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Dokument ZBl 114/2013 S. 635 Autor Reto Patrick Müller Titel Energiewende: Neue Politik in altem Kleid? Seiten 635-668 Publikation Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht Herausgeber Giovanni Biaggini, Arnold Marti, Lukas Widmer, Peter Karlen, Christoph Auer ISSN 1422-0709 Verlag Schulthess Juristische Medien AG ZBl 114/2013 S. 635 Energiewende: Neue Politik in altem Kleid? Verfassungsrechtliche Aspekte eines Ausstiegs aus der Kernenergie Von Dr. iur. Reto Patrick Müller * I. "Fukushima" – und die politischen Reaktionen in der Schweiz Am 11. März 2011 ereignete sich im Pazifik ein starkes Seebeben. Als Folge davon erreichte eine über 13 Meter hohe Flutwelle (Tsunami) das Kernkraftwerk (KKW 1 ) von Fukushima-Daiichi. Aufgrund des Ausfalls der Nebenkühlwasserversorgung sowie von Notstrom-Dieselgeneratoren kam es in drei ZBl 114/2013 S. 635, 636 Reaktorblöcken zu Kernschmelzen. Grosse Mengen von Radioaktivität entwichen in die Umwelt 2 . Die Schweiz war von den Ereignissen in Japan zwar nicht direkt betroffen, das mediale Echo und die beklemmende Unsicherheit im Zusammenhang mit der Havarie beschäftigten die Öffentlichkeit aber ausserordentlich stark. Das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation * Leiter des wissenschaftlichen Sekretariats zur Herausgabe des St. Galler Kommentars zur Bundesverfassung (3. Aufl.). 1 In älteren Erlassen war von Atom-, in der aktuellen Rechtsetzung ist von Kernenergie die Rede. Da bei der nuklearen Energieerzeugung nicht Atome, sondern deren Kerne gespalten werden, sind die Begriffe Kernenergie und -kraftwerk präzisier. 2 Vgl. zum Ganzen die Berichte des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats ENSI (www.ensi.ch => Dossiers => Fukushima; besucht am 22.10.2013).

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Dokument ZBl 114/2013 S. 635Autor Reto Patrick MüllerTitel Energiewende: Neue Politik in altem Kleid?Seiten 635-668Publikation Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und

VerwaltungsrechtHerausgeber Giovanni Biaggini, Arnold Marti, Lukas Widmer,

Peter Karlen, Christoph AuerISSN 1422-0709Verlag Schulthess Juristische Medien AG

ZBl 114/2013 S. 635

Energiewende: Neue Politik in altem Kleid?

Verfassungsrechtliche Aspekte eines Ausstiegs aus derKernenergieVon Dr. iur. Reto Patrick Müller*

I. "Fukushima" – und die politischen Reaktionen inder SchweizAm 11. März 2011 ereignete sich im Pazifik ein starkes Seebeben. Als Folge davonerreichte eine über 13 Meter hohe Flutwelle (Tsunami) das Kernkraftwerk (KKW1) vonFukushima-Daiichi. Aufgrund des Ausfalls der Nebenkühlwasserversorgung sowie vonNotstrom-Dieselgeneratoren kam es in drei

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Reaktorblöcken zu Kernschmelzen. Grosse Mengen von Radioaktivität entwichen indie Umwelt2. Die Schweiz war von den Ereignissen in Japan zwar nicht direktbetroffen, das mediale Echo und die beklemmende Unsicherheit im Zusammenhangmit der Havarie beschäftigten die Öffentlichkeit aber ausserordentlich stark. DasEidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation

* Leiter des wissenschaftlichen Sekretariats zur Herausgabe des St. Galler Kommentars zurBundesverfassung (3. Aufl.).

1 In älteren Erlassen war von Atom-, in der aktuellen Rechtsetzung ist von Kernenergie die Rede.Da bei der nuklearen Energieerzeugung nicht Atome, sondern deren Kerne gespalten werden,sind die Begriffe Kernenergie und -kraftwerk präzisier.

2 Vgl. zum Ganzen die Berichte des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats ENSI(www.ensi.ch => Dossiers => Fukushima; besucht am 22.10.2013).

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(UVEK) teilte drei Tage nach dem Tsunami mit, Bundesrätin Leuthard habebeschlossen, die drei laufenden Rahmenbewilligungsverfahren für Ersatz-KKW in derSchweiz zu sistieren3. Eine Woche später kündigte der Gesamtbundesrat an, erüberprüfe die Grundlagen seiner Energiepolitik4. Am 25. Mai 2011 "beschloss" dieLandesregierung an einer Klausursitzung, dass die bestehenden Kernkraftwerke "amEnde ihrer Betriebsdauer stillgelegt und nicht durch neue Kernkraftwerke ersetztwerden (…)"5 sollten, sondern durch erneuerbare Energien.Die Ereignisse in Japan führten zu verschiedenen parlamentarischen Vorstössen zurBeendigung der Nutzung der Kernenergie (politisch: "Ausstieg"). Unter anderemverlangt eine Motion der BDP (11.3426), dass keine neuen Rahmenbewilligungen fürKernenergieanlagen erteilt werden dürfen. Zentral erscheint im vorliegendenZusammenhang aber die Motion Schmidt (11.3436) "Schrittweiser Ausstieg aus derAtomenergie"6. Der Nationalrat behandelte das Geschäft noch in der Sommersession2011, der Ständerat in der Herbstsession des Wahljahres. Vor allem die kleineParlamentskammer nahm massgebliche Modifikationen an der Motion vor. So wurdeZiff. 1 "Es dürfen keine neuen Rahmenbewilligungen zum Bau neuer Kernkraftwerkeerteilt werden" um eine Ziff. 1bis ergänzt: "Das Kernenergiegesetz (…) istentsprechend zu ändern." Der Auftrag zur Gesetzesrevision machte die Motion alsPlanungs- respektive Rechtsetzungsauftrag verständlicher. Die in letzter Minuteeingeflossene Ergänzung, "(d)amit wird kein Technologieverbot erlassen", kann (auch)als indirekte Antwort auf die während der Beratungen zurückgezogene Zifferverstanden werden, welche eine gestaffelte Stilllegung der bestehenden KKW auf einfestes Datum hin vorgesehen hatte. Die modifizierte Motion verlangt weiter in Ziff. 3die Ausarbeitung einer "umfassende(n) Energiestrategie", in welcher der Bundesrat"den künftigen Strombedarf ohne Atomenergie und durch eine vom Ausland möglichstunabhängige Stromversorgung (skizziert), ohne den Wirtschafts- undForschungsstandort Schweiz insgesamt zu gefährden".

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Schliesslich hat der Ständerat Ziff. 4 der Motion (zielführende Verstärkung derFörderung der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz) ausgeweitet, indem"Bildung, Lehre und Forschung in sämtlichen Energietechnologien in der Schweiz undin der internationalen Zusammenarbeit" weiterhin unterstützt werden sollen.Nach einer bundesrätlichen Aussprache stellte das Bundesamt für Energie (BFE) imFrühling 2012 erste Massnahmen zu einer Energiestrategie 2050 (ES 2050) vor. ImRahmen der Strategie soll in einem ersten Schritt eine Revision des Energiegesetzesvom 26. Juni 1998 (EnG, SR 730.0) sowie weiterer Erlasse an die Hand genommenwerden. Nach dem erläuternden Bericht vom 28. September 20127 sowie dem Berichtüber die Vernehmlassungsergebnisse8 hat der Bundesrat am 4. September 2013 seineBotschaft zum sog. Massnahmenpaket I sowie zur "Atomausstiegsinitiative" der

3 UVEK, Medienmitteilung vom 14.3.2011.4 BFE, Medienmitteilung vom 23.3.2011.5 UVEK, Medienmitteilung vom 25.5.2011.6 Vgl. dazu die Botschaft zum ersten Massnahmenpaket der Energiestrategie 2050 (Revision des

Energierechts) und zur Volksinitiative «Für den geordneten Ausstieg aus der Atomenergie(Atomausstiegsinitiative)» vom 4.9.2013, BBl 2013 7561, S. 7709 f.; zur Behandlung der MotionSchmidt vgl. insb. AB NR 2011 1001 und 1903 ff., AB SR 2011 974 f. sowie die Berichte derUREK-S vom 7.9.2011 und der UREK-N vom 17.10.2011.

7 Erläuternder Bericht zur Energiestrategie 2050 (Vernehmlassungsvorlage) vom 28.9.2012(www.bfe.admin.ch => Themen => Energiepolitik => Energiestrategie 2050; besuchtam 22.10.2013).

8 Bericht über die Ergebnisse der Vernehmlassung zum ersten Massnahmenpaket derEnergiestrategie 2050 vom September 2013 (www.bfe.admin.ch => Themen => Energiepolitik=> Energiestrategie 2050; besucht am 22.10.2013).

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Grünen Partei9 veröffentlicht (BBl 2013 7561 ff.). Der ehrgeizige Fahrplan sieht einInkrafttreten der Gesetzesrevisionen auf den 1. Januar 2015 vor.

II. Versuch einer Einordnung der neuenEnergiestrategie 20501. Stromproduktion und -verbrauchDas vorliegende, weit reichende und komplexe Geschäft zielt nicht bloss auf denmittelfristigen Verzicht auf die Nutzung der Kernenergie, sondern auf einen tiefgreifenden Wandel der Schweizer Stromproduktion und Stromversorgung insgesamtab. Obwohl in das Gewand einer Gesamtenergiestrategie gekleidet, stehen derKernenergieverzicht und damit die künftige Versorgung des Landes mit derSekundärenergie Elektrizität im Fokus der ES 205010.Im Jahr 2012 machte elektrischer Strom rund einen Viertel desGesamtenergieverbrauchs der Schweiz aus11. Der Strom stammte zu rund 35% ausKKW (2011: 40%), zu 33% (30%) aus Speicherkraftwerken und zu 26% (24%) ausLaufwasserkraftwerken; einen Anteil von rund 6% (6%) leisteten konventio-

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nell-thermische (insb. Kehrichtverbrennungsanlagen) oder andere Kraftwerksarten(Wind-, Solar-, Biomassekraftwerke etc.)12. Im Winterhalbjahr liegt der Anteil derKernenergie an der gesamten heimischen Stromproduktion mit bis zu 45% teilweisemarkant über dem statistischen Jahresmittel13. Verbraucherseitig flossen gut 32%(33%) des Stromes zu Industrie und verarbeitendem Gewerbe, 31% (30%) zu denprivaten Haushalten, 27% (27%) in Dienstleistungen und 8% (8%) in den Verkehr(insb. Eisenbahnen)14.

2. Entwicklung des StromsektorsDie Elektrifizierung der Schweiz wurde insb. angesichts der Kohle- und Ölknappheitzur Zeit des Ersten Weltkrieges forciert. Mitte der 1920er Jahre vermochten dievorhandenen Produktionskapazitäten (Wasserkraft) die steigende Nachfrage nicht mehrzu befriedigen15. Nach dem Zweiten Weltkrieg stand die Schweiz erneut unterenergiepolitischem Handlungsdruck, da die Steigerung der Stromproduktion mit derwirtschaftlich bedingten Zunahme der Nachfrage nicht mehr Schritt hatte haltenkönnen. Die Kapazitäten der Wasserkraft galten nach einem starken Ausbau in derZwischenkriegszeit als weitgehend ausgeschöpft. Der Bau fossiler Kraftwerke erschienwegen einer zunehmenden Auslandsabhängigkeit (Öl, Kohle oder Gas alsPrimärenergieträger) sowie des Widerstands der Bevölkerung aufgrund schädlicher

9 Volksinitiative «Für den geordneten Ausstieg aus der Atomenergie (Atomausstiegsinitiative)»;vgl. BBl 2013 615 f. (Zustandekommen) resp. BBl 2011 3981 ff. (Inhalt).

10 Ebenso die Internationale Energieagentur, IEA-Tiefenprüfung der SchweizerischenEnergiepolitik, Bericht 2012, Executive Summary und Schlüsselempfehlungen, Paris 2012,S. 2 f.

11 BFE, Schweizerische Gesamtenergiestatistik 2012, S. 2, Fig. 5 (www.bfe.admin.ch => Themen=> Energiestatistiken => Gesamtenergiestatistik => Gesamtenergiestatistiken; besuchtam 22.10.2013).

12 BFE, Schweizerische Elektrizitätsstatistik 2012 (resp. 2011), S. 3, Fig. 1 (www.bfe.admin.ch =>Themen => Energiestatistiken => Elektrizitätsstatistik => Elektrizitätsstatistiken; besuchtam 22.10.2013).

13 Vgl. dazu BFE, Schweizerische Elektrizitätsstatistik 2012 resp. 2011 (Anm. 12), S. 21 sowieBFE, Energieperspektiven 2035 – Bd. 1, Synthese, Januar 2007, S. 61.

14 BFE, Schweizerische Elektrizitätsstatistik 2011 (Anm. 12), S. 4 (Fig. 2).15 Vgl. dazu die Botschaft zum Entwurfe eines dringlichen Bundesbeschlusses über die

Ver-sorgung des Landes mit elektrischer Energie (22.11.1921), BBl 1921 V 109, S. 110 ff.

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Luftverunreinigung als wenig sinnvoll und politisch heikel16. Erneut wurde dieSchaffung eines rechtlichen Rahmens zur Strombewirtschaftung notwendig17. DieInternationale Atomkonferenz der Vereinten Nationen vom August 1955 in Genfbeflügelte dann die Vorstellungen über eine neue Technologie: Künftig sollte dieKernenergie die stetig steigende Stromnachfrage decken18.Die von Bund, Wissenschaft und heimischer Industrie getragenen Bestrebungen zumBau eines eigenen Schweizer Leistungsreaktors überstiegen die

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vorhandenen Kräfte19. So lieferten U.S.-amerikanische Unternehmen die ersten dreikommerziellen Leistungsreaktoren Beznau I und II sowie Mühleberg, welche erstzwischen 1969 und 1972 ans Netz gingen. 1979 und 1984 kamen mit Gösgen undLeibstadt zwei weitere amerikanische Reaktoren der Generation II hinzu. Mitte der1970er Jahre formierte sich vor allem gegen das fortgeschrittene Projekt in Kaiseraugstpolitischer20 und physischer21 Widerstand. Nach den Ereignissen rund um"Tschernobyl" 1987 war an der Umsetzung des bereits weit fortgeschrittenen KKW-Projekts politisch nicht mehr festzuhalten – der Bundesrat entschädigte dieBetreibergesellschaft für ihren freiwilligen Rückzug des Projekts22. Die grossenSchweizer Energieversorgungsunternehmen wichen auf Beteiligungen an französischenKernkraftwerken in Kombination mit sog. Langfristlieferverträgen aus, umNuklearstrom aus Frankreich zu beziehen.2004 lancierte das BFE die "Energieperspektiven 2035"23. Gestützt darauf aktualisierteder Bundesrat im Jahre 2007 eine Politik zur Sicherung der künftigenEnergieversorgung. Diese beruhte auf den vier Säulen Energieeffizienz, Förderungerneuerbarer Energien, Grosskraftwerke und Energieaussenpolitik24. Zur Schliessungeiner ab 2020 erwarteten "Stromlücke" sah die Strategie den Bau von Gaskraftwerkenvor, da auf Grosskraftwerke vorerst nicht verzichtet werden könne25. DieElektrizitätswirtschaft bezweifelte jedoch die Wirtschaftlichkeit des Baus neuer

16 Vgl. zum Ganzen den Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über den Ausbau derschweizerischen Elektrizitätsversorgung (23.12.1966), BBl 1966 II 932, S. 937 ff.

17 Vgl. dazu die Botschaft zum Entwurf eines dringlichen Bundesbeschlusses über die Versorgungdes Landes mit elektrischer Energie im Falle von Knappheit (9.12.1955), BBl 1955 II 1396.

18 Botschaft betreffend den Entwurf zu einem Bundesgesetz über die friedliche Verwendung derAtomenergie und den Strahlenschutz (8.12.1958), BBl 1958 II 1521, S. 1523.

19 Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die schweizerischeReaktorpolitik (27.12.1966), BBl 1967 I 205, S. 215 f.

20 Vgl. zu den parlamentarischen Vorstössen und Standesinitiativen sowie zur Volksinitiative «zurWahrung der Volksrechte und der Sicherheit beim Bau und Betrieb von Atomanlagen» dieBotschaft über eine Ergänzung des Atomgesetzes (24.8.1977), BBl 1977 III 293, S. 298 ff.; zuden Hintergründen vgl. Heribert Rausch, Schweizerisches Atomenergierecht, Zürich 1980,S. 20 ff. und Peter Saladin, Kernenergie und schweizerische Staatsordnung, in: Recht als Prozessund Gefüge, Festschrift für Hans Huber zum 80. Geburtstag, Bern 1981, S. 297 ff.

21 Vgl. zur Besetzung des Baugeländes in Kaiseraugst sowie zu den Widerständen gegen den Baudes KKW Gösgen Reto Patrick Müller, Innere Sicherheit Schweiz – Rechtliche und tatsächlicheEntwicklungen im Bund seit 1848, Diss. Basel 2009, Egg bei Einsiedeln 2009, S. 366 f.(m.w.H.).

22 Vgl. auch die Botschaft zu einem Bundesbeschluss über die Vereinbarung betreffendNicht-realisierung des Kernkraftwerks Kaiseraugst (9.11.1988), BBl 1988 III 1253, S. 1256 f.

23 Die erarbeiteten Studien und Grundlagenpapiere finden sich online beim BFE(http://www.bfe.admin.ch => Themen => Energiepolitik => Energiestrategie 2050 =>Energieperspektiven 2035; besucht am 22.10.2013).

24 In der Botschaft ES 2050 (Anm. 6) erwähnt der Bundesrat bei der Darstellung seiner bisherigennationalen Energiepolitik die Grosskraftwerke nicht mehr (S. 7579).

25 BFE, Medienmitteilung vom 21.2.2007.

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Gaskraftwerke unter den gegebenen gesetzlichen Rahmenbedingungen26. So reichtendie KKW-Betreiber im Jahre 2008 drei Rahmen-

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bewilligungsgesuche zum Bau von sog. Ersatz-KKW an bestehenden Standorten ein27.

3. Die neue Energiepolitik des BundesratesMit der ES 2050 will der Bundesrat die Energiepolitik nach einer leicht überarbeitetenanderen Variante der Energieperspektiven 2035 ausrichten: Dem Szenario "NeueEnergiepolitik" folgend, strebt er u.a. eine Reduktion des jährlichen Stromverbrauchsvon heute rund 59 TWh (inkl. Übertragungs- und Verteilverluste: 64,4 TWh) auf 55TWh (59,9 TWh) bis 2035 resp. auf 53 TWh (57,6 TWh) bis 2050 an. In den nächstenJahren soll sich die Stromnachfrage stabilisieren, anschliessend bis zum Jahr 2050dank den vom Bundesrat angestrebten politischen Massnahmen kontinuierlichreduzieren. Ohne Massnahmen wird ein Anstieg des jährlichen Landesverbrauchs aufgut 77 TWh bis zum Jahr 2050 prognostiziert28.Der Bundesrat geht bei einem Vergleich seiner neuen Strategie mit dem Szenario"Weiter wie bisher" von einem "Stromdeckungsbedarf" aus, welcher bis zum Jahr 2050auf gut 33 kWh pro Jahr ansteigen wird29. Gedeckt werden soll die Differenz durcherneuerbare Energien und, soweit nötig, durch fossil-thermische Stromproduktion undImporte. Die "Stossrichtungen" der ES 2050 umfassen – nebst der Senkung desStromverbrauchs – einen Ausbau der Wasserkraft und der neuen erneuerbaren Energien(insb. Solar- und Windenergie), eine Beibehaltung von Stromimporten sowie einenAusbau der Stromnetze. Grosskraftwerke sollen offenbar keine tragenden Pfeiler derSchweizer Energiepolitik mehr bilden, aber "soweit nötig" den neuen Strommixergänzen. Zudem hat der Bundesrat entschieden, den Umbau des Steuersystems durcheine ökologische Steuerreform (Massnahmenpaket II) zu prüfen30. ZBl 114/2013 S. 635, 641

III. Die postulierten Gesetzesänderungen und dieRevision des KEG im Besonderen1. Neues Energiegesetz und Änderung bisherigen RechtsDer Bundesrat sieht zur Umsetzung der neuen Energiepolitik vorerst die Totalrevisiondes Energiegesetzes vom 26. Juni 1998 vor. Viele Bestimmungen würden "jedoch nurgeringfügig oder gar nicht geändert, jedenfalls nicht materiell"31. Dem stehen die

26 Gaskraftwerke bewirken einen grossen CO2-Ausstoss, welchen die Gesetzgebung gerade zusenken bezweckt (Bundesgesetz über die Reduktion der CO2-Emissionen vom 8. Oktober 1999[AS 2000 979] resp. vom 23. Dezember 2011 [SR 641.71]). Das geltende CO2-Gesetz befreitzwar fossil-thermische Kraftwerke von der CO2-Abgabe (Art. 11a Abs. 1), solche Anlagendürfen aber nur erstellt und betrieben werden, wenn sie die versursachten CO2-Emissionenvollumfänglich kompensieren (Art. 11b Abs. 1). Daher käme ein Einsatz vorab alsReservekraftwerke mit kurzen Volllastzeiten infrage.

27 Vgl. die Übersicht des ENSI (http://www.ensi.ch => Kernanlagen => neue Kernkraftwerke;besucht am 22.10.2013).

28 Zu den Zahlen vgl. die Elektrizitätsstatistik 2012 (Anm. 12), S. 3, die Botschaft ES 2050(Anm. 6), S. 7590 ff., 7598, 7599 (Grafik 4). Im Unterschied zum erläuternden Bericht (Anm. 8)hat der Bundesrat nun ein moderateres Zwischenziel für das Jahr 2035 eingefügt.

29 Botschaft ES 2050 (Anm. 6), S. 7598. Der erläuternde Bericht (Anm. 7), S. 29 nannte zudemnoch einen Stromdeckungsbedarf von gut 26 TWh bis ins Jahr 2035.

30 Vgl. zum Ganzen die Botschaft ES 2050 (Anm. 6), S. 7594 f. und 7623 ff. (Stossrichtungen),7633 f. (Grosskraftwerke), 7601 (ökologische Steuerreform). Vgl. auch die (ausweichende)Antwort des Bundesrates auf die Interpellation Wobmann (11.3295) vom 25.6.2011.

31 Botschaft ES 2050 (Anm. 6), S. 7657.

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ambitionierte Strategie sowie die formelle Zunahme des E-EnG32 im Vergleich zumbestehenden Erlass von 30 auf 79 Artikel gegenüber.Unter dem üblichen Titel "Änderung bisherigen Rechts" erwähnt der E-EnGAnpassungen in neun weiteren Bundesgesetzen. Dabei werden teilweise grundlegendeÄnderungen vorgeschlagen33. Der Motion Schmidt folgend ist auch eine Teilrevisiondes Kernenergiegesetzes vom 21. März 2003 (KEG, SR 732.1) vorgesehen. Gemässbundesrätlicher Vorlage würden die beiden neuen Art. 12 Abs. 4("Rahmenbewilligungen für die Erstellung von Kernkraftwerken dürfen nicht erteiltwerden") sowie Art. 106 Abs. 1bis ("Rahmenbewilligungen für Änderungenbestehender Kernkraftwerke dürfen nicht erteilt werden") künftigeRahmenbewilligungsgesuche für KKW ausschliessen34. Ausserdem würde derBundesrat mit Art. 74a E-KEG verpflichtet, der Bundesversammlung regelmässigBericht über die Entwicklung der Kerntechnologie zu erstatten.Gemäss der Botschaft zur ES 2050 hätten Bundesrat und Parlament "im Jahr 2011 imNachgang zur Reaktorkatastrophe von Fukushima einen Grundsatzentscheid für einenschrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie gefällt", welcher "einen sukzessivenUmbau des Schweizer Energiesystems bis ins Jahr 2050" bedinge35. An anderer Stellewird präzisiert, der Bundesrat habe "am 25. Mai 2011 (…) einen Richtungsentscheidfür einen schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie gefällt"36. Dazu kann angemerktwerden, dass das Parlament weder rechtsetzende Beschlüsse diesbezüglich getroffenhat (vgl. Ziff. I.), noch einen Verzicht auf die künftige Nutzung der Kernenergie durchdie Annahme einer Motion überhaupt hätte treffen können (welche zudem nachWortlaut, Entstehung und Systematik einen Planungsauftrag darstellt).

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Die Annahme (u.a.) der Motion Schmidt kann als politischer Grundsatzentscheid desParlaments verstanden werden – der als solcher jedoch zur rechtsverbindlichenUmsetzung einer neuen Politik nicht genügt. Wie der Bundesrat (als Organ derExekutive) den Verzicht auf die künftige Nutzung der Kernenergie rechtsverbindlichbeschliessen könnte, ist nicht ersichtlich37.

2. Gehalt der vorgeschlagenen Revision des KEGArt. 12 Abs. 4 und Art. 106 Abs. 1bis E-KEG implementieren nach klarem Wortlautund Systematik der Vorlage ein umfassendes Verbot der Erteilung vonRahmenbewilligungen für KKW. Der Inhalt eines Rahmenbewilligungsgesuches istinsofern nicht relevant: Erfasst würden sowohl Gesuche für künftige als für auchbestehende KKW sowie sämtliche nuklearen Technologien zur Energiegewinnung(sowohl Reaktortypen der bestehenden Generation II, solche der Generation III undIII+ – welche Gegenstand der sistierten Rahmenbewilligungen bilden – als auch solchekünftiger Weiterentwicklungen der Fissionstechnologie oder dereinst gar

32 Energiegesetz (Entwurf), BBl 2013 7757 ff. (E-EnG).33 So soll bspw. das Bundesgerichtsgesetz vom 17. Juni 2005 (SR 173.110) um einem neuen Art. 83

Bst. w ergänzt werden, welcher Beschwerden an das Bundesgericht bei der Plangenehmigungvon Stark- und Schwachstromanlagen ausschliesst, wenn sich keine Rechtsfrage vongrundsätzlicher Bedeutung stellt. Die Revisionsvorlage zum CO2-Gesetz vom 23.12.2011(BBl 2012 113) wird zudem mit neuen Vorschlägen bereits überholt.

34 Weiterhin zulässig blieben der Bau von Forschungsreaktoren, geologischen Tiefenlagern odervon Zwischenlagern für radioaktive Abfälle, vgl. Botschaft ES 2050 (Anm. 6), S. 7711.

35 Botschaft ES 2050 (Anm. 6), S. 7565.36 Botschaft ES 2050 (Anm. 6), S. 7592.37 Im Rahmen konkreter Rahmenbewilligungsverfahren wäre ein negativer Entscheid des

Bundesrates einerseits begründungspflichtig, andererseits nicht abschliessend (vgl. Art. 48KEG).

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Fusionsreaktoren)38. Die Novelle umfasst damit selbst Rahmenbewilligungen fürProjekte, welche eine Erhöhung des Sicherheitsniveaus eines bestehenden KKWbezwecken (vgl. Art. 65 Abs. 1 Bst. b KEG). Mit "dürfen nicht erteilt werden" sindjeweils sowohl Bundesrat als auch Parlament die Normadressaten. Nach dem Wortlautder Bestimmungen würden die Behörden auf allfällige Gesuche nicht mehr eintretenund die derzeit sistierten Rahmenbewilligungsgesuche für Ersatz-KKW wohl alsgegenstandslos abschreiben. Auf Art. 74a E-KEG, wonach der Bundesrat derBundesversammlung regelmässig Bericht über die Entwicklung der Kerntechnologieerstattet, wird weder im erläuternden Bericht noch in der Botschaft eingegangen39.Der Bundesrat geht davon aus, dass für das Massnahmenpaket I zum Umbau desEnergiesystems keine Verfassungsänderungen notwendig seien. Hinsichtlich desvorgeschlagenen Ausstiegs aus der Kernenergie weist die Botschaft darauf hin, dassArt. 89 Abs. 1 BV (Energiepolitik) dem Vorhaben nicht entgegenstehe und Art. 90 BV(Kernenergie) gestützt auf eine geltungs-

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zeitliche und teleologische Auslegung einen sicherheitspolizeilich motivierten Ausstiegaus der nuklearen Stromerzeugung zulassen würde; zudem sei ja keinTechnologieverbot gewollt40. Der Bundesrat folgt hierbei argumentativ einemGutachten des Bundesamtes für Justiz (BJ), welches einen Verzicht auf die Nutzungder Kernenergie für vereinbar mit Art. 89 und 90 BV hält, aber "unter rechtspolitischenErwägungen (…) mit Blick auf die grosse Tragweite" und den politischen Prozess eineVerfassungsrevision allenfalls als sinnvoll erachtet41.Tatsächlich verlangt die bundesrätliche Vorlage kein sofortiges Verbot der Nutzung derKernenergie oder die Verankerung fester Laufzeiten für bestehende KKW42. Auchblieben die Nuklearforschung sowie weitere nukleartechnische Anwendungenweiterhin zulässig. Das vorgeschlagene gesetzliche Verbot zur Erteilung vonRahmenbewilligungen verbietet jedoch künftig die Nutzung der Kernenergie in derSchweiz. Darin besteht juristisch (und politisch) gerade die Finalität der KEG-Revision. Andernfalls könnten die bereits eingereichten oder allfällige spätereRahmenbewilligungsgesuche nach dem geltenden gesetzlichen Verfahren behandeltund in jedem Einzelfall vom Parlament (allerdings mit – auch – juristischerBegründung) oder per Volksentscheid abgelehnt werden. Ein Rechtsanspruch aufErteilung einer Rahmenbewilligung besteht zwar nicht43. Trotzdem erscheint fraglich

38 Als Kernreaktoren der Generation I gelten die kommerziellen Prototypen der 1950er Jahre. DieGeneration II bilden die u.a. in Europa und den U.S.A. in Betrieb stehenden kommerziellenLeistungsreaktoren der 1960er, 1970er und 1980er Jahre. Als Generation III(+) werdenweiterentwickelte Leistungsreaktoren bezeichnet (z.B. der amerikanische «AP-1000» oder der«European Pressurized Water Reactor» [EPR]), welche über verbesserte (auch passive)Sicherheitseigenschaften verfügen.

39 Als Materialie verbleibt die Motion Schmidt, welche ebendies verlangte, um insb.Stellungnahmen zu Fragen der Sicherheit, der Entsorgung radioaktiver Abfälle sowie dervolkswirtschaftlichen, umwelt- und klimapolitischen Auswirkungen zu erhalten (Ziff. 5).

40 Botschaft ES 2050 (Anm. 6), S. 7743. Vgl. aber auch die – zurückhaltendere – Botschaft übereinen Energieartikel in der Bundesverfassung (7.12.1987), BBl 1988 I 337, S. 350.

41 Gutachten BJ vom 8.8.2011, Verfassungsfragen zum Ausstieg aus der Kernenergie, S. 2 und 9 f.(www.bfe.admin.ch => Themen => Energiepolitik => Energiestrategie 2050 => Grundlagen;besucht am 22.10.2013).

42 Vgl. dazu ein (weiteres) Gutachten des BJ, Vorzeitiger Ausstieg aus der Kernenergie, VPB1/2013 vom 18.9.2013, S. 1 ff.

43 Anders noch die Polizeierlaubnis gem. dem Bundesgesetz über die friedliche Verwendung derAtomenergie und den Strahlenschutz vom 23. Dezember 1959, AS 1960 541: Demnachbedurften die Erstellung und der Betrieb sowie jede Änderung des Zweckes, der Art und desUmfangs einer Atomanlage (Art. 4 Abs. 1 Bst. a) einer Bewilligung durch den Bundesrat(Art. 6). Das Gesetz zählte die Gründe auf, nach welchen eine Bewilligung verweigert oder mitAuflagen versehen werden konnte (Art. 5). Kamen die Gesuchsteller allen Anforderungen nach,genossen sie einen Rechtsanspruch auf Bewilligungserteilung; vgl. zur damaligen Rechtslage dieBotschaft über die Ergänzung des Atomgesetzes (Anm. 20), S. 296 sowie Rausch (Anm. 20),

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und soll untersucht werden, ob ein mittelbares pauschales Verbot der Kernenergieverfassungsrechtlich zu bestehen vermag.

IV. Vereinbarkeit mit dem Energieartikel (Art. 89 Abs.1 BV)?1. Entstehung und Bedeutung des EnergieartikelsDie Bedeutung der energiepolitischen Rolle des Bundes wuchs mit den Erdölkrisen der1970er Jahre. Ein nach der zweiten Erdölkrise von 1979 in einer

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Behördenvorlage vorgesehener Energieartikel war in der obligatorischenVolksabstimmung vom 27. Februar 1983 zwar noch am Ständemehr gescheitert (BBl1983 II 294, S. 296). Mit einer neuen Verfassungsbestimmung sollten "dieenergiepolitischen Anstrengungen der Kantone (…) gefördert und verstärkt sowiesubsidiär eine wirksame Energiepolitik des Bundes ermöglicht werden"44. In derVolksabstimmung vom 23. September 1990 fand Art. 24octies BV 1874 dann eine breiteZustimmung (BBl 1991 I 307, S. 310). Trotz gleichem Abstimmungsdatum undgemeinsamer Botschaft vermied es der Bundesrat in seiner Argumentation, denEnergieartikel als indirekten Gegenvorschlag zu den sog. Zwillingsinitiativen (Ausstiegaus der Kernenergie und Moratorium, dazu nachfolgend, Ziff. IV.5.) zu verstehen45.Der Energieartikel bezieht sich auf die Energiepolitik von Bund und Kantonen,verstanden als Querschnittspolitik46. Er bildet "(…) eine Klammer, durch welche dieEnergie im allgemeinen erfasst wird"47. Nach dem Zielkatalog des heutigen Art. 89Abs. 1 BV setzen sich Bund und Kantone im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für eineausreichende, breit gefächerte, sichere, wirtschaftliche und umweltverträglicheEnergieversorgung sowie für einen sparsamen und rationellen Energieverbrauch ein48.Die verschiedenen Zielvorgaben des Abs. 1 erstrecken sich damit auf die gesamteSchweizer Energiepolitik und umfassen sämtliche Energieträger sowie die gesamteEnergieversorgung und den gesamten Energieverbrauch49. Die Zielvorgaben sindgrundsätzlich gleichwertig und begründen keine neuen Bundeskompetenzen50. DieEnergieversorgung bleibt unverändert Sache der Energiewirtschaft51. Alsübergreifende Norm52 steht

S. 45 ff.44 Botschaft Energieartikel (Anm. 40), S. 340.45 Vgl. dazu Gabriela Rohner, Die Wirksamkeit von Volksinitiativen im Bund 1848–2010, Diss.,

Zürich 2012, S. 151 ff., welche im Energieartikel materiell einen Gegenvorschlag zu denZwillingsinitiativen erkennt (S. 153).

46 Botschaft Energieartikel (Anm. 40), S. 371.47 Vgl. Riccardo Jagmetti, in: Jean-François Aubert et al. (Hrsg.), Kommentar zur

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874, Art. 24octies(1995), Rz. 1, sowie zu den verschiedenen Gehalten des Energieartikels resp. dessen AbsätzenRz. 2 und 5.

48 Vgl. Jagmetti (Anm. 47), Art. 24octies, Rz. 5 und 33.49 Jean-François Aubert, in: Jean-François Aubert/Pascal Mahon (Hrsg.), Petit commentaire de la

Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999, Zürich 2004, Art. 89, Rz. 8;Giovanni Biaggini, BV Kommentar, Zürich 2007, Art. 89, Rz. 1; René Schaffhauser, in:Bernhard Ehrenzeller/Philippe Mastronardi/Rainer J. Schweizer/Klaus A. Vallender (Hrsg.),St. Galler Kommentar zur schweizerischen Bundesverfassung, 2. Aufl., Zürich/St. Gallen 2008,Art. 89, Rz. 4.

50 Botschaft Energieartikel (Anm. 40), S. 375; Aubert (Anm. 49), Art. 89, Rz. 9.51 Botschaft Energieartikel (Anm. 40), S. 375; aus der h.L. vgl. etwa Schaffhauser (Anm. 49),

Art. 89, Rz. 7.52 Botschaft über eine neue Bundesverfassung (20.11.1996), BBl 1997 I 1, S. 268 sowie das

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Art. 89 Abs. 1 BV in Wechselwirkung zum Kernenergieartikel, seiner etwas älterenNachbarnorm, welche er teilweise überlagert53.Als Programmnorm54 weist Art. 89 Abs. 1 BV eine geringere normative Dichte alsandere (insb. kompetenzbegründende) Verfassungsbestimmungen auf. Immerhin sinddie verschiedenen Zielvorgaben hinreichend bestimmt. Art. 89 Abs. 1 BV verankert dieEckwerte der durch die zuständigen Gemeinwesen zu setzenden Rahmenbedingungenverfassungsrechtlich55 und bildet überdies Anknüpfungspunkt zur Auslegung weitererNormen – handle es sich dabei um weiteres Verfassungsrecht oder um Rechtssätzenachgelagerter Stufen.Der Bundesrat weist seit jeher auf ein gegenseitiges "Spannungsverhältnis" dereinzelnen Zielvorgaben hin56. Es sei in erster Linie Sache des Gesetzgebers, allfälligeZielkonflikte bestmöglich zu lösen; "(s)o betrachtet", meint der Bundesrat nun, "stehtArtikel 89 Absatz 1 BV dem Ausstieg aus der Kernenergie nicht entgegen"57. DasGutachten des BJ erwähnt allerdings, dass die energiepolitischen Vorgaben in derBotschaft und im Schrifttum kaum weiter kommentiert worden seien58. Deshalb sollennachfolgend die möglichen Bedeutungen der verschiedenen Zielvorgaben für denspezifischen Bereich der Stromproduktion und -versorgung beleuchtet und allfälligeverfassungsrechtliche Problemlagen mit Blick auf die ES 2050 herausgeschält werden.

2. Ausreichende StromversorgungDie Zielvorgabe der Schaffung von Rahmenbedingungen zur Gewährleistung einerausreichenden Energieversorgung verlangt die Vermeidung von Versorgungsengpässenzu Zeiten einer normalen Lage (für besondere Lagen vgl. nachfolgende Ziff. IV.3.)59.Im Zusammenhang mit der Stromversorgungssicher-

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heit kommt diesem Aspekt eine herausragende Bedeutung zu60. Zum Betrieb einesStromnetzes ist unabdingbar, Spannung und Frequenz (230 Volt/50 Hertz) permanentund innerhalb geringster Toleranzen aufrechtzuerhalten. Da sich Elektrizität imGegensatz zu anderen Energien kaum speichern lässt, müssen Stromproduktion und-verbrauch jederzeit exakt aufeinander abgestimmt sein. Sowohl bei Überlastung alsauch bei einem Spannungsabfall brechen Stromnetze ganz oder teilweise zusammen

Gutachten BJ (Anm. 41), S. 10.53 Vgl. Riccardo Jagmetti, Energierecht, in: Heinrich Koller/Georg Müller/René Rhinow/Ulrich

Zimmerli (Hrsg.), Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Bd. VII, Basel 2005, Rz. 5114und 1316 ff.; Aubert (Anm. 49), Art. 89, Rz. 9; vgl. auch die Botschaft neue BV (Anm. 52),S. 268; missverständlich die Formulierung in der Botschaft Energieartikel (Anm. 40), S. 372.

54 René Rhinow/Markus Schefer, Schweizerisches Verfassungsrecht, 2. Aufl., Basel 2009, Rz. 85.55 Art. 89 Abs. 1 BV wäre bspw. als Grundlage zur Nationalisierung der Stromversorgung durch

den Bund nicht ausreichend, da die Grundsätze für die Energiepolitik jene für dieWirtschaftsordnung nicht verdrängen (insb. Art. 94 BV); so auch Jagmetti (Anm. 53), Rz. 1318.

56 So bereits die Botschaft Energieartikel (Anm. 40), S. 375; Aubert (Anm. 49), Art. 89, Rz. 10.57 Botschaft ES 2050 (Anm. 6), S. 7743, m.H. auf das Gutachten BJ (Anm. 41), S. 2.58 Gutachten BJ (Anm. 41), S. 10 f., m.H. auf Schaffhauser (Anm. 49), Art. 89, Rz. 6, welcher die

Zielvorgaben der ausreichenden, breit gefächerten und sicheren Energieversorgung indesallgemein behandelt und sie m.E. inhaltlich zusammenfasst; die Botschaft Energieartikel(Anm. 40), S. 376 vereinigt die Ziele der ausreichenden und der sicheren Energieversorgung undbetont den Aspekt der Versorgungssicherheit.

59 Botschaft Energieartikel (Anm. 40), S. 376.60 Akademien der Wissenschaften Schweiz (Hrsg.), Zukunft Stromversorgung Schweiz, Bern 2012,

6. Schlussfolgerungen, S. 164.

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(Blackout)61. Zur Gewährleistung der Stromversorgungssicherheit gehören dahersowohl ausreichende Produktionskapazitäten als auch ein stabil führbares Stromnetz.Ausgleichsmassnahmen (Regelenergie) sind sowohl auf der Produktions- als auch derVerbrauchsseite möglich62. In der Schweiz werden Verbrauchsspitzen durch dengezielten Einsatz von alpinen Pumpspeicherkraftwerken (Turbinierung gespeichertenWassers) gedeckt63. Die Grundlast beziehen Endverbraucherinnen und Endverbraucherphysikalisch hingegen grösstenteils aus mehr oder weniger permanent verfügbarenKKW und Laufwasserkraftwerken (Bandenergie).Die ES 2050 postuliert einerseits, den nuklear erzeugten Anteil der SchweizerStromproduktion durch eine Senkung der Nachfrage zu substituieren. Fachleutewenden ein, weder mit einschneidenden Massnahmen zur Senkung der Nachfrage nochmit einer massiven Förderung neuer erneuerbarer Energien lasse sich die (ohnehin) zuerwartende Stromlücke decken64. Im Gegensatz zur ES 2050 nimmt auch der am 12.Dezember 2011 von der Europäischen Kommission verabschiedete Energiefahrplan2050 an, dass der Stromverbrauch in Europa nicht nur weiter zunehmen werde,sondern mit dem Ziel der Entkarbonisierung (Klimaschutzziele) sogar weiter ansteigenmüsse65 (vgl. auch Ziff. IV.7.).Andererseits postuliert die ES 2050 einen starken Zubau an neuen erneuerbarenEnergien. Die Geothermie könnte zwar Bandenergie liefern, befindet sich in derSchweiz aber nach dem Rückschlag in Basel (Erdbeben 2006 aufgrund vonBohrarbeiten) noch in der Versuchsphase (aktuell wird in St. Gallen gebohrt – ebenfallsmit der Folge spürbarer Erdbeben). Die Potenziale von Biogas und Kleinwasserkrafterscheinen auch gemäss der ES 2050 beschränkt. Daher liegt ein besonderer Fokus aufder Solar- und der Windenergie, deren Produk-

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tion in der Schweiz aber stark vom Wetter sowie von der jeweiligen Jahreszeitabhängig ist. Beide sind fluktuierende Energien, d.h. sie sind an den gewähltenStandorten nicht ständig verfügbar. Wenn die Bedingungen zur Elektrizitätserzeugungerfüllt sind, erfolgt die Produktion zudem stochastisch, d.h. die Stromproduktion steigtoder sinkt bei sich verändernden Bedingungen (Sonneneinstrahlung; Windstärke)überproportional. Dies macht Verstärkungen im Verteilnetz notwendig, welche dasNetz aber gleichsam insgesamt ineffizienter werden lassen. Die versorgungstechnischeHerausforderung besteht nun darin, den als Bandenergie anfallendenNuklearstromanteil teils durch fluktuierende Energien zu ersetzen. Selbst wennnachfrageseitige Massnahmen (Stromsparen) erfolgreich wären, würden sie allein zurGewährleistung der Netzstabilität nicht ausreichen. In der Strategie Stromnetze stelltder Bundesrat denn auch fest, dass sich seine neue Energiepolitik mit dem bestehendenStromnetz nicht realisieren lasse66. Die bundesrätliche Politik stellt daher "intelligente

61 BFE, Schlussbericht der Arbeitsgruppe Leitungen und Versorgungssicherheit (AG LVS),Schlussversion 5.0 vom 28.2.2007 (www.bfe.admin.ch => Dokumentation => Publikationen;besucht am 22.10.2013).

62 Vgl. zum Ganzen Phyllis Scholl, Sicherheit der Stromversorgung, Sicherheit & Recht 1/2009,S. 60 ff., 61.

63 BFE, Schweizerische Elektrizitätsstatistik 2012 resp. 2011 (Anm. 12), S. 30.64 Vgl. dazu etwa die übersichtliche Darstellung bei Akademien der Wissenschaften Schweiz

(Anm. 60), 2. Perspektiven Stromnachfrage, S. 7 ff. sowie 6. Schlussfolgerungen, S. 166 ff. undinsb. S. 172 (Stromlücke) oder IEA, Tiefenprüfung (Anm. 10), S. 3. Vgl. ausserdem EnergieTrialog Schweiz (Hrsg.), Grundlagenbericht (2009), S. 22 f.; skeptisch auch PSI, EnergiespiegelNr. 21/November 2012, Die neue Schweizer Energiepolitik: Woher kommt der Strom?, S. 3.

65 Europäische Kommission, Energiefahrplan 2050, 15.12.2011, KOM (2011) 885 S. 6 f.66 BFE, Strategie Stromnetze – Detailkonzept im Rahmen der Energiestrategie 2050 (13.6.2013),

S. 5 ff.

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Netze" (die es noch nicht gibt) in den Fokus auch der ES 205067; hingegen misst siedem Zubau neuer Kapazitäten an Bandenergie keine Priorität mehr zu. Fraglich ist, obintelligente Netze die Verbrauchs- und Angebotsschwankungen über einen Tag hinwegzu glätten vermögen. Die grössere Herausforderung läge jedoch im Ausgleich derjahreszeitlich bedingten Produktions- und Verbrauchsschwankungen (geringereNiederschläge und Sonneneinstrahlung im Winter, dafür insb. Heizbedarf, etwa durchWärmepumpen). Solche können nicht durch Pumpspeicherwerke allein ausgeglichenwerden, sondern nur durch den zusätzlichen Einsatz von (permanenten)Reservekapazitäten (vgl. dazu auch nachfolgend Ziff. IV.7.), die es heute noch nichtgibt.Angesichts der verfassungsrechtlichen Zielvorgabe einer ausreichendenStromversorgung erscheint es heikel, die Rahmenbedingungen so auszugestalten, dassein grosser Anteil der Stromproduktion aus fluktuierender Solar- und Windenergiestammen soll – ohne gleichzeitig einen Ausgleich der Schwankungen über das Jahrhinweg zu gewährleisten, sprich insb. einen Fokus auf den Zubau von genügendReservekapazitäten zu legen. Bei der Auslegung der Zielvorgabe ist nach hiervertretener Ansicht der jeweilige Stand der Technik sowohl auf der Angebots- undNachfrageseite als auch bei den verfügbaren Übertragungssystemen zuberücksichtigen.Hinzu kommt, dass Investitionen im Energiesektor auf lange Frist angelegt sind.Gemäss einer aktuellen Studie im Auftrag des Branchenverbands VSE finden derzeitnoch nicht genügend Investitionen zur Deckung der ab 2020 erwartetenStromangebots-Differenz statt; die Unklarheit über die künftigen

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Rahmenbedingungen erweise sich als innovationshemmend68. Selbst die InternationaleEnergieagentur (IEA) teilt in ihrer jüngsten Tiefenprüfung die Sorge um langfristigstabile Rahmenbedingungen in der Schweiz69. Zudem betont die Konferenz derKantonsregierungen die Notwendigkeit, nebst der Sicherstellung zuverlässigerRahmenbedingungen für Investitionen auch genügend Zeit für strukturelleAnpassungen zu gewähren70.Unter dem Aspekt von Art. 89 Abs. 1 BV besteht die Gewährleistung einerausreichenden Stromversorgung somit insbesondere in einer stetigen, der Nachfrageentsprechenden Stromeinspeisung (Produktion) unter Berücksichtigung dertechnischen (und ökonomischen) Möglichkeiten71. Die verfassungsrechtlicheZielvorgabe einer ausreichenden Stromversorgung erscheint kongruent zurGewährleistung eines stabilen Netzbetriebs. Ein Verbot der mittelfristigen Nutzung derKernenergie bei gleichbleibenden Rahmenbedingungen für andere (fossile)Grosskraftwerke könnte die Stromwirtschaft zögern lassen, die richtigen Investitionenin eine ausreichende Stromproduktion zu tätigen. Das Ausweichen auf eineImportstrategie (für französischen Nuklear- oder deutschen Braunkohlestrom) wirddurch fehlende Übertragungsnetzkapazitäten erschwert.

67 «Smart Grids» stecken noch in den Kinderschuhen und erste Versuche zu «Smart Metering»fallen eher ernüchternd aus (vgl. http://www.stromversorgungsrecht.ch => Smart Grids; besuchtam 22.10.2013).

68 Boston Consulting Group/Verband Schweizer Elektrizitätsunternehmen (Hrsg.), SchweizerStromwirtschaft zwischen Abwarten und Aktivismus – Standortbestimmung der SchweizerEnergieversorgungsunternehmen, Juni 2012, S. 15 ff. (www.strom.ch => Medienmitteilungen =>Mitteilung vom 4.7.2012; besucht am 22.10.2013).

69 IEA, Tiefenprüfung (Anm. 10), S. 6.70 Gemeinsame Stellungnahme der Kantone zur ES 2050 vom 1.2.2013, S. 2.71 Vgl. zur Problematik etwa die Mitteilung des belgischen Elektrizitäts- und Gasregulators:

Commission de Régulation de l’Electricité et du Gaz «AVIS (F)130503-CDC-1243»vom 3.5.2013 (http://www.creg.be => électricité => publications; besucht am 22.10.2013). DieCREG fragt sich, ob angesichts der Auswirkungen des deutschen Ausstiegs eine Verlängerungder gesetzlichen Laufzeiten der belgischen KKW erwogen werden sollte.

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3. Exkurs: Einschränkungen durchBewirtschaftungsmassnahmen?Zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit unter anderem bei schwerenMangellagen, denen die Wirtschaft nicht selbst zu begegnen vermag, verankert Art.102 BV (Landesversorgung) die Kompetenz des Bundes, die Versorgung des Landesmit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen sicherzustellen72. SchwereMangellagen werden ausgelöst durch Störungen auf dem Weltmarkt, unpolitischeUrsachen (Produktionsausfälle) oder machtpolitische Einflüsse

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auf das (Rohstoff-)Angebot73. Zur Gewährleistung der Landesversorgung kannnötigenfalls vom Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit (Art. 94 BV) abgewichen werden.Zu den lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen gehört auch dieEnergieversorgung – ob die Lieferung elektrischen Stroms ein Gut oder eineDienstleistung sei, kann offen bleiben. Massnahmen des Bundes zur (dann:)Strombewirtschaftung würden sich, mangels ausreichender Speicherbarkeit derElektrizität, auf Massnahmen zur Verbrauchseinschränkung wie Kontingentierungen,kontrollierte Netzabschaltungen oder (soweit technisch überhaupt möglich)Exportverbote konzentrieren. Art. 102 BV kann nach h.L. nicht als Grundlage fürenergiepolitische Massnahmen herangezogen werden74. Demnach wäre fraglich, obeine Bewirtschaftung des Strommarktes aufgrund politisch gewollterAngebotsknappheit zulässig wäre. Immerhin läge das Ziel vonBewirtschaftungsmassnahmen in der Überwindung, nicht der Aufrechterhaltung vonKnappheit. Auch geht das Stromversorgungsgesetz vom 23. März 2007 (SR 734.7) inArt. 9 und Art. 22 Abs. 4 davon aus, dass sich abzeichnende Strommangellagen bereitsim Vorfeld durch notwendige Massnahmen verhindert werden.

4. Breit gefächerte StromversorgungDie Zielvorgabe einer breit gefächerten Energieversorgung ist für denElektrizitätsbereich jener der ausreichenden Stromversorgung nicht unähnlich,fokussiert aber auf die Produktionsmethoden und damit auf die Primärenergieträger.Der energiepolitischen Vorgabe entsprechen Rahmenbedingungen, welche einenWettbewerb zwischen verschiedenen Produktionsarten zulassen. Durch eine nachEnergieträgern und deren Herkunftsgebieten breit gefächerte Energieversorgung(Diversifikation) können sowohl die Versorgungssicherheit erhöht als auch allfälligePreisausschläge bei einzelnen Primärenergieträgern (Gas, Öl, Uran, Abgaben,Konzessionsgebühren etc.) gemildert werden.Indes gehört es zur unternehmerischen Freiheit der Energiewirtschaft sowie Dritter, inbestimmte Produktionsarten zu investieren oder einem bestimmten Strommix denVorzug zu geben. Mit der Zielvorgabe einer breiten Fächerung verlangt dieBundesverfassung keine bestimmten Minima oder Quoten für bestimmteProduktionsmethoden. Nicht ausgeschlossen erscheint (unter vorliegendem Aspekt)hingegen die (gesetzliche) Festlegung von Maxima oder allfälliger langfristiger

72 Vgl. zur Einordnung der Bestimmung Klaus A. Vallender, in: Bernhard Ehrenzeller/PhilippeMastronardi/Rainer J. Schweizer/Klaus A. Vallender (Hrsg.), St. Galler Kommentar zurschweizerischen Bundesverfassung, 2. Aufl., Zürich/St. Gallen 2008, Vorbemerkungen zurWirtschaftsverfassung, Rz. 26.

73 Vgl. Jens Lehne, in: Bernhard Ehrenzeller/Philippe Mastronardi/Rainer J. Schweizer/Klaus A.Vallender (Hrsg.), St. Galler Kommentar zur schweizerischen Bundesverfassung, 2. Aufl.,Zürich/St. Gallen 2008, Art. 102, Rz. 2.

74 Zum Ganzen Lehne (Anm. 73), Art. 102, Rz. 2 und 7 (je m.w.H.).

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Absenkpfade als Zielwerte, um einen besseren Ausgleich zwischen verschiedenenPrimärenergien zu bewirken. Andererseits er-

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öffnet Art. 89 Abs. 2 BV, wonach der Bund Grundsätze über die Nutzungeinheimischer und erneuerbarer Energien festlegt, unter Umständen Möglichkeiten zurVerbreiterung (nicht aber zur Einschränkung) des Angebots.Ein pauschaler Ausschluss der künftigen Verwendung einer Kategorie vonPrimärenergieträgern erscheint daher heikel75. Von einem generellen Verbot fürRahmenbewilligungen wäre der Primärenergieträger mit der grössten Energiedichte(Kernbrennstoffe) betroffen, mit welchem derzeit unabhängig von Umwelteinflüssenein massgeblicher Anteil der ins Stromnetz eingespeisten Bandenergie produziert wird.Dies stellte eine bedeutende Einschränkung des möglichen Produktionsparks dar. Diebreite Fächerung würde somit unter quantitativen und qualitativen Gesichtspunkteneingeschränkt76.

5. Sicherheitsaspekte in Stromversorgung und -verteilungUnter der Zielvorgabe einer sicheren Energieversorgung versteht ein Teil der Lehre dieGewährleistung der Versorgungssicherheit77. Die Botschaft zum Energieartikelerwähnt hingegen die "technische Betriebssicherheit der Energie umwandelndenAnlagen und der Verteilnetze"78. M.E. verdient diese Auslegung den Vorzug, daandernfalls die drei Zielvorgaben "ausreichend", "breit gefächert" und "sicher" alsSynonyme (i.S. der Versorgungssicherheit) verstanden werden müssten – waszumindest für den Bereich der Stromversorgung nicht überzeugt79. Im Sinne derBotschaft und wohl auch nach der grammatikalischen und der teleologischenAuslegungsmethode kann der Zielvorgabe einer sicheren Energieversorgung imvorliegenden Zusammenhang der zusätzliche Gehalt zukommen, dass der (zuständige)Gesetzgeber für jede Art der Stromproduktion und -verteilung entsprechendeSchutzbestimmungen vorsehen soll (Massnahmen zur Gewährleistung derNuklearsicherheit richten sich nach Art. 90 BV).

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Für die Stromversorgung divergieren die Sicherheitsaspekte stark je nach denverschiedenen Produktions- und (im Grunde auch) Übertragungsarten. Beim Versuch,Gefahren und Risiken technischer Anwendungen einer objektiven Bewertungzuzuführen, wird gemäss den klassischen Definitionen die

75 Teilweise zielen politische Forderungen auf eine vollständige Energieversorgung auserneuerbaren Energien, vgl. Hermann Scheer, Scheinkonsens über erneuerbare Energien, in: S.Amin et al. (Hrsg.), Widerspruch, Beiträge zu sozialistischer Politik, 60/2011, S. 103 ff.

76 Überdies weist die Wettbewerbskommission in ihrer Stellungnahme vom 19.12.2012 zurVernehmlassung Energiestrategie 2050, S. 2 darauf hin, «dass Staatseingriffe nicht ohnezwingendes Erfordernis Marktteilnehmer bevorzugen oder benachteiligen sollten. Dabei istinsbesondere auf die Technologieneutralität bzw. Technologieoffenheit von Erlassen undMassnahmen zu achten. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Verbreitung neuer erwünschterTechnologien verunmöglicht wird. Mit der Energiestrategie 2050 werden politische Entscheideumgesetzt, welche den Grundsatz der Technologieneutralität bewusst ignorieren.»(Hervorhebung im Original).

77 So etwa Schaffhauser (Anm. 49), Art. 89, Rz. 6.78 Botschaft Energieartikel (Anm. 40), S. 376.79 Auch das Parlament ist wohl davon ausgegangen, dass jedes der verschiedenen Adjektive in

Art. 89 Abs. 1 BV eine eigene Bedeutung hat – wobei eine mögliche Ausdifferenzierung blossangedeutet wird; vgl. AB NR 1988 1092 ff.; AB SR 1989 128 ff.

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Eintretenswahrscheinlichkeit mit dem (normativen) Schadensausmass multipliziert80.Ein Risiko wird definitionsgemäss zur Gefahr, wenn sich eineSchädigungswahrscheinlichkeit als hinreichend gross erweist81. Staatliche Regelungenim Zusammenhang mit technischen Risiken hängen objektiv von der Gefährlichkeiteiner Tätigkeit ab82. Zur Bemessung technischer Risiken ist für beide Komponentenauf den neusten Stand der Wissenschaft abzustellen83. Gestützt auf seine umfassendeKompetenz (Art. 90, teilw. i.V.m. Art. 118 BV) hat der Bund bezüglich derNuklearsicherheit umfangreich sowie im Einklang mit internationalen Übereinkommenoder Empfehlungen von internationalen Fachorganisationen legiferiert. DieseGesetzgebung bildet die Grundlage zur Gefahrenabwehr. Mit dem EidgenössischenNuklearsicherheitsinspektorat (ENSI) übt zudem eine unabhängige Bundesbehörde mitweit reichenden Kompetenzen einen wesentlichen Teil der Sicherheitsaufsicht desBundes u.a. über die Kernenergieanlagen aus84.Was "unterhalb des rechtlich gebotenen Sicherheitsstandards liegt, nennt manRestrisiko"85. Bei schweren Störfällen in KKW drohen zwar ausserordentlich grosseSchäden, bei einem Betrieb der Werke nach den gesetzlichen und technischenVorgaben ist jedoch die Eintretenswahrscheinlichkeit äusserst gering. Hinter jederStromproduktionsart (Talsperren, Gasdruckbehälter etc.), aber auch hinter vielenanderen technischen Anwendungen (Chemie, Luftfahrt, Strassenverkehr etc.)verbergen sich bei objektiver Betrachtung Restrisiken86. Intensiv diskutiert werden sievorab bei Fragen rund um die Kernenergie (insb. wegen der Langfristigkeit derAuswirkungen allfälliger schwerer Störfälle).Juristisch sind Restrisiken schwer fassbar87 – letztlich geht es bei einer Beurteilung umgesellschaftliche und politische Wertentscheidungen. Der gänzli-

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che Ausschluss des Restrisikos bildete (und bildet) massgeblichen Anlass zurEinreichung von Volksinitiativen gegen die Nutzung der Kernenergie. So wurden 1987(nach "Tschernobyl") die beiden sog. Zwillingsinitiativen eingereicht. Die ersteVolksinitiative verlangte die Ergänzung der Bundesverfassung um eine neueÜbergangsbestimmung, wonach "für die Dauer von zehn Jahren keine Rahmen-, Bau-,Inbetriebnahme- oder Betriebsbewilligungen gemäss Bundesrecht" mehr erteilt werdendurften. Die zweite Initiative zielte auf eine Ergänzung von Art. 24quinquies BV 1874um zwei neue Absätze und verfolgte verschiedene Ziele: das Verbot derInbetriebnahme weiterer Kernenergieanlagen (in einem weiten Sinn), die Stilllegungbestehender Anlagen "so rasch als möglich" (Abs. 3) sowie eine ausreichendeStromversorgung unter effizienterer Nutzung der Elektrizität und der Schonung vonGewässern und schutzwürdiger Landschaften (Abs. 4). Die bundesrätliche Botschaftwidmete der Frage nach der Einheit der Materie besondere Aufmerksamkeit. DasVolksbegehren wurde zugelassen, obwohl grundsätzlich verschiedene Antworten aufdie Teilaspekte des Anliegens möglich gewesen wären. Inhaltlich lehnten Bundesrat

80 Eingehend Christoph Errass, Katastrophenschutz, Diss., Fribourg 1998, S. 29 ff. (m.w.H.), vgl.ausserdem Heinrich Koller/Benjamin Schindler, Umgang des Gesetzgebers mit Risiken imSpannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit, in: Thomas Sutter-Somm/Felix Hafner/GerhardSchmid/Kurt Seelmann (Hrsg.), Risiko und Recht, S. 281 ff.

81 Errass (Anm. 80), S. 44 und 46 (jeweils m.H.).82 Dazu Wolf-Georg Schärf, Europäisches Nuklearrecht, 2. Aufl., Berlin 2012, S. 12. Vgl. auch

BGE 139 II 185 E. 11, S. 207 ff.83 Koller/Schindler (Anm. 80), S. 282 f.84 Bericht des Bundesrates zur Auslagerung und Steuerung von Bundesaufgaben (Corporate-

Governance-Bericht vom 13.9.2006), BBl 2006 8233, S. 8288. Vgl. auch BGE 139 II 185 E. 9.2,S. 197 f.

85 Errass (Anm. 80), S. 52 (m.H.).86 Zu denken wäre etwa an einen Bruch von Talsperren mit anschliessender Überflutung, an den

Eiswurf durch Windkraftanlagen mit anschliessenden Personen- oder Sachschäden oder an dieExplosion von Gasleitungen oder -anlagen.

87 Vgl. Saladin (Anm. 20), passim.

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und Parlament beide Volksinitiativen ab. Der Bundesrat betonte damals, an der OptionKernenergie zur Gewährleistung des Ziels einer ausreichenden, breitgefächerten undsicheren Energieversorgung sowie aus ökologischen Gründen festzuhalten, und warohne eine glaubwürdige Sparpolitik nicht bereit, auf die Nutzung der Kernenergie zuverzichten88. Mit der Abstimmung vom 23. September 1990 verwarfen eine knappeMehrheit des Volkes und eine klare Mehrheit der Stände die "Ausstiegsinitiative"; die"Moratoriumsinitiative" fand hingegen eine Volksmehrheit und eine klare Zustimmungauch unter den Kantonen (BBl 1991 I 307 ff.). Die vor Ablauf der 10-jährigenMoratoriumsfrist eingereichten Volksinitiativen "MoratoriumPlus – Für dieVerlängerung des Atomkraftwerk-Baustopps und die Begrenzung des Atomrisikos"und "Strom ohne Atom – Für eine Energiewende und die schrittweise Stilllegung derAtomkraftwerke" verfolgten die gleichen Ziele wie ihre Vorgängerinnen89. Sie wurdenin der Volksabstimmung vom 18. Mai 2003 (BBl 2003 5164 ff.) aber unerwartetdeutlich verworfen (vgl. auch Ziff. V.3.).M.E. können die Resultate insb. der beiden "Ausstiegsinitiativen" mit denvorangegangenen politischen Diskursen als politische Antworten auch auf die Frageder Tolerierbarkeit eines Restrisikos durch den Verfassunggeber interpretiert werden.Volk und Ständen wird sich zudem bei der Abstimmung über die aktuelle"Atomausstiegsinitiative" die Gelegenheit eröffnen, das Restrisiko neu zu bewertenund die früheren Wert-Entscheide allenfalls umzustossen. Gestützt auf Art. 89 Abs. 1BV allein liessen sich m.E. jedenfalls keine Technologien oderEnergieproduktionsarten gesetzlich verbieten. Hingegen kann aus der

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Zielvorgabe i.V.m. Art. 64 BV (Forschung) abgeleitet werden, dass der Bundinsbesondere auch Grundlagen- und Energieforschung betreiben und unterstützen soll,um wissenschaftliche Erkenntnisse zu fördern, welche sicherheitsrelevant sein können.

6. Wirtschaftliche StromversorgungDie Zielvorgabe einer wirtschaftlichen Energieversorgung wird einerseits verstärktdurch den – wenn auch vage formulierten90 – Art. 89 Abs. 5 BV, wonach der Bund diewirtschaftliche Tragbarkeit seiner Energiepolitik berücksichtigen soll. Andererseitsbesteht eine gewisse Nähe zu den günstigen Rahmenbedingungen für die Wirtschaftnach Art. 94 Abs. 3 BV91. Im Fokus stehen volkswirtschaftliche Aspekte derEnergiepolitik92.Die Gestehungskosten für Strom aus nuklearer Produktion lagen 2006 zwischen 4 und5 Rp./KWh93; mittlerweile dürften sie aufgrund finanzwirtschaftlicher Fragen um dieStilllegungs- und Entsorgungsfonds (Art. 81 Abs. 1 und Art. 77 KEG) sowie wegenNachrüstungen in die Sicherheit etwas höher, bei rund 6 –7 Rp./KWh liegen94. DieGestehungskosten sind zudem abhängig von der politisch stark umstrittenen

88 Zum Ganzen die Botschaft über die Volksinitiativen «Stopp dem Atomkraftwerksbau(Moratorium)» und «für den Ausstieg aus der Atomenergie» (12.4.1989), BBl 1989 II 1, S. 4, 7,53 f.

89 Dazu die Botschaft zu den Volksinitiativen «MoratoriumPlus (…)» und «Strom ohne Atom (…)»sowie zu einem Kernenergiegesetz (28.2.2001), BBl 2001 2665, S. 2669 ff.

90 Biaggini (Anm. 49), Art. 89, Rz. 11.91 Vgl. Aubert (Anm. 49), Art. 89, Rz. 11.92 Botschaft Energieartikel (Anm. 40), S. 376.93 Realkosten der Atomenergie – Bericht des Bundesrates in Beantwortung des Postulates Ory

(06.3714) vom 14.12.2006.94 Vgl. NZZ vom 16.10.2013, S. 11 (Grossinvestitionen in AKW machen lange Laufzeiten nötig);

sowie Tagesanzeiger Online-Ausgabe (http://www.tagesanzeiger.ch/wirtschaft/unternehmen-und-konjunktur/AKW-Muehleberg-soll-2019-definitiv-vom-Netz/story/12836992; besucht am22.10.2013).

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Ausgestaltung des Kernenergiehaftpflichtrechts. Für neue KKW der Generation III+prognostizieren die Hersteller aktuell Baukosten in der Höhe von rund 10 Mrd. CHF.Dazu kämen wiederum Betriebs-, Stilllegungs- und Entsorgungs- sowieHaftpflichtkosten. Weiterhin notwendig wäre ein Ausbau, jedoch nicht ein radikalerUmbau der Stromnetze.Die Höhe der Kosten der zur Substituierung der Kernenergie notwendigenMassnahmen wird kontrovers diskutiert. Gemäss der Energieverordnung vom 7.Dezember 1998 (SR 730.01) werden gegenwärtig für alternative EnergienSubventionen gewährt, welche deutlich höher liegen als die Gestehungskosten fürnuklear erzeugten Strom95. Als gesichert erscheint, dass die neue Energiepolitik imBereich der Stromversorgung notwendigerweise signifikante zusätzliche Investitionensowohl in das Verteil- als auch das Übertragungsnetz notwen-

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dig machen wird96. Der Bundesrat geht allein bei der Stromerzeugung von einemhohen langfristigen Investitionsbedarf sowie grossen zusätzlichenvolkswirtschaftlichen Nettokosten aus97.Günstige Energiepreise, tiefe Netzkosten und mässige Abgaben bilden Standortvorteilefür die in internationalem Wettbewerb stehende verarbeitende Industrie98. Innerhalbdes aktuellen Strommix weist nur die Produktion aus Laufwasserkraftwerken (soweitdiese bereits abgeschrieben sind) ähnlich tiefe Gestehungskosten aus wie jene ausnuklearer Quelle. Bei der mittelfristigen Umstellung rund eines Drittels derStromproduktion von günstigen auf eher teure Produktionsmethoden erhöhen sich diedurchschnittlichen Gestehungskosten der Energie99. Durch eine verstärkte Belastungdes Netzes mit fluktuierenden Energien steigen die Netzkosten. Schliesslich macht eineverstärkte Förderung neuer erneuerbarer Energien zusätzliche Subventionennotwendig. Damit verschlechtern sich die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungenfür Teile der produzierenden Industrie100, markant für energie-intensive Branchen wiedie Maschinen-, Stahl-, Papier- oder Holzindustrie. Die Prognos-Studie aus dem Jahre2007 weist denn auch für das Szenario IV ("Neue Energiepolitik") auf Veränderungenin den sozioökonomischen Rahmenbedingungen hin und prognostiziert insbesondereeine Abnahme des Gewichts der energie-intensiven Wirtschaftszweige sowieVerlagerungen von Arbeitsplätzen ins Ausland101. Überdies scheint die ES 2050 imGegensatz zu den Bestrebungen einiger Kan-

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95 Geothermie: 22,7–40 Rp./KWh für 20 Jahre; Grosswindanlage: 22,5 Rp./KWh für 5 Jahre,danach Absenkung; Photovoltaikanlagen: 21,6–73,8 Rp./KWh, bei einer jährlichen Absenkungfür Neuanlagen und einer maximalen Vergütungsdauer von 25 Jahren; etc.

96 Vgl. Botschaft ES 2050 (Anm. 6), insb. S. 7637 f.; Akademien der Wissenschaften Schweiz(Anm. 60), 4. Stromübertragung und Stromspeicherung, S. 92 ff.

97 Vgl. etwa Botschaft ES 2050 (Anm. 6), S. 7728 und 7729; allerdings bleibt der Bundesratintransparent, da er die Mehrkosten und Belastungen der ES 2050 nicht klar ausweist. Vgl. daheretwa auch BFE, Volkswirtschaftliche Auswirkungen bis 2050 bei «Verzicht auf Ersatz-KKW»und «KKW-Laufzeitverkürzung» vom Mai 2011, S. 4 f.

98 Vgl. die Parlamentarische Initiative 12.400 der UREK-N «Freigabe der Investitionen iner-neuerbare Energien ohne Bestrafung der Grossverbraucher»; für die Kommission betonteSprecher Buttet die Bedeutung günstiger Strompreise für die 300 bis 600 Unternehmen derenergieintensiven Industrie, AB NR 2013 286.

99 Vgl. etwa zu den diesbezüglich bereits gemachten Erfahrungen in Tschechien die Erklärung desstaatlichen Energieregulators Energetický regulacˇní úrˇad (Energy Regulatory Office),Pressemitteilung (englisch) vom 25.4.2012 (http://www.eru.cz => press information; besucht am22.10.2013).

100 So auch Silvio Borner/Dominik Hauri/Patrick Koch/Lukas Mohler/Markus Saurer,Volkswirtschaftliche Auswirkungen der Energiestrategie 2050 des Bundesrates, Basel 2012,S. 48 ff. und 61.

101 Prognos, Die Energieperspektiven 2035 – Bd. II, Szenarien I–IV, Basel 2007, S. 423.

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tone zu stehen, auf günstige Strompreise hinzuwirken102. Somit zeitigt sie auchstrukturpolitische Auswirkungen auf Bund und Kantone103.

7. Umweltschonende StromversorgungDie Zielvorgabe einer umweltschonenden Energieproduktion verlangt sowohl dieGewährleistung der (Umwelt-)Sicherheit einzelner Anlagen als auch einennachhaltigen Umgang mit den Ressourcen insgesamt104. Der aktuelle SchweizerStrommix verursacht vergleichsweise geringe CO2-Emissionen105. Ein Ausstieg ausder Nutzung der Kernenergie hätte zur Folge, dass mittelfristig das Störfallrisiko derkommerziellen Reaktoren wegfällt und keine weiteren radioaktiven Reststoffe aus derEnergiegewinnung mehr anfallen, welche für Zehntausende Jahre sicher gelagertwerden müssen106. Jedoch kämen andere, grundsätzlich weniger klimafreundlicheMethoden zur Stromproduktion zur Anwendung (insb. Gaskraftwerke)107. Bisher hatder Bundesrat dem Restrisiko der Nutzung der Kernkraft die Auswirkungeninsbesondere der fossilen Energieproduktion entgegengehalten108.Unter umweltpolitischen Gesichtspunkten sind auch alternative Energien nicht frei vonnegativen Auswirkungen. Der Bundesrat befürwortet einen intensiven Zubau bei Solar-und Windkraft. Zwar sind Sonne und Wind als Primärenergieträger unerschöpflich undCO2-neutral. Hingegen benötigt die Herstellung der jeweiligen Produktionsanlagengemessen an der späteren Gesamtleistung relativ viel (graue) Energie und Materialiensowie seltene Rohstoffe, was den Nachhaltigkeitseffekt reduziert109. Überdies stellensich auch bei der Nutzung neuer erneuerbarer Energien teilweise Entsorgungsfragen(Schwermetalle wie insb. Gallium, Quecksilber, Blei, Cadmium-Tellurid etc. in

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Solarpanelen) und Rückbauprobleme (Betonfundamente von Windrädern). Bei einemintensiven Zubau von Solar- und Windkraftanlagen sind zudem in den letztenJahrzehnten rechtlich verstärkte Interessen des Natur-, Landschafts- undOrtsbildschutzes betroffen, die gegen jene der Energieversorgung abzuwägen sind110.Der Bundesrat hat u.a. aus diesen Gründen sowohl 1990 als auch 2003 dieAusstiegsinitiativen zur Ablehnung empfohlen111.

102 So bildet bspw. der Gründungsvertrag der damaligen Nordostschweizer Kraftwerke(Gesetzessammlung des Kantons Zürich, LS 732.2) noch immer Bestandteil kantonalerEnergiepolitik (vgl. zudem das Urteil des Bundesgerichts 2E_3/2009 resp. 2E_4/2009[11.7.2011], E. 2.1 und 4). Vgl. zur Diskussion im Kanton Luzern die Antwort desRegierungsrates vom 27.9.2011 auf das Postulat Wüest über die Stärkung des Kantons Luzern inder Stromversorgung (P 802), Protokoll-Nr. 1049.

103 Vgl. dazu auch Balthasar Glättli, Suffizienz und die Verteilungsfrage, in: S. Amin et al. (Hrsg.),Widerspruch, Beiträge zu sozialistischer Politik, 60/2011, S. 149 ff.

104 Botschaft Energieartikel (Anm. 40), S. 376.105 Wegen der geringen CO2-Emissionen insbesondere im Vergleich zu fossilen Energieträgern wird

bspw. in den U.S.A. die Kernenergie staatlich gefördert.106 Für die vor allem schwach- und mittelradioaktiven Reststoffe aus Industrie und Medizin sowie

für sämtliche bereits angefallenen Reststoffe bliebe die Endlagerthematik allerdings bestehen.107 PSI, Energiespiegel Nr. 21 (Anm. 64), S. 4; Botschaft Moratorium/KEG (Anm. 89), S. 2701 ff.108 Botschaft «Stopp dem Atomkraftwerksbau» (Anm. 88), S. 79.109 Vgl. PSI, Energiespiegel Nr. 20/Juni 2010, Nachhaltige Elektrizität: Wunschdenken oder bald

Realität? passim.110 Zu den raumplanungsrechtlichen Herausforderungen vgl. Claudia Guggisberg, Die Planung von

Standorten zur Nutzung erneuerbarer Energien, URP 2012, S. 755 ff., passim. Vgl. auch denEntscheid des Aargauer Regierungsrats vom 21. März 2013, RRB Nr. 2012-000373 (in diesemHeft S. 676 ff.).

111 Botschaft Moratorium/KEG (Anm. 89), S. 2701 ff.; Botschaft «Stopp dem Atomkraftwerksbau»(Anm. 88), S. 93 f.

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Soweit fluktuierende Energien zur Stromerzeugung eingesetzt werden, steigen dieHerausforderungen an den Betrieb der Stromnetze (vgl. vorne, Ziff. IV.2.). Trotz SmartGrids müssten sowohl Reservekapazitäten bereitgehalten als auch andere Kraftwerkerelativ schnell wieder vom Netz genommen werden können. Dafür kommen in derSchweiz der Zubau von Pumpspeicherwerken112 oder die Erstellung fossil betriebenerReservekraftwerke (dazu gehören auch Wärme-Kraft-Kopplungsanlagen) infrage.Aufgrund der Notwendigkeit der Gewährleistung der Netzstabilität (und damit derStromversorgungssicherheit) führt der Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie – wiedas deutsche Beispiel mit der Renaissance der Kohlekraftwerke zeigt – de facto zueinem Ausbau der günstigsten fossilen Produktionskapazitäten113. In der Schweizstehen – soweit auf Importe verzichtet werden soll oder die Übertragungskapazitätendafür nicht ausreichen – Gaskombikraftwerke im Fokus. Diese können flexibeleingesetzt werden und würden somit als Reservekapazitäten zur Verfügung stehen,wenn Solar- und Windkraft nicht oder nicht den Prognosen entsprechend produzierenkönnen. Der fossil erzeugte "Ersatz-", respektive "Winterstrom" belastet die CO2-Bilanz. Ein (notgedrungener) Ausbau der fossilen Produktionskapazitäten steht inoffenem Konflikt zu den bisherigen umwelt- und insbesondere klimapolitischen Zielendes Bundes und der internationalen Gemeinschaft114. Eine stärkere Belastung durchfluktuierende Energien provoziert zudem grössere Verluste im Übertragungs- undVerteilnetz.Gemäss dem Energiefahrplan 2050 der EU wird die Kernenergie "(…) benötigt, umeinen erheblichen Beitrag zum Umbau des Energiesystems in den Mitgliedstaaten zuleisten, in denen diese verwendet wird. Sie bleibt weiterhin

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eine zentrale Energiequelle für die CO2-arme Stromerzeugung (…)"115. Der Umbaudes (gesamtheitlich betrachteten) Energiesystems bedeutet unter gesamteuropäischerSicht primär das Ergreifen von Massnahmen zur sog. Entkarbonisierung, also denVerzicht auf fossile Energieträger. Dabei könnte der Elektrizität eine noch stärkereRolle zukommen zur Substituierung von Treibstoffen (elektrische Antriebe) sowiebeim Ersatz von Ölheizungen (Wärmepumpen). Ein Verzicht auf die Nutzung derKernenergie ist daher kein gesamteuropäisches Projekt116, entspricht aber dennationalen Prioritäten Deutschlands, Österreichs und Italiens117.

8. BeurteilungArt. 89 Abs. 1 BV erscheint normativ zu wenig dicht, um allein als tragfähigeGrundlage für ein Verbot der künftigen Nutzung der Kernenergie zu dienen. Einsolches Verbot stünde nach hier vertretener Ansicht sogar im Widerspruch zu denverfassungsmässig verankerten energiepolitischen Zielvorgaben. Aufgrund dertechnischen Erfordernisse sowie der ökonomischen Rahmenbedingungen könnte das

112 BFE, Stärkung der Stromdrehscheibe Schweiz und der Versorgungssicherheit. Bericht desBundesrates in Erfüllung des Postulates 09.3468 der UREK-N vom 11.5.2009, S. 27 ff. –Aufgrund der aktuellen Rahmenbedingungen in Europa sind Ausbauprojekte in der Schweiz aberteilweise sistiert worden (vgl. http://www.stromversorgungsrecht.ch => Versorgungssicherheit;besucht am 22.10.2013).

113 Botschaft ES 2050 (Anm. 6), S. 7633; Borner/Hauri/Koch/Mohler/Saurer (Anm. 100), S. 4, 6 f.und 38.

114 Vgl. das Protokoll von Kyoto zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen überKlimaänderungen (SR 0.814.011).

115 Europäische Kommission, Energiefahrplan 2050 (Anm. 65), S. 9.116 Vgl. etwa die Entwicklung in Frankreich, Finnland, Tschechien oder dem Vereinigten Königreich

(http://www.stromversorgungsrecht.ch => Energiestrategie => Europa/Welt; besuchtam 22.10.2013).

117 Vgl. zu den aktuellen Entwicklungen in diesen sowie weiteren Ländern die Botschaft ES 2050(Anm. 6), S. 7588 ff. (die Botschaft klammert insb. Tschechien und Belgien aus).

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Ziel einer ausreichenden Stromversorgung gefährdet sein. Ein Ersatz von KKW durchPhotovoltaik- oder Windkraftanlagen macht zudem grosse Investitionen in dieStromnetze (Übertragungs- und Verteilnetz) notwendig. Zusätzlich müssen fürfluktuierende Energien (fossile) Reservekapazitäten erstellt und bereitgehalten werden.Umweltpolitisch sprechen, je nach Wertung oder Gewichtung der Alternativen, sowohlGründe für als auch gegen die Nutzung der Kernenergie. Ein Ausweichen auf fossileProduktionsarten verschlechtert jedoch die CO2-Bilanz in einem Sektor, in welchemdie Schweiz bislang unter den Industrieländern führend war, und wirft Fragen zurGlaubwürdigkeit der Schweizer Klimapolitik auf. Ein Verbot der Kernenergie reduziertdas Restrisiko von Störfällen vollständig. Doch blieben die erwähnten anderenRestrisiken sowie konkrete Gefahren bestehen. Entscheidungen über den Umgang mitRestrisiken bilden letztlich politische Wertentscheidungen, die nicht in jedem Fall vomGesetzgeber entschieden werden können. Schliesslich stellt die neue Energiepolitikbisher anerkannte öffentliche Interessen insbesondere in den Bereichen des Natur- undLandschaftsschutzes infrage.Die "Energiewende" ist – wie sich auch aus der Botschaft vom 4. September 2013ergibt – als generationenübergreifendes Projekt konzipiert, welches grundlegendeEinflüsse auf die Energiewirtschaft, die Volkswirtschaft sowie

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die Gesellschaft zeitigen wird. Derzeit zwar in erster Linie als "Stromwende"ausgestaltet, hat die ES 2050 gesamtenergiepolitische Auswirkungen, insb. hinsichtlichder Zusammensetzung der Primärenergieträger, der Versorgungssicherheit, derEnergiekosten sowie der allgemeinen klimapolitischen Rahmenbedingungen (CO2-Ausstoss). Zum Gelingen des sehr ambitionierten Projekts werden grosseAnstrengungen nicht nur der Strombranche, sondern auch weitere – dann vielleichtweniger "populäre" – Schritte der Politik notwendig sein. Ein (unaufgeregter)Ausstiegsentscheid bedürfte als demokratisch legitimierender Wertentscheid einerVerankerung in der Bundesverfassung. Ein staatlich angeordneter mittelfristigerVerzicht auf die Nutzung der Kernenergie würde nach hier vertretener Ansicht imLichte von Art. 89 Abs. 1 BV materiell eine eigenständige neue energiepolitischeZielvorgabe begründen. Die Zielvorgabe der mittelfristig kernenergiefreien Energie-resp. Stromproduktion liesse sich als absolute Vorgabe nicht mit den weiteren(bestehenden) Zielvorgaben abwägen, sondern ginge diesen als zentralesenergiepolitisches Ziel einer neuen Schweizer Energiepolitik vor. Die Zielvorgabe desAusstiegs aus der Nutzung der Kernenergie wäre zudem bei der Auslegung weitererVerfassungsbestimmungen zu berücksichtigen – insb. beim Kernenergieartikel (Art. 90BV; vgl. Ziff. V.2.), aber auch beim Umweltschutzartikel (Art. 74 BV) sowie beimNatur- und Heimatschutzartikel (Art. 78 BV).

V. Vereinbarkeit mit dem Kernenergieartikel (Art. 90BV)?1. Entstehung und Bedeutung des KernenergieartikelsMitte der 1950er Jahre erkannte der Bundesrat die Notwendigkeit der Schaffung einerBundeskompetenz zur Nutzbarmachung der Kernenergie; diese sollte zugleichGrundlage zur Gewährleistung des Schutzes vor ionisierender Strahlung, respektive füreine "strenge polizeiliche Aufsicht" zur Vermeidung einer Strahlengefährdung für diegesamte Nutzung der Nukleartechnologie auf allen Feldern bilden118. Die

118 Vgl. zum Ganzen Botschaft über die Ergänzung der Bundesverfassung durch einen Artikelbetreffend Atomenergie und Strahlenschutz, BBl 1957 I 1137, S. 1151 f.; Botschaft desBundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Entwurf zu einem Bundesgesetz über diefriedliche Verwendung der Atomenergie und den Strahlenschutz (8.12.1958), BBl 1958 II 1521,S. 1526 ff.; Ulrich Fischer, Die Bewilligung von Atomanlagen nach schweizerischem Recht,

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Verfassungsbestimmung ist bewusst offen formuliert119. Die Schlussabstimmungenfielen in beiden Räten einstimmig aus120. In ZBl 114/2013 S. 635, 659

der Volksabstimmung vom 20. September 1957 befürworteten 77% der Bevölkerungund alle Stände den Atomartikel (BBl 1957 II 1169 ff.).Art. 24quinquies Abs. 1 BV 1874 fand als Art. 90 inhaltlich unverändert Eingang in diegeltende Bundesverfassung: Demnach ist die Gesetzgebung auf dem Gebiet derKernenergie Sache des Bundes (die sprachliche Anpassung von "Atom-" zu"Kernenergie" vermag daran nichts zu ändern). Art. 24quinquies Abs. 2 BV 1874(Strahlenschutz) fand Erwähnung in Art. 118 Abs. 2 Bst. c BV121.Der durch Art. 90 BV nachgeführte Kernenergieartikel verankert eine umfassende,nach einem Teil der Lehre (voll ausgeschöpfte) konkurrierende, nach einem anderenTeil eine ausschliessliche Zuständigkeit des Bundes122. Die Bundeskompetenzerstreckt sich sowohl auf die Energieerzeugung durch Kernspaltung (oder Kernfusion)als auch auf die Nuklearforschung sowie die Verwendung von Nukleartechnologien inder Industrie oder im Medizinalbereich. In der Botschaft zur Bundesverfassung betonteder Bundesrat, die Bestimmung lasse dem Gesetzgeber "sämtliche Möglichkeitenoffen"123, und verwendete damit die gleiche Formulierung wie in der Botschaft zu Art.24quinquies BV 1874124. Heute stünden die "Sicherheit der Anlagen (Schutz vonBevölkerung, Beschäftigten und Umwelt), die Beachtung internationaler Verträge (…),die Still(l)egung der Kernanlagen, die Entsorgung der radioaktiven Abfälle sowiehaftungsrechtliche Aspekte im Vordergrund"125. Zumindest der erste Punkt(Sicherheit) entsprach indes bereits der Intention des Verfassunggebers von 1957.

2. Auslegung des KernenergieartikelsNach Riccardo Jagmetti ging Art. 24quinquies BV 1874 davon aus, "dass die Nutzungder Atomenergie innerhalb bestimmter Schranken möglich ist. Ein Verbot würde dahereine Verfassungsänderung bedingen"126. Auch Art. 90 BV darf ZBl 114/2013 S. 635, 660

gemäss Jean-François Aubert "(…) pas avoir pour effet d’empêcher le recours àl’énergie nucléaire"127.

Bern 1980, S. 12 ff.; vgl. auch Rausch (Anm. 20), S. 6 f.119 Botschaft Atomartikel (Anm. 118), S. 1138, 1154 ff.; vgl. auch die Botschaft neue BV

(Anm. 52), S. 269 oder Rausch (Anm. 20), S. 7.120 Stenografisches Bulletin SR 1957 293; Stenografisches Bulletin NR 1957 692.121 Nach hier vertretener Ansicht ist Art. 118 Abs. 2 Bst. c BV in Verbindung mit Art. 90 BV zu

lesen (vgl. Art. 118 Abs. 1 BV).122 Vgl. Jean-François Aubert, in: Jean-François Aubert/Pascal Mahon (Hrsg.), Petit commentaire de

la Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999, Zürich 2004, Art. 90, Rz. 4;Jagmetti (Anm. 53), Rz. 5201; Giovanni Biaggini, BV Kommentar, Zürich 2007, Art. 90, Rz. 2.

123 Botschaft neue BV (Anm. 52), S. 269.124 Vgl. Botschaft Atomartikel (Anm. 118), S. 1157.125 Botschaft neue BV (Anm. 52), S. 269. Die Botschaft erwähnt zumindest nicht explizit, dass ein

künftiges Verbot der Nutzung der Kernenergie gestützt auf Art. 90 BV möglich sein soll –hingegen weist sie darauf hin, dass von Vernehmlassungsteilnehmenden die Verankerung eines«Ausstiegs» verlangt worden sei.

126 Riccardo Jagmetti, in: Jean-François Aubert et al. (Hrsg.), Kommentar zur Bundesverfassung derSchweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874, Art. 24quinquies (1995), Rz. 2.

127 Aubert (Anm. 122), Art. 90, Rz. 4 (Hervorhebung im Original).

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Für diese Ansicht spricht die entstehungsgeschichtliche Bedeutung des damaligen Art.24quinquies BV 1874, welcher eine Förderung der Kernenergie bezweckte128. Gemässälterer bundesgerichtlicher Rechtsprechung soll die "Kompetenzordnung (…) einerseitsgewährleisten, dass beim Bau und Betrieb von Atomanlagen sämtliche nach demneuesten Stand von Wissenschaft und Technik möglichen und notwendigenSchutzmassnahmen getroffen werden; sie soll aber andererseits auch verhindern, dassdie im gesamten Landesinteresse liegende Nutzung der Kernenergie durchunsachgerechte Bedingungen und Auflagen übermässig erschwert wird"129. HättenBundesrat und Parlament im Rahmen der Nachführung 1999 Art. 90 BV einenerheblich anderen Charakter beimessen wollen als Art. 24quinquies (Abs. 1 und 2) BV1874, hätte dies m.E. in den Materialien zum Ausdruck kommen müssen.Hinzu können sodann demokratische Überlegungen treten: Volk und Stände habeneinen Ausstieg aus der Kernenergie wiederholt abgelehnt (vgl. Ziff. IV.5.). Zudem wardas KEG als indirekter Gegenvorschlag zu den zweiten "Zwillingsinitiativen"("MoratoriumPlus" und "Strom ohne Atom", vgl. dazu Ziff. III.5.) ausgestaltetworden130, indem es auf politisch besonders umstrittene Fragen der Nutzung derKernenergie eingeht131. So bildete der Verzicht auf die Wiederaufbereitung vonnuklearen Brennstäben jenen Kompromiss, welcher den Verzicht auf das Ergreifen desfakultativen Referendums gegen das KEG begründete132. Das Gesetz revidierte denrechtlichen Rahmen für mögliche Investitionen, da die Kernenergie "auch in einemliberalisierten Markt ein wichtiger Pfeiler der Stromversorgung" bleibe133. Für einenEntscheid über Rahmenbewilligungen sieht das geltende Gesetz (im Gegensatz zu denfrüheren Regelungen) ein fakultatives Referendum vor (Art. 48 Abs. 4 KEG). Mit dernun vorgeschlagenen Novelle und dem damit verbundenen zeitlich unbegrenztenMoratorium auf Gesetzesstufe (vgl. Ziff. III.) würden dasRahmenbewilligungsverfahren für KKW obsolet und allfällige Volksentscheideinsoweit verunmöglicht134.Nach der systematischen Auslegungsmethode können bei der Interpretation des Art. 90BV bezüglich der Frage der Zulässigkeit der Stromerzeugung mittels Kernkraft dieenergiepolitischen Zielvorgaben des vorgelagerten, umfassend

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angelegten Art. 89 Abs. 1 BV beigezogen werden. Der Energieartikel bezweckt zwarauch die Förderung neuer erneuerbarer Energien, kann aber zur Begründung einesAusschlusses der künftigen Nutzung der Kernenergie kaum herangezogen werden. Dieeinzelnen Zielvorgaben sprechen viel eher gegen ein solches Verbot (vgl. Ziff. IV. unddort insb. Ziff. 8.). Daher steht m.E. Art. 90 auch i.V.m. Art. 89 Abs. 1 BV dervorgeschlagenen Revision des KEG entgegen135.

128 Vgl. das Gutachten BJ (Anm. 41), S. 6 – welches dann aber andere Schlüsse zieht.129 BGE 99 Ia 247 E. 5b, S. 256 f.; 102 Ia 131 E. 4, S. 135; 103 Ia 329 E. 3b, S. 336; 111 Ia 303

E. 5a, S. 306 f.130 Vgl. dazu Rohner (Anm. 45), S. 167.131 AB SR 2001 1000 und 1006 f. (Voten Berichterstatterin Forster und Bundesrat Leuenberger).

Vgl. auch Jagmetti (Anm. 53), Rz. 5107 ff. (insb. 5109 f.).132 Vgl. die Medienmitteilung von Greenpeace, WWF und Schweizerischer Energie-Stiftung

vom 23. Mai 2003.133 Dazu die Botschaft Moratorium/KEG (Anm. 89), S. 2724.134 Zur Bedeutung dieses Referendums Aubert (Anm. 122), Art. 90, Rz. 7.135 Ähnlich und m.E. immer noch zutreffend Jagmetti (Anm. 126), Art. 24quinquies, Rz. 2, da sich

das Verhältnis des Energieartikels zum Kernenergieartikel mit der Totalrevision der BV nichtverändert hat.

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3. Geltungszeitliche Auslegung?Die Botschaft ES 2050 geht davon aus, dass gestützt auf eine geltungszeitlicheteleologische Auslegung von Art. 90 BV ein "sicherheitspolizeilich motivierterAusstieg aus der nuklearen Stromerzeugung gesetzlich angeordnet werden" könne136.Das zugrunde liegende Gutachten des BJ hält fest, das Restrisiko eines nuklearenGross-Unfalls sei bis zum Erlass des KEG als tolerierbar erachtet worden. Nun sei mansich aber bewusst geworden, dass es unmöglich sei, "die Bevölkerung im Umkreiseines KKW bei einem Unfall in der Grössenordnung von Fukushima wirksam zuschützen. Die nukleare Stromerzeugung wird quasi als lebensbedrohlich empfunden"(m.H. auf Saladin [1981]). Daher sei es "zumindest nicht ausgeschlossen (…), einensicherheitspolizeilich motivierten Ausstieg (…) als zulässig zu erachten"137.Ein Teil der Lehre erachtet die Unterscheidung zwischen einer entstehungs- und einergeltungszeitlichen Interpretation als überholt138. Einigkeit besteht darin, dass eineNorm durch eine geltungszeitliche Interpretation dann nicht korrigiert werden kann,wenn sie erst kurz zuvor ausdrücklich bestätigt worden ist139. Nach Pierre Tschannenist die Bundesverfassung "(…) noch immer jung. Eine geltungszeitliche Auslegungdürfte daher erst in der weiteren Zukunft wieder bedeutsam werden"140. Er relativiertseine Aussage aber hinsichtlich offener Verfassungsnormen. Das 1990 angenommene,2003 aber nicht erneuerte Bau-Moratorium (vgl. Ziff. IV.5.) ist in einer (materiellbedeutsamen, heute aber nicht mehr relevanten) Übergangsbestimmung zurBundesverfassung verankert und ergänzte den Kernenergieartikel zeitlich befristet aufVerfassungsstufe – demgegenüber besteht der E-KEG aus einem zeitlich unbe-

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grenzten Moratorium auf Gesetzesstufe. Die Frage des Restrisikos bildete, nebst derHerausforderung einer sicheren Endlagerung radioaktiver Reststoffe, einen zentralenDiskussionspunkt der Volksabstimmungen von 2003141. Der Bundesrat legt in seinerBotschaft nicht dar, inwiefern das Restrisiko künftiger KKW nach objektivenMassstäben oder wissenschaftlichen Kriterien zugenommen haben könnte (vgl. auchnachfolgend, Ziff. V.4.).Mit einem Verbot der Erteilung neuer Rahmenbewilligungen würde der Gesetzgebereinen Ausstiegszweck verfolgen. Nach hier vertretener Ansicht kann eine Umkehr derFinalität des Art. 90 BV nicht über eine geltungszeitliche Interpretation, und damitvorbei am demokratischen Verfahren einer Verfassungsrevision, erfolgen142. Würde

136 Botschaft ES 2050 (Anm. 6), S. 7743.137 Gutachten BJ (Anm. 41), S. 8.138 Rhinow/Schefer (Anm. 54), Rz. 491 und 511.139 Ulrich Häfelin/Walter Haller/Helen Keller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 8. Aufl., Zürich

2012, Rz. 115. Vgl. auch BGE 134 II 223 E. 3.4 und 4.2, S. 229 ff.140 Pierre Tschannen, Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 3. Aufl., Bern 2011, § 4,

Rz. 28.141 Ausserdem zeigen die kommunalen und kantonalen Volksabstimmungen seit 2011 ein

differenziertes Bild: Vgl. Volksabstimmung in der Stadt Luzern vom 27.11.2011 (Luzern mitStrom ohne Atom und Gegenvorschlag); Volksabstimmung in der Stadt Aarau vom 11.3.2012(ESAK und Gegenvorschlag); Volksabstimmung im Kanton Bern vom 3.3.2013 (Bern erneuerbarund Gegenvorschlag).

142 Die Ereignisse in Japan haben das subjektive Sicherheitsempfinden vieler Menschenbeeinträchtigt. Fraglich bleibt aber, ob der Hinweis auf «Fukushima» vorliegend einer objektivenBetrachtung standhält: Im Gegensatz zu den Schweizer KKW aus der gleichen Epoche wurdendie Generation-II-Reaktoren in Fukushima-Daiichi nicht nachgerüstet. Insbesondere kannte dasjapanische Werk keine gebunkerten Notstandssysteme.

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hingegen der Ansicht des Bundesrates gefolgt, wäre dem neuen Ausstiegszweck aufder Gesetzesstufe umfassend Rechnung zu tragen143.

4. Sicherheitspolizeiliche Regelung?Sicherheitspolizeiliche Aufgaben bestehen allgemein in der "Wahrung der Sicherheitund Ordnung durch die Abwehr von Gefahren und die Beseitigung von Störungen"144.Sicherheitspolizeiliche Befugnisse des Bundes bedürfen zudem einer unzweifelhaftenVerfassungsgrundlage145 – eine solche ist mit der Gesetzgebungskompetenz von Art.90 BV gegeben (selbst ohne Verbindung mit grundrechtlichen Schutzpflichten oder mitdem Umwelt- bzw. Strahlenschutzartikel).

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Das Gutachten des BJ spricht im Zusammenhang mit der Nutzung der Kernenergiezutreffend von einem Restrisiko – im Unterschied zum (fassbaren) Risiko oder zurGefahr (vgl. Ziff. IV.5.). Das Schweizer Kernenergierecht versteht Sicherheit alsProzess, welcher dem bestmöglichen Schutz vor den Auswirkungen ionisierenderStrahlung dient. Verfassungsrechtlich geboten ist, dem Regelungszweck derGewährleistung der Nuklearsicherheit folgend, die Sicherheitskonzepte laufend zuüberprüfen und gegebenenfalls anzupassen (wie dies derzeit geschieht)146. Ähnlichlegte die EU mit sog. Stresstests147 einen besonderen Fokus auf den sicheren Betriebder KKW und schlägt nun eine neue Richtlinie über die nukleare Sicherheit vor148.Heikel erscheint, dass die bundesrätliche Botschaft hinsichtlich der Restrisiken derkünftigen Nutzung bloss vom potenziellen Schadensausmass ausgeht und bezüglich derEintretenswahrscheinlichkeit keinen Bezug zu (neuen?) wissenschaftlichenErkenntnissen oder internationalen Standards herstellt149. Damit folgt der Bundesratzwar den im Sommer 2011 überwiesenen Motionen, verzichtet aber auf einevollständige Begründung seiner mittelfristigen Ausstiegsstrategie.Zur eigentlichen Gefahrenabwehr im Rahmen der Kernenergieaufsicht isthauptsächlich das ENSI als unabhängige Fachbehörde zuständig, welches bewusst vonpolitischer Einflussnahme abgeschirmt ist150. Nach den Ereignissen in Japan hat dasENSI neue Studien sowie Nachrüstungen verlangt – den Betrieb der bestehendenSchweizer KKW aber nicht per se als gefährlich eingestuft. Eine sicherheitspolizeilich

143 Da weder Ersatz-KKW gebaut noch grundlegende Erneuerungen in bestehende Werke stattfindendürften, wäre etwa zu fragen, ob die primäre Sicherheitsverantwortung weiterhin bei der (sichmittelfristig selbst liquidierenden) Betreibergesellschaft verbleiben dürfte. Allenfalls wäre abeinem gewissen Zeitpunkt eine rechtliche Auslagerung der jeweiligen Werke(Betreibergesellschaft) bei gleichzeitiger Bestellung eines mehrheitlich aus unabhängigenFachexperten bestehenden Verwaltungsrats im Gesetz vorzusehen, allenfalls sogar eineVerstaatlichung von KKW. In Frankreich hat der Staatspräsident mit Décret n° 2012–1384vom 11.12.2012 immerhin einen Koordinator zur Umstrukturierung des KKW-StandortsFessenheim ernannt.

144 Rainer J. Schweizer/Patrick Sutter/Nina Widmer, B. Grundbegriffe, in: Rainer J. Schweizer(Hrsg.), Sicherheits- und Ordnungsrecht des Bundes, Allgemeiner Teil, SchweizerischesBundesverwaltungsrecht, Bd. III/1, Basel 2008, Rz. 41.

145 Markus H.F. Mohler, Grundzüge des Polizeirechts in der Schweiz, Basel 2012, Rz. 41.146 Dazu Schärf (Anm. 82), S. 12.147 Zu den Ergebnissen und Hintergründen vgl. etwa die Pressemitteilung der Europäischen

Kommission vom 4.10.2012 (IP/12/1051). Zu den Ergebnissen für die Schweizer KKW vgl. dasDossier des ENSI (www.ensi.ch => Dossiers => EU-Stresstest; besucht am 22.10.2013).

148 Europäische Kommission, Memo/13/539 vom 13.6.2013.149 Vgl. dazu die grundsätzlichen Überlegungen bei Udo Di Fabio, Der Ausstieg aus der

wirtschaftlichen Nutzung der Kernenergie, in: Rudolf Lukes (Hrsg.), Recht – Technik –Wissenschaft, Band 79, Köln etc. 1999, S. 33. Vgl. zudem zur sicherheitskonzeptionellenAusgestaltung des geltenden Rechts die Ausführungen in BGE 139 II 185 (insb.) E. 10.2.2,S. 201 f. und E. 11.2 ff., S. 207 ff.

150 Vgl. BGE 139 II 185 E. 9.2, S. 197 f. sowie Johannes Reich, Urteilsbesprechung zu BGE 139 II185, ZBl 114/2013, S. 513 ff., 552.

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begründete Abschaltung der bestehenden, nachgerüsteten Schweizer KKW derGeneration II ist im Rahmen der ES 2050 nicht vorgesehen. Vielmehr rechnet derBundesrat mit einem Weiterbetrieb der bestehenden Werke bis zum Ende ihrertechnischen Lebensdauer151. Moderne Kernreaktoren gelten wegen verbesserterSicherheitseigenschaften (passive Sicherheitssysteme) und geringeren potenziellenKernschadenshäufigkeiten im Vergleich zu früheren Reaktortypen als signifikantsicherer152. Derzeit stehen KKW der Generation III+ in Frankreich (Flamanville),Finnland (Olkiluoto),

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den U.S.A. (Vogtle III und IV) sowie u.a. in China im Bau. Für die Schweiz würde derEinsatz von Technologie der Generation III+ ausgeschlossen. Es erscheint unter demTitel der Gefahrenabwehr widersprüchlich, die Restrisiken einer Technologie weiterhinin Kauf zu nehmen, risikovermindernden Fortschritten aber die Anwendung zuversagen153. Für einen entsprechenden politischen (Wert-)Entscheid eröffnet bereitsdas geltende KEG ein fakultatives Referendum (vgl. Ziff. V.1.). Als problematisch imLichte von Art. 90 BV erscheint hingegen, dass bestehende KKW allenfalls weiterbetrieben, aber nicht weiter nachgerüstet werden könnten, soweitRahmenbewilligungen dafür notwendig wären154.Auf dem ähnlich intensiv diskutierten Gebiet der Fortpflanzungstechnologie undGentechnologie im Humanbereich (Art. 119 BV) hat der Verfassunggeber mit einerWertentscheidung Grundsätze geschaffen, welche über einen allgemeinenSchutzauftrag hinaus den Rahmen sowohl für den Umgang mit der Technologie an sichals auch für den konkreten Gesetzgebungsauftrag abstecken (Klonverbot,Leihmutterschaft etc.). Analog erschiene es angezeigt, sollte ein neuer Wertentscheidfür das Kernenergierecht getroffen werden, diesen in den Grundzügen in derVerfassung zu verankern.

5. Anknüpfung an ein stillschweigendes Monopol?Fraglich ist, ob ein künftiger Verzicht auf die Nutzung der Kernenergie sich auch damitbegründen liesse, der Kernenergieartikel enthalte ein stillschweigendesBundesmonopol. Die bundesrätliche Botschaft zum Atomgesetz von 1957 wies auf dasbewährte System hin, welches "die Initiative ganz den Kantonen und Gemeinden undder Privatwirtschaft" überlässt155. Die dem Grundsatz nach gemischte, sowohl(kantonal) öffentliche als auch private Stromerzeugung falle unter die Handels- undGewerbefreiheit. Einschränkungen sollten (ähnlich wie damals bei der Wasserkraft)bloss im Rahmen des Vorrangs der Produktion für den inländischen Markt zum Tragenkommen. Im Grundsatz basiert die Entwicklung der Kernenergie in der Schweiz aufprivater Initiative, der Bund förderte aber die entsprechenden Anstrengungen

151 Diese kann gemäss der Botschaft ES 2050 (Anm. 6), S. 7608 «kürzer oder länger als 50 Jahresein».

152 Vgl. z.B. das Gutachten des ENSI zum Rahmenbewilligungsgesuch der E-KKB AG,Neubauprojekt Ersatzkernkraftwerk Beznau vom September 2010, S. 21.

153 Vgl. dazu auch BGE 139 II 185 E. 10.1.2, S. 200.154 Dies ist nach Art. 65 Abs. 1 Bst. b KEG für «eine grundlegende Erneuerung eines

Kernkraftwerkes zur massgeblichen Verlängerung seiner Betriebsdauer, insbesondere durch denErsatz des Reaktordruckbehälters» der Fall. Die Bestimmung geht auf einen Antrag derKommission zurück (vgl. AB SR 2001 1026) und es besteht keine Praxis dazu.

155 Botschaft Atomgesetz (Anm. 18), S. 1526. Vgl. auch Fischer (Anm. 118), S. 8 (m.H.). DerAntrag Vincent (PdA) auf ein ausschliessliches Bundesmonopol (Nationalisierung) scheiterte imNationalrat mit 92 zu 3 Stimmen (Stenografisches Bulletin NR 1957 653).

156 Botschaft Atomartikel (Anm. 118), S. 1138, 1150 ff. sowie 1157 f. Vgl. auch BGE 103 Ia 329,E. 3b, S. 336 f.

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massgeblich156. Damit folgt das Kernenergierecht nach einem Teil der Lehre den"wirt-

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schaftsverfassungsrechtlichen Grundprinzipien (Wirtschaftsfreiheit,Subsidiaritätsprinzip)"157. Die Botschaft zur Bundesverfassung erwähnte hingegen,einem anderen Teil der Lehre folgend158, die Kernenergie als Beispiel für einestillschweigende Ausnahme vom Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit (Art. 94 Abs. 1 BV)159.Die Errichtung von KKW bedurfte ursprünglich bloss einer Bewilligung durch denBundesrat (Art. 4 Abs. 1 Bst. a i.V.m. Art. 6 Atomgesetz160). Kamen die Gesuchstellerallen Anforderungen (Art. 5) nach, hatten sie einen Rechtsanspruch aufBewilligungserteilung (Polizeibewilligung)161. Der Bundesbeschluss zum Atomgesetzvom 6. Oktober 1978162 sah für neue KKW eine Rahmenbewilligung (Art. 1–9) und,als Voraussetzung zu deren Erteilung, u.a. einen Bedarfsnachweis vor (Art. 3 Abs. 1Bst. b [e contrario])163. Heute regelt des KEG die einzelnen Bewilligungsartenumfassend (Art. 12 ff.)164. Es verzichtet auf einen Bedarfsnachweis für neue KKW.Ein solcher sei "in einem offenen Elektrizitätsmarkt nicht mehr begründbar" und derkünftige Stromverbrauch lasse sich in einem Markt kaum zuverlässig vorhersagen165;zudem decke das fakultative Referendum gegen den Beschluss derBundesversammlung zu Rahmenbewilligungen für Nuklearanlagen die"innenpolitische Funktion des Bedarfsnachweises" ab166. Ein Rechtsanspruch aufErteilung einer Rahmenbewilligung besteht nicht – ein solcher auf Erteilung einerBetriebsbewilligung hingegen schon, sofern die Voraussetzungen dazu erfüllt sind167. ZBl 114/2013 S. 635, 666

Ein Bundesmonopol zur Nutzung der Kernenergie wäre als "Polizeimonopol"168 zucharakterisieren. Würde die Zulässigkeit eines stillschweigenden Monopols hingegenverneint, fiele die Nutzung der Kernenergie unter den Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit(Art. 94 Abs. 1 BV), welcher zu Art. 90 BV hinzuträte. Generelle Verbote bestimmterBewirtschaftungsformen werden als nicht konform zum Grundsatz der

157 Rolf H. Weber/Brigitta Kratz, Elektrizitätswirtschaftsrecht, Zürich 2005, § 6, Rz. 135.158 Vgl. Yvo Hangartner, Grundzüge des schweizerischen Staatsrechts, Bd. II: Grundrechte,

Zürich 1982, S. 149 und 153; aus der jüngeren Literatur etwa Biaggini (Anm. 122), Art. 90,Rz. 2.

159 Botschaft neue BV (Anm. 52), S. 294 mit Anm. 326. Vgl. zum Ganzen auch Étienne Grisel,Liberté économique, Libéralisme et droit économique en Suisse, Bern 2006, Rz. 996.

160 Bundesgesetz über die friedliche Verwendung der Atomenergie und den Strahlenschutz (AS 1960541); vgl. dazu Rausch (Anm. 20), S. 8 ff. sowie Fischer (Anm. 118), S. 8 ff.

161 Botschaft über die Ergänzung des Atomgesetzes (Anm. 20), S. 296. Unter den liberalenRahmenbedingungen nahm die Elektrizitätswirtschaft weitere Projekte in Angriff. So auch inGraben (BE), Verbois (GE), Rüti (ZH) und Inwil (LU).

162 AS 1979 816; dazu eingehend Fischer (Anm. 118), S. 84 ff.163 Botschaft Ergänzung Atomgesetz (Anm. 20), S. 322 f. und 303 ff.; weitergehend Fischer

(Anm. 118), S. 97 ff.164 Dazu die Botschaft Moratorium/KEG (Anm. 89), S. 2725 und 2731 ff., sowie AB SR 2001 1000

(Votum Berichterstatterin Forster).165 Kritisch Alfred Nydegger, Die Bedürfnisklausel für neue Atomkraftwerke, ein Beispiel

politischer Ökonomie, in: Emil Küng (Hrsg.), Festschrift für Walter Adolf Jöhrzum 70. Geburtstag, Tübingen 1980, S. 97 ff., passim.

166 Dazu die Botschaft Moratorium/KEG (Anm. 89), S. 2736. Der Verzicht auf den Bedarfsnachweiswar in den Räten umstritten; AB NR 2003 66 (Votum Berichterstatter Fischer), 67 (Abstimmungund Stichentscheid).

167 BGE 139 II 185 E. 4.2, S. 190 (m.w.H.).168 Klaus A. Vallender/Peter Hettich/Jens Lehne, Wirtschaftsfreiheit und begrenzte

Staatsverantwortung, 4. Aufl. Bern 2006, § 5, Rz. 152.

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Wirtschaftsfreiheit (Art. 94 Abs. 1 BV) angesehen169. Die Monopol-Frage kann m.E.in vorliegendem Zusammenhang indes offen bleiben. Die vorgeschlagene Änderungdes KEG bezweckt materiell nicht die Ausgestaltung eines Monopols, sondern einmittelfristiges Verbot der Nutzung der Kernenergie an sich. Dies lässt sich nach hiervertretener Ansicht nicht auf Art. 90 BV stützen.

6. BeurteilungTrotz der Offenheit des Normwortlauts steht einem mittelfristigen Verzicht auf dieNutzung der Kernenergie auf Gesetzesstufe die historische und systematischeAuslegung des Kernenergieartikels entgegen. Insbesondere stünde ein "unbefristetesMoratorium" im Widerspruch zu den vergangenen Volksabstimmungen (letztmals2003). Das "geltungszeitlich-teleologische" Gegenargument scheint nicht leichtbegründbar. Dagegen spricht m.E. in vorliegendem Zusammenhang, dass derBundesrat nachgerüstete KKW bis zum Ende ihrer technischen Lebensdauer in Betriebbelassen, neuere, auf weiterentwickelten Sicherheitskonzepten beruhende Reaktorenhingegen verbieten will. Sodann kehrte ein Ausstieg aus der Kernenergie die Finalitätdes Art. 90 BV um. Dazu wäre der Kernenergieartikel wohl in einem demokratischenVerfahren um einen Ausstiegszweck zu ergänzen – sei dies im Artikel selbst odermithilfe einer zukunftsgerichteten Übergangsbestimmung auf Verfassungsstufe (Art.197 BV).Da die Rechtsordnung sich künftigen technologischen Entwicklungen (praktischeErfahrungen mit Reaktoren der Generation III+ sowie weiteren Entwicklungen wiedereinst allenfalls sogar der Kernfusion) nicht verschliessen und der Sicherheitbezüglich der bestehenden Werke Priorität einräumen sollte, wird an dieser Stellepostuliert, allenfalls erneut ein befristetes Bau-Moratorium auf Verfassungsstufevorzusehen, jedoch keine (Rechts-)Unsicherheit bezüglich Investitionen in dieSicherheit von KKW zu schaffen.

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VI. SchlussbemerkungenDie vorgeschlagene Revision des KEG bewirkt mittelfristig einen Ausschluss derOption Kernenergie, indem die Errichtung neuer KKW sowie selbst Investitionen zurgrundlegenden Erneuerung bestehender Werke verboten würden. Gegen ein solchesGesetzesvorhaben sprechen nach hier vertretener Ansicht verfassungsrechtlicheBedenken.Die geltenden, in Art. 89 Abs. 1 BV verankerten energiepolitischen Zielvorgabenbilden den übergreifenden Rahmen der bisherigen Schweizer Energiepolitik. Für denBereich der Stromproduktion und der Stromversorgung sind sie einer spezifischenAuslegung zugänglich, zumal der Stromsektor die Energiepolitik der rohstoffarmenSchweiz insgesamt stark beeinflusst. Die ES 2050 bedeutet einen Paradigmenwechsel.Die energie- und umweltpolitischen Konzepte und Entscheide der letzten rund 60 Jahrewerden damit teilweise infrage gestellt. Vorab der vom Bundesrat angestrebtevollständige Ersatz rund eines Drittels, überdies als Bandenergie produzierten Stromsdurch grossenteils fluktuierende und stochastisch anfallende Energien, das wohlnotwendige verstärkte Abstellen auf den Primärenergieträger Gas zumindest alsReserveenergie sowie die zusätzlichen volkswirtschaftlichen Mehrkosten von derStromproduktion über die Stromübertragung bis zur Stromverteilung stehen nach hiervertretener Ansicht im Widerspruch zu den Zielvorgaben des Art. 89 Abs. 1 BV. EinVerbot der künftigen Nutzung der Kernenergie bildete an sich sowie aufgrund der

169 Rhinow/Schefer (Anm. 54), Rz. 3230. Vgl. auch die Stellungnahmen der WEKO (Anm. 76),S. 2 f. sowie jene der KdK (Anm. 70), S. 3.

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damit verbundenen Herausforderungen materiell eine eigenständige, m.E. vorrangigeneue energiepolitische Zielvorgabe mit Verfassungsrang. Bislang wird Art. 89 Abs. 1BV bei der Auslegung anderer Normen – insb. des Art. 90 BV – nach hier vertretenerAnsicht zu wenig Rechnung getragen.Bei der Frage nach der Nutzung der Kernenergie stehen sich seit jeher grosseHoffnungen und existentielle Ängste gegenüber. Die BV 1874 traf mit Art. 24quinquies

einen Wertentscheid zugunsten der Nutzung der Kernenergie durch dieEnergiewirtschaft – unter der Prämisse, dass die betriebliche Sicherheit der Anlagengewährleistet werden kann. Die nachgeführte Bundesverfassung hält mit Art. 90 BVdaran fest. Zwar haben sich die gesetzlichen Regelungen seit den 1950er Jahren – imEinklang mit der internationalen Entwicklung – verändert und weiterentwickelt. Diesicherheitstechnischen Anforderungen sind, wissenschaftlichen Erkenntnissen folgendund objektiv nachvollziehbar, verschärft worden. Das geltende KEG sucht denRahmenbewilligungen demokratische Legitimation zu verleihen und sieht mit derMöglichkeit des fakultativen Referendums einen abschliessenden Volksentscheid vor.Dies steht m.E. im Einklang mit dem mehrfach in demokratischen Verfahren zumAusdruck gebrachtem Willen des Souveräns, die Nutzung der Kernkraft innert klarerRahmenbedingungen grundsätzlich zu erlauben. Solange der Betrieb bestehenderKKW in der Schweiz als sicher gilt und (auch verfassungsrechtlich) zulässig bleibt,erscheint es heikel, Art. 12 Abs. 4 und Art. 106 Abs. 1bis E-KEG auf ZBl 114/2013 S. 635, 668

den geltenden Art. 90 BV abzustützen. Eine Neubeurteilung des Restrisikos kann aberim Rahmen weiterer Volksabstimmungen erfolgen – etwa jener zur Volksinitiative derGrünen Partei.Rechtspolitisch erscheint eine Zustimmung von Volk und Ständen zumGenerationenprojekt ES 2050 geboten, welches in den kommenden Jahren grossetechnische und wirtschaftliche, aber auch gesellschaftliche und politische Hürden wirdüberwinden müssen. Eine Verfassungsrevision wäre auf verschiedene Weise denkbarund verliehe dem Politikwechsel einerseits die notwendige demokratischeLegitimation, andererseits verbesserte sie die Investitionssicherheit. Eine neueVerfassungsbestimmung diente schliesslich auch zur Auslegung bestehenden Rechts.

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