einführung in die deutsche literatur¤cher... · under der linden under der linden an der heide,...
TRANSCRIPT
Einführung in die deutsche
Literatur
Das Mittelalter
Dr. Silke Grothues
Die Sprachstufen des Deutschen
• ALTHOCHDEUTSCH
• MITTELHOCHDEUTSCH
• FRÜHNEUHOCHDEUTSCH
• NEUHOCHDEUTSCH
• 750 bis 1050
• 1050 bis 1350
• 1350 bis 1650
• 1650 - …
Althochdeutsche Literatur (750-1050)
• Bibeldichtung: Otfrid von Weißenburg
Liber Evangeliorum (‚Das
Evangelienbuch‘, 863-871)
• Germanische Dichtung:
Die Merseburger Zaubersprüche (10. Jh.)
• Althochdeutsche Heldendichtung:
Das Hildebrandslied (830-840)
Otfried von Weißenburg: Evangelienbuch
Otfrid von Weißenburg, Liber evangeliorumCur scriptor hunc librum theotisce dictaverit
Die Eingangsbegründung des geistlichen Schriftstellers Otfrid, warum er sein
Evangelienbuch nicht in der üblichen Sprache der litterati (Gebildeten), in Latein
abfassen will:
Wánana sculun Fránkon éinon thaz biwánkon,
ni sie in fréngisgon bigínnen sie gotes lób singen?
Nist si so gisúngan, mit regula bithuúngan:
[…]
Wil thú thes wola dráhtôn thu metar wolles ahtôn,
In thina zungun wirken dúam joh sconu vers wolles dúan:
Il io gótes willen állo zizi irfullen,
so scribent gótes thegana in frenkisgon thie regula.
Warum sollten die Franken als einzige zurückschrecken
vor dem Versuch, in fränkischer Sprache Gottes Lob zu verkünden?
Freilich ist in ihr noch nicht in der genannten Weise gedichtet worden,
die fränkische Sprache fügt sich noch nicht der Regel;
[…]
Wenn du dich mit dem Gedanken trägst, metrische Gedichte zu machen,
in deiner Sprache ein rühmliches Werk zu vollbringen und schöne Verse zu dichten,
so bemühe dich, Gottes Willen allzeit zu erfüllen;
dann schreiben die Diener Gottes auf fränkisch regelgemäß. (Übers.: G. Vollmann-Profe)
Die Merseburger Zaubersprüche
Der 2. Merseburger Zauberspruch
Phol ende uuodan uuorun zi holza. Du uuart
demo balderes uolon sin uuoz birenkit.
Thu biguol en sinthgunt, sunna era suister;
thu biguol en friia, uolla era suister. Thu
biguol en uuodan, so he uuola conda.
Sose benrenki, sose bluotrenki, sose lidi-
renki: ben zi bena, bluot zi bluoda
lid zi geliden, sose gelimida sin.
2. Merseburger Zauberspruch: Übersetzung und
kulturhistorische Hinweise
Vol und Wodan ritten in den Wald. Da verrenkte sich
Balders Pferd ein Bein (den Fuß).
Da besprach(en) es Sinthgunt und ihre Schwester Sunna ,
da besprach(en) es Freija und ihre Schwester Volla ,
da besprach es Wodan, so gut wie (nur) er es konnte:
Wie der Knochenbruch, so der Bluterguß, so die Glieder-
verrenkung! Knochen an Knochen, Blut zu Blut,
Glied anGlied, als ob sie zusammengeleimt wären!
Das starke althochdeutsche Verb bi-galan (Kl. VI.) ist mit “Zaubergesang über etwas singen, besprechen” zu übersetzen.
Die Sprüche sind 10. Jahrhundert im ostfränkischen Dialekt in eine Handschrift des Merseburger Domkapitels (Cod. 136) eingetragen worden. Im
Gegensatz zur christlich geprägten Handschriftenumgebung (man findet dort z.B. auch das Fränkische Taufgelöbnis) sind sie heidnisch-magischen
Inhalts.
Nordische Gottheiten:
Baldur, Balder – eine Art Lichtgott
Phol=Vol – ein Reitergott? Volla, seine Schwester= Fruchtbarkeitsgöttin;
Wodan, Wotan ist der ‚Zeus‘ der nord. Gottheiten, Freija ist seine Gattin;
Wodan gelingt im dritten Anlauf mit Hilfe seiner magischen Beschwörungsformel die
Heilung des Pferdes.
Das Hildebrandslied, Cod. theol. 2° 54, 1r
• Ik gihorta dat seggen
• Ich hörte das (davon) sagen (erzählen)
• dat sih urhêttun âenon muotîn
• daß sich die Herausforderer als einzige (allein) begegneten,
• Hiltibrant enti Hadubrant untar heriun tuêm
• Hildebrand und Hadubrand, zwischen den beiden Heeren.
• sunufatarungo iro saro rihtun
• Vater und Sohn richteten ihre Rüstungen
• garutun se iro gûdhamun, gurtun sih iro suert ana
• bereiteten sich ihre Kampfgewänder, gürteten sich ihre Schwerter um,helidos, ubar hringa, dô sie tô dero hiltiu ritundie Helden, über die Panzerringe, da (während) sie zu dem Kampf ritten…
Mittelhochdeutsche Literatur (1050-1350)
Epik
• Hartmann von Aue, Artusromane,
Erec und Iwein (1185-1200)
• Wolfram von Eschenbach, Artus-Gral-Roman,
Parzival
• Gottfried von Straßburg, höfischer Liebesroman,
Tristan
Die drei bedeutendsten Epiker des Hochmittelalters!
Stoffkreise
Jean Bodel (um 1165-1210), Berufsdichter aus Arras,
schrieb in seiner Chanson des Saisnes (‚Sachsenlied’):
Ne sont que trois matières a tout home entandant
De France, de Bretagne e de Rome la Grant.
Für jeden einsichtigen Menschen gibt es nur drei
Stoffkreise:
den fränkischen, den bretonischen und den, der
vom mächtigen Rom handelt.
matière de Bretagne (keltische Sagenstoffe, das sind
märchenhafte Erzählversatzstücke, angereichert um
die Figur des britischen Heerführers Arthur (um 500),
der Sachsenvernichter war und zum Mythos wurde.
Hartmann von Aue
Hartmann von Aue, Erec und Iwein
• Hartmann von Aue (1160 bis um 1210) schrieb den
ersten Artusroman in deutscher Sprache, den Erec
(um 1180-85). Als Quelle erwähnt Hartmann selbst
den Érec des Chrétien de Troyes. Ein Vergleich der
beiden Epen ergibt, dass der deutsche Erec eine sehr
freie Bearbeitung der französischen Vorlage ist.
• Nach seiner legendenhaften Dichtung Gregorius und
der Mirakelerzählung vom Armen Heinrich wandte
sich der Dichter noch einmal der Artussage zu. Sein
Iwein (um 1200) folgt ebenfalls einer afrz. Vorlage,
dem Yvain von Chrétien.
Wolfram von Eschenbach, Parzival
Parzival: Gralsburg Munsalvæsche
Wolfram von Eschenbach: Parzival
(1200- 1210) Verbindung von Artussage und
Grallegende• Wolfram folgt in seinem Artus-Gral-Roman
Parzival u.a. Chréstiens Le Conte du Graal (Perceval), in dem er zentrale Motive für seine Erzählung vorgebildet findet.
• Der Gral erscheint bei Wolfram als ein religiös konnotiertes steinernes Speisewunder und als
Überlebenshelfer (der sehr leidende Gralkönig kann nicht sterben, weil er den Gral täglich sieht). Später wird der Protagonist Parzival Gralkönig und erlöst den alten König durch die sog. Mitleidsfrage von seiner Qual.
• Der Gral erscheint bei Wolfram als ein religiös konnotiertes steinernes Speisewunder und Überlebenshelfer (der Gralkönig kann
nicht sterben, weil er ihn täglich sieht)
Gottfried von Straßburg, Tristan und Isolde
1200
Heldenepik: Das Nibelungenlied (1200-
1210):
Beginn des Nibelungenliedes
Das Nibelungenlied
• 1. Teil: Siegfried-Handlung (Siegrfied ist der Held, der im Drachenblut gebadet hat und dadurch fast (Lindenblatt) unverwundbar geworden ist). Er geht auf Freiersfüßen, heiratet Kriemhild vom Burgundenhof, wird von Hagen ermordet.
• 2.Teil: Kriemhilds Rache (Burgundenuntergang) Die Burgunden sind historisch, so auch ihr Untergang. 435-437 wurden die Burgunden von dem west-römischen Heermeister Aëtius geschlagen und von den Hunnen endgültig besiegt. Im ‚Nibelungenlied‘ gehen alle Burgunden in historischer Allusion an Etzels Hof unter.
Mittelhochdeutsche Literatur, Lyrik,
Minnesang
Dû bist mîn, ich bin dîn:
des solt dû gewis sîn;
dû bist beslozzen in mînem herzen,
verlorn ist daz slüzzelîn:
dû muost och immer darinne sîn.
(unbekannter Dichter)
Der von Kürenberg
Der von Kürenberg
Donauländischer Minnesang, 2. Hälfte 12.
Jahrhundert
‚Ich zôch mir einen valken mêre danne ein jâr.
dô ich in gezamete, als ich in wolte hân,
und ich im sîn gevidere mit golde wol bewant,
Er huop sich ûf vil hôhe und vlouc in ándèriu lant.‘
Ein gutes Jahr lang habe ich mir einen Falken aufgezogen.
Als ich ihn gezähmt (abgerichtet) hatte, wie ich ihn haben wollte,
Und ihm sein Gefieder mit Goldband umwunden hatte,
Da hob er sich hoch in die Höhe und flog in ein anderes Revier.
Reinmar der Alte
Manessische oder Heidelberger Liederhandschrift, Reinmars Lied: ich wirbe um allez daz
ein man…(Letzte Strophe der rechten Spalte b, Anfang mit blauer I-Initiale)
Reinmar, Ich wirbe um allez…
Walther von der Vogelweide, 1170-
1230
Walther von der Vogelweide
Ich saz ûf eime steine,
Und dahte bein mit beine:
Dar ûf satzt ich den ellenbogen:
ich hete in mîne hant gesmogen
daz kinne und ein mîn wange.
Ich saß auf einem Stein und
schlug ein Bein über das andere:
Darauf stützte ich den Ellenbogen
und in meine Hand hatte ich
Kinn und eine meiner Wangen
geschmiegt.
Under der linden
Under der linden
an der heide,
dâ unser zweier bette was,
dâ muget ir vinden
schône beide
gebrochen bluomen unde gras.
Vor dem walde in einem tal,
tandaradei,
schône sanc diu nahtegal.
Unter der Linde
auf der Heide,
wo unser beider Lager war,
da kann man sehn
liebevoll gebrochen
Blumen und Gras.
Vor dem Wald in einem Tal
tandaradei
sang schön die Nachtigall.
Oswald von Wolkenstein, 14.-15. Jh.