e business aus branchensicht-handel und dienstleistungen

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Auszug aus: IBM Unternehmensberatung GmbH, Harald R. Rost, Cornelius Schulz-Wolfgramm “e-business” (ISBN 3-927282-81-2) III. e-business aus Branchensicht Handel und Dienstleistungen Harald R. Rost Principal und Practice Leader Consumers, Retail & e-commerce Neue Chancen durch das Internet Entwicklungen zu erkennen und daraus eine mögliche Zukunft abzuleiten war schon immer das Bestreben der Menschen, und dennoch waren die Prognosen - zumindest was die zeitliche Perspektive betrifft - selten sehr genau. Es gibt zahlreiche Beispiele - denken Sie nur an George Orwell, der bereits für 1984 den gläsernen und somit überwachbaren Menschen voraussah, oder an die vielen Berichte in den letzten Monaten zur dynamischen Entwicklung des Internets und dessen Potentials, ganze Branchen und die Regeln des Wettbewerbs zu verändern. Trotz des Bewußtseins über die Unsicherheit solcher Vorhersagen müssen wir uns in der Geschäftswelt mit möglichen "Zukünften" auseinandersetzen, um frühzeitig wichtige Positionen am Markt besetzen zu können. In der Vergangenheit war dies noch vergleichsweise einfach, da die Kräfte der Veränderungen sich nur langsam und mehr oder weniger linear entwickelten. Heute und für die Zukunft "erahnen" wir, daß sich das Tempo dramatisch steigern wird, daß Veränderungen nonlinear und mit massiver Wucht zuschlagen, daß wir uns vorbereiten müssen, um zu gestalten und nicht von anderen "gestaltet zu werden". Es geht also darum, frühzeitig unter der sichtbaren Oberfläche versteckte Signale zu erkennen und das Unternehmen rechtzeitig auf die dann später auch für alle anderen Marktteilnehmer und Wettbewerber sichtbaren Auswirkungen auszurichten. Ausgangssituation im Handel In Deutschland erleben wir das sechste Jahr in Folge mit einem nominalen Umsatzrückgang - bereits 1997 waren es ca. 15 Mrd. DM! Dies entsprach etwa 2% des gesamten Marktes. Ursache ist die schwache Nachfrage aufgrund der schlechten gesamtwirtschaftlichen Situation und Perspektive. Die verfügbaren Haushalts-Nettoeinkommen sinken bei gleichzeitig stetig steigenden Abgaben. Es ist nachvollziehbar, daß die Masse der Bevölkerung somit ihre Bedarfsstruktur und damit ihre Ausgaben nach Prioritäten ordnet. Der konventionelle Handel ist der Verlierer. Dennoch zeigen Beispiele aus anderen konsumorientierten Branchen, daß der Verbraucher sehr wohl geneigt ist, in bestimmten Situationen und für bestimmte Produkte (viel) Geld auszugeben. Man denke nur an die steigenden Absatzzahlen in der Automobilindustrie und in der Reisebranche. Der Kampf um den "Share of Stomach" erweitert sich also um den branchenübergreifenden Kampf um den "Share of Wallet". Hier wäre sicher ein Ansatzpunkt für den Handel, um abfließende Umsätze durch neue Konzepte wieder einzufangen, wenn es gelingen würde, sich eine exklusive Position zwischen dem Verbraucher und den Herstellern unterschiedlichster Produkte zu sichern. Dies setzt ein radikales Umdenken voraus: Der Händler wäre nicht mehr - wie nach bisherigem Selbstverständnis - Anbieter von vordefinierten Warenkörben, sondern würde im Auftrag des Kunden den Einkaufsprozeß übernehmen und die gewünschte Lösung nach ganz persönlichen Einkaufskriterien zusammenstellen. Das Verbraucherverhalten hat sich in den letzten 40 Jahren grundlegend verändert. Zur Deckung des täglichen Grundbedarfs (z.B. Lebensmittel) benötigt der Konsument heute sowohl weniger Zeit als auch weniger Geld, und dennoch zeigen Umfragen, daß das Leben als streßbeladen und als kompliziert bewertet wird. Gründe hierfür sind zum einen der hektische Berufsalltag und zum anderen - paradoxerweise - der steigende Freizeitanteil. Das Organisieren der Frei- und Erholungszeit nimmt immer mehr Zeit in Anspruch, so daß der subjektiv wahrgenommene Genußwert sinkt! Ein Teufelskreis! Schon vor einem Jahrzehnt wies Kurt Sontheimer nach, daß westliche Wohlstandsgesellschaften dazu neigen, "enttäuschungsproduktiv" zu sein. Die Menschen fühlen sich subjektiv immer schlechter. Das ständige Starren auf die Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen läßt immaterielle Aspekte des

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Page 1: E business aus branchensicht-handel und dienstleistungen

Auszug aus: IBM Unternehmensberatung GmbH, Harald R. Rost, Cornelius Schulz-Wolfgramm “e-business” (ISBN 3-927282-81-2) III. e-business aus Branchensicht Handel und Dienstleistungen Harald R. Rost Principal und Practice Leader Consumers, Retail & e-commerce Neue Chancen durch das Internet Entwicklungen zu erkennen und daraus eine mögliche Zukunft abzuleiten war schon immer das Bestreben der Menschen, und dennoch waren die Prognosen - zumindest was die zeitliche Perspektive betrifft - selten sehr genau. Es gibt zahlreiche Beispiele - denken Sie nur an George Orwell, der bereits für 1984 den gläsernen und somit überwachbaren Menschen voraussah, oder an die vielen Berichte in den letzten Monaten zur dynamischen Entwicklung des Internets und dessen Potentials, ganze Branchen und die Regeln des Wettbewerbs zu verändern. Trotz des Bewußtseins über die Unsicherheit solcher Vorhersagen müssen wir uns in der Geschäftswelt mit möglichen "Zukünften" auseinandersetzen, um frühzeitig wichtige Positionen am Markt besetzen zu können. In der Vergangenheit war dies noch vergleichsweise einfach, da die Kräfte der Veränderungen sich nur langsam und mehr oder weniger linear entwickelten. Heute und für die Zukunft "erahnen" wir, daß sich das Tempo dramatisch steigern wird, daß Veränderungen nonlinear und mit massiver Wucht zuschlagen, daß wir uns vorbereiten müssen, um zu gestalten und nicht von anderen "gestaltet zu werden". Es geht also darum, frühzeitig unter der sichtbaren Oberfläche versteckte Signale zu erkennen und das Unternehmen rechtzeitig auf die dann später auch für alle anderen Marktteilnehmer und Wettbewerber sichtbaren Auswirkungen auszurichten. Ausgangssituation im Handel In Deutschland erleben wir das sechste Jahr in Folge mit einem nominalen Umsatzrückgang - bereits 1997 waren es ca. 15 Mrd. DM! Dies entsprach etwa 2% des gesamten Marktes. Ursache ist die schwache Nachfrage aufgrund der schlechten gesamtwirtschaftlichen Situation und Perspektive. Die verfügbaren Haushalts-Nettoeinkommen sinken bei gleichzeitig stetig steigenden Abgaben. Es ist nachvollziehbar, daß die Masse der Bevölkerung somit ihre Bedarfsstruktur und damit ihre Ausgaben nach Prioritäten ordnet. Der konventionelle Handel ist der Verlierer. Dennoch zeigen Beispiele aus anderen konsumorientierten Branchen, daß der Verbraucher sehr wohl geneigt ist, in bestimmten Situationen und für bestimmte Produkte (viel) Geld auszugeben. Man denke nur an die steigenden Absatzzahlen in der Automobilindustrie und in der Reisebranche. Der Kampf um den "Share of Stomach" erweitert sich also um den branchenübergreifenden Kampf um den "Share of Wallet". Hier wäre sicher ein Ansatzpunkt für den Handel, um abfließende Umsätze durch neue Konzepte wieder einzufangen, wenn es gelingen würde, sich eine exklusive Position zwischen dem Verbraucher und den Herstellern unterschiedlichster Produkte zu sichern. Dies setzt ein radikales Umdenken voraus: Der Händler wäre nicht mehr - wie nach bisherigem Selbstverständnis - Anbieter von vordefinierten Warenkörben, sondern würde im Auftrag des Kunden den Einkaufsprozeß übernehmen und die gewünschte Lösung nach ganz persönlichen Einkaufskriterien zusammenstellen. Das Verbraucherverhalten hat sich in den letzten 40 Jahren grundlegend verändert. Zur Deckung des täglichen Grundbedarfs (z.B. Lebensmittel) benötigt der Konsument heute sowohl weniger Zeit als auch weniger Geld, und dennoch zeigen Umfragen, daß das Leben als streßbeladen und als kompliziert bewertet wird. Gründe hierfür sind zum einen der hektische Berufsalltag und zum anderen - paradoxerweise - der steigende Freizeitanteil. Das Organisieren der Frei- und Erholungszeit nimmt immer mehr Zeit in Anspruch, so daß der subjektiv wahrgenommene Genußwert sinkt! Ein Teufelskreis! Schon vor einem Jahrzehnt wies Kurt Sontheimer nach, daß westliche Wohlstandsgesellschaften dazu neigen, "enttäuschungsproduktiv" zu sein. Die Menschen fühlen sich subjektiv immer schlechter. Das ständige Starren auf die Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen läßt immaterielle Aspekte des

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Lebens aus dem Blick geraten. Mit der Anspruchsinflation wächst auch das Enttäuschungspotential - ganz abgesehen von der Frage, was eigentlich nach einer Konsumwelle kommt, wenn die Verbraucher keinen Konsumtempel mehr sehen können, weil sie sich an Marmor, Mahagoni, Mickey Mouse und McDonalds leidgesehen bzw. sattgegessen haben! Wie sehen eigentlich die Lebensziele der Menschen in dieser Gesellschaft aus? Die Antwort auf diese Frage ist von eminenter Bedeutung für den Handel, um sich daran zu orientieren. Fünf Wertemuster sind erkennbar (vgl. Prof. Horst W. Opaschowski):

• Genußorientierung; das Leben genießen, etwas selber tun, was Spaß macht. • Sozialorientierung; mit anderen zusammensein, anderen helfen. • Ichorientierung; sich selbst verwirklichen, sich besser kennenlernen. • Leistungsorientierung; sich Herausforderungen stellen, sich fortbilden. • Besitzorientierung; etwas Bleibendes schaffen, viel Geld verdienen.

Auf dem Weg in die Zukunft werden eindeutig genußorientierte Lebensziele bevorzugt, während besitzorientierte Ziele nachgeordnete Bedeutung haben. Einkaufen als notwendige Tätigkeit wird dabei als zusätzlicher Zeitkiller angesehen, und Konsumenten suchen nach Möglichkeiten, hier effizienter zu werden. Den Bedarf an Erlebnis deckt man dann im Urlaub, beim Autofahren oder beim Sport. Der Konsument des 21. Jahrhunderts ist also auf der Suche nach jemandem, der ihm Zeit schenkt, damit er seine genußorientierten Ziele besser verfolgen kann. Einkaufen als notwendiger Prozeß, um etwas zu besitzen, verliert an Bedeutung, auch wenn der Handel bemüht ist, durch sogenanntes "Erlebniseinkaufen" verlorenes Terrain zurückzugewinnen; provokativ formuliert: wird der Kauf eines Anzugs zum Erlebnis, weil ich nun in der gleichen Abteilung auch Schuhe und Socken kaufen kann? Sicher nicht! Hier ist lediglich der zeitsparende Faktor der entfallenden Suche nach der nächsten Abteilung motivierend! Die Polarisierung des Verbraucherverhaltens wird auch in Zukunft Bestand haben und sich weiterentwickeln: sich Luxus leisten können, aber dafür auch in anderen Bereichen Billigwaren in Kauf nehmen. Billig und teuer schließen sich nicht mehr aus. Der "Und-und-und-Verbraucher" der frühen 90er Jahre entwickelt sich zum "Hier-mehr-dort -weniger-Verbraucher". Es macht Spaß, zu sparen und anderweitig zu verschwenden. Der Porsche vor dem Discounter ist schon heute keine Seltenheit mehr! Das zukünftige Einkaufsverhalten des Verbrauchers wird daher maßgeblich auch vom Reifegrad neuer Technologien und deren Akzeptanz mitbestimmt, denn diese ermöglichen erst den Wandel. Es lohnt sich also ein Blick in diese Richtung, denn was in den nächsten Jahren zur Produktreife gelangen wird, erscheint beachtenswert. Innovative Technologien Eine Reihe von technischen Innovationen hat in den letzten Jahren im Handel für Verbesserungen gesorgt, beispielsweise erleichtern heute moderne Scannerkassen die Bestandsführung, Bestellungen werden über EDI oder via Extranet abgewickelt, und durch "Electronic Shelf Labeling" können unter anderem Aktionen effizient gesteuert werden. Im wesentlichen beschränkt sich der Einsatz jedoch auf handelsinterne respektive handelsübergreifende Prozesse der Lieferkette, deren Nutzen für den Verbraucher - wenn überhaupt - nur indirekt sichtbar wird. In England setzt die Lebensmittelkette SAFEWAY mit Erfolg seit zwei Jahren ein Konzept unter der Bezeichnung "Shop & Go" ein. Motivation war hier interessanterweise zunächst nicht die Effizienzsteigerung in der Lieferkette, sondern erhöhte Bequemlichkeit für den Käufer im Supermarkt. Ziel war es, das lästige Ent- und Bepacken des Einkaufswagens beim Bezahlen zu vermeiden. Im Eingangsbereich befinden sich Handscanner, deren Benutzung eine Kundenkarte voraussetzt. Der Scanner wird nach der Identifikation mit der persönlichen Kundenkarte durch den Käufer entnommen. Anschließend werden alle Artikel eigenständig gescannt, und am Ende des Einkaufsprozesses wird der Handscanner wieder zurückgegeben. Auf der Kundenkarte werden alle Kaufinformationen gespeichert. Der Kunde braucht nur noch zu bezahlen. Neuerdings wird auch das Bezahlen auf Wunsch durch ein Kiosksystem übernommen. Rund ein Drittel aller Kunden setzt auf "Shop & Go". Der Nutzen für die Kunden ist offensichtlich: zum einen Zeitersparnis beim Check-out, zum anderen Teilnahme am SAFEWAY-Bonus- und Loyaltyprogramm. Der Nutzen für die Handelskette:

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weniger Zeit beim Check-out bedeutet einen höheren Durchsatz pro Kasse und somit auch weniger Personal und Personalkosten. Worum es aber eigentlich geht, ist die Verfügbarkeit von Kundeninformationen: Wer hat wann was gekauft? Welche Artikel werden mit anderen Artikeln zusammen gekauft? Welchen Weg legte der Käufer im Laden zurück? Was kauft er an welchen Tagen? Was kann ich dem Kunden seinem Kaufverhalten entsprechend anbieten und zu welchem individuellen Preis? Noch einen Schritt weiter geht die Firma STREAMLINE in den USA, die den Kühlschrank des Kunden als Regal betrachtet und diesen automatisch nach gewissen Verbrauchsmustern wieder auffüllt. Der "intelligente Kühlschrank" ist nur einer unter vielen Ansätzen, um den Verbrauchern "Zeit zu schenken". Das namhafte Media Laboratory des Massachussetts Institute of Technologie (MIT) in Boston arbeitet an einem Projekt, das sich mit "intelligenten Objekten" beschäftigt ("Things That Think"). Ziel ist es, Objekte des täglichen Bedarfs mit Intelligenz zu versehen, um den Menschen lästige Tätigkeiten abzunehmen bzw. sie ihnen zu erleichtern. Beispielsweise werden Minicomputer und -sensoren in Oberbekleidung eingewebt und messen ständig unser Wohlbefinden. Diese Kleinstcomputer stehen in Verbindung mit anderen intelligenten Objekten, tauschen Informationen aus und machen dann dem Träger seinem Verhaltensmuster entsprechende Vorschläge. Eine Gruppe des MIT arbeitet an Objekten, die herausfinden sollen, was ihre Träger an Gemeinsamkeiten haben. Im Zusammenhang mit den eingangs erwähnten zukünftigen Lebenszielen und Wertemustern der Gesellschaft im 21. Jahrhundert könnte hiermit eine Anwendung entstehen, welche die Sehnsucht nach Sozialorientierung unterstützt. Die Möglichkeiten für den Handel sind unbegrenzt, denn Services - die Informationen in Nutzen für den Konsumenten wandeln - müssen entwickelt und organisiert werden. Unternehmen, die diese Position besetzen, werden über alle Kundeninformationen verfügen, um in eine wirkliche Beziehung zum Kunden zu treten (Customer Relationship Management) und deren Bindung an das Unternehmen zu erhöhen. Wenn es der Handel nicht tut, werden es andere sein, und der Handel wird zum reinen Zulieferer dieser Serviceprovider. American Express wirbt bereits in den USA für den Verkauf von Kundeninformationen. Man mag einwenden, daß die Realisierung dieser Projekte noch Jahre entfernt liegt, aber ein Blick auf die Sponsorenliste des MIT zeigt eindrucksvolle Firmennamen aus unterschiedlichsten Branchen, wie beispielsweise AT&T, Federal Express, Deutsche Telekom, Braun, Karstadt, Lego, Levi Strauss, Master Card, Nike, Nokia, Procter&Gamble, Siemens, Swatch, VISA, Volvo und Walt-Disney. Auch im IBM Thomas J. Watson Research Center in New York wurde vor ca. zwei Jahren ein Projekt namens "Home 2000" aufgesetzt. Interessanterweise ist auch hier die Zielsetzung, den "Menschen das tägliche Leben zu vereinfachen und Zeit zu (er)sparen". Die modernen Technologien durchdringen auch den Textilhandel. So wird bereits mit elektronischen Kundenvermessungskabinen und virtuellen Anproben experimentiert. Die Digitalisierung der Bekleidung könnte zu einer erhöhten Akzeptanz des elektronischen Einkaufens führen. Der Mehrwert gegenüber konventionellen Versendern mit Katalogen muß zum einen in der Emotionalisierung des Einkaufprozesses, zum anderen in der "Entsaisonalisierung" von Mode gesehen werden. Die Kunden können sich selbst in der ausgewählten Ware beobachten und sogar über einen Laufsteg flanieren. Paßform und selbst die Qualität des Tuches werden bei den Bewegungen simuliert. Kollektionen wären dann auch nicht mehr auf Frühling/Sommer und Herbst/Winter beschränkt und könnten permanent den neuesten Trends angepaßt werden. Mode ist schnellebig und entwickelt sich zum "Fast Moving Consumer Good". Das setzt auch einschneidende Veränderungen in der Lieferkette voraus. Der Kunde erhält seine Ware maßgeschneidert direkt von den jeweiligen Herstellern! Es wird deutlich, daß in Zukunft erhebliche Veränderungen auf den Handel zukommen. Das hat zum einen seine Begründung darin, daß viele Händler nach neuen Geschäftsmöglichkeiten suchen, zum anderen aber auch darin, daß Hersteller und Unternehmen anderer Branchen sich neu positionieren Konvergenz der Branchen Innerhalb des Handels im weiteren Sinn sind es vor allem die Hersteller, die durch Factory Outlet Center bereit sind, den konventionellen Handel anzugreifen. Im Lebensmittelhandel prüfen und testen Konsumgüterproduzenten Wege, unter Umgehung des Einzelhandels direkt mit den Kunden in Kontakt zu treten. Aber auch andere Branchen prüfen den Angriff auf den Handel: Bankenmitarbeiter besuchen beispielsweise den Deutschen Handelstag, um sich über die Trends zu informieren, in England betreibt eine Bank eine elektronische Mall im Internet, die Deutsche Bundespost kündigte an, Lebensmittel zu vertreiben und Microsoft verkauft in den USA Autos.

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Das Muster ist einheitlich: Flächenüberkapazitäten des Kerngeschäftes sollen substituiert werden durch Handelsfläche. Das kann aus reinen Kostengesichtspunkten Sinn machen. Strategisch positionieren sich diese Unternehmen jedoch als "All Inclusive Provider". Das ist mittelfristig für den Handel viel gefährlicher. Neue Rolle des Handels Die Beispiele zeigen, daß wir also schon am Anfang der Disintermediation stehen, d.h. dem Aufbrechen von bestehenden Prozessen. Die logische Fortsetzung ist das Entstehen neuer Konglomerationen, gewissermaßen die Reintermediation. Die in Zukunft noch zunehmende Genuß- und Sozialorientierung der Verbraucher in Verbindung mit der Zeitknappheit werden den Prozeß der Entwicklung neuer Märkte beschleunigen. Die Bedürfnisse der Menschen nach Entlastung und Austausch erfordern eine koordinierte Planung des komplizierten Lebens. Damit entsteht der Wunsch, diese unangenehme Aufgabe einem Partner des Vertrauens zu übergeben; das bedeutet letztendlich "Outsourcing von Verbraucherprozessen" an einen elektronischen Agenten ("Butler"). Dieser "Lebensagent" weiß eigentlich alles über seinen Auftraggeber: seine Kaufgewohnheiten, die Kleidergröße, den Füllstand seines Kühlschrankes, Freizeitverhalten, Musik- und Literaturschwerpunkte, Geburtstage von Freunden etc. im Rahmen der Informationsökologie filtert der Agent die für seinen Verbraucher relevanten Informationen und sortiert sie nach Prioritäten. Man möge sich vorstellen, welche Macht ein Unternehmen besitzt, das diese Position zwischen dem Verbraucher und allen anderen Zulieferunternehmen einnimmt! Dieser Agent betreut seinen Verbraucher möglicherweise ein Leben lang (Life Time Value) und lernt über die Betreuungsphase hinweg ständig über ihn hinzu. Dadurch werden seine Vorschläge und Entscheidungen immer besser. Der Verbraucher dankt es durch erhöhte Loyalität. Selbstverständlich wird ein solcher Lebensagent Zulieferer aus unterschiedlichsten Branchen benötigen, um dem "Easy-Life-Anspruch" gerecht werden zu können. Es entsteht ein virtuelles Unternehmen, das in der Lage sein muß, sehr schnell mit sehr vielen anderen Unternehmen in Kontakt zu treten. Wer den Zuschlag für einen Auftrag des Life Agents bekommen will, muß vorgegebene Rahmenbedingungen und Standards akzeptieren. Qualität und Geschwindigkeit in den Prozessen werden zum Dominanzfaktor. Waren werden auf unterschiedlichste Weise zum Verbraucher gelangen: Home Delivery und das Abholen an Pick-up-Points werden sicher dazugehören. Die Herausforderung bei diesen Lieferkonzepten wird sein, branchenübergreifende Aufträge so zu koordinieren, daß diese mit einer einzigen gebündelten Lieferung zugestellt werden können. Bei anderen Auftragsarten wiederum wird der Life Agent lediglich wichtige Informationen für den Verbraucher bereitstellen, z.B.: Wo gibt es diesen oder jenen Anzug (am günstigsten), welche Versicherung deckt meine Anforderungen am besten ab? Die permanente Auswertung unvorstellbar großer Datenmengen ist bei dieser Art des Handels ein kritischer Erfolgsfaktor, aber das wird schon in naher Zukunft kein Problem mehr darstellen. Bereits heute verfügt Wal-Mart über das größte Datenvolumen nach dem Pentagon und nutzt diese Informationen zur ständigen Verbesserung seiner Angebote, um sie dann auf immer kleinere Kundensegmente zuzuschneiden. Das Lernen setzt dabei eines voraus: "Verlernen" von - möglicherweise über Jahrzehnte erfolgreichen - Praktiken, um den Weg für Neues zu ebnen. Schumpeter nannte das den "Prozeß der kreativen Zerstörung". Zusammenfassung und Ausblick Um die neuen Möglichkeiten zu erkennen, benötigt man Imaginationskraft - um sie ganzheitlich umzusetzen - und Mut! Zwischen diesen beiden Extremen gibt es ein großes Feld des Lernens. Daß sich unsere Gesellschaft verändert und mit ihr natürlich auch die Verbrauchermuster, ist jedem bewußt. Ein kurzer Einblick in die Forschungsaktivitäten hat uns heute gezeigt, daß auch von tech-nologischer Seite ein erheblicher Schub zu erwarten ist. Die Frage, ob das aufgezeigte Szenario einer Gesellschaft des 21. Jahrhunderts und vor allem die Auswirkungen auf den Handel schon bald zur Realität werden oder Utopie bleiben, möchte ich mit einem Appell beantworten: "Die Zukunft entsteht, indem man sie herstellt!".