Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg
Vernetzung vertragsärztlicher Qualitätszirkel mit
Angeboten der Frühen Hilfen
Gefördert durch die
Fallbeispiel für unzureichende Kooperation Arzt – Jugendhilfe
Eine junge Mutter kommt zum ersten Mal mit Ihrem 4 Wochen alten Jungen zur U3 zum Kinderarzt. Die Mutter klagt über häufiges und anhaltendes Schreien des Babys.Das Kind erscheint dem Arzt nach der Untersuchung körperlich gut entwickelt. Auffällig ist die große Anspannung, die beim Kind zu beobachten ist. Die Händchen sind fest geballt, das Kind hält die Arme fest an den Körper gepresst. Es schreit beim Arztbesuch auch heftigst. Die Mutter wirkt etwas unbeholfen, schaukelt das Kind stark in den Armen und schaut ratlos den Arzt an. Der Arzt fragt nach, wie lange und wann das Kind schreit, gibt ihr Ratschläge bezüglich Beruhigung des Kindes beim Schreien und verweist auf die Möglichkeit von 3-Monatskoliken, die häufig bei Jungen auftreten würden. Er verschreibt ein krampflösendes Mittel und rät der Mutter sich wieder zu melden, falls es nicht besser würde. Es fällt ihm auf, dass die Mutter stark nach Zigaretten riecht.Beim nächsten vereinbarten Besuch, 3 Wochen später, bringt die Mutter zusätzlich zu ihrem Baby ein zweites Kind mit. Das Mädchen ist 2,5 Jahre alt und verhält sich sehr grenzenlos. Es macht alle Schränke im Sprechzimmer auf und wirft Spielsachen umher. Die Mutter ermahnt zwar, handelt aber nicht aktiv und wirkt insgesamt apathisch. Die Arzthelferinnen sehen sich genötigt einzuschreiten.Der Kinderarzt stellt bei der Untersuchung der Kinder fest, dass das Mädchen noch nicht spricht. Die Mutter klagt, dass das Kind sehr lebhaft sei. Wenn sie sich nicht mehr zu helfen wisse, sperre sie in ihrer Not das Kind im Kinderzimmer ein.Der Arzt rät der Mutter sich ans Jugendamt zu wenden.Der Säugling wird von der Mutter als unproblematisch geschildert. Das Kind schlafe jetzt sehr viel. Beim Wiegen fällt auf, dass das Kind seit dem letzten Mal nicht zugenommen hat. Der Arzt fragt nach, wie das Kind ernährt würde. Die Mutter bestätigt, dass alles normal verlaufe.Einen Monat später bekommt der Arzt einen Brief vom örtlichen Krankenhaus.Hierin wird ihm mitgeteilt, dass das Baby mit akuter Dehydrierung im Krankenhaus aufgenommen werden musste. Es wird dringend eine intensive engmaschige Begleitung durch den Kinderarzt empfohlen.Die Mutter wird mit den Kindern zu einem zeitnahen Termin eingeladen. Sie erschient trotz mehrfacher Aufforderungen nicht mehr.Der Kinderarzt versucht das Jugendamt zu erreichen um Mitteilung zu machen. Er erreicht nur eine Rufbereitschaft. Diese verspricht, dass der zuständige Kollege zurückruft.Der Kinderarzt erhält keinen Rückruf. Er sieht die Sache für sich als erledigt an.
Fallvorstellung
Dieser Fall ist kein Einzelfall!
Das Problem…
Ärzteschaft und Jugendhilfe – zwei Welten begegnen sich (nicht)…?
Defizite in der Zusammenarbeit aus
ärztlicher Sicht
• Ärzte erkennen oft nicht den über die medizinische Versorgung hinausgehenden Hilfebedarf von Familien mit kleinen Kindern
• Sie suchen oft zu spät den Kontakt zur Jugendhilfe – Prävention durch Frühe Hilfen bleibt auf der Strecke
• Sie kennen oft die Hilfemöglichkeiten außerhalb des medizinischen Systems nicht.
• Sie verordnen vorzugsweise Hilfen aus dem eigenen Hilfesystem, die z. T. nicht passen ---Logopädie, Ergotherapie
Ursachen
• Wenig Wissen über die jeweils andere Berufsgruppe - Vorurteile
• Unterschiedliche rechtliche Grundlagen, keine Sozialgesetzbücher übergreifenden Vorschriften und Regelungen im Leistungsbereich
• Unterschiedliche Arbeitsweisen (angestellt- selbständig, Kooperationszeit bezahlt- unbezahlt…)
Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg
Ärzte /Psychotherapeuten Jugendhilfemitarbeiter
Arbeiten als selbständige Unternehmer Arbeiten im Angestelltenverhältnis
Entscheiden weitgehend autonom Sind in hierarchische Entscheidungsstrukturen eingebunden
Entscheidungen können schnell getroffen werden
Entscheidungen werden oft im Team getroffen und dauern länger
Sind während der Praxiszeiten immer erreichbar
Sind oft im Außendienst und nicht erreichbar
Sind in ein differenziertes Honorarabrechnungssystem eingebunden, bekommen Zeit für Kooperation und Vernetzung nicht bezahlt
Bekommen festes Gehalt, das die Zeit für Kooperation und Vernetzung einschließt
Haben Zeit für Gesprächstermine am Abend
Arbeiten in der Regel abends nicht mehr
Ärztliche Schweigepflicht Schutz der Weitergabe von Sozialdaten
Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg
Ärzte /Psychotherapeuten Jugendhilfemitarbeiter
Außenwahrnehmung eher positiv Außenwahrnehmung eher negativ
Kindeswohlgefährdung ist die Ausnahme, keine routinierten Arbeitsabläufe
Kindeswohlgefährdung gehört zum Alltag
Patienten kommen freiwillig Klienten müssen z. T. zur Kooperation bewogen werden
Stellen Diagnosen erarbeiten komplexe Problemanalyse
Selbstverständnis
Aber beide stehen am Ende einer Verantwortungskette
Gefahr der gegenseitigen Zuweisung der letzten Verantwortung
Konsequenzen für die Kinder
• „Späte“ Hilfen anstatt „Frühe“ Hilfen
• Manifestation von Symptomatiken
• Begünstigung von chronischen Krankheitsverläufen
Lösungsansatz
Ärztliche Qualitätszirkel als gemeinsames fachliches Forum für die Vernetzung von Ärzten und Psychotherapeuten und Mitarbeitern der Jugendhilfe
Initiierung eines Modellvorhabens bei der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW)
Unterstützung der Vernetzung über eine Koordinationsstelle bei der KVBW
Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg
Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg
Warum ein Projekt zur besseren Vernetzung von Ärzten und der Jugendhilfe bei der KVBW?
Die KV ist als politische Interessenvertretung in der Lage sozialpolitische Forderungen aufzustellen und kann über notwendige Finanzierungen verhandeln
Ziel: Über die Strukturen der KVBW die Vernetzung von Gesundheitswesen und Jugendhilfe voranbringen
Projektbeginn: 01.09.2010; Finanzierung durch das Nationale Zentrum Frühe Hilfen im Auftrag des Bundesfamilienministeriums
Ende der Projektphase 31.08.2013
Anschlussförderung über die Bundesinitiative Frühe Hilfen, abgewickelt über das Land Baden-Württemberg
Unsere Kooperationspartner (1)
Landesärztekammer
Landespsychotherapeutenkammer
Hausärzteverband
Berufsverband der Frauenärzte Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte
Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie
Deutsche PsychotherapeutenVereinigung
Vereinigung analytischer Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten
Unsere Kooperationspartner (2)
Nationales Zentrum Frühe Hilfen
Städtetag
Landkreistag
Kommunalverband Jugend und Soziales, Landesjugendamt
Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren
Vertreter von zwei Krankenkassen Baden-Württembergs (AOK, BKK Landesverband)
Hauptaufgaben der Koordinationsstelle bei der KV
Initiieren von örtlichen Aktivitäten und Zusammenführen von Qualitätszirkel-Moderatoren-Tandems in den jeweiligen Stadt- und LandkreisenKontakt- und Informationsvermittlung bei Anfragen von Vertragsärzt/innen/ bzw. –psychotherapeut/innen und nichtärztlichen Hilfesystemen Unterstützung der Jugendämter bei der Zusammenarbeit mit Vertragsärzten/-psychotherapeutenOrganisation und Durchführung der vorgesehenen Fortbildungen und FachtagungenVerhandlungen mit Krankenkassen über eine Vergütungsregelung für Ärzte/PsychotherapeutenMitarbeit bei der Evaluation des Projektes Öffentlichkeitsarbeit auf Landes- und Bundesebene
Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg
Ausbildung von Moderatoren-Tandems
Modellhafte Ausbildung von regionalen Qualitätszirkelmoderatoren-Tandems
jeweils ein(e) Vertragsarzt/ärztin, Psychotherapeut/in und ein(e) Vertreter(in) aus der Jugendhilfe/ Bereich: Allgemeiner Sozialer Dienst, Frühe Hilfen, Erziehungsberatungsstelle
Ziele der Tandemschulung
Aufdeckung gegenseitiger Vorurteile
Abgrenzung von professionsbezogen Rollen bei Ärzten/Psychotherapeuten und Jugendhilfe
Training der Moderation der Familienfallkonferenz
Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg
Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg
Arbeiten mit der Methode „Familienfallkonferenz“
MP 1: Fallgeschichte
MP 2: Anamnese des Fallverlaufs
MP 3: Sammlung von Risiko-/ Ressourcenfaktoren im Fall durch Zirkelärzte und
Jugendamtsmitarbeiter
MP 4: Risikoeinschätzung
MP 5: Neuer Plan zum Vorgehen im Fall
MP 1: Fallgeschichte:.............................................Datum...............
Achtung Moderation: Hier erst protokollieren, wenn dieser Gesprächsabschnitt abgeschlossen ist! 20 Minuten: 5 Min Fallvorstellung, 15 Min Sammlung der Ideen zum Fall
Ideen der Gruppe zum Fall
Mod. Plakat 1 FFK / RVS 20.3.2011 © Prof. Dr. med. Marcus Siebolds
MP 2: Anamnese des Fallverlaufs
Achtung Moderation: Hier von Anfang an genau protokollieren! 15 Minuten, zuerst auf Flipchart sammeln, dann ins Plakat eintragen
Anamnese Jahr
Fehlende Informationen zum Fall
Mod. Plakat 2 FFK / RVS 20.3.2011 © Prof. Dr. med. Marcus Siebolds
MP 3: Sammlung von Risiko-und Schutzfaktoren im Fall von Zirkelärzten und
Jugendamtsmitarbeitern - Achtung Moderation: Hier von Anfang an genau protokollieren!
10 Minuten, zuerst Ärzte, dann Jugendamt
Sammlung Risikofaktoren Ärzte
Sammlung Risikofaktoren Jugendamt
Sammlung Schutzfaktoren Ärzte
Sammlung Schutzfaktoren Jugendamt
Mod. Plakat 2 FFK / RVS 20.03.2011 © Prof. Dr. med. Marcus Siebolds
MP 4: Risikoeinschätzung des Falls von Zirkelärzten und Jugendamtsmitarbeitern -
Achtung Moderation: Hier von Anfang an genau protokollieren! 10 Minuten, zuerst Ärzte, dann Jugendamt
Risikoeinschätzung Ärzte
Risikoeinschätzung Jugendamt
Einschätzung Schutzfaktoren Ärzte
Einschätzung Schutzfaktoren Jugendamt
Mod. Plakat 2 FFK / RVS 20.03.2011 © Prof. Dr. med. Marcus Siebolds
MP 5: Neuer Plan zum Vorgehen im Fall Achtung Moderation: Hier von Anfang an genau protokollieren! Letzten Abschnitt auf keinen Fall vergessen!!!!!
10 Minuten, zuerst Ärzte, dann Jugendamt
Definition eines Versorgungsziels
Welche Interventionen sind notwendig?
Wie rede ich mit der Familie über eventuelle Veränderungen?
Mod. Plakat 4 FFK / RVS 20.03.2011 © Prof. Dr. med. Marcus Siebolds
Ergebnisse der wissenschaftl. Begleituntersuchung
Mit der Familienfallkonferenz wächst die Kompetenz zur Fallarbeit
Neue Handlungsmöglichkeiten werden eröffnet
professionelles Bewusstsein zu eigenen Handlungsgrenzen wird gefördert
Das Bewusstsein über die Komplexität von Problemlagen steigt
Komplexität von Problemlagen bedeuten aber auch Verunsicherung im Hinblick auf präzisere Risikoeinschätzung und das eigene Handeln
Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg
Beteiligte Kreise (Stand April 2014)
Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg
Wesentliche Voraussetzungen für die Nachhaltigkeit des Projekts
Vertrag über die Finanzierung der ärztlichen Mitarbeit durch die Krankenkassen
Entwicklung eines für Vertragsärzte anwendbaren Verfahrens zur Früherkennung von Belastungssituationen in Familien
Verstetigung der Koordinationsstelle bei der KVBW
Grundlagen eines Vertragsentwurfs mit den Krankenkassen
Versorgungsziele:Schnittstellen zwischen Jugendhilfe und Vertragsärzten definieren
Vernetzung fördern und Kommunikationswege standardisieren
Frühe Hilfevermittlung und Annahme von Hilfe durch die Versicherten
Passgenaue Hilfen vermitteln, Fehlversorgung vermeiden
Vermeidung von chronifizierten Fallverläufen und erhöhtem Morbiditätsrisiko
Kostenersparnis für Gesundheitswesen und Jugendhilfe
Vertrag mit Krankenkassen
Schwierigkeiten:Im SGB V keine Rechtsgrundlage für eine so geartete Leistung vorgesehenSGB V sieht nur Logo/Ergotherapie, Einsatz von Hebammen vorSGB-übergreifender Vertrag (Neuland, gibt es bislang nirgends)Vertrag muss so gestaltet sein, dass BMG bzw. BVA Vertrag nicht beanstandet
Zielgruppen des Vertrages
Auf der Ärzteseite: Kinder- und Jugendärzte, Hausärzte, Gynäkologen und Psychotherapeuten
Auf der Versichertenseite: Familien mit Kindern von 0 bis 3 Jahren, die psychosoziale oder ökonomische Belastungen haben
Finanzierte Leistungen aus dem Vertrag
Erkennen von Familien mit psychosozialem Hilfebedarf
Information der Eltern und Motivation zur Hilfeannahme im Jugendhilfesystem anhand eines Beratungsalgoritmus (wird derzeit erarbeitet)
Gezielte Vermittlung an bestehende Hilfsangebote der Jugendhilfe
Teilnahmevoraussetzungen
Voraussetzungen für die Teilnahme:
Regelmäßige Teilnahme an Fallbesprechungen im Qualitätszirkel
Teilnahme an einer Schulung zum Beratungsalgorithmus
Instrumente zum Casefinding
Fallfindung mittels Aufgreifkriterien
Abarbeiten einer kurzen Checkliste mit den Eltern im Verdachtsfall, um mehr Informationen über die Belastungssituation der Familie zu erhalten
Aufgaben der KVBW
Schulung der Ärzte hinsichtlich Checkliste und Beratungsalgoritmus
Weitere Implementierung von interdisziplinären Qualitätszirkeln Frühe Hilfen in Baden-Württemberg
Maßnahmen zur Qualitätssicherung
Stand der Vertragsverhandlungen
Dreiseitiger Rahmenvertrag Kommunale Spitzenverbände – KVBW – BKKen konsentiert
Vertrag mit BKKen ist unterschriftsreif, Vergütungsfragen und Rahmenbedingungen sind geklärt
Ziel: Inkrafttreten zum 01.04.2014
Schulung auf Instrumente und Teilnahme am Vertrag
Erste Fortbildung von 49 Ärzten und Psychotherapeuten für die Teilnahme am Vertrag erfolgte als Pilotveranstaltung am 25.01.2014,
Teilnehmende waren überwiegend Kinder- u. Jugendärzte
Übertragbarkeit in andere Bundesländer
Dramaturgie Familienfallkonferenz erscheint in der Neuauflage des Handbuchs Qualitätszirkel der KBV
KBV-Manual wurde als Anleitung zur Vorgehensweise erstellt
Vorträge durch die Koordinationsstelle in anderen Bundesländern
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!