Zukunftsperspektive 2030: Zwischen Pflegenotstand und gut versorgt? Es geht um mehr als Geld: Zur Aufwertung und Zukunft der Pflegearbeit
M I C H A E L A E V A N S , I N S T I T U T A R B E I T U N D T E C H N I K ( I A T ) | W E S T F Ä L I S C H E H O C H S C H U L E , G E L S E N K I R C H E N D I R E K T O R I N D E S F O R S C H U N G S S C H W E R P U N K T S » A R B E I T U N D W A N D E L «
2 1 . N O V E M B E R 2 0 1 8 | A R B E I T N E H M E R K A M M E R B R E M E N
Aufwertung und Zukunft der Pflegearbeit Professionelle und erwerbsförmig organisierte Pflegearbeit … …ist ein Wachstumsfeld für neue Arbeitsplätze und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. … gewährleistet die Fach- und Arbeitskräftesicherung anderer Wirtschaftsbranchen. …ist ein soziales Investitions- und Innovationsfeld.
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Zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Relevanz von Pflege-Arbeit
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Industrie & Produktion
Unternehmensbez.Dienstleistungen
Erwerbsförmig-organisierte, professionelle Pflege-Arbeit
unbezahlte, informelle Pflege-Arbeit
Traditionelle Gewährleistungsarbeit
1. Wachstums- und Beschäftigungsfeld, 2. Sicherung der Produktionsbedingungen anderer Wirtschaftsbranchen, 3. Professionelle Unterstützung familiärer Hilfe
Familiäre Hilfe und Sicherung der Produktionsbedingungen
Professionelle Pflege ist » Investitions- und Innovationsarbeit hoch 3«
Quelle: eigene Darstellung.
- Strukturwandel von Wirtschaft und Arbeitswelt -
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Quelle: DESTATIS, Statistisches Jahrbuch 2017*, für Erziehung und Unterricht, Gesundheits- und Sozialwesen 2015; eigene Berechnung und Darstellung
Gesundheits- und Sozialwesen: In keinem anderen Wirtschaftsbereich gibt es so deutliche Zuwächse der geleisteten Arbeitsstunden!
Neue Arbeitsplätze, aber auch vielfältige strukturelle Herausforderungen!
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465.000 490.000
514.000 536.000 561.000
960.000 980.000 1.000.000 1.020.000 1.040.000
0
200.000
400.000
600.000
800.000
1.000.000
1.200.000
2013 2014 2015 2016 2017
Altenpflegekräfte Krankenpflegekräfte
Wachstum Altenpflege 2013-2017: + 21,% Anteil Frauen: 84% (Gesamtwirtschaft: 46%) Anteil Helfer*innen 2017: 45% (GW: 16%) Anteil Teilzeit: 56% (GW: 28%)
Quelle: Bundesagentur für Arbeit (2018): Arbeitsmarktsituation im Pflegebereich. Mai 2018
Zwischen 2012 und 2017 sind die Teilzeitquoten in der Altenpflege gestiegen!
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24,90
63,95
44,84
27,93
67,21
46,17
0,00
10,00
20,00
30,00
40,00
50,00
60,00
70,00
80,00
Teilzeitquote alle Beschäftigte Teilzeitquote Altenpflegehilfskräfte Teilzeitquote Altenpflegefachkräfte
2012
2017
Quelle: Bundesagentur für Arbeit (2018); eigene Berechnung und Darstellung
Entwicklung von Arbeitslosigkeit und gemeldeten Stellen in der Altenpflege: Wirklich »leergefegte« Arbeitsmärkte?
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37.100 37.400
35.500 33.700
32.200
13.600 14.200
18.300
20.700
23.300
0
5.000
10.000
15.000
20.000
25.000
30.000
35.000
40.000
2013 2014 2015 2016 2017
Arbeitslose gemeldete Arbeitsstellen
Anteil der Helfer*innen Arbeitslose 2017: 90% Anteil der Helfer*innen bei gemeldeten Arbeitsstellen 2017: 36% (+ 6% seit 2013)
Quelle: Bundesagentur für Arbeit (2018): Arbeitsmarktsituation im Pflegebereich. Mai 2018
Zwischen Juli 2013 bis Juni 2016 beendeten bundesweit insgesamt 12.100 Personen erfolgreich eine Weiterbildung zur Altenpflegefachkraft. Die Eingliederungsquote betrug 91%.
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Quelle: Bundesagentur für Arbeit (2018): Arbeitsmarktsituation im Pflegebereich. Mai 2018
Fachkräfteprognose Altenpflege: Der Arbeitskräfteengpass wird weiter wachsen (Berufsgruppe 821)…
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Quelle: Neldner et al. (2017): Entwicklung der Angebotsstruktur, der Beschäftigung sowie des Fachkräftebedarfs im nichtärztlichen Bereich der Gesundheitswirtschaft
Vereinbarkeit Pflege & Beruf: Eine verlässliche Pflege-Infrastruktur ist für alle Wirtschaftsbereiche notwendig!
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Quelle: Index Gute Arbeit kompakt 2/2018: Berufstätige mit Pflegeverantwortung. Zur Vereinbarkeit von Arbeit und Pflege.
Rund jede/-r 11. Beschäftigte in D pflegt einen Angehörigen!
Der Zeitaufwand für informelle Pflege in privaten Haushalten ist enorm! Dieses Arbeitsvolumen bleibt bei Fachkräfteprognosen häufig unberücksichtigt!
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Quelle: Hielscher, Kirchen-Peters, Nock (2017)
Pflege von Angehörigen: Nicht selten ein Full-Time-Job! Zusatzbedarf an professioneller Care-Arbeit durch Rückgang informeller Pflege- und Betreuungskapazitäten!
Aufwertung: Was wird diskutiert und vor welchen Herausforderungen stehen wir? Zentrale Aufwertungsthemen Aktuelle Herausforderungen
Schaffung und Finanzierung zusätzlicher Stellen
Verfügbarkeit von Fachkräften auf dem Arbeitsmarkt Refinanzierungsgrundlagen
Personalbemessung Bedarfsorientierung als Grundlage
Reduzierung der Arbeitsbelastung Personalmangel, Entlastung im Arbeitsprozess statt „Rückenschule“, unklarer Nutzen/nur wenig Erkenntnisse zur Evidenz von Technikeinsatz, knappe Ressourcen für betriebl. Experimentierräume
Arbeits(zeit)organisation und neue Arbeitspotenziale erschließen
Um-/Neuverteilung von Arbeitszeit, neue betriebsorganisatorische Konzepte, zusätzliche individuelle Unterstützungsbedarfe
Berufliche Entwicklungsperspektiven Absenkung Kompetenzniveau Altenpflege, Akademisierungstrend versus Zukunft der fachschulischen Ausbildung, unklare horizontale und vertikale Karrieremöglichkeiten und Verdienstoptionen
Mindestarbeitsbedingungen, Tarifbindung, Verdienste
Fragmentierte Verhandlungsarenen, divergierende verbandliche Interessen und politisches Lobbying, Refinanzierung, Reichweite arbeitspolitischer Normsetzung
Mitbestimmung, Zusammenspiel Berufsverbände und Gewerkschaften, Stärkung betrieblicher und überbetrieblicher Verhandlungsstrukturen
Kleinst- und Kleinunternehmen ohne Interessenvertretung; „Diffuser“ Mehrwert kollektiver Interessenorganisation, unklares Zusammenspiel berufspolitischer und gewerkschaftlicher Interessenorganisation, Professionalisierung der Gremienarbeit
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Die 14 Schlüsselfaktoren für erfolgreiche Personalarbeit in der stationären Langzeitpflege: Die Baustellen sind eigentlich bekannt!
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SF 1 | Neue Arbeits- und Lebenszeitmodelle
SF 2 | Verlässliche Dienstplangestaltung
SF 3 | Work-Life-Blending
SF 4| Inhouse-Trainings und Qualifizierungsangebote
SF 5 | Wissen anwenden können
SF 6 | Gute Führung
SF 7 | Entbürokratisierung
SF 8 | Attraktive Vergütung
SF 9 | Assistenzberufe
SF 10 | Stabile Arbeitsplätze
SF 11 | Gesundheitsförderung
SF 12 | Gendersensible Arbeitsplatzgestaltung
SF 13 | Förderung Älterer Beschäftigter
SF 14 | Lokale Arbeitsmarktstrategien
Quelle: ddn (2017), Arbeitskreis Sozialwirtschaft
→Wie weit sind Pflegeeinrichtungen in HB?
Was sind aktuelle Ansätze in der Politik? Sofortprogramm, Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG)
Jede zusätzliche Stelle wird refinanziert, Tarifsteigerungen werden voll refinanziert,
Vergütung von Auszubildenden im 1. Ausbildungsjahr wird vollständig refinanziert
(Krankenhaus)
Krankenhausindividuelle Vergütung von Personalkosten (Krankenhaus)
Einrichtungen in der Altenpflege mit bis zu 40 Bewohnern erhalten eine halbe
Pflegestelle, Einrichtungen mit 41 bis 80 Bewohnern eine Pflegestelle,
Einrichtungen mit 81 bis 120 Bewohnern eineinhalb und Einrichtungen
mit mehr als 120 Bewohnern zwei Pflegestellen zusätzlich (Altenpflege)
Refinanzierung von Personalkosten bis zur Höhe tarifvertraglicher
Vereinbarungen/AVRs bei Leistungen nach SGB V (Altenpflege)
Investitionen in Digitalisierung in der Altenpflege (12.000 EUR; 40% Kofinanzierung)
Erhöhung der Selbsthilfeförderung in der Pflege
(0,15 EUR je Versichertem, 12 Millionen Euro)
Erhöhung der Ausgaben für betriebliche Gesundheitsförderung
(von 2,15 auf 3,15 / Versichertem p.a.)
Finanzielle Förderung zielgerichteter Maßnahmen, die besondere
Betreuungsbedarfe und familienunterstützende Maßnahmen abdecken
Personalbemessung in der Langzeitpflege gem. § 113c SGB XI
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Die »Konzertierte Aktion Pflege« (KAP)
5 Themenfelder |
1. Ausbildung und Qualifizierung
2. Personalmanagement, Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung
3. Innovative Versorgungsansätze und Digitalisierung
4. Pflegekräfte aus dem Ausland
5. Entlohnungsbedingungen in der Pflege
Ausarbeitung konkreter Vorschläge bis zum Frühjahr 2019!
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1. Das Arbeits- und Beschäftigungssystem »Pflege« insgesamt stärken!
»Gute Pflege« ist in ein betriebliches Beschäftigungssystem eingebunden. Viele unterschiedlichen Berufe, Qualifikationsniveaus und Aufgabenfelder sind an Patientenorientierung, Versorgungs- und Lebensqualität beteiligt. Die »Krise der Pflege« wird häufig (selbstreferentiell) entweder auf einen unvollendeten Professionalisierungsprozess oder auf mangelnde gesellschaftliche Anerkennung der Pflege zurückgeführt.
Gefahr einer isolierten Professionspolitik mit unzureichender Anschlussfähigkeit an arbeitspolitische Governancestrukturen und -logiken.
POLITIK FÜR »GUTE PFLEGE« HEISST: PROFESSIONSPOLITIK, ARBEITSPOLITIK UND INNOVATIONSPOLITIK ZUSAMMENBRINGEN!
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Die unterschiedlichen Rahmenbedingungen, arbeitspolitischen Entwicklungen und Anforderungen innerhalb und zwischen den pflegerischen Berufen und Arbeitsfeldern müssen stärker berücksichtigt werden.
Wenn unreflektiert von »der Pflege« gesprochen wird, werden Polarisierungsrisiken zwischen den Pflegeberufen, den Qualifikationsniveaus und Einsatzfeldern nivelliert.
VERDIENSTUNGLEICHHEITEN
ABWERTUNG KOMPETENZNIVEAU ALTENPFLEGE
WIRKUNGEN AKTUELLER PFLEGEPOLITISCHER REFORMEN
STRUKTURWANDEL DER ALTENPFLEGE
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2. Polarisierungsrisiken zwischen den Pflegeberufen nicht aus dem Blick verlieren!
Um den akuten Fach- und Arbeitskräfteengpässen zu begegnen, greifen erst mittelfristig wirksame Konzepte, Instrumente und Umsetzungsstrategien zu kurz.
Notwendig sind Maßnahmen die zeigen, wie Arbeitgeber sich im Zusammenspiel mit betrieblichen Interessenvertretungen schon heute für eine moderne betriebliche Personalpolitik engagieren.
ZERTIFIZIERTE ARBEITGEBER- UND AUSBILDERATTRAKTIVITÄT & ANREIZE
MEHRWERT MITBESTIMMTER AUFWERTUNGSSTRATEGIEN
CAPACITY-BUILDING FÜR BETRIEBS- UND SOZIALPARTNER
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3. Nicht nur »Prinzip Hoffnung«, sondern zeigen, wie Pflegeunternehmen heute schon eine moderne Personalpolitik gestalten!
Es wird darauf gesetzt, dass organisatorische und digitale Innovationen Arbeitsprozesse zeitnah effektiver und effizienter machen und Ressourcen sparen. Vorliegende Untersuchungen zeigen, dass in betrieblichen Veränderungsprozessen zunächst zusätzliche Ressourcen für eine arbeitsorientierte Modernisierung benötig werden.
Es besteht die Gefahr vorschneller „window-dressing“- Kampagnen.
AUFBAU BETRIEBLICHER INTERESSENVERTRETUNGSSTRUKTUREN
ZEIGEN, WIE BETRIEBLICHE MODERNISIERUNGSKAPAZITÄTEN IM DIALOG DER BETRIEBSPARTNER MIT PERSPEKTIVE ERSCHLOSSEN WERDEN KÖNNEN
PARTIZIPATION – PARTIZIPATIVE SICHERHEIT – PARTIZIPATIVES VERTRAUEN
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4. Mehr Ressourcen für eine mitbestimmte, arbeitsorientierte Modernisierung!
PROJEKT DIALOGS: Aufbau betriebspartnerschaftlicher Ressourcen zur Fachkräftesicherung (2018-2019)
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Hintergrund |
Beteiligte: IAT, Bildungswerk ver.di Osnabrück, BIG – Bildungsinstitut im Gesundheitswesen e.V., ver.di FB 3 Niedersachsen, Hessen
Komplexe Herausforderungen schaffen Unsicherheit bei allen Beteiligten, nicht jedes Risiko ist berechenbar
Ziele |
Digitale Technologien als Mittel für die Verbesserung mitarbeiter- und bewohnerorientierter Prozesse
Identifizierung betrieblicher Einsatzfelder für arbeitsorientierten Technikeinsatz
Überprüfung und Weiterentwicklung bestehender betrieblicher Vereinbarungen, Verfahren und Instrumente zur Technikauswahl, -einführung und -bewertung
Capacity-Building der Betriebspartner
Mehrwert »mitbestimmter Modernisierung«
Perspektiven der Beteiligten erfassen
Voraussetzungen identifizieren
Felder und Strategie festlegen
Lernen von
»Pionierunternehmen«
Übertragung der Lernerfahrung
Zukunftsvereinbarung
Das Instrument »Lernreise«
Zum Abschluss…
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ES BRAUCHT DIE PFLEGEUNTERNEHMEN UND IHRE BESCHÄFTIGTEN, DAMIT AUS DEM »KAP DER GUTEN HOFFNUNG« EINE ZUKUNFT FÜR DIE PFLEGE WIRD!