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Eine 61-jährige Patientin wurde zur Weiter- behandlung eines histologisch gesicherten Plattenepithel-Karzinoms des Zungenran- des links zugewiesen (Abbildung 1). Bei der Patientin waren seit zwei Jahren Leukopla- kien am Zungenrand links bekannt. Nach deutlichem Progress in den letzen neun Wochen hatte eine Biopsie zur Diagnose- sicherung eines Plattenepithelkarzinoms geführt. Zum Zeitpunkt der Aufnahme lag der maximale Tumordurchmesser bei rund zwei Zentimetern. Im Rahmen der Tumor-Ausbreitungsdia- gnostik ergaben sich sonographisch zwar ipsilateral leicht vergrößerte Lymphknoten medio- und craniocervical, diese wiesen allerdings eine reguläre Binnenstruktur auf und waren nach sonomorphologischen Kri- terien nicht metastasensuspekt. Als auffälli- ger Zusatzbefund fand sich jedoch im vor- deren Anteil der rechten submandibulären Loge, also kontralateral des Karzinoms, eine ausgedehnte Raumforderung. Die Raum- forderung zeigte keine typischen Struktu- ren eines Lymphknotens, erschien eher langgezogen und gelappt und hatte sono- graphisch eine hyperdense, homogene Textur, die am ehesten an Drüsengewebe erinnerte (Abbildung 2a). Der Befund war aber von der Gl. submandibularis vollstän- dig abgegrenzt. In der Gefäßdarstellung ließ sich eine deutliche Vaskularisation, nicht aber eine Hilusstruktur erkennen (Ab- bildung 2b). Die klinisch palpatorisch wei- che Läsion zeigt in der CT-Darstellung eine deutliche Kontrastmittelaufnahme (Abbil- dung 3), allerdings keine typischen Merk- male ausgedehnter Metastasen, beispiels- weise zentrale Nekrosen. Obwohl es sich nach der Bildgebung ten- denziell eher um eine benigne Läsion zu handeln schien, wurde vor dem Hinter- grund der letztlich unklaren Dignität bei manifestem Zungenkarzinom eine Explora- tion des rechten Halses im Zusammenhang mit der Tumorresektion vorgenommen. Hier zeigte sich eine gut abgegrenzte Kno- tenbildung, die am ehesten ektopem Schilddrüsengewebe entsprach (Abbildung 4). In einigen Bereichen waren kleine kno- tige Indurationen tastbar. In der Schnell- schnittdiagnostik ergab sich tatsächlich der Nachweis von typischem Schilddrüsenge- webe (Abbildung 5) so dass der Halseingriff als alleinige selektive anterolaterale Neck- Dissektion der ipsilateralen Seite begrenzt werden konnte. 52 Zahnmedizin zm 97, Nr. 23, 1. 12. 2007, (3432) Differentialdiagnose von Symptomkonstellationen Ektope Struma als Differentialdiagnose einer submandibulären Metastase Peer Kämmerer, Martin Kunkel In dieser Rubrik stellen Kliniker Fälle vor, die diagnostische Schwierigkeiten auf- geworfen haben. Die Falldarstellungen sollen den differentialdiagnostischen Blick unserer Leser schulen. Abbildung 1: Klinischer Aspekt des linksseitigen Zungen- karzinoms nach vorangegangener Biopsie. Es zeigen sich die typischen morpho- logischen Merkmale einer zentralen Ulzeration, eines Randwalls und der umgebenden Vorläuferläsionen. Fotos: Kunkel Abbildung 2: Sonographie: In der sonographischen Diagnostik fiel eine echoreiche, eindrückbare, länglich oval konfigurierte Raumforderung auf der kontralateralen Seite des Karzinoms auf. Strukturmerkmale eines Lymphknotens lagen nicht vor. In der Gefäßdarstellung (B) waren versorgende Gefäße gut darstellbar. A B

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Page 1: Ektope Struma als Differentialdiagnose einer ... · PDF filedenz dieses Krankheitsbildes post-mortale Befunde aus Autopsien nahe, dass asympto-matisches Schilddrüsengewebe entlang

Eine 61-jährige Patientin wurde zur Weiter-behandlung eines histologisch gesichertenPlattenepithel-Karzinoms des Zungenran-des links zugewiesen (Abbildung 1). Bei derPatientin waren seit zwei Jahren Leukopla-kien am Zungenrand links bekannt. Nachdeutlichem Progress in den letzen neunWochen hatte eine Biopsie zur Diagnose-sicherung eines Plattenepithelkarzinomsgeführt. Zum Zeitpunkt der Aufnahme lagder maximale Tumordurchmesser bei rundzwei Zentimetern. Im Rahmen der Tumor-Ausbreitungsdia-gnostik ergaben sich sonographisch zwaripsilateral leicht vergrößerte Lymphknotenmedio- und craniocervical, diese wiesenallerdings eine reguläre Binnenstruktur aufund waren nach sonomorphologischen Kri-terien nicht metastasensuspekt. Als auffälli-ger Zusatzbefund fand sich jedoch im vor-deren Anteil der rechten submandibulärenLoge, also kontralateral des Karzinoms, eineausgedehnte Raumforderung. Die Raum-forderung zeigte keine typischen Struktu-ren eines Lymphknotens, erschien eherlanggezogen und gelappt und hatte sono-graphisch eine hyperdense, homogene

Textur, die am ehesten an Drüsengewebeerinnerte (Abbildung 2a). Der Befund waraber von der Gl. submandibularis vollstän-dig abgegrenzt. In der Gefäßdarstellungließ sich eine deutliche Vaskularisation,nicht aber eine Hilusstruktur erkennen (Ab-bildung 2b). Die klinisch palpatorisch wei-che Läsion zeigt in der CT-Darstellung einedeutliche Kontrastmittelaufnahme (Abbil-dung 3), allerdings keine typischen Merk-male ausgedehnter Metastasen, beispiels-weise zentrale Nekrosen.

Obwohl es sich nach der Bildgebung ten-denziell eher um eine benigne Läsion zuhandeln schien, wurde vor dem Hinter-grund der letztlich unklaren Dignität beimanifestem Zungenkarzinom eine Explora-tion des rechten Halses im Zusammenhangmit der Tumorresektion vorgenommen.Hier zeigte sich eine gut abgegrenzte Kno-tenbildung, die am ehesten ektopemSchilddrüsengewebe entsprach (Abbildung4). In einigen Bereichen waren kleine kno-tige Indurationen tastbar. In der Schnell-schnittdiagnostik ergab sich tatsächlich derNachweis von typischem Schilddrüsenge-webe (Abbildung 5) so dass der Halseingriffals alleinige selektive anterolaterale Neck-Dissektion der ipsilateralen Seite begrenztwerden konnte.

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zm 97, Nr. 23, 1. 12. 2007, (3432)

Differentialdiagnose von Symptomkonstellationen

Ektope Struma als Differentialdiagnose einer submandibulären Metastase Peer Kämmerer, Martin Kunkel

In dieser Rubrik stellen Kliniker Fälle vor,die diagnostische Schwierigkeiten auf-geworfen haben. Die Falldarstellungensollen den differentialdiagnostischenBlick unserer Leser schulen.

Abbildung 1: Klinischer Aspekt deslinksseitigen Zungen-karzinoms nachvorangegangenerBiopsie. Es zeigen sichdie typischen morpho-logischen Merkmaleeiner zentralenUlzeration, einesRandwalls und derumgebendenVorläuferläsionen.

Foto

s: K

unke

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Abbildung 2: Sonographie: In der sonographischen Diagnostik fiel eine echoreiche, eindrückbare,länglich oval konfigurierte Raumforderung auf der kontralateralen Seite des Karzinoms auf.Strukturmerkmale eines Lymphknotens lagen nicht vor. In der Gefäßdarstellung (B) warenversorgende Gefäße gut darstellbar.

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Diskussion

Die Schilddrüse entwickelt sich aus einemmedianen und zwei lateralen Ursprüngender embryonalen Schlundtaschen und voll-zieht in ihrer Entwicklung einen Descensus,das heißt eine caudale Verlagerung. An-fangs steht sie noch über dem später oblite-rierten Ductus thyreoglossus mit dem

Mundboden in Verbindung, nimmtschließlich ihre endgültige Position kaudalund ventral der Cartilago thyroidea vor derTrachea ein. Kommt es zu Abnormitäten inder Entwicklungsphase, kann dies entwederin einem defekten Organsystem oder/undin ektopem thyreoidalen Gewebe resultie-ren. Ektopes thyreoidales Gewebe leitet sichnach dem heutigen Kenntnisstand aus

thyreoidalen embryonalen Zellen ab, diewährend der Entwicklungsphase nicht mitdem Hauptteil der Schilddrüse verschmel-zen [Pang, 1998]. Sie sind also ein Resultateiner abnormalen medialen Zellmigration.Je nach dem Zeitpunkt dieser Fehlentwick-lung können ektope Strumen typischer-weise vom Zungengrund bis zu dem Ver-lauf des Ductus thyreoglossus vorkommen. Am häufigsten finden sich ektope Strumenim Zungengrund [Batsakis et al., 1996]. Ex-tralinguale Lokalisationen sind vor allem dervordere cervicale Bereich in der Mittellinieentlang des Ductus Thyreoglossus. Alle Lo-kalisationen außerhalb der Mittellinie undaußerhalb des Bereiches der zweiten bisvierten Cartilagines tracheales sind sehr sel-ten [Kumar et al., 2001] und werfen daheroft diagnostische Probleme auf.Die klinische Manifestation ist in der Regelunspezifisch. Meist handelt es sich um Zu-fallsbefunde. So legen bei unbekannter Inzi-

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Abbildung 3: CT Diagnostik: In der CT-Darstellung zeigt sich eine deutliche Kontrastmittel-aufnahme des Gewebes, allerdings fehlen typische Zeichen ausgedehnter Metastasen.

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Page 3: Ektope Struma als Differentialdiagnose einer ... · PDF filedenz dieses Krankheitsbildes post-mortale Befunde aus Autopsien nahe, dass asympto-matisches Schilddrüsengewebe entlang

denz dieses Krankheitsbildes post-mortaleBefunde aus Autopsien nahe, dass asympto-matisches Schilddrüsengewebe entlang desDuctus Thyreoglossus in sieben bis zehnProzent aller Erwachsenen gefunden wer-den kann [Sauk, 1970]. Das Gewebe kannsowohl zu einer euthyreoten als auch zueiner hypo- und hyperthyreotischen Stoff-wechsellage führen. Eine maligne Transfor-mation von ektopem Schilddrüsengewebeist extrem selten. Die Behandlung der Wahl

ist die chirurgische Entfernung, wobei eineindeutiger Nachweis von reguläremSchilddrüsengewebe (Feinnadelaspirationund Szintigraphie) in Abhängigkeit vonallgemeinen Operationsrisiken auch eine L-Thyroxin-Substitutionstherapie erlaubt[Kousta et al., 2005], sofern nicht über-geordnete diagnostische Notwendigkeitenbestehen.Für die Praxis soll dieser Fall daran erinnern,dass auch bei einem eindeutigen Erstbe-fund ein völlig unabhängiger, wenigerwahrscheinlicher Zweitbefund vorkommenkann. Hierbei können, wie im vorliegendenFall, günstige Konstellationen, das heißt,ein benigner Zweitbefund bei malignemErstbefund, aber genauso ungünstige Kom-binationen, wie ein maligner Zweitbefundbei einem benignen Erstbefund, vorkom-men. Aus dem zeitgleichen oder dem be-nachbarten Auftreten (oder dem Erkennen)zweier Befunde kann daher nicht immergefolgert werden, dass diese auch auf einegemeinsame Pathologie zurückgeführtwerden müssen.

Dr. Peer KämmererProf. Dr. Dr. Martin KunkelKlinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieKlinikum der Johannes Gutenberg-UniversitätAugustusplatz 255131 [email protected]

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■ Ektope Schilddrüsenanteile sind nichtselten und leiten sich von thyreoidalenembryonalen Zellen ab, die während derEntwicklungsphase nicht mit demHauptteil der Schilddrüse verschmelzen.■ Die typische Lage ektoper Schilddrü-sengewebe ist die Mittellinie entlang desDuctus thyreoglossus, also die Regiondes embryonalen Descensus.■ Unabhängig von der Dignität könnenzeitgleich aufgetretene oder zeitgleicherkannte Befunde völlig unterschiedlicheUrsachen haben. Auch scheinbar ursäch-lich zusammenhängende Raumforde-rungen erfordern daher immer eine ab-schließende separate Diagnostik.

Fazit für die PraxisFazit für die Praxis

Auch für den „Aktuellen klinischen Fall”können Sie Fortbildungspunkte sammeln.Mehr bei www.zm-online.de unter Fortbildung.

Leserservice

Die Literaturliste können Sie unterhttp://www. zm-online.de abrufen oder in der Redaktion anfordern. Den Kupon finden Sie auf den Nachrichtenseiten am Ende des Heftes.

Abbildung 4: OP-Situs: Intraoperativ stelltesich ein gut abgegrenzter, knotenartigerBefund mit einer straffen Kapsel dar.

Abbildung 5: Histologischer Aspekt: Es stellt sich der typische Aspekt von Schilddrüsengewebe dar. In den Übersichtsaufnahmen (Teilabbildung links:HE, Originalvergr. 100x) zeigen sich die Kolloid-haltigen Schilddrüsenfollikel. Die Detailaufnahme (Teilabbildung rechts: HE: Originalvergr. 400x)lässt an der geringen Höhe des Follikelepithels erkennen, dass es sich um eine überwiegend inaktive Drüse handelt. Das histologische Präparat wurdevon Dr. Hansen, Institut für Pathologie der Johannes Gutenberg-Universität, zur Verfügung gestellt.

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