eine frage des geschmackes

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TREFFPUNKT FORSCHUNG | Süß, sauer, salzig, bitter und umami („fleischig und herzhaft“) sind die fünf grundlegenden Ge- schmacksrichtungen, für die wir Sinneszellen entwickelt haben, dis- kutiert werden weitere für fettig, metallisch oder alkalisch. Auf der Zunge sind sie zu Geschmacks- knospen gruppiert und auf den Geschmackspapillen verteilt. Die gesamte Zunge ist für alle Ge- schmacksqualitäten empfindlich, die vielfach noch dargestellte Zungenkarte beruhte auf einer Fehlinterpretation älterer Daten. Geschmackssinneszellen sind sy- naptisch mit drei Hirnnerven ver- bunden und mit weiteren Sinnes- eindrücken verknüpft, wie dem Geruchs-, Schmerz-, Wärme- oder Tastsinn. Bevor die Information das Gehirn erreicht, wird sie von Hormonen und anderen endoge- nen Faktoren moduliert und beein- flusst unsere Vorlieben und Abnei- gungen bei der Nahrungsauf- nahme [1]. Unser Geschmackssinn hilft uns, Genießbares von Unge- nießbarem zu unterscheiden, diese wichtige Überlebensfunktion stand schon bei unseren Vorfahren unter hohem selektivem Druck. „Süß“ kennzeichnet Kohlenhy- drate, „umami“ Proteine und Ami- nosäuren, „salzig“ weist auf Elek- trolyte hin, „bitter“ warnt vor Gif- ten, „sauer“ informiert über die Frische und Reife der Nahrung. Anders als der Geruchssinn ist der Geschmackssinn auch im bewusst- losen Zustand aktiv. Der Signalweg einer Ge- schmacksempfindung beginnt, sobald ein passendes Molekül (Ligand) an den Rezeptor einer Geschmackssinneszelle bindet. Die Sinneszellen für salzig und sauer benutzen Ionentunnel als Re- zeptoren, die Rezeptoren für süß, umami und bitter gehören dage- gen zur Familie der G-Protein ge- koppelten Rezeptoren (GPCR G-protein-coupled receptors), ähn- lich wie das Molekül Rhodopsin in den Lichtsinneszellen. Für die Ent- deckung dieser bei der gesamten Zellkommunikation bedeutenden Proteine erhielten Robert Lefko- witz und Brian Kobilka 2012 den Chemie-Nobelpreis [2]. GPCR durchspannen die Zellmembran und leiten so ein Signal von der Außenseite zur Innenseite: Sobald ein Ligand außen an den Rezeptor bindet, führt das zu Konformati- onsänderung auf der Innenseite. Dort wird die Bindungsstelle für G-Proteine freigelegt und das G-Protein aktiviert. Über eine Sig- nalkaskade führt das zur Depolari- sierung der Sinneszelle und zur Weiterleitung eines Aktionspoten- zials zum gustatorischen Cortex des Gehirns. Hier sind die Ge- schmacksempfindungen für süß und umami eng mit dem Beloh- nungssystem verschaltet. Bitter- stoffe führen dagegen zu Hotspots in Gehirnregionen, die mit Aver- sion verbunden sind. Der Süß-Rezeptor besteht aus den Proteinen T1R2 und T1R3 (taste receptor, type 1, member 2, member 3), passende Liganden sind Glucose und einige andere als Süßstoffe bezeichnete chemische Verbindungen. Man findet Süß-Re- zeptoren auch in enteroendokri- nen Zellen des Verdauungskanals. Diese geben das Hormon Incretin ab, das seinerseits die Insulinbil- dung anregt. Es wird daher mehr Insulin gebildet, wenn man Süßes isst, als wenn man Glucose spritzt. Das könnte eine wichtige Erkennt- nis bei der Regulation des Blutzu- ckers sein. Auch in den Atemwe- gen gibt es Süß-Rezeptoren mit bis- her unbekannter Funktion. Der Umami-Rezeptor ist eine Kombination von T1R1 und T1R3 (taste receptor, type 1, member 1, member 3), er stimmt also zur Hälfte mit dem Süß-Rezeptor über- ein. Als Liganden dienen Amino- säuren, vor allem L-Glutamat, was dessen Wirkung als Geschmacks- verstärker erklärt. Umami-Rezepto- ren gibt es auch im Magen, hier lösen sie die Ausschüttung des Hormons Ghrelin aus, das zum Weiteressen anregt, also appetit- anregend wirkt. Der Bitter-Rezeptor (T2R) ge- hört dagegen dem Typ 2 an, eine Sinneszelle enthält 4 bis 11 T2R- Varianten, mit denen bis zu 50 ver- schiedene Bitterstoffe wahrgenom- men werden können. Bitterstoffe werden in der Natur überwiegend von Pflanzen als Fraßschutz gebil- det, es sind sehr unterschiedliche chemische Verbindungen, alle füh- ren aber zum gleichen Hotspot im Gehirn. Auch „bitter“ löst im Ma- gen zunächst die appetitanregende Ausschüttung von Ghrelin aus. Nach einer halben Stunde verän- dert sich die Wirkung jedoch: Die Nahrung wird im Magen zurückge- halten und dadurch ein vorzeitiges Sättigungsgefühl ausgelöst, d.h. der Appetit wird zwar angeregt, übermäßiges Essen aber verhin- dert. Das könnte interessante An- wendungsbereiche bei Essstörun- gen beinhalten. Im Dickdarm lö- sen die Bitterstoffe schließlich die 76 | Biol. Unserer Zeit | 2/2013 (43) www.biuz.de © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim ZELLBIOLOGIE Eine Frage des Geschmackes „Aroma“ oder „gusto“ heißt es auf Spanisch, „flavor“ oder „taste“ auf Englisch – im Deutschen sprechen wir einfach vom „Geschmack“, ohne uns genau festzulegen, ob wir von der Geschmacksqualität eines Nahrungsmittels oder vom Geschmacksempfinden des Genießers spre- chen. Die Geschmacksqualität hängt von molekularen Bestandteilen des Nahrungsstoffes ab, das Geschmacksempfinden von der neuro- nalen Verarbeitung und subjektiven Wahrnehmung. Geschmacksre- zeptoren gibt es nicht nur auf der Zunge, sie sind auch in anderen Körperbereichen für die Signalvermittlung zwischen Zelläußerem und Zellinnerem zuständig.

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Page 1: Eine Frage des Geschmackes

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Süß, sauer, salzig, bitter undumami („fleischig und herzhaft“)sind die fünf grundlegenden Ge-schmacksrichtungen, für die wirSinneszellen entwickelt haben, dis-kutiert werden weitere für fettig,metallisch oder alkalisch. Auf derZunge sind sie zu Geschmacks-knospen gruppiert und auf denGeschmackspapillen verteilt. Diegesamte Zunge ist für alle Ge-schmacksqualitäten empfindlich,die vielfach noch dargestellte Zungenkarte beruhte auf einerFehlinterpretation älterer Daten.Geschmackssinneszellen sind sy-naptisch mit drei Hirnnerven ver-bunden und mit weiteren Sinnes-eindrücken verknüpft, wie demGeruchs-, Schmerz-, Wärme- oderTastsinn. Bevor die Informationdas Gehirn erreicht, wird sie vonHormonen und anderen endoge-nen Faktoren moduliert und beein-flusst unsere Vorlieben und Abnei-gungen bei der Nahrungsauf-nahme [1]. Unser Geschmackssinnhilft uns, Genießbares von Unge-nießbarem zu unterscheiden, diesewichtige Überlebensfunktionstand schon bei unseren Vorfahrenunter hohem selektivem Druck.„Süß“ kennzeichnet Kohlenhy-drate, „umami“ Proteine und Ami-nosäuren, „salzig“ weist auf Elek-trolyte hin, „bitter“ warnt vor Gif-ten, „sauer“ informiert über dieFrische und Reife der Nahrung.Anders als der Geruchssinn ist derGeschmackssinn auch im bewusst-losen Zustand aktiv.

Der Signalweg einer Ge-schmacksempfindung beginnt, sobald ein passendes Molekül (Ligand) an den Rezeptor einer Geschmackssinneszelle bindet. Die Sinneszellen für salzig undsauer benutzen Ionentunnel als Re-zeptoren, die Rezeptoren für süß,umami und bitter gehören dage-gen zur Familie der G-Protein ge-koppelten Rezeptoren (GPCR G-protein-coupled receptors), ähn-lich wie das Molekül Rhodopsin inden Lichtsinneszellen. Für die Ent-deckung dieser bei der gesamtenZellkommunikation bedeutendenProteine erhielten Robert Lefko-witz und Brian Kobilka 2012 denChemie-Nobelpreis [2]. GPCRdurchspannen die Zellmembranund leiten so ein Signal von derAußenseite zur Innenseite: Sobaldein Ligand außen an den Rezeptorbindet, führt das zu Konformati-onsänderung auf der Innenseite.Dort wird die Bindungsstelle für G-Proteine freigelegt und das G-Protein aktiviert. Über eine Sig-nalkaskade führt das zur Depolari-sierung der Sinneszelle und zurWeiterleitung eines Aktionspoten-zials zum gustatorischen Cortexdes Gehirns. Hier sind die Ge-schmacksempfindungen für süßund umami eng mit dem Beloh-nungssystem verschaltet. Bitter-stoffe führen dagegen zu Hotspotsin Gehirnregionen, die mit Aver-sion verbunden sind.

Der Süß-Rezeptor besteht ausden Proteinen T1R2 und T1R3

(taste receptor, type 1, member 2,member 3), passende Ligandensind Glucose und einige andere alsSüßstoffe bezeichnete chemischeVerbindungen. Man findet Süß-Re-zeptoren auch in enteroendokri-nen Zellen des Verdauungskanals.Diese geben das Hormon Incretinab, das seinerseits die Insulinbil-dung anregt. Es wird daher mehrInsulin gebildet, wenn man Süßesisst, als wenn man Glucose spritzt.Das könnte eine wichtige Erkennt-nis bei der Regulation des Blutzu-ckers sein. Auch in den Atemwe-gen gibt es Süß-Rezeptoren mit bis-her unbekannter Funktion.

Der Umami-Rezeptor ist eineKombination von T1R1 und T1R3(taste receptor, type 1, member 1,member 3), er stimmt also zurHälfte mit dem Süß-Rezeptor über-ein. Als Liganden dienen Amino-säuren, vor allem L-Glutamat, wasdessen Wirkung als Geschmacks-verstärker erklärt. Umami-Rezepto-ren gibt es auch im Magen, hier lösen sie die Ausschüttung desHormons Ghrelin aus, das zumWeiteressen anregt, also appetit -anregend wirkt.

Der Bitter-Rezeptor (T2R) ge-hört dagegen dem Typ 2 an, eineSinneszelle enthält 4 bis 11 T2R- Varianten, mit denen bis zu 50 ver-schiedene Bitterstoffe wahrgenom-men werden können. Bitterstoffewerden in der Natur überwiegendvon Pflanzen als Fraßschutz gebil-det, es sind sehr unterschiedlichechemische Verbindungen, alle füh-ren aber zum gleichen Hotspot imGehirn. Auch „bitter“ löst im Ma-gen zunächst die appetitanregendeAusschüttung von Ghrelin aus.Nach einer halben Stunde verän-dert sich die Wirkung jedoch: DieNahrung wird im Magen zurückge-halten und dadurch ein vorzeitigesSättigungsgefühl ausgelöst, d.h.der Appetit wird zwar angeregt,übermäßiges Essen aber verhin-dert. Das könnte interessante An-wendungsbereiche bei Essstörun-gen beinhalten. Im Dickdarm lö-sen die Bitterstoffe schließlich die

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Z E L L B I O LO G I E

Eine Frage des Geschmackes„Aroma“ oder „gusto“ heißt es auf Spanisch, „flavor“ oder „taste“

auf Englisch – im Deutschen sprechen wir einfach vom „Geschmack“,ohne uns genau festzulegen, ob wir von der Geschmacksqualität einesNahrungsmittels oder vom Geschmacksempfinden des Genießers spre-chen. Die Geschmacksqualität hängt von molekularen Bestandteilendes Nahrungsstoffes ab, das Geschmacksempfinden von der neuro -nalen Verarbeitung und subjektiven Wahrnehmung. Geschmacksre-zeptoren gibt es nicht nur auf der Zunge, sie sind auch in anderen Körperbereichen für die Signalvermittlung zwischen Zelläußerem und Zellinnerem zuständig.

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gar im Hoden, wahrscheinlich sindsie hier an der Keimzellbildung beteiligt [3].

„Schmecken“ ist also eineWahrnehmung, die unseren gan-zen Körper betrifft und deren Er-forschung viele Anwendungsmög-lichkeiten eröffnet.

[1] B. Nilius, G. Appendino. EMBO reports2011, 12 (11), 1094–1101.

[2] R. v. Norden. Nature 2012, 490, 212.[3] B.P. Trivedi. Nature 2012, 486, 52.http://www.nature.com/nature/outlook/taste

Inge Kronberg, Büsum, www.naturverstehen.de

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Sekretion von Anionen aus, Wassertritt ein und führt zu Durchfällen.T2R-Rezeptoren gibt es daneben inder Nase, sie reizen den Trigemi-nus-Nerv, stoppen die Atmung undverhindern so dass Inhalieren vonGiftstoffen. Es gibt T2R-Rezepto-ren mit unbekannter Funktion so-

U N T E R R I C H T

Ständig Neues aus dem StockÜber das Internet-Projekt HOBOS können Schülerinnen und Schüler dasdrittwichtigste Nutztier des Menschen nach Rind und Schwein onlinekennenlernen. Sie können sehen und messen, was gerade live im Stockund außerhalb vor sich geht und eigenständig auf einfache, aber auchauf hochkomplexe Prozesse rund um den Bienenstaat schließen.

HOBOS ist die Abkürzung für HOneyBee Online Studies(www.hobos.de). Über verschie-dene Kameras und Sensoren lassensich eine echte Honigbienenkolo-nie und ihre Umwelt studieren.HOBOS liefert Live-Videos übereine Kamera am Stockeingang mitInfrarotbeleuchtung, eine Wärme-bildkamera und zwei Endoskopka-meras mit für die Bienen unsicht-baren Lichtwellenlängen. Es gibtim HOBOS-Stock Mikrofone, diedie Zarge und den Gitterboden desStocks Tag und Nacht belauschen.Eine Kamera mit Infrarotbeleuch-tung zeichnet die Umwelt- undWetterbedingungen im Garten von früh bis spät auf.

Daneben werden Datenströmezur Bienenkolonie, Vegetation undzum Wetter angeboten – in Echt-zeit und gespeichert. Es lassen sichParameter zum Stockgewicht, zurLuftfeuchte, Lufttemperatur, zuden Temperaturen in den elf Wa-bengassen, zur Temperatur an derVorder- und Rückseite des Stocksund zu ein- und ausfliegenden Ho-nigbienen ablesen. Messwerte ausder Stockumgebung zum Wetterund zur Blatt- und Bodenfeuchtekomplettieren die Daten aus demStock. Der Ausbau weiterer Mess-sonden und Messgrößen ist imGange.

Die HOBOS-Lehreinheiten ge-hen über den Stoff, der gewöhn-lich an Schulen vermittelt wird, hi-naus. Auf der Webseite finden sichkeine Tabellen, die ein aufbereite-tes Überblickswissen dazu liefern,was zu welcher Tages- und Nacht-zeit im Bienenstock und in dessenUmwelt passiert. Nur über das ei-gene Beobachten der Videos unddas eigene Hinterfragen der Mess-werte lässt sich hier nachhaltigWissen erarbeiten und erweitern.Über die Messwerte und Videosgibt es einen starken Realitätsbe-zug zu praktischen Fragen, zu lebenden Honigbienen, zum über-greifenden Naturhaushalt und

letztendlich zum Menschen selbst.Indem die Schüler die verschiede-nen Werte und Bilder miteinanderin Verbindung setzen, werden fürsie Zusammenhänge der Natursichtbar. Die Zeiträume sind dabeibeliebig eingrenzbar. Stück fürStück machen Grafiken die hoch-komplexen Lebensvorgänge derHonigbienen sichtbar. Auch voll-kommen neue Entdeckungen zumVerhalten der Honigbienen lassensich über HOBOS anstellen. So hatdas HOBOS-Team zum Beispieleine völlig neue Schlafhaltung derHonigbienen entdeckt: Eine Ho-nigbiene hing mit dem Kopf unddem Hinterteil in je einer Waben-zelle. Normalerweise sitzen dieBienen reglos am Rand der Waben,lassen Kopf und Fühler sinken undfahren ihren Stoffwechsel herun-ter.

Über HOBOS lassen sich so-wohl einfache als auch schwereFragen zur Honigbiene formulie-ren und beantworten. Da die Honigbiene verschiedene Wissen-schaften miteinander vernetzt –ihr Wesen ist Biologie, ihr FlugPhysik, ihr Verhalten Soziobiolo-gie, ihr Wabenbau Architektur, ihrHonig und ihr Wachs sind Chemie,ihre Verteilung und ihre Rolle inder Ökonomie sind Geografie –kann sie auch in verschiedenenSchulfächern, Jahrgangsstufen undSchultypen eingesetzt werden. Vorallem ist HOBOS gut für die MINT-Fächer geeignet. Bislang findensich auf der HOBOS-Webseite Lehr-materialien für Mathematik, Bio -logie und Kunst. Weitere Unter-richtsmaterialien, auch für andereFächer, befinden sich schon in Vor-

A B B . Zu Beginn des Frühjahrs löstsich die Traube auf, in der die Win-terbienen zwischen den Waben zu-sammengerückt waren, die Bienenbeginnen erste Ausflüge und dieneue Saison beginnt. Bild: H. Heil-mann.