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Medienethik zwischen Publizistik und Ökonomie
Regeln und Instanzen: der Presserat
16. Oktober 2009; IPMZ, HS 3.02; 10.15-11.45 Uhr
Prof. Dr. Vinzenz Wyss
Forschungsleiter IAM, ZHAW Winterthur
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Berufskodizes und Selbstregulierung
Hintergrund: Dilemma der Entstehung
Einerseits mögliche gesetzliche Restriktionen abzuwehren, andererseits einen positiven Orientierungsrahmen für die Profession bieten (Abwehr schärferer Gesetze durch Selbstkontrolle)
Entstehung: insbesondere zwischen 1960-1970
Pressekodizes als ein elementarer Bestandteil einer professionellen Selbstregulierung:
Selbstregulierung, verstanden als die Fähigkeit eines Sektors, die Formulierung und Implementierung von Maßnahmen, die gewünschtes Verhalten wahrscheinlicher machen, zu sichern, setzt eine gewisse Organisationsfähigkeit dieses Sektors und ein Interesse an einem gemeinsamen Vorgehen voraus.
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Kodizes auf nationaler und internationaler Ebene
1936 Union internationale des association de presse formuliert ethische Prinzipien
1939 Fédération internationale des journalistes (FIJ) verabschiedet Ehrenkodex
1950 Versuch der UNO zur Erarbeitung eines internationalen Kodices
1954 FIJ: Erklärung von Bordeaux
Gemeinsamkeit:, grundlegende Regeln zum Gebaren der Medien und der in ihnen Tätigen; Adressaten sind sowohl Arbeitgeber als auch Journalistinnen und Journalisten
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Werkzeuge der gemeinsamen berufsethischen Arbeit an praxistauglicher Medienethik sind die Journalistenkodices (Anhang 2) als Normenkataloge und die Presseräte als Diskurs- und Beschwerdeinstanzen bei Kodexverletzungen.
Kodices und Presseräte sind eigentlich primär der Individualethik verpflichtet, was zu ihrer bescheidenen Effizienz beiträgt. Allerdings: die Kodices formulieren zwar in ihrem Hauptteil "Pflichten der Journalisten", aber die Beschwerdeentscheide beurteilen das Verhalten von Redaktionen, Zeitungen und Sender, mithin also institutionelle Adressaten. (vgl. www.presserat.de, www.presserat.ch).
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• Der Deutsche Presserat wirkt seit 1956, ist auf die Presse beschränkt und
paritätisch mit Repräsentanten der Verleger und Journalisten strukturiert; es
sind keine Publikumsvertreter dabei.
• Der Schweizer Presserat tagt ab 1977; seit er sich 2000 erneuert hat, tragen
ihn alle vier Journalistenverbände, und im operativen Presserat sitzen auch
Publikumsvertreter. 2008 sind Verleger und SRG SSR (öffentlichrechtlicher
Rundfunk) der Trägerschaft beigetreten. Diskurs- und Beschwerdethemen:
Veröffentlichte Berichte und Kommentare in Presse/Radio/Fernsehen.
• Österreichs Presserat ist 2001 über Streitigkeiten zwischen
Journalistengewerkschaft und Verlegern implodiert; an einem Wiederaufleben
wird gearbeitet (Stand Ende 2008).
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Studie: Wie beurteilen die Medienschaffenden den Presserat und seine Werkzeuge?
1. Wissen: Sind der Presserat und dessen Instrumente bei den Schweizer Medienschaffenden bekannt?
2. Anwendung: Inwiefern greifen sie im redaktionellen Alltag zurück auf…
– … „Kodex“ und Richtlinien
– … Stellungnahmen ?
3. Akzeptanz und Leistungsbewertung: Wie wird die Wirksamkeit der Arbeit des Presserates beurteilt?
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Die angewandte Methodik
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Quantitative Untersuchung
• Online-Befragung
– Fragebogen: Deutsch/Französisch/Italienisch
• «Pretest» bezüglich Praxistauglichkeit
• Anbahnung (Chefredaktionen) mittels
– Brief
– Telefonische Kontaktaufnahme
– Mail mit Link zur Umfrage
– Nachfassaktion
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Stichprobe
• Stichprobenbestimmung nach Vielfaltspostulat
– Medientypen (Print, TV und Radio privat/öffentlich)
– Vier Sprachregionen
– Periodizität
– Auflage/Reichweite
• 208 Redaktionen kontaktiert
– 152 ausgewiesene Redaktionen
– Rücklaufquote: 73%
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Das Sample der Online-Befragung
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Sample
• 152 ausgewiesene Redaktionen:
– 77 Redaktionen mit bis zu 4 Antw.
– 59 Redaktionen mit 5 bis 20 Antw.
– 8 Redaktionen mit 21 bis 50 Antw.
• 88 Antwortende ohne Angabe des Mediums
N = 1329
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20
30
40
50
60
70
80
90
100
Alle
Französisch
Chef
72% kennen Richtlinien zum „Kodex“
Wie gut kennen die Journalisten den Schweizer Presserat? (in %)
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40
50
60
70
80
90
100
Keine Weiterbildung
Journalistik
Berufsspezifische Weiterbildung: Kenntnis Schweizer Presserat? (in %)
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Der „Kodex“
Die Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten?
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Woher kennen die Journalisten den Journalistenkodex? (in%;
Mehrfachantworten möglich)
8.6
13.6
15.3
18.3
25.2
32.2
41.8
0 10 20 30 40 50
weiss nicht
interne Weiterbildung
vom Vorgesetzten
anderswo
interne red. Leitlinien
Berufsverband
externe Aus-/Weiterb.
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Wie häufig greifen Journalisten im Alltag auf den Journalistenkodex zurück? (in%)
Wöch-entlich:
6
> als 1x
p.M.: 6
Einmal im
Monat: 8
Halb-jährlich:
18
Einmal im Jahr:
15
Weniger als einmal im Jahr:
22
Nie: 25
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
38%
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Wie häufig greifen Journalisten im Alltag auf den Journalistenkodex zurück? (in%)
Wöch-entlich:
6
> als 1x
p.M.: 6
Einmal im
Monat: 8
Halb-jährlich:
18
Einmal im Jahr:
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Weniger als einmal im Jahr:
22
Nie: 25
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
38%
Zugriff auf Kodex nach Hierarchiestufen (in%)
34.3
36.5
56.4
65.7
63.5
43.6
0% 20% 40% 60% 80% 100%
Mitarbeiter ohne Führung
teilw eise Führung
Führung
mind. halbjährlich w eniger als halbjährlich
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0
1
4
4
4
12
37
32
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47
58
53
13
27
42
45
41
32
13
8
9
85
68
36
33
32
23
3
1
1
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
Presserat pers. anfragen
Berufsverb./Gew erksch. konsult.
Externe Sachexperten befragen
Journalistenkodex/Stellungn.
Sachliteratur konsultieren
Interne Sachexperten befragen
Vorgesetzten konsultieren
Auf eigene Berufserf. vertrauen
Redaktionskollegen konsultieren
immer oft selten nie
Was tun Journalisten, wenn sie berufsethische Entscheidungen zu treffen haben? (in%)
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Was tun Journalisten, wenn sie berufsethische Entscheidungen zu treffen haben? (in%)
6
17
15
31
43
49
44
37
29
187
3
0% 20% 40% 60% 80% 100%
Mitarbeiter
Teilw. Führung
Führung
immer oft selten nie
⇨ Konsultation Journalistenkodex/Richtlinien/Stellungnahmen
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3
9
4
11
9
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19
24
22
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50
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26
16
18
15
16
14
16
0% 20% 40% 60% 80% 100%
einflussreich
stimulieren den Dialog unter Kollegen
auf das Notwendige beschränkt
helfen Entscheide zu treffen
praxisnah
für berufsethische Debatten unverzichtbar
nützlich
dienen der Orientierung
verständlich
trif f t sehr zu trif f t eher zu trif f t w eniger zu gar nicht zu w eiss nicht
Die Inhalte des „Kodex“ / der Richtlinien sind… (in%)
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Die Stellungnahmen
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33
22
21
15
13
53
28
69
0 20 40 60 80 100
in der Aus-/Weiterbildung davon gehört
E-Mail-Versand des Presserates
«www.presserat.ch» (Stellungnahmen)
Fachzeitschriften
Redaktionsinterne Informationen
Branchen-Newsletter (z.B. Klein-Report, persönlich)
Agenturmeldungen
Kurzmeldungen in Printmedien
Kennen Sie die Stellungnahmen des Presserates?
Kenntnis der Stellungnahmen – Kanal (in %)
Über welchen Kanal erfahren Sie üblicherweise von den Stellungnahmen?
50 % lesen die
Stellungnahmen
mindestens
oft
77
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Stellenwert der Stellungnahmen … (in %)
1
4
27
10
10
23
20
40
53
38
26
35
36
36
27
15
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
Stellungnahmen werden intern diskutiert
Stellungnahmen zu anderen Medien werdenveröffentlicht
uns betreffende Stellungnahmen werdenveröffentlicht
ich lese die Stellungnahmen
immer oft selten nie
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Veröffentlichung von Stellungnahmen, die die eigene Redaktion betreffen (in %)
10
22
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9
18
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Private Elektronisch
OeffentlichRechtlich
immer oft selten nie
nach Medientyp
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Der Presserat in der Kritik
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5
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10
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3
1
1
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13
12
9
18
14
13
11
0% 20% 40% 60% 80% 100%
stimuliert den Dialog unter Berufskollegen
einflussreich
hilft mir im Alltag mit seinen Stellungnahmen
öffentlich präsent
in der Praxis hoch angesehen
praxisnah
aktiv
fachlich kompetent
trif f t sehr zu trif f t eher zu trif f t w eniger zu gar nicht zu w eiss nicht
Würdigung: Der Presserat ist… (in %)
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Nutzen: Der Presserat... (in %)
17
18
26
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0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
stimuliert die Diskussion über Entw . in Branche
hilft einer Verrechtlichung entgegenzuw irken
w eckt Verständnis für Medienethische Frage
bietet eine neutrale Beschw erdestelle an
verteidigt die Medienfreiheit
stärkt Glaubw ürdigkeit der Medien
stimme voll zu stimme eher zu w eniger zu nicht zu w eiss nicht
> 62%
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Wissen: Journalisten…
• kennen den Presserat und den Kodex (90%)
• kennen die Richtlinien zum Grossteil (72%)
• kennen die Stellungnahmen zum Grossteil (77%)
• Personalisierung
Präsident: D-CH 65% ⇎ F-CH 24%
Mitglieder: D-CH 25% ⇎ F-CH 53%
• Wissens-Transfer durch berufsspezifische Weiterbildung
• Informationsquelle Nr. 1 = Publikation in Medien
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Anwendung und Nutzung
• > 50% konsultieren Kodex mindesten 1x im Jahr
• Verstärkter Rückgriff auf Kodex bei Chefs, Weitergebildeten, Verbandsmitgliedern
• Der Kodex ist…verständlich
nützlich, praxisnah,
für berufsethischen Diskurs unverzichtbar
⇎ nicht einflussreich, stimuliert kaum Dialog
⇨ «Abstrakter Nutzwert» versus «konkrete Hilfe für den Alltag»
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Akzeptanz und Würdigung
Der Presserat…
ist kompetent, praxisnah, aktiv
verteidigt Meinungsfreiheit
weckt Verständnis für medienethische Fragen
wirkt Verrechtlichung entgegen
⇎ ist nicht einflussreich, hilft kaum im Alltag
⇨ „Abstrakter Nutzwert“ versus „konkrete Hilfe für den Alltag“