elegance is the real punk - a fashion story

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01 ELEGANCE IS THE REAL PUNK ODER: WER SICH SCHMÜCKT, DEM WACHSEN FLÜGEL MAY 2012

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Erstes Modemagazin des High fashion Labels Anna Fuchs

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Page 1: Elegance is the real Punk - A fashion story

01

ELEGANCE IS THE rEAL PUNK OdEr:

WEr SICH SCHMÜCKT, dEM WACHSEN FLÜGEL

MAY 2012

Page 2: Elegance is the real Punk - A fashion story

KEIN HANSEATENSOHN OdEr FrEUNdIN AUS L.A.

IM FLUr

Text: Anselm Lenz mit Anna Fuchs, Mode: Anna Fuchs, Fotos: Fritz Jaenecke

Hair & Make-Up: Udo Farnschläder, Creative Director: Tanja Pfaff

elegance is real the punk 01

Page 3: Elegance is the real Punk - A fashion story

Staubpartikel tanzen in der Luft. In der Küche

dudelt das Radio. Wann werden wir die »Hits

der Nuller« endlich los? Der Duft von Kaffee.

- Alles ist da. Die Wohnung, die Zeitung. Die

Freiheit, mich wohl zu fühlen. Die Situation

gibt alles her. Kleinmut, Niedertracht und At-

titüde haben Pause. Das licht zeichnet wei-

che Schatten in den Raum.

Wenn da nicht immer diese Nachrichten auf

dem ladypinkgeschützten iPhone wären.

»OMG: Mein neuer Yogalehrer ist klasse. Er

bringt mir das gute Leben bei. Word! Meine

Putzfrau kann ich mir nun allerdings nicht

mehr leisten. Knutsch � Deine Ulla«, »Hast Du

schon gehört, dass sie das Golem wieder

zumachen wollen? Wo sollen wir nun hinge-

hen?«, »Hast Du nicht gesagt, Du bringst heu-

te Ciabatta und Strauchtomaten in deinem

Weidenkörbchen mit? Landliieebee x x x«.

Was soll man ihnen antworten? Der jogisier-

ten Freundin, der Nachtfee, der Kolle-

gin vom Landfrauenverein. Für sie alle

drei gibt es heute nur eine Samme-

lantwort: »Fahrt zur Hölle. Ach, Ihr seid

schon auf dem Weg? Für heute ohne

mich.«

Kann man das senden? Nein. Menschen

sind zu unterschiedlich, was ja in der Regel

Freude auslöst. Aber heute müssen meine

diversen Seelchen ohne mich irrlichtern. Mei-

ne Fingerspitzen lassen Buchstaben über die

Anzeige tanzen: »Die Zeitung knistert, der

Kaffee ist perfekt. Dieser Tag wurde für mich

allein gemacht.« Basta - und drücke auf sen-

den. Nun denn. Das Croissant ist luftig, fettig

und krümelt, wie herrlich gottlos.

Nix da. Es klingelt. Natürlich. Wie in einer die-

ser TV-Soaps, in denen auch niemals nie-

mand einfach mal so im Sessel sitzt, Zeitung

liest und Kaffee trinkt und man ihn oder sie

eine halbe Stunde lang dabei beobachten

könnte. Fortsetzung folgt. Soll ich jetzt lachen

oder weinen? Vor der Tür wartet jedenfalls

niemand auf Einlass. Bloß ein Zettel. Eine

Nachricht von Gregor. Drama, Baby, Drama!

»heute müssen meine seeLchen ohne mich irrLichtern.«

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#1 WAS SoLL MAn dA AnTWorTen?

Page 4: Elegance is the real Punk - A fashion story

»es kLingeLt. wie in einer Dieser tv-soaPs.«

Page 5: Elegance is the real Punk - A fashion story

»Drama, BaBy, Drama.«

Page 6: Elegance is the real Punk - A fashion story

Er ist eines jener Opfer, wie sie hier überall

herumlaufen. Und doch hatte man etwas

gesehen und sich eingelassen. Denn diese

Hoffnung ist zumindest gegeben, Männer

könnten ja entwicklungsfähig sein. Gregor,

ein halbwegs ansehnlicher Hanseatensohn

von Format, wie er selber denkt, denn man

hört den schwäbischen Akzent kaum noch

raus; er macht was mit Medien, lächelt gern

und hat alles im Griff. Gemütsäußerungen

sind ihm fremd, er gestikuliert nur sparsam, ist

vermutlich irgendwie gebildet (soweit waren

wir noch gar nicht gekommen) und – man

wollte nicht mehr alleine einschlafen und

samstags auf dem Wochenmarkt das Wei-

denkörbchen selber tragen.

Ein zufälliges Treffen in einer präzis gewähl-

ten Szenebar mit relevanter Kandidatenaus-

wahl, ein routiniertes Lächeln, plänkeln, mit

nach hause nehmen, eine Freundschaftsbe-

stätigung in Facebook (aber ohne den Be-

ziehungsstatus zu ändern!). Er hatte mal eine

Ausstellung in dieser szenigen Off-Galerie

oder so, ganz nette Fotos, das übliche: Indus-

trieanlagen im Instagram, eine Kubanerin

vor einem Graffi tto in Havanna, irgendwie im

goldenen Schnitt gesetzt, dazu der übliche

Fitzelkram, wie er auf der Documenta oder

an der städtischen Kunsthochschule abge-

feiert wird. Er reist gern, auch berufl ich … und

hach.

Wie bin ich nur auf die Idee gekommen, ihm

meinen Wohnungsschlüssel zu überlassen,

gleich nach dem ersten Sex?

»Man hat sich bemüht« steht auf dem Pa-

pier, dazu der Schlüssel. Lässig auf die Trep-

pe gelegt, geklingelt, wohlwissend, dass ich

da bin, und subito davongeschlurft in von

Kinderhand verleimten Turnschuhen in weiß,

grün und blau. Der Typ hat Allüren – soll ich

auf die Straße hinausrennen und ihm nach-

rufen? »Fahr zur Hölle, zu den Andern.«

Oder eine Nachricht schreiben? Das Spati-

um blinkt auf dem Telefon - soll ich das sen-

den? Das mobile Telefon bimmelt im Vinta-

gesound. (Warum gibt es eigentlich noch

nicht Handyschoner aus dunkelgrünem

Samt mit Kordelverzierung?)

»Pizza bestellt?«

»Wie?«

»Ich bin jetzt da, vor Deiner Tür!«

»Bella! Ich denke, du kommst morgen.«

»Nö, wieso?«

»Los Angeles...«

»Ja, große Stadt.«

»Warte, ich mach auf.« »unD Doch hatte man sich eingeLassen.«

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#2 ScHWäBiScHer HAnSeATenSoHn

Page 7: Elegance is the real Punk - A fashion story

»mann hat sich Bemüht…«

Page 8: Elegance is the real Punk - A fashion story

»fahr zur höLLe, zu Den anDern.«

Page 9: Elegance is the real Punk - A fashion story

Steht sie so da, auf meiner Treppe. Hat keine

Ahnung, dass sie gerade diesem schlech-

ten Typen High Five hätte geben können. Ein

wunderbar unpassender Moment, in dem

sie ihr goldenes Köfferchen die Treppen hin-

aufklappert. Im Flur lehnt sie sich gegen die

Kacheln. Sie will begrüßt und bewundert wer-

den. Aber sicher doch. Was für eine willkom-

mene Ablenkung. Die Zeitung von heute ist

doch eh schon nicht mehr aktuell und Kaffee

schmeckt bitter, wenn er kalt ist.

Bella sieht fabelhaft aus mit ihrem Lollipop,

tatsächlich erinnert sie mich an eine dieser

alten Hollywood-Schönheiten, wie sie mir da

entgegenschwebt. Sie scheint von Reisen

wieder einmal alles mitgebracht zu haben,

was uns hier abgeht. lebensfreude, einen

Hang zur Pose, weil man sie kann, und weil

sie nichts kostet, eine feierliche Alltagskultur

jenseits von Authentizität. Und ein gewisse

lust auf Selbstvertrauen.

»Bella, Du siehst blendend aus.«

»Du bist aber auch nicht schlecht.«

»Ha, das will ich hören. Schön, dass du da

bist. Komm rein.«

»Lust auf seLBstverrauen.«

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#3 FreUndin AUS L. A. iM FLUr

Page 10: Elegance is the real Punk - A fashion story

»LeBensfreuDeunD ein hang zur Pose.«

Page 11: Elegance is the real Punk - A fashion story

Bella zieht sich um, »frischt sich auf«, sie träl-

lert im Bad. Soviel Positivität überfordert mich

jetzt. Soll sie machen, ich gehe raus, Blumen

gießen. Gestern hat‘s geregnet, aber irgend-

was will passieren. »Man hat sich bemüht.«

»Ich möchte näher zu Gott, mein Freund,

nimm mich in die Zweige und recke dich für

mich«, rede ich den Baum an. Aber der ant-

wortet natürlich nicht, der alte Sack.

Als ich Bella im Haus rufen höre, bin ich schon

oben im Baum. Hier, ich bin hier.

»Was machst du denn da? Spannst du bei

den Nachbarn?

»Nein, ich dachte, ich verschaffe mir mal ei-

nen Überblick über meine Gefühlslage.«

»Aha. Na klar, das geht ja auch besser, so

von da oben.«

Bella lacht. Soll man ihr erzählen was los ist?

»Soll man dir erzählen was los ist?«

»Huch? Ja, bitte.«

»Also. Die Kurzform. Er heißt Gregor, und er

hat mir heute meinen Wohnungsschlüssel

und einen absurd kurzen Brief vor die Tür ge-

legt - und sich dann davon gemacht.«

»Oh. Wie lange wart ihr denn zusammen?

Den kenne ich ja noch gar nicht.«

»Einen Monat oder so.«

»Und dann hat er Deinen Wohnungsschlüssel?«

»Hat sich so ergeben, wegen der Arbeit.«

»Verstehe ich nicht, aber okay. Und jetzt ist

Trauer angesagt?«

»Nö. Aber Du bist quasi mit seinem Brief

gekommen.«

»Ach so.«

»Du müßtest an ihm vorbeigelaufen sein.«

»Der Smeagol?«

»Vermutlich, ja.«

»Okay, das mag so eine Notlösung gewesen

sein. Du machst sonst doch auch alles allei-

ne, das kennt man ja gar nicht von Dir. Jetzt

komm mal wieder runter.«

»Ich rege mich doch gar nicht auf!«

»Nein, vom Baum.«

»nimm mich in Deine zweige unD recke Dich

für mich.«

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#4 Mein FreUnd der BAUM (der ALTe SAck)

Page 12: Elegance is the real Punk - A fashion story

»irgenDwas wiLL Passieren.«

Page 13: Elegance is the real Punk - A fashion story

»Da die Sonne jetzt weg ist, können wir hier draußen was spielen, oder?« Bellas paradoxer

Humor. Wir bauen das Croquet-Spiel auf. Ich bin etwas lustlos, aber Bella gibt sich alle Mühe.

»Stellen Sie sich vor, Sie sind die Kugel. Sie müssen da durch, denn Sie wurden mit dem Schlä-

ger angebumst. Der Boden ist kultiviert, aber uneben. Alles Mögliche könnte Sie ablenken.

Wenn Sie auf eine andere Kugel treffen, sind Sie am Zug. Wenn Sie ein Tor passieren, bleiben

Sie am Zug. Nur die Wenigsten schaffen den Parcours in einer Runde, denn das ist fast un-

möglich, würde das Zusammentreffen von extremem Glück, enormer Fähigkeit und besten

Umständen erfordern. Alle Anderen müssen sich langsam von Tor zu Tor über den gestutz-

ten Rasen arbeiten, Rückwärtsschläge machen, und hoffen, nicht von Anderen beiseite ge-

mobbt zu werden. Sie können aber auch auf das große Glück spielen, weite Stöße versuchen

und landen dann meistens im Abseits.«

»Bella, du bist genial.«

»Naja, H.G. Wells hat mal ein Buch über Croquet geschrieben, in dem er das Spiel mit Leben

gleichsetzt. So frei nach...«

Wir ziehen also heute das Abseits vor. Bella hat Rosé Crémant mitgebracht, sie hat sich über-

legt, dass das ganz gut passen könnte zu unserer Gartenpartie und schenkt aus. Wir lachen

darüber, wie wir so französische Salondamen spielen und sind auch gar nicht der Ansicht,

dass wir von Manet gemalt werden sollten.

»Malerisch, wie Du den Ball verballert hast.«

»Ja, wieso?, ich hab doch ganz gut ins Aus getroffen!

Gibt´s jetzt Einwurf?«

»Moment, wenn ich den Zielstab ziele, dann treffe ich

vielleicht Gregor an den Hinterkopf!«

»Mit Schmackes, Baby!«

»Nee, Geschmacklos, der Schnuller!«

»Soll das ein Wortspiel sein, Anna?«

»Ach, egal, ich schwing jetzt den Hammer.«

»Vorsicht, Du könntest einen Käfer treffen.«

»Ha. Gregor? Den habe ich fast schon vergessen.«

»mit schmackes, BaBy.«

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#5 BeLLA BALLA

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»extremes gLück, enorme fähigkeiten, Beste umstänDe.«

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Es beginnt Spaß zu machen. Da wir die Klei-

der wechseln können, und somit unsere See-

len gut geschützt zum Funkeln kommen, ler-

nen wir wieder zu singen.

Bella ist da nicht so engagiert und wehrt sich

nicht gegen die Hooklines des Garagen-

rocks, die ich anstimme. Bella ist der Ansicht,

dass Elvis Presley der größte Künstler aller Zei-

ten ist und wirft sich in die Hüfte. Das steht ihr

natürlich famos, weswegen ich sie frage, ob

sie das aus Los Angeles mitgebracht habe.

»Mensch, Anna, was ich Dir mitbringe ist

mehr als eine Stadt. Das Leben ist eine Schei-

be. Alles darf nach Draußen, wenn das Drin-

nen gut verpackt ist.«

»Sing ich doch!«

Ich hole die E-Guitarre aus dem Schrank,

schließlich hat man sich ja die Nägel lackiert,

um sie zu benutzen. Ich kann noch drei Ak-

korde spielen und Bella improvisiert darauf

eine kleine Weise von den JB‘s.

»Was können die, was wir nicht können?«

»Wir sind Norddeutsche und haben uns das

verboten?«

»Na, dann können wir uns das doch auch

wieder erlauben, oder?«

»Machen wir doch schon.«

»man hat sich Die nägeL Lackiert, um sie zu Benutzen.«

#6 SMeLLS Like Teen SPiriT

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»aLLes Darf nach Draussen, wenn Das Drinnen gut verPackt ist.«

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»Das LeBen ist eine scheiBe.«

Page 18: Elegance is the real Punk - A fashion story

»Krachend zerplatzt diese Torte an meinen

Lippen«, äußert Bella, während das Kleid

über ihren sich füllenden Bauch wallt. »Al-

right«, antworte ich kauend, »es schmeckt

und soll sein, weil ich es liebe. Es gibt Sorbet,

Kuchen, Donauwelle, vielleicht später noch

ein Steak, oder?«

»Ach, Bella, wenn der Glam in die Stadt

reitet, dann klappen die Deutschen die

Bürgersteige hoch und schließen die Fens-

terläden.«

»Und wir fläzen hier elegant auf dem Sofa

und fahren uns das Essen rein, ungerecht,

oder?«

»Nee, praktisch.«

»Aber das Wort »praktisch« ist doch von

der Anstandskleidung besetzt worden, wie

sie von pseudo-skandinavischen Outdoor-

labels in den Markt gedrückt wird.«

»Na, aber so ein Taschenmesser in der

khakifarbenen Kniekehlen-Baggie wäre ja

schon praktisch jetzt.«

»Im Kampf gegen die Raubtiere of the 21st

Century oder was?«

»Ja, dann fühlt man sich so erdverbunden.«

»aLLright, es schmeckt unD so soLL es sein,

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#7 STrASSenFeger

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»sPäter noch ein steak, oDer?«

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»Weißt Du, ich weiß nicht, ob man das so machen kann«, fragt Bella

in einem kurzen Moment mit Selbstzweifeln vor dem Spiegel.

»Was weißt Du nicht?«

»Ist das alles richtig so?«

»Was sollte denn richtig sein? Moral, Demut, Diät und Häuslichkeit?«

»Ja, man könnte sonst meinen, wir seien durchgedreht.«

»Weil wir Kleider tragen, ein Leben führen, essen, tanzen und sin-

gen? Na, wohl bekomm´s. Du bist fantastisch und einzigartig Bella,

hörst Du?«

Tatsächlich scheint es ja immer mal wieder Verdacht zu erregen,

wenn Menschen beginnen, das Leben zu lieben. Wenn sie zu sich

finden, eine Lebenslust in sich haben und sie sich auch gestatten.

Aber in wessen Interesse ist es, das als Unbescheidenheit abzutun?

Der Versuch führt doch nur in den muffigen Konsens und in ein

Gleichgewicht der Schwäche, mit dem wir uns gegenseitig ärmer

machen. Leider haben es Frauen noch immer am besten drauf, ei-

nander argwöhnisch zu belauern. Dagegen hilft nur eines: es eben

nicht zu tun - und sich zu erlauben, sich selber und die Schöpfung

zu feiern.

»Gehen wir tanzen?«

»Erstmal errichten wir die Fassade.

Weil wir es können.

Und weil es Spaß macht.«»man könnte meinen, wir seien DurchgeDreht.«»weiL wir kLeiDer tragen, ein LeBen führen, essen, tanzen unD singen?«

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#8 MorAL, deMUT, diäT

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»tatsächLich scheint es ja immer maL wieDer verDacht zu erregen, wenn menschen Beginnen, Das LeBen zu LieBen.«

Page 22: Elegance is the real Punk - A fashion story

»Weißt Du, immer wenn ich von woanders

herkomme, dann muss ich erstmal wieder

lernen, dass man hier bis vor Kurzem nicht im

Kleid einkaufen konnte. Die Frauen schienen

freiwillig in Funktionsbekleidung mit „Was-

sersäule“ oder Steppjacke, Jeans und Ugg

Boots, in erdgetönten Farben, weil sie das ir-

gendwie natürlicher fanden.«

Bella steckt mir die Zigarette an.

»Ja, absurd, oder. Als würde man nur trocken

Brot essen, weil man dann integer rüber-

kommt. Aber diese düstere Zeit ist zum Glück

vorüber.«

»Wir sollten etwas Richtiges essen.«

Und so machen wir Schluss mit den ge-

brauchten Gefühlen und setzen uns. Bella

zieht ein Buch aus dem Regal und liest vor:

»Neid entsteht aus Schwäche, Kleinmut,

mangelndem Selbstvertrauen, selbstemp-

fundener Unterlegenheit und überspanntem

Ehrgeiz, deswegen verbirgt der Neider sei-

nen unschönen Charakterzug schamhaft. Er

lehnt lauthals ab, es dem Beneideten gleich-

zutun. Geht es ihm an den Kragen, genießt

der Neider stille Schadenfreude. Das ist von

Götz Aly, passt doch ganz gut.« Das ist von

Götz Aly, passt doch ganz gut.

»Wollten wir nicht Schluss machen mit den

gebrauchten Gefühlen? «

»Haben wir doch. Wir könnten in die Taver-

ne des Lichts gehen. Wir könnten einen Club

aufsuchen. Theater? Ich reserviere uns noch

Karten fürs Theater, was meinst Du?«

»Hast du die Nummer?«

»woLLten wir nicht schLuss machen mit Den geBrauchten gefühLen?«

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#9 die FASSAde Wird erricHTeT

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»wir könnten in Die taverne Des Lichts gehen.«

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Gelb und Rot. Schallplatte. Technics 1210.

Nachschminken. Das Knarzen aus den Laut-

sprechern. Ein Tanz. Wir sehen gut aus, was

kann uns passieren? Wir dürfen das machen,

weil wir es wollen. Wer ist eigentlich Gregor?

Wir werden die Welt nicht retten, wenn wir

uns in falscher Demut üben. Im Gegenteil.

Das Theater wartet auf uns. Wir werden aus-

gehen.

Nichts wartet. Gar nichts. Wir sind unser eige-

nes Theater. Weil wir es können. Weil wir uns

das erlauben. Wir entscheiden lautlos, wir ge-

hen nicht hin. Magst noch was trinken?

Wir bereichern die Welt durch unsere Abwe-

senheit. Nichts brauchen wir mehr, als die

Angst zu verlieren, zu sein. Wir sind entschie-

den: Wir haben heute uns.

Bella und ich bleiben. Sollen die Karten doch

verfallen, oder an andere gehen. Wir schmü-

cken uns heute nicht für den Anlass, wir ma-

chen das für uns.

Sie dreht eine Pirouette mit dem Sektglas, ihr

Kleid flattert und es schwappt ein Schluck

auf das Parkett. Weil es gut ist.

»wir sinD unser eigenes theater. weiL wir es können. weiL wir uns Das erLauBen.«

elegance is real the punk 01

#10 gegen den AUSgeHZWAng

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»wir sehen gut aus, was kann uns Passieren? wir Dürfen Das machen, weiL wir es woLLen.«

Page 26: Elegance is the real Punk - A fashion story

wiederbeleben und zitieren, nur

um es wieder im Fluß der Schöp-

fung hinter uns zu lassen.

Die Mode ist ständige Entwick-

lung, Verfeinerung, Veränderung.

Wer sie verbannen oder einfrie-

ren will, weil sie »zu nichts nut-

ze« sei, der redet einer Gesell

schaft das Wort, die sich letztlich in

die Selbstzerfleischung manövriert.

Ganz abgesehen davon, dass

Mode auch ein bisschen ange-

nehm verfeinerte Politik ist, kann

sie durchaus praktisch sein, auch

ohne, dass man gleich im Zeltstoff

mit allerlei Nottaschen am Revers

herumlaufen muss. Wenn die bei-

den Damen in den beschriebenen

zehn Situationen das belegt ha-

ben, wäre ja schon etwas gewon-

nen, oder. Für den Moment darf

sich jedenfalls die Hoffnung auf

eine schönere Welt in feinem Stoff

und einem tollen Schnitt in die Welt

setzen. - Kleiden wir uns?

#11 eS LeBe die nUTZLoSigkeiT

Nun gilt die Liebe gemeinhin als

das am härtesten umkämpfte Gut

der Gesellschaft. Wer sich selbst

liebt, wer sich schmückt, dem

wachsen Flügel. Und wer so be-

schwingt durchs Leben geht, der

wirkt anziehend. Und wer anzie-

hend wirkt, dem wächst die Auf-

merksamkeit der Anderen zu. Und

mit der Aufmerksamkeit verlängert

sich die zugestandene Redezeit,

die Anerkennung, die Möglich-

keiten und letztlich der Spaß am

Leben – für alle Beteiligten. Diese

sanfte Macht der Individualität, der

Schönheit, der ungewöhnlichen Er-

scheinung, der besonderen Fähig-

keiten: all das wird volkstümlich in

den Verdacht gezogen, magisch

zu sein, Hexenwerk, nicht von die-

ser Welt. Wer so herausragt ohne zu

leiden oder direkte Macht auszu-

üben kann keiner von uns sein. Da-

ran muss etwas getürkt sein. Das

kommt dem Volk spanisch vor.

Dangerous! - Fremd und gefährlich!

Doch warum so verkniffen, warum

so deutsch? Die Zweifel der Ge-

meinschaft am Individuum mögen

hie- und da ihre Berechtigung ha-

ben, aber wenn wir über Musik,

Mode, Leben, Humor, Freude und

Lebensart sprechen: was ist so

schlecht, so verwerflich, so unver-

schämt daran? Was ist gefährlich

daran, sich modisch zu kleiden?

Was bewundert die Welt die Pa-

riserin, die Mailänderin, ach, fast

alle Weibsbilder entwickelter,

westlicher Nationen. Ein Bekennt-

nis zur Mode, zum Spiel, zum

Theater, zur Welt als Bühne ist ein

Bekenntnis zur Zivilisation, weil wir

in endlosen Diskursen unsere Ener-

gien kanalisieren, Neues erschaf-

fen, Altes ersetzen, Vergangenes

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Die moDe kann Der wunDerBarste ausDruck Der seeLe sein, ein schutz zugLeich unD im fLuss Der geseLLschaftLichen Diskurse ein interessantes, wenn nicht Das interessanteste thema üBerhauPt.

von Anselm Lenz mit Anna Fuchs, Palermo und Hamburg Frühjahr 2012

Page 27: Elegance is the real Punk - A fashion story

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