entgrenzt ausgabe 6

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ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit

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Die sechste Ausgabe der studentischen Zeitschrift entgrenzt.

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Page 1: entgrenzt Ausgabe 6

ISSN 2193-1224

Ausgabe Nr. 6, WiSe 2013/14

ein Projekt der

Geowerkstatt Leipzig e.V.

in Kooperation mit

Beiträge unter anderem:

Hausarbeiten, Bachelorarbeiten, Masterarbeiten – Studierende ARBEITEN

und viele mehr ...

Räume, Grenzen, Narrative. Die medialeVerfestigung der europäischen Außengrenze

In welchen Wirtschaftsbereichen sind dieArbeitnehmer am längsten unterwegs?

Welcome to Paradise! ERASMUS auf Teneriffa

Power to the people – Doing more with less.

Josephine Kellert

Page 2: entgrenzt Ausgabe 6

2 entgrenzt 6/2013Gesamteditorial |

Wil lkommen!

Josephine Kellert

Hallo liebe Studierende undwillkommen zur 6. Ausgabe!

Ihr wart mal wieder gefragt, unsArtikel, Forschungs-

arbeiten und Berichterund um unserliebstes Thema

einzureichen:die Geographie.

Und auch in der nächsten Ausgabe werdet ihr über spannende Themen lesen,die von Studierenden eingereicht wurden. Bis dahin wünscht entgrenzt viel Spaß

beim Lesen und viel Erfolg für das laufende Semester!

So findet ihr in der RubrikGeographisches beispiels-weise einen Beitrag zumThema der Euro-päischen Grenz-politik unterBetrachtungder Konstruk-tion und Wahr-nehmung von Raum.

Die GeoWerkstatt stellt für euch einenErasmusbericht über Teneriffa und einen

Summer-School-Artikelim Rahmen des

"Go-East-Programms"bereit.

Sicherlich ist jedem Geographie-studierenden auch schon folgendeFrage gestellt worden, dieSprach(r)ohr füreuch noch einmalaufgreift:

Und ...äh... wasmacht man dannmit Geographie?

Auf Seite 62 erfahrt ihr, warumdiese Ausgabe tote Hose in

GeoPraktisch ist.

Page 3: entgrenzt Ausgabe 6

3entgrenzt 6/2013

GeographischesManuel Marx: Räume, Grenzen, Narrative. Die mediale Verfestigungder europäischen Außengrenze

Tobias Ebert: In welchen Wirtschaftsbereichen sind die Arbeitnehmer am längstenunterwegs? Eine deutschlandweite Untersuchung von Berufspendeldistanzen inAbhängigkeit von raum- und qualifikationsstrukturellen Branchenmerkmalen

Katja Thiele, Greta Ertelt, Nelly Grotefendt & Christiane Uhlig: Power to the people – Doingmore with less. Auswirkungen des staatlichen Sparpakets in Großbritannien auf dielokale Jugendsozialarbeit am Beispiel von London-Islington

Call for Papers – Ausgabe Nr. 8, WiSe 2014/15

GeoWerkstattSilke Kellig & Marcus Hübscher: Welcome to Paradise! ERASMUS auf Teneriffa

Sophie Großmann: Eine Tagung besuchen vor dem Abschluss? Ja! – Ein studentischerErfahrungsbericht zum Arbeitskreistreffen Geoarchäologie 2013 in Cottbus

Benjamin Prager: „Von der Puszta in die Karpaten – Kulturlandschaften im Umbruch“.Herausforderungen und Ansätze nachhaltiger Raumplanung in Südosteuropa

Nicolas Caspari & Alexander Groos: Dürfen wir vorstellen? Das DiaForum

Sprach(r)ohrSusanne Knorr: Geographie – „… und was macht man dann damit?“

Manuel Herzog & Markus Maaßen: Schon mal drüber nachge(o)dacht!?

GeoPraktischPrärie auf weiter Flur

entgrenztmachen, aber wie?Nachwuchs für die kommende Ausgabe!?

Impressum

Gesamtinhalt

| Gesamtinhalt

S. 5

S. 14

S. 26

S. 35

S. 38

S. 48

S. 51

S. 56

S. 59

S. 60

S. 62

S. 64S. 65

S. 68

Page 4: entgrenzt Ausgabe 6

4 entgrenzt 6/2013Geographisches |

Geographisches

. . . der Wecker klingelt. Muss früh raus, dasEditorial für Ausgabe sechs schreiben. Ideen:Mangelware. Ich schlage die Zeitung auf, ma-che mir ein Sechs-Minuten-Ei und einen Kaf-fee. Währenddessen verkündet das Radio, dieSechs-Tage-Woche sei längst deutscher Alltag.Hm. Auf Seite sechs steht was von der kleins-ten vollkommenen Zahl. Versteh ich nicht.Liegt aber vielleicht auch am Sixpack von ges-tern. Egal, aus Einstein mit seiner sechs in Ma-the ist ja schließlich auch noch was geworden.Im Brotkorb liegt was Sechsbeiniges. WasSechsstelliges wäre mir lieber. Also weiter zuden Lottozahlen: leider kein Sechser und auchdie Inspiration lässt weiter auf sich warten. Nawas soll’s. Gott hat für die Schöpfung schließ-lich auch nicht weniger als sechs Tage ge-braucht…

In der sechsten Ausgabe erwarten Euch inder Rubrik Geographisches … nein nichtsechs, sondern drei studentische Beiträge. An-ders als in den vorangegangenen Ausgabenfolgen sie keinem einheitlichen Thema, son-dern sind das Ergebnis eines offenen Calls. DasErgebnis: ein kleiner Streifzug durch die Viel-falt der Geographie. Qualitative Sozialfor-schung trifft auf Regressionsanalyse, politischeGeographie auf Verkehrs- und Stadtgeogra-phie. Ob Grenzen, Räume oder Diskurse, obkontinentale, regionale oder Quartiersebene:Space matters! Nur die physischen Geogra-phen waren anscheinend gerade mal alle wie-der im Feld…

Der erste Beitrag stammt von Manuel Marxvon der FU Berlin. Am Beispiel der Berichter-stattung der Frankfurter Allgemeinen Zeitungüber die EU-Grenzschutzagentur FRONTEXverdeutlicht er, wie Diskurse geostrategischeRaumvorstellungen erzeugen. Erst diese „Wir-und-die-Anderen“-Rhetorik ermöglicht die Artrigider Grenzschutzpolitik, deren dramatischeFolgen uns allen erst kürzlich schmerzlich vorAugen geführt wurden.

Tobias Ebert (Uni Marburg) gewährt unsdaraufhin einen Eindruck von den Zusammen-

hängen zwischen Pendeldistanzen und Ausbil-dungsniveaus deutscher ArbeitnehmerInnen.Mit guten Nachrichten für euch: zwar steigtgenerell mit zunehmendem Qualifikationsni-veau der Zeitaufwand fürs Berufspendeln,doch gerade bei den Graduierten lassen sichAusnahmen von dieser Regel erkennen.

Katja Thiele, Greta Ertelt, Nelly Grotefendtund Christiane Uhlig, alle MA Geographie derGroßstadt an der HU Berlin, präsentieren euchabschließend die Ergebnisse eines empirischenProjekts, das im Rahmen einer stadtgeogra-phischen Exkursion nach London entstand. Sieuntersuchen am Beispiel von London-Isling-ton, welche Folgen die Verschiebung weg vonwohlfahrtsstaatlichen Prioritäten hin zu wirt-schaftlichen Belangen auf lokale Jugendsozi-alarbeit hat.

Viel Spaß beim Lesen!

Ingo Haltermann, Redaktion Geographisches

Sechs Uhr morgens: .. .

Page 5: entgrenzt Ausgabe 6

5entgrenzt 6/2013

Grenzen sind mehr als die geographischen Ränder

einer politischen Einheit. Sie sind genauso ein Zei-

chen dafür, dass das, was eingegrenzt wird, nach

außen als in sich einheitlich wirken soll. Erst

wenn man aufhört Räume und Grenzen als na-

türlich gegeben zu denken, werden die Prozesse

deutlich, die zu einer abschottenden Wirkung der

Außengrenze führen. In der Berichterstattung der

Frankfurter Allgemeinen Zeitung über die EU-

Grenzschutzagentur FRONTEX beleuchtet der

vorliegende Artikel, wie geostrategische Raumvor-

stellungen diskursiv erzeugt werden. Durch die

Verkopplung von Kultur und Territorium wird ein

vermeintlich homogenes von außen bedrohtes Eu-

ropa konstruiert. In dieser Hinsicht verstärkt die

Berichterstattung durch die Transformation des

europäischen Raums in eine gated communitydie Präsenz und Durchsetzungskraft der europäi-

schen Abschottung.

1 FRONTEX und der Schutz der europäischen Außengrenze

Für die Entstehung einer territorial verfasstenund abgegrenzten politischen Einheit bedarfes sowohl der inneren Vereinheitlichung desTerritoriums als auch einer Abgrenzung nachaußen (Krause 2009: 251 ). Mit dem Ziel derpolitischen Integration hat sich die europäi-sche Grenzsicherungspolitik zu einem verge-meinschafteten Politikfeld entwickelt, das zu-nehmend an Aufmerksamkeit innerhalb derpolitischen Agenda gewinnt (Eigmüller2007:   82).

Mit dem Schengenabkommen wurde dieAußengrenze eine praktische Realität. Ihre Si-cherung wurde auf europäischem Niveau zueiner immer zentraleren Aufgabe, auch wenndie formale Hoheit weiter bei den Mitglieds-staaten der Union liegt (Kasparek 2008). Ins-besondere als die Osterweiterung der Europäi-schen Union Kontur annahm, wurde den Ver-antwortlichen bewusst, dass die Grenzschutz-fähigkeiten der osteuropäischen Beitrittskan-didaten nicht der Sicherung gegenüber uner-wünschten Migrationsprozessen genügen wür-den und substanzielle Unterstützung zum

Schutz der europäischen Außengrenze nötigsei (Monar 2006: 194). Das nach den Terror-anschlägen vom 11 . September 2001 stärkerwerdende Bedürfnis nach innerer Sicherheitvereinfachte die Gründung der Grenzschutz-agentur FRONTEX (Agentur für die operativeZusammenarbeit an den EU-Außengrenzen,abgeleitet aus dem Französischen frontières ex-

térieures) (Bermejo 2009: 216; Jorry 2007:   7).Sie nahm ihre Arbeit am 1 . Mai 2005 in War-schau auf. Die Agentur bündelt seitdem ver-schiedene Projekte zur Grenzsicherung. Trotzihrer geringen Kompetenzen hinsichtlich derdirekten Durchführung von Grenzkontrollenfungiert FRONTEX zuweilen als Zentrale einesNetzwerks aus nationalen Experten. Die Agen-tur verleiht so der inneren Sicherheit und demSchutz der Außengrenze einen institutionellenRahmen zur Aufgabenerfüllung und wurde zueinem wichtigen Element eines vereinheitlich-ten Grenzschutzes (Möllers 2010).

So entwickelte sich ein ursprünglich peri-pherer Politikbereich, zu einem weitgehendvergemeinschafteten Politikfeld, indem dieheutige EU sowohl in der Gesetzgebung alsauch in der administrativen Umsetzung ge-meinsamer Grenzsicherungspolitik essenzielleAufgaben wahrnimmt (Eigmüller 2007;Pollak/Slominski 2009). Die Institutionalisie-rung gilt dabei als Voraussetzung für die Ver-wirklichung des freien Binnenmarktes sowieals Garant der inneren Sicherheit. Durch diegeschaffene Möglichkeit grenzüberschreitendeProzesse zu steuern und zu kontrollieren, istdie heutige Ausgestaltung der Grenzsiche-rungspolitik zugleich Voraussetzung für diezukünftige europäische Integration (Eigmüller2007). Vor diesem Hintergrund richtet sichdas Untersuchungsinteresse der Arbeit auf diemedial vermittelten Charakteristika der euro-päischen Außengrenze innerhalb der Bericht-erstattung über FRONTEX. In diesem Zusam-menhang liegt der Fokus auf der Frage, wieRäume im Diskurs um Grenzziehungsprozessekonstituiert und mit Bedeutungen aufgeladenwerden.

Räume, Grenzen, NarrativeManuel Marx (FU Berlin)

Die mediale Verfestigung der europäischen Außengrenze

| Manuel Marx

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2 Die soziale Konstruktion der europäischen Grenze

Erst mit der räumlichen und sozialen Abgren-zung zu anderen entsteht ein Subjekt, welchessich mit dieser Grenze definiert und identifi-ziert (Strüver 2005: 150). Jene Verräumli-chungen führen dazu, dass sie „die sozialeWelt in vermeintlich homogene Einheiten ein-teilen und damit Freund- und Feindbilder eta-blieren, die auf den unterschiedlichsten Maß-stabsebenen handlungsrelevant werden“(Glasze/Mattisek 2009: 16). Menschen, diesich in einem Territorium zu einer politischenEinheit, zum Beispiel einem Staat, zusam-menschließen, müssen ihr Zusammenleben an-einander anpassen und sich gleichzeitig ge-genüber Menschen außerhalb des jeweiligenTerritoriums abgrenzen.

Grenzen sind Zeichen staatlicher Souveräni-tät und Mittel zur Aufrechterhaltung der Kon-trolle grenzüberschreitenden Personen- undWarenverkehrs. Infolgedessen sind sie mehrals eingefrorene Grenzlinien auf geographi-schen Karten, die einen Gebietsanspruch mar-kieren. Vielmehr werden sie durch Spracheund Symbole konstruiert, die auf eine identi-tätsbildende Unterscheidung zwischen Innenund Außen einwirken (Anderson 2006; Dalby1991 ; Newman 2003; Paasi 2005). Als soziale,kulturelle und politische Konstrukte prägen siedie räumlichen und sozialen Ordnungsvorstel-lungen weit über die Grenzregionen hinaus.Wie eine Grenze gestaltet wird, hängt indesstark davon ab, wie das Verhältnis zu denjeni-gen auf der anderen Seite wahrgenommenwird und welche Probleme darin gesehen wer-den.

Erst die Abkehr von einer essentialistischenBetrachtung natürlich gegebener Grenzen ver-deutlicht die abschottende Wirkung der Au-ßengrenze in Form von Inklusion und Exklu-sion (Newman 2003: 277). Die Strukturierungzwischen Drinnen und Draußen, Zentrum undPeripherie fokussiert sich auf die Unterschei-dung zwischen Eigenem und Fremdem. Durchdie symbolische und kulturelle Homogenisie-rung einer europäischen Gemeinschaft wirddie Angst und Furcht vor dem Fremden stili-siert und das Verhältnis zwischen Innen undAußen kreiert (Anderson 2006: 135; Paasi2005: 18). Mit dieser Unterscheidung wird dieeigene Identität konstruiert und die Komplexi-tät und soziale Vielfalt der Gesellschaft aufüberschaubare Kategorien reduziert, wodurchdie Grenze selbst zum Produzenten einer so-

zialen Ordnung wird (Eigmüller 2007: 83;Tonra 2010: 63). Die europäische Integrationschafft diese Identitätskonstruktion nicht ab.Vielmehr entsteht nun neben einer national-staatlichen eine weitere Identitätskategorie.Die Bedeutung der komplementären Eintei-lung in unser Raum und deren Raum basiertdabei weiterhin auf der identitätsstiftendenDichotomisierung des Eigenen und des Ande-ren. Mit der Etablierung eines gemeinsamenGrenzregimes auf europäischer Ebene sowieeiner vermeintlich europäischen Identität istdie Frage nach territorialer Inklusion und Ex-klusion komplexer geworden (Newman 2003:284). In diesem theoretischen Kontext stehtder Analysefokus der vorliegenden Untersu-chung. Einhergehend mit den sozialkonstruk-tivistischen Überlegungen hinsichtlich grenz-bezogener Inklusion und Exklusion ergebensich für humangeographische Forschungenneue Perspektiven auf den europäischenRaum.

3 Ausgangspunkt geopolitischer Raumbilder

Wie lässt sich nun verstehen, dass die Grenz-ziehung Europas in verschiedenen historischenKontexten sehr unterschiedlich abläuft unddabei die Identität Europas differierend be-stimmt wird? Durch eine Offenlegung vonräumlichen Ordnungsvorstellungen gelingt es,die gesellschaftliche Produktion spezifischerWahrheiten und räumlicher Wirklichkeiten zukonzeptionalisieren. Auf der Grundlage dieserGedanken will der vorliegende Artikel Regel-mäßigkeiten hinsichtlich der Argumentations-strukturen und Kontextualisierungen inner-halb des medial vermittelten Bildes überFRONTEX aufdecken.

Die theoretische Auseinandersetzung mitder Frage, wie Räume wahrgenommen, proji-ziert und konstruiert werden, erfährt seit eini-gen Jahrzehnten starke Aufmerksamkeit ausden sozial- und geisteswissenschaftlichen Dis-ziplinen. Insbesondere im Bereich der Politi-schen Geographie werden diese Gedanken, dieder Raumkonstitution zugrunde liegen, aufge-griffen. Der Forschungsansatz der Critical Geo-politics bietet bei der Theoretisierung der ge-sellschaftlichen Produktion von Raum daskonzeptionelle und methodische Rüstzeug,geopolitische Ordnungsvorstellungen alssprachliche Konstruktionen mit territorialenSemantiken und Repräsentationsweisen aufzu-decken (Dodds/Sidaway 1994; Gregory 1994;

Räume, Grenzen, Narrative |

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Müller 2008; Ó Tuathail 1996). Raum ist hier-bei nicht a priori durch seine physische Exis-tenz von Bedeutung, sondern erhält diese erstdurch Zuschreibungen aus Gesellschaft undPolitik (Newman 1999: 13; Reuber et al. 2005:16). Die sprachliche Konstruktion geographi-scher Raumbedeutungen und deren Instru-mentalisierung bezieht sich unmittelbar aufden linguistic turn der Sozialwissenschaften(Reuber/Wolkersdorfer 2001 : 6). Auch schein-bar objektiv wirkliche Grenzen zwischen Län-dern und Regionen sind ein Produkt sprachli-cher Zuordnungen. Diese territorialen Musterund Regeln, denen die Prozesse der raumwirk-samen Beschreibung und Interpretation fol-gen, durch die Wirklichkeit konstruiert wird,bilden Diskurse. Sie „konstituieren sich ausKomplexen primär sprachlicher und kommu-nikativer Handlungen auf einen Gegenstandhin, die eine konkrete Leseart des Gegenstan-des zu fixieren suchen“ (Brand 2012: 221 ).Der Blick auf Diskurse gibt demnach Einblickin die Prozesse der Bedeutungsschaffung, dieim Kern mittels sprachlicher Bedeutungszu-weisungen intersubjektiven Konsens in Formgeteilter Bedeutungsgehalte generieren.

Sprache prägt demzufolge unsere räumli-chen Ordnungsvorstellungen und ist in dieserHinsicht ein Mittel, welches es Akteuren er-laubt, räumliche Assoziationen und Konnota-tionen zu etablieren (Mattisek/Reuber 2004:231 ). Ansätze der Kritischen Diskursanalysegreifen die Gedanken unmittelbar auf, indemsie Sprache als „[…] an integral element ofthe material social process“ (Fairclough 2001 :122) verstehen. Vor diesem Hintergrund trägteine diskursanalytische Forschungsperspektivedazu bei, Ordnungsvorstellungen aufzudecken,in denen tradierte Deutungsmuster und Sinn-strukturen reproduziert und neu geschaffenwerden. Die Analyse intentionaler Sprachaktebietet insofern die Möglichkeit, vermeintlichfeststehende Wahrheiten zu hinterfragen (Jä-ger 2009).

Bei der gegenseitigen Verschränkung vonRäumlichkeit und Identität sowie der Etablie-rung spezifischer Raumwahrnehmungen spieltdie Berichterstattung über die europäischeGrenzschutzagentur für die öffentliche Wahr-nehmung eine erhebliche Rolle.

Nicht nur die Grenze zwischen Räumen,sondern auch deren Eigenschaften werdensprachlich manifestiert. Spezifische Regionenwerden durch Worte als Risikoraum, also alsterritoriale Bedrohung definiert, mit der die

Forderung nach mehr Sicherheit einhergeht(Belina 2010). Forschungsansätze der securiti-

zation theory untersuchen diese Sicherheits-wahrnehmungen auf Basis von Sprechakten.Vor diesem Hintergrund bezieht sich eine Ver-sicherheitlichung auf die Summe der Darstel-lungen eines Sachverhaltes in Form einer Ge-fahr für die militärische, politische, wirt-schaftliche, ökologische oder gesellschaftlicheSicherheit eines Kollektivs (Buzan et al.1998:   4).

Die vermeintlichen Bedrohungspotenzialeführen zu einer spezifischen Sicherheitswahr-nehmung, die eine generelle Objektivitäträumlicher Ordnungsvorstellungen unterstellt.Aus dieser Sicht dient die territoriale Begrün-dungsrhetorik des Sicherheitsdiskurses dazu,die gesellschaftliche Wahrnehmung durch dieSkizzierung existenzieller Bedrohungen zustrukturieren (Reuber et al. 2005: 14).

4 Massenmedien als Realitätskonstrukteure

„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über dieWelt, in der wir leben, wissen, wissen wirdurch die Massenmedien“ (Luhmann 2009: 9).Gegenwärtig kommt keine Form der Kon-struktion von intersubjektiven Bedeutungsge-halten ohne die Massenmedien aus. Sie stelleneine öffentliche Wissensform innerhalb dergesellschaftlichen Diskussion zur Verfügungund wirken als Informationsinstrument auf diepolitische und öffentliche Meinungsbildungein (Krause 2009: 86; Marxhausen 2010: 95).Medialität ist insofern ein konstituives Ele-ment von gesellschaftlichen Diskursen. Wennin den Medien von Bedrohungen berichtetwird, beeinflusst dies unweigerlich unsereWahrnehmung von Sicherheit. Daher nimmtdie Berichterstattung in den Medien für dieeuropäische Sicherheitswahrnehmung sowiedie Versicherheitlichung und Reproduktion ei-nes imaginativen Territoriums eine zentraleBedeutung ein (Anderson 2006: 135; Buzan etal. 1998: 124). Die in den Massenmedien pu-blizierten Texte strukturieren das menschlicheDeuten und führen mittels Verbreitung undVerfestigung raumwirksamer Deutungsmusterzu einer gesellschaftlichen Wirklichkeitskon-struktion (Keller 2003: 212). Um den Sicher-heitsdiskurs an der europäischen Außengrenzenachzuvollziehen, lohnt deshalb ein, wennauch hochgradig selektiver Blick in die Presse.

Mit einer aktuellen Auflage von knapp500.000 Exemplaren zählt die Frankfurter All-

| Manuel Marx

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gemeine Zeitung (FAZ) zu den größten Tages-zeitungen in Deutschland (Informationsge-meinschaft zur Feststellung der Verbreitungvon Werbeträgern e.V. 2011 ). Sie gilt als dasüberregionale Leitorgan einer konservativenMitte, das sowohl konservative als auch libe-ralere Positionen innerhalb des politischenSpektrums vertritt (Jäger/Jäger 2007: 142).Mit der klaren Positionierung und ihren viel-fach relevanten Debatten und Bewertungen istdie FAZ in besonderer Weise zur Offenlegungder räumlichen Ordnungsvorstellungen mitBezug zur europäischen Außengrenze geeig-net. In der FAZ sind zwischen der Gründungvon FRONTEX am 1 . Januar 2005 und demAbschluss des Recherchezeitraums der vorlie-genden Analyse am 1 . Mai 2011 72 Artikel zurGrenzschutzbehörde erschienen.

5 Kritische Diskursanalyse als methodischerWerkzeugkasten

Die konkrete Vorgehensweise der Untersu-chung lässt sich in Anlehnung an Jäger in dreiübergeordnete Phasen einteilen (Jäger 2009:190–194):

Auf Grundlage einer Stichwortsuche imelektronischen Datenbankinformationssystemdes Pressearchivs der FAZ erfolgt die Zusam-menstellung des Datenmaterials. Für die Da-tenanalyse liegen nach der Stichwortsuche alleZeitungsartikel vor, die sich im Analysezeit-raum mit der europäischen Grenzschutzagen-tur beschäftigten.

Nach der Zusammenstellung des Datenkor-pus erfolgt die eigentliche Datenanalyse. Allezusammengetragenen Artikel des verdichtetenSamples werden in mehreren Durchgängenmit Hilfe eines softwaregestützten qualitativenAuswertungsverfahrens durch den Prozess derinterpretativen hermeneutischen Textausle-gung analysiert (Keller 2011 : 72). Hierfürwird innerhalb der Strukturanalyse die inhalt-liche Erfassung des Diskursstrangs herausgear-beitet, um konkrete Themen bzw. Unterthe-men der Berichterstattung offenzulegen (Jäger2009: 192). Um einen interpretativen Zugangzu dem gewonnenen Datenmaterial zu schaf-fen, orientiert sich die Analyse im Rahmen derStrukturanalyse an der Kodierstrategie dergrounded theory (Strauss/Corbin 1996). Wäh-rend des Analyseschrittes werden die Zei-tungsartikel durch eine gründliche Untersu-chung in ihre einzelnen Teile aufgebrochenund auf Ähnlichkeiten und Unterschiede hin

verglichen. Der zur Feinanalyse herangezoge-ne Zeitungsartikel wird im Anschluss auf diesprachlich-rhetorischen Mittel sowie inhalt-lich-ideologischen Aussagen des Autors analy-siert.

Abschließend werden alle bisher erzieltenErgebnisse der Struktur- und Feinanalyse zu-sammenfassend reflektiert. Erst die integrie-rende Interpretation ermöglicht die Frage zubeantworten, welchen Beitrag die FAZ bei dermedialen Konstruktion geostrategischerRaumbilder durch ihre Berichterstattung überFRONTEX generiert.

6 Die räumlichen Ordnungsvorstellungen derBerichterstattung

Wie skizziert wurde, konstruiert Sprache ingesellschaftlichen Praktiken den Bedeutungs-gehalt der raumwirksamen Argumentationss-trukturen und Kontextualisierungen. Zeitungs-artikel zu einem Thema hinsichtlich ihrersprachlichen Struktur zu untersuchen, kannalso Rückschlüsse darüber liefen, wie Räumedargestellt und konstruiert werden (Marxhau-sen 2010: 135ff.). Der Berichterstattung derFAZ wird vor diesem Hintergrund eine akzep-tanzsteigernde Wirkung räumlicher Ordnungs-vorstellungen in einer Gesellschaft unterstellt.Um die raumwirksamen Deutungsmuster her-auszuarbeiten, werden innerhalb der Struktur-analyse des Datenmaterials jedem Textab-schnitt der Berichterstattung inhaltlicheSchlagwörter (Codes), zugeordnet.

In den 72 herangezogenen Beiträgen konn-ten 70 unterschiedliche Codes identifiziertwerden. Hierbei verweisen bereits die Code-häufigkeiten auf die Dominanz beziehungs-weise Marginalität einzelner Begrifflichkeiten.So wird der europäische Grenzschutz in derBerichterstattung immer wieder in Verbindungmit der Mittelmeerregion gebracht, wohinge-gen dem Schutz der osteuropäischen Land-grenze nur eine geringe Bedeutung zugemes-sen wird. In den 72 untersuchten Beiträgentauchen lediglich fünfmal die BezeichnungOstgrenze und achtmal südöstliche Grenze auf,obwohl nach Angaben von FRONTEX an dersüdosteuropäischen Landgrenze im Jahr 2010der größte Anteil illegaler Grenzübertrittefestgestellt wurde (FRONTEX 2011 : 15). DieBezeichnung Mittelmeer taucht hingegen 19-mal, Lampedusa sowie Malta 15-mal und Nord-

afrika zwölf mal auf.Somit wird ein unmittelbarer geographi-

Räume, Grenzen, Narrative |

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9entgrenzt 6/2013

scher Zusammenhang bei den Herausforderun-gen des europäischen Grenzschutzes herge-stellt. Dies verdeutlichen insbesondere die 52herausgearbeiteten Bezeichnungen Afrika so-wie 39 Textpassagen, in denen die Etablierungvon Pufferzonen angesprochen wird. DieseTextsegmente verdeutlichen, welche „Räumedes Risikos“ (Belina 2010: 189) an der Außen-grenze als potenzielle Gefahr für das europäi-sche Territorium angesehen werden und fürdessen Schutz von zentraler Bedeutung er-scheinen. Insbesondere von Afrika muss sichEuropa anscheinend abschotten. Solche räum-lichen Stereotype im Umgang mit potenziellenSicherheitsrisiken tragen zu einer gesellschaft-lichen Wahrnehmung bei, die zunehmendeMilitarisierung und Abschottung gegenüberden nordafrikanischen Staaten als angemesse-ne Antwort zur Herstellung europäischer Si-cherheit erscheinen lässt.

Doch welche Gefahren lauern auf der ande-ren Seite der Grenze? Obwohl in der Realitätselten eine einzige ursächliche Bedingung einPhänomen produziert, verweist die Berichter-stattung überwiegend auf konkrete Ereignisse,die zur Versicherheitlichung des europäischenGrenzschutzes beitragen. So taucht im Daten-korpus 42-mal illegale Einwanderung als dring-liches Problem auf.

Weiterhin verdeutlichen die Zeitungsartikel,welche Bedingungen als entscheidend für dieSicherheit in Europa angesehen werden. DieCodierung und die anschließende Verknüp-fung lässt zwei kontextuale Bedingungen deut-lich werden, innerhalb derer die Handlungs-strategien zur Aufrechterhaltung europäischerSicherheit stattfinden (Strauss/Corbin 1996:80). Zum einen verweist die Berichterstattungin 22 Bezeichnungen auf den Kontext der eu-ropäischen Integration, der die Grenzsiche-rungspolitik vor steigende Herausforderungenstellt. Um die prosperierende Kernzone Euro-pas von externen Störungen abzuschirmen, er-geben sich daraus Forderungen nach einertieferen Integration der europäischen Grenzsi-cherungspolitik. Zum anderen taucht mit sechsCodings das Thema Wohlstandsgefälle zwischender EU und den außereuropäischen Staaten imDatenkorpus auf. Mit Betonung eines vorhan-denen Wohlstandsgefälles verstärkt die Be-richterstattung die Ansicht, Drittstaaten in daseuropäische Grenzregime einzubinden. InForm von Kooperation und finanzieller Unter-stützung werden die Anrainerstaaten in dieVerwirklichung europäischer Sicherheitsvor-

stellungen eingebunden (Eigmüller 2007: 77).Die geäußerten Handlungsstrategien wer-

den durch sogenannte intervenierende Bedin-gungen gefördert oder erschwert (Strauss/Corbin 1996: 82). Hierbei verweist die Be-richterstattung mit 34 Textsegmenten insbe-sondere auf einen mangelnden Grenzschutz dereuropäischen Grenzschutzagentur. Neben denfehlenden personellen Ressourcen überwiegtdie unzureichende technische Ausrüstung vonFRONTEX als größte Handlungsblockade füreinen effektiven Grenzschutz. Weiterhin in-tensiviert die organisierte Kriminalität (31 Co-dings) in Form von Waren- und Menschen-schmuggel die Relevanz für den Schutz dereuropäischen Außengrenze. Die Darstellungunkontrollierter Immigration als Schleuserkri-

minalität, Menschenhandel und sogar Terroris-

mus zeichnet ein Bild, das auf diffuse Weise ir-reguläre Migration mit den Machenschaftenorganisierter Kriminalität und mafiöser Netz-werke in Verbindung bringt (Krause2009:   326).

Im Ergebnis trägt die Berichterstattung zurWahrnehmung geographischer Risikoräumebei, die in den Schutz der Außengrenze einbe-zogen werden, indem sie aktiv zum Grenz-schutz beitragen sollen und im Sinne einesVerursacherprinzips für vermeintliche Lückenim Sicherheitssystem zur Verantwortung ge-zogen werden (Belina 2010: 189ff. ; Eigmüller2007: 80). Insgesamt betont die FAZ in IhrenBeiträgen die handlungsorientierten Heraus-forderungen zum Schutz einer undurchlässi-gen europäischen Außengrenze. Eine kritischeAuseinandersetzung mit den operativen Tätig-keiten der europäischen Grenzschutzbehördespielt hingegen nur eine untergeordnete Rolle.So berichtet die FAZ über den gesamten Zeit-raum deutlich seltener von Flüchtlingsdramenoder den zum Teil menschenunwürdigen Ver-hältnissen in Flüchtlingslagern.

7 Das metaphorische Mauerwerk der Begründungsrhetorik

Deutungsmuster entstehen auch aus densprachlich-rhetorischen Mitteln der Autoren.So mancher Artikel im politischen Feuilletonnimmt Rekurs auf die Argumentationslogikengeostrategischer Raumvorstellungen. Der Arti-kel Schengen darf nicht gefährdet werden liefertdazu besonders verdichtete und klar heraus-zuarbeitende Aussagen.

Der ausgewählte Artikel von Nikolas Busseerschien als Kommentar in der Freitagsausga-

| Manuel Marx

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10 entgrenzt 6/2013

be der FAZ am 29. April 2011 auf Seite eins.Innerhalb eines solchen Meinungsbeitrags hatder Journalist sowohl die Pflicht zu einer kla-ren Positionierung als auch die Verpflichtung,Orientierung für den Leser zu geben (Bröder1976: 65). Ein Kommentar erläutert die Wich-tigkeit des Themas, interpretiert die Bedeu-tung und macht mit Zusammenhängen ver-traut (Lüger 1995: 126). Somit dient er unmit-telbar der Meinungsbildung der Leser. Dies er-höht die potenziell manipulative Macht desKommentars, wodurch er zur Offenlegung derRaumwahrnehmungen und Ordnungsvorstel-lungen besonders interessant ist.

Inhaltlich sensibilisiert Nikolas Busse imRückgriff auf die Umbrüche in Nordafrika undder daraus folgenden Flüchtlingssituation sei-ne Leser für die Notwendigkeit einer gesicher-ten europäischen Außengrenze. Aus seinenGedanken über die negativen Auswirkungenauf den Schengenraum leitet er zu den damitverbundenen Folgen für ein vereintes Europaüber. Der Autor zeigt schließlich, die aus sei-ner Sicht einzig mögliche Handlungsoptionder EU auf: Durch die operative, technischeund personelle Stärkung sowie die Ausweitungdes Einsatzgebietes der europäischen Grenz-schutzagentur soll die EU sich massiv von denaußereuropäischen Risiken abschotten. DerArtikel schließt mit der Schlussfolgerung, dasses weder im Interesse der EU noch im Interes-se der Herkunftsländer sei, die Wanderungsbe-wegungen nicht konsequent und mit aller Här-te zu unterbinden.

Wie bei Zeitungskommentaren üblich, do-miniert in sprachlicher Hinsicht bei der argu-mentativen Themenentfaltung das Prinzip derabhängigen Verknüpfung, der Subordinationvon Satzteilen (Brinker 2010: 69ff.). Dies zeigtsich beispielsweise an der konsekutiven Satz-verknüpfung „Wenn das Vertrauen in dieSpielregeln des Schengen-Systems einmal ver-loren ist, dann wird man in Europa vielschneller wieder Schlagbäume sehen“. Eineweitere wichtige Art der Verbindung vonHaupt- und Gliedsatz stellen für den Autor diekausalen Satzverknüpfungen dar: „Nur wennFRONTEX in tunesischen Gewässern operierendarf, kann verhindert werden, dass aus diesemLand überhaupt Boote nach Europa abfahren“oder „Dass die Italiener den Migranten das Tornach Europa öffnen, war genau das falsche Si-gnal an alle diejenigen, die in Afrika auf ge-packten Koffern sitzen“.

Wesentlich für die Argumentation des Au-

tors sind der hergestellte Zusammenhang zwi-schen These, Argumenten und Schlussregel,sowie die Einordnung in den Kontext dernordafrikanischen Umbrüche, durch die derargumentative Aufbau gestützt wird. Die ge-samte argumentative Themenentfaltung ba-siert auf einer identitäts- und raumbezogenenAuffassung europäischer Bedrohungswahrneh-mungen. Diese implizit vorhandene Wertbasisdes Autors setzt die subjektive Ordnung derim Kommentar verbreiteten Meinung als ob-jektiv gültig.

Die außersprachlichen Sinnzusammenhängebei der Verkettung inhaltlicher Zusammen-hänge sind eine auffällige Argumentations-form (Brinker 2010: 47). So tauchen im Kom-mentar zahlreiche implizite Bedingungen fürdie Interpretierbarkeit des Kontexts durch denLeser auf (Präsuppositionen). Der Autor setztfür seine Leser gedankliche Zwischenschrittevoraus, die auf eine vorhandene Existenz Eu-ropas anspielen: „Eine wirkliche Massenfluchthat Europa das letzte Mal in den neunzigerJahren erlebt“, „größten Fortschritt Europas“,„Europa kann nicht die Armen aus aller Weltaufnehmen“.

Infolge eines solchen Argumentationsver-fahrens wird die Existenz einer klar abgrenz-baren Entität in Form eines geographischenEuropas durch den Autor generiert und dieWelt dichotomisierend in ein wir und ein sie

aufgeteilt (Agnew 1998: 51 ; Hettlage/Deger2007: 9). Mittels des Nebensatzes „dass ausdiesem Land überhaupt Boote nach Europaabfahren“ wird der vorangestellte Hauptsatz„Nur wenn FRONTEX in tunesischen Gewäs-sern operieren darf, kann verhindert werden“als unabdingbare Voraussetzung zum Schutzder Außengrenze angesehen. Eine klare Ab-grenzung Europas und einer europäischenIdentität wird infolgedessen durch den Autorvorausgesetzt, mit der er zugleich Risikoräumeentlang der Außengrenze schafft, die in ersterLinie als Bedrohung wahrgenommen werden.

Die gebrauchten Modalverben können(dreimal), sollen (dreimal), dürfen (zweimal)und wollen (einmal) verdeutlichen hierbei dennormativen Anspruch des Autors. Dabei ver-weist in erster Linie das final verwendete sol-

len auf die Intentionalität des Textes. Der fastdurchgehende Gebrauch des Indikativs imPräsens in der grammatikalischen Strukturunterstellt, dass die Behauptungen in einer ArtGesetzmäßigkeit allgemeingültig sind (Marx-hausen 2010: 278).

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Weiterhin verrät Busses Metaphorik vielüber die zugrundeliegenden Deutungsmuster.Metaphern bieten die Möglichkeit, komplexePhänomene in bildlichen Erläuterungen in be-kannte und einfache Zusammenhänge zuübertragen und zu veranschaulichen. Aus lin-guistischer Perspektive dient das Stilmittel inerster Linie zur Dramatisierung beziehungs-weise Über- und Untertreibung. Auf Grund derkognitiven Strukturierung prägen sie Inhaltund Konzeption des Diskursfragments(Niehr/Böke 2003: 330).

Die metaphorischen Ausdrücke Migranten-ansturm, Migrationsdruck und Exodus struktu-rieren den Themenkomplex Migration für denLeser kognitiv vor. Der Text aktiviert durchdie Ausdrücke sowohl Naturphänomene, alsauch technische und religiöse Konzepte, dieals semantische Implikationen die Wahrneh-mung von Zuwanderungsprozessen prägen.Dem Leser erscheint Migration als potenziellgefährliche Naturkraft, die unter dem quanti-tativen Gesichtspunkt ein Problem für die eu-ropäische Sicherheit und Wohlfahrt ist. Zu-wanderung sieht der Autor durch die genutz-ten Metaphern als kontinuierlich stattfindendeMassenbewegung an, wodurch Migrationsbe-wegungen zu einem dauerhaft gesellschaftli-chen Problem stilisiert werden. Weiterhin ver-niedlicht der metaphorische Ausdruck „auf ge-packten Koffern sitzen“ die humanitäre Notla-ge ganzer Bevölkerungsgruppen, wodurch dieRealität der Lebensumstände in den betroffe-nen Regionen verhöhnt wird.

Diese Bedrohungsszenarien über außereuro-päische Bevölkerungsgruppen unterstützen dieallmähliche Aufrüstung der europäischen Au-ßengrenze (Eder 2007: 328ff.). Die Zuwande-rung aus Nordafrika wird als emotional be-setztes Thema europäischer Sicherheit kon-struiert, durch die abschottende Gegenmaß-nahmen als rational und legitim angesehenwerden. Mittels raumwirksamer Risikoalloka-tionen skizziert der Autor auf diese Weise eineVersicherheitlichung des EU-Grenzregimes,die zur allmählichen Aufrüstung von FRON-

TEX und zur strikten Grenzziehung am Randder EU beiträgt. Die Argumentation des Autorszielt somit über die Wahrnehmung der Immi-granten als wirtschaftliche Belastungen für dieeuropäische Gesellschaft auf die Exklusion au-ßereuropäischer Bevölkerungsgruppen ab, wo-durch der Charakter einer militärischen Ver-teidigungslinie intensiviert wird (Bermejo2009: 209).

8 Die Verbreitung und Verfestigung der europäischenAußengrenze

Ausgangspunkt der diskurstheoretisch inspi-rierten Untersuchung war die Frage nach dendominanten raumwirksamen Repräsentationeninnerhalb der FAZ-Berichterstattung überFRONTEX. Es konnte gezeigt werden, dass diescheinbare Objektivität nicht mehr als einegeopolitische Vorstellung ist. Aufbauend aufden sozialkonstruktivistischen Annahmen derCritical Geopolitics konnte in der Berichterstat-tung eine räumliche Kategorisierung festge-stellt werden, die durch ihre gesellschaftlicheHeterogenisierung mit einem quasi-natürli-chen Status versehen wird. Die Berichterstat-tung zeichnet eine geodeterministische Land-karte, der räumliche Repräsentationen des Ei-genen und des Fremden zu Grunde liegen.Durch die stereotypisierte sprachliche Verfes-tigung von potenziellen Risikoräumen entste-hen vereinfachte Raumbilder, die infolge ihrerständigen Wiederholung die Wahrnehmungder Leser prägen.

In Form einer kognitiven Kartierung undStigmatisierung von Risikoräumen führt dieBerichterstattung über FRONTEX somit zu ei-ner räumlichen Versicherheitlichung des euro-päischen Grenzregimes. Diese vereinfachtenGeographien führen letztendlich zu der Eta-blierung eines europäischen Containerraums.Europa wird zu einer gated community, mittelsder ein sozial und ethnisch äußerst homoge-nes Territorium unterstellt wird (Davis 1990:288). Die Berichterstattung trägt in dieserHinsicht zu der Wahrnehmung einer pseudo-homogenen Einheit auf europäischer Ebenebei, die durch Sicherheitseinrichtungen undAbsperrungen von einem potenziell bedrohli-chen Außen separiert wird.

Die herausgearbeiteten Deutungsmusterund Raumbilder eines versicherheitlichten eu-ropäischen Grenzregimes legen ein stereotypi-siertes Raumverständnis nahe, das nicht fähigist, die Vielfältigkeit des europäischen und au-ßereuropäischen Raums abzubilden. Vielmehrzielt die Berichterstattung der FAZ auf dieEtablierung einer eigenständigen Entität Euro-pas, die im Ergebnis als Rahmenbedingung indie zukünftige Ausgestaltung der europäischenGrenzziehung eingeht. Der geschaffene Raumist durch den Einsatz von Kameras, Wachper-sonal, Überwachungssystemen und anderenSicherheitseinrichtungen militarisiert und re-guliert den Zugang zum abgeschotteten Ge-

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biet. Die Analogie zu geschlossenen Wohnan-lagen in südamerikanischen Großstädten, dieihre Grenze kontrollieren, überwachen undverwalten, liegt nicht fern.

Die kritisch-konstruktivistische Perspektiveermöglicht dabei die raumbezogenen Aspektezu hinterfragen, um die Kontingenz unseresDenkens aufzuzeigen und die räumliche Reali-tät, mit der wir selbstverständlich umgehen,als Ergebnis eines komplexen sozialen Kon-struktionsprozesses offenzulegen.

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Basierend auf den theoretischen Annahmen der

Co-Location-Hypothese und der Darstellung des

aktuellen empirischen Wissenstands wurde ein

Datensatz mit mehr als 2,65 Mio. Pendelrelatio-

nen auf Kreisebene erzeugt und mit Informatio-

nen hinsichtlich der raum- und qualifikationss-

trukturellen Zusammensetzung von 219 deutschen

Branchengruppen ergänzt. Mittels der Anwendung

einer generalisierten ordinalen Regression wird

aufgezeigt, dass dekonzentrierte Branchen im

Durchschnitt geringere Pendelzeiten besitzen.

Weiterhin erlauben die Ergebnisse eine Differen-

zierung der Feststellung, nach welcher mit einem

höherem Ausbildungsniveau zeitintensivere Pen-

deldistanzen einhergehen.

1 Einleitung

„Wir mussten uns Gedanken darüber machen,ob wir es wagen sollten weiterzuziehen undein komplett neues soziales Umfeld aufzubau-en. […] Oder aber wir sagen: Nein, wir nutzenlieber unser stabiles Umfeld und die Unter-stützung unserer Verwandten, bleiben also,und nehmen es in Kauf zu pendeln (männlich,38 Jahre)“ (Röß 2011 : 17).

Prozesse der Globalisierung führen dazu,dass Geld-, Waren-, und Kommunikationsströ-me immer schneller zirkulieren, neue Märkteerschlossen und alte Standorte aufgegebenwerden. Der sektorale Wandel hin zu einerwissensbasierten Dienstleistungsgesellschaftstellt sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitneh-mer vor immer neue Herausforderungen.Zahlreiche Studien (Sennett 2000, Boltan-ski/Chiapello 2003) verdeutlichen, dass dieglobale Mobilität immer weiter zunimmt unddie Bereitschaft zur Überbrückung räumlicherDistanzen heute ein zentrales Merkmal desAnforderungsprofils zahlreicher Berufsgruppenist (Ruppenthal 2010: 5f.). Immer mehr Perso-nen stehen im Laufe ihrer Erwerbsbiografie

vor ähnlichen Entscheidungen, wie das einlei-tende Zitat impliziert (Ruppenthal et al. 2006:87–90). Insgesamt wurden im Jahre 2002 inDeutschland mehr als 250 Mrd. Kilometer anPendelstrecke für Berufs- und Ausbildungs-zwecke zurückgelegt (BMVBW 2004: 228f.)und der Anteil der Fernpendler, die Entfer-nungen von mehr als 50 km zwischen Wohn-und Arbeitsort zurücklegen müssen, steigt an(Statistisches Bundesamt 2005: 58). „Die De-terminanten der zunehmenden räumlichenTrennung von Wohnen und Arbeiten wurdenwährend der letzten Jahrzehnte im In- undAusland detailliert untersucht. Die themati-sche Spannbreite dieser Arbeiten erweist sichals vielschichtig, nicht zuletzt, weil sich Studi-en zum Berufsverkehr generell im Überschnei-dungsbereich zahlreicher Fachrichtungen be-finden“ (Guth et al. 2010: 3). Obwohl sichdemnach verschiedenste Disziplinen intensivmit der Thematik des Berufspendelns befassen,existieren noch zahlreiche Wissenslücken. Sowird innerhalb der raumwissenschaftlichenForschung darauf hingewiesen, dass eine dif-ferenzierte Betrachtung des Berufsverkehrs aufBranchenebene wertvolle Erkenntnisse liefernkann (Siedentop 2007: 113). Für den deut-schen Raum fehlen umfassende Studien zurAnalyse von Pendeldistanzen auf Branchene-bene nahezu gänzlich. Der vorliegende Artikelunternimmt einen ersten Schritt in dieseRichtung, indem die Frage aufgeworfen wird,welche Einflüsse die räumliche Verortung so-wie die qualifikationsstrukturelle Zusammen-setzung der Belegschaft eines Wirtschaftsbe-reichs auf die Ausprägung der zeitlichen Pen-deldistanzen in Deutschland besitzen. Dazuwerden über 2,65 Mio. Pendelrelationen aufKreisebene in Beziehung zu raum- und qualifi-kationsstrukturellen Eigenschaften von 219verschiedenen Branchen gesetzt.

In welchen Wirtschaftsbereichen sind dieArbeitnehmer am längsten unterwegs?

Tobias Ebert (Philipps-Universität Marburg)

Eine deutschlandweite Untersuchung von Berufspendeldistanzen in Abhängigkeit vonraum- und qual ifikationsstrukturel len Branchenmerkmalen

In welchen Wirtschaftsbereichen sind die Arbeitnehmer am längsten unterwegs? |

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2 Definitorischer und theoretischer Betrachtungsrahmen

Der weitere Verlauf dieses Artikels folgt derMaßgabe, dass die unterwegs verbrachte Zeitund nicht die zurückgelegten Kilometer dieAufwendungen und Belastungen des Berufs-pendelns wesentlich wirklichkeitsnäher dar-stellen (Eckey et al. 2007: 9). Aus diesemGrund ist im Folgenden, wenn von (Be-rufs)Pendeldistanz gesprochen wird, stets diezeitliche Entfernung zwischen zwei Standortengemeint und die Begriffe Pendeldistanz undPendelzeit werden entsprechend synonym ver-wendet.

Um die Standortwahl von Wohnort und Ar-beitsplatz und somit die resultierenden Pen-deldistanzen zu erklären, existieren eine Reiheverschiedener Theorien und Modelle. Zweizentrale Ansätze, die in diesem Kontext zunennen sind, stellen die Pendeltoleranzschwel-lentheorie sowie die Rationale Optimierungs-theorie dar. Erstere geht davon aus, dass zeit-liche Belastungen durch den Berufsverkehr alsunproblematisch wahrgenommen werden, so-lange eine kritische Zeitschwelle nicht erreichtwird. Erst deren Überschreitung führt zurWahl eines näheren Wohn- oder Arbeitsstand-ortes (Einig/Pütz 2007: 77, Getis 1969; vanOmmeren et al. 1997). Die Rationale Optimie-rungstheorie hingegen betrachtet Standortent-

scheidungen als Resultat eines Optimierungs-verhaltens, bei dem eine Gewinn- bzw. Nut-zenmaximierung angestrebt wird. Hinsichtlichder Verteilung der Arbeitsplätze wird von ei-ner Konzentration im Agglomerationskernausgegangen und Standortentscheider wählenweiter auseinanderliegende Standorte, solangeder entstehende Pendelaufwand den höherenWohnnutzen nicht übersteigt (Bathelt/Glück-ler 2003: 24, Einig/Pütz 2007: 73f. , Siedentop2007: 105).

Die Co-Location-Hypothese, die zahlreicheImplikationen für den weiteren Fortgang die-ses Beitrages besitzt, hält die Annahme dermonozentrischen Verteilung der Arbeitsplätze,wie sie in der Rationalen Optimierungstheorieunterstellt wird, für nicht mehr zeitgemäß.Neben der Verlagerung von Wohnstandortenin den suburbanen Raum, fand in der Vergan-genheit ebenso eine fortschreitende Dekon-zentration von ökonomischen Aktivitätenstatt. Die negativen Folgen ökonomischerKonzentration in den Kernstädten, wie z.B.hohe Bodenpreise und eine steigende Ver-kehrsbelastung, haben dazu geführt, dass inden Industriestaaten der nördlichen Hemi-sphäre ein neuer suburbaner Arbeitsmarktentstand. Dies bedingt letztlich, dass Arbeit-nehmer zwischen verschiedenen Arbeitsstand-orten in Umland und Kernstadt wählen kön-

Abb. 1: Übersicht zu empirisch belegten Determinanten von Pendeldistanzen (Quelle: eigene Darstellung).

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nen (Siedentop 2007: 105). Auch die Co-Loca-tion-Hypothese unterstellt ein rationales Han-deln, zieht allerdings den zeitlich bemessenenPendelaufwand als determinierenden Faktorheran. „Die Standortwahl der Haushalte istdemzufolge auf eine Minimierung der Pendel-kosten in Form des Zeitaufwands ausgerichtet“(Schulze 2009: 6). Dieses zeitliche Minimie-rungsstreben findet darin Ausdruck, dass Be-rufswege auf den zeitaufwändigsten Pendelre-lationen, also den staugefährdeten Verbin-dungen innerhalb der großen Städte und denradialen Verbindungen zwischen Umland undKernstadt, gemieden werden. Stattdessen er-fahren tangentiale Pendelwege, bei denenWohn- und Arbeitsort außerhalb der städti-schen Zentren liegen, eine erhöhte Nachfrage(Einig/Pütz 2007: 74, Siedentop 2007: 105).Da der suburbane Raum gegenüber den urba-nen Zentren eine überproportional hohe Rei-segeschwindigkeit vorweisen kann(BMVBS/BBR 2007: 14), ermöglichen tangen-tiale Verbindungen auch bei längeren Wegenkürzere Pendelzeiten. Der Umzug ins Umlandzielt also weniger auf die Reduzierung derräumlichen Distanz, sondern auf die Verringe-rung bzw. Stabilisierung der zeitlichen Belas-tung ab (Einig/Pütz 2007: 74, Siedentop 2007:105).

3 Empirischer Wissensstand zur Erklärung vonPendeldistanzen

Es existieren im In- und Ausland zahlreicheUntersuchungen, die die Beziehung zwischender Ausprägung von Berufspendeldistanzenund verschiedenen Merkmalen auf Mikro- undMakroebene analysieren. In Abb. 1 sind dieErgebnisse einiger Studien zu Einflussfaktorenauf Pendeldistanzen schematisch dargestellt.Die hervorgehobenen Kriterien PersönlicheQualifikation sowie Raumstruktur werdenhierbei aufgrund ihrer Relevanz für die fol-gende Ableitung der Forschungshypothesenexplizit erläutert. Um einen möglichst engenBezug der empirischen Befunde zur späterenUntersuchung zu gewährleisten, wurde wei-testgehend eine Fokussierung der Ergebnisseauf den deutschen Raum vorgenommen.

3.1 Das persönliche Ausbildungsniveau als Einflussgrößeder Mikroebene

Verschiedene Studien sowie auch Abb. 2 zei-gen auf, dass mit einem höheren persönlichenAusbildungsniveau größere durchschnittlichePendeldistanzen einhergehen. (Haas/Hamann2008, Papanikolaou 2006, Statistisches Bun-desamt 2005). Neben einer bei Hochqualifi-

Abb. 2: Durchschnittliche Pendeldistanzen nach Alter; differenziert nach Beschäftigungsverhältnis und Qualifikationsniveau(Quelle: Papanikolaou 2006: 18).

In welchen Wirtschaftsbereichen sind die Arbeitnehmer am längsten unterwegs? |

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zierten generell höheren Bereitschaft zu beruf-licher Mobilität, sind in diesem Kontext aberauch raumstrukturelle Parameter zu beachten.Wie Haas/Hamann (2008) darlegen, pendelnHochqualifizierte relativ stärker in Kernstädteein, da dort eine höhere Nachfrage nach ent-sprechenden Arbeitskräften besteht. Die Co-Location-Hypothese besagt, dass die zeitauf-wändigsten Pendelwege jene vom Umland indie Kernstädte sind. Diese These wird in Kapi-tel 3.2 empirisch untermauert. Wird nun da-von ausgegangen, dass aufgrund der vornehm-lichen Verortung ihrer Arbeitsstätten im in-nerstädtischen Bereich diese Form der Pendel-verflechtung überproportional oft beiHochqualifizierten vorzufinden ist, so kanndies eine mögliche Teilerklärung für die imMittel höheren Pendeldistanzen von gut aus-gebildeten Personen sein.

3.2 Raumstrukturelle Einflüsse als Determinanten derMakroebene

Hinsichtlich des weiteren Fortgangs dieser Un-

tersuchung besitzen insbesondere raumstruk-turelle Parameter einen bedeutsamen Stellen-wert. Wie Abb. 3 zeigt, stellt Deutschland inBezug auf den Pendelverkehr keinen homoge-nen Raum dar. Während hohe Pendeldistan-zen in den strukturschwachen RegionenDeutschlands auf einen arbeitsmarktinduzier-ten Mobilitätsdruck zurückzuführen sind(Winkelmann 2010: 42), fokussieren Untersu-chungen von Pendeldistanzen um Agglomera-tionsräume primär die Auswirkungen vonSuburbanisierungsprozessen auf den Berufs-verkehr (Einig/Pütz 2007, Siedentop 2007,Guth et al. 2009).

Verschiedene Untersuchungen kommen fürden deutschen Raum übereinstimmend zu demErgebnis, dass die Kernstadtbereiche als diewichtigsten Arbeitsplatzzentren fungieren unddie radial gerichteten Pendelströme vom Um-land in die Kernstädte hinein nach wie vor dielängsten Relationen darstellen (Einig/Pütz2007; Papanikolaou 2006; Schulze, 2009;Winkelmann 2008). Jedoch ist „wie in ande-ren westlichen Industriestaaten auch in der

Abb. 3: Struktur und Entwicklung der Pendeldistanzen in Deutschland (Quelle: BBSR 2007).

| Tobias Ebert

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Bundesrepublik seit den 1970er Jahren einräumlicher Dekonzentrationstrend der Be-schäftigung feststellbar. [. . . ] Neben den subur-banen Räumen konnten auch ländliche Gebie-te in erheblichem Umfang Beschäftigungsge-winne erzielen, während die Kernstädte derAgglomerationen deutliche Arbeitsplatzverlus-te erlitten“ (Siedentop 2007: 113). Unter Be-rufung auf die Co-Location-Hypothese, müsstedieser Prozess einen dämpfenden Einfluss aufdie Entwicklung der Pendeldistanzen nachsich ziehen. Wie bereits angeklungen, zeigenzahlreiche Untersuchungen jedoch auf (bspw.Statistisches Bundesamt 2005), dass in derVergangenheit die durchschnittliche Pendeldi-stanz sogar angestiegen ist. Diese Feststellung,die auf den ersten Blick der Co-Location-Hy-pothese zuwiderläuft, reicht allerdings nichtaus um diese zu falsifizieren, da es durchausmöglich ist, dass ein distanzmindernder Effektder Beschäftigungssuburbanisierung von dis-tanzsteigernden sozioökonomischen und de-mographischen Faktoren überlagert wurde(Siedentop 2007: 106).

In einer umfassenden Untersuchung zurEvidenz und Haltbarkeit der Co-Location-Hy-pothese in Deutschland kommt Siedentop(2007: 121 ) zu dem Ergebnis, dass diese we-der bestätigt noch eindeutig widerlegt werdenkann. Er weist zudem auf die Problematik hin,dass bis dato für den deutschen Raum keineumfassenden Studien vorliegen, die Berufs-pendeldistanzen auf Basis von Branchen un-terscheiden. Dies wiegt schwer „angesichtszahlreicher Hinweise, dass sich die Wirkungenvon Dezentralisierungsprozessen der Ar-beitsplätze auf Berufstätige in verschiedenenWirtschaftsbereichen unterscheiden“ (Sieden-top 2007: 113). Ott/Gerlinger (1992) differen-zieren den deutschen Pendelverkehr zwischen1950 und 1987 zwar nach Wirtschaftsberei-chen, allerdings werden lediglich die Berufs-ein- und auspendlerquoten für bis zu zehnsehr grob abgegrenzte Wirtschaftssektoren be-trachtet (Ott/Gerlinger 1992: 88–94). So bie-ten diese Befunde für die hier aufgeworfeneFragestellung sowie die Entwicklung einesForschungsdesigns nur einen geringen Mehr-wert. Die größte thematische Ähnlichkeit zuder vorliegenden Untersuchung besitzt wohlder Beitrag von Crane/Chatman (2004), indem der Zusammenhang zwischen Beschäfti-gungssuburbanisierung und der Pendeldistanz-entwicklung für sieben verschiedene Wirt-schaftsbereiche in US-Regionen analysiert

wird. Die Autoren gelangen zu dem Ergebnis,dass mit zunehmender ökonomischer Subur-banisierung im Durchschnitt kürzere Pendel-distanzen einhergehen. Allerdings zeigt sichauch, dass zwischen den Wirtschaftssektorenausgeprägte Unterschiede in der Stärke und inder Wirkungsrichtung des Zusammenhangsbestehen. Während bspw. in der Bauindustriesowie im Großhandel und dem Dienstleis-tungsbereich die Pendeldistanzen mit zuneh-mender Dekonzentration zurückgingen, wur-den im produzierenden Gewerbe und im Fi-nanzbereich steigende Pendelzeiten festge-stellt (Crane/Chatman 2004: 320 ff).

4 Ableitung der Forschungshypothesen

Die Kombination der beiden Feststellungenwonach a) das Ausbildungsniveau des Arbeit-nehmers signifikanten Einfluss auf die zurück-gelegte Pendeldistanz besitzt und b) sichBranchenbelegschaften hinsichtlich der Zu-sammensetzung nach Qualifikationsniveauunterscheiden, führt uns zur ersten For-schungshypothese:

H1 : Wissensintensive Branchen, deren Be-legschaft einen hohen Anteil von hochqualifi-zierten Arbeitskräften aufweist, besitzen imDurchschnitt längere Pendeldistanzen.

Die zweite Hypothese kombiniert die An-nahme, wonach die radialen, innenstadtge-richteten Pendelbeziehungen die zeitintensivs-ten sind, mit dem Befund, dass die Dekonzen-tration der Branchen unterschiedlich weitfortgeschritten ist (Haas/Südekum 2005; Ei-nig/Zaspel 2006).

H2: Wirtschaftsbereiche, die durch einenhohen Anteil von Beschäftigung außerhalb desKernstadtbereichs gekennzeichnet sind, wei-sen durchschnittlich kürzere Pendeldistanzenauf, als solche, die sich stark in innerstädti-schen Bereichen konzentrieren.

5 Datengrundlage und Methodik

5.1 Aufbau des Datensatzes und Deskription der Variablen

Die Hauptdatengrundlage dieses Beitrags bil-det die schwach anonymisierte Stichprobe derIntegrierten Erwerbsbiografien des Institutsfür Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB),Version 1975–2008 (Dorner et al. 2012: 8).Aus dieser wurde für die Jahre 2003–2008 einQuerschnittsdatensatz mit 2.652.852 Erwerbs-

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biographieabschnitten von sozialversiche-rungspflichtig Beschäftigten erzeugt. Der soentstandene Datensatz enthält die Angaben, inwelcher von insgesamt 219 Branchen (drei-stellige Klassifikation der Wirtschaftszweigenach Statistisches Bundesamt 2003) eine Per-son beschäftigt war, sowie in welchem Kreisbzw. welcher kreisfreien Stadt sich jeweils derWohn- und Arbeitsort befanden. Gemäß Ta-belle 1 wurde zur Charakterisierung der ein-zelnen Branchen diese Datengrundlage an-schließend mit Informationen zur Qualifika-tionsstruktur der Branchenbelegschaft unddem jeweiligen Anteil der Beschäftigten in denvier zusammengefassten Kreistypen (nachBBSR 2011) ergänzt. Diese Brancheneigen-schaften gehen schließlich als metrische Re-gressoren in die durchzuführende Regressions-analyse ein.

Als Zielvariable wurden aus den Angabenzum Wohn- und Arbeitskreis einer Person, ge-mäß Tabelle 2, fünf verschiedene Entfernungs-kategorien definiert. Die Zuweisung einer Pen-delrelation in eine der Distanzklassifikationenergibt sich, basierend auf Daten des Open-StreetMap-Projektes, als Schätzung der Pkw-Fahrtzeit im unbelasteten Straßennetz zwi-schen den jeweils geographisch zentralstenGemeinden zweier Kreise. Aufgrund von Ver-zerrungsrisiken durch multilokale Haushalts-strukturen werden hierbei, analog zu Eckey et

al. (2007), Relationen, deren Distanz auf grö-ßer als 120 Minuten approximiert wurden, alsunrealistisch angesehen und aus der Betrach-tung ausgeschlossen. Weiterhin ist zu beach-ten, dass allen Personen, deren Wohn- und Ar-beitsort sich innerhalb desselben Kreises be-finden, also Binnenpendlern (Guth et al.2010:   5), keine Pendelzeit zugewiesen werdenkann. Entgegen anderer Ansätze, die Binnen-pendler entweder ganz ausschließen (Winkel-mann 2008; Papanikolaou 2006) oder ihnenWerte in Abhängigkeit der Kreisgröße zuwei-sen (Einig/Pütz 2007, Eckey et al. 2007), sol-len diese hier als eigene homogene Gruppeaufgefasst werden, denen pauschal eine gerin-gere Pendelzeit unterstellt wird als jedemPendler, der auf seinem Berufsweg Kreisgren-zen überschreitet. Diese in der Datenstrukturbedingte Annahme ist für die Realität sicher-lich nicht immer haltbar und führt zudem da-zu, dass rund zwei Drittel aller Datenzeilennicht näher differenziert werden können. Wei-terhin ist davon auszugehen, dass die Pen-deldauer durchschnittlich überschätzt wird, daprinzipiell von einer größeren Wahrschein-lichkeit auszugehen ist, dass von einer Ge-meinde in eine nahegelegene Gemeinde desNachbarkreises gependelt wird, als von einerGemeinde in eine weiter entfernte Gemeindeebendieses Nachbarkreises. Auch die Schät-zung der Pendelzeiten zwischen den Kreisen

Tab. 1: Statistische Eigenschaften der Brancheneigenschaften als metrische Regressoren (Quelle: eigene Darstellung).

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mittels der zentralsten Gemeinde birgt Po-tenzial für Ungenauigkeiten, da der geogra-phische Schwerpunkt keinen Bezug zur Vertei-lung der Bevölkerung und der Wirtschaftskraftin den Kreisen besitzt. Entsprechend gilt auchhier, analog zu anderen Untersuchungen, dieden Pendelverkehr auf Kreisebene untersu-chen (bspw. Eckey et al. 2007), dass die er-mittelten Werte es ermöglichen, Aussagenüber die Verhältnismäßigkeit zwischen Pen-delrelationen zu treffen, nicht aber die in derRealität auftretenden Pendelzeiten abzubilden.

Zusätzlich zu den Brancheneigenschaftensoll mit dem persönlichen Bildungsgrad einbereits empirisch untersuchter Regressor zurEvaluierung der Tragfähigkeit des aufgestell-ten Modells einfließen. Dieser wurde, analogzur qualifikationsstrukturellen Zusammenset-zung auf Branchenebene, in drei Klassen kate-gorisiert und jeweils binär codiert (siehe Ta-belle 3).

Zusätzlich sollen mögliche Interaktionsbe-ziehungen zwischen den Qualifikationsmerk-malen der Branchen- und Individualebeneüberprüft werden. Hierbei ergab sich lediglichfür die multiplikative Verknüpfung zwischen

dem Abiturientenanteil an der Belegschaft ei-ner Branche und dem individuellen Bildungs-merkmal des Hochschulabschlusses ein signi-fikantes Ergebnis. Dieser Parameter geht nunim Folgenden als weitere unabhängige Varia-ble high_bk mit in das Regressionsmodell ein.Da es sich für eine Interpretation der Ergeb-nisse als förderlich erweisen wird, die einzel-nen Raumkategorien in den Regressionsergeb-nissen hinsichtlich der Stärke ihres Zusam-menhangs differenzieren zu können, wurde fürdas Variablenset der räumlichen Branchenei-genschaften eine Standardisierung zu den Va-riablen raumkat_1s bis raumkat_4s vorgenom-men.

5.2 Spezifikation eines geeigneten Analyseverfahrens

Da der Zielvariablen Distanzklasse geordneteKategorien zugrunde liegen und die Zugehö-rigkeit zu einer höheren Klasse damit einher-geht, dass für die jeweilige Person eine größe-re Pendeldistanz angenommen wird, erfülltdie Zielvariable die Voraussetzungen einer or-dinalen Skalierung (Bortz/Schuster 2010: 18).Besitzt die abhängige Variable mehrere Kate-

Tab. 2: Verteilung der Datenzeilen auf die Kategorien der Zielvariablen (Quelle: eigene Darstellung).

Tab. 3: Verteilung der Datenzeilen auf die Kategorien der individuellen Bildungsklasse (Quelle: eigene Darstellung).

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gorien (in diesem Fall sind es fünf), so gleichtdie Regression einer Serie binärer Regressio-nen, bei der zuerst Kategorie 1 zu den Katego-rien 2, 3, 4 und 5 kontrastiert wird und dar-auffolgend die Kategorien 1 und 2 den Kate-gorien 3, 4 und 5 gegenübergestellt werden.Dieser Prozess wird fortgeführt bis sich letzt-lich die Kategorien 1 , 2, 3 und 4 der Kategorie5 gegenübersehen (Williams 2006: 59).

„Das Modell lässt sich motivieren durch dieAnnahme einer latenten (unbeobachteten) Va-riable, die hinter den beobachteten Kategoriensteht. Das Überschreiten einer Schwelle aufdem latenten Kontinuum drückt sich durch ei-ne beobachtbare Kategorie der Zielvariablenaus“ (Fahrmeir et al. 2009: 242). Für die Ana-lyse selbst wurde mittels des STATA-Modulsgologit2 auf die Sonderform des generalisier-ten ordinalen Regressionsmodels zurückgegrif-fen, da dieses Vorgehen es ermöglicht, dass fürdie Teilregressionen der einzelnen Klassen-übergänge jeweils ein eigener Regressionsko-effizient (β-Faktor) gebildet wird. Mathema-tisch drückt sich das in folgender Formel aus,in der beispielhaft der β-Faktor für X3 unter-schiedliche Werte annehmen kann.

6 Darstellung und Auswertung der Ergebnisse

6.1 Vorstellung der Analyseergebnisse

Tabelle 4 gibt die Ergebnisse der durchgeführ-ten generalisierten ordinalen Regression wie-der. Da bei allen Variablen für die einzelnenKlassenübergänge verschiedene Koeffizientenauftreten, kann allgemein festgestellt werden,dass sich die Eigenschaften der Wirtschafts-zweige in verschiedenen Distanzbereichen un-terschiedlich auswirken und entsprechendkein lineares Abhängigkeitsverhältnis zwi-schen Berufspendeldistanzen und Branchen-merkmalen besteht.

Die Regressionsergebnisse lassen Rück-schlüsse darüber zu, inwiefern eine Branchen-oder Personeneigenschaft damit in Verbin-dung steht, welcher Distanzklasse eine Daten-

zeile zugeordnet wird. Die einzelnen Variablensind jeweils in Bezug zu ihrer Referenzkatego-rie zu interpretieren, also zu dem Merkmal ei-ner Variablengruppe, das nicht in das Modelleingebunden wurde. Für die räumlichen Va-riablen ist dies der Anteil der Beschäftigten inKernstädten, für die qualifikationsstrukturelleZusammensetzung einer Branche der Beleg-schaftsanteil ohne Abitur, sowie auf der indi-viduellen Bildungsebene das persönliche Bil-dungsmerkmal ohne Abitur. Für den Anteilvon F&E-Beschäftigten in einer Branche kannaufgrund des Fehlens einer expliziten Refe-renzkategorie der Anteil der Belegschaft alsReferenz gelten, der nicht in F&E beschäftigtist. Ein positives Vorzeichen impliziert, dassbei einer hohen Ausprägung des jeweiligenFaktors eine höhere Wahrscheinlichkeit gege-ben ist, dass die entsprechende Datenzeile ei-ner höheren Distanzklasse zugeordnet wird,während ein negativer Wert entsprechend dasGegenteil besagt.

Über die zusätzlich eingebundenen Varia-blen der Personenebene kann eine Überprü-fung der Sinnhaftigkeit der durchgeführtenAnalyse erfolgen. So zeigt sich, dass Personenmit Abitur bzw. mit Hochschulabschluss, auf-grund der durchgängig positiven Vorzeichen,stets eine größere Wahrscheinlichkeit besit-zen, einer höheren Distanzklasse anzugehörenals die Referenzkategorie der Personen ohneAbitur. Dabei ist die höchste Wahrscheinlich-keit für einen Klassenwechsel stets bei denAkademikern zu finden. Diese Feststellungendecken sich mit empirischen Befunden ander-weitiger Untersuchungen zum Einfluss des in-dividuellen Bildungsgrades auf Pendeldistan-zen und unterstreichen damit die Tragfähig-keit des aufgestellten Modells.

Abb. 4: Mathematische Formel zur Beschreibung eines generalisierten ordinalen Regressionsmodells (Quelle: Will iams 2006: 60).

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6.2 Beantwortung der Forschungshypothesen undErgebnisinterpretation

6.2.1 Interpretation der Ergebnisse der qualifikationss-trukturellen Brancheneigenschaften

Die erste Hypothese, wonach Branchen mit ei-nem hohen Anteil von hochqualifizierten Ar-beitskräften im Schnitt längere Pendeldistan-zen aufweisen, lässt sich nur teilweise verifi-zieren. Die Richtung des Einflusses, der durchden Anteil der F&E-Beschäftigten sowie derPersonen mit Abitur an der Gesamtbelegschaftausgeübt wird, ist als hypothesenkonform zuwerten. Für diese Faktoren ist weitestgehendein positiver Koeffizient zu verzeichnen. Erverdeutlicht, dass wissensintensivere Brancheneine größere Wahrscheinlichkeit für zeitinten-sive Pendeldistanzen besitzen. Zudem ist fürbeide Faktoren festzustellen, dass der Wert desKoeffizienten von Klassensprung zu Klassen-sprung signifikant abnimmt, ehe für den letz-ten Übergang gar die Vorzeichen wechseln.Dies kann letztlich dahingehend interpretiertwerden, dass Personen bereit sind, einen ge-wissen zeitlichen Aufwand in Kauf zu nehmen,um in einer Branche arbeiten zu können, die

ihnen einen angemessenen Arbeitsplatz bietenkann. Diese Bereitschaft sinkt aber mit zuneh-mender Distanz und der Vorzeichenwechselder fünften Distanzkategorie legt nahe, dassim Spektrum zwischen 80 und 120 Minutenoffensichtlich eine Pendeltoleranzschwelleüberschritten wird, bei der diese Bereitschaftnicht mehr gegeben ist.

Nicht hypothesenkonform ist hingegen dasErgebnis für den Anteil der Hochschulabsol-venten an der Branchenbelegschaft. So wirdfestgestellt, dass ein hohes Maß an Graduier-ten in einer Branche das Auftreten von zeitin-tensiven Pendelrelationen unwahrscheinlichermacht. Auf den ersten Blick scheint es unver-einbar, dass auf einer individuellen EbenePersonen mit Hochschulabschluss stets diegrößte Wahrscheinlichkeit besitzen, einer ho-hen Distanzklasse anzugehören, gleichzeitigaber für diejenigen Branchen, die viele Hoch-schulabsolventen beschäftigen, geringe zeitli-che Pendelaufwendungen festzustellen sind.Einen Hinweis für eine Auflösung diesesscheinbaren Konflikts, vermag der eingebun-dene Interaktionsterm high_bk3 zu liefern.Dieser stellt für Graduierte, die in Branchenmit einem hohen Anteil von Abiturienten be-schäftigt sind, eine geringere Wahrscheinlich-

Tab. 4: Darstellung der Koeffizienten und Signifikanzen des teilstandardisierten Modells (Quelle: eigene Darstellung).

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keit für zeitintensive Pendelrelationen fest.Der ermittelte Einfluss auf der individuellenEbene muss also durch Personen bedingt sein,die zwar einen Hochschulabschluss besitzen,allerdings in Branchen beschäftigt sind, in de-nen dies, neben ihnen, nur für einen ver-gleichsweise geringen Anteil der Belegschaftzutrifft. Als Erklärung hierfür kann angeführtwerden, dass hochqualifizierte Arbeitsplätzevielfach in den Verdichtungsräumen angesie-delt sind. So lässt sich vermuten, dass Perso-nen mit einem hohen Bildungsgrad und einerBeschäftigung in wissensintensiven Branchentendenziell einen Wohnort im näheren Umfeldbesitzen. Dies mag darin begründet liegen,dass diese Personen eine höher ausgeprägteBereitschaft zur residenziellen Mobilität besit-zen (Ruppenthal/Lück 2009: 3), sie eine höhe-re Affinität für urbane Lebensformen aufwei-sen und auch finanziell in der Lage sind, denentsprechenden Wohnraum nachzufragen. An-ders stellt sich die Ausgangslage für Akademi-ker da, die Arbeitsplätze in weniger wissensin-tensiven Branchen belegen. Diese Branchensind oftmals dispers außerhalb der großenVerdichtungsräume verteilt. Um eine dem per-sönlichen Bildungsniveau adäquate Beschäfti-gungsmöglichkeit wahrnehmen zu können,müssen die betreffenden Personen entspre-chend größere Distanzen überbrücken. Sokann in Bezug auf die bisher pauschale Fest-stellung, nach der mit einem höheren Bil-dungsgrad tendenziell höhere Pendeldistanzeneinhergehen, erstmals eine Differenzierungvorgenommen werden

6.2.2 Interpretation der Ergebnisse der räumlichen Bran-cheneigenschaften

Zur Überprüfung der aufgeworfenen zweitenForschungsfrage ist für den Anteil der Arbeit-nehmer im verdichteten Umland bzw. imländlichen Raum jeweils ein durchgängighochsignifikanter Zusammenhang festzustel-len, während für Arbeitnehmer im ländlichenUmland in den letzten beiden Klassenübergän-gen kein statistisch nachweisbares Ergebnisgefunden werden kann. Alle drei Variablenweisen in ihrem signifikanten Bereich stets ne-gative Vorzeichen auf. Im Vergleich zur Refe-renzkategorie, die die Beschäftigten einerBranche in Kernstädten wiedergibt, bedingtein höherer Anteil in einer beliebigen anderenRaumkategorie immer eine geringere Wahr-scheinlichkeit, dass die entsprechende Person

einer höheren Distanzklasse zugeordnet wer-den kann. Aus dieser Feststellung lässt sich ei-ne generelle und eindeutige Verifizierung derzweiten Hypothese ableiten, wonach Wirt-schaftsbereiche, die durch einen hohen Anteilvon Beschäftigung im Kernstadtbereich ge-kennzeichnet sind, durchschnittlich höherePendeldistanzen aufweisen.

Entsprechend besitzen die Variablen derzweiten und vierten Raumkategorie einendurchgängig hochsignifikanten negativen Ko-effizienten. Wirtschaftsbereiche mit einem ho-hen Anteil von Beschäftigten im verdichtetenUmland und im ländlichen Raum verzeichnenalso vergleichsweise geringe Pendeldistanzen.Zusätzlich wächst für die Raumkategorie desverdichteten Umlands in den letzten beidenKlassenübergängen der Koeffizient nochmalsan und stellt hier jeweils den signifikantstärksten Parameter dar. Werden diese Fest-stellungen nun in Kontext zu den Annahmender Co-Location-Hypothese gesetzt, so ist fest-zustellen, dass das suburbane Zielgebiet derangenommenen Beschäftigungsverlagerung,am ehesten durch eben diese zweite Raumka-tegorie repräsentiert wird. Offensichtlich be-sitzen Branchen, die in hohem Maße im ver-dichteten Umland der Städte angesiedelt sind,die geringste Wahrscheinlichkeit, dass ihreMitarbeiter einer der höchsten Distanzklassenzugeordnet werden. Auf dieser Basis kann alsoeine vorsichtige Stützung der Co-Location-Hy-pothese abgeleitet werden, wenngleich für ei-ne eindeutige Evaluierung ihrer Haltbarkeiteine Untersuchung des Zusammenhangs zwi-schen wirtschaftlicher Dekonzentration undder Entwicklung der Pendeldistanzen im Zeit-verlauf vonnöten wäre. In Bezug auf eine Ver-knüpfung der Analyseergebnisse mit denGrundannahmen der Co-Location-Hypotheseist zudem anzumerken, dass diese in ihrer Ar-gumentation auch die höhere Effizienz derVerkehrsinfrastruktur im suburbanen Raummit einbezieht. Jedoch beruht die Ermittlungder zeitlichen Entfernungen hier auf dem un-belasteten Straßennetz und kann somit dieAnfälligkeit für Verzögerungen oder Überlas-tungen nicht abbilden. Gleichzeitig sind ledig-lich die Fahrzeiten des motorisierten Indivi-dualverkehrs dargestellt und öffentliche Ver-kehrsmittel bleiben unberücksichtigt.

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7 Fazit

Ein Überblick über die theoretischen Zugängeund bisherigen empirischen Erkenntnisse zurErklärung von Berufspendeldistanzen offen-barte, dass nach wie vor unbeantwortete Fra-gestellungen existieren. Der vorliegende Arti-kel konnte hierbei in die identifizierte For-schungslücke vorstoßen, für die im deutschenRaum noch keine umfassende Unterscheidungvon Pendelstrukturen auf Branchenebene er-folgte. So wurde aufgezeigt, dass dekonzen-trierte Branchen, die einen bedeutenden Anteilihrer Wirtschaftsleistung außerhalb der Kern-städte erbringen, stets eine geringere Wahr-scheinlichkeit dafür aufweisen, dass ihre Mit-arbeiter einer hohen Distanzklasse zuzurech-nen sind. Eine detaillierte Betrachtung liefertezusätzlich Hinweise für eine vorsichtige Be-kräftigung der Grundannahmen der Co-Locati-on-Hypothese: Branchen, die vorwiegend inder suburbanen Raumkategorie des verdichte-ten Umlands angesiedelt sind, besitzen einebesonders geringe Wahrscheinlichkeit für dasAuftreten von zeitintensiven Pendelrelationen.

Weiterhin ist zu konstatieren, dass wis-sensintensive Branchen mit einem hohen Be-legschaftsanteil von F&E-Beschäftigten undPersonen mit Abitur, tendenziell eine höhereWahrscheinlichkeit für zeitintensive Pendelre-lationen aufweisen. Ein gänzlich nicht hypo-thesenkonformes Ergebnis konnte für den An-teil der Graduierten in einer Branche ermitteltwerden, was sich dadurch erklären lässt, dassbezüglich von Pendeldistanzen offensichtlichverschiedene Arten von Akademikern zu un-terscheiden sind.

Als beispielhaftes Anwendungsfeld könnendie ermittelten Ergebnisse arbeitsmarktpoli-tisch für eine genauere Identifizierung derBranchen und Personengruppen, die nur einegeringe berufliche Mobilität aufweisen, ge-nutzt werden, um so Hinweise darauf zu ge-ben, wodurch Anreize zu einer höheren beruf-lichen Mobilität noch Potenziale für einen ver-stärkten regionalen Ausgleich oder eine er-höhte Flexibilität auf dem Arbeitsmarktliegen. So breit, wie sich das Spektrum derDisziplinen, die sich mit der Thematik des Be-rufspendelns befassen, präsentiert, so vielfältigsind jedoch auch die möglichen Handlungsim-plikationen, die sich aus der durchgeführtenAnalyse ableiten lassen. Daher soll an dieserStelle nicht versäumt werden, darauf hinzu-weisen, dass aus gesundheitswirtschaftlicher

Sicht, Pendler ein deutlich erhöhtes Risiko fürpsychosomatische Beschwerden besitzen(Rapp 2003). In diesem Kontext könnten dieResultate auch zur Beantwortung der Frage-stellung dienen, welche Zielgruppen und Mul-tiplikatoren, wie bspw. Branchenverbände,besonders für die Thematik sensibilisiert wer-den sollten.

Neben den aufgezeigten Handlungsimplika-tionen lassen sich die Ergebnisse auch als An-stoß für weiterführende Forschungsarbeitenverstehen. Eine Analyse des Zusammenhangszwischen Brancheneigenschaften und Pendel-distanzen im Zeitverlauf stellt hierbei ein loh-nenswertes Ziel dar. So könnte es insbesonde-re vor dem Hintergrund eines sich abzeich-nenden Endes der dynamischen Beschäfti-gungssuburbanisierung bzw. einer Renaiss-ance der Städte (Einig/Zaspel 2008) auf-schlussreich sein, über eine Querschnittsbe-trachtung hinauszugehen und mittels einerPaneldatenanalyse zu untersuchen, inwiefernsich Änderungen in der räumlichen Konzen-tration einer Branche über die Zeit auf die be-obachtbaren Pendeldistanzen niederschlagen.

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| Tobias Ebert

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Dieser Artikel ist im Rahmen einer zweiwöchigen

Exkursion nach London entstanden. Die Exkursi-

on fand im Anschluss an die Olympischen Spiele

2012 statt, war Teil des Masterstudiums der Hu-

mangeographie und diente der inhaltlichen Aus-

einandersetzung mit komplexen stadtgeographi-

schen Themen. Die Studierenden übernahmen ei-

genverantwortlich die Projektorganisation in

Gruppen, die Erarbeitung der Themen und des

methodischen Designs sowie die Leitung der Em-

pirie vor Ort. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit

der Frage nach den Auswirkungen staatlicher

Kürzungen auf die Gewährleistung von Sozialleis-

tungen auf lokaler Ebene in London-Islington.

1 Einleitung: Empowerment durch Kürzungen?

Die globale Banken- und Finanzkrise, die 2007als Immobilienkrise in den USA begann, wirk-te sich in den folgenden Jahren in ganz Euro-pa negativ auf die nationalen Haushalte ausund führte in Großbritannien sogar zum größ-ten Staatsdefizit seit dem Zweiten Weltkrieg.Laut der britischen Regierung sei dieses eben-falls auf einen hohen Anteil an öffentlichenAusgaben zurückzuführen, die in Zeiten derKrise nicht länger zu halten seien (Her Majes-ty's Treasury 2012: 11 ). Vor diesem Hinter-grund müssen auch die aktuellen radikalenSparmaßnahmen der britischen Regierung be-trachtet werden, die zur Senkung staatlicherZuschüsse auf das niedrigste Niveau seit 1945führten (Her Majesty’s Treasury 2010). Kon-kret geht es um die Streichung von Sozialaus-gaben in Höhe von 20,3 Milliarden Pfund –einschließlich des Wegfalls von je 500.000 Ar-beitsplätzen im öffentlichen Dienst und derPrivatwirtschaft. Am stärksten treffen diestaatlichen Einsparungen jedoch die sozialschwächsten Bürger_innen (Ferguson 2012:21 ). Peck et al. (2009) zufolge startet die ak-

tuelle (britische) Stadtentwicklung damit ineine neue Phase neoliberaler Politik: „Underthese conditions, cities have become the incu-bators for, and generative nodes within, thereproduction of neoliberalism as a ‘living’ in-stitutional regime“ (Peck et al. 2009: 65). Zuden Mechanismen dieser neoliberalen(Stadt‑)Politik gehöre eine Verlagerung (wohl-fahrts-)staatlicher Versorgungsleistungen aufdie individuelle Verantwortung der Empfän-ger_innen und das Outsourcen von Leistungenauf privatwirtschaftliche Akteur_innen (Fergu-son 2012: 27f.). Privatisierung bildet auch dasKernstück der britischen Regierungsstrategiezur Senkung der Staatsschulden. Begleitetwird diese Politik von dem groß angelegtenBig-Society-Programm der Regierung, dasdurch die britische Tageszeitung The Indepen-dent wie folgt zusammengefasst wurde: „[…]It [the state] should be smaller and smarter.Growth in the power of our state has produ-ced diminishing returns in the quality of pu-blic services, portrays citizens as passive reci-pients of centralised benefaction, and is unaf-fordable.” (Rajan 2010). Die Grundidee da-hinter: Weniger staatliche Einflussnahme sollzu weniger staatlichen Ausgaben und zu einerstärkeren Gesellschaft führen. Die Rücknahmedes Staates aus sozialen Verantwortungsberei-chen wird durch den Slogan „take power awayfrom politicians and give it to the people“(Ferguson 2012: 25) und die damit verbunde-ne Idee der Stärkung der lokalen Ebene ver-sucht zu legitimieren. Nach dem Motto „Youcan do more with less“ (Watt 2010) sollen eh-renamtliche Organisationen, gemeinnützigeund private Unternehmen als (neue) Trä-ger_innen des Sozialwesens eintreten und da-mit die Gesellschaft von unten stärken (Becker2011 ).

Die empirische Untersuchung dieses For-

Power to the people – Doing more with less

Katja Thiele, Greta Ertelt, Nelly Grotefendt &

Auswirkungen des staatl ichen Sparpakets in Großbritannien auf die lokale Ju-gendsozialarbeit am Beispiel von London-Isl ington

Christiane Uhlig (alle Humboldt-Universität zu Berlin)

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schungsprojektes konzentrierte sich auf dieAnalyse der aktuellen Dynamiken im Bereichder Sozialarbeit im Londoner Stadtteil Isling-ton. Da im Diskurs um die Wiederherstellungeiner tragfähigen Gesellschaft vor allem Ju-gendlichen eine besondere Rolle zugeschrie-ben wird, lag der Fokus auf Einrichtungen undOrganisationen der Jugendarbeit, sowie aufderen Angebot, Qualität und der Rolle ehren-amtlichen Engagements innerhalb dieser.Hierbei galt es stets den Zusammenhang derKürzungspolitik und deren Folgen nicht ausden Augen zu verlieren. Es ging jedoch weni-ger darum, repräsentative Schlussfolgerungenzu generieren, als vielmehr anhand eines ex-emplarischen Beispiels in eine Diskussion zuden Möglichkeiten der lokalen Jugendsozialar-beit in Zeiten staatlicher Kürzungen zu treten.

2 Wohlfahrtsstaatliche Perspektive und räumlicher Blick

Den Blick auf Deutschland gerichtet, lässt sichfeststellen, dass dem deutschen Sozialstaat,angesichts der sich auch hier vollziehendenrapiden Veränderungen im Zeichen der Neoli-beralisierung und der aktuellen Krisendyna-mik, eine Welle der Kritik entgegenschlägt, diesich gegen den Umbau der Sozialmechanismenund den langsamen Rückzug des Staates ausder sozialen Verantwortung richtet. Das Sozia-le wird zunehmend dem Ökonomischen unter-geordnet. Durch ein Öffnen der sozialstaatli-chen Grundsätze für die Mechanismen desWeltmarkts wird die Verschiebung von wohl-fahrtsstaatlichen Prioritäten zugunsten inter-nationaler Konkurrenzfähigkeit Deutschlandsnach außen manifestiert (Butterwegge 2010:49ff.). Nach innen wiederum „überträgt er[(der Sozialstaat)] die Marktmechanismen undGestaltungsprinzipien der Leistungskonkur-renz […] auf seine eigenen Organisations-strukturen“ (ebd. : 60f.).

In der Geschichte der britischen Wohlfahrt,die bereits seit den 1980er Jahren von konti-nuierlichen Leistungskürzungen durch liberal-konservative Politik geprägt ist (Schmid 2010:198), spielt(e) das Prinzip der Selbsthilfe an-stelle von umfangreichen sozialstaatlichenLeistungen hingegen bereits in den frühen1940er Jahren eine viel stärkere Rolle (ebd.186f.). Auch die Privatisierung öffentlicherAufgaben und die Übertragung des Grund-satzes der Eigenverantwortlichkeit von Ak-teur_innen des ökonomischen Marktes auf dieRolle der Individuen im Staat sind in der Ent-

wicklung des britischen Sozialsystems deutlichausgeprägter angelegt als in Deutschland(Baek 2010: 345). Darüber hinaus unterschei-den sich die Reaktionen auf staatliche Regu-lierungen, die in Großbritannien wiederumauf eine historisch gewachsene Akzeptanz derSelbsthilfe als grundlegendes Element der So-zialhilfe zurückzuführen sind. Der Wohlfahrts-staat in Großbritannien wurde „niemals durcheinen derart tiefgreifenden gesellschaftlichenKonsens getragen […] “ (Schmid 2010: 201 ),wie es für den Sozialstaat in Deutschland derFall ist.

Trotz der unterschiedlichen Grundlegungwohlfahrtsstaatlicher Systeme erscheint es unsinteressant, aus einer deutschen wohlfahrts-staatlichen Perspektive heraus einen Blicknach Großbritannien zu werfen, da sich imKontext der aktuellen Krise(n) ähnliche Ten-denzen der politischen Regulierung erkennenlassen. Von dieser Beobachtung ausgehend,soll es in diesem Artikel darum gehen, die Re-aktionen und Strategien auf die Folgen zuneh-mender neoliberaler Modernisierung in Formsozialer Polarisierung, Herausbildung oderVerfestigung lokaler Armutsstrukturen, Margi-nalisierung und sozialräumliche Segregationauf kleinräumlicher Ebene zu untersuchen.Wie wird auf lokaler Ebene mit staatlichenKürzungen umgegangen? Welche Strategienwerden entwickelt und in welchem Zusam-menhang stehen diese Entwicklungen zu all-gemeinen Tendenzen städtischer Politik undRegulierungen?

3 Sozialräumliche Kontexte der Jugendsozialarbeitin London-Islington

Die Wahl für den Bezirk Islington als Untersu-chungsgebiet ergab sich auf Basis von Recher-cheergebnissen, die den Bezirk als eines derärmsten Gebiete Englands und Londons aus-weisen. In einem Bericht der staatlichen Is-lington Fairness Commission (2008) wird da-für auf den multiple-deprivation-index von2007 verwiesen (Greater London AuthorityData Management and Analysis Group 2008;The Islington Fairness Commission 2008;Greater London Authority Intelligence Unit2011a; Greater London Authority 2011 : 9).Ein Bericht von 2011 zeigt zudem, dass dieVerteilung von Wohlstand in Islington äußerstungleich ist. „It has become a cliché to saythat there are two Islingtons, but it is true,and it matters. Islington is home to some of

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the wealthiest people in the country [… and]also home to real poverty and deprivation”(The Islington Fairness Commission 2011ff.).Die wohlhabendsten 20  % der Haushalte ver-zeichnen ein jährliches Einkommen von über60.000 £, während die ärmsten 20  % derHaushalte über weniger als 15.000  £ im Jahrverfügen. Mehr als 8.000 Einwohner_innenverfügen sogar nur über ein Einkommen unter10.000  £ jährlich – einschließlich staatlicherZuwendungen (ebd.). Die finanzielle Armutwird begleitet von einer hohen Arbeitslosig-keit, wobei insbesondere die Jugendarbeitslo-sigkeit mit 20  % weit über dem Wert andererBezirke liegt (ebd.). 2011 weist Islington au-ßerdem die zweithöchste KinderarmutsrateEnglands auf (ebd.). 40–50  % der Kinder in Is-lington leben damit in Armut und haben nichtdie gleichen Lebenschancen wie Kinder in an-deren Bezirken (Greater London Authority In-telligence Unit 2011b: 3). Der lokalen Jugend-arbeit kommt in diesem Zusammenhang einebesondere Rolle für die soziale Integration vonKindern und Jugendlichen zu.Im Jahr 2010 verabschiedete die damals neugewählte britische Regierung unter David Ca-meron einen Fünfjahresplan, der die Reduzie-rung der britischen Staatsschulden durch einumfassendes Paket an Haushaltskürzungenvorsieht. Laut Informationen des Guardian istder derzeitige Finanzminister George Osbornebereits zu einer Ausweitung der Haushaltskür-zungen um weitere zwei Jahre gedrängt wor-den (The Guardian, 19.7.2012). Insgesamtwird von einem Wegfall von ungefähr 911Millionen £ im Bereich des freiwilligen undöffentlichen Sektors ausgegangen (NCVO2011 : 5). Die Londoner Stadtbezirke sind hier-bei in unterschiedlich starkem Ausmaß vonden Kürzungen betroffen, im Durchschnittmüssen sie jedoch schon im ersten Jahr mitrund 9  % weniger öffentlichen Geldern rech-nen (NCVO 2011 : 14). Die BBC berichtete En-de des Jahres 2011 , dass von 7.000 britischenSozialarbeiter_innen im Jugendbereich bis zu3.000 ihren Job verlieren würden und bis En-de 2011 20  % der Jugendeinrichtungen schlie-ßen müssten (BBC News UK, 25.10.2011 ).

Von den Kürzungen sind die sozial schwa-chen Gebiete im Norden und Osten der Stadt –Hackney, Tower Hamlets, Newham und Isling-ton – besonders betroffen. In Islington bedeu-ten sie 39 Millionen £ weniger staatliche Zu-schüsse in der Periode 2011/12 und zusätzlich13 Millionen £ weniger im Jahr 2012/13 (Is-

lington Borough Council 2012). Gemessen amreinen Wert gekürzter Geldmittel, fallen dieSparmaßnahmen in Islington damit im stadt-weiten Vergleich sogar am höchsten aus. Aufdie, aus finanzieller Sicht notwendige, Redu-zierung der Sozialausgaben wird mit einerkurzfristigen Erhöhung der Mittel für den frei-willigen Sektor reagiert, in der Hoffnung dieEffekte der Kürzungen zu kompensieren (Is-lington Borough Council 2012).

4 Fragestellungen und Methodendesign

Aufbauend auf den vorangegangenen Darstel-lungen wurde die Frage gestellt, wie in Zeitender Kürzung staatlicher Finanzierung sozialeDienstleistungen gewährleistet werden kön-nen. Für die empirische Untersuchung wurdedie Vorannahme getroffen, dass die britische(Sozial‑)Politik von einer zunehmenden Neoli-beralisierung – d.   h. durch die strukturelleRücknahme des Staates aus sozialen Bereichenund die Organisation der Sozialpolitik nachökonomischen Prinzipien – geprägt ist. Darananknüpfend wurde untersucht, wie sich die imSparpaket 2010 verabschiedeten Kürzungenauf den Bestand und die Qualität der sozialenEinrichtungen für Jugendliche im LondonerStadtteil Islington auswirken und inwiefern indiesem Zusammenhang von sozialräumlicherUngerechtigkeit gesprochen werden kann. Da-bei werden folgende Thesen verfolgt:

1 . Die Kürzungen stehen im Zeichen einerBig Society-Politik. Die Folgen der Kürzungenstehen jedoch im Widerspruch zur beschriebe-nen Rhetorik.

2. Die neoliberale Stadtpolitik und ihr be-gleitender Diskurs (Big Society) tragen nichtzu einer Verbesserung der Situation bei, son-dern sind der politische Mechanismus, durchden sozialräumliche Ungleichheiten durch dieLondoner Stadtpolitik legitimiert und repro-duziert werden.

Sowohl die theoretische Lektüre als auchdie Reaktion des Councils in Islington legennahe, dass sich die lokale Politik im Umgangmit den Kürzungen dabei auf zwei Strategienkonzentriert: den Ausbau ehrenamtlicherStrukturen in der Jugendsozialarbeit und dieEinbeziehung privatwirtschaftlicher Träger_in-nen. Forschungsleitende Fragen für die empi-rische Untersuchung waren daher: Inwiefernhat sich das Angebot und die Qualität der An-gebote von sozialen Einrichtungen durch dieKürzungen verändert und welche Effekte ha-

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ben eventuelle Veränderungen des Angebotsfür deren Zielgruppen mit sich gebracht?

Mit Hilfe von leitfadengestützten Experten-interviews wurden verschiedene Perspektivenvon Akteur_innen im Bereich der Jugendsozi-alarbeit erhoben. Die Auswahl der Interview-partner_innen erfolgte durch ihren themati-schen Bezug und die räumliche Eingrenzungder Forschungsfrage auf den Bezirk Islington.Zu den Interviewten gehörten einerseits Lokal-politiker_innen, die sich im Rahmen politi-scher Gremienarbeit für die Interessen von Ju-gendlichen einsetzen sowie andererseits Sozi-alarbeiter_innen, freiwillige Mitarbeiter_innenund Vertreter_innen von Institutionen und Or-ganisationen mit unterschiedlichen Leitbil-dern, die in der untenstehenden Tabelle kurzdargestellt sind.

Um die verschiedenen Perspektiven ab-schließend zusammenzubringen und Fragen,die sich im Rahmen der Interviews ergebenhaben, gemeinsam zu diskutieren, wurde er-gänzend eine Podiumsdiskussion durchge-führt.

5 Ergebnisse der empirischen Erhebungen vor Ort

Die Analyse der Interviews sowie der Podi-umsdiskussion ließ schon während der erstenSichtung der Ergebnisse unterschiedliche Per-spektiven auf das Untersuchungsfeld erken-nen. Im Laufe der Auswertung der Empiriezeichneten sich zwei Aspekte als besondersprägnant ab. (1 ) Die sozialen Herausforderun-

gen im Bezirk und die sich daraus ergebenenAnforderungen an die Jugendarbeit vor Ort(siehe Kapitel 5.1 ). (2) Die Umstrukturierun-gen der Jugendarbeit im Zeichen der Big-So-ciety sowie, damit einhergehend, der lokaleUmgang mit staatlichen Kürzungen und dieFrage nach der Messbarkeit guter Jugendsozi-alarbeit (siehe Kapitel 5.2).

5.1 Herausforderungen der lokalen Jugendarbeit

Islington wird wiederholt als Gebiet beschrie-ben, in dem Häuserblöcke des sozialen Woh-nungsbaus direkt an deutlich wohlhabendereStraßenzüge grenzen. Auch die beiden in derJugendarbeit arbeitenden InterviewpartnerFranklin und Hamilton stellen in diesem Kon-text die sozio-ökonomische Spaltung des Be-zirks als bedeutenden Faktor für die täglichePraxis heraus. Neben der höchsten Kinderar-mutsrate Londons herrsche eine hohe Jugend-arbeitslosigkeit und der Qualifizierungsgradder jungen Generation sei gering. In vielenFamilien mit einer sich seit Generationen ver-festigten Arbeitslosigkeit bilde sich darüberhinaus eine Arbeitslethargie aus. Als zusätzli-che Herausforderungen werden die engenWohnverhältnisse (Rob Hamilton; RichardFranklin) sowie die Gewährleistung von zu-gänglichen Freiflächen für Kinder und Ju-gendliche in ausreichendem Maße (WendyBristow) dargestellt.

Das Leben vieler Jugendlicher spiele sichauf der Straße ab, wobei hier Gang-Strukturen

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ein besonderes Problem darstellen (RF, RH).Oft werde eine Gangzugehörigkeit schon inder zweiten Generation weitergegeben. In denletzten Jahren habe sich das Problem ver-schlimmert, und das Phänomen der post-code-gangs sei aufgetreten, wobei die Gangs überein eng abgestecktes Territorium, verfügen,das ihren Mitgliedern das Begehen des weite-ren Umfelds verwehre (RH). Innerhalb dieserTerritorien bieten die Gangs den JugendlichenIdentifikation und Rückhalt und repräsentie-ren deren Familie, Freundes- und Unterstüt-zungsnetz. Dem gegenüber stünden jedochProbleme wie Drogenhandel, Kleinkriminali-tät, Messerstechereien sowie der soziale Druckauf die mehrheitlich männlichen Jugendlichen(RH, RF). Die Situation sei für Jugendarbei-ter_innen gefährlich und lediglich ältere Ju-gendarbeiter_innen würden genügend Respektund Sicherheit erhalten (RF). Aus der territo-rialen Struktur der Gangs ergebe sich außer-dem die Anforderung, die räumlichen Begren-zungen und Aktionsräume der jeweiligenGangs auch in der Jugendarbeit zu beachten,anstatt Zentren zu bilden, wie es bisher vonder Politik betrieben wird. Diese könnten nurdie Menschen in direkter Umgebung errei-chen, wobei die Mitglieder der Gangs teilweiseselbst am Betreten eines direkt an ihr Wohn-gebiet angrenzenden Zentrums gehindert wer-den, wenn sich dieses im Territorium einer an-deren Gang befindet (ebd.).

Gute Jugendarbeit bedeute, Jugendlicheneine langfristige Zukunft zu geben (WB). Be-züglich der Anforderungen an eine Jugendar-beit, die dieses Ziel erreichen kann, verweistHamilton daher auf die Notwendigkeit desAufbaus einer persönlichen Beziehung zu denJugendlichen. Dies sei die einzige Möglichkeit,um mit den Jugendlichen erfolgreich an ihrerZukunft zu arbeiten (RH). „It is not doneenough to reach children not in youth pro-jects” (ebd.).

Mit ihrer Spezialisierung auf besonders be-nachteiligte Kinder und Jugendliche zeugt hierinsbesondere die Arbeit von Prospex von derAnerkennung derjenigen Kinder und Jugendli-chen, die als „3rd generation of the same pat-tern” (RF) eingestuft werden. Das Bedürfniseine informelle Alternative zu den „big autho-rity figures“ (ebd.) wie Schulen und Sozialein-richtungen zu bieten, die auch von den Elternals Anlaufstelle genutzt werden könne (RF,WB), rückt hier besonders in den Vorder-grund. Gleichermaßen wichtig scheint den Be-

teiligten in diesem Zusammenhang zu sein,dass sich die dortigen Mitarbeiter_innen mitden sozialen Hintergründen und Interdepen-denzen im Bezirk auskennen und Zeit vor Ortverbringen (WB). „External agencies wouldn’thave the internal background to make socialyouth work more sustainable“ (ebd.).

5.2 Umstrukturierungen der Jugendarbeitim Zeichen der Big-Society

5.2.1 „Cuts force a reassessment of thenature and value of youth work”

Entgegen der Annahme, dass die Haushalts-kürzungen im freiwilligen und öffentlichenSektor zu einer Verschlechterung des Ange-bots und der Qualität der lokalen Jugendar-beit führen, wurde im Rahmen der durchge-führten Interviews deutlich, dass die Kürzun-gen keine ausschließlich negativen Auswir-kungen für die Beteiligten hervorgebrachthaben. Vielmehr wurde ausgiebig darüber dis-kutiert, dass die aktuelle britische Politik zwarbisher nicht zur direkten Schließung von Ein-richtungen, doch aber zu einer umfassendenUmstrukturierung der Mittelvergabe im öf-fentlichen Sektor und der Organisation derJugendarbeit in London-Islington geführt hat,die sowohl Risiken als auch Chancen birgt.Die aktuelle Kürzungspolitik müsse vor demHintergrund eines kontinuierlichen Prozessesder Veränderung des Systems der Jugendsozi-alarbeit über die letzten Jahrzehnte diskutiertwerden. Die durch die aktuelle Regierung un-ter Cameron beschlossenen Kürzungen würdennur eine Zäsur darstellen, deren spezifischeFolgen bisher schwer abzuschätzen seien.

Nicht zu negieren sei allerdings, dass dieKürzungen einen großen Einschnitt für dieBudgets der lokalpolitischen Institutionen undder sozialen Einrichtungen bedeuten. Gleich-zeitig machte Williams klar, dass hier wenigerdie Frage im Fokus stehe wie hoch die Kür-zungen ausfallen, sondern inwiefern sich dieJugendarbeit selbst verändert und wie unddurch wen deren Angebot sichergestellt wer-den kann. „But it‘s more complicated in fact.It’s not only about services being cut, it’sabout services changing and who deliversthem” (Gethyn Williams).

Fast alle interviewten Akteur_innen be-schreiben in diesem Zusammenhang eine Ver-änderung ihrer Arbeit. „The large cuts that lo-

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cal authorities had to go through have forcedeverybody to look at what they spend theirmoney on” (RH). Donovan Chamberlayne be-schrieb diesbezüglich, dass die sozialpoliti-schen Begleitumstände „[…] led to a reassess-ment and quite a radical shift in how we ope-rate and provide services” (DC). Dieser Stand-punkt wurde von George Allan mit folgenderAussage resümiert: „Cuts force a reassessmentof the nature and value of youth work” (GA).Aus der lokalpolitischen Perspektive heraus istes laut Chamberlayne zwar bisher nicht zumAusfall oder zur Einstellung existierender An-gebote und Leistungen gekommen, gleichzei-tig spricht er jedoch immer wieder von einerVeränderung der Jugendarbeit hinsichtlich ih-rer Art und Weise sie durchzuführen. Dies be-zieht sich in erster Linie auf die direkte Sorgeder betroffenen Einrichtungen, durch die Kür-zungen nicht das gesamte Angebot aufrechterhalten zu können und die damit verbundeneSuche nach alternativen Finanzierungsquellenund Förderungskonzepten. Auch Allan betontdie Notwendigkeit neue Quellen zur Förde-rung von Projekten zu gewinnen, wobei er ins-besondere für die generationsübergreifendeEinbindung von zivilgesellschaftlichen Ak-teur_innen einerseits und privatwirtschaftli-chen Engagements andererseits plädiert (GA).Die Umstrukturierungen des Systems der Ju-gendarbeit führen so – ganz im Zeichen derBig‑Society‑Politik – zu einer stärkeren Unab-hängigkeit der Einrichtungen und Organisatio-nen von staatlichen Finanzierungsmodalitätenund deren Kontrollen (GW). Damit wird zwarVerantwortung auf die lokal arbeitenden Ak-teur_innen übertragen und ihr Handlungsspiel-raum in der alltäglichen Praxis erhöht. Ande-rerseits wird die Verantwortung durch die In-tegration neuer Akteur_innen dezentralisiertund auf mehrere Instanzen (Schulen, Familie,Jugendorganisationen, Polizei, Lokalpolitik,private Investor_innen) verteilt. Gerade in Zei-ten finanzieller Engpässe sei die Jugendarbeitdamit stärker denn je auf ehrenamtliche Ar-beit von Freiwilligen, die ohnehin eine tragen-de Rolle im britischen System spielen, ange-wiesen. Die Finanzierung der Jugendarbeitstellt laut Williams eine ständige Herausforde-rung dar, die inzwischen wie „salami slicing”funktioniere. „You have to take a little bitfrom the health budget, […] a little bit fromsocial care and a little bit from something el-se” (GW). Vor diesem Hintergrund hätten esvor allem die lokal zuständigen Behörden

schwer, neue Wege zur Finanzierung abseitsstaatlicher Unterstützung zu finden (ebd.).

Während Williams zu dem Schluss kommt,dass die Kürzungen den positiven Effekt mitsich bringen, dass sie die jeweiligen Einrich-tungen und Organisationen dazu zwingen überdie Effizienz der geleisteten Arbeit zu reflek-tieren und das vorhandene Kapital bewusstereinzusetzen, weist Franklin darauf hin, dassdavon nicht alle Einrichtungen gleichermaßenprofitieren würden (GW; RF). Die Verände-rungen in der Organisation (Erhöhung des bü-rokratischen Aufwandes, Standardisierung derLeistungen, Ergebnisorientierung, etc.) unddie zunehmende Effizienzorientierung der Ju-gendarbeit stünden in einem starken Span-nungsverhältnis zu den finanziellen und per-sonellen Möglichkeiten, die den Einrichtungenzur Verfügung stehen. Die Neuorientierungder Jugendpolitik bedeute für viele Einrich-tungen nicht nur einen höheren bürokrati-schen Aufwand (dem besonders kleine Ein-richtungen nicht immer gewachsen sind), son-dern die steigende Anzahl an Freiwilligen be-deute auch ein hohes Maß an zusätzlichnotwendiger Unterstützung und Ausbildungdurch fest angestelltes, qualifiziertes Personal.Nur so könne qualitativ hochwertige undlangfristig angelegte Jugendarbeit geleistetwerden (RF). Bezogen auf das Einwerben an-derer Fördermittel äußert sich Franklin eben-falls skeptisch. Prospex beispielsweise habe inden letzten Jahren große Verluste hinnehmenmüssen und es sei zunehmend schwerer an fi-nanzielle Förderung aus anderen Quellen zugelangen. Die Einrichtungen seien dadurchgezwungen sich in neue Partnerschaften mitprivatwirtschaftlichen Akteur_innen zu bege-ben. Das beinhaltet nach Allan für einzelneProjekte zwar neue Möglichkeiten eine bessereFörderung zu erhalten, bedeute aber für einigeEinrichtungen wiederum den Verlust der Un-abhängigkeit der Förderung von den Interes-sen der Förderer_innen (GA). Dieser Prozesswürde die Einrichtungen außerdem immerstärker in die Rolle eines wirtschaftenden Un-ternehmens zwingen, das den Nutzen von in-dividuellen Leistungen gegenüber ihren Kos-ten abwägen muss (RF) und somit tendenziellEinsparungen in der Quantität oder Qualitätvornehmen muss. Dienstleistungen der Ju-gendarbeit werden dadurch in marktförmigerbrachte Dienstleistungen außerhalb derstaatlichen Sozialpolitik übersetzt. So zeigt dasBeispiel des Peel Institutes, dass die Einrich-

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tung zwar zeitweise sogar mehr staatliche För-derung erhielt, die Gelder jedoch viel stärkeran vorgegebene Ziele gebunden sind. Darüberhinaus scheint sich der Konkurrenzdruck unterden Einrichtungen zu erhöhen. Das kann posi-tiv sein für diejenigen, die die Standards erfül-len können, bedeutet aber in der Praxis, dasshäufig dieselben Einrichtungen Förderungenerhalten (RH) und sich damit die Landschaftder Jugendsozialarbeit auf lange Sicht ausdün-nen könnte.

5.2.2 Lässt sich gute Jugendarbeit messen?

Ein Zusammenhang zwischen der Reorganisa-tion der lokalen Jugendarbeit und dem Pro-gramm der Big-Society-Agenda wird insoferngesehen, dass die Verlagerung politischer Ver-antwortung auf die lokale Ebene durch dieRhetorik der Stärkung der Community beglei-tet wird. Eine Politik der Big-Society, wie siedurch Cameron propagiert wird, sei zwar be-grüßenswert, weil sie theoretisch zur Stärkungder Community und der lokalen Jugendarbeitführen könne, habe jedoch wenig mit der tat-sächlichen Realität zu tun (RF). Immer wiederwurden diesbezüglich auch die Jugendarbeitund ihre Rolle selbst zur Diskussion gestellt.Was soll gute Jugendarbeit für wen leistenkönnen und wie kann nachgewiesen werden,dass diese zum gewünschten Ergebnis führt?

Grundsätzlich bestehe das Konzept der Ju-gendarbeit für die Beteiligten in der Beglei-tung von jungen Menschen durch Abschnitteihres Lebens im Übergang zum Erwachsensein.Auf einer möglichst freiwilligen Basis solle Ju-gendarbeit dazu dienen „to help create effecti-ve and fully rounded individuals who are ableto function in society, to take the opportuni-ties that life today presents“ (GA). Die aktuellePraxis habe sich aber in den letzten Jahrenvon diesem ursprünglichen Konzept entfernt.Die Vorstellungen derjenigen, die die Ressour-cen bereitstellen, gehen nicht unbedingt kon-form mit den Attributen anhand derer die Er-gebnisse der durchgeführten Arbeit aus Sichtder Jugendarbeiter_innen gemessen werden(GW). Rückblickend sei es zu einer Verschie-bung des Arbeitsfokus gekommen, weg vonder Arbeit mit jungen Menschen, hin zu demständigen Druck für soziale Einrichtungen im-mer neue Gründe für eine Finanzierung vonProjekten zu finden. „Over the last ten […]years we've forgotten why we do that. We'veforgotten why youth work is just a great thing

for young people to have and we've becomemore and more concerned about how we ju-stify funding for it“ (GW). Hamilton be-schreibt dies sogar als eine Art Kampf um dieLegitimation der eigenen Arbeit (RH). Auf-grund der Ergebnis-Orientierung tendierenviele Einrichtungen deshalb mittlerweile zurFinanzierung von kurzfristigen Projekten, mitdenen ein klar messbares Endergebnis anvi-siert werden könne. Dies stehe jedoch im Ge-gensatz zur Langzeitbegleitung junger Men-schen. „Elected members of the governmentdo not understand how to measure what issuccess and what not. This is because most ofthe outcome is soft […] other than addictionrates and so on“ (GA).

Resümierend werden zwei sich konträr ge-genüberstehende Verständnisse deutlich: Aufder einen Seite steht die Idee einer freiwilligenKontaktaufnahme seitens der Jugendlichen,die zu einer langfristigen Beziehung wächstund die Jugendlichen bei der Gestaltung ihresLebens unterstützt. Auf der anderen Seite stehtder politische Versuch durch die Implementie-rung von verschiedenen Programmen direkt indas Leben der Jugendlichen einzugreifen undso langfristig größere gesellschaftliche Proble-me zu lösen. In der Praxis werden dadurch al-lerdings zwei Problematiken hervorgerufen:(1 ) Die Tendenz einer top-down-Implementie-rung und outcome-orientierten Überprüfungder Jugendarbeit und (2) der damit verbunde-ne Trend zur Förderung von kurzfristigen Pro-jekten, deren Effektivität und Nachhaltigkeitfragwürdig zu sein scheint.

6 Zusammenfassung

Mit dem Bezug auf einen spezifischen Stadtteilwurde die Frage gestellt, inwieweit die durchdas Leitbild der Big Society legitimierte Kür-zung staatlicher Förderung im Bereich der Ju-gendarbeit eine Stärkung der lokalpolitischenEbene erzielen kann. Im Fokus stand die Fragenach den konkreten Auswirkungen der Spar-politik auf soziale Einrichtungen und ihre Mit-arbeiter_innen im sozial schwächeren Londo-ner Stadtteil Islington.

Entgegen der Erwartung, dass die britischeSparpolitik eine bedeutende negative Zäsur fürdie lokale Jugendarbeit darstellt, erwiesensich die Effekte als wesentlich komplexer. DerTrend zur Ökonomisierung der britischen So-zialpolitik, wirkt sich in zweierlei Hinsicht aufdie lokale Jugendarbeit aus: (1 ) Durch die Re-

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duzierung der Budgets und des damit einher-gehenden finanziellen Drucks kommt es dazu,dass die Jugendarbeit immer häufiger an Kri-terien der Effizienz und des (nur schwer mess-baren) Erfolges gemessen wird. Das kann ei-nerseits die Chance bieten die Arbeit effekti-ver zu gestalten, andererseits bedeutet es denEintritt in ein Wettbewerbsverhältnis zu ande-ren Einrichtungen, wobei sich eine gewissewirtschaftliche Professionalität als vorteilhafterweist. Immer mehr Einrichtungen und Pro-jekte sind zusätzlich auf privatwirtschaftlicheKooperationen angewiesen. Diese Verschie-bung bedeutet für viele Einrichtungen jedocheinen Verlust ihrer finanziellen Unabhängig-keit. Die knappe Finanzierung der Projekteführt außerdem zu einem Rückgang der be-zahlten Stellen. Die Jugendarbeit in Islingtonscheint zwar bis zum Untersuchungszeitpunktnicht so stark von den Kürzungen betroffen zusein, dass die Quantität des Angebots bereitseingeschränkt werden musste. Die Qualitätleidet jedoch insofern unter den Kürzungen,dass die steigende Anzahl an Freiwilligen einhohes Maß an bürokratischem Mehraufwandfür die Einrichtungen bedeutet und die Frei-willigen den Anforderungen an professionelleJugendarbeit nicht ohne zusätzliche Unter-stützung durch fest angestellte, professionelleJugendarbeiter_innen gerecht werden. (2) Eininteressantes Ergebnis der Untersuchung istauch, dass es sich bei den Kürzungen in derWahrnehmung der Akteur_innen eben nichtum einen großen Einschnitt handelt, sonderndiese vielmehr als Teil einer kontinuierlichenPolitik des Sparens in der (Jugend-)Sozialar-beit eingestuft wurden, die zu langfristigenUmstrukturierungen führt. Das wiederum er-scheint aus der Spezifik des britischen Wohl-fahrtssystems konsistent. Die britische Sozial-politik ist einerseits durch eine lange Traditionstaatlicher Kürzungen geprägt, in der Eigen-verantwortung und die privatwirtschaftlicheOrganisation von Hilfeleistungen eine großeRolle spielen. Andererseits kann nicht von ei-ner gleichbedeutenden Akzeptanz des Wohl-fahrtsstaates im Vergleich zu Deutschland aus-gegangen werden, sodass hier ein unterschied-liches Verständnis von Staat zu Tage tritt undmildere Reaktionen auf den Abbau sozialstaat-licher Leistungen innerhalb der Jugendsozial-arbeit nur folgerichtig sind. Dass diese Ent-wicklung zusätzlich im Zusammenhang mitder von Cameron initiierten Big Society Rhe-torik steht, ließ sich ebenfalls durch die Aus-

sagen der interviewten Akteur_innen bestäti-gen, wenn sich auch zu diesem Zeitpunkt nochnicht abschätzen lässt, wie sich die skizziertenTendenzen weiterentwickeln werden. Die Zu-kunft der Landschaft der Sozialeinrichtungenin Islington scheint insbesondere von den lo-kalpolitischen Entscheidungen bezüglich desUmgangs mit den Kürzungen und der Anpas-sungsfähigkeit der Jugendeinrichtungen selbstabzuhängen.

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Weiterführende LiteraturBrawley, Lisa (2009): The Practice of Spatial Justice inCrisis. IN: Space and Justice. Justice spatial | spatial justi-ce, no 1 .Brown, Nicholas/Griffis, Ryan/Hamilton, Kevin/Irish,Sharon/Kanouse, Sarah (2007): What Makes Justice Spati-al – What Makes Space Just? Three Interviews on theConcept ofSpatial Justice. IN: Critical Planning, 2007(14): S. 6–28.Dirsuweit, Teresa/Hancool, Claire (2009): Special issue“Gender, sexual identities and spatial justice”. IN: Spaceand Justice. Justice spatial | spatial justice, no 1 .Fainstein, Susan S. (2009): Spatial Justice and Planning.IN: Space and Justice. Justice spatial | spatial justice,no  1 .Harvey, David (1973): Social Justice and the City. Oxford:Blackwell.Marcuse, Peter (2009): Spatial Justice: Derivative butCausal of Social Injustice. IN: Space and Justice. Justicespatial | spatial justice, no 1 .Soja, Edward W. (2009): The City and Spatial Justice. IN:Space and Justice. Justice spatial | spatial justice, no 1 .Soja, Edward W. (2010): Seeking Spatial Justice. Minnea-polis: University of Minnesota Press.

Power to the people – Doing more with less |

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Cal l for Papers – Ausgabe Nr. 8, Wintersemester 2014/15

Du denkst, es steht schon alles überall ge-schrieben? Die Forschungsfelder der Geogra-phie sind alle längst hinreichend beackert?Studierende hätten nichts zu wissenschaftli-chen Debatten beizutragen? Weit gefehlt! Woist euer Selbstbewusstsein?

Wissenschaft ist ein Prozess. Jeden Tagwerden neue Erkenntnisse gewonnen, Ideengeboren und Forschungsarbeiten vorangetrie-ben. Und das nicht nur von ProfessorInnenund DoktorandInnen, sondern auch von Stu-dierenden. Kleine empirische Arbeiten entste-hen bereits im Rahmen von Haus- und Ab-schlussarbeiten. Mit Hilfe von Experteninter-views, eigenen Messungen oder Beobachtun-gen werden Überlegungen weiterentwickeltund verworfen. Wissenschaftliches Wissen ent-steht – auch durch euch – täglich neu. Wennihr dieses Material nicht in virtuellen Ordnernund in den Schubladen der DozentInnen ver-stauben lassen wollt, ist entgrenzt der richtigeOrt, bereits getane Arbeit weiterzuentwickeln.

Ihr könnt kurze Fachartikel verfassen(„Geographisches“), über Erlebnisse und Er-fahrungen berichten („Geowerkstatt“), eureMeinung im „Sprach(r)ohr“ zur Diskussionstellen oder uns mit praktischen Tipps undVeranstaltungshinweisen versorgen („Geo-Praktisch“). Wir sind offen für neue Einblicke,verrückte Ideen, solide Ausarbeitungen undprovokante Thesen. entgrenzt soll kein stati-sches Konstrukt sein, sondern ein Medium, dasvon einem dynamischen Austausch lebt. Wirwollen dem wissenschaftlichen Nachwuchs ei-ne Stimme geben – eure Stimme. Also sendeteure Beitragsideen an unsere E-Mail-Adresse:[email protected].

Info zur Beitragseinreichung: Für jede Ru-brik laufen gesonderte Calls – Aufrufe zur Ein-reichung von Beiträgen. Innerhalb eines Zeit-raums von zwei Monaten können StudierendeAufsätze zum Leitthema in der Rubrik „Geo-graphisches“ einreichen. Die Beiträge werdenbezüglich ihrer wissenschaftlichen Qualitätvon fachlich versierten MentorInnen begut-achtet. Artikel für die anderen Rubriken sindjederzeit willkommen.

Geographisches

Mit der Offenhaltung des Leitthemas für dieRubrik Geographisches hat entgrenzt bishergute Erfahrungen gemacht und möchte diesesKonzept weiter führen. Dabei bekommen wirBeiträge aus ganz verschiedenen Richtungender Geographie und wieder zeigt sich, dass derGeographie der Plural ganz gut steht:Geographie(n) der Moral, Gewalt, Großstädte,der Drogen, über Männer und Frauen,Pflanzen, Ozeane, Gletscher, vielleicht sogarüber zwischenstaatliche Abhörmethoden etc.Die Liste kann scheinbar endlos weitergeführtwerden. Ob über Strukturen in Baumringenoder gesellschaftliche globale Verflechtungen,jeder Maßstab kann betrachtet werden, dabeiNeues zu Tage führen und auf klitzekleineDetails oder komplexe Verknüpfungeneingehen. Die Nischen, in die sich Geographenund Geographinnen hineinfuchsen, wollen inder 8. Ausgabe von entgrenzt aus demSchattendasein in das Rampenlicht gestelltwerden. Es sind keine Grenzen gesetztdahingehend, ob es Beiträge zu Theorien,Kontroversen oder Methoden sind. Schickt unsein Abstract (max. eine Seite) bis zum15.12.2013 an [email protected], in demdas Thema, die Argumentation, dermethodische Zugang und das Fazit desgeplanten Artikels deutlich werden. WeitereInformationen zum Begutachtungsprozess unddie Richtlinen für AutorInnen findet Ihr unterwww.entgrenzt.de/werde-autorin-geographisches/. Wir sind gespannt, welcheGeographien Eurer Kreativität entspringen.

Euer entgrenzt Team

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GeoWerkstattSilke Kellig & Marcus Hübscher: Welcome to Paradise! ERASMUS auf Teneriffa

Sophie Großmann: Eine Tagung besuchen vor dem Abschluss? Ja! – Ein studentischerErfahrungsbericht zum Arbeitskreistreffen Geoarchäologie 2013 in Cottbus

Benjamin Prager: „Von der Puszta in die Karpaten – Kulturlandschaften im Umbruch“.Herausforderungen und Ansätze nachhaltiger Raumplanung in Südosteuropa

Nicolas Caspari & Alexander Groos: Dürfen wir vorstellen? Das DiaForum

GeoWerkstatt |

Die Rubrik GeoWerkstatt ist der Werkzeugkasten, aus dem man sich bedienenund inspirieren lassen kann. In diesem Teil werden Ereignis- und Erlebnisberichteüber besonders informative oder unkonventionelle Exkursionen, Sommerakademi-en, Workshops, Arbeitsgemeinschaften, Lehrveranstaltungen und studentische Pro-jekte veröffentlicht. Artikel zu diesen Themen bis maximal zwei Seiten nehmen wirgerne jederzeit von Einzelpersonen oder Autorenkollektiven entgegen und publizie-ren sie nach redaktioneller Prüfung in der nächsten Ausgabe von entgrenzt.

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Nun schon zum sechsten Mal präsentieren wireuch in der Rubrik Geowerkstatt gemachteund erlebte Geographie aus Universität, Studi-um, Lehre und Praxis. Dieses Mal illustrierengleich vier Erfahrungsberichte aus studenti-scher Perspektive Chancen und Risiken unter-schiedlicher universitärer (Bildungs-)Angebotejenseits des gewöhnlichen studentischen All-tags – namentlich eine wissenschaftliche Fach-tagung, eine besondere Sommerschule, einERASMUS-Jahr auf Teneriffa und eine Präsen-tationsform für studentische Reisen, Praktikaund Auslandsaufenthalte. Die Beiträge skizzie-ren persönliche Gewinne und Lernerfahrun-gen, aber auch diverse Schwierigkeiten fürStudentInnen, die über das Absolvieren nor-maler Studienkurse hinaus geographische Her-ausforderungen suchen. Zunächst stellt sichSophie Großmann die Frage, ob StudentInnenauch schon vor ihrem Abschluss – und somitmit vermeintlich noch eher geringer inhaltli-cher Expertise – eine wissenschaftliche Fach-tagung besuchen sollten. Sie beschreibt diewohl von vielen erlebten Berührungsängsteund Unsicherheiten, die aufkommen mögen,wenn man als StudentIn auf einer Tagungnebst DoktorInnen und ProfessorInnen an Vor-trägen und Diskussionen teilnehmen möchte.Großmanns Beitrag ist letztlich aber ein Plä-doyer dafür, diese Berührungsängste zu über-winden und es sich nicht nehmen zu lassen,auch schon während der studentischen Ausbil-dungsphase die lehrreiche Erfahrung eines Ta-gungsbesuches zu machen. So beschreibt dieAutorin ihre überwiegend positiven Erlebnisseauf einer Tagung des Arbeitskreises Geoar-chäologie in Cottbus, wobei sie aber auch dieSchwierigkeiten erwähnt, sich als StudentIn inder Tagungsgemeinschaft zu positionieren.Benjamin Prager wiederum nahm im Juli2013 am Go-East-Summer-School-Programmteil und reiste in diesem Rahmen zwei Wo-chen durch Rumänien. Hierbei konnte der Au-tor zahlreiche Eindrücke gewinnen und skiz-ziert in seinem Beitrag gegenwärtig relevanteHandlungsfelder, -strategien und Probleme imSchnittfeld von Stadtentwicklung, Kulturpoli-tik, ländlichem Raum und Tourismus. MitBlick auf die ländlichen Räume Rumäniens be-richtet Benjamin Prager u.   a. über den schwie-rigen Spagat zwischen den Bemühungen zumErhalt historischer Kulturlandschaften und an-

dererseits dem Ziel wirtschaftlicher Entwick-lung im ländlichen Raum. Dieses Spannungs-feld, so der Autor, konnte durch das Konzeptder Sommerschule auch besonders anschau-lich vermittelt werden. Des Weiteren berich-ten Silke Kellig und Marcus Hübscher von ei-nem vollen Jahr ERASMUS-Aufenthalt auf derspanischen Insel Teneriffa. Die Autoren erzäh-len von reichhaltigen Erfahrungen mit Landund Leuten und zeigen, wie ein Studienaus-tauschjahr sowohl wertvolle zwischenmensch-liche Erlebnisse als auch einen beachtlichengeographischen Wissenszuwachs mit sichbringen kann. Wie gut, dass in dieser AusgabeNicolas Caspari und Alexander Groos erläu-tern, wie Studierende ihre ganz persönlichenEindrücke und Bilder von Reisen, Praktikaund Auslandsaufenthalten einem breiten geo-graphisch interessierten Publikum zur Verfü-gung stellen können – mit der Durchführungeines DiaForums. Vielleicht auch eine Idee fürunsere AutorInnen Benjamin Prager, SilkeKellig, Marcus Hübscher und für dich?!

Wir hoffen, die Beiträge in der Geowerk-statt inspirieren den einen oder anderen voneuch in Bezug auf das eigene Geographiestu-dium und wünschen in jedem Falle eine span-nende Lektüre!

Jan Winkler & Franziska Bader

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Editorial

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Welcome to Paradise!ERASMUS auf Teneriffa

Silke Kellig & Marcus Hübscher(Universität Leipzig)

Studieren, wo andere Urlaub machen. Subtropi-

sches Klima, Sonne, Strand, Palmen und Meer

für ein ganzes Jahr, während man gleichzeitig die

spanische Mentalität genießen, die Sprache lernen

und einzigartige Erfahrungen sammeln kann. Das

klingt eigentlich nach den perfekten Zutaten für

einen gelungenen Auslandsaufenthalt. Nachdem

wir erfuhren, dass unser Institut für Geographie

in Leipzig eine Partnerinstitution in Spanien hat,

waren es genau diese Gedanken, die uns beweg-

ten, Teneriffa als Studienort zu wählen.

Was gilt es zu erwarten von der Uni im Ozean?

ERASMUS in Spanien? – ¡Si claro! Studierenauf Teneriffa? – Gibt’s da eine Uni? Da keinervon uns beiden die Insel vorher schon einmalbesucht hatte, waren unsere Erwartungenstark durch Urlaubserzählungen anderer undReisekatalogbeschreibungen geprägt. MildesKlima und atemberaubende Landschaften zie-hen jährlich Millionen von Touristen an. Wirvermuteten also mehr oder weniger im Mas-sentourismus zu leben, zwischen renovie-rungsbedürftigen Hotels, Luxus-Resorts undMenschen aller Nationalitäten. Auch was dieQualität der Universität und ihr Fächerange-bot betrifft, konnten wir uns im Voraus nurein ungefähres Bild machen. Das KanarischeArchipel ist vulkanischen Ursprungs. Das er-klärt, warum ein Studienaufenthalt für Physi-sche Geographen besonders interessant ist.Wir beide sind jedoch Humangeographen undwaren daher erfreut festzustellen, dass auchFächer zur Geographie des Tourismus und derUmweltplanung vertreten waren. Und nach-dem ein paar Papiere ausgefüllt, der Flug ge-

bucht und sich von Familie und Freunden trä-nenreich verabschiedet wurde, ging es auchschon los ins gemeinsame Abenteuer. . .

Leben auf der Insel oder ¡Wir verstehen nur Spanisch!

Allgemein wird behauptet, dass man im Aus-land vor allem sich selbst besser kennenlernt.Was also fanden wir über uns heraus? Wirstellten erschrocken fest, dass wir dem deut-schen Stereotypen ziemlich genau entspre-chen. Nach zahlreichen Diskussionen mit un-seren jeweiligen neuen Mitbewohnern undleidenschaftlichen Plädoyers, mussten wir unsgeschlagen geben: ¡Ustedes son muy alemán!Und wir waren wirklich deutsch: 30 Minutenin Spanien zu spät zu kommen, ist pünktlich;Pläne für den kommenden Tag zu machen, istunspontan! Selbst hispanisierte Deutsche er-kennt man an ihren Outdoorjacken – von ih-ren Rucksäcken und Socken in Sandalen ganzzu schweigen. Wer sich bisher gut tarnenkonnte, wird spätestens vor den Müllcontai-nern entlarvt: hier gilt – wer nur über dieMülltrennung nachdenkt – als deutsch!

Auf Teneriffa hatte man uns also mit Leich-tigkeit entlarvt. Aber wer waren die anderen?Was ist es, dieses Kanarische? Natürlich ist esdas gute Essen und die Gewohnheit, mittagseine Siesta einzulegen. Daran hält sich sogardie Mehrzahl der Geschäfte. Es ist das unge-schriebene Gesetz, dass sich das Leben in denBars abspielt, dort, wo die Welt noch in Ord-nung ist und der cafecito nur 80 Cent kostet.Es ist das unbeschwerte Lebensgefühl, dennEntspannen kann man an den schwarzenStränden nicht nur im Sommer, sondern zu je-der Jahreszeit. Es ist der Weihnachtsbaum-schmuck an den Palmen und die heißeste Zeitdes Jahres, wenn im Februar Menschenmassenaus aller Welt herbeiströmen, um den zweit-größten und zweitschönsten Karneval derWelt in Santa Cruz zu erleben. Im Umgang mitGeld gilt: die sicherste Anlage ist der eigene

Abb. 1: Las Teresitas. Künstlich aufgeschütteter Strand für die heimische Bevölkerung aus Sahara-Sand. (Quelle: Hübscher 2013)

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Abb. 2: La Montaña Blanca – Zwischenetappe zum Teide (Quelle: Kellig 2013)

Abb. 3: Schneebedeckter Teide im Februar (Quelle: Kellig 2013)

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Körper. In Zeiten wirtschaftlicher Ungewiss-heiten investiert man lieber in Kleidung,Schmuck, Fitnesscenter und Make-up – diegoldene Regel gilt bis ins hohe Alter.

Wer sich diese Prinzipien verinnerlicht, be-findet sich bereits im fortgeschrittenem Stadi-um der Hispanisierung. Aber kann man auchaus dem Schubladendenken ausbrechen, dasden Deutschen so oft vorgeworfen wird? DasERASMUS-Programm kann in dieser Hinsichtzum Sprungbrett oder Hindernis werden. Wersich am Anfang zu sehr auf andere Austausch-studenten einschoss und verpasste, Kontaktezu den Kanariern zu suchen, hatte zumindestim sprachlichen Lern- und Akkulturationspro-zess deutliche Nachteile. Dem gingen wir vonAnfang an konsequent aus dem Weg. Wir ent-schieden uns bewusst dafür, nicht zusammen,sondern in unterschiedliche spanischsprachigeWGs zu ziehen. Spanische Freundeskreise wa-ren somit schnell aufgebaut. In unseren Multi-kulti-Wohngemeinschaften lebten wir die vonden Kanariern proklamierte Tri-Kontinentali-tät: wir wohnten mit jungen Menschen ausBrasilien, Uruguay, Gambia und Teneriffa zu-sammen. In den unzähligen Abendessen, dencenas, wurde offiziell ab 21 Uhr bis spät nachMitternacht gespeist. Obligatorisch dabei: diemit Sangria gefüllten Wäschekübel! Späterwurde auf den Dachterrassen der Wohnungendas Leben in vollen Zügen genossen und (fast)rund um die Uhr Spanisch gesprochen. DieWG wurde zur familia.

Trikontinentalität ahoi!

Die Insulaner verstehen sich als eigenständigeseuropäisches Völkchen. Man bezeichnet sichstolz als Canarios – nicht als Spanier. Fest-landspanien wird leicht belächelt und ledig-lich als península (Halbinsel) bezeichnet. Sogardas auf den Kanaren gesprochene Spanischhebt sich deutlich vom Festland ab: es istlangsamer, wer lispelt (so, wie die von derHalbinsel), wird schief angeguckt. Wie dieSüdamerikaner verzichtet man auf die ihr-Verbform und das „s“ an Wortenden wird ausBequemlichkeit einfach gehaucht. Trotz inten-siver sprachlicher Vorbereitung mussten wirSpanisch vor Ort also neu erlernen. Und amEnde des Jahres wird uns von unseren Freun-den bestätigt, einen nicht-identifizierbarenDialekt zu besitzen, mit einem Mix der Eigen-heiten aus Standardspanisch, dem melodi-schen Dialekt der Kanaren und deutlichenEinflüssen aus dem Süden Amerikas.Aus ihrer Sicht bilden die kanarischen Inselnden Mittelpunkt zwischen Europa, Afrika undAmerika – bis heute sind die Einflüsse aus die-sen Erdteilen, z.   B. in der Bevölkerungszusam-mensetzung sichtbar. Während des Imperialis-mus war das Archipel wichtiger Umschlag-platz. Viele Inselbewohner wanderten nachLateinamerika aus und gründeten Städte, wiebeispielsweise die Hauptstadt Uruguays, Mon-tevideo. Heutzutage ist eine Umkehrung diesesWanderungsstroms zu beobachten: Nachfah-ren der emigrierten Kanarier zieht es von La-teinamerika zurück auf die sieben Inseln des

Abb. 4: Blick auf San Cristóbal de La Laguna (Quelle: Hübscher 2013)

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ewigen Frühlings. Man bedient sich quasi ei-nes Kunstgriffes: Wenn man schon in die EUimmigrieren möchte, um nach einem besserenLeben zu streben, dann doch bitte auf die Ka-narischen Inseln – entgegen jeglicher geopoli-tischer Gesetze fühlt man sich hier Lateiname-rika in Kultur und Lebensform näher als denEuropäern vom Festland.

Zwischen Weltkulturerbe, Naturwundern und den Heraus-forderungen des neuzeitlichen Fremdenverkehrs

Nachdem wir auf sozio-kultureller Ebene an-gekommen waren, konnten wir uns mit vollemEinsatz der Erkundung der Insel widmen. Wirwaren begeistert! Entgegen unseren Vorstel-lungen wohnten wir nicht mitten im Massen-tourismus, sondern im Herzen der Metropolre-gion San Cristóbal de La Laguna – Santa Cruz,einem Ballungsraum mit knapp einer halbenMillion Menschen – pulsierend, spanisch, undohne Touristen! Da weder La Laguna in denBergen, noch die Hafen- und IndustriestadtSanta Cruz lange Sandstrände zu bieten ha-ben, verirren sich hierher höchstens ein paarTagestouristen. Dabei hat gerade das histori-sche La Laguna aus geographischer Sicht vielzu bieten: Das Zentrum wurde als erste euro-päische Stadt ohne Befestigungsanlage ge-plant, ist architektonisch seit 500 Jahren un-verändert und formte später das Stadtmodell,welches zum Exportschlager für die Neue Weltwurde: die Lateinamerikanische Stadt. Da ver-wundert es nicht, dass die Altstadt 1999 zumUNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde.

Der Inseltourismus konzentriert sich räumlichtatsächlich auf zwei Gebiete. Eines davon bil-det Puerto de la Cruz im Norden, das dankseiner Hochhausskyline als die „kleineSchwester Manhattans“ betrachtet werdenkann. Als erster Ort des neuzeitlichen Massen-tourismuses versucht man mittlerweile, 60Jahre nach dem ersten Boom, auf neue Zug-pferde der Branche wie Luxus-, Gesundheits-,und Seniorentourismus umzusteigen. Mit derEröffnung des internationalen Südflughafenshat der Fremdenverkehr auch im Süden derInsel Einzug gehalten und sich ein Städtebandentwickelt, dass heute zu den wichtigsten undam besten organisierten Tourismusdestinatio-nen der Welt gehört, die Costa Adeje. Beson-ders interessant ist, dass sich mit dem Touris-mus die geographische Organisation desRaumes tiefgründig verändert hat. Ehemalswurde dieser vertikal zur Nahrungsversorgunggenutzt: Im Sommer betrieb man Landwirt-schaft in etwas höheren Lagen, im WinterFischfang am Meer. Während eines Jahres zogeine Familie also samt Tieren vom Meer in dieBerge und zurück. Mit der Zeit bildeten sich soSiedlungen, die miteinander in Verbindungstanden. Auch heute kann man diese Bezie-hung anhand der Namen noch erkennen: Sozum Beispiel die Siedlungen Güímar in denBergen und Puertito de Güímar (Häfchen vonGüímar). Administrativ sind solche Orte zu ei-nem Munizip (etwa Landkreis) zusammenge-fasst und stehen in der Regel in wirtschaftli-cher Partnerschaft. Mit der Entwicklung derKüstenregionen (besonders im Süden) wurde

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dieses historische Muster jedoch aufgebrochenund es fand eine Horizontalisierung oder Lito-ralisierung statt. Heute sind die Küstenstädtedie Zentren sämtlicher wirtschaftlicher Tätig-keiten und das Hinterland sieht sich mit zahl-reichen Strukturproblemen konfrontiert.

Doch auch die kleinen Dörfer in den Bergenfinden zunehmend ihre touristische Nische. Eswird auf Rural- und Vulkantourismus gesetzt.Obwohl sol y playa (Sonne und Strand) dasunangefochtene Produkt des Fremdenverkehrsschlechthin ist, erkennt man immer mehr dastouristische Potential der einzigartigen undfaszinierenden Naturkulisse der Insel. Auf

kleinstem Raum finden sich hier grünedschungelartige Nebelwälder, schroffe Tälerund Schluchten, steile Felsklippen, farbenrei-che Gesteinsaufschlüsse, mondlandschaftartigeFelsformationen, scheinbar endlose Lavafelderund zahlreiche Vulkankegel. Und natürlich derTeide, UNESCO-Weltnaturerbe und mit3.718  m der höchste Berg Spaniens. Man wirbtheutzutage mit dem Logo Tenerife – Disfruta de

todo (engl. Enjoy it all). Ruhigen Gewissensbehaupten wir, den Slogan wörtlich genom-men zu haben: wir unternahmen wöchentlichAusflüge, wanderten in allen Gebirgen der In-sel, bestiegen den Teide, wir surften, beobach-

Abb. 6: Montañas de Anaga (Quelle: Hübscher 2013)

Abb. 5: Nationalpark “Las Siete Cañadas del Teide” (Quelle: Hübscher 2012)

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teten mit dem Kanu Delphine und erholtenuns von der Anstrengung an den unzähligennaturbelassenen schwarzen Stränden – oderam Playa de las Teresitas, einem in den 1970erJahren mit Sahara-Sand künstlich aufgeschüt-tetem Strand nördlich von Santa Cruz(Abb.   1 ).

Die Insel lebt also von ihrer Vielfalt und ih-ren Kontrasten. Dies gilt jedoch nicht nur fürdie landschaftlichen Eigenheiten (50  % derInselfläche steht unter Naturschutz), sondernauch für die klimatischen Besonderheiten. Vorallem Teneriffa ist eine Insel der Mikroklima-te. Das können insbesondere die Bewohner La

Lagunas bezeugen, die durch die Kessellageder Stadt in 500  m Höhe meistens am extre-men Ende des sonst recht beständigen Klimassind. Im Winter ist es oft wolkenverhangenund mit 15  °C vergleichsweise kalt (v.   a. weildie Wohnungen i.   d.   R. keine Heizungen ha-ben). Im Sommer hingegen staut sich die hei-ße Luft und es fehlt die frische Meeresbrise.Aber der Ozean ist schließlich nicht weit ent-fernt und der sonnigste Ort des Tages lautWetterbericht schnell gefunden und erreicht.

Bis auf Wintersportler werden auf der Inselalso alle Geschmäcker bedient und das mehroder weniger ganzjährig. Wo sonst kann man

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sich im Februar am Strand bräunen mit Blickauf den schneebedeckten Teide? Nicht ohneGrund nannten die antiken Griechen die Kana-ren die „Inseln des Paradieses“ – eine äußersttreffende Beschreibung, wie wir finden.

Von Bologna, Tellerwäschern und der deutschenBundeskanzlerin

Kennen wir nicht alle den Vorwurf, das neuedeutsche Bachelor-Master-System sei ver-schult? An der Universität La Lagunas wurdenwir eines Besseren belehrt: Feste Klassenzim-mer, von Zimmer zu Zimmer rotierende Leh-rer, Noten für die Anwesenheit, umfangreicheHausaufgaben, Zwischenexamen als Vornotenund ein Stundenplan so dynamisch wie wirDeutschen – verschulter geht es selbst in unse-ren Schulen nicht zu! Schuld daran gibt mandem Bologna-Abkommen. Was sich seit Bolo-gna aber sicher nicht geändert hat, ist das Ver-hältnis zwischen Studenten und Dozenten. DasUmfeld ist deutlich familiärer, obwohl dieUniversität mehr als 25.000 Studierende hat.Vielleicht liegt es daran, dass man den Profes-sor duzt? Oder daran, dass sich die spanischeGesprächigkeit bis in den Unterrichtsraumausweitet? Wir wurden jedenfalls von fast al-len Professoren und Studenten mit offenen Ar-

men und deutlichem Interesse empfangen: esgab unzählige Angebote für Hilfestellungen,Augen wurden zugedrückt und zahlreiche Ex-trawürste gebraten. Als ERASMUS-Studentenkonnten wir aus dem Fächerangebot aller Fa-kultäten wählen und ergänzten so das aus un-serer Sicht etwas magere humangeographischeAngebot mit Modulen aus der Wirtschaftsfa-kultät und Tourismusschule. Optisch wurdeuns das Lernen durch einen grünen, großräu-migen und palmenreichen Campus versüßt.Auch an die verglaste Bibliothek mit Meer-oder Bergblick könnte man sich gewöhnen.Und Zeit dazu hatten wir genug. Lernen fürdie Zwischenexamen, Texte lesen und Aufsät-ze schreiben – wir wurden hier schnell zuStammgästen.

In finanzieller Hinsicht haben wir jedochfestgestellt, wie gut und günstig wir eigentlichzu Hause studieren können. In Spanien wirdjedes Fach einzeln bezahlt. Die Kosten sum-mieren sich von „preiswerten“ Studiengängenwie der Geographie auf ca. 600  € pro Semes-ter. Juristen und Mediziner müssen hingegen2000  € hinlegen. Wer eine Prüfung nicht be-steht, hat unendlich viele Wiederholungsver-suche. Allerdings muss beim Zweitversuch be-reits der doppelte Modulpreis gezahlt werden.Und das obwohl in den Zeiten der Krise auch

Abb. 7: Anaga: Dschungelartige Loorbeerwälder und unberührte Natur in Teneriffas Norden (Quelle: Hübscher 2012)

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der Universitätsabschluss keine Garantie aufArbeit ist. Wer meint, von den wirtschaftli-chen Turbulenzen des Festlandes bleiben ul-traperiphere Regionen, wie die Kanaren ver-schont, irrt. Obwohl der Tourismus nach wievor auf einem konstanten Allzeithoch ver-harrt, verbleiben mehr als 70  % aller Jugend-lichen im Archipel ohne Job – seitdem sich dieKonjunktur auf Talfahrt befindet, ist die Ju-gendarbeitslosigkeit in keiner anderen euro-päischen Region vergleichbar hoch. Physio-gnomisch bildet sich die Krise z.   B. durch diesichtbar geplatzte Immobilienblase im Raumab: unfertige Bauruinen und gähnender Leer-stand prägen die Szenerie in den Städten. Dasses uns daheim vergleichsweise gut geht, merktman erst, wenn man Good Old Germany ver-lässt. Die enormen Disparitäten zwischen denMitgliedsstaaten in der EU heizen die Diskus-sion über die Deutschen und ihre hierzulandenur als „Angela“ bezeichnete Chefin an. Manschlussfolgert: unsere stabile wirtschaftlicheLage wird zum einen dem deutschen Fleiß undzum anderen Frau Merkel zugeschoben. Ande-rerseits wirft man der Bundeskanzlerin, diegleichzeitig für die straffe Eurosparpolitik unddie Austerität verantwortlich gemacht wird,mangelndes Einfühlungsvermögen für die Kri-senstaaten und deutschen Neokolonialismus in

der EU vor. Die Hassliebe gegenüber denDeutschen spiegelt sich selbst in den Migrati-onsströmen wider. Man regt sich zwar überdie Ungerechtigkeiten auf, aber wer Deutschkann, bucht den nächsten Flug nach Alemania

– one-way. Alle anderen gehen nach Londonund versuchen trotz Uniabschluss sich vomTellerwäscher nach oben zu arbeiten.

Was bleibt?

Öffnet allein der Name „Universidad de La La-guna“ im Lebenslauf zukünftige Türen? Wirlebten und studierten hier im Paradies. DieUniversität bietet für Austauschstudenten einangemessenes Niveau, um auch mit gebroche-nem Spanisch eine reelle Chance zu haben,gute Noten zu bekommen und sich Fachwissenaneignen zu können.

Türen wurden bereits aufgestoßen, z.   B. inForm von erfolgreichen Praktika-Bewerbun-gen. Erhalten bleibt uns in jedem Fall aberauch die gesammelte Lebenserfahrung. Wirhaben uns im Ausland selbstständig und infremder Sprache durchgeboxt, Erfolg gehabtund Freunde fürs Leben gefunden. Die zehnMonate haben uns geformt, den Horizont er-weitert und die Identität gefestigt. Einflüsseaus anderen Kulturen und Mentalitäten haben

Abb. 8: La Tarta (Die Torte) – Aufschluss verschiedener Aschelagen im Naturpark “Corona Forestal” (Quelle: Hübscher 2012)

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Abb. 9: Blick auf das Tal von Las Mercedes (Quelle: Hübscher 2012)

Abb. 10: Hauptbibliothek der Universidad de la Laguna auf dem CampusGuajara (Quelle: Kellig 2013)

Abb. 11: Santa Cruz de Tenerife – Auditorium und "las tor-res" (Quelle: Hübscher 2012)

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uns wachsen lassen. Ja, wir sind pünktlich,tragen unsere Outdoorjacken nach wie vorund sind pro Mülltrennung. Dennoch sehenwir heute viele Dinge gelassener und könnenüber uns und unsere Landsfrauen und -männerschmunzeln.

Das Zusammenspiel von erstklassigen Tou-rismusdestinationen, quasi unberührter Naturund authentischem spanischen Leben machtdie Insel zu einem ganz besonderen FleckchenErde. Hier trifft man verschiedene Kulturen anund es gibt weit mehr zu erleben als nur Son-ne, Strand und Meer. Alles in allem sind wirvon Insel und Bewohnern begeistert und kön-nen unbezahlbare Erfahrungen unser Eigennennen. Wir sind froh, uns die Extrazeit imStudium genommen zu haben, denn ein Se-mester wäre viel zu kurz gewesen. Die Zeitbrauchten wir allein, um die Sprache zu erler-nen und uns heimisch zu fühlen. Und den-noch, der Flug zurück auf die Insel ist quasischon fast gebucht, ein Jahr scheint im Nach-hinein nicht genug. Aber soll man nicht ge-hen, wenn es am schönsten ist?

OUTTAKES:Weitere Geschichten aus dem Spanischen Leben

Im Kampf gegen die spanische Bürokratie

Außer Frage steht, dass ERASMUS es seinenTeilnehmern enorm vereinfacht, im Auslandzu studieren. Sämtliche Formulare stehen be-reit, alle beteiligten Büros und Sekretariatesind gut abgesprochen, man ist auf den An-sturm der ERASMUS-Hundertschaften gut ge-wappnet. Soweit zur Theorie! Wer seine Ner-ven mal aufs Äußerste strapazieren möchte,dem können wir wärmstens empfehlen, sich ineinen Papierkrieg mit der spanischen Bürokra-tie einzulassen. Da verzweifeln selbst gut or-ganisierte Deutsche. Doch als erfahrene Spani-en-Experten wissen wir es heute besser! Obauf der Post, dem Polizeirevier oder beim Flei-scher: die Kanarier ziehen Zettel! In einerBank ist der Trick beispielsweise, zwischen dergezogenen Nummer 401 und der aktuell ange-zeigten 324, die Wartezeit korrekt auf 3,5Stunden zu schätzen und zwischendurch ein-fach an den Strand zu fahren (selbst erprobtesBeispiel)! Oder, wie es eine unserer Mitbe-

wohnerinnen tat, mit figurbetontem Leopar-den-Outfit und übergroßer Sonnenbrille in dieBank zu marschieren, nach dem Chef zu fra-gen und anschließend das Schlüsselwort „Be-schwerdeformular“ unauffällig fallen zu lassen– schon wird man für immer bevorzugt be-handelt. Wer den konventionellen Weg geht,kann nur mit Ausdauer, enormer Gelassenheit,gekoppelt mit Sturheit zum Ziel kommen.

Gemeinsam vereint?

Auch zwischen den Insulanern geht es nichtimmer entspannt zu. Die autonome Region derKanarischen Inseln besteht aus zwei Provin-zen, die sich in ständigem Streit befinden. So-gar um die Hauptstadt. Deswegen wechseltder Sitz der Regierung alle vier Jahre zwi-schen Santa Cruz de Tenerife und Las Palmasde Gran Canaria. Und manchmal können jeneRivalitäten auch eskalieren. Die Zugehörigkeitzur Provinz war lange Zeit am Autokennzei-chen erkennbar und zahlreiche Bekannte er-zählten uns Geschichten über materielle Schä-den und Benachteiligung bei der Vergabe vonKnöllchen durch die Polizei, wenn man sichmit seinem Automobil auf die „falsche“ Seitetraute. Die neuen Nummernschilder sind nunalso anonym und tragen nur noch das ZeichenSpaniens.

Ciao Bella!

Ein repräsentativer ERASMUS-Jahrgang aufTeneriffa setzt sich wie folgt zusammen: 50  %Deutsche, 40  % Italiener, 10  % Andere.

Vielleicht waren sie eine Ausnahme, aberdie italienische Nachbar-WG hinterließ einenbleibenden Eindruck. Sie fielen auf durchKrach, ciao bella, Fiesta bis morgens um 9 Uhrund ganzjähriger Abwesenheit im Unterricht.Die eigene Cannabis-Plantage auf der Dach-terrasse inklusive permanenter Marihuana-Wolken im Haus und der Dauergast „Polizei“waren weitere Begleiterscheinungen. Sie ha-ben jetzt eine Anklage von den Mietern untersich wegen permanenter Ruhestörung amHals. Eine beachtliche Leistung, wenn manbedenkt, dass Italiener ohne spanische Vor-kenntnisse auf die Insel kommen und sichtrotzdem eigentlich doch ohne Probleme ver-ständigen können.

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Eine Tagung besuchen vor dem Abschluss?Ja! – Ein studentischer Erfahrungsberichtzum Arbeitskreistreffen Geoarchäologie2013 in Cottbus

Sophie Großmann (Leipzig)

Im vergangenen Jahr arbeitete ich als studen-tische Hilfskraft für die jährlich stattfindendeTagung des Arbeitskreises Geoarchäologie.Während meiner Betreuungsaufgaben, dieGäste zu versorgen und Tagungsmaterialenauszuhändigen, konnte ich beobachten, dassdas Arbeitskreistreffen 2012 in Leipzig nichtnur von Professoren, Habilitanden und Dokto-randen besucht wurde, sondern auch von eini-gen wenigen Bachelor- und Masterstudenten.Das verwunderte mich, war ich bislang davonausgegangen, dass nur erfahrene Wissen-schaftler mit verschiedensten Abschlüssen sol-che Tagungen besuchen würden. Ebenso warich mir unsicher darüber, ob man als Bache-lorstudent den Themen inhaltlich folgen kön-ne. Eine Tagung besuchen vor dem Abschluss?– Undenkbar für mich.

Bei meinen regelmäßigen Besuchen imDeutschen GeoForschungsZentrum (kurz: GFZ) inPotsdam, an dem ich mich für Vorbereitungen

auf meine Bachelorarbeit aufhielt, nahmenmich Kollegen zu einem Tagungsvortrag mit.Aus den anfänglichen Bedenken, die ich be-reits während des Arbeitskreistreffens in 2012hatte, wurde eine unglaublich interessanteund aufschlussreiche Vortragserfahrung. DieHemmschwelle als Studentin Fachvorträge zubesuchen, war damit gefallen.

Ein paar Monate später entdeckte ich zufäl-lig auf einer Internetseite, dass die diesjährigeTagung des AK Geoarchäologie in meiner Hei-matstadt Cottbus stattfinden sollte. Ich fragteKommilitonen, ob sie mich begleiten würden.Mit ein wenig Überzeugungsarbeit – denn ichwar nicht die Einzige mit diesen Bedenken –nahmen vier Studenten der Universität Leipzigteil. Der ermäßigte Teilnehmerbetrag für Stu-dierende von 40 € erschien uns angemessen.

Am 02.05.2013 fuhren wir also nach Cott-bus. Seit meiner Abiturzeugnisausgabe 2010war ich nicht mehr an der BrandenburgischenTechnischen Universität Cottbus (BTU) gewe-sen. Ich freute mich nicht nur, zu Hause zusein, sondern auch dass in meiner Heimatstadteine solche Tagung ausgerichtet wird – vor al-lem weil Cottbus von Außenstehenden trotzdes sorbischen Charmes oft unterschätzt wird.

Mit unserer Ankunft und Anmeldung er-hielten wir folgende Dinge:• Schildchen mit unseren Namen und

Abb. 1 : Gruppenbild Studenten Universität Leipzig (Quelle: Foto E. Schmaltz)

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unserer Institution,• einen Tagungs- beziehungsweise

Exkursionsband,• einen USB-Stick mit Karten des Landes

Brandenburg,• eine Ausgabe „Ausgrabungen im Nieder-

lausitzer Braunkohlerevier 2008“ desBrandenburgischen Landesamtes fürDenkmalpflege und ArchäologischesLandesmuseum sowie

• einen Stift und Block, welche vom GFZin Potsdam gesponsert wurden.

Nach der Begrüßung durch Herrn WaltherChristoph Zimmerli, Präsident der BTU, HerrnKlaus Freytag, Präsident des LBGR Branden-burg und Herrn Thomas Raab, Leiter des Lehr-stuhls für Geopedologie und Landschaftsent-wicklung, begannen die Vorträge. Jedes derForschungsthemen wurde eine halbe Stundevorgestellt. Die Themengebiete waren vielfäl-tig. Diese reichten von Landschaftsrekonstruk-tionen, über die Erforschung von Siedlungs-strukturen, bis hin zu geophysikalischen undgeochemischen Rekonstruktionen und Model-lierungen. So unterschiedlich wie die Themen-gebiete waren auch die Untersuchungsstand-orte. Diese erstreckten sich von der Lausitz biszu den Vereinigten Arabischen Emiraten. Auf-gezeigt wurde mir dabei auch, wie breit gefä-chert die Arbeitsdisziplin Geoarchäologie ist:Einige Vortragende befanden sich mit ihrenArbeitstiteln sehr nah an der Archäologie, an-dere wiederum konzentrierten sich auf boden-chemische Zusammenhänge. So ging es amersten Vortragstag um Untersuchungsgebietein Deutschland: Vormittags wurden dazu For-schungsergebnisse zu Jägern und Sammlernim Kontext der Umweltbedingungen des Meso-und Känozoikums vorgestellt. Gefolgt wurdendiese von geoarchäologischen Untersuchungenin Mitteldeutschland und dem Rheinland. ImAnschluss an die Mittagspause wurde ein Vor-trag zur Überwindung der Hauptwasserschei-de im Mittelalter, der Fossa Carolina, gehal-ten. Ein weiterer Referent berichtete über denveränderten Landschaftswasserhaushalt derslawischen Siedler an der Mittelelbe und überdie Methodik der Phosphatprospektion.Abends fand die übliche Mitgliederversamm-lung des Arbeitskreises Geoarchäologie statt,an der wir aber nicht teilnahmen. Stattdessenzeigte ich meinen Kommilitonen die Altstadtvon Cottbus – ein geeignetes Kontrastpro-gramm vom vielen Sitzen und Zuhören. Die

sich anschließende Abendveranstaltung fandim Informations-, Kommunikations-, und Me-diencenter der BTU (kurz: IKMZ) statt.

Am nächsten Tag handelten die ersten Vor-träge von geoarchäologischen Untersuchungenin der Region der Niederlausitz. Dadurchkonnte ich einen guten Einblick in die Ver-gangenheit meiner Heimat gewinnen. Es folg-ten Vorträge zur Landschaftsentwicklung und-rekonstruktion in Osteuropa und Italien. Nachder Mittagspause wurden neue Ansätze überdie römerzeitlichen Siedlungsstrukturen, dieFeuer- und Landnutzungsgeschichte in Öster-reich, geoelektrische Erkundungen des Tem-pelareals von Baalbek und die holozäne Küs-tenentwicklung im Zusammenhang mit deranthropogenen Landnutzung im Peloponnesvorgestellt. Die letzten Vorträge dieses Tagesbeschäftigten sich mit dem Landschaftswandelin den Vereinigten Arabischen Emiraten undder Levante sowie der Vorstellung erster Er-gebnisse zur geoarchäologischen Prospektion

Abb. 2 : Außenansicht IKMZ (Quelle: Foto C. Kertscher)

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des minoischen Hafens von Aktrotiri/Santorin.Mit Abschluss dieser langen Vortragsreihe

wurden wir gegen 17 Uhr mit Bussen zur Sla-wenburg Raddusch gefahren. Dort gab es eineFührung durch die Ausstellung „Archäologiein der Niederlausitz“ und „Vogelzug – Bronze-zeit aus der Vogelperspektive“ sowie einAbendbrot und viele gemeinsame Rückblickeund Diskussionen zu den Vorträgen der bishe-rigen Tagung. Um ehrlich zu sein, empfandich diesen Tag dennoch als sehr herausfor-dernd. Das Stillsitzen und konzentrierte Zuhö-ren ging auf Dauer zu Lasten der Aufnahmefä-higkeit.

Mein persönliches Highlight war die amTag darauf mit Offroad-Kleintransportern or-ganisierte Fahrt der Firma Vattenfall EuropeMining AG durch den Tagebau Jänschwalde.Die Abtragung der quartären Deckschichtendurch den Tagebau-Bagger ermöglicht hierheute noch den Einblick in die Sedimente derspäten Saale-Kaltzeit und der Eem-Warmzeit,zu welcher sich an dieser Stelle ein See be-fand. Der Geruch von Algen lag in den Auf-schlüssen nach tausenden von Jahren immernoch in der Luft. Der Wechsel in den Profilen

zwischen den limnischen und terrestrischenSedimentationen, sowie der Wechsel der gla-zialen Serien waren unglaublich eindrucksvoll.Die Dünen, welche im Vorland des Gletschersabgelagert wurden, erinnern eher an einenSandstrand am Urlaubsort als an einen Tage-bau in Südbrandenburg. Bei dieser Morpholo-gie schlug mein physisches Geographenherzhöher. Auch archäologisch gab es einiges zubestaunen, z.   B. die im Durchmesser mehrereMeter breiten Holzkohlemeiler, deren Mauernin die Erde gebrannt waren. Für mich ist esimmer noch beeindruckend, wie deutlich dieSpuren unserer Vorfahren im Boden heutenoch zu lesen sind. Danach ging es zum Eisen-hüttenwerk in Peitz, von wo aus wir abschlie-ßend zum Tagebauvorfeld Cottbus-Nord fuh-ren. Auf dem Weg zurück nach Cottbus hieltenwir auf einem großen Parkplatz, auf dem sichHerr Thomas Raab mit einer Runde Bier vonuns verabschiedete.

Mein Resümee nach diesen drei Tagen istpositiv. Der Besuch einer solchen Tagung ver-mittelt nicht nur ein vertieftes Wissen überbestimmte Fachinhalte. Zudem war für michbeeindruckend, wie facettenreich eine Diszi-

Abb. 3 : Treppenaufgang im IKMZ (Quelle: Foto C. Kertscher)

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plin sein kann und über welches umfangreicheWissen man für derartige Untersuchungenverfügen muss. Einerseits ist hierbei die Ar-chäologie zu nennen, welche sich mit demMenschen und seinen Lebensweisen beschäf-tigt. Auf der anderen Seite steht die reine geo-chemische oder physikalische Analytik der er-hobenen Daten. Eine solche Tagung zeigt, dassman in der Forschung gezwungen ist, über deneigenen Tellerrand hinaus zu blicken. Meineanfänglichen Bedenken, dass so manches The-ma mein Wissen oder meine Vorstellungskraftkomplett übersteigen könne, blieben aus. Zwargab es ein paar wenige Vorträge, auf die Dis-kussionen folgten, bei denen mir oft das Fach-wissen fehlte, doch auch dies empfinde ichjetzt im Nachhinein als Lernangebot.

Was mich jedoch insgesamt nicht wirklichüberraschte war, dass wir in unserer studenti-schen Gruppe blieben. Zu uns gesellte sich einweiterer Student, der mit seinem Dozenten ausBayreuth angereist war. Außer den uns be-kannten Professoren und Mitarbeitern unsererHeimatinstitution sprach uns niemand an oderinteressierte sich für die Beweggründe unsererTeilnahme. Ein wenig hatte ich sogar das Ge-fühl, dass die meisten es komisch fanden, dasssich Studenten auf einer solchen Fachtagungherumtrieben. Hier lässt sich nur schwerlichspekulieren, woran das liegen könnte. Den-noch habe ich die Hoffnung, dass so mancherfernab dieser universitären Hierarchien es tollfand, dass sich junge Menschen für ihre Arbeitund für diese Disziplin interessieren.

Ein guter Nebeneffekt ist zudem, dass mandurch Tagungsbesuche in Städte oder an Ortekommt, die man im Alltäglichen nie aufge-sucht hätte. Durch die angebotenen Exkursio-nen besuchte ich Standorte, die mir wahr-scheinlich sonst verwehrt geblieben wären.Zurückblickend kann ich sagen, dass ich vielin diesen drei Tagen mitgenommen habe, so-wohl fachlich als auch persönlich. So hatte ichdas Glück die geoarchäologische Vergangen-heit meiner Heimat besser kennen und verste-hen zu lernen. UND: Ich würde jederzeit wie-der eine Tagung während und über meine Stu-dienzeit hinaus besuchen, da ich die anfängli-chen Berührungsängste abbauen konnte.Daher empfehle ich jedem, insbesondere denstudentischen Lesern von entgrenzt, die Teil-nahme an Tagungen jedweder Form und The-matik.

„Von der Puszta in die Karpaten –Kulturlandschaften im Umbruch“Herausforderungen und Ansätzenachhaltiger Raumplanung in Südosteuropa

Ein Erfahrungsbericht vonBenjamin Prager (Universität Leipzig)

Rumänien und Ungarn: zwei Länder, über de-ren Geschichte und Naturraum ich bis zurTeilnahme an der Sommerschule „Von derPuszta in die Karpaten – Kulturlandschaftenim Umbruch“ im Sommer dieses Jahres nichtmehr als ein paar Schlagworte, wie „Reiter-volk“, „Karpaten“ und „unbeschreibliche Kul-turlandschaft“ wusste. Das Ziel der Sommer-schule bestand darin, die Gegensätze derräumlichen Entwicklung Rumäniens, insbe-sondere Siebenbürgens, zwischen Globalisie-rung und Erhaltung der traditionellen Kultur-landschaft aufzuzeigen. Mit einem erfolgrei-chen Antrag für ein DAAD-Stipendium im Go-

East-Summer-School-Programm ging es am14.07.2013 los. Reisestartpunkt war der Bu-dapester Keleti. Dort traf ich auf eine Gruppevon Studenten verschiedener Fachrichtungen.Der Mix aus Agrarwissenschaftlern, Land-schaftsplanern bis hin zu Geographen solltesich während der gesamten Reise als durchauspositiv bemerkbar machen, da damit diverseProblematiken in den Diskussionen aus ver-schiedenen Blickwinkeln beleuchtet werdenkonnten.

Unsere Route führte uns für die ersten dreiTage nach Poroszló, einem idyllischen Dorfam Theiss-See. Nach einer kleinen Ortsbege-

Abb. 1: Poroszló (Quelle: Prager 2013)

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hung, inklusive Anbaden, widmeten wir unsdurch Vorträge und Diskussionsrunden derEntwicklung des Theiss-Sees, inklusive demHortobágy-Nationalpark als Tourismus- undNaturschutzgebiet. Bei einer Seerundfahrt so-wie bei einem Besuch des Nationalparks undÖkozentrums in Poroszló erfuhren wir, dass essich bei der vor uns liegenden Gras- und Seen-landschaft um eines der größten Flora- undFauna-Habitate Europas handelte. Weitere Ge-spräche mit dem Bürgermeister von Poroszlóund Mitarbeitern des Nationalparks zeigtensowohl zukünftige Pläne, als auch Missständein der Region auf. Es wurde sichtbar, dass dererfolgreiche Aufbau der Touristenregion je-doch durch den Mangel an Absprachen zwi-schen den diversen Anrainergemeinden undden politischen Ämtern stark beeinträchtigtwird. Im Laufe der Reise wurde mir immerhäufiger bewusst, dass dies kein seltenes Phä-nomen in Ungarn und Rumänien darstellt.

Am vierten Tag unserer Reise verlagertenwir unseren Standort nach Cluj und konzen-trierten uns auf das Thema Stadtentwicklung.Der erste Eindruck von der Stadt war zunächstsehr quirlig, lebendig und geprägt von einemheillosen Durcheinander. Durch Vorträge derAgenţia de Dezvoltare Regională Nord Vest, undPlanwerk, einer deutsch-rumänischen NGO,diskutierten wir Lösungen für die langfristigeStadtentwicklung von Cluj. Das bauliche Erbezwischen Verfall von historischer Bausubstanz,großflächigen Industriebrachen und sozialisti-scher Überprägung durch Großwohnsiedlun-gen wurde dabei insbesondere thematisiert.Die Ausprägungen der damit einhergehendenProzesse konnte an unzähligen Stellen in derStadt beobachtet werden. Besonders hervorzu-heben sind dabei die Suburbanisierungspro-zesse, die nicht nur Verkehrsprobleme, son-dern auch den Mangel an Grün- und Erho-lungsflächen weiter verschärfen. Die Innen-stadt, die Großwohnsiedlung Mănăştur sowiedie Vorort-Gemeinde Floreşti bilden Parade-beispiele für diese Entwicklungen. Entspan-nung gegenüber der Flut von Informationenund Eindrücken bot das vielfältige Nachtlebenund Kulturprogramm von Cluj. Dabei spürteman förmlich den Wunsch nach dem Titel„Europäische Kulturhauptstadt 2020“. Es schi-en als sei dies das größte Potenzial für die zu-künftige Entwicklung der Stadt. Cluj blieb mirso als faszinierende Stadt zwischen stilisiertenVisionen und teilweise problematischer Reali-tät in Erinnerung.

Abb. 2: Hortobágy-Nationalpark (Quelle: Prager 2013)

Abb. 3: Cluj (Quelle: Prager 2013)

Abb. 4: Manastur (Quelle: Prager 2013)

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Unsere weitere Route in Siebenbürgen führ-te uns in die ungarischen Dörfer Sâncraiu undRimetea. Beide stark ländlich geprägten Orteversuchen sich anhand ihrer „natürlichen“Ressourcen als Tourismusstandorte zu etablie-ren, wobei sie für die öffentliche Verwaltungals positive Entwicklungsbeispiele in Sieben-bürgen dienen. Sâncraiu setzt dabei auf seinetraditionellen Bräuche, wie Tischler- und an-dere Holzhandwerke und versucht dies durchgezielten, sanften Tourismus für Wandererund Angler zu ergänzen. Die Bewahrung dertraditionellen Kultur sowie Landschaftspflegestehen dabei als wichtigste Ziele im Vorder-grund. Rimetea hingegen setzt stärker auf sei-ne Lage am Seklerstein. Durch die erhaltenetraditionelle sächsisch-deutsche Bauweise derWohnhäuser erhofft sich die Gemeinde Touris-ten anzulocken, da der Tourismus hier alswichtigste Einnahmequelle fungiert, währendin Sâncraiu dieser nur eine Nebeneinkunftdarstellt. Ein Vergleich der beiden Dörferzeigt, dass vor allem der Zusammenhalt derDorfgemeinschaft in Sâncraiu sehr viel stärkerausgeprägt scheint, während in Rimetea deut-liche Differenzen zwischen dem Transylvania

Trust – dem Finanzier der baulichen Erhaltung– und der Gemeinde sichtbar wurden. In die-sen landschaftlich wohl reizvollsten Punktender Tour kamen mir oft Zweifel über den län-gerfristigen Erfolg des Tourismus und somitauch der gesamten Entwicklung der Region.Dabei blieben mir insbesondere die Bedenkeneines Mitarbeiters des Trusts im Gedächtnishängen, dass der Tourismus in der Region sichzu einem beast of tourism entwickeln könne.Dies sei vor allem dann der Fall, wenn diedurch den Tourismus auftretenden Entwick-lungsprozesse bisherige Fortschritte in der Ge-meinde, durch z.   B. persönliche Vorteilsnahmewohlhabender Bevölkerung, geschluckt oderzerstört werden. Dies schien mir gerade fürRimetea als eine nicht ganz unrealistische Pro-gnose.

Als Kontrastprogramm zu den ländlichenRegionen diente ein Besuch in Sibiu. Die „Eu-ropäische Kulturhauptstadt 2007“ besitzt ähn-liche Probleme wie Cluj, hat jedoch – bedingtdurch einen engagierten Bürgermeister und ei-ne straffe Verwaltung – ihre Probleme deutlicheffektiver bekämpfen können. Laut derdeutsch-rumänischen Heritas-NGO, die wir füreinen Vortrag besuchten, wurden zahlreicheEntwicklungen mit dem Erhalt des Titels „Eu-ropäische Kulturhauptstadt“ angestoßen. Ne-

Abb. 5: Floresti (Quelle: Prager 2013)

Abb. 6 Sâncraiu (Quelle: Prager 2013)

Abb. 7 Rimetea (Quelle: Prager 2013)

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ben Touristen werden sehr viele Investorenangelockt, welche in der gut organisiertenVerwaltung eine Anlaufstelle finden. Nicht zu-letzt wird die Stadt durch das breitgefächerteKulturprogramm, inklusive jährlichem Image-branding, aufgewertet und stellt damit einenGegenentwurf zu den beschriebenen Szenarienin den siebenbürgischen Städten dar. Nichtmehr verwunderlich erschien mir die Tatsa-che, dass die Stadt Cluj ebenso Titelambitio-nen verfolgt, um den Entwicklungsabstandaufholen zu können.

Unsere letzte größere Station der Sommer-schule bildete das unter Weltkulturerbe ge-stellte Dorf Viscri. Das Dorf und seine typischsächsisch-deutsche Bausubstanz wird mit Hilfedes Mihai Eminescu Trust und des UNESCO-Ti-tels erhalten. Zeitgleich gilt Viscri als Beispielfür eine erfolgreiche Integration der Roma-Be-völkerung in die Dorfgemeinschaft und -ent-wicklung. Getragen wird diese vor allemdurch eine sehr engagierte Gemeinderätin, diesich insbesondere für die Gleichbehandlungder Roma innerhalb des Dorfes einsetzt. Pri-märes Ziel der Gemeindearbeit ist es, jedemBewohner eine Arbeit zu geben, die auch demgesamten Dorf zugutekommt und gleichzeitigden strengen Anforderungen des Trusts unddes Weltkulturerbe-Titels gerecht wird. Bereitsjetzt können erste Fortschritte verzeichnetwerden: der Ort ist zusehends ein Touristen-magnet. Als krasser Kontrast zu den bisherigenStandorten birgt das Konzept der gleichenTeilhabe aller Bewohner aus meiner persönli-chen Perspektive das Potential für eine weite-re positive Entwicklung des Dorfes.

Bei dem anschließenden Besuch derADEPT-Stiftung im Nachbardorf wurde mirerneut deutlich, dass die finanzielle Förderungder Kulturlandschaftspflege, wie auch schonan anderen Orten, wenig langfristige Ziele undHilfestellungen zu endogenen Entwicklungenbereithält. Im Allgemeinen lässt sich festhal-ten, dass die besuchten Regionen und Stand-orte, mit der Ausnahme Viscri, über wenigbottom-up-Programme verfügen, welches in-nerhalb der Gruppe die wohl kontroversesteDiskussion auslöste: Wie schafft man den Spa-gat zwischen dem Erhalt der Kulturlandschafteinerseits und der (wirtschaftlichen) Aufwer-tung der sehr ländlich geprägten, struktur-schwachen Räume anderseits? – Eine Frage,die auf mich persönlich die größte Nachwir-kung der Sommerschule hatte und auf die esnur schwerlich Antworten gibt.

Abb. 8 Seklerstein (Quelle: Prager 2013)

Abb. 9 Sibiu 1 (Quelle: Prager 2013)

Abb. 10 Sibiu 2 (Quelle: Prager 2013)

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Nach dem eher touristischen Besuch derStadt Sighişoara, führte uns unsere Reise nochein letztes Mal nach Cluj zurück. Hier ange-kommen, wurden die gesammelten Eindrückeund fachlichen Inhalte in verschiedenen Ar-beitsgruppen thematisch aufgearbeitet und an-schließend allen Teilnehmern vorgestellt. Da-bei entstanden weitere Diskussionen, die zumNach- und Weiterdenken anregten.

Mein persönliches Fazit dieser Reise fällttrotz positiver Erlebnisse und Erfahrungendennoch etwas gespalten aus. Einerseits hatmich die Vielfältigkeit der Natur- und Kultur-landschaft besonders beeindruckt. Zudem wardie Stimmung und das Verständnis der Teil-nehmer zueinander harmonisch. Betrachte ichdie Reise von der inhaltlichen Seite, so habeich andererseits auch viele, z.   T. schwerwie-gende Entwicklungsprobleme beobachten kön-nen. Was mich somit etwas verstimmt auf dieRoute zurückblicken lässt, ist die Tatsache,wie in vielen Fällen diese Probleme gelöstwerden. Dies geschieht vor allem durch inter-nationale Fördermittel, welche damit meinerMeinung nach oft die Ansätze der Selbsthilfeim Keim ersticken bzw. gar nicht erst entste-hen lassen. Es bleibt also weiterhin spannend,wie sich insbesondere die ländlichen Räumeder beiden Länder auch in Zukunft entwickelnwerden.

Zurückblickend steht damit für mich nichtnur fest, dass ich mindestens noch einmal wie-derkomme, um viele weitere spannende Orte,vor allem in Rumänien, zu entdecken. Auchkann positiv resümiert werden, dass das Go-

East-Summer-School-Programm mehr als emp-fehlenswert ist. Mit der Teilnahme an derSummer School ging für mich mehr als nur diethematische Aufarbeitung einer Region undihrer ganz eigenen Entwicklungspfade einher,sondern auch die einmalige Möglichkeit miteiner fremden Kultur in Kontakt zu treten,Studenten verschiedener Fachrichtungen zubegegnen und auch für mich Unbekanntes zuentdecken.

Abb. 11 Viscri (Quelle: Prager 2013)

Abb. 12 Köhler bei Viscri (Quelle: Prager 2013)

Abb. 13 Sighisoara (Quelle: Prager 2013)

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Dürfen wir vorstellen? Das DiaForum

Nicolas Caspari & Alexander Groos(beide Philipps-Universität Marburg)

Viele von uns haben die Situation schon er-lebt: Man kommt von einer Reise aus einemfremden Land zurück, mit vielen neuen Ein-drücken und Bildern im Gepäck, die man ger-ne mit Freunden und Verwandten teilen wür-de. Doch schnell hält der Alltag wieder Einzugund die Bilder geraten in Vergessenheit. Füreinen Fotoabend mit Freunden lässt sich wieimmer nicht der richtige Termin finden undaußerdem ist es ja auch irgendwie mühselig,so einen großen Aufwand in die Aufbereitungder Fotos zu stecken, wenn sie doch nur vonso wenigen Leute gesehen werden.

Seit einigen Jahren existiert aus diesemGrund an unserem Fachbereich Geographie inMarburg das DiaForum. Ungefähr ein Mal imMonat finden sich 80 bis 100 Studierende, Do-zentInnen und Interessierte im Großen Hör-saal unseres Fachbereichs zusammen, um sichvon studentischen ReferentInnen mit auf ihreReise in ferne Länder und fremde Kulturennehmen zu lassen.

Was ist ein DiaForum?

Als OrganisatorInnen des DiaForums bietenwir Studierenden aller Fachbereiche einePlattform, um während eines bis zu andert-halbstündigen Diavortrages die Erlebnisse vonReisen, Praktika und Auslandsaufenthalten mitFreunden und Interessierten zu teilen – undgleich nebenbei noch das Referieren vorgroßem Publikum zu üben. Wir kümmern unsdabei um alles Organisatorische, so dass sichdie ReferentInnen ganz auf ihren Vortrag kon-zentrieren können.

Im Vordergrund des Vortrags stehen dabeistets die persönlichen, authentischen Erlebnis-se und Erfahrungen der ReferentInnen – getra-gen wird der Vortrag von den selbst geschos-senen Fotos.

Damit der Vortrag für alle Beteiligten einschönes Erlebnis wird, unterstützen wir dieReferentInnen schon während den Vorberei-tungen für den Vortrag, z.   B. mit hilfreichenTipps in Form eines Leitfadens oder konstruk-tiver Kritik während eines Probevortrags.

Initiiert und ins Leben gerufen wurde dasDiaForum von GeographInnen – auch wenninzwischen viele der Vorträge von Studieren-

den anderer Fachbereiche gehalten werden.Aus diesem Grund achten wir bei den Vorträ-gen auch darauf, dass die behandelten The-men einen geographischen Rahmen erhalten,z.   B. durch den Einsatz von Karten oder derBeleuchtung kultureller und politischerAspekte.

Einmal im Jahr, zu Beginn der Weihnachts-zeit, organisiert das DiaForum-Team ebenfallsden GeoKalender, der sich einer großen Be-liebtheit am Fachbereich erfreut. Zunächstgibt es einen Fotowettbewerb mit anschlie-ßender Onlineabstimmung. Die Gewinnerbil-der werden dann gedruckt und kurz vor Weih-nachten in der Fachbereichsbibliothek ver-kauft.

Wie organisiere ich ein DiaForum?

Eigentlich ist es kein Hexenwerk, ein DiaFo-rum auf die Beine zu stellen und zu organisie-ren – damit ihr euch jedoch besser vorstellenkönnt, was hinter der Arbeit an einem DiaFo-rum steckt, stellen wir euch kurz einige Dingevor, mit denen wir uns beschäftigen.

Ein Großteil unserer Arbeit geschieht imVorfeld der Vorträge. Zunächst beantragen wireinen Hörsaal über das Dekanat unseres Fach-bereiches. Außerdem nehmen wir Kontakt mitpotenziellen ReferentInnen auf – diese habenwir entweder persönlich angesprochen odersie haben sich initiativ bei uns per E-Mail ge-meldet. Nachdem das Thema und das Vor-tragsdatum abgeklärt wurden, stellen wir denReferentInnen unseren „Leitfaden für einengelungenen Vortrag“ zur Verfügung, den wiraus den Erfahrungen vieler vorheriger Vorträ-ge zusammengestellt haben.

Eine Woche vor dem Vortrag wird dannnoch ein kurzer Probevortrag abgehalten, beidem die Technik getestet und die ReferentIn-nen den geplanten Ablauf des Vortrages vor-stellen können. So können wir möglicherweisenoch einmal hilfreiche Tipps für einen gelun-genen Vortrag geben.

Ebenfalls sehr wichtig für unsere Arbeit istdie Werbung. Wir erstellen Poster und Flyer,die wir in der Stadt verteilen, z.   B. an schwar-zen Brettern der Uni oder in Outdoorläden.Über unsere Internetseite können sich Interes-sierte mit ihrer E-Mailadresse auch für einenNewsletter eintragen, über den wir dann Vor-träge und Aktionen ankündigen.

Über die Jahre hinweg haben sich in unse-rem Team durchschnittlich vier Mitglieder

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gleichzeitig engagiert – mal waren es weniger,im Moment sind wir sogar zu acht. Eine Ver-teilung von Zuständigkeiten (z.   B. Gestaltungvon Werbung, Newsletterversendung, Vor-tragsbetreuung) macht die Verantwortlichkei-ten klar und verteilt Arbeit gleichmäßig aufdie Schultern aller.

Die Kommunikation läuft dabei größtenteilsper E-Mail – über einen Mailverteiler. Gele-gentliche Treffen sorgen dafür, dass der Aus-tausch untereinander und die Freundschaftennicht zu kurz kommen.

Gegründet wurde das DiaForum als Teil desNachwuchsforums der Marburger Geographi-schen Gesellschaft. Durch diese Einbettung desDiaForums in den Verein ergeben sich einigeVorteile. So kann das DiaForum beispielsweiseSpenden annehmen. Ebenso wird die Konto-führung für uns übernommen und wir besitzeneine breitere Werbeplattform.

Doch das DiaForum steht nicht still. Uner-müdlich arbeiten wir daran, die Qualität derVorträge zu verbessern, die Organisation zuerleichtern und neue Ideen umzusetzen. Sohaben wir z.   B. vor Kurzem ein DiaWiki aufge-setzt, in dem für die nachfolgenden DiaForum-Generationen und alle Interessierten das Wis-sen rund um das DiaForum festgehalten wird.Ebenso konnten wir mit Hilfe der Informatik-studenten in unserem Team ein Content-Management-System (CMS) erstellen, das dieWartung der Internetseite, das Versenden vonNewslettern, sowie die Mitgliederverwaltungerleichtert.

Selbst Interesse, ein DiaForum zu gründen?

Als Mitglieder des DiaForums sind wir davonüberzeugt, dass das DiaForum dazu beiträgtHorizonte zu erweitern, interkulturelles Ver-ständnis und Austausch zu fördern und Inter-esse an der Vielfalt unseres Planeten zu we-cken. Aus diesem Grund hoffen wir, euchdurch den Einblick in unsere Arbeit dazu an-geregt zu haben, ein eigenes DiaForum auf dieBeine zu stellen . . . denn eigentlich ist es janicht schwer!

Gerne unterstützen wir euch bei den erstenSchritten, um die Anfänge zu erleichtern. Sokönnen wir z.   B. unsere Werbematerialien –wie Flyer- und Postervorlagen – zur Verfügungstellen. Ebenso könnt ihr weitere Informatio-nen rund um das DiaForum unserem DiaWikientnehmen. Bei Bedarf stellen wir auch unserCMS zur Verwaltung der Internetseite bereit.

Falls weitere Fragen bestehen, könnt ihr unsgerne per E-Mail kontaktieren. Schreibt unsdoch mal!

Kontakt: [email protected]

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Sprach(r)ohrSusanne Knorr: Geographie - „… und was macht man dann damit?“

Manuel Herzog & Markus Maaßen: Schon mal drüber nachge(o)dacht!?

Die Rubrik Sprach(r)ohr versteht sich als Ort des Debattierens und des Meinungs-austausches. Das Sprach(r)ohr wurde erdacht, um als Forum kontroverser Diskus-sionen geographischer Fragestellungen und studentischer Belange zu dienen. Hierwerden Fragen aufgeworfen, Ideen sowie Kritik geäußert und natürlich diskutiert.Das Sprach(r)ohr soll die Meinungen Studierender im deutschsprachigen Raum hör-bar machen und dadurch vernetzend wirken. Fühl dich frei, dich einzubringen undnutze das Sprach(r)ohr, um Belange verschiedenster Art überregional zu diskutieren.

Sprach(r)ohr |

Wir von der entgrenzt-Rubrik Sprach(r)ohrstellen jetzt einmal eine vage These auf: Je-de/r (angehende) GeographIn hat sich im Le-ben schon einmal fragen lassen müssen: „Geo-graphie? … Hmm?! . . . Und was macht mandann damit?“ … Ja, wir sehen es quasi voruns, wie ihr euch erinnert, diese existenzielleFrage gestellt bekommen zu haben. Hoffent-lich wusstet ihr sofort, wie ihr mit dieser Fra-ge umgehen solltet! … Na, wie war es? Gab esZweifel? … Wenn ja, dann ein Tipp von unsfür diejenigen unter euch, die noch nach einerfundierten Antwort suchen: der Artikel vonSusanne Knorr. Nach einem kurzen Problem-aufriss zeigt die AutorIn Mittel und Wege auf,auf ahnungslose Nachfragen nach dem Sinnund Unsinn des Geographiestudiums überwäl-tigende Antworten zu finden.

Einer nicht minder existenziellen Frage fürGeographiestudierende widmet sich der AKNachhaltigkeit von der Bundesfachschaftenta-

gung im Mai 2013 in Berlin. So rufen Marcusund Manuel in ihrem Artikel „Schon mal drü-ber nachge(o)dacht?“ dazu auf, den Nachhal-tigkeitsgedanken zu verbreiten. Darüber hin-aus liefern die beiden Autoren erste Punkte ei-ner Checkliste zur Nachhaltigkeit an Geogra-phieinstituten.

Also viel Spaß beim Lesen und nutzt dasSprach(r)ohr und meldet euch zu Wort!

Kristine Arndt, Anne Reinhardt und Henrike Wilhelm

Editorial

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Geographie„... und was macht man dann damit?“

Susanne Knorr

Ein Jurist wird Anwalt oder Richter, ein Medi-ziner Arzt und ein Maschinenbauer Ingenieur.Doch was werden Geographen? Und was ant-wortet man den erstaunten Gesichtern auf dieahnungslosen Nachfragen sobald man erklärthat, dass man Geographie studiert? Die Frage„. . .Und, was macht man dann damit?“ beglei-tet Geographiestudierende durchs Studiumwie ein roter Faden.

Das Stadt-Land-Fluss-Image der Schulgeo-graphie hat zur Folge, dass sich die breite Öf-fentlichkeit unter dem Studienfach eine Fort-setzung dessen vorstellt. Verständlich ist diedaraus resultierende Frage, wem dieses Wissennütze.

Anders als im Schulfach beschäftigen sichGeographiestudierende nicht mit dem Aus-wendiglernen von Hauptstädten und Flüssen,sondern mit einer Vielzahl verschiedensterThemen und Methoden. Das Fach ist so breitaufgestellt, dass es Sinn macht, sich währendder ersten Semester einen Überblick über diegroße Auswahl zu verschaffen. Dabei ist eswichtig sich nicht zu verzetteln, sondern ein-zusortieren und Lieblingsthemen zu wählen.Vor dem Ende des Bachelors sollte man Präfe-renzen gebildet haben, um sich für einen pas-senden Master bewerben zu können.

Von außen erscheint diese große Breiteeher wie Profillosigkeit des Faches. Dabei istdie Kernkompetenz der Geographie eine syste-mische Denkweise mit Raumbezug und Me-thodenreichtum. Sie verbindet Geistes- undNaturwissenschaften. Ihre Aufgaben sind bei-spielsweise das Lösen von interdisziplinärensystemischen Problemstellungen und die Un-tersuchung der Beziehung zwischen Menschund Umwelt. Die Geographie vernetzt in vie-lerlei Hinsicht.

Vernetzung ist auch auf dem Weg ins Be-rufsleben hilfreich. Ob HiWi-Job, Werkstuden-tenvertrag, Praktikum oder fachbezogener Ne-benjob: viele Chancen eröffnen sich durchKontakte mit bereits im Beruf stehenden Geo-graphen und Absolventen. Bestenfalls hat manauch schon während des Bachelors ein Prakti-kum absolviert. Hilfreich bei der Suche nachdem richtigen Praktikum sind Praktikumsbör-sen sowie Praktikumsinitiativen oder Prakti-

kumsdateien. Den Kontakt mit Ehemaligenstellen beispielsweise Alumninetzwerke oderVortragsreihen mit Absolventen her.

Eine frühzeitige Spezialisierung ist in vie-lerlei Hinsicht ratsam und möglich. Mit Prak-tika, Masterstudienwahl und Kombination derNebenfächer kann ein einzigartiges Profil er-stellt werden, das ideal auf die jeweiligenStärken abgestimmt ist.

Und dann ist der Zeitpunkt gekommen. DieBachelor- oder Masterarbeit ist angemeldet,man steckt über beide Ohren in der jeweiligenThematik und plötzlich geht alles ganzschnell. Wer clever ist, kann mit einer exter-nen Master-/Bachelorarbeit den Sprung insBerufsleben schaffen. Viele Abschlussarbeitenwerden von verschiedenen Forschungseinrich-tungen, Behörden oder Unternehmen ausge-schrieben. Manchmal kann man damit auchseinen Kontostand erhöhen. Die Wahl desThemas der Abschlussarbeit ist durchaus vongroßer Bedeutung. Es ist das letzte große The-ma, in das man sich intensiv einarbeitet, bevorman ins Berufsleben startet.

Sich schon vor oder während der Ab-schlussarbeit nach Jobangeboten umzusehenmacht in vielerlei Hinsicht Sinn. Auch hiergibt es Unterstützung: Newsletter mit Stellen-ausschreibungen, Hochschulmessen, Fachzeit-schriften, einschlägige Internetplattformenund Workshops. Die Konfrontation mit derKonkurrenz ist unvermeidbar. Doch es lohntsich, über seinen Schatten zu springen undsich nicht entmutigen zu lassen. Denn Geogra-phen müssen sich nicht verstecken. Sie könneneiniges. Sie sind methodenreich und interdis-ziplinär aufgestellt. Sie denken vernetzter undhaben immer das große Ganze im Blick.

Die immer wiederkehrende Frage, die durchdie falsch vermutete Profillosigkeit der Geo-graphie ausgelöst wird, beantwortet man alsoam besten individuell. Mit den eigenen Stär-ken, Schwerpunkten und Zielen.

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Schon mal drüber nachge(o)dacht!?

Manuel Herzog (LMU München) &Markus Maaßen (RWTH Aachen)

Bundesfachschaftentagung in Freiburg vom17. bis 20. Mai 2013. Pfingstmontag, 9:00Uhr. Eine weitere Bundesfachschaftentagunggeht zu Ende. Am Frühstückstisch stehen denangehenden Geographinnen und Geographendie anstrengenden vergangenen Tage ins Ge-sicht geschrieben. Dennoch dominiert ein Ge-fühl der Einigkeit und Zufriedenheit den Spei-sesaal. Und zufrieden zu sein, mit dem Geleis-teten, dazu haben alle reichlich Anlass. AmVortag beschließen die vertretenen Fachschaf-ten die Nachhaltigkeit in der Vereinssatzungzu verankern. Bei allen Veranstaltungen desGeoDACH wird nun noch mehr auf einen res-sourcenschonenden Ablauf geachtet werden.So wird die künftig vegetarische Verpflegungweitgehend aus biologisch und regional oderfair erzeugten Produkten bestehen und dasMüllaufkommen weiter reduziert werden. DasPlenum entschließt sich außerdem fürökostrombetriebene Webserver. Dank regene-rativer Energien wird www.geodach.org inZukunft auf den Bildschirmen im rechten Lichterscheinen. Doch damit nicht genug. Derschon totgesagte Arbeitskreis Nachhaltigkeiterwacht in Freiburg zu neuem Leben undblüht richtig auf. Die Teilnehmer entwerfenin Anlehnung an den Vereinsnamen einenneuen Slogan. Künftig wird sich der Betrachterfragen: „schon mal drüber nachge(o)dacht?!“Ein entsprechendes Logo wird bis zur nächstenBuFaTa in Bochum designt und soll ab dannGeoDACH-weit alle Plakate, Aufkleber, Pro-jekte und Initiativen der Geo-Fachschaftenzieren, die sich mit dem Thema Nachhaltigkeitbefassen.

Während des Geographiestudiums gewin-nen wir einen Einblick in vielfältigste The-menbereiche und lernen komplexe Zusam-menhänge zu verstehen. Die Problematik desanthropogen verursachten Klimawandels ha-ben wir alle verinnerlicht. Der AK „nach-ge(o)dacht“ will mit seiner Arbeit dazu beitra-gen, die klaffende Lücke zwischen unseremWissen und unserem Handeln zu schließen.

Wir wollen besonders auf Problemfelderhinweisen, die im Alltag gerne mal unterge-hen. Macht beispielsweise der „Fairkauf“ vonKaffee in der Fachschaft noch Sinn, wenn der

dabei anfallende Abfall nicht mal vernünftiggetrennt wird?

Und so entwickelt der nun frisch getaufteAK „nachge(o)dacht“ an diesem Pfingstwo-chenende eine Checkliste. Sie dient den Fach-schaften als sehr konkrete Hilfestellung, umDefizite in den eigenen Räumlichkeiten undam jeweiligen Institut aufzudecken und denökologischen Fußabdruck zu minimieren. DasDokument zeigt kurz und prägnant wichtigeStellschrauben auf und liefert Ideen zur Ver-besserung.

Die Checkliste gibt keine absoluten Antwor-ten, sondern regt euch an, alle Abläufe in derFachschaft/am Institut selbst zu bewerten undgegebenenfalls zu ändern. Nach und nach be-reitgestellte Hintergrundinformationen wer-den euch dabei helfen (Link siehe unten).

Um euch auch bei der Verbreitung desNachhaltigkeitsgedankens am Institut zu un-terstützen, stellen wir auch ein Dokument mitInspirationen zur Öffentlichkeitsarbeit online.Es würde uns freuen, wenn ihr alle eure nach-haltigen Aktionen mit unserem neuen Sloganund dem entsprechenden Logo ausstattet.Denn was könnte bei diesem Thema passendersein, als die Frage: „schon mal drüber nach-ge(o)dacht?“

Für uns alle gibt es also noch viel zu tun.Schaut am besten gleich mal nach, was wirschon alles hochgeladen haben und macht eu-ren Campus grün!

Checkliste: https://docs.google.com/file/d/0B7Xcl2YzHSEEVi1 IU0tNVnRxSjQ/edit?usp= sharing

Kontakt: [email protected]

Sprach(r)ohr |

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GeoPraktisch

Prärie auf weiter Flur, Ebbe bis zum Horizont,ein Tunnel ohne Hoffnungsschimmer: Lauterwirres Zeug, das wir hier wieder schreiben?Kein Wunder, denn wir sind verwirrt, dass wireuch dieses Mal keine Interviews, Erfahrungs-berichte oder Kontroversen zum Lesen gebenkönnen. Wir könnten an dieser Stelle nochviele weitere Idiome wahllos miteinanderkombinieren, doch die zuvor angeführten be-schreiben die Situation in der Rubrik Geoprak-tisches der 6. Ausgabe von engrenzt schonrecht gut: Der Begriff Prärie umfasst das Aus-maß der leeren Seiten, gleichzusetzen mit derGröße des nordamerikanischen eher kargenLandschaftstyps, der sich von Mexiko bis nachKanada erstreckt, und kann als Synonym derWichtigkeit der Rubrik gelten, während dergeringe Niederschlag vergleichbar ist mit denwenigen Zeilen, die sich an dieser Stelle überdie Seiten ergießen. Dabei ist Geopraktisch dieRubrik, die euch einen Einblick in die Berufs-welt der GeographInnen gibt, Themen be-leuchtet, die neben dem Studium relevant sindund über anstehende Tagungen und Work-shops informiert. Die Bandbreite der Themenist vielfältig: GeographInnen in der Statistik,die Verwendung von Geoinformationssyste-men in der Schule oder Probleme und Krisenim Studium. In Erfahrungsberichten schilder-ten Betroffene die psychischen Grenzen derBelastbarkeit und ein Interview mit der psy-chosozialen Beratung erläutertet, dass dieskeine Einzelfälle sind (entgrenzt Ausgabe 2).Des Weiteren gab es bereits diverse Inter-views: eines mit einer Study Career Managerinund ein weiteres mit Regionalmanager Matthi-as Wagner. Was das ist, was er macht und wieman zu so einem Beruf kommt, könnt ihr inder 3. entgrenzt lesen. Welchen Fragen wirnoch nachgegangen sind, könnt ihr auf

www.entgrenzt.de nachlesen. Doch trotz dervielen spannenden Themen, über die wir be-reits berichtet haben und die der vielen weite-ren, die sicher auch berichtenswert sind,bleibt Geopraktisch in dieser Ausgabe leiderfrei von Inhalten. Denn wir erleben nun auchintern den viel zitierten demographischenWandel. Die Alten werden immer mehr, im-mer älter und „sterben“ schließlich weg. Inunserem Fall bedeutet dies: die zuvor aktivenRedakteurInnen entwachsen dem Studieren-dendasein und schlagen in ihrem Berufslebenneue Wege ein. Am Sockel bleibt eine schein-bar überforderte Jugend, die, so eingebundenin die Umstrukturierungen des Bildungssys-tems, kaum Zeit findet, die frei werdendenAufgaben zu übernehmen. Zwar können wirdiese Strukturen nicht total ummodeln, aberin Geopraktisch bieten wir Euch ein Forum, indem entsprechende Themen offen ausgespro-chen und kritisiert werden können. Damit dasweiter passieren kann, braucht es Eure Unter-stützung. Es gibt große Hoffnung, dass die 7.Ausgabe wieder interessante Fragen aufwirft,doch sollte und kann dies nicht eine One-Per-son-Show werden. Wenn ihr also Lust habt,Interviews zu führen, gerne redaktionell ar-beitet, Ideen nachgehen wollt, die Geogra-phInnen interessieren oder auch einfach nochFragen zu entgrenzt, Geopraktisch oder gene-relles Interesse habt, bei entgrenzt mitzuma-chen, dann schreibt uns eine E-Mail [email protected]. Wir freuen uns auf dichund deine Unterstützung dabei, die Prärie inblühende Landschaften zu verwandeln.

Das entgrenzt-Team

P.S. : An dieser Stelle danken wir ganz herz-lich Frank Meyer und Franziska Bader.

GeoPraktisch ist eine Rubrik, die sich auf die Praxis bezieht. Hier werdenHinweise zum Studienalltag und wissenschaftlichen Arbeiten gegeben, Inter-views mit PraktikerInnen aus geographischen Berufsfeldern vorgestellt, undTermine zu interessanten, geographischen Veranstaltungen gelistet. Damit er-halten die LeserInnen neue Anregungen und einen Überblick über ihre eigenenFachgrenzen hinaus.

GeoPraktisch |

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Die MitarbeiterInnen von entgrenzt

entgrenzt ist ein offenes Medium und lebt vomMitmachen. So konnte die sechste Ausgabevon entgrenzt nur durch viele HelferInnen undMitarbeiterInnen entstehen. Was anfangsdurch sieben StudentInnen der Leipziger Geo-graphie angestoßen wurde, wird mittlerweiledurch viele ständige MitarbeiterInnen geleis-tet. Die MitarbeiterInnen arbeiten u.   a. ausLeipzig, München, Frankfurt und Essen an ent-

grenzt mit. Danke an alle HelferInnen dersechsten Ausgabe von entgrenzt:

Kristine Arndt (Leipzig), Franziska Bader(Leipzig), Frank Feuerbach (Leipzig), KevinGebhardt (Leipzig), Ingo Haltermann(Essen/Münster), Marco Holzheu (Leipzig),Thomas Kandler (Leipzig), Josephine Kellert(Leipzig), Jörg Kosinski (Leipzig), Robert Kul(Leipzig), Frank Meyer (Leipzig), HelgePiepenburg (Freiburg), Anne Reinhardt(München), Florian Steiner (Frankfurt amMain), Cosima Werner (Uni Erlangen),Henrike Wilhelm (Hannover), Jan Winkler(Erlangen), Annika Zeddel (Erlangen)

Die Mitarbeit bei entgrenzt

Auch eine Onlinezeitschrift entsteht nicht vonallein. Im Hintergrund arbeiten bei entgrenztviele pfiffige Köpfe und fleißige Hände, damitdie Website, das Layout und natürlich die In-halte entstehen und in die richtige Form ge-bracht werden können. Wir sind ein fröhlichesTeam aus GeographInnen, SoziologInnen, Kul-turwissenschaftlerInnen und Technikfreaks, indem neue HelferInnen, egal aus welcher Fach-richtung, jederzeit herzlich aufgenommenwerden. Wenn du dich also ausprobierenwillst, bieten dir unsere Redaktionsbereiche,die PR und Technik viele Möglichkeiten dazu.

Wir arbeiten weitestgehend dezentral, umdem Ziel der Vernetzung von Studierendeneinen Schritt näher zu kommen. Der Umgangmit unserem entgrenzt-Wiki, E-Mail und Skypeist daher zentral in unserer Arbeitsweise. Soll-test du also nicht an unserem Stammsitz inLeipzig sein, lass dich nicht entmutigen. Unse-re HelferInnen sitzen auch an anderen Stu-dienorten. Die Aufgaben reichen von kleinenHilfsleistungen, Tipps und Recherchen, zumöglichen Beiträgen, bis hin zu umfangreiche-

ren Arbeiten wie dem aktiven stetigen Mitwir-ken innerhalb eines Verantwortungsbereichs.Wieviel Zeit du bei uns einbringst, entschei-dest du allein. Außerdem ist Motivation undAbstimmung im Team wichtig, der Rest istLearning by Doing. Es gibt keine Mindest-Se-mesterzahl und die Arbeit ist ehrenamtlich.Hast du Interesse an der Mitarbeit bei ent-

grenzt? Dann schreib uns eine E-Mail [email protected]. Oder besuche unsereWebsite www.entgrenzt.de für aktuelle Mitar-beitsgesuche.

UnterstützerInnen

entgrenzt hätte nicht ohne unsere Unterstütze-rInnen entstehen können. Wir bedanken unsbei der GeoWerkstatt Leipzig e.V. für die Un-terstützung und den Rahmen, der entgrenzt

damit ein zu Hause gibt. Ein herzlicher Dankgeht an das Kuratorium, das uns bei der Dis-kussion des Konzeptes und dessen Weiterent-wicklung mit viel Erfahrung zur Seite standund bei Fragen zur Erstellung einer Zeitschrifthalf: Dr. Ute Wardenga (Leibniz-Institut fürLänderkunde), Prof. Dr. Otti Margraf (Leibniz-Institut für Länderkunde und GeographischeGesellschaft zu Leipzig), Prof. Dr. Vera Denzer(Institut für Geographie, Universität Leipzig),Dr. Annett Krüger (GeoWerkstatt Leipzig e.V.und Institut für Geographie, UniversitätLeipzig), Prof. Dr. Dieter Rink (Helmholtzzen-trum für Umweltforschung, Leipzig) und NicoNettelmann & Peter Voss (GeoDACH-Entsand-te). Mentoren aus Wissenschaft und Lehre ha-ben die Beiträge für die Rubrik Geographi-sches gewissenhaft und aus professionellerPerspektive unter die Lupe genommen und dieAutorInnen im Review-Prozess begleitet: Da-mit haben wir Beiträge mit Qualität gewonnenund unsere AutorInnen durften sich auf dieProbe stellen. Wir danken allen Gutachterndafür. Danke auch an die AutorInnen der ver-schiedenen Rubriken. Ihr habt euch getrautund diese Zeitschrift mit lesenswerten Inhaltengefüllt! Ganz besonderer Dank gilt GeoDACH,der Vertretung deutschsprachiger Geographie-Studierender. GeoDACH versteht sich als Or-gan zur Vernetzung sowie als Diskussions-plattform. Die Kooperation von entgrenzt undGeoDACH ist uns besonders wichtig, weil zurDiskussion und Vernetzung ein Medium benö-

entgrenzt machen, aber wie?

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tigt wird, das frei mitgestaltet werden kannund die Diskussion befördert. Durch die Zu-sammenarbeit mit GeoDACH werden diskuta-ble Inhalte aus den Arbeitskreisen für Studie-rende sichtbar.

Nachwuchs für diekommenden Ausgaben!?

entgrenzt – die studentische geographische On-line-Zeitschrift von Studierenden für Studie-rende sucht Nachwuchs. Altgediente Mitarbei-terInnen entwachsen dem studentischen Da-sein und widmen sich neuen Aufgaben. Die al-ten Aufgaben hingegen bleiben, und hierkommt ihr ins Spiel! Habt ihr Lust am Um-gang mit Sprache, am Layouten, Tüfteln, Netz-werken oder Promoten? Wolltet ihr schon im-mer etwas gestalten, euch einbringen odereinfach mal was ausprobieren? Bei entgrenzt

seid ihr mit euren Fähigkeiten, eurer Kreativi-tät und eurem Enthusiasmus herzlich willkom-men, denn wir suchen Nachwuchs in allen Ru-briken und Sparten, von der Redaktion, derPR, dem Layout bis hin zu technischen Fragen.Ob GeoWerkstatt, Sprach(r)ohr, GeoPraktischoder Geographisches, wir freuen uns überneue MitarbeiterInnen.

Die redaktionellen Aufgaben in den vierentgrenzt Rubriken Geographisches, GeoWerk-statt, Sprach(r)ohr und GeoPraktisch ähnelnsich stark. Dazu gehören:

• Formulierung von Calls und Editorials• Verhandlung der eingereichten Abstracts• Kontakt zu AutorInnen• Ideen für Gastbeiträge und deren

Einwerbung• Lektorieren der Beiträge• Lauscher für potenzielle Beiträge

aufstellen

In der Rubrik Geographisches, in der Studie-rende eigene wissenschaftliche Arbeiten veröf-fentlichen können, kommt zudem noch derKontakt zu potenziellen GutachterInnen sowiedie Vermittlung zwischen AutorInnen undGutachterInnen hinzu.

Beiträge aus der GeoWerkstatt widmen sichTagungen, Exkursionen und anderen Veran-staltungen, die meist außerhalb des muffigenSeminarraums stattfinden und über den Lehr-

buch-Tellerrand hinausgehen. RedaktionelleMitarbeiterInnen, die sich in der "Geographie-Landschaft" besonders gut auskennen, könnenuns besonders unterstützen.

Die Rubrik Sprach(r)ohr ist der Ort des De-battierens in entgrenzt. Hier wird unter ande-rem aus den Fachschaften, von der Bundes-fachschaftentagung und anderen studenti-schen Initiativen berichtet. Der stetige Kontaktzu dem Verein Geo-DACH und der Besuch derBuFaTa gehören zu den weiteren Aufgabender Sprach(r)ohr-Redaktion. Wer sich hiereinbringen möchte, lernt die vielen Initiativenkennen, die Studierende auf freiwilliger Basisveranstalten.

Bei GeoPraktisch steht hingegen die wohlam häufigsten an GeographInnen gerichteteFrage im Mittelpunkt: "Was macht man mitdiesem Studium?" Hier berichten Berufstätigevon ihren Jobs, ihren Werdegängen und Auf-gaben. Folglich suchen wir für dieses Ressortnach Personen, die Lust haben, neben grund-sätzlichen redaktionellen Aufgaben z.   B. auchdas Führen von Interviews zu übernehmen.

Da entgrenzt dezentral arbeitet, d.   h. alleGeographiestudierenden im ganzen deutsch-sprachigen Raum sich angesprochen fühlendürfen, ist eigenständiges Arbeiten und E-Mail-Kommunikation bei uns unumgänglich.

Dafür bieten wir Euch die Möglichkeit sichmit neuen und eigenen Ideen bei entgrenzt

einzubringen um die Dynamik beizubehalten.Ihr werdet dabei die Geographie von einer an-deren Seite erleben.

Und wenn Ihr immer noch unschlüssig seid,dann weisen wir schon einmal auf das Work-shoptreffen am 13. Dezember in Erlangen hin,zum dem alle herzlich eingeladen sind. Wirwerden mit euch Workshops zum redaktionel-len Arbeiten bei entgrenzt veranstalten.

Fragen? Interesse?

Dann meldet Euch unter [email protected] freuen uns auch euch. Euer entgrenzt-Te-am

Für Technik, PR und Layout

Entsprechende Calls findet Ihr in Kürze aufunserer Facebook-Seite unter

www.facebook.com/entgrenzt

Euer entgrenzt-Team

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permanente Cal ls

GeoWerkstatt

In der Rubrik GeoWerkstatt suchen wir Men-schen und Konzepte, die sich auf eine inspirie-rende, ausgefallene oder unkonventionelleWeise der Vermittlung von Inhalten widmen.Wenn du beispielsweise in den Genuss einesneuartigen Seminarkonzeptes gekommen bistoder ein solches entwickelt hast, schreib unseinige Zeilen darüber. Wenn du auf Work-shops aufmerksam geworden bist, die didakti-sches Neuland vermitteln, teile diese Informa-tionen mit uns. Oder hast du vielleicht eineeinzigartige Veranstaltung erlebt, dann berich-te uns und unseren Lesern darüber. Texte zudiesen Themen bis maximal zwei Seiten neh-men wir jederzeit entgegen und publizierensie nach redaktioneller Prüfung in der nächs-ten Ausgabe von entgrenzt. Wir freuen uns aufdeine Beiträge an [email protected]!

Sprach(r)ohrIn der Rubrik Sprach(r)ohr suchen wir Men-schen, die ihre Meinungen in Aussagen formu-lieren wollen! Ihr habt Anregungen, Kritikoder möchtet euch generell zur akademischenGeographie äußern? Sei es zur Qualität desStudiums, der Lehre, oder zur Situation derStudierenden. Sei es zu ethischen, organisato-rischen oder politischen Fragen eures Studi-ums oder zu inhaltlichen Ausrichtungen.Schreibt offen oder anonym! Wir wollen euchhören und zuhören! Fragt euch: Was interes-siert nicht nur mich, sondern auch meineKommilitonInnen weit entfernt an anderengeographischen Instituten? Bildet Autorenkol-lektive und organisiert eure Meinungen. Nutztentgrenzt als Medium des Redens und Zuhö-rens. Tretet miteinander in Austausch; lasstdie Beiträge nicht im Vakuum der Teilnahms-losigkeit verhallen. Das Sprach(r)ohr ist dieEssenz von entgrenzt: Ein Ort, an dem ihr zu-sammenfindet und euren Positionen Gehörverschafft.

Es werden kurze Beiträge von maximal4.000 Zeichen inkl. Leerzeichen gesucht. Wirfreuen uns über eure Beiträge an kontakt@ent-

grenzt.de!

GeoPraktisch

Ihr seid TutorInnen und verfasst regelmäßigAnleitungen zum wissenschaftlichen Arbeitenfür andere Studierende? Ihr habt Hinweise zuzukünftigen, interessanten Veranstaltungen(Kolloquien, Tagungen, Seminare, Sommer-schulen, etc.) an euren oder anderen Institu-ten? Ihr wollt uns von eurem spannendenPraktikum berichten? Ihr verfügt über Erfah-rungen mit einem noch unbekannten Arbeits-bereich in der Geographie? Ihr habt weitereTipps rund ums Geographiestudium? Dannteilt eure Eindrücke, Hinweise und Anregun-gen mit uns in der Rubrik GeoPraktisch! Ein-reichungen von max. zwei Seiten nehmen wirjederzeit entgegen und publizieren sie nachredaktioneller Prüfung in der nächsten Ausga-be von entgrenzt. Wir freuen uns auf eurenBeitrag an [email protected]!

| Call for Papers WS14/15

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Name: entgrenzt – studentische Zeitschrift für Geographisches | Verein: GeoWerkstatt Leipzig e.V. | InhaltlichVerantwortlicher gemäß § 6 MDStV/TDG: Johann Simowitsch, Karl­Heine­Straße 21, 04229 LeipzigEmail: [email protected]

Anschrift: GeoWerkstatt Leipzig e.V., c/o Institut für Geographie, Johannisallee 19a, 04103 Leipzig | Vorsitzender:Frank Feuerbach | Tel.: 0341/97 38 616 (Redaktion) | Fax.: 0341/97 32 799 | Email: [email protected]: VR 3619 (Amtsgericht Leipzig)

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entgrenzt bedankt sich für die rechtliche Beratung durch Dextra­Rechtsanwälte.

Das entgrenzt­Layout wurde erstmalig durch Marco Holzheu entworfen. Das Layout der sechsten Ausgabe vonentgrenzt hat Florian Steiner gestaltet. Das Cover sowie die Illustrationen wurden von Josephine Kellert gestaltet. DieSchriftart Yanone Kaffeesatz wurde von www.yanone.de erstellt und von entgrenzt unter CC BY 2.0 Lizenz verwendet.Die Schriftart Charis SIL wurde unter der SIL Open Font License (OFL), Version 1.1 veröffentlicht. Die zur Gestaltungdes Layouts verwendete Software Scribus ist ein freies Desktop­Publishing­Programm und unter der GNU GeneralPublic License lizenziert.

ISSN: 2193­1224

Etwa 24.000 Geographie-Studierende gibt esalleine in Deutschland. Wenn wir annehmen,dass jeder/jede von Ihnen pro Semester vierwissenschaftliche Arbeiten schreibt, dannkommen wir auf 192.000 studentische geogra-phische Arbeiten im Jahr. Alle Seiten aneinan-der gelegt, ergibt das eine Strecke von Ham-burg bis nach München. Was passiert mit alldieser Denkarbeit? Ihr wisst es selber: in derRegel – nichts! Was für eine unglaubliche Ver-schwendung. Daher präsentieren wir auch inder kommenden Ausgabe einige dieser Arbei-ten. Die nächste Ausgabe von entgrenzt wirdam 1 .   Mai 2014 erscheinen.

entgrenzt ist ein Projekt der GeoWerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit GeoDACH.

Vorschau entgrenzt Ausgabe Nr. 7, SoSe 2014

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