strategie zur Weiterentwicklung
einigen können.
Die Führung und Steuerung des Aviatiksystems muss sich nach einer Mehrheit
richten, die nach dem demokratischen Prinzip des Konsenses funktioniert, um
anschlussfähige Lösungen hervorzubringen. Andererseits verlangen die ausgeprägte
Vielschichtigkeit und Interdependenzen ein koordiniertes Vorgehen auf allen Stufen
und Ebenen, denn je tief greifender und umfassender eine Änderung ausfällt, desto
länger und schwieriger ist ihre Umsetzung und bindet die Ressourcen.
Das Besondere an der Konstellation der Akteure im Aviatiksystem der Schweiz
besteht darin, dass die Führungsrolle nicht explizit an einen der Akteure
zugewiesen ist, sondern sie funktionieren auf Grund ihrer Aufgaben und
Zuständigkeiten autonom gemäss ihren eigenen corporate governance Vorgaben.
Eine gemeinsame übergeordnete Führungsebene im Sinne der Begriffe der
Organisationstheorie und corporate governance besteht so nicht. Aus den
Erkenntnissen des Rollenverständnisses (vgl. Kapitel 11) und den Kompetenzen (vgl.
Kapitel 12) lässt sich ableiten, dass aufgrund ihrer Aufgaben und Tätigkeitsfelder auf
der nationalen Ebene das BAZL und die Flugsicherung skyguide die einzigen
Kandidaten sind, die eine Führungsrolle im Aviatiksystem aktiv übernehmen
könnten, denn beide agieren schweizweit. Die Luftwaffe agiert zwar auch
schweizweit, konzentriert sich aber ausschliesslich auf ihren Auftrag und ist
grösstenteils autonom. Der Flughafen Zürich agiert primär auf der lokalen Ebene und
hat dadurch nur einen fokussierten, interessensbezogenen Bezug zur nationalen
Ebene und die Swiss ist als junge Firma auf das Fliegen und Geldverdienen
ausgerichtet, obwohl sie als der starke Akteur wahrgenommen wird. Die Stärke der
Swiss manifestiert sich in ihrem Umsatz von CHF 5 Mrd. und dem Anspruch auf
Priorität bei der Luftraumbenutzung. Die Systemtheorie bestätigt im Rahmen der
Definition der Komplexität, dass ein Individuum die Komplexität nicht unmittelbar
verarbeiten kann, was bedeutet, dass in einem so hoch komplexen System mit so
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Steuerung des Aviatiksystems Seite 89/126
vielen unterschiedlichen Akteuren mit wechselseitiger Abhängigkeiten eine direkte
Steuerung eines einzelnen Akteurs nicht möglich ist.74
Die Akteure können die Komplexität nur in einem Verbund beherrschen und die
Erkenntnis 10
nötige Steuerleistung erbringen.
13.2 Problemstellung bei der Steuerung der Entwicklung
Steuerung setzt die Verfügbarkeit geeigneter Mittel voraus, um die erwünschte
Wirkung zu erzielen. Die Kontextsteuerung und die Anregung zur Selbststeuerung
sind die einzigen gelingenden Formen von Steuerung75, weil nur die Systeme selbst
unter Wahrung ihrer Autonomie und Integrität ihre internen Handlungsabläufe
bestimmen.76 Durch die Selektion seiner Umweltbeziehungen, die durch die
kognitiven Fähigkeiten des Systems festgelegt werden, wird im Sinne der Reflexion
das Verhältnis zwischen dem System und der Umwelt so gestaltet, dass die
Handlungsoptionen sich nach dem Kontext und dem Selbstverständnis des Systems
richten. Demzufolge steuern die Systeme sich selbst.
"Steuerung zielt auf den modus procedendi des Systems gegenüber
seiner Umwelt und bezeichnet die Qualität der Systementwicklung."
(Helmut Willke, Systemtheorie I, Grundlagen, 2006, Seite 110)
Der tägliche Betrieb läuft trotz der für die Luftfahrtindustrie typischen, sehr hohen
Dichte an Regulationen und Vorgaben geregelt und effizient ab. Das Aviatiksystem
ist für die Entfaltung der Effizienz auf optimale Bedingungen angewiesen, was aber
einhergeht mit einer grossen Störungsanfälligkeit mit markanten Auswirkungen.
Im Kapitel 12.1 wurde festgehalten, dass die Reflexionsfähigkeit und die Fähigkeit
der Akteure zur Integration sich stark nach ihrer System-Umwelt-Beziehung richten
und als Voraussetzung für eine Steuerung dienen. Diese Schlussfolgerung ist in
74 vgl. Experteninterview skyguide, Frage 29 75 vgl. Helmut Willke, Einführung in das systemische Wissensmanagement, 2007, Seite 25 76 vgl. Helmut Willke, Systemtheorie III, Steuerungstheorie, 2001, Seite 195
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Steuerung des Aviatiksystems Seite 90/126
Bezug auf den täglichen Betrieb sicher richtig, denn da liegt bei jedem Akteur der
Hauptfokus. Sie lautet aber anders, wenn es darum geht, die Luftfahrt weiter zu
entwickeln. Da sich die Akteure primär um das Tagesgeschäft kümmern, liegt aus
Sicht der Weiterentwicklung eher die Schlussfolgerung nahe, dass der Fokus für die
Weiterentwicklung des Aviatiksystems weitgehend fehlt.
Es besteht ein Unterschied zwischen Betrieb und Entwicklung, der in den
Strukturen der Akteure unterschiedlich abgebildet ist. Weiterentwicklungen oder auch
Änderungen am bestehenden können ausschliesslich in firmenübergreifendem
Kontext durchgeführt werden, weil das dazu notwendige Fach- und Prozesswissen
über die Akteure verteilt ist. Der Bedarf an Steuerung wird an dieser Stelle sehr
manifest.
"Obwohl wir dieses Innovationsfeld gesehen haben, sind wir heute im
Rückstand, weil wir im entscheidenden Moment nicht über die nötigen
Ressourcen verfügt haben. .... Dann decken sich plötzlich Anspruch und
Wirklichkeit nicht mehr und genau an diesem Punkt versagt die Steuerung,
weil sie zu langsam ist." (Experteninterview Luftwaffe, Frage 25)
Die Problemstellungen bei der Steuerung der Entwicklung des Aviatiksystems sind
vielschichtig: erstens sind die differenzierten Zuständigkeiten und Kompetenzen
zwar in den Aufgaben und Rollen generisch umschrieben, werden aber aus
verschiedenen Gründen unterschiedlich verstanden. Zweitens sind die Prozesse
der Entscheidungsfindung innerhalb der Organisationen der Akteure
unterschiedlich und nicht aufeinander abgestimmt. Drittens sind die bestehenden,
übergeordneten Gremien und Abläufe nicht sehr effektiv wenn es darum geht, für
eine Weiterentwicklung eine Strategie festzulegen, die nötigen Ressourcen
bereitzustellen und die Finanzierung sicherzustellen, weil verbindliche Beschlüsse
direkte Auswirkungen auf die einzelnen Organisationen der Akteure haben und erst
in die Strategien und die Geschäftsmodelle der einzelnen Akteure integriert werden
müssen.
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Ergebnisse Seite 91/126
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Aviatiksystem der Schweiz
über keine echten Steuerungsgrössen verfügt, die die multidimensionale Komplexität
und Interdependenzen der Akteure und Auswirkungen auf die Entwicklung
überschaubar und beherrschbar machen.
14 Ergebnisse
14.1 Gruppierung der Erkenntnisse
Die gezogenen Erkenntnisse können folgendermassen gruppiert werden:
1) Firmenübergreifende Netzwerk-Struktur
Erkenntnis 2
Das nationale Aviatiksystem benötigt ein gemeinsames Verständnis, wie die
Beziehungen zum globalen resp. regionale System gestaltet werden sollen
Erkenntnis 3
Die zentrale Voraussetzung zum gesamtheitlichen Bewirtschaften des
Aviatiksystems ist der Einbezug und die Vernetzung durch aktive Teilnahme
sämtlicher mitbestimmenden Akteure einschliesslich der Luftwaffe
Erkenntnis 7
Ein robustes Netzwerk verlangt ein Beziehungsgeflecht auf verschiedenen
hierarchischen Stufen und ein regelmässiges, internes und externes
Abstimmen von Positionen, Auffassungen, Zielen und Strategien.
Erkenntnis 10
Die Akteure können die Komplexität nur in einem Verbund beherrschen und
die nötige Steuerleistung erbringen.
2) Bedeutung von Kommunikation, Reflexion und eigenes Verhalten
Erkenntnis 1
Der Austausch von Informationen und deren interne, sinnhafte Verarbeitung
bildet die Voraussetzung für ein gemeinsames Verständnis und somit die
Ausgangslage für eine Selektion der eigenen Handlungen und folgedessen
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Ergebnisse Seite 92/126
einer möglichen Steuerung des ganzen Systems. Daraus folgt, dass die
Kommunikation strukturiert und konsequent eingefordert werden muss. In
Bezug auf das Aviatiksystem ist demzufolge von Bedeutung, dass sowohl im
firmenübergreifenden wie auch im firmeninternen Kontext Plattformen
geschaffen werden müssen, die die Kommunikation fordern und fördern. Dass
dabei die Offenheit und Transparenz von entscheidender Wichtigkeit ist, liegt
auf der Hand.
Erkenntnis 6
Das Rollenverständnis kann inhaltlich richtig verstanden werden, wenn die
Positionen untereinander ausgetauscht und unter verschiedenen Blickwinkeln
betrachtet werden. Dazu müssen einerseits geeignete Plattformen auf
mehreren hierarchischen Stufen geschaffen und benutzt werden, andererseits
muss der Wille zur Kommunikation und zu einem gemeinsamen Ausrichten
auf ein Ziel vorhanden sein.
3) Umgang mit Innovationen
Erkenntnis 4
Die Schweizer Luftwaffe bietet eine einmalige Möglichkeit als autonomes
System im System neue Technologien wie die Satellitennavigation in einer
abgeschlossenen Benutzergruppe einzuführen, um rasch über praktische
Erfahrungen zu verfügen.
Erkenntnis 5
Es wird ein gesamtheitliches, strukturiertes Vorgehen mit sämtlichen Akteuren
an Bord und gemeinsamer Ausrichtung auf eine erfolgreiche Einführung von
satellitengestützter Flugverfahren benötigt. Ein solches Vorgehen liegt im
Interesse des Staates, dem die Aufgabe die Luftfahrtentwicklung obliegt.
Erkenntnis 8
Die Steuerung des Aviatiksystems muss auf den existierenden Elementen
aufbauen und Veränderungen über den Kontext einleiten.
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Ergebnisse Seite 93/126
Erkenntnis 9
Für Innovationstätigkeiten muss ein Modell geschaffen werden, das die
Finanzierung der Aufwendungen sicherstellt, da die Entwicklung des
Aviatiksystems Sache aller Akteure des Staates ist.
14.2 Folgerungen aus den Erkenntnissen
Firmenübergreifende Netzwerk-Struktur dank Kommunikation
Die Kommunikation ist der Schlüssel zu gegenseitigem Verständnis,
gesamtheitlicher Sichtweise und Aufbau von Vertrauen. Die Kommunikation muss
folgedessen bestimmte Bedingungen erfüllen, um effizient zu werden bzw. zu sein:
regelmässig
institutionalisiert
offen und transparent
auf verschiedenen hierarchischen Stufen
intern und extern der Organisationen der Akteure
einfache und aufeinander abgestimmte Strukturen und Prozesse
Eine effiziente Kommunikation setzt das regelmässige Zusammenkommen der
Vertreter sämtlicher Akteure zum Austausch und Abstimmung auf verschiedenen
hierarchischen Stufen voraus. Entsprechend sind die offiziellen Gremien des
Aviatiksystems einschliesslich ihrer Ziele, Zwecke, Aufgaben und Kompetenzen zu
ergänzen oder anzupassen. Die Regelmässigkeit fördert das gegenseitige
persönliche Kennenlernen in den themenfokussierten Diskussionen wie auch in den
informellen Gesprächen während den Pausen, die einen nicht zu unterschätzenden
Beitrag zum Verständnis der Problemstellung oder Klären von Missverständnissen
leisten.
Von den Vertretern der Akteure muss erwartet werden, dass sie die zu diskutierende
Fragestellung intern in ihren Organisationen konsolidiert und abgesprochen haben,
und dass sie aktiv, offen und transparent ihre Interessen und Bedenken darlegen.
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Ergebnisse Seite 94/126
Das Vorliegen von hidden agendas zerstört weitgehend das Vertrauen in das
Funktionieren des Systems und die Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit, weshalb
vertrauliche, bilaterale Treffen unter den Akteuren das gemeinsame Verständnis
für die Hintergründe erweitern und die offiziellen Treffen ergänzen, ohne die
notwendige Vertraulichkeit zu verletzen. Im Rahmen der eigenen Ziele und
Strategien kann so der benötigte Rahmenkonsens als Voraussetzung für
zielführendes Handeln erarbeitet werden. Ebenso kann zum Vorbeugen oder Klären
von Missverständnissen mit Feedbacks die Wahrnehmung der Rolle des anderen
und die Erwartung an ihn ausdiskutiert werden.
Der Staat verfügt in der Regel nicht über das nötige Fachwissen, weshalb mit den
Akteuren des Aviatiksystems und der Industrie eine Vernetzung auf verschiedenen
hierarchischen Ebenen aufgebaut werden muss.
Die offene und transparente Kommunikation in Gremien und bilateralen Treffen
ermöglicht den Akteuren, sich ein umfassenderes Bild zu machen, um in ihrer
Reflexion über die eigene Beziehung zum Aviatiksystem die Handlungsoptionen auf
das nachhaltige Optimum auszulegen.
Die Struktur der nationalen Gremien und die abgestimmten, firmenübergreifenden
Prozesse zur Weiterentwicklung sind mit den Strukturen und Prozessen der Akteure
zu vernetzen, damit sie die nötige Wirkung entfalten können. Die interne Vernetzung
in den Organisationen der Akteure mit den firmenübergreifenden Aspekten ist für
eine erfolgreiche Umsetzung von Projekten von entscheidender Wichtigkeit.
Die Organisationen der Akteure müssen sich so vorbereiten, dass die im
firmenübergreifenden Kontext gefällten Entscheidungen bzw. Aufgaben verzugslos
angegangen werden können. Die Notwendigkeit zur raschen Handlungsfähigkeit
setzt aufgrund der benötigten speziellen Kompetenzen das konsequente Trennen
von Tagesgeschäft und Entwicklung voraus, das sich idealerweise in den
Organisationen der Akteure in geeigneter Form widerspiegeln sollte und die
Verfügbarkeit von personellen und allenfalls auch finanziellen Ressourcen
sicherstellt.
Durch die strukturiert durchgeführte Kommunikation werden die funktionalen Rollen
der Akteure untereinander vernetzt, so dass aus dem losen Zweckverbund ein
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Ergebnisse Seite 95/126
robustes Netzwerk entsteht, das die wechselseitigen Abhängigkeiten akzeptiert und
in seiner Form der übergeordneten Funktion einer Holdingstruktur ähnlich sieht.
Ein als strukturiertes Netzwerk verstandenes und gelebtes Aviatiksystem erlaubt
Folgerung 1
dank offener Kommunikation die Verarbeitung der hohen Komplexität.
Aufbau von Wissen
Die Entwicklung des Aviatiksystems bringt Fragestellungen hervor, die sich
anfänglich meistens durch ein ausgeprägtes Wissensgefälle charakterisieren.
Einzelne Akteure sind hinsichtlich des technologischen Wissens aufgrund des
Nutzens aus ihrer Perspektive und ihrem Geschäftsmodell viel weiter fortgeschritten
als die anderen. Auf globaler Ebene sind meistens die Fluggesellschaften die
treibenden Kräfte zur Einführung von Satellitennavigation wie die Bespiele in
Juneau, Alaska oder in Brisbane zeigen. Die Air Alaska hat ein Geschäftsmodell
entwickelt, das die Erreichbarkeit des Flughafens voraussetzt, was nur mit der
Technologie der Satellitennavigation möglich ist. In Brisbane hat Quantas aus
Umwelt- und Kostengründen einen kürzeren, bisher ohne mit navigatorischen
Hilfsmitteln unterstützten Anflug mittels Satellitennavigation eingeführt. Auf der
regionalen Ebene in Europa haben Airbus und Eurocopter als Vertreter der Industrie
die Einführung von Verfahren in Pau und Marseilles massgeblich unterstützt -
natürlich nicht ohne Eigennutzen: der Zertifizierung der Navigationsausrüstung ihrer
Flugzeuge.
Das Wissen wird allerdings zur entscheidenden Grösse bei der Entwicklung,
insbesondere das Wissen, wie verteiltes Wissen zusammenzutragen und zu
koordinieren ist. Es ist die Industrie, die primär über das Fachwissen und je nach
Ausrichtung auch über das methodische Wissen verfügt, was diese Akteure dazu
drängt, auch die nötigen Ressourcen bereitzustellen. Die Ressourcenfrage
fokussiert primär auf das Wissen, insbesondere der Projektleitungskompetenzen in
firmenübergreifendem Kontext. Wissen bedeutet Macht, wie die Systemtheorie
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Ergebnisse Seite 96/126
betont, doch ohne Ressourcen kann das Wissen nicht aufgebaut, aktualisiert und
genutzt werden.
Das Wissen über die Fragestellung muss also bei allen Akteuren gleichsam
aufgebaut werden, was aber neben den notwendigen Investitionen in Geräte auch
die Investition in Personal und Wissen unumgänglich nach sich zieht. Der
gleichzeitige Wissensaufbau verlangt ein koordiniertes Vorgehen anhand von
Pilotprojekten. Wegen der Neuartigkeit liegt der Fokus bei Pilotprojekten neuer
Technologien primär auf der Effektivität als auf der Effizienz. Die Industrie wie die
Wissenschaft stehen den Akteuren für die Grundlagenarbeiten und angewandte
Forschung und Entwicklung zur Seite, denn die Akteure müssen sich auf diese
Vorleistungen verlassen können, da sie ihren Funktionen entsprechend in erster
Linie auf das Betreiben des Aviatiksystems und erst in zweiter Linie auf das
Einführen von betriebsreifen Verfahren und technologischen Ausrüstungen
ausgerichtet sind.
Weil die Satellitennavigation ein eigenes Subsystem darstellt und in das bestehende
Aviatiksystem zu integrieren ist, muss dazu das notwendige methodische Wissen
ebenfalls entwickelt und parallel zum Fachwissen aufgebaut werden. Wichtig ist
dabei die Schaffung einer Umgebung des Lernens und Umlernens bei allen
involvierten Personen und Akteuren. Das methodische Wissen umfasst das
Überführen einer neuen Technologie wie die Satellitennavigation vom "ersten
Prototyp zum Serienprodukt", also von der angewandten Forschung und Entwicklung
zum Standard. Dieser Umstand unterscheidet sich somit klar bezüglich Wissen von
herkömmlichen Projekten wie die Einführung eines neuen Anflugverfahrens mit
bekannten Navigationstechnologien, die bereits anderswo im Einsatz stehen, sich
bewährt haben und auf der globalen Ebene als Standard gelten.
Dieses spezielle methodische Wissen unterscheidet sich vom täglichen Betrieb
insofern, als dass es sich auf die Schaffung von etwas Neuem und nicht auf die
Verbesserung von etwas Bestehendem bezieht. Die inhaltliche Anschlussfähigkeit
des Neuen an das Bestehende verlangt ein profundes Kennen und aktuelles Wissen
über das Bestehende zwecks Beurteilung des Ausmasses der Auswirkungen und
anfallenden Anpassungen. Die enge Interdependenz zwischen dem angewendeten
Fachwissen des Bestehenden und dem methodischen Wissen des Neuen verlangt
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Ergebnisse Seite 97/126
von den Akteuren eine ausgeklügelte, massgeschneiderte Laufbahnplanung ihrer
Mitarbeitenden. Wenn die Experten in ihrer Funktion bleiben und ihrer angestammten
Linienaufgaben nicht sauber entbunden werden, kann die Aufgabe der Projektleitung
und somit auch der entsprechende Wissensaufbau nicht nachhaltig erfolgen, weil
das Dilemma zwischen funktionsbezogenen Aufgaben und neuen Aufgaben
unweigerlich in eine Verzichtsplanung und Prioritätensetzung führt, was eine
qualitative Einbusse für beide Aufgaben mit sich zieht. Dem Gesamten ist daher nicht
gedient.
Bei der Satellitennavigation sind primär die Fluggesellschaften und die Flugsicherung
diejenigen Akteure, die über das benötigte technologische und verfahrenstechnische
Fachwissen verfügen, für das institutionelle Wissen über Bewilligungen und
Zertifizierungen ist die Luftfahrtbehörde zuständig. Es spielt eigentlich keine Rolle,
welcher Akteur die Ressourcen für die Koordination der Aktivitäten stellt, wichtig
dabei ist nur, dass sich einer dazu bereit erklärt und die Aufwendungen übernimmt.
Die Motivation ergibt sich aus der momentanen Situierung des Akteurs in seinem
Geschäftsfeld und dem Gesamtkontext des Aviatiksystems.
Für die Schweiz kann gefolgert werden, dass das BAZL sich zwar zu seiner
führenden Rolle bekennt, aber die Arbeit delegieren will, da sie über das Fachwissen
nicht verfügen. Die Swiss ist zu schlank aufgestellt, als dass sie über zusätzliche
personelle Ressourcen für firmenübergreifende Projektleitungen verfügt. Die
Flughafen Zürich AG sieht sich als Managementfirma, die ebenfalls
Ausführungsarbeiten an Dritte delegiert. Die Luftwaffe ist auf den hoheitlichen
Auftrag ausgerichtet und verfügt wie die Swiss über keine zusätzlichen Ressourcen.
Übrig bleibt die Flugsicherung, die im Staatsmandat steht und in ihrer
Schnittstellenfunktion zwischen Flughäfen und Fluggesellschaften als
Brückenbauer77 agieren und dank ihres Involvierens im FABEC zusätzliches Wissen
anzapfen kann. Das Dilemma zwischen Kostendruck und Zusatzaufgaben kann
nur mit regulativer Verschreibung gelöst werden. Das BAZL müsste im Namen
des Besitzers die entsprechenden Aufträge erteilen und den Rahmen vorgeben, der
sowohl von der Politik als auch von den Akteuren akzeptiert wird und die finanziellen
77 vgl. Experteninterview skyguide, Frage 17
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Ergebnisse Seite 98/126
Konsequenzen für die Flugsicherung einvernehmlich getreu dem französischen
Sprichwort: "Les bons comptes font les bons amis"78 regelt.
Folgerung 2
In der Schweiz eignet sich die Flugsicherung skyguide zur Übernahme eines
Auftrages im Namen des BAZL zum Aufbau von speziellem methodischem Wissen in
firmenübergreifendem Kontext.
Granularität des Wissens
Das BAZL muss in der Lage sein, sein Wissen über die Bewilligungsprozesse um
das neue Element der Satellitennavigation zu erweitern. Bei den Bewilligungen sind
die gesetzlichen Bestimmungen einzuhalten oder nötigenfalls zu schaffen. Die
bestehenden, juristischen und technischen Normen sind bekannt und klar, der
Ermessensspielraum ist relativ klein. Wo die Normen hingegen fehlen, müssen
Studien, Berechnungen und Versuche inhaltlich nachvollziehbar sein, was wiederum
bedingt, dass sich das BAZL in ein Projektteam als vollwertiges Mitglied integriert,
um die Inhalte zu verstehen. Das Dilemma dabei ist einerseits die Wahrung der
Abgrenzung zur Aufsichts- und Bewilligungsaufgabe und andererseits der
methodische und fachliche Wissensaufbau am konkreten Pilotprojekt, damit die
Aufsichts- und Bewilligungsaufgabe wiederum korrekt wahrgenommen werden kann.
Auch wenn die Mitarbeitenden des BAZL nicht den gleichen detaillierten
Wissensstand der Fachexperten der Fluggesellschaften oder Flugsicherung haben
können, benötigen sie ein auf ihren Aufgabenbereich projiziertes Verständnis der
Sachzusammenhänge, die aus systemtheoretischer Sicht dem nachhaltigen Erfolg
dienen.
Die Piloten der Fluggesellschaften sind die eigentlichen Nutzer und Anwender und
verfügen über ein profundes, professionelles Fachwissen über die Funktionsweise
und das Bedienen der Navigationsgeräte.
78 übersetzt: Ein gutes Konto sorgt für gute Freunde
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Ergebnisse Seite 99/126
Die Flugsicherung verfügt nicht nur über das operationelle, sondern auch über das
technische Fachwissen zur Berechnung der möglichen Flugprofile in Bezug auf die
Topographie und Luftraumstruktur wie auch zur Sicherstellung der
Satellitenabdeckung und der Datenqualität. Die Vorgaben erhält sie von der globalen
und regionalen Ebene. Die Schwierigkeit besteht darin, dass die für die
Berechnungsmodelle benötigten Vorgaben erst noch entwickelt werden, was eine
Interaktion voraussetzt, um anhand gemachter rechnerischer und praktischer
Erfahrungen im Umgang mit der Satellitennavigation die Vorgaben zu validieren.
Die Flughäfen müssen wissen, wie die Möglichkeiten der Satellitennavigation für ein
leistungsorientiertes, kostengünstiges und vor allem, umweltfreundliches Betreiben
des Flughafens integriert und genutzt werden können.
Sämtliche Akteure müssen ihr funktionales Fachwissen um das neue Element
Folgerung 3
Satellitennavigation erweitern und der Aufbau von firmenübergreifend verteiltem
Wissen muss koordiniert erfolgen.
Umgang mit Innovationen
Auf der regionalen Ebene besteht mit SESAR eine Vielzahl von Entwicklungsfeldern,
die das europäische Aviatiksystem leistungsfähiger und kostengünstiger machen
sollen. Es ist aber keineswegs eine triviale Aufgabe, die für einen Staat benötigten
Aktivitäten herauszufinden, denn der Reifegrad der SESAR-Projektvorhaben sind
sehr unterschiedlich und befinden sich eher im Status einer angewandten Forschung
und Entwicklung, während auf dem nationalen Aviatiksystem eigentlich nur Projekte
umgesetzt werden können, die über einen minimalen Reifegrad zum täglichen
Betrieb aufweisen. Auf der anderen Seite ist die Leistungsfähigkeit der
Aviatiksysteme der einzelnen Staaten aufgrund ihrer Funktionsweise und dem
Rollenverständnis der Akteure unterschiedlich, was hinsichtlich der
Prioritätensetzung in Bezug auf die SESAR Projektvorhaben eine andere
Dringlichkeit und Wichtigkeit nach sich zieht. Diese Feinheiten machen es einem
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Ergebnisse Seite 100/126
europäischen Bestreben zur Harmonisierung schwer, rasch Resultate zu erzielen.
Wenn es auf der nationalen Ebene nicht einfach ist, so potenziert sich der
Schwierigkeitsgrad auf der regionalen Ebene entsprechend.
Für das nationale Aviatiksystem gilt es nun, die verschiedenen Entwicklungsfelder
zu identifizieren und zu priorisieren, um sie mit den Entwicklungsbedürfnissen der
regionalen Ebene in Einklang zu bringen. Die Systemtheorie schlägt zur Abstimmung
und Koordination den Einsatz von Experten vor, die in der Lage sind, einen
Innovationsprozess auf dem nationalen Aviatiksystems zu betreuen und somit die
Entwicklung massgeschneidert auf die nationalen Verhältnisse voranzutreiben. Zu
diesem Innovationsprozess müssten sich die Akteure bekennen und sich danach
ausrichten. Deshalb ist es von entscheidender Wichtigkeit, dass die Experten in einer
Gruppe zusammengesetzt sind, die sich aus Vertretern sämtlicher Akteuren
zusammensetzt, die in die Entscheidungsprozesse der Akteure integriert sind,
um auf diese Weise eine Vernetzung mit den Zielen und Strategien der Akteure zu
erreichen, wie auch umgekehrt, die Bedürfnisse der Akteure in den nationalen
Innovations- und Entwicklungsprozess einzubringen. Die Kontextsteuerung ist
gemäss der Systemtheorie eine der einzigen gelingenden Steuerungsformen, weil
sie auf den Reflexionen und Handlungsoptionen der Teile zum System beruhen. In
diesem Sinn ist erforderlich, dass das Potential bezüglich eigenem und
übergeordnetem Nutzen und Umsetzbarkeit sorgfältig analysiert und mit der
Leistungsmöglichkeit des Aviatiksystems verbunden wird.
Ein gemeinsam unterstützter Innovationsprozess mit Experten sämtlicher Akteure
ermöglicht eine auf die Bedürfnisse und Möglichkeiten bezogene,
massgeschneiderte Entwicklung auf nationaler Stufe hinsichtlich der übergeordneten,
regionalen Stufe.
Folgerung 4
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Ergebnisse Seite 101/126
14.3 Anforderungen an das Aviatiksystem
"Es müsste auf der Stufe Staat in den Entwicklungsfeldern der
Technologie eine klarere Vision vorhanden sein, die es erlaubt, in der
Industrie die verschiedenen Fähigkeiten besser zu bündeln und die
entsprechenden Ressourcen wie Geld und Personal zur Verfügung zu
stellen, damit eine Themen-leadership erreicht werden kann."
(Experteninterview Luftwaffe, Frage 25)
Aus den Folgerungen und dem Zitat von Divisionär Bernhard Müller können die
folgenden Anforderungen an das Aviatiksystem gestellt werden:
Das Aviatiksystem muss in der Lage sein, den losen Zweckverbund sämtlicher
mitbestimmenden Akteure in ein gesamtheitliches Netzwerk zu überführen,
das auf einem gemeinsamen Rollenverständnis basiert und sich als nationales
Aviatiksystem als Teil der übergeordneten, regionalen Ebene versteht und
danach handelt.
Der Staat übt mit seinen Organen Transportministerium und Luftfahrtbehörde
eine führende Rolle aus, um die Interaktion mit der Politik sicherzustellen.
Die Steuerung der Entwicklung des Aviatiksystems erfolgt über eine
Kontextsteuerung, die durch eine vernetzte Expertengruppe erarbeitet und
vorschlagen wird.
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Vorschläge Seite 102/126
15 Vorschläge
15.1 Modell für die Zusammenarbeit
Die Entwicklung des Aviatiksystems ist die Aufgabe des Staates. Die Frage stellt sich
dabei, wie und mit welchen Mitteln der Staat diese Aufgabe angehen will und kann
und wie er von den Akteuren unterstützt wird. Die wechselseitigen Abhängigkeiten,
das über die Akteure verteilte Wissen und die Netzwerkstruktur des nationalen
Aviatiksystems erfordern ein gemeinsames, koordiniertes und massgeschneidertes
Vorgehen, um die Auswirkungen von unzureichender Führungsstrukturen auf
nationaler Ebene zu kompensieren.
Die Entwicklung des Aviatiksystems bedarf einer Steuerung. Die Steuerung des
Aviatiksystems misst sich am Vermögen der Einführung eines neuen
technologischen Subsystems, weil dabei sämtliche Akteure und eine grosse
Vielzahl von Referenzunterlagen der globalen und regionalen Stufe betroffen sind.
Aus den Folgerungen und Anforderungen lässt sich als Lösungsansatz für die
effiziente Steuerung des Aviatiksystems ein Modell für die Zusammenarbeit
ableiten und skizzieren, das sich am Beispiel der Einführung von Satellitennavigation
orientiert, und wegen der zu Grunde gelegten Bedingungen als grundsätzliches
Steuerungsmodell des Aviatiksystems bestens eignet.
Das Modell umfasst
eine unabhängige Denkfabrik für Innovationen und Entwicklung,
ein nationales Programm zur Einführung von neuen technologischen
Subsystemen,
eine Systemische Roadmap zum Darstellen der Reifegrade der einzelnen
Komponenten und Referenzunterlagen.
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Vorschläge Seite 103/126
Grundsätzliche Bedingungen
Das Modell für die Zusammenarbeit umfasst folgende grundsätzliche Bedingungen:
Erstens benötigt die Steuerung Macht zur Durchsetzung von Massnahmen. Die
Aufgabe des Staates, für die Entwicklung zu sorgen, beinhaltet folgedessen auch
die Aufgabe zur Steuerung des nationalen Aviatiksystems.
Zweitens verlangt die übergeordnete Struktur die Akzeptanz von allen Akteuren.
Drittens ist das gemeinsames Ziel und Strategie mit den Zielen und Strategien der
Akteure abzustimmen, so dass ein anschlussfähiger Rahmenkonsens besteht.
Viertens basieren die Tätigkeiten auf den bestehenden Strukturen, Gremien und
Abläufen. Ergänzungen werden nur dort vorgenommen, wo es sinnvoll und
angebracht ist. In jedem Fall sind Anpassungen am Bestehenden den Ergänzungen
vorzuziehen, weil das Gesamtsystem so einfach wie möglich bleiben soll.
Fünftens werden als Grundhaltung das Tagesgeschäft und die Entwicklung
getrennt betrachtet, was sich idealerweise in den Organisationen der Akteure
widerspiegelt.
Sechstens werden die benötigten personellen und finanziellen Ressourcen von
den Akteuren zur Verfügung gestellt.
15.2 Lösungsansatz: Unabhängige Denkfabrik für Innovationen
und Entwicklung
Der Lösungsansatz einer unabhängigen Denkfabrik für Innovationen und
Entwicklung des Aviatiksystems sucht die nationalen Bedürfnisse mit den
Bedürfnissen der übergeordneten, regionalen Ebene (vgl. dazu SESAR auf Seite 41)
in Einklang zu bringen, weil die Leistungsfähigkeiten der Aviatiksysteme der
einzelnen Staaten einschliesslich deren Akteure unterschiedlich sind und daher die
Dringlichkeiten und Wichtigkeiten für die regionale Zielerreichung unterschiedlich
ausfallen. Aus systemtheoretischer Sicht ist es wichtig, dass die Art und Zahl der
Beziehungen des nationalen Aviatiksystems zu seiner Umwelt - in diesem Fall zur
regionale Ebene - bewusst und überlegt gewählt werden, was profundes Überlegen
aus gesamtheitlicher Sicht erfordert und mit einer vernetzten und koordinierenden
Gruppe erreicht werden kann.
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Zusammensetzung der Gruppe
Die Gruppe setzt sich zusammen aus Vertretern sämtlicher Akteure und arbeitet
im Auftrag des Staates. Der Einbezug sämtlicher Akteure ist wegen dem Anspruch
an gesamtheitlicher Betrachtung zu gewährleisten. Aus natürlichen Gründen können
die Vertreter der Akteure die Partikularinteressen ihrer Organisationen nicht
verbergen, was eine methodische und wissenschaftliche Unterstützung nötig macht,
beispielsweise durch eine Universität oder eine Beratungsfirma. Demzufolge sollte
praktischerweise eine externe Person den Vorsitz haben, die über die Kompetenz
verfügt, die heterogene Gruppe zu möglichst neutralen und sachlogischen
Resultaten zu führen, und Entscheidungsgrundlagen umfassend aufzuarbeiten. Die
Vertreter der Akteure verpflichten sich zur aktiven Teilnahme und stellen den
Informationsfluss zwischen der Denkfabrik und den Organisationen der Akteure
sicher.
Die Organisationsform
Die Organisationsform der Denkfabrik kann unterschiedlich gestaltet sein und kann
von einer Task Force bis zu einem eigenständigen Joint Venture Unternehmen
reichen. Je einfacher die Organisationsform, desto effektiver die Arbeit.
Aufgaben - Verantwortung - Kompetenzen
Die Aufgaben der Denkfabrik beinhalten:
die mittel- und langfristige Umsetzung der nationalen Zielvorgaben
sicherzustellen,
die Sachebene des nationalen Aviatiksystems für Steuerungsentscheide
koordiniert aufzuarbeiten,
Entwicklungsfelder zu identifizieren und
deren strukturelle Umsetzung vorzuschlagen.
Die Gruppe trägt die Verantwortung für die Sachlogik und für das zeitgerechte
Ausarbeiten und Formulieren von Vorschlägen, welche Vorhaben unter Einbezug der
regionalen Ebene auf dem nationalen Aviatiksystem am Dringlichsten und in welcher
logischen Folge zu implementieren sind.
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Vorschläge Seite 105/126
Die Entscheidungskompetenz bleibt unverändert beim BAZL, das mit den
Entscheidungsträgern der Akteure das Ziel und die Strategie für eine nationale
Entwicklung festlegt und somit die Abstimmung mit den Zielen und Strategien der
Akteure sicherstellt. Entscheide fallen weiterhin in den bereits dafür vorgesehenen
Gremien und Prozessen. Die Gruppe kann zur Informationsbeschaffung weitere
Experten aus der Wissenschaft oder der übergeordneten, regionalen Ebene nach
eigenem Ermessen beiziehen, um ein laufend aktualisiertes Bild zu erhalten, das
auch den regelmässigen Austausch von Informationen aus den Organisationen der
Akteure bedingt.
Das Produkt
Als Produkt der Arbeit der Denkfabrik entsteht ein konsolidierter, nationaler
Vorgehensplan, der aufzeigt, welche technologischen Entwicklungsfelder in welcher
Reihenfolge mit welchen personellen und finanziellen Mitteln in welcher Zeit zu
bearbeiten sind. Ein technologisches Entwicklungsfeld kann beispielsweise die
Satellitennavigation sein, die mittels einem nachfolgend beschriebenen, nationalen
Programm zur Einführung von Satellitennavigation einerseits die globalen
Verpflichtungen adressiert, andererseits die Akteure in die Pflicht nimmt, die
Umsetzung an die Hand zu gehen.
Mehrwert
Auch wenn es sich bei der Denkfabrik lediglich um die Frage der Innovationen dreht,
so bestünde wenigstens diesbezüglich sinngemäss eine nationale Körperschaft, die
in der Lage ist, die Beziehung zur übergeordneten, regionalen Ebene
themenspezifisch zu gestalten. Die Denkfabrik entspräche einem gemeinsamen
Arbeitsinstrument der Akteure und wäre ein Mittel auf nationaler Ebene zur
Steuerung des Aviatiksystems, das an die Entscheidungsträgern rapportiert.
Ein weiterer Ausbau der Aufgaben ist nicht ausgeschlossen.
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15.3 Lösungsansatz: Nationales Programm zur Einführung von
neuen technologischen Subsystemen
Die Satellitennavigation entspricht im Rahmen der performance based navigation
(PBN) einem Themenkreis und Entwicklungsfeld, das, wie in Kapitel 10 ausgeführt,
als neues Subsystem in das bestehende System zu integrieren ist. Da laut globaler
Vorgabe der ICAO Resolution 37-1179 die neue Satellitennavigation auf allen
Flughäfen mit Navigationsanlagen zur Anwendung kommen soll, eignet sich dazu am
besten ein nationales Programm, das unter Wahrung der gesetzlichen
Zuständigkeiten die einzelnen, lokalen Projekte identifiziert und deren
Vorgehensweise koordiniert. Das nationale Programm steht unter der
Schirmherrschaft des Staates, der entweder durch das Transportministerium oder
die Luftfahrtbehörde vertreten ist und somit die Schnittstelle zur Politik für den
politischen Rückhalt sicherstellt und Kraft seiner Machtposition auch Massnahmen
anordnen und durchsetzen kann. In einem nationalen Programm laufen alle
Aktivitäten zusammen, die für die Einführung eines neuen technologischen
Subsystems benötigt werden. Dabei umfasst es sowohl Fragestellungen allgemeinen
Interessens wie auch einzelne Projekte zur lokalen Umsetzung. Es geht dabei aber
explizit nicht um die Leitung der einzelnen lokalen Projekte, sondern um das
Erstellen von günstigen Voraussetzungen für eine erfolgreiches Umsetzen dieser
Projekte, was im wesentlichen die Koordination des verteilten Wissens und der
spezifische Wissensaufbau zu einer bestimmten Fragestellung ausmacht.
Organisation und Struktur des nationalen Programms
Das nationale Programm beinhaltet folgende Komponente:
Eine dreistufige Programmstruktur mit einem Direktorium, einer
Steuerungsgruppe und den einzelnen Projekten erlaubt die geordnete,
inhaltliche Programmführung und unterstützt die Vernetzung der
Programmaktivitäten mit den Organisationen der Akteure.
Eine gemeinsame Vision, Ziele und Strategien bildet die Grundlage für die
gemeinsame Entwicklungsrichtung.
79 Die ICAO Resolution 37-11 fordert von den Staaten einen Umsetzungsplan für Satellitennavigation
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Vorschläge Seite 107/126
Ein Prozess zur Identifikation, Organisation und strukturierter Bearbeitung der
Aktivitäten erhöht die Transparenz und Nahvollziehbarkeit des Programms.
Ein konsolidierter Programmplan steuert die Aktivitäten der Projekte und
ermöglicht die Koordination der benötigten Ressourcen.
Ein auf die Programm- und Projektaktivitäten bezogenes
Kommunikationskonzept stellt die Beziehung zu den Medien sicher.
Das nationale Programm bezweckt einerseits die zentrale Steuerung der
Entwicklung durch geordneten und zielgerichteten Kommunikationsaustausch auf
mehreren hierarchischen Stufen und durch strukturierte Koordination der Ressourcen
unter den Akteuren. Andererseits übernimmt das Programm die in Kapitel Aufbau
von Wissen erwähnte, firmenübergreifende Koordination und somit die methodische
und fachliche Unterstützung der einzelnen Projekte durch übergeordnete
Programmaktivitäten.
Die Projekte sind in der Regel im Besitz der Flughäfen, die laut Schweizerischem
Luftfahrtgesetz für die An- und Abflugverfahren zuständig sind. Die Möglichkeiten der
Satellitennavigation ermöglichen nunmehr auch das Anfliegen von
Referenzpunkten80 zum Anflug auf eine Aussenlandestelle, was das
Einsatzspektrum der Helikopterunternehmungen deutlich vergrössert. Daher können
auch andere Unternehmen als Flughäfen Projekte im Rahmen des nationalen
Programms besitzen und durchführen. Die Aufgabe des so genannten project
owners, des Projekteigners, ist es, einen geeigneten Projektleiter zu beauftragen, der
das Projekt plant und ausführt. Durch die Unterstützung durch das Programm
können Synergien mit anderen Projekten ausgenützt werden wie auch
Fragestellungen nationalen Interessens durch das Programm gelöst werden.
Die Programmstruktur umfasst drei hierarchische Stufen. Mehr als drei Stufen sind
nicht mehr zu führen, weil die Abstimmungen untereinander ein Ausmass erreichen
würde, das der Effizienz abträglich wäre:
80 im Fachjargon unter dem Begriff "Points In Space" bekannt
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Vorschläge Seite 108/126
1) Das Direktorium als Stufe mit der Entscheidungskompetenz setzt sich aus
den Direktoren und CEO der Akteure zusammen, wobei das BAZL den Vorsitz
hat
2) Die Steuerungsgruppe als Stufe mit der steuernden Wissenskompetenz
setzt sich aus den Experten sämtlicher Akteure zusammen. Wegen der
nationalen Ausrichtung des Programms und dessen ausgeprägten,
firmenübergreifenden Charakters hat aufgrund ihres diesbezüglichen
Fachwissens und Erfahrung im Umgang mit komplexen Problemstellungen die
Flugsicherung skyguide den Vorsitz.
3) Die Projekt-Stufe mit dem lokalen Expertenwissen der Flughäfen mit
Projektkompetenz.
Aufgaben - Verantwortung - Kompetenzen
Die Aufgaben des Direktoriums ist einerseits das Ausrichten der Programmziele
und -strategien mit denjenigen der Akteure, das Entscheiden über die von der
Steuerungsgruppe vorgeschlagenen Anträge und das Erteilen von Aufträgen zur
Entscheidungsfindung, andererseits das Fördern und Forcieren des Programms in
den Organisationen der einzelnen Akteure.
Die Aufgaben der Steuerungsgruppe beinhaltet erstens die Programmleitung, die
dafür sorgt, dass...
...die Grundlagenarbeiten zeitgerecht und zielgerichtet identifiziert, organisiert
und zur Bearbeitung in Auftrag gegeben werden,
...die Anträge an das Direktorium konsolidiert und entscheidungsreif
aufbereitet werden,
...den konsolidierten Programmplan erstellt und dessen Ausführung überwacht
wird,
...Anträge zu neuen Projekten geprüft und zuhanden des Direktoriums eine
Empfehlung abgegeben wird,
die Kommunikation mit den Medien koordiniert abläuft.
Zweitens erarbeitet und betreut die Steuerungsgruppe einen Innovationsprozess
zur Evaluation von Projektideen unter Berücksichtigung der technischen
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Vorschläge Seite 109/126
Machbarkeiten, der gesetzlichen Vorgaben, dem ökonomischen Nutzen und den
Überlegungen hinsichtlich des Umweltschutzes.
Die Kosten der Programm-Aktivitäten und die Finanzierung von Anschaffungen sind
themenspezifisch zu lösen. Die Aufwendungen für die Programmleitung werden
hälftig zwischen BAZL und skyguide aufgeteilt. Die Projektkosten sind vom
Projekteigner zu tragen, wobei verschiedene Modelle mit den Partnern ausgehandelt
werden, die von Eigenleistung der Akteure bis hin zum Einkauf von Experten reichen.
Das Produkt
Als Produkt entsteht ein Management Cockpit, das den Fortschritt der Programm-
Aktivitäten und der einzelnen Projekte festhält wie auch ein Rapport über die
erfahrenen Schwierigkeiten einschliesslich deren Lösungsansatzes. Das
Management Cockpit wird drei- bis viermal jährlich erstellt, indem in so genannten
Project Progress Meetings unter der Führung der Programmleitung die project
owners und Projektleiter ihren Projektfortschritt präsentieren und die Schwierigkeiten
darlegen, an denen sie arbeiten. Die Präsentation im Kreise aller Projekteigner und -
leiter bezweckt das Sichtbarwerden der Problematiken und den Austausch von
Gedanken und Lösungsansätzen. Ebenso werden Kontakte hergestellt und somit
Synergien geschaffen. Die Informationen über die übergeordneten Programm-
Aktivitäten einschliesslich der Entwicklungen auf globaler und regionaler Ebene
ergänzen den Austausch.
Im Management Cockpit ist der von der Steuerungsgruppe verdichtete und
konsolidierte zeitliche Ablauf der Projekte in einem Programmplan dargestellt. Der
Kern des Programmplans ist es, die von den Akteuren benötigten Ressourcen
bereitzustellen. Wo dies nicht möglich ist, sind entweder über das Direktorium
Anträge auf Priorisieren der Ressourcenzuteilung zu beantragen, oder die Planung
zeitlich anzupassen.
Mehrwert
Das nationale Programm sorgt für eine gesamtheitliche Steuerung und Koordination
der Arbeiten, die eine neue Technologie wie die Satellitennavigation als Subsystem
in das bestehende Aviatiksystem integrieren lassen.
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
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Die exemplarisch geführte Zusammenarbeit sorgt für eine Identifikation mit dem
Aviatiksystem und für ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das die Vertreter und die
Organisationen der Akteure miteinander verbindet, besonders, wenn Erfolge erzielt
werden können. Dieser Geist kann wegweisend für andere komplexe
Problemstellungen wirken.
Lösungsansatz Nationales Programm zur Steuerung des Aviatiksystems
Quelle: eigene Darstellung
Luftfahrtbehörde FlugsicherungFlughäfen Fluggesellschaften Luftwaffe
Direktoren, CEO
Programmleitung
Projektleitung
= Vorsitz
Abbildung 15 - Der Lösungsansatz des nationalen Programms verbindet sämtliche Akteure auf drei Stufen zu einem Netzwerk, das in der Lage ist, eine neue Technologie als Subsystem in das bestehende Aviatiksystem zu integrieren und so eine Form von Steuerung der Entwicklung des Aviatiksystems vorzunehmen.
15.4 Lösungsansatz: Systemische Roadmap zur Visualisierung
der Komplexität eines technologischen Subsystems
Die Technologien entwickeln sich nicht auf ein bestimmtes System bezogen
gesamtheitlich koordiniert, sondern müssen, nachdem sie sich selber entwickelt
haben, in die Systeme integriert werden. Je weiter die Entwicklung einer Technologie
fortschreitet, desto mehr Integrationsaufwendungen sind nötig. Das bedeutet, dass
sich einzelne Elemente zu einem bestimmten Zeitpunkt in unterschiedlichen
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
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Entwicklungsstadien befinden. Der Ansatz der Systemischen Roadmap stammt aus
der Industrie und ist unter technologischen Unternehmen weit verbreitet.
Die Systemische Roadmap bezweckt, die für ein technologisches Subsystem
benötigten Elemente, Grundlagen und Referenzunterlagen umfassend
zusammenzutragen und aktualisiert zu halten. Damit wird eine Visualisierung der
Komplexität erreicht, die für die Entscheidungsträger auf allen Stufen nützliche
Angaben über den zu erwartenden Aufwand und die entsprechenden zeitlichen
Dimensionen geben.
Zeitliche Verfügbarkeit von neuen Subsystemen
Technologien
Verfahren
Ausrüstungen
Institutionelle Ebenen
•Global
•Regional
•National
Human Factors
•Piloten
•Fluglotsen
•Ingenieure / Experten
2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020
Abbildung 16 - Die Systemische Roadmap stellt die einzelnen Einflussgruppen bezüglich ihrer voraussichtlichen Entwicklung auf der Zeitachse dar.
In Anlehnung an die drei systemischen Faktoren (vgl. Kapitel 1) unterscheidet die
Systemische Roadmap die drei Dimensionen:
Technologie: technologische Aspekte und ihre Anwendungsverfahren
Institutionen: die globale, regionale, nationale und lokale Ebene
Human Factors: Piloten, Fluglotsen, Ingenieure und Experten
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
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Die leitenden Fragen lauten, ob die Elemente für das Aviatiksystem der Schweiz
anwendbar sind, ob die Unterlagen als Entwurf oder Endfassungen vorliegen und ob
Ausbildungsunterlagen bereitstehen und die Ausbildung durchgeführt wurde.
Die Systemische Roadmap ist in der Lage, sämtliche Element im Sinne eines
Baukastens aufzulisten.
Generisches Beispiel der Systemischen Roadmapfür ein Satellitennavigationsverfahren
2011 2012 2013 2014 2015 2016
Technologie
Faktor 1
Faktor 2
Faktor 3
InstitutionellICAO Annex xxx
ICAO Doc yyyy
Europäische Kommission zzzz
Pilotenkenntnis
Fluglotsen Ausbildung
Ingenieure Ausbildung
Human Factors
Abbildung 17 - Das generische Beispiel der Systemischen Roadmap zeigt auf, wann die einzelnen für die Einführung eines Verfahrens benötigten Einflussgrössen bereit sein werden. In diesem Beispiel ist die Entwicklung des ICAO Doc yyyy die limitierende Grösse, so dass das Verfahren voraussichtlich erst im Jahr 2015 eingeführt werden kann.
Am Beispiel der Satellitennavigation umfasst der Baukasten die folgenden Elemente:
Das Satellitensystem
Die Zusatzsysteme zur Signalaufbereitung
Die Navigationsgeräte der Flugzeuge zur lateralen und vertikalen
Flugzeugnavigation
Daraus resultieren die navigatorischen Möglichkeiten zur Anwendung von
verschiedenen Verfahren, die sich in ihren Spezifikationen unterscheiden. Die
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Vorschläge Seite 113/126
Spezifikationen umfassen die Anforderungen an die Genauigkeit der lateralen und
vertikalen Führung durch die Navigationsgeräte.
Die Frage, wann eine neue Technologie wie beispielsweise die Satellitennavigation
auf dem Flughafen Zürich eingeführt werden könnte, liesse sich anhand der
Systemischen Roadmap relativ leicht beantworten und erklären, denn die
limitierenden Faktoren würden sofort erkannt.
15.5 Zusammenspiel der Lösungsansätze
Die Abbildung 18 stellt schematisch die Wirkungsebenen der drei Lösungsansätze
dar. Die Denkfabrik für Innovationen und Entwicklung bewegt sich im globalen,
regionalen und nationalen Rahmen und versucht, die Initiativen miteinander zu
verknüpfen. In ihrer Funktion ist sie dem nationalen Programm sehr ähnlich, agiert
aber primär auf der regionalen Ebene mit entsprechender Granularität und bewegt
sich in einem langfristigen Zeithorizont von über fünf Jahren. Die Denkfabrik stösst
nationale Programme an, die sich in der Folge selber finden und organisieren
müssen, um die erwarteten Leistungen zu erzielen. Die Denkfabrik gibt die Richtung
der Entwicklung vor, währenddem das nationale Programm die Entwicklung
umsetzt. Demnach dauert ein nationales Programm bis zu fünf Jahren, was sich aus
den Erfahrungen aus ähnlichen Vorhaben ableitet.
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Vorschläge Seite 114/126
.
Zusammenspiel der Lösungsansätze
global
regional
national
lokalDie ganze WeltEuropa
SchweizZürich
Quelle: eigene Darstellung
Denkfabrik
Syst.RoadMap
Projekt
Nationales Programm
Abbildung 18 - Die unterschiedlichen Wirkungsebenen der Denkfabrik, des nationalen Programms und der Systemischen Roadmap ergänzen sich zu einer gesamtheitlichen Sicht: die Denkfabrik sorgt für eine national massgeschneiderte Planung der Innovationen in Bezug auf die Reifegrade der Initiativen der regionalen Ebene (z. B. SESAR), bereitet die Schaffung eines nationalen Programms vor, das die Aktivitäten für eine erfolgreiche Einführung von lokalen Projekten koordiniert, die von der Systemischen Roadmap dank der visualisierten Komplexität aus Sicht des Projektes unterstützt werden.
Die Systemische Roadmap begleitet und ergänzt das nationale Programm inhaltlich
aus der Sicht der lokalen Umsetzungsprojekte, kann aber auch ohne ein Programm
eigenständig bestehen. Es wäre also denkbar, dass nicht alle vorgeschlagenen
Lösungsansätze für die Steuerung eines Aviatiksystems benötigt werden. Sie
ergänzen sich jedoch zu einer gesamtheitlichen Sicht und erlauben eine effiziente
und effektive Steuerung des Aviatiksystems.
15.6 Praxistauglichkeit
Die Lösungsansätze der Denkfabrik, des nationalen Programms und der
Systemischen Roadmap sind die von den Überlegungen aus der Systemtheorie in
Bezug auf die analysierten Rollen und die Funktionen der Akteure auf den vier
Ebenen abgeleiteten Produkte, die sich aus den hervorgebrachten Erkenntnissen
und Folgerungen zusammensetzen. Sie bieten die Gelegenheit eines Vergleiches
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Vorschläge Seite 115/126
zur Anpassung der bestehenden Lösungen bzw. bestätigen den Nutzen aus der
Praxis.
Die Lösungsansätze entsprechen einem generischen Modell, dessen Anwendung
von Staat zu Staat unterschiedlich ausfallen wird. Im Aviatiksystem der Schweiz
existiert heute bereits ein nationales Programm zur Einführung von
Satellitennavigation unter dem Namen CHIPS81. Es wurde aber nicht der theoretisch-
wissenschaftliche Ansatz gewählt, sondern der Aufbau stand unter dem Druck der
Öffentlichkeit und entwickelte sich evolutiv nach pragmatischen und
praxisorientierten Gesichtspunkten. Hingegen besteht weder eine Denkfabrik für
Innovationen und Entwicklung noch eine Systemischen Roadmap.
Ohne im Detail auf das Programm CHIPS einzutreten, sind die folgenden Punkte
erwähnenswert, die den praktischen Nutzen der Lösungsansätze belegen:
1) Alle Akteure sind involviert und die Vorgehensweise ist abgestimmt:
Wie bereits im Kapitel 10.2 erwähnt, sind die Projekte für die Einführung von
Verfahren mit Satellitennavigation Pionierprojekte, deren Neuartigkeit und Dimension
eine enge Zusammenarbeit aller involvierten Akteure bedingt. Das REGA-Projekt
dauerte bis zur Bewilligung über sieben Jahre, was darauf zurückzuführen war, dass
während den ersten fünf Jahre das Vorhaben als Einzelprojekt geführt und
entsprechend betrachtet wurde. Entsprechend hoch waren die Anforderungen an
den Projektleiter zum Zusammenstellen der benötigten Ressourcen und zum Kennen
des formellen Bewilligungsverfahrens. Während den letzten beiden Jahre konnte das
Projekt von den Leistungen des Programms profitieren, das katalysierend auf die
Entwicklung wirkte, weil die Akteure auf mehreren hierarchischen Stufen sich
vernetzten und zur Überlegung angeregt wurden, wie sie die REGA bei der
Projektentwicklung unterstützen könnten.
2) Zwei zusätzliche Gremien wurden zur Programmsteuerung geschaffen:
Die Vernetzung der Akteure auf verschiedenen hierarchischen Stufen erfolgt bereits
in anderen Gremien. Schon bald folgte die Einsicht, dass die bestehenden Gremien
81 CH-weites Implementierungs-Programm für SESAR bezogene Aktivitäten
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Umsetzungshinweise Seite 116/126
mit ihren Aufgaben, Kompetenzen und Zusammensetzungen den Anforderungen
nicht genügten. Zwei neue Gremien wurden geschaffen, um die im nationalen
Programm beschriebenen Aufgaben zu übernehmen. Von entscheidender
Wichtigkeit war die Bekenntnis des BAZL zum Vorsitz und von skyguide zur
Sicherstellung der Programmleitung. Die Finanzierung und Kostenteilung ist
hingeben bis heute eine nicht gelöste Fragestellung.
3) Erste erfolgreiche Projekteinführungen sind verzeichnet:
In der Schweiz sind bisher vier Verfahren eingeführt, die auf der Technologie von
Satellitennavigation basieren. Es ist nicht erstaunlich, dass eines auf dem Flughafen
Zürich eingeführt wurde und zwei die Luftwaffe betreffen. Aus diesem Grund soll die
Luftwaffe stärker als Technologieträger agieren und die Entwicklung der
Möglichkeiten mit Satellitennavigation fördern.
4) Die Grenzen der Leistungsfähigkeit werden aufgezeigt:
Besonders die Zuteilung der personellen und finanziellen Ressourcen in die
Programmleitung und Projekte stösst regelmässig an die Grenzen der Kapazitäten.
Insbesondere die geringe Verfügbarkeit von kompetenten und erfahrenen
Projektleitern für Projekte in firmenübergreifendem Kontext führt zu Verzögerungen
der Projekte.
16 Umsetzungshinweise
Die nachstehenden Umsetzungshinweise beinhalten ergänzende Überlegungen zur
Steuerung von komplexen Systemen.
Treibende Kraft
Für alle Umsetzungen wird jeweils eine treibende Kraft benötigt. Die Motivation muss
im Verbund gemeinsam gefunden werden. Nur wenn sich alle Akteure zu einem Ziel
und einer Strategie mit entsprechenden Aufwendungen bekennen, kann die
Umsetzung effizient und effektiv erfolgen.
"Management attention"
In jedem Fall ist es von entscheidender Wichtigkeit, dass die Lancierung von
Projekten, Programmen oder neue Gruppen von der Führungsspitze der Akteure
gegen aussen hin demonstriert und gegen innen gefordert und unterstützt wird. Nur
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Umsetzungshinweise Seite 117/126
wenn die Geschäftsleitung tatkräftig hinter einem Vorhaben steht, wird es als wichtig
empfunden. Ein grossartiges Beispiel dafür ist die Einführung und Anwendung des
Kaizens bei Swiss82.
Steuerung durch einen involvierten Akteur oder durch eine neutrale Person?
Wenn die Leitung der Steuerungsgruppe des nationalen Programms durch einen
bestimmten Akteur wie beispielsweise durch die Flugsicherung wahrgenommen wird,
so führt das zu einer Doppelfunktion, die in den Diskussionen nicht leicht
auseinander zu halten ist, und den Eindruck erweckt, dass es ja die Aufgabe der
Flugsicherung sei, die Aktivitäten durchzuführen. Daher stellt sich die Frage nach der
Zweckmässigkeit einer neutralen Person, die im Sinne eines Moderators die Leitung
des Programms übernehmen würde. Eine weiterführende Funktion im
firmenübergreifenden Kontext übernimmt die neutrale Person aber nicht.
Identifikation durch ein Logo
Es ist aus der Sicht des Marketings unbestritten, dass eine Marke oder ein Produkt
über einen visuellen Auftritt verfügen muss, der sich auf die Marke oder Produkt
bezieht. Ein Logo entspricht einem Identifikationszeichen wie eine Nationalflagge.
Wenn ein Programm oder eine Gruppe aufgestellt wird, die in firmenübergreifendem
Kontext arbeitet, fördert ein Logo deren Sichtbarkeit.
Sichtbarkeit auf Homepage und Internet
Ähnliches gilt für den Auftritt auf dem Internet. Mindestens auf den Homepages der
Akteure sollte das Programm oder Gruppe beschrieben sein und mit Links auf die
Homepages der anderen Akteure verweisen.
Das bedeutet, dass komplexe Vorhaben nur dann erfolgreich durchgeführt werden
können, wenn sie langsam, bedacht aber kontinuierlich entwickelt werden. Ein
allzu grosse Ambition ist bei Entwicklungsprojekten nicht angebracht, weil infolge der
Komplexität niemand genau weiss, wie das gesamte nicht-triviale System reagiert
und ob durch Verbesserungen an einem Ort nicht umso grössere
Verschlechterungen resultieren, so dass die Gesamtleistung des Systems kleiner ist.
Der Wissensaufbau kann nur geschaffen werden, wenn die personellen Ressourcen
82 Experteninterview Swiss, Frage 3
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Umsetzungshinweise Seite 118/126
mit nur einer Problemstellung beauftragt werden. Werden die Experten mit zu vielen
unterschiedlichen Aufgaben und Fragestellungen gleichzeitig betraut, so kann kein
profundes Wissen entstehen.
Projekte und Linie
Es ist für Aufbauorganisationen normal, wenn ihre Experten in eine Linienfunktion
integriert sind. Wenn sie aber in einer Projektorganisation arbeiten müssen, so muss
entweder die Linie die nötigen Freiräume schaffen, oder die Experten werden den
Aufgaben der Linienorganisation temporär entbunden oder organisatorisch neu
unterstellt. Dieser Umstand bedeutet, dass ein entsprechendes Laufbahnmodell zur
Verfügung stehen müsste. Die Erfahrung jedoch zeigt, dass diesbezüglich ein klarer
Mangel besteht. Wenn es sich abzeichnet, dass einzelne Experten primär in
Projekten arbeiten, so würde sich aufdrängen, eine dazu vorgesehene Struktur zu
schaffen, wo sie sich fachlich weiterbilden und entwickeln können. Besonders für
Projektleitungsaufgaben ist eine Herauslösung aus der Linienstruktur wichtig, weil die
Projektleitungskompetenz als Schlüsselkompetenz in firmenübergreifendem
Kontext aufgebaut werden muss. Die Aus- und Weiterbildung einschliesslich einer
Betreuung durch erfahrene Projektleiter ermöglicht ein Wissensaufbau nicht nur für
den einzelnen, sondern auch für die Organisation. Geschieht dies nicht, so kann das
Wissenskapital nicht weiter ausgebaut und erneuert werden. In der
Wissensgesellschaft ist Wissen eine Ressource und muss entsprechend gepflegt
werden.
Vom Kleinen kontinuierlich zum Grossen
George Olsen, ein US-amerikanischer Lehrer an der Wilbur High School prägte einst
den folgenden Satz, der sich hervorragend auf den Umgang mit der Steuerung von
komplexen Systemen beziehen lässt.
"You better learn to stand first before you walk,
and then
you better learn to walk before you run."
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Zusammenfassung Seite 119/126
17 Zusammenfassung
Das nationale Aviatiksystem besteht aus den Akteuren Luftfahrtbehörde, Flughäfen,
Fluggesellschaften, Flugsicherung und Luftwaffe, die in einem losen Zweckverbund
mit wechselseitigen Abhängigkeiten, aber ohne eigentliche Hierarchie stehen. Die
Luftfahrtbehörde hat die Entwicklung der nationalen Luftfahrt zur Aufgabe, nimmt
aber den inhärenten Führungsanspruch in den Augen der Akteure zu wenig wahr.
Die Systemtheorie geht nur von einer gelingenden Steuerung über den Kontext oder
durch Anreize zur Selbststeuerung aus. Deshalb steht die Art der Beziehung sowohl
der Akteure zum Aviatiksystem wie auch des nationalen Aviatiksystems zur
übergeordneten, regionalen Ebene im Fokus.
Die Steuerung des Aviatiksystems ist möglich, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt
sind:
Die Akteure des nationalen Aviatiksystems haben ein gemeinsam
abgestimmtes und gleichsam verstandenes Rollenverständnis untereinander.
Die Akteure sind in der Lage, durch Reflexion ihre Beziehungen zum System
so zu wählen, dass nicht der maximale Nutzen, sondern der optimale Nutzen
im Sinne des Gesamten im Vordergrund steht.
Die Abstimmung der Rollen, Ziele, Strategien und Prozesse erfolgt mittels
offener und transparenter Kommunikation.
Die Kommunikation erfolgt in offiziellen Gremien und im inoffiziellen Austausch
und erlaubt ein besseres Verständnis und eine Koordination unter den
Akteuren.
Die Komplexität lässt sich durch das Zusammenführen von verteiltem Wissen
überblicken. Das Wissen über das Zusammenführen von verteiltem Wissen im
firmenübergreifenden Kontext wird zur Schlüsselkompetenz für die Einführung von
technologischen Subsystemen in das bestehende Aviatiksystem.
Die Satellitennavigation entspricht einem Subsystem, das alle Akteure betrifft.
Gelingt die Steuerung zur Einführung, so gelingt die Steuerung des Aviatiksystems.
Als Lösungsansatz eignen sich die drei vorgeschlagenen Modelle: eine Denkfabrik
für Innovationen und Entwicklung, ein nationales Programm zur Einführung von
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Zusammenfassung Seite 120/126
technologischen Subsystemen und eine Systemische Roadmap zur Visualisierung
der relevanten Einflussgrössen auf der Zeitachse und der Komplexität.
Die Umsetzung verlangt das Zuteilen von personellen und finanziellen Ressourcen
zum Wissensaufbau. Die Einbettung von einem neuen Subsystem in ein
bestehendes System kann wegen der Komplexität nur langsam und behutsam vor
sich gehen. Entsprechend viel Zeit und Ressourcen werden benötigt.
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Literaturverzeichnis Seite 121/126
18 Literaturverzeichnis
Helmut Willke, Systemtheorie I, Grundlagen, 7. Auflage, 2006
Helmut Willke, Systemtheorie II, Interventionstheorie, 4. Auflage, 2005
Helmut Willke, Systemtheorie III, Steuerungstheorie, 3. Auflage 2001
Helmut Willke, Einführung in das systemische Wissensmanagement, 2.
Auflage, 2007
05.011, Bericht über die Luftfahrtpolitik der Schweiz 2004 vom 10. Dezember
2004
ICAO Doc 7300 Convention on International Civil Aviation, 9th edition 2006
ICAO, Annual Report 2010
EASA, Annual Report 2009
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Verzeichnis für Abbildungen Seite 122/126
19 Verzeichnis für Abbildungen
Die Abbildungen 1 bis 18 beziehen sich auf die Master-Thesis und die
Abbildungen 19 -22 auf die Anhänge
Abbildung 1 - Die vier Ebenen der Aviatik beeinflussen sich gegenseitig: die globalen
Richtlinien und Vorgaben werden durch die regional beeinflussten Staaten national
umgesetzt und lokal beispielsweise auf einem Flughafen angewendet.................... 15
Abbildung 2 - Die drei systemischen Faktoren beschreiben die Einflussgrössen im
Aviatiksystem und stehen in wechselseitiger Abhängigkeit zueinander, weshalb sie
als Einheit betrachtet werden. .................................................................................. 17
Abbildung 3 - Die Internationale Zivilluftfahrt Organisation ICAO verkörpert die
globale Dimension der Luftfahrt und sorgt mit Empfehlungen und Richtlinien für ein
harmonisiertes Ausrichten der Anwendungen und Entwicklungen in den einzelnen
Ländern. ................................................................................................................... 35
Abbildung 4 - Eurocontrol verkörpert als interstaatliche Fachorganisation die
regionale Dimension und unterstützt die Mitgliedstaaten bei der harmonisierten
Umsetzung und Erhöhung der Leistungsfähigkeit der europäischen Luftfahrt.......... 36
Abbildung 5 - Die Europäische Union ist eine wirtschaftliche und politische
Partnerschaft von 27 europäischen Ländern - die Schweiz ist nicht Mitglied - die sich
für die Stabilität und Frieden einsetzt. Mit wirtschaftlichem Interesse und politischem
Nachdruck fordert und fördert die EU mit Initiativen und Instanzen die
Vereinheitlichung und Leistungssteigerung der europäischen Luftfahrt. .................. 38
Abbildung 6 - Die EU-Initiative Single European Sky SES beabsichtigt, ein
leistungsstärkeres und kostengünstigeres Flugverkehrssystem zu entwickeln, das
sich an den funktionalen Verkehrsströmen und nicht an territorialen Grenzen
orientiert.................................................................................................................... 40
Abbildung 7 - FABEC ist der Zusammenschluss von 7 Flugsicherungen und 6
Staaten zu einer zentralen, multinationalen Führungsorganisation, die 55% des
europäischen Verkehrs betreut und durch das Auftreten als Einheit eine deutliche
Leistungssteigerung bringen soll. ............................................................................. 41
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Verzeichnis für Abbildungen Seite 123/126
Abbildung 8 - SESAR Joint Undertaking versucht durch Unterstützung auf regionaler
Stufe die nationalen Aviatiksysteme in technologischer und operationeller Hinsicht zu
harmonisieren........................................................................................................... 41
Abbildung 9 - Die Europäische Agentur für Flugsicherheit EASA erlässt als
europäisch zentralisierte, unabhängige Agentur die verbindlich anzuwendenden
Sicherheitsvorschriften und übernimmt dabei Aufgaben, die bisher durch die
einzelnen Staaten ausgeführt wurden. ..................................................................... 42
Abbildung 10 - Die Abhängigkeiten der Akteure im internationalen Kontext setzen ein
profundes Kennen der Rollen und Abläufe voraus, was jeder Akteur mit eigenen
Ressourcen sicherstellen muss. Die Vertreter der Akteure müssen sich untereinander
austauschen und ergänzen, um die Auswirkungen auf den nationalen Kontext
gesamtheitlich zu erfassen. ...................................................................................... 43
Abbildung 11 - Die Faktoren und das Zusammenspiel der Akteure des
Aviatiksystems der Schweiz zeigen die starken Vernetzungen und Abhängigkeiten
auf, die den Staat in seiner Steuerung begrenzt. (Quelle: Luftfahrtpolitischer Bericht
2004) ........................................................................................................................ 48
Abbildung 12 - Die blauen Flugspuren repräsentieren die zivilen und die grünen die
militärischen Flugbewegungen Schweizer Luftraum vom 23.02.2000. Ein flexibles
Luftraumbenutzungskonzept regelt die Prioritäten und Bedürfnisse und ermöglicht
ein Nebeneinander im engen Luftraum. ................................................................... 57
Abbildung 13 - Die gegenseitigen Abhängigkeiten der Akteure im Aviatiksystem der
Schweiz verlangen ein gegenseitig verstandenes Rollenverständnis und
methodische Kompetenzen im firmenübergreifenden Kontext, um das Aviatiksystem
im Sinne eines Netzwerks zu betreiben.................................................................... 59
Abbildung 14 - Die Tätigkeitsgebiete und Ausrichtungen der Akteure zeigen ein
heterogenes Bild, was zu unterschiedlichen Perspektiven und Rollenverständnis
führt. Die Ziele und Strategien der Akteure müssen mit gemeinsamen Zielen und
Strategien des Aviatiksystems ergänzt werden. ....................................................... 60
Abbildung 15 - Der Lösungsansatz des nationalen Programms verbindet sämtliche
Akteure auf drei Stufen zu einem Netzwerk, das in der Lage ist, eine neue
Jürg Hänni 20. Executive MBA Lehrgang Master Thesis
Verzeichnis für Abbildungen Seite 124/126
Technologie als Subsystem in das bestehende Aviatiksystem zu integrieren und so
eine Form von Steuerung der Entwicklung des Aviatiksystems vorzunehmen. .......110
Abbildung 16 - Die Systemische Roadmap stellt die einzelnen Einflussgruppen
bezüglich ihrer voraussichtlichen Entwicklung auf der Zeitachse dar. .....................111
Abbildung 17 - Das generische Beispiel der Systemischen Roadmap zeigt auf, wann
die einzelnen für die Einführung eines Verfahrens benötigten Einflussgrössen bereit
sein werden. In diesem Beispiel ist die Entwicklung des ICAO Doc yyyy die
limitierende Grösse, so dass das Verfahren voraussichtlich erst im Jahr 2015
eingeführt werden kann. ..........................................................................................112
Abbildung 18 - Die unterschiedlichen Wirkungsebenen der Denkfabrik, des
nationalen Programms und der Systemischen Roadmap ergänzen sich zu einer
gesamtheitlichen Sicht: die Denkfabrik sorgt für eine national massgeschneiderte
Planung der Innovationen in Bezug auf die Reifegrade der Initiativen der regionalen
Ebene (z. B. SESAR), bereitet die Schaffung eines nationalen Programms vor, das
die Aktivitäten für eine erfolgreiche Einführung von lokalen Projekten koordiniert, die
von der Systemischen Roadmap dank der visualisierten Komplexität aus Sicht des
Projektes unterstützt werden. ..................................................................................114
20 Verzeichnis für Tabellen
Tabelle 1 Übersicht der Akteure im Aviatiksystem der Schweiz.......................44
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Verzeichnis für Abkürzungen Seite 125/126
21 Verzeichnis für Abkürzungen
AeCS Aero Club der Schweiz
ATM Air Traffic Management System
BAZL Bundesamt für Zivilluftfahrt
CASO Civil Aviation Safety Officer
CEO Chief Executive Officer
CFAC Center for Aviation Competence der Universität St. Gallen
CHIPS Schweizweites Implementierungs-Programm für SESAR-bezogene Ziele und Aktivitäten
COMPASS Chinesisches Satellitennavigationssystem
COO Chief Operating Officer
Div Divisionär, entspricht dem militärischen Rang eines Generalmajors
EASA Europäische Agentur für Flugsicherung
EMPA Eidgenössische Materialprüfanstalt
EPFEL Ecole Polytechnique Fédérale Lausanne
ESSIP European Single Sky ImPlementation
ETZH Eidgenössische Technische Hochschule Zürich
EU Europäische Union
FAB Functional Airspace Block
FABEC Functional Airspace Block Europe Central
GALILEO Europäisches Satellitennavigationssystem
GAT General Air Traffic
GLONASS Russisches Satellitennavigationssystem: Globalnaja Nawigazionnaja Sputnikowaja Sistema
GPS Global Positioning System
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Verzeichnis für Abkürzungen Seite 126/126
ICAO International Civil Aviation Organization
IFATCA International Federation of Air Traffic Controllers' Association
Kdt Kommandant
LSSIP Local Single Sky ImPlementation
LW Luftwaffe
NATO North Atlantic Treaty Organisation
OAT Operational Air Traffic, beinhaltet Staatsluftfahrzeuge
PfP Partnership for Peace
PNB Performance based Navigation
REGA Schweizerische Rettungsflugwacht
SES Single European Sky
SESAR Single European Sky Air Traffic Management Research
SJU SESAR Joint Undertaking
Stv Stellvertreter
SWISS Swiss International Air Lines AG
USA United States of America
UVEK Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation
VBS Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport