eilt 1: grundlagen dr. ulrich riegel, swiss re europe s.a. · 2015. 10. 12. · dr. ulrich riegel,...
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Schadenversicherungsmathematik
Teil 1: Grundlagen
Dr. Ulrich Riegel, Swiss Re Europe S.A.
Mathematisches Institut
LudwigMaximiliansUniversität München
Wintersemester 2015/16
Dr. Ulrich Riegel, Swiss Re Europe S.A. Schadenversicherungsmathematik 1
Teil 1: Grundlagen
1.1 Allgemeines
Dr. Ulrich Riegel, Swiss Re Europe S.A. Schadenversicherungsmathematik 2
1.1 Allgemeines
Was ist Versicherung?
Versicherungsvertrag (Police):
Der Versicherungsnehmer (VN) verpichtet sich zur Zahlung eines imvoraus fälligen Geldbetrags (Prämie).
Das Versicherungsunternehmen (VU) verpichtet sich bei Eintritt von imVertrag näher denierten ungewissen Ereignissen (Schäden) bestimmteZahlungen an den VN zu leisten.
Die Zahlungen hängen meist vom betreenden Ereignis ab und sollen denaus dem Ereignis resultierenden Nachteil des VN reduzieren oderausgleichen.
Dr. Ulrich Riegel, Swiss Re Europe S.A. Schadenversicherungsmathematik 3
1.1 Allgemeines
Was ist Versicherung?
Das VU übernimmt also ungewisse Zahlungen gegen feste Prämie.
Der VN kann ungewissen Kosten gegen planbare Kosten tauschen.
Ruinös hohe Schäden mit kleinen Eintrittswahrscheinlichkeiten werden durchVersicherung überhaupt erst tragbar.
Dr. Ulrich Riegel, Swiss Re Europe S.A. Schadenversicherungsmathematik 4
1.1 Allgemeines
Überblick über die wichtigsten Versicherungszweige
Beitragseinnahmen 2013 in Deutschland in Mrd. EUR:
Lebensversicherung: 90;8Krankenversicherung: 35;8Schadenversicherung: 58;3
Dr. Ulrich Riegel, Swiss Re Europe S.A. Schadenversicherungsmathematik 5
1.1 Allgemeines
Versicherungszweige in der SchadenversicherungBeiträge Zweig SQ 2012 SQ 2013
13,2 Kfz-Haftpicht (KH) 95,4% 91,1%7,2 Kfz-Vollkasko 92,2% 101,4%1,5 Kfz-Teilkasko HUK 67,5% 86,4%7,1 Allg. Haftpicht 64,8% 66,4%6,5 Unfall 59,2% 59,7%3,3 Rechtsschutz 70,6% 72,4%5,8 Industrielle und gewerbliche
Sachversicherung 84,8% 104,2%1,8 Technische Versicherung Sach 65,3% 71,4%5,2 Verbundene Wohngebäude 79,1% 108,6%2,7 Verbundene Hausrat 48,7% 50,0%0,5 sonstige Sach1,9 Transport- und Luftfahrt 65,6% 75,7%1,6 Kredit 59,9% 57,1%58,3 Schadenvers. insgesamt 77,4% 83,9%
Dr. Ulrich Riegel, Swiss Re Europe S.A. Schadenversicherungsmathematik 6
1.1 Allgemeines
Einordnung der Schadenversicherungsmathematik
Unterschiede zwischen Lebens- und Schadenversicherung
Lebensversicherung Schadenversicherung
max. 1 Schaden pro Risiko mehrere Schäden pro Risiko/Jahrmöglich
feste Schadenhöhe variable Schadenhöhe) niedrige Variabilität ) hohe Variabilität
lange Policenlaufzeit kurze Policenlaufzeit (1 Jahr)
hohes Gewicht des Zinsertrags niedrigeres Gewicht des Zinsertrags) Finanzmathematik ) Stochastik
Dr. Ulrich Riegel, Swiss Re Europe S.A. Schadenversicherungsmathematik 7
1.1 Allgemeines
Einordnung der Schadenversicherungsmathematik
Unterschied zwischen Risikotheorie und Schadenversicherungsmathematik :
Risikotheorie Schadenversicherungsmathematik
Versicherungsprobleme von eigen-ständigem math. Interesse
Anwendung bekannter und neuermath. Methoden auf Versicherungs-probleme
- Schadenzahlprozess - Tarifkalkulation- Gesamtschaden-Verteilung - Schadenreservierung- Ruintheorie - Risikoteilung- Prämienprinzipien- Credibilitytheorie
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1.1 Allgemeines
Aktuar
Aktuar (englisch: Actuary) = Versicherungsmathematiker:
Der actuarius im alten Rom schrieb die Senatsbeschlüsse mit. Die ersteLebensversicherungsgesellschaft Equitable Life (1762) gab ihremVorstandsvorsitzenden die Bezeichnung Actuary.
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1.1 Allgemeines
Ausbildung zum Aktuar DAV
Die Deutsche Aktuarvereinigung e.V. (DAV) ist die berufsständische Vertretungder Versicherungs- und Finanzmathematiker in Deutschland. Zur Aufnahme indie DAV sind Prüfungen in verschiedenen aktuarwissenschaftlichen Disziplinenerforderlich.
Voraussetzungen zur Zulassung:
Abschluss eines mathematischen Studiums (120 ECTS math.Prüfungsleistungen)
Grundkenntnissen in Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik
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1.1 Allgemeines
Ausbildung zum Aktuar DAV
Prüfungsfächer im Grundwissen:
Statististische Methoden / Risikotheorie
Grundprinzipien der Versicherungs- und Finanzmathematik
Personenversicherungsmathematik
Schadenversicherungsmathematik
Finanzmathematik und Investmentmanagement
Modellierung
Versicherungswirtschaftslehre
Rechnungslegung
Wertorientiertes Risikomanagement
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1.1 Allgemeines
Ausbildung zum Aktuar DAV
Pichtfächer ohne Prüfung:
Berufskunde
Informationsverarbeitung
Rechtsgrundlagen
Ferner eine Spezialwissenprüfung in einem der folgenden Gebiete:
Lebensversicherungsmathematik
Schadenversicherungsmathematik
Pensionsversicherungsmathematik
Krankenversicherungsmathematik
Finanzmathematik
Bausparmathematik
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1.1 Allgemeines
Modellbildung
Realität
Daten
Modell spezizieren
Parameter schätzen
Daten Anpassung testen
Prognose berechnen
Prognose validieren()
Prognose anwenden
nein
nein
() Plausibilitätskontrolle, Sensitivitätsprüfung, AusreiÿereinussDr. Ulrich Riegel, Swiss Re Europe S.A. Schadenversicherungsmathematik 13
1.1 Allgemeines
Bezeichnungen und Begrie
Alle Zufallsvariablen seien auf einem fest gewählten Wahrscheinlichkeitsraum(Ω;A;P) deniert. Für Zufallsvariable X und Y :
E(X ) Erwartungswert von X bezüglich P
Var(X ) Varianz von X bezüglich P
Cov(X ;Y ) Kovarianz von X und Y bezüglich P
Sd(X ) Standardabweichung X , Sd(X ) =√Var(X )
Vco(X ) Variationskoezient von X , d.h. Vco(X ) = Sd(X )=E(X )
Sch(X ) Schiefe von X , d.h. Sch(X ) = E((X E(X ))3)=Sd(X )3
FX Verteilungsfunktion von X , d.h. FX (x) := P(X x)
FX Quantilfunktion von F , d.h. F
X (p) := inffx 2 R+jFX (x) pg
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1.1 Allgemeines
Bezeichnungen und Begrie
Risiko Zufallsvariable R 0 mit 0 < E(R) <1,0 < Var(R) <1. Kleinste Einheit, die Gegenstandeines Versicherungsvertrags sein könnte. R gibt dieHöhe des vom VU (unter diesem Vertrag) zubezahlenden Jahresgesamtschadens an.
Police Versicherungsvertrag für ein oder mehrere Risikeneines VN.
Risikogruppe (Kollektiv) Menge von Risiken mit ähnlichen äuÿeren Merkmalen(z.B. Einfamilienhäuser in München in derFeuerversicherung).
Portfolio Menge von beliebigen Risiken (z.B. alle Risiken einesVU).
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1.1 Allgemeines
Bezeichnungen und Begrie
R+ Nichtnegative reelle Zahlen R+ := [0;1)
Lp(R+) Menge aller Zufallsgröÿen X mit X (Ω) R+ und E(jX jp) <1LR Menge aller Risiken; LR = fX 2 L2(R+) j Var(R) > 0gN (; 2) Normalverteilung mit Erwartungswert und Varianz 2
Nd(;Σ) d-dimensionale Normalverteilung mit Erwartungswertvektor undKovarianzmatrix Σ
Φ Verteilungsfunktion der Standardnormalverteilung
XnP! Y Die Folge Xn konvergiert in P-Wahrscheinlichkeit gegen Y
XnD! Die Folge Xn konvergiert in Verteilung gegen das W-Maÿ
PX Bildmaÿ von X
PX jY reguläre bedingte Wahrscheinlichkeit von X gegeben Y
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Teil 1: Grundlagen
1.2 Grundüberlegungen zum Versicherungsprinzip
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1.2 Grundüberlegungen zum Versicherungsprinzip
Erinnerung
Ungleichung von Tschebysche: Sei X eine Zufallsvariable mit endlicherVarianz, dann gilt
P(jX E(X )j ) Var(X )
2:
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1.2 Grundüberlegungen zum Versicherungsprinzip
Erinnerung
Schwaches Gesetz der groÿen Zahlen: Sei X1;X2; : : : eine Folge paarweiseunkorrelierter Zufallsvariabler mit limn!1
1n2
∑ni=1 Var(Xi ) = 0. Dann gilt
limn!1
1n
n∑i=1
(Xi E(Xi )) = 0 in P-Wahrscheinlichkeit.
Starkes Gesetz der groÿen Zahlen: Für jede Folge X1;X2; : : : von paarweiseunabhängigen, integrierbaren, identisch verteilten Zufallsvariablen gilt
limn!1
X1 + + Xn
n= E(X1) fast sicher.
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1.2 Grundüberlegungen zum Versicherungsprinzip
Erinnerung
Eine Folge X1;X2; : : : von Zufallsvariablen heiÿt unabhängig und identischverteilt (kurz i.i.d. independent and identically distributed), wenn die Familie(Xi )i1 unabhängig ist und die Xi alle die gleiche Verteilung haben.
Zentraler Grenzwertsatz: Für i.i.d.-Folgen X1;X2; : : : mit0 < := Sd(X1) <1 gilt
1
pn
n∑i=1
(Xi E(Xi ))D! N (0; 1)
für n !1.
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1.2 Grundüberlegungen zum Versicherungsprinzip
Erinnerung
Cauchy-Schwarzsche Ungleichung: Für jede positiv semidenite, symmetrischeBilinearform b auf einem Vektorraum V gilt
b(v ;w)2 b(v ; v)b(w ;w) für alle v ;w 2 V .
Spezialfall: jCov(X ;Y )j Sd(X )Sd(Y ) für alle quadratintegrierbarenZufallsvariablen X und Y .
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1.2 Grundüberlegungen zum Versicherungsprinzip
Beispiel
Wir betrachten I Würfel. Es sei Ri die Augenzahl des Würfels i . Dann ist SI dieSumme der Augen aller I Würfel. Sei " = 0;1.
I E(SI ) Sd(SI ) zI = 0;1E(SI )Sd(SI )
2 Φ(zI ) P(∣∣∣SIE(SI )
E(SI )
∣∣∣ > ")
1 3.5 1.71 0.205 0.84 110 35 5.40 0.648 0.517 0.522100 350 17.1 2.05 0.040 0.0401000 3500 54.0 6.48 1010 1010
Hier haben wir den zentralen Grenzwertsatz für die Approximation
P
(∣∣∣∣SI E(SI )E(SI )
∣∣∣∣ > "
)= P
(∣∣∣∣SI E(SI )Sd(SI )
∣∣∣∣ > " E(SI )Sd(SI )
) 2 Φ
(" E(SI )
Sd(SI )
):
verwendet.
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1.2 Grundüberlegungen zum Versicherungsprinzip
Aufteilung des Sicherheitskapitals auf einzelne Risiken
Denition: Eine Familie (I )I2N von Abbildungen
I : (LR)I (0;+1) ! (0;+1)I
heiÿt Kapitalallokation, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind
(1)I∑
i=1
Ii (R1; : : : ;RI ; c) = c für alle I 2 N;Ri 2 LR und c > 0.
(2) Für I 2, t > 0 und Risiken R1; : : : ;RI gilt stets
limt!0
I (R1; : : : ;RI1; tRI ; c) = (I1(R1; : : : ;RI1; c); 0):
(3) Für Permutationen : f1; : : : ; Ig ! f1; : : : ; Ig gilt stets
I(i)(R(1); : : : ;R(I ); c) = Ii (R1; : : : ;RI ; c):
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1.2 Grundüberlegungen zum Versicherungsprinzip
Aufteilung des Sicherheitskapitals auf einzelne Risiken
Wir betrachten ein Portefeuille R1;R2; : : : ;RI von Risiken mit Gesamtschaden Sund Sicherheitskapital c . Wir schreiben kurz
ci := Ii (R1; : : : ;RI ; c):
Dem Risiko Ri wird dann das Risikokapital ci zugeordnet. Dies bewirkt eineAufteilung des insgesamt erforderlichen Schwankungszuschlags auf die einzelnenRisiken.
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1.2 Grundüberlegungen zum Versicherungsprinzip
Aufteilung des Sicherheitskapitals auf einzelne Risiken
Beispiel: Beispiele für Kapitalallokationen:
cEi :=E(Ri )
E(S) c (Erwartungswertprinzip)
cAi :=Sd(Ri )∑Ij=1 Sd(Rj)
c (Standardabweichungsprinzip)
cVi :=Var(Ri )∑Ij=1 Var(Rj)
c (Varianzprinzip)
Dagegen deniert ci = Sd(Ri )Sd(S) c (bzw. ci = Var(Ri )
Var(S) c) keine Kapitallallokation, da∑Ii=1 ci = c nur für vollständig korrelierte (bzw. für unabhängige) Risiken gilt.
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1.2 Grundüberlegungen zum Versicherungsprinzip
Teilportefeuille
Denition: Sei I := f1; 2; : : : Ig. Unter einem Teilportefeuille verstehen wir eineTeilmenge fRi j i 2 M I g von fR1; : : : ;RIg. Es kann mit der TeilmengeM I identiziert werden. Wir schreiben SM =
∑i2M Ri und cM =
∑i2M ci .
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1.2 Grundüberlegungen zum Versicherungsprinzip
Stabile Kapitalallokation
Denition: Eine Kapitalallokation heiÿt stabil, wenn für jedes TeilportefeuilleM I
P (SM E(SM) + cM) P (S E(S) + c)
gilt, d.h. die Sicherheitswahrscheinlichkeit im Teilportefeuille ist nicht gröÿer alsdie Sicherheitswahrscheinlichkeit im Gesamtportefeuille.
Das Teilportefeuille bekommt somit nicht mehr Kapital zugeordnet, als es fürsich allein zum Erreichen der gleichen Sicherheitswahrscheinlichkeit wie dasGesamtportefeuille bräuchte (sonst würde sich M von I nM lossagen wollen).
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1.2 Grundüberlegungen zum Versicherungsprinzip
Faire Kapitalallokation
Denition: Eine Kapitalallokation heiÿt fair, wenn für Teilportefeuilles L, M I
mit SL, SI nL unabhängig und SM , SI nM unabhängig und
P(SL E(SL) + x) P(SM E(SM) + x) für alle x > 0
gilt, dasscL cM :
Bei ungefährlicherer Gesamtschaden-Verteilung wird also weniger Kapitalallokiert (falls die Teilportefeuilles vom Rest unabhängig sind).
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1.2 Grundüberlegungen zum Versicherungsprinzip
Erwartungswertprinzip
Die Kapitalallokation cEi ist weder stabil noch fair:
Seien S = R1 + R2 mit R1;R2 unabhängig und R1 N (; 2); R2 N (3; 2).Dann gilt S N (4; 22), cE1 = c
4; cE2 = 3
4c und
P(S E(S) + c) = Φ
(c
Sd(S)
)= Φ
(cp2
):
Aber wegen
P
(R2 E(R2) +
34c
)= Φ
(3c=4Sd(R2)
)= Φ
(c
4=3
)> Φ
(cp2
)ist die individuelle Sicherheitswahrscheinlichkeit von R2 gröÿer als im Portefeuillemit R1 zusammen, so dass R2 sich allein besser stellen würde. DieKapitalallokation ist also nicht stabil.
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1.2 Grundüberlegungen zum Versicherungsprinzip
Erwartungswertprinzip
Sie ist aber auch nicht fair, denn wegen
P(R1 E(R1) + x) = Φ
(x
Sd(R1)
)= Φ
( x
)= Φ
(x
Sd(R2)
)= P(R2 E(R2) + x)
für alle x > 0 sind beide Verteilungen gleich gefährlich (und jeweils unabhängigvom Rest), aber dennoch bekommt R1 weniger Kapital allokiert als R2.
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1.2 Grundüberlegungen zum Versicherungsprinzip
Standardabweichungs- und Varianzprinzip
Die Kapitalallokationen cAi und cVi sind nicht fair:
Seien S = R1 + : : : + R5, L = f1; 2; 3g und M = f4; 5g. Weiter seienR1;R2;R3 N (; 2) unabhängig, insbesondere SL N (3; 32). Für dieverbleibenden Risiken nehmen wir an, dass R4;R5 N (; 2) vollständigkorreliert und unabhängig von R1;R2;R3 sind. Dann SM N (2; 42).Dann ist cAL = cVL = 3
5c und cAM = cVM = 2
5c , obwohl
P(SL E(SL) + x) = Φ
(x
Sd(SL)
)= Φ
(xp3
)> Φ
( x2
)= Φ
(x
Sd(SM)
)= P(SM E(SM) + x)
d.h. L bekommt mehr Kapital allokiert als M, obwohl seine Verteilungungefährlicher ist.
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1.2 Grundüberlegungen zum Versicherungsprinzip
Rolle der Unabhängigkeitsannahme
Warum benötigen wir die Unabhängigkeitsannahme in der Denition der fairenKapitalallokation?
Betrachte S = R1 + R2 + R3, SL = R2, SM = R3, wobei R1 R2 unabhängigund R1 R3 vollständig korreliert sind. Dann sind SM und SI nM = R1 +R2 nichtunabhängig. Wir haben
P(SL E(SL) + x) = P(SM E(SM) + x) für alle x > 0;
aber cL < cM sollte nicht als unfair gelten.
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1.2 Grundüberlegungen zum Versicherungsprinzip
Kovarianzprinzip
Satz: Die Kapitalallokation
ci =Cov(Ri ;S)
Var(S) c (Kovarianzprinzip)
im Portefeuille fR1;R2; : : : ;RIg nicht-negativ korrelierter Risiken mitGesamtschaden S =
∑Ii=1 Ri und Sicherheitskapital c ist unter
Normalverteilungsannahme für die Teilportefeuilles stabil und fair.
Beweis: Das Kovarianzprinzip deniert eine Kapitalallokation, da
I∑i=1
Cov(Ri ;S) = Cov
(I∑
i=1
Ri ;S
)= Cov(S ;S) = Var(S)
und da Cov(Ri ;S) Cov(Ri ;Ri ) = Var(Ri ) > 0.
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1.2 Grundüberlegungen zum Versicherungsprinzip
Kovarianzprinzip
Die Kapitalallokation ci ist unter Normalverteilungsannahme stabil:
In einem normalverteilten Portefeuille S mit Sicherheitskapital c besteht diekollektive Sicherheitswahrscheinlichkeit
P(S E(S) + c) = Φ
(c
Sd(S)
):
Sei M I ein Teilportefeuille mit SM normalverteilt. Das zugeordnete Kapitalist
cM =∑i2M
Cov(Ri ;S)
Var(S) c =
Cov(SM ;S)
Var(S) c = (SM ;S) Sd(SM)
Sd(S) c
mit (SM ;S) =Cov(SM ;S)
Sd(SM) Sd(S) 1.
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1.2 Grundüberlegungen zum Versicherungsprinzip
Kovarianzprinzip
Auf sich allein gestellt hätte das Teilportefeuille M bei Sicherheitskapital cM dieindividuelle Sicherheitswahrscheinlichkeit
P(SM E(SM) + cM) = Φ
(cM
Sd(SM)
)= Φ
((SM ;S) c
Sd(S)
) Φ
(c
Sd(S)
)= P(S E(S) + c):
Dr. Ulrich Riegel, Swiss Re Europe S.A. Schadenversicherungsmathematik 35
1.2 Grundüberlegungen zum Versicherungsprinzip
Kovarianzprinzip
Die Kapitalallokation ci ist unter Normalverteilungsannahme fair:
Seien L;M Teilportefeuilles, SL;SM normalverteilt, und
P(SL E(SL) + x) P(SM E(SM) + x) für alle x > 0.
Dann giltΦ
(x
Sd(SL)
) Φ
(x
Sd(SM)
);
d.h. Sd(SL) Sd(SM). Wenn SL und SI L unabhängig sind, so ist
Cov(SL;S) = Cov(SL;SL + SI nL) = Var(SL)
und ebenso Cov(SM ;S) = Var(SM) für unabhängige SM ;SI nM . Insgesamt ist also
cL =Cov(SL;S)
Var(S) c =
Var(SL)
Var(S) c Var(SM)
Var(S) c =
Cov(SM ;S)
Var(S) c = cM :
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1.2 Grundüberlegungen zum Versicherungsprinzip
Normalverteilungsannahme
Beachte:
Wir haben normalverteilte Risiken betrachtet. Genau genommen widersprichtdies unserer Annahme, dass Risiken immer nicht-negativ sein müssen.
Solange die Approximation in einem gewissen Bereich um den Erwartungswertgut ist und die Wahrscheinlichkeit für negative Werte sehr klein ist, ist dieNormalverteilungsannahme jedoch akzeptabel.
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Teil 1: Grundlagen
1.3 Das Individuelle Modell
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1.3 Das Individuelle Modell
Modellüberprüfung
Überprüfung der Annahme E(Zj) = m für mehrere Jahre j = 1; : : : ; J:Plot der Realisierungen Zj gegen j bzw. gegen vj .(Frage: Wie sollte der Plot aussehen?)
Überprüfung der Annahme Var(Zj) = s2=vj :Könnte analog durch einen Plot gegen vj erfolgen, wenn man Schätzer derVar(Zj) hätte, die nicht auf den Modellannahmen beruhen (sondern z.B. aufEinzelrisikodaten).
Dr. Ulrich Riegel, Swiss Re Europe S.A. Schadenversicherungsmathematik 39
1.3 Das Individuelle Modell
Modellüberprüfung
Mögliches Vorgehen zur Überprüfung von Var(Zj) = s2=vj :
Betrachte K Perioden zu je J Jahren der Risikogruppe und schätze derenStreuung für k = 1; : : : ;K mit
Vk =
J∑j=1
v (k)j
v (k)+
(Z (k)j m(k)
)2mit m(k) =
J∑j=1
v (k)j Z (k)
j
v (k)+
und v (k)+ =
J∑j=1
v (k)j
Unter den Modellannahmen ist
E(Vk) = (J 1)s2=v (k)+ :
Plottet man für mehrere (disjunkte) J-Jahreszeiträume Vk gegen v (k)+ bzw.
log(Vk) gegen log(v (k)+ ), so sollten die Punkte um eine Hyperbel bzw. eine
Gerade mit Steigung 1 streuen.
Dr. Ulrich Riegel, Swiss Re Europe S.A. Schadenversicherungsmathematik 40
1.3 Das Individuelle Modell
Modellüberprüfung
Problem: Die dazu nötige Konstanz von s2 kann über so viele Jahre kaumunterstellt werden.
In der folgenden Abbildung wird ein 10-Jahreszeitraum für verschiedeneRisikogruppen k = 1; :::;K betrachtet und log(Vk) gegen log(v (k)
+ ) geplottet.
Obwohl gemäÿ Modell für jede Risikogruppe E(Vk) = (J 1)(s(k))2=v (k)
+ gilt mitmöglicherweise unterschiedlichen s(k), zeigt sich, dass die Punkte trotzdemgleichmäÿig um eine Gerade mit Steigung -1 streuen.
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1.3 Das Individuelle Modell
Modellüberprüfung
Plot von log(Vk) gegen log(v (k)+ ) für verschiedene Risikogruppen k :
5 6 7 8
1
0
1
2
3
4
log(Vk)
log(v (k)+ )
Gerade mit
Steigung 1
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1.3 Das Individuelle Modell
Gamma-Verteilung
Gamma-Dichten mit festem und verschiedenen Werten für :
1 2
1=
2=
3=
4=
5=
6=
0
=125
=25
=5
=1=0;2
=0;04
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Teil 1: Grundlagen
1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
Dr. Ulrich Riegel, Swiss Re Europe S.A. Schadenversicherungsmathematik 44
1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
Methoden zur Schätzung von Parametern
Wir verwenden vier Methoden zur Schätzung von Parametern:
Momentenmethode
Maximum-Likelihood-Methode (ML-Methode)
Minimum-Chi-Quadrat-Methode (asymptotisch äquivalent zu ML-Methode)
Kleinste-Quadrate-Methode(Ausgleichsverfahren durch Abstandsminimierung = ML-Methode beiNormal-Verteilung)
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1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
Maximum-Likelihood
Gegeben seien unabhängige Beobachtungen X1;X2; : : :, deren Dichten gi (x j #)bezüglich eines gemeinsamen dominierenden Maÿes von den gleichenunbekannten Parametern # := (#1; : : : ; #K )t 2 Θ (mit Θ RK oen) abhängen.
Denition: Ein Schätzer #n = #n(X1; : : : ;Xn) für # = (#1; : : : ; #K )t heiÿtMaximum Likelihood-Schätzer, wenn er die Likelihoodfunktion
Ln(#) :=
n∏i=1
gi (Xi j #)
maximiert. Dies ist natürlich äquivalent dazu, dass #n die log-Likelihoodfunktion
`n(#) := lnLn(#) =
n∑i=1
ln gi (Xi j #)
maximiert.
Dr. Ulrich Riegel, Swiss Re Europe S.A. Schadenversicherungsmathematik 46
1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
Beispiel Gamma-Verteilung
Es seien Zj Γ(; vj), j = 1; : : : ; J unabhängige Beobachtungen mit bekanntenVolumina vj . Mit obiger Notation haben wir dann # = (#1; #2) = (;), n = Jund gi (x j #) = g;vi(x).
Für die ML-Schätzer von und gilt dann
=
∑Jj=1 vjZj∑Jj=1 vj
; =J∑J
j=1 vj (Ψ(vj + 1) ln(vjZj=)):
Der ML-Schätzer für ist unabhängig von . Die Berechnung von ist nuriterativ möglich (mit dem Momentenschätzer als Startwert) oder mitNewton-Verfahren (mittels Approximation für die Trigamma-Funktion Ψ0).
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1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
Beispiel Gamma-Verteilung
Beweis: Wir haben
lnL(;) =
J∑j=1
ln(g;vj(Zj))
=
J∑j=1
[vj ln
(vj
) ln (Γ(vj)) + (vj 1) ln(Zj) vjZj
]:
Somit@ ln(L)
@=
J∑j=1
(vj
+
vjZj2
):
Nullsetzen liefert
=
∑Jj=1 vjZj∑Jj=1 vj
:
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1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
Beispiel Gamma-Verteilung
Einsetzen in die log-Likelihood und Ableiten liefert
@ ln(L(; ))
@=
J∑j=1
[vj ln(vj) +
vjvj
vj vj ln()Ψ(vj)vj + vj ln(Zj) vjZj
]=
J∑j=1
vj
[ln(vjZj=) + 1Ψ(vj) Zj
]=
J∑j=1
vj
[ln(vjZj=) + 1Ψ(vj + 1) +
1vj
Zj
]=
J∑j=1
vj
[ln(vjZj=)Ψ(vj + 1) +
1vj
]
= J∑j=1
vj(
Ψ(vj + 1) ln(vjZj=))+
J:
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1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
Beispiel Gamma-Verteilung
Nullsetzen liefert
=J∑J
j=1 vj (Ψ(vj + 1) ln(vjZj=)):
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1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
Maximum Likelihood
Denition: Eine Folge #n = #n(X1; : : : ;Xn) heiÿt asymptotischer MaximumLikelihood-Schätzer für #, wenn für jedes # 2 Θ
P#
(Ln(#n) = max
#2ΘLn(#)
)! 1 (n !1)
gilt.
Notation: Wir schreiben
r :=
@@#1
...@
@#K
:
Dann ist rf der Gradient und rrt f die Hessematrix einer Funktion f : Θ ! R.
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1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
Maximum Likelihood
Wir setzen voraus, dass die gi zweimal stetig nach # dierenzierbar sind und dieVertauschbarkeitsbedingungen
r∫R
gi (x j #) dx =
∫R
rgi (x j #) dx und
rrt
∫R
gi (x j #) dx =
∫R
rrtgi (x j #) dx
erfüllt sind.
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1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
Maximum Likelihood
Denition: Der Zufallsvektor r`n(#) heiÿt Score-Vektor. Die K K -Matrix
In(#) := E#(r`n(#) rt`n(#))
)= E#
(@
@#i
`n(#) @
@#j
`n(#)
)i ;j
heiÿt die Fisher-Informationsmatrix.
Lemma: Es gilt
In(#) = Cov#(r`n(#)) = E#(rrt`n(#)):
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1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
Maximum Likelihood
Beweis:
Es gilt mit fn(x ; #) =∏n
i=1 gi (xi j #):
E#(r`n(#)) =
∫Rn
rfn(x ; #)
fn(x ; #)fn(x ; #) dx
=
∫Rn
rfn(x ; #) dx = r∫Rn
fn(x ; #) dx = 0
und somitIn(#) = Cov#(r`n(#)):
Dr. Ulrich Riegel, Swiss Re Europe S.A. Schadenversicherungsmathematik 54
1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
Maximum Likelihood
Wegen
rrt ln fn(x ; #) =rrt f (x ; #)
fn(x ; #) (rfn(x ; #)) (rt fn(x ; #))
(fn(x ; #))2
=rrt f (x ; #)
fn(x ; #) (r ln fn(x ; #)) (rt ln fn(x ; #))
gilt
E#(rrt`n(#)) =
∫Rn
fn(x ; #) rrt ln fn(x ; #) dx
= rrt
∫Rn
fn(x ; #) dx
∫Rn
(r ln fn(x ; #)) (rt ln fn(x ; #)) fn(x ; #) dx
= E#(r`n(#) rt`n(#))
):
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1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
Maximum Likelihood
Denition: Unter einer Normierungsfolge verstehen wir eine Folge vonK K -Diagonalmatrizen
Γn = diag( n1; : : : ; nK )
mit nk > 0 und nk ! 0 für n !1. Ein asymptotischer ML-Schätzer heiÿtΓ1n -konsistent für #, wenn die Folge
Γ1n (#n #)
P#-stochastisch beschränkt ist (d.h. zu jedem " > 0 gibt es ein C" > 0, so dassfür alle n 2 N gilt P(kΓ1n (#n #)k C") > 1 ").
Ein wichtiger Spezialfall ist die Normierungsfolge Γn := diag(1=pn). Man spricht
dann von einempn-konsistenten Schätzer.
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1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
Maximum Likelihood
Satz: Die X1;X2; : : : seien i.i.d. mit Dichten der Form
gi (x j #) = g(x j #) = exp(#tt(x) b(x)) h(x): ()
Hierbei seien t : R ! RK messbar und b : Θ ! R zweimal stetig dierenzierbarmit positiv deniter Hessematrix rrtb(#). Dann gibt es einen
pn-konsistenten
ML-Schätzer für #. Für jeden asymptotischen ML-Schätzer gilt dieasymptotische Normalität
pn(#n #)
D#! NK (0; I1(#)1)
(beachte: In(#) = nI1(#)).
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1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
Maximum Likelihood
Bemerkung: Bei einer Verteilungsfamilie mit Dichten der Form (), d.h.
g(x j #) = exp(#tt(x) b(x)) h(x);
spricht man von einer Exponentialfamilie. Viele der wichtigen Verteilungsfamilienlassen sich als Exponentialfamilien schreiben, z.B.:
Normalverteilung
Poisson-Verteilung
Gamma-Verteiung
Inverse Gauÿ-Verteilung
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1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
Maximum Likelihood
Beweisskizze: Wir schreiben Un := r`n. Dann gilt
`n(#) = #t
n∑i=1
t(Xi ) nb(#) +
n∑i=1
ln h(Xi );
Un(#) =
n∑i=1
t(Xi ) nrb(#);
dUn
d#(#) = rrt`n = nrrtb(#) = In(#) = nI1(#):
Nach dem zentralen Grenzwertsatz in mehreren Variablen gilt wegen E(U1) = 0und I1(#) = Cov#(U1)
1pnUn(#)
D#! NK (0; I1(#)): ()
Dr. Ulrich Riegel, Swiss Re Europe S.A. Schadenversicherungsmathematik 59
1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
Maximum Likelihood
Ist #n ein asymptotischer ML-Schätzer für #, so gilt
0 = Un(#n) = Un(#) +dUn
d#(#)(#n #) + o(#n #)
= Un(#) nI1(#)(#n #) + o(#n #)
(mit h1 o#(h) ! 0 für h ! 0). Hieraus folgt
pn(#n #) = I1(#)1
1pnUn(#) + o(#n #):
Wegen () erhalten wir hieraus
pn(#n #)
D#! NK
(0; I1(#)1I1(#)
(I1(#)1
)t)= NK
(0; I1(#)1
):
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1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
Maximum Likelihood
Da rrtb(#) positiv denit ist, ist eine Lösung der Likelihood-Gleichungen
n∑i=1
t(Xi ) nrb(#) = Un(#) = 0
stets eindeutig und entspricht einem Maximum. Da rb(Θ) oen ist undE#(Un) = 0 gilt, sind die Likelihood-Gleichungen asymptotisch lösbar. DieKonsistenz kann direkt nachgewiesen werden.
Dr. Ulrich Riegel, Swiss Re Europe S.A. Schadenversicherungsmathematik 61
1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
Maximum Likelihood Beispiel
Beispiel: Sei Xi N (; 2) und # = (; 2). Dann ist
`n(; 2) =
n∑i=1
(12ln(22) (Xi )2
22
):
Durch Nullsetzen der partiellen Ableitungen
@
@`n(; 2) =
n∑i=1
(Xi )
2und
@
@2`n(; 2) =
n∑i=1
( 122
+(Xi )2
24
)erhalten wir die ML-Schätzer
n =1n
n∑i=1
Xi (erwartungstreu),
2n =1n
n∑i=1
(Xi n)2 (asymptotisch erwartungstreu).
Dr. Ulrich Riegel, Swiss Re Europe S.A. Schadenversicherungsmathematik 62
1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
Maximum Likelihood Beispiel
Es gilt
@2
@2`n(; 2) =
n∑i=1
12
= n2
;
(@
@2
)2
`n(; 2) =
n∑i=1
(124
(Xi )2
6
);
@2
@@2`n(; 2) =
n∑i=1
(Xi )
4
und wir erhalten
In(; 2) = E(rrt`n(; 2)) =
(n2 00 n
24
):
Dr. Ulrich Riegel, Swiss Re Europe S.A. Schadenversicherungsmathematik 63
1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
Maximum Likelihood Beispiel
Somit also
In(; 2)1 =
(2
n0
0 24
n
):
Zum Vergleich die exakte Kovarianzmatrix:
Cov((; 2)t) =
(2
n0
0 2(n1)4
n2
):
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1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
Maximum Likelihood
Satz: Für n !1 gelten∑i=1
E#(kΓnr ln gi (Xi ; #)k2 1fkΓnr ln gi (Xi ;#)k>"g
)! 0 für alle " > 0 (ML1)
und ΓnIn(#)Γn ! Σ(#) (ML2)
mit einer positiv deniten Matrix Σ(#). Weiter gelte für jede Folge#n = #n(X1; : : : ;Xn) mit der Eigenschaft
Γ1n (#n #); n 1 P#-stochastisch beschränkt;
dassΓn
(rrt`n(#n)
)Γn
P#! Σ(#): (ML3)
Dann gibt es einen Γ1n -konsistenten ML-Schätzer für #. Für jedenΓ1n -konsistenten ML-Schätzer gilt die asymptotische Normalität
Γ1n (#n #)D#! NK (0;Σ(#)1):
Dr. Ulrich Riegel, Swiss Re Europe S.A. Schadenversicherungsmathematik 65
1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
Maximum Likelihood
Folgerung (auch für diese allgemeine Situation): Für groÿe kann manannehmen, dass näherungsweise
Γ1n (#n #) NK (0; Γ1n In(#)1Γ1n )
und somit näherungsweise
#n # NK
(0; In(#)1
)gilt.
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1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
Maximum Likelihood
Bemerkung:
Die Bedingungen (ML1) und (ML2) in Satz 65 kommen aus demmultivariaten zentralen Grenzwertsatz und stellen sicher, dass r`n(#)asymptotisch normalverteilt ist.
Sind X1;X2; : : : i.i.d., so sind (ML1) und (ML2) erfüllt mit Σ(#) = I1(#)und Γn = diag(1=
pn).
Die Bedingung (ML3) wird benötigt, da die Hessematrix rrt`n(#) imallgemeinen zufällig ist und nicht deterministisch wie bei derExponentialfamilie in Satz 57.
Dr. Ulrich Riegel, Swiss Re Europe S.A. Schadenversicherungsmathematik 67
1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
Maximum Likelihood
Lemma (Transformationssatz):
Sei T : Θ ! RL stetig dierenzierbar und bei # regulär (d.h. dT=d#(#) hatRang L). Es seien die Voraussetzungen des Satzes auf Folie 65 erfüllt und #n einΓ1n -konsistenter ML-Schätzer für #.
Dann gilt näherungsweise
T (#n) T (#) NK
(0;
(dTd#
(#)
)In(#)1
(dTd#
(#)
)t):
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1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
Maximum Likelihood Beispiel
Beispiel: Seien jetzt Xi N (i ; 20) unabhängig mit bekanntem 20. Sei
# = (1; : : : ; n). Dann gilt
@
@i`n(1; : : : ; n) =
(Xi i )
20;
sowie
@2
@2i
`n(1; : : : ; n) = 1
20und
@2
@i@j`n(1; : : : ; n) = 0
für i 6= j . Somit #n = (X1; : : : ;Xn) und
In(#)1 =
20 0. . .
0 20
:
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1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
Maximum Likelihood Beispiel
Wir betrachten
T (#) =1n
(1 + + n);
und erhalten T (#n) = 1n
(X1 + + Xn). Wegen @T@i
= 1nerhalten wir aus dem
Transformationssatz (Folie 68)
Var(T (#n)) (1n; : : : ;
1n
) 20 0. . .
0 20
1n...1n
=20n
in Übereinstimmung mit dem exakten Wert Var() = 20=n.
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1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
Maximum Likelihood
Satz (Likelihood-Quotiententest): Es seien M < K , #0M+1; : : : ; #
0K xiert,
∆ := f(1; : : : ; M) 2 RM j (1; : : : ; M ; #0M+1; : : : ; #
0K ) 2 Θg
und : ∆ ! Θ; (1; : : : ; M) 7! (1; : : : ; M ; #
0M+1; : : : ; #
0K ):
Sind dann #n und n asymptotische ML-Schätzer für # = () 2 Θ bzw. 2 ∆,so gilt unter den Voraussetzungen des Satzes auf Folie 65:
Tn := 2 ln(
Ln(#n)
Ln((n))
)= 2
(`n(#n) `n((n))
)D#! 2
KM :
Unter den Voraussetzungen des Satzes auf Folie 57 gilt die Aussage sogar fürbeliebige Immersionen : ∆ ! Θ.
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1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
Maximum Likelihood Beispiel
Beispiel: Seien wieder Xi N (i ; 20) unabhängig mit bekanntem 20. Sei
# = (1; : : : ; n). Wir betrachten die injektive Immersion
: R! Rn; 7! (; : : : ; )t :
Dann ist #n = (X1; : : : ;Xn) und n = =1n
(X1 + + Xn) und somit
2 (`n(#n) `n((n))) = 2 n∑i=1
(12ln(220) 0 +
12ln(220) +
(Xi )2
220
)
=
n∑i=1
(Xi )2
20
annähernd 2n1-verteilt. Mit bekanntem 20 ergibt das einen Test auf Gleichheit
der Erwartungswerte 1 = : : : = n.
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1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
2-Test
Es sei nun Θ := f(p1; : : : ; pK+1) 2 RK+1 j pi > 0;∑K+1
i=1 pi = 1g. Beachte:Durch Weglassen der letzten Koordinate kann man Θ als oene Teilmenge vonRK auassen. Mit MK+1(n; p) bezeichnen wir die Mulinomialverteilung mit denParametern n 2 N und p 2 Θ.
Wir betrachten nun eine Folge MK+1(n; p)-verteilter ZufallsvektorenX (n) 2 NK+1
0 . Seien M < K , ∆ RM oen und p : ∆ ! Θ eine zweimal stetigdierenzierbare injektive Immersion.
Satz (2-Test): Bezeichnet n einenpn-konsistenten ML-Schätzer, so gilt für
die Pearson-Fisher-Teststatistik:
n∑i=1
(X (n)i npi (n))2
npi (n)
Dp()! 2KM :
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1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
Minimum 2-Schätzer
Denition: In der Situation von Satz 73 heiÿt n = n(X (n))Minimum-2-Schätzer, wenn er die 2-Abstandsfunktion
Qn(X (n); ) :=
n∑i=1
(X (n)i npi ())2
npi ()
minimiert, d.h. wenn
Qn(X (n); n) = min2∆
Qn(X (n); )
gilt.
Satz: Ein Minimum-2-Schätzer n ist stets konsistent und mit jedemkonsistenten ML-Schätzer n asymptotisch äquivalent, d.h.
pn (n n) ! 0 nach P#-Wkt.
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1.4 Maximum Likelihood und Minimum Chi-Quadrat
Kleinste-Quadrate-Schätzer
Lemma (KQ-Schätzer): Seien jetzt : Θ ! Rn, 20 > 0 undX1; : : : ;Xn N (i (#); 20). Ein Schätzer # ist genau dann ein ML-Schätzer,wenn er ein Kleinste-Quadrate-Schätzer ist, d.h.
`n(#) = max#2Θ
`n(#) ()n∑i=1
(Xi i (#))2 = min#2Θ
n∑i=1
(Xi i (#))2:
Beweis: Die Behauptung folgt direkt aus
`n(#) = n2ln(220)
n∑i=1
(Xi i (#))2
220:
Dr. Ulrich Riegel, Swiss Re Europe S.A. Schadenversicherungsmathematik 75