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Ein Jahr um die Welt von Udo Lau, Jens Kunze 1. Auflage tredition 2014 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 7323 0421 9 schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG

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Ein Jahr um die Welt

vonUdo Lau, Jens Kunze

1. Auflage

tredition 2014

Verlag C.H. Beck im Internet:www.beck.de

ISBN 978 3 7323 0421 9

schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG

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Udo Lau

Ein Jahr um die Welt

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Udo Lau: Ein Jahr um die Welt

1. Auflage, August 2014

Alle Rechte am Werk liegen beim Autor: Udo Lau Am Mühlenberg 28 D-37133 Friedland

Satz und Gestaltung: Jens Kunze

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN: 978-3-7323-0420-2 (Paperback) 978-3-7323-0421-9 (Hardcover) 978-3-7323-0422-6 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deut-schen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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INHALTProlog 6

Nordamerika 8Florida – vom Traum ins Trauma. 9New York – WTC und Erdhörnchen 19Alaska – zwischen Yukon, Grizzleys und Mc Kinley 31Caribous in Kanada 40

Südamerika – Peru 50Wiedersehen 51Mit dem Bus durch die Anden 53Zweimal besch.ssen 59Cuzco - Nabel der Welt 62Auf dem „Inca Trail“ zur „Verlorenen Stadt“ 65Mit der Andenbahn zum Titicacasee 75Insel der „Strickenden Männer“ 78Condore, Nasqualinien, Oasen und „Klein Galapagos“ 83Amazonasdschungel und Piranhas 92Lima – zwischen Elend und Miraflores 101

Südafrika 106Eine Zitterpartie 107Klettertour am Tafelberg 109Tosende Giganten 114Schwarz und Weiß 119“Big Five” 125Landschaften-Unterkünfte-Wale-Strauße 135Graskop-Spaghetti 147

Tansania / Kenia 154Grenzpoker 155Kilimanjaro 166„Hatari“ und Hotelghetto 188Paradise Beach Hotel 198

Bangkok 202„Wat wa Wo“ 203

Tasmanien 210Tasmanien? 211

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Australien 216David Woodburn…“Seldom Seen Servive Station“ 217Der Sesselsturz am Mt. Kosciuczko 220Küstenfeeling 222Polenz – Sydney, Städte und Olympia 228„Uluru“ und „Kata Tjuta“ 237Kakadu NP - „Jumping Crocodile“ 247Great Barrier Reef 252

Neuseeland 258Königliche Begrüßung 259Ein Treffen in der Wildnis 271Verrückt in die Tiefe 277Gletscher – Seen – Sounds – Verstecke 283Von der Lüneburger Heide nach Vietnam 297Dramatischer Abschied 307

Bali 314Verstärkung aus der Heimat 315Bali hautnah 320Die Flossenschlacht 327„Padang Bai“ 330Affentanz und Hahnenkampf 336Gauner-Guides und Kraterangst 343

Epilog 350Danksagung 353

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6 PROLOG

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„Udo, träumst Du? Wo bist Du mit Deinen Gedanken?“

Ganz langsam wache ich aus meinem Tagtraum auf.

Wie aus weiter Ferne zwängen sich fremde Bilder und Landschaften durch den schmalen Trichter einer Sanduhr, verdichten sich auf eigenartige Weise zu einer lebendigen Vielfalt bunter Farben und Bewegungen und verflüchti-gen sich nach Durchdringen des Nadelöhrs zu der grauen Wirklichkeit eines Klassenzimmers.

Vor mir steht gutmütig und verständnisvoll „Bulle Henkel“, mein Erdkun-delehrer. Er hat mich etwas gefragt, aber mich in meinen träumerischen Fan-tasien nicht erreicht.

Der Atlas liegt aufgeschlagen auf dem Tisch, das Lehrbuch daneben. Afrika steht auf dem Stundenplan der siebten Klasse des Alfelder Gymnasi-ums.

Noch halb gefangen in den Träumen eines kindlichen Pennälers sehe ich auf der Buchseite den schneebedeckten Gipfel des Kilimanjaros, darunter das Bild einer vollreifen Bananenstaude und die Eingeborenen bei der Kaffeeernte auf den Plantagenfeldern.

„Höhenstufen in den Tropen“ lautet das abstrakte Thema.

Für mich heißt das einfach übersetzt: Abenteuer auf einem unbekannten Kon-tinent, Menschen mit einer anderen Hautfarbe, Tiere, die man sonst nur im Zoo oder Zirkus sieht, Pflanzen von einem unermesslichen Reichtum… ganz einfach eine neue Welt.

Das alles wollte ich einmal sehen und hautnah erleben…

… auf dem höchsten Punkt eines Kontinents stehen, vielleicht jeden Erdteil einmal mit meinen eigenen Füssen betreten.

Das war mein Traum!

Und mir schien, als würden die aufmerksamen Augen meines Lehrers meine Gedanken erraten haben, als er mich nachsichtig aufforderte, den bildreichen Text des mühsamen Aufstiegs auf den Kilimanjaro vorzulesen.

Vielleicht war das der Augenblick, als sich in mir der Wille festsetzte, es dem Autor irgendwann nachzumachen, den Mut zu haben, den Traum zu wagen.

Doch wie weit war ich in diesem Moment noch davon entfernt, dieses Wunsch-bild jemals zu realisieren.

Ein kleiner Junge, der gerade seinen Schuhkarton mit den gesammel-ten Plastikfiguren der afrikanischen Tierwelt an die Seite gestellt hatte und dessen Ferienreisen an die Ostsee oder in den Schwarzwald gingen. Aber das Leben hält viele Überraschungen bereit.

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NORDAMERIKA NORDAMERIKA8 NORDAMERIKA

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NORDAMERIKA NORDAMERIKA 9

Florida – vom Traum ins Trauma.

„Darf es noch ein Gläschen Champagner sein?“

Freundlich lächelnd nimmt die bildhübsche Stewardess den „Dom Perignon“ aus dem silbernen Eiskübel und schenkt dezent nach.

Entspannt lehne ich mich in dem bequemen King Size Sessel der Continental Airlines Maschine zurück und schließe die Augen.

Heute Morgen um fünf Uhr klingelte der Wecker in Groß Schneen, unserem kleinen, verträumten Dorf am südlichsten Zipfel von Niedersachsen. Das Mor-genrot am östlichen Horizont über dem „Bocksbühl“ versprach einen wunder-schönen Tag.

Der unruhige Schlaf war ein untrügliches Zeichen für die bevorstehende Un-gewissheit, die dieser Tag mit sich bringen sollte.

Wie und wo würde er enden?

War das jetzt alles Wirklichkeit, was sich um uns herum abspielte, oder nur die geträumte Vision einer unerfüllten Träumerei? Ein Blick aus dem Bord-fenster des vierstrahligen Jets hätte Beides sein können: blauer Himmel über der endlosen Weite blauen Wassers. Wir schwebten dahin.

Ich versuchte, mich an etwas Greifbarem zu orientieren, aber alles was ich wahrnahm, erschien mir fremd, unpassend und widersprüchlich.

Beim Check- in auf dem Frankfurter Flughafen schaute die Dame am Schalter der Continental Airlines verwirrt auf das Päckchen der Tickets, das ich ihr auf den Tresen legte. Ungläubig blätterte sie den Stapel wiederholt durch und schaute mich fragend an. Mir lief der erste heiße Schauer über den Rücken. Helga erging es nicht besser.

War irgendetwas nicht in Ordnung?

Wie konnte ich der jungen Dame so schnell erklären, dass es sich hier um keinen gewöhnlichen Flug von Frankfurt nach New York handelte, sondern um den ersten Teil einer Weltreise, der mich in direktem Anschluss von Mi-ami über Kanada nach Alaska bringen sollte, von dort zurück nach New York mit dem Weiterflug nach Lima in Peru und schließlich wieder zurück nach Frankfurt.

Das war auch für den routinierten Service einer erfahrenen Ticket Boarderin nicht alltäglich…

Hinter uns staute sich die Schlange der Wartenden.

Lag es nun an dem komplizierten Flechtwerk dieser Reisekombination oder tatsächlich an der überbuchten „Holzklasse“, wir hatten Glück!

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Die Frage, ob wir damit einverstanden seien, zwei Plätze in der Business First Class zu akzeptieren, quittierte ich mit der großzügigen Geste eines vielbe-schäftigten Global Players, dem so etwas häufiger widerfährt.

Nur gut, dass unser Gepäck mit Seesack, Riesenkoffer und Rucksack schon über das Band gelaufen war und unser sportliches Outfit keinen direkten Zu-sammenhang über dieses unverhoffte Upgrading geben konnte.

Der sitzeigene Bildschirm des Bordcomputers, die Fensterplätze mit den Nummern 1A und 1B, die komfortable Beinfreiheit, Schrimps und Kaviarhäpp-chen einer ausgewählten Menüfolge passten ebenso perfekt zu dem Luxus-service, wie die vorgewärmten Frischhaltetücher und die silberne Besteck-garnitur.

So stellten wir uns das Leben der großen, weiten Welt vor!

Ein Auftakt nach Maß.

Fröhlich und gutgelaunt saßen wir nebeneinander und ließen unseren Gedan-ken freien Lauf.

Business First Class

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Der Zwischenstopp in Newark mündete kurz und hastig in den Weiterflug nach Miami /Florida.

Die Rückstufung in die 2. Klasse war ernüchternd aber durchaus angemes-sen. Sie entsprach jetzt dem Level unserer Erwartungen, auch wenn wir zu der späten Mittagsstunde den gefühlten Eindruck hatten, schon einen ganzen Tag unterwegs gewesen zu sein.

Eingezwängt in die enge Sitzreihe der Boeing 727 erwartete ich den nächs-ten Abschnitt unseres Interkontinentalfluges. Das geschäftige Treiben des Bordpersonals, die gelangweilte bis hektische Atmosphäre der Fluggäste, der elende Zigarettenqualm aus dem hinteren Teil der Smoking-Area steigerten meine innere Anspannung auf unerklärliche Weise.

Die oberflächliche Ablenkung mit Zeitungslektüre, Bordimbiss und Geträn-keservice reizte meinen nervösen Magen mehr, als es meiner ohnehin schon empfindlichen Grundverfassung gut tat.

Auch die Bewunderung über die Umtriebigkeit des Geschäftsmannes an mei-ner rechten Seite, sein routinierter Umgang mit allerlei geschickten Finessen der neuesten Kommunikationstechnologie wirkte eher aufreibend als beruhi-gend auf mich.

So, wie Tiere ein Erdbeben spüren und vorausahnen, so fühlte ich mich einer bedrohlichen Situation ausgesetzt, die sich unaufhaltsam näherte.

Das erste Schütteln des Fliegers, die ersten Turbulenzen sollten meine ah-nungsvollen Befürchtungen bestätigen. Draußen hatte sich das Firmament in eine schwarzgraue Masse dunkler Wolkenberge verfinstert und grelle Blitze zuckten in den frühen Abendhimmel.

Die Tragfläche des Jumbos bewegte sich gefährlich heftig unter der zuneh-menden Wucht, mit der der Flieger hin und her gestoßen wurde. Über den Bordlautsprecher erging die Aufforderung, sich bitte anzuschnallen.

Die Luftlöcher, in die die Maschine gefühlt um dutzende von Meter absackte, waren wie Schläge in die Magengrube. Schweißperlen bildeten sich auf mei-ner Stirn; Helga schaute mich sorgenvoll an, sie kannte meine Schwäche.

Ich bot all meine Konzentration auf, meinen empfindlichen Gleichgewichts-sinn zu stabilisieren; ich versuchte mich mit aller Kraft gegen das schier Un-vermeidbare zu stemmen. Die Wahrnehmung meiner Umgebung fokussierte sich auf die wenigen Dinge, die mein Gehirn noch bereit war aufzunehmen: die Durchsage des Kapitäns, dass sich der Landeanflug auf Miami wegen ei-ner heftigen Gewitterfront um ca. zwanzig Minuten verspäten würde; die Tat-sache, dass mein Sitznachbar in aller Seelenruhe über das Bordtelefon seine Familie informierte und dass ich den Becher Wasser von Helga ablehnte, weil die Rebellion meines Magens jegliche Nahrungs-und Flüssigkeitsaufnahme verweigerte.

Die Frage, ob wir damit einverstanden seien, zwei Plätze in der Business First Class zu akzeptieren, quittierte ich mit der großzügigen Geste eines vielbe-schäftigten Global Players, dem so etwas häufiger widerfährt.

Nur gut, dass unser Gepäck mit Seesack, Riesenkoffer und Rucksack schon über das Band gelaufen war und unser sportliches Outfit keinen direkten Zu-sammenhang über dieses unverhoffte Upgrading geben konnte.

Der sitzeigene Bildschirm des Bordcomputers, die Fensterplätze mit den Nummern 1A und 1B, die komfortable Beinfreiheit, Schrimps und Kaviarhäpp-chen einer ausgewählten Menüfolge passten ebenso perfekt zu dem Luxus-service, wie die vorgewärmten Frischhaltetücher und die silberne Besteck-garnitur.

So stellten wir uns das Leben der großen, weiten Welt vor!

Ein Auftakt nach Maß.

Fröhlich und gutgelaunt saßen wir nebeneinander und ließen unseren Gedan-ken freien Lauf.

Business First Class

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Mit einem schrillen Pfeifen im Ohr kam das schwarze Loch auf mich zu. Was in den nächsten Minuten geschah, entzieht sich vollkommen meiner Erinne-rung.

Mich umgab die dumpfe Leere einer tiefen Ohnmacht, deren Schrecken sich erst offenbarte, als ich aus ihrer Endlosschleife wieder erwachte. Klitschnass und kotzübel – ohne mich übergeben zu haben – lag ich völlig ermattet in meinem Sessel. Helga und mein Nachbar kümmerten sich sorgenvoll um meinen bedauernswerten Zustand, ich wollte nur noch raus aus diesem Flie-ger, der immer noch nicht gelandet war.

Wie ich den Rest dieser Tortur überstanden habe, wollte sich in meiner Erin-nerung nicht festsetzen. Mir war nur eins bewusst: der Tag war noch nicht zu Ende.

Mit wackeligen Beinen und einer komabegleitenden Inkontinenz verließ ich nach einer Unendlichkeit lethargischer Agonie den qualvollen Käfig mei-ner klaustrophobischen Ängste. Und als wären die überstandenen Qualen nicht schon genug gewesen, schlug uns auf dem Weg zur Gepäckannahme die feuchtschwüle Tropenhitze Floridas wie eine Keule ins Gesicht. Jetzt war es nicht nur der kalte Schweiß des gerade überstandenen Kreislaufkollapses, nun kam der warme Dunst einer Waschküchensauna noch dazu. Beides saug-te mir die restlichen Energiereserven aus dem geschwächten Körper.

Notdürftig erfrischte ich mich auf der Toilette des Flughafenterminals, wäh-rend Helga auf unser Gepäck wartete.

Die Übernahme des Mietautos war noch ein ungewohntes Procedere und an-gesichts der besonderen Umstände nicht ganz stressfrei, zumal sie weder durch besondere Freundlichkeit noch mit einer hilfreichen Einweisung ver-bunden war.

Mir war aber inzwischen so ziemlich alles egal!

Ich wollte mich nur noch irgendwie flach legen. Aber wo?

Ein Baustein unserer Reisephilosophie war die absolute Freiheit unserer Ta-gesplanung, Unterkünfte und Routenführung. All das wollten wir je nach Lust und Laune selbst bestimmen und der jeweiligen Situation anpassen…

Eine solche Situation hatten wir nun: nachts, mitten in dem Großstadtmolloch von Miami Beach, umgeben von der kitschigen Glitzerwelt einer pulsierenden Metropole, geschwächt von einem Ohnmachtsflug und durchgeschwitzt von der Schwüle einer subtropischen Halbinsel…und ohne Quartier!

Ein kleiner Albtraum!

Jetzt kam Helgas große Stunde: in unserem Reiseführer von Miami hatte sie schon während des Fluges eine preiswerte Unterkunft in einem Youth Hostel für uns ausgesucht, zu der sie uns anhand des Stadtplanes zielsicher führte.

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Wegen des gewöhnungsbedürftigen Straßenverkehrs und seinem Einbahn-straßenlabyrinth dauerte es zwar etwas länger, aber ich folgte ergeben ihrem Lotsendienst.

Endlich waren wir am Ziel: „The Clay Hotel“, „The Miami Beach International Youth Hostel“. Es war noch ein Doppelzimmer frei. Den Wagen ließ ich gleich-gültig direkt vor dem Eingang in der Halteverbotszone stehen, checkte ein und hatte nur noch ein einziges Bedürfnis: Ausziehen, duschen und ins Bett!

Nach mehr als vierundzwanzig Stunden und einer Achterbahn an Höhenflü-gen und Break Downs waren wir von Groß Schneen gestartet und schließlich in Miami Beach in Florida gelandet. Von Don Johnson alias Michael Douglas hatte ich noch nichts gesehen.

Seine Spuren würden wir schon finden…

Vorläufig lag ich als sein Imitat ziemlich ermattet in dem klimatisierten Zim-mer einer sauberen Jugendherberge und war weit entfernt von der nassfor-schen Lässigkeit eines „Miami Vice“.

Der erste Tag unserer Weltreise hatte nichts an Überraschungen ausgelassen!

Ausgeschlafen und erholt fühlt sich anders an, als wir am nächsten Morgen aufwachten. Immerhin, mein Organismus hatte sich wieder stabilisiert, die Orientierung auf den neuen Tag projizierte eine gewisse Zuversicht für eine ruhigere Fortsetzung der Reise.

Noch war alles viel zu neu und aufregend. Unsere Gepäckstücke mussten nut-zungsgerecht sortiert werden, Handgepäck, Kofferinhalt und Seesackutensi-lien wurden für den aktuellen Bedarf getrennt und die Wertsachen sorgfältig auf beide Sicherheitsgürtel und Brustbeutel verteilt. Ein Minimum an Risiko-reduzierung.

Florida - Key West - welche Vorschusslorbeeren gingen diesem Wasser – und Inseleldorado voraus…das verlorene Paradies an der Südspitze Amerikas, die Verbindung von Geist und Natur, Hemingway, „Der alte Mann und das Meer“, ein Vorhof des Himmels.

Mit diesen Erwartungen starteten wir in den neuen Tag.

Unser weißes Buick Coupe stand noch unversehrt und ohne Knöllchen brav im Halteverbot und brachte uns auf dem direkten Weg an die berühmte Strandmeile von Miami Beach, dem ultimativen Flanierbogen der Reichen und Schönen.

Was uns empfing, war ein diesig, dunstiger Sandstrand mit ein paar Palmenin-seln und Picknickbänken darum, wie man ihn auf Mallorca oder Kreta besser findet, zumal dort die Aufdringlichkeit der kitschig- bunten Hotelfassaden nicht den Eindruck einer bonbonfarbenen Pappkulisse vermittelt. Menschen-

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leer präsentierte sich die Wasserlinie in der frühmorgendlichen Dunsthitze und animierte uns gerade mal zu einem hastigen Verlegenheitsfrühstück auf einer der einfachen Holzbänke.

Nun, das Paradies würde noch kommen…also machten wir uns hoffnungsfroh auf die Fahrt über die Inselkette der Keys.

160 Meilen zieht sich der Inselbogen von Miami in südwestlicher Richtung nach Key West, verbindet eine Unzahl von Inseln und Inselchen auf dem Over-seas Highway Nr.1 und trennt dabei die Florida Bay vom Atlantik. Eine Traum-strasse möchte man meinen, eine Enttäuschung in der Realität – zunächst!

Rechts und links der „Überwasserfahrt“ versperren riesige Reklametafeln und Schiffshalden den Blick auf das Wasser. Heruntergekommene Hafengebäude und Autoparkplätze wechseln sich mit schäbigen Industrieflächen und Bü-rogebäuden ab. Dort, wo das Wasser eine Bebauung verhindert, wächst ein undurchdringlicher Urwald und lässt eine grüne Wand aus Stelzwurzeln und Blattgewirr entstehen. Die wenigen Durchlässe in diesem Durcheinander von vergewaltigter Natur und postindustriellem Müll werden von Privatwegen versperrt oder von Hotelzufahrten zugepflastert.

Ein Blick auf das blaue Wasser bleibt eine Illusion. Meilenweit ein Trugbild der Erwartungen. Erst als sich in Islamorada das schmale Band der halbinselför-migen Nadel von Key Largo in einzelne Inselgruppen auflöst, ändert sich das Bild. Die Siedlungen werden weniger, der landschaftliche Reiz nimmt zu. Die kleinen Inseln sind jetzt wie Brückenpfeiler in der endlosen Weite der Was-serwelt. Und dort, wo ihr Abstand zu groß ist, überspannen schmale Brücken den Golf und den Atlantik. Die längste mit über sieben Meilen!

Das Hemingwayfieber steigt.

Key West ist erreicht.

Die erste Sorge gilt einer passenden Unterkunft. Noch ehe wir uns den kultu-rellen Reizen und dem atmosphärischen Flair des Städtchens widmen, gilt es, eine Bleibe für die Nacht zu suchen. Helga erweist sich wieder als geschickte Quartiermeisterin und lotst uns zu den preiswerteren Quartieren. Dennoch fallen wir aus allen Wolken. Was in Miami noch bezahlbar und reell war, rutscht hier in unverschämte Neppkategorien.

Wir machen immer mehr Abstriche und verhandeln schließlich auf unters-tem Niveau mit einem Abzocker, der uns seine schäbige Herberge anbietet. Was sich unseren völlig verdutzten Augen zeigt ist so absurd, dass es schon fast wieder eine amüsante Seite hat.

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Das besagte Etablissement war nur schwer zu definieren, etwa eine Mischung aus Back Packer Lodge, kasernierter Jugendherberge und Bienenhotel. Der durchaus saubere aber schlichte Empfangsraum führte in ein Sechsbettzim-mer, dessen einziges Fenster sich auf einen dunklen Hinterhof öffnete und von einer nackten Glühbirne beleuchtet wurde.

Schränke, Stühle oder sonstiges Mobilar: Fehlanzeige. Von einfachen sani-tären Anlagen keine Spur. Eine nüchterne Gefängniszelle hätte mehr Luxus geboten. In dem Raum hing ein strenger Geruch von Sagrotan und Desinfekti-onsmitteln und die braunen Plastikmatratzen waren glatt und kalt.

Und nun kommt das Unfassbare: Auf einem der drei Stockbetten saß oben ein verträumter Hippie mit seiner Wandergitarre und spielte weltentrückt eine einsame Melodie von Joan Baez. Dieses verlorene Stillleben rührte mich fast zu Tränen, war es doch gleichsam ein Symbol für vergangene Flower Power Zeiten in einer nüchternen Welt von Kommerz und untergegangenen Traum-welten.

Bedenkt man, dass ein Bett in dieser Sammelzelle 45 $ kosten sollte, so hatte sich dieser Bänkelsänger ganz offensichtlich einer verlorenen Illusion hinge-geben, die wir nicht bereit waren einzugehen. Wenn wir noch irgendwelche Zweifel gehabt hätten, diesen Ort sehnsuchtsvoller Literaturromantik nicht zu verlassen, so fanden wir bei dem anschließenden Rundgang durch Key West unsere endgültige Bestätigung.

Natürlich waren die kulturhistorischen Stätten ein Muss. Das Hemingway Home and Museum, die Duvalstreet als Scene-Gasse und der überdimensio-nale Meilenstein als südlichster Punkt der Vereinigten Staaten. Der hat mich als Einziges beeindruckt!

90 Meilen von Kuba entfernt und in der Kubakrise nur den winzigen Entschei-dungsmoment von einem Dritten Weltkrieg getrennt.

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Ansonsten erstickte dieser Ort in billigem Touristennepp und schamloser Ab-zocke.

Das Fluidum eines verträumten Fischerortes, das Flair einer Künstlerkolonie und die sentimentale Erinnerung an einen alten Mann im Kampf mit den Na-turelementen waren verflogen. Hemingway war nur noch eine Legende, auch Key West.

Enttäuscht fuhren wir am späten Nachmittag zurück, noch immer ohne Blei-be.

Die Hitze des Tages und die einbrechende Dunkelheit zwangen uns allerdings zu einer Entscheidung, die so gar nicht eingeplant war. Wenige Kilometer vor Key West hatte ich auf der Hinfahrt einen KOA Campground gesehen mit dem blumigen Namen „Sugarloaf Key“. Dorthin fuhren wir zurück und bekamen ein passables Plätzchen inmitten einer Dauercamperkolonie, die mit Argus-augen beobachtete, wie wir unser kleines Zeltchen aufbauten.

Eigentlich hatten wir diese Ausrüstung nur für den absoluten Notfall vorge-sehen. Dass dieser allerdings so schnell eintreten würde, hat uns selber völlig überrascht. Bei unserer logistischen Vorplanung hätte ich mir eine solche Si-tuation eher im einsamen Outback vorstellen können, aber nicht in der dicht-besiedelten Touristenmeile einer amerikanischen Disneylandschaft. Wie auch immer, jede Alternative hätte mir das Gefühl gegeben, über den Tisch gezogen worden zu sein und hätte meinen Stolz verletzt. Selbst die 38.-$ für den Platz waren schon grenzwertig.

Meilenstein Kuba

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Aber das Schlimmste kam noch!

Während wir unsere bescheidenen Utensilien auspackten, die Zeltstangen sortierten und den zu Haus geübten Aufbau zum ersten Mal auf einem anderen Kontinent praktizierten, wurden wir von einer Wolke kleinster Stechmücken attackiert, die sich buchstäblich auf jedes Fleckchen nackter Haut setzten und mit einer unbändigen Aggressivität zubissen. Sie waren nicht größer als kleine Kommas, ich nenne sie Gnitten, aber ihre Angriffe waren so schmerz-haft und lästig, dass man mehr damit beschäftigt war, Beine, Arme, Kopf und Haare zu schützen, als sich um den Zeltaufbau zu kümmern.

Amüsiert lächelnd schauten uns die Nachbarn zu. Ich fragte mich, warum sie offensichtlich verschont blieben? Natürlich, sie hatten vermutlich das geeig-nete Abwehrmittel oder waren diese Attacken gewohnt.

Nachdem auch wir endlich unseren europäischen Mückenschutz „Autan“ aus dem Koffer geholt und die Isomatten ausgerollt hatten, flüchteten wir in un-seren kleinen Wigwam und waren klitschnass. Bei all dem Theater hatten wir unsere Verpflegungseinheiten total vernachlässigt und wunderten uns, dass uns der Magen knurrte und der Durst uns quälte. Aber keiner wollte mehr in die gnittenverseuchte Schwüle hinaus, und der Campgroundimbiss hatte womöglich schon zu. Also holte ich noch eine piewarme Flasche Wasser aus dem Auto, überwand meine Abscheu und gehorchte der Vernunft, den Flüs-sigkeitshaushalt halbwegs auszugleichen.

So lagen wir fast unbekleidet in dem geschlossenen Zelt. Kein Windhauch regte sich, die Luftfeuchtigkeit lag bei 90 %, die Stauhitze wurde unerträglich, an Schlaf war nicht eine Sekunde zu denken. Auf der Isomatte bildete sich unter meinem Rücken eine kleine Schweißpfütze, ich wurde wahnsinnig!

Worauf hatten wir uns bloß eingelassen? Das sollte der Anfang unserer Welt-reise sein. Es glich eher einem Martyrium. Ich hatte die Wahl, entweder in der Zeltsauna vor Platzangst und Hitze zu ersticken, oder raus zu den Gnitten. Ich entschied mich für das Zweite.

Direkt neben dem Zelt rollte ich meine Matte aus, kroch in den dünnen leine-nen Schlafsack, zog ihn bis zum Hals zu, sprühte meinen Kopf mit Autan ein, schloss die Augen und bewegte mich keinen Millimeter mehr. Die Belohnung war ein leiser Luftzug über meiner Haut und das Gefühl, einer Thermofolter entgangen zu sein.

Ob wir tatsächlich ein paar Stunden geschlafen haben, ist mir nicht in Erinne-rung. Nur eins weiß ich wie heute, noch ehe die Sonne ganz aufgegangen war, hatten wir unser Zelt zusammengepackt und waren auf der Flucht vor dieser Bruthölle von Mückenplage und Hitzekoller.

Ansonsten erstickte dieser Ort in billigem Touristennepp und schamloser Ab-zocke.

Das Fluidum eines verträumten Fischerortes, das Flair einer Künstlerkolonie und die sentimentale Erinnerung an einen alten Mann im Kampf mit den Na-turelementen waren verflogen. Hemingway war nur noch eine Legende, auch Key West.

Enttäuscht fuhren wir am späten Nachmittag zurück, noch immer ohne Blei-be.

Die Hitze des Tages und die einbrechende Dunkelheit zwangen uns allerdings zu einer Entscheidung, die so gar nicht eingeplant war. Wenige Kilometer vor Key West hatte ich auf der Hinfahrt einen KOA Campground gesehen mit dem blumigen Namen „Sugarloaf Key“. Dorthin fuhren wir zurück und bekamen ein passables Plätzchen inmitten einer Dauercamperkolonie, die mit Argus-augen beobachtete, wie wir unser kleines Zeltchen aufbauten.

Eigentlich hatten wir diese Ausrüstung nur für den absoluten Notfall vorge-sehen. Dass dieser allerdings so schnell eintreten würde, hat uns selber völlig überrascht. Bei unserer logistischen Vorplanung hätte ich mir eine solche Si-tuation eher im einsamen Outback vorstellen können, aber nicht in der dicht-besiedelten Touristenmeile einer amerikanischen Disneylandschaft. Wie auch immer, jede Alternative hätte mir das Gefühl gegeben, über den Tisch gezogen worden zu sein und hätte meinen Stolz verletzt. Selbst die 38.-$ für den Platz waren schon grenzwertig.

Meilenstein Kuba

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Dass das Campingbüro noch nicht geöffnet hatte und wir unsere Platzmiete nicht bezahlen konnten, schien mir nur eine kleine Entschädigung für die erlittenen Qualen zu sein. Es war keineswegs der Sparbonus, der mir eine ge-wisse Genugtuung verschaffte, es war vielmehr die felsenfeste Überzeugung, dass uns Florida und dieser Teil der Erde nie wiedersehen würde.

Doch welcher Eindruck muss sich in den Köpfen zweier „Ameisen“ festgesetzt haben, wenn sie schon am dritten Tag ihrer geplanten Weltreise feststellen, dass der Anfang total verkorkst war? Selbst der Erste Klasse Flug konnte die Summe an Tiefschlägen nicht herausreißen: Flugkoma, Glitzerfassaden und Bonbonkitsch, Waschküchenhitze statt Traumstrände, Touristennepp ohne Schriftstelleraura, Mückenschwärme und Saunaschweiß, verbaute Land-schaft und kein verklärter Sonnenuntergang. Florida ade!!

Es konnte nur noch besser werden.

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New York – WTC und Erdhörnchen

Vier Wochen hatten wir für die amerikanische Ostküste eingeplant, und noch fehlte uns jegliches Timing.

Wir schrieben das Jahr 1999. Bis zum Millennium waren es noch knapp fünf Monate.

Dann würden wir in ein neues Jahrtausend hinübergleiten. Ein Ereignis, dass erst wieder eine Generation erleben könnte, die dreißig oder vierzig Mal spä-ter geboren würde. Welch eine Besonderheit, die uns zuteilwurde.

Darum sollte dieser menschliche Quantensprung in unserem eigenen, be-scheidenen Leben mit einer Weltreise geadelt werden, die dieser Einmaligkeit gerecht würde, weil sie selbst eine Einmaligkeit für uns bliebe: eine Reise um die Welt in einem Jahr mit dem Höhepunkt einer Jahrtausendwende.

So etwas schüttelt man nicht aus der Tasche, weder zeitlich noch finanziell.

Das Wichtigste aber ist die Vision. Ohne sie wäre ein solches Unternehmen völlig undenkbar. Und an dieser Vision muss man festhalten, egal welche Hindernisse sich einem in den Weg stellen. Und davon kann es eine ganze Menge geben. Beruf, Zeit, Familie, Freunde, Geld, Fantasie, Angst, Ausdauer, Willen, Bedenken und Kleinmütigkeit.

Das Wichtigste aber ist der Partner, mit dem man sich auf dieses Abenteuer einlässt. Wenn man einmal den Entschluss gefasst hat, es zu zweit zu ma-chen, ist der Partner der wichtigste Baustein in diesem Gebäude. Mit ihm entscheidet sich der Erfolg oder das Scheitern eines solchen Unternehmens. Doch erst am Ende weiß man, ob die Wahl richtig war.

Helga und ich standen noch ganz am Anfang. Und schon waren wir auf der Flucht!

Auf der Fluchtnach Norden vor der Augusthitze und Schwüle Floridas.

Das erste wirkliche Aufatmen gelang uns in North Carolina auf dem Inselbo-gen der Outerbanks, fast tausend Meilen von Miami entfernt.

Auf der mehrtägigen Fahrt dorthin präsentierte sich uns zunächst das Kli-schee von Amerikas glamouröser Glitzerwelt auf das allernachdrücklichste. Von den Filmkulissen Hollywoods und dem Mekka der Reichen und Schönen, ihren Supervillen in den Nobelvierteln von Boca Raton, den mondänen, meist geschmacklosen Nachbauten mediterraner Maurenarchitektur. Die unzäh-ligen Vergnügungsparks in und um Orlando mit „Water World“, “Adventure Park“, „Universal Studios Escape“, eine endlose Kunstwelt einer riesigen Dis-neykette, die mit enormen Preisen die oberflächliche Vergnügungssucht der Amerikaner auf das heftigste bedient.

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Die Fahrt auf dem „Skyline Drive“ des Parks nach Norden ermöglichte wie auf einer Panoramastrasse wunderbare Ausblicke in die Blue- Ridges nach Wes-ten und in das Piedmonthochland nach Osten. Wasserfälle, vertraute Weißwe-delrudel und eine beeindruckende Kombination aus landschaftlicher Harmo-nie und beschaulicher Friedlichkeit begleiteten unseren Weg.

Hätten wir es dabei belassen, wären wir schlau beraten gewesen.

Stattdessen wollten wir noch am gleichen Tag Washington erreichen, welch eine Hybris angesichts einer solchen Herausforderung! Ein Wechsel sozusa-gen vom Herzen der Natur in das Herz der amerikanischen Macht-und Schalt-zentrale.

Metropolen dieser Größenordnung sind schon für einen Pauschaltouristen kein Zuckerschlecken, für zwei Ameisen vom Lande aber allemal ein star-kes Brett, noch dazu wenn die blauäugige Vorstellung von einem preiswerten Quartier in Zentrumsnähe mit der Unkenntnis ihrer Größenordnung kolli-diert. Glück belohnt den Mut!

Nach einigen Telefonaten hatten wir ein Zimmer gefunden, uns durch die Spa-ghettiknoten der Highways zu unserer „Econo Lodge“ geschlängelt, geduscht und umgezogen und sind mit dem Shuttle Bus des Hotels zur Metrostation Pentagon City gefahren und standen wenig später auf der Mall, der Drehschei-be von Washington D.C., dem Schaufenster der amerikanischen Nation, der Kultur – und Machtmeile der USA.

Weißwedelhirsche

Dagegen steht das Kennedy Space Center (KSC) in Cape Canaveral als Ge-burtsstätte der bemannten Raumfahrt schon als Relikt aus einer Zeit, in der der Wettlauf zum Mond ein weltmachtpolitisches Prestigeobjekt war.

Das Zentrum der NASA, Apollo 13, „Houston, wir haben ein Problem… „.

Schaut man sich die Technik im Innern der Raumkapsel von Neil Armstrong an, so hat jeder VW GOLF heute einen höheren technischen Standard als die Mondlandefähren damals. Dennoch beeindrucken die Originale!

Weiter ging es auf der Ocean Road, vorbei an Dayton Beach mit seinem be-rühmten Strand- Auto- Rennen der verrückten PS Boliden, ehe wir uns über Charleston „Myrtle Beach“ nähern, einer weiteren Konzentration amerika-nischer Kitsch-und Plastikatmosphäre: Reklamefelder, Fressbuden, Ein-kaufstempel, Badeklamotten, Mini Disney Waterworlds, blaues Kunstwasser, Treasure Islands, ja sogar geschmacklose Weihnachtsdekorationen.

Unser Fluchtinstinkt vor so viel Plastikmüll beschleunigte unsere Weiter-fahrt nach Norden.

Endlich, die Inselidylle der Outerbanks in North Carolina empfängt uns wie eine Erlösung. Wir haben das Gefühl, uns von einem bunten Plastikmantel zu befreien, in dem wir tagelang in einer Sauna gesessen haben, bei zu we-nig Flüssigkeit und gelegentlichem Fastfood Essen, das uns den Magen völlig verklebt hat. Die Natur hat uns wieder, oder besser gesagt, wir haben sie be-wusst zum ersten Mal gefunden.

Ein Bad in den erfrischenden Fluten des Atlantiks ohne Hotelfassaden im Hintergrund, Strandzugänge ohne private Verbotsschilder, Dünenketten so-weit das Auge reicht und ein Zeltplatz mit einem Blick auf Strandhafer und Wildrosen.

Jetzt erst wird uns der Wert unserer kleinen, provisorischen Zeltausrüstung richtig bewusst. Wir genießen diese Ruhe. Nach einer Woche haben wir das Gefühl angekommen zu sein, im Rhythmus zu sein, glauben, den Tagesverlauf im Griff zu haben.

Derart beflügelt wechseln wir nach einem Erholungstag am Strand von der Küste in das östliche Randgebirge der USA, den südlichen Appalachen, in den Shenandoah Nationalpark…ein gewaltiger Landschaftswechsel und ein neuer Schritt in unser eigenes Vertrauen, Ungewöhnliches zu wagen.

Doch schon haben wir uns wieder überhoben und müssen unser „Iglu“ im Dunkeln aufbauen. Die Fahrtstrecke war zu lang, die Fähren hatten Verspä-tung, der Fahneneinkauf kostete Zeit, Straßenbauarbeiten erforderten Umlei-tungen und der Einkaufsversuch scheiterte am Ladenschluss. Der Tag war wieder zu voll!

Dafür teilten wir aber unseren restlichen Proviant beim Frühstück des nächs-ten Morgen mit einem Pärchen zutraulicher Weißwedelhirsche.