entscheidung verwaltungsgericht...
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Hamburgisches Oberverwaltungsgericht 1 Es 4/14.P
Beschluss
In der Verwaltungsrechtssache
1. 2.
- Antragsteller - Prozessbevollmächtigte zu 1-2: g e g e n Freie und Hansestadt Hamburg,
- Antragsgegnerin - Prozessbevollmächtigte:
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hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 1. Senat,
am 23. Oktober 2014 beschlossen:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten der
Antragsgegnerin jeweils zur Hälfte. Im übrigen tragen die Beteiligten ihre außerge-
richtlichen Kosten selbst.
Der Streitwert wird auf 30.000 Euro festgesetzt.
G r ü n d e
I.
Die Antragsteller begehren vorläufigen Rechtsschutz gegen den Planfeststellungsbe-
schluss der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation vom 26. Juni 2013 "für die
Verlegung der Bundesstraße 4/75 (Wilhelmsburger Reichsstraße) zwischen den An-
schlussstellen HH-Georgswerder und HH-Wilhelmsburg-Süd nebst Anpassung von Eisen-
bahnbetriebsanlagen".
Die Wilhelmsburger Reichsstraße durchquert als Teil der Bundesstraße 4/75 in Nord-Süd-
Richtung den Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg. Zwischen der Überquerung des Ernst-
August-Kanals im Norden und der Anschlussstelle (im folgenden: AS) HH-Wilhelmsburg-
Süd im Süden verläuft sie in einem Abstand von mehreren hundert Metern westlich einer
Eisenbahntrasse, die im wesentlichen aus vier je zweigleisigen Strecken nebst umfang-
reichen Abstell- und Puffergleisen besteht. Während die im Norden und Süden anschlie-
ßenden Teile der Straßenverbindung als Autobahnen (A 252 im Norden, A 253 im Süden)
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mit Seiten- und Mittelstreifen geführt werden, weist die Wilhelmsburger Reichsstraße zwi-
schen dem Ernst-August-Kanal und der AS HH-Wilhelmsburg-Süd einen Bestandsquer-
schnitt von 14,20m auf. Die Verkehrsbelastung beträgt auf diesem Streckenabschnitt der-
zeit ca. 53.000 Kfz pro Tag mit einem LKW-Anteil von 10%.
Die Vorhabenträger beabsichtigen, die Wilhelmsburger Reichsstraße auf einer Länge von
4,6 km nach Osten zu verlegen und mit einem Querschnitt von 28m auszubauen. Hierfür
soll die AS HH-Wilhelmsburg-Süd umgebaut und anschließend die Straße an die
Bahntrasse herangeführt werden, wo sie über eine Strecke von mehr als 2 km parallel zu
den Bahngleisen verlaufen soll. Nördlich der neuen AS Rotenhäuser Straße, die anstelle
der bisherigen AS HH-Wilhelmsburg errichtet werden soll, verschwenkt die neue Trasse
leicht in nordnordwestlicher Richtung und wird, nachdem sie den Ernst-August-Kanal auf
einer neuen Brücke östlich des Jaffe-Davids-Kanals überqueren soll, bei der bestehenden
Unterführung unter den Bahngleisen westlich der AS HH-Georgswerder in die Bestands-
trasse zurückgeführt. Die Planung bedingt den Umbau bestehender Gleisanlagen, da die
neue Straßentrasse Raum beansprucht, der derzeit noch von in Betrieb befindlichen
Bahnanlagen, u.a. dem westlichen Gleis der Güterzugstrecke 1255 ("Gleis 8"), genutzt
wird.
Der Antragsteller zu 1 ist Eigentümer eines u.a. mit einem Wohnhaus bebauten Grund-
stücks östlich der Bahntrasse; in Höhe seines Grundstücks soll die Wilhelmsburger
Reichsstraße künftig parallel zu den bestehenden Bahngleisen verlaufen. Die Antragstel-
lerin zu 2 ist Eigentümerin eines ebenfalls mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks im
nördlichen Bereich des Planungsgebiets; die neue Straßentrasse soll gegenüber der be-
stehenden Straße erheblich näher an ihr Grundstück heranrücken, während das bisher in
einer geringsten Entfernung von ca. 70m entfernte Gleis 8 in Höhe ihres Grundstücks
geringfügig nach Osten verlegt werden soll.
Am 15. Februar 2011 beantragten die DEGES (Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs-
und –bau GmbH) im Auftrag der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt der Antrags-
gegnerin sowie die Beigeladene gemäß § 78 VwVfG die einheitliche Planfeststellung für
das Gesamtvorhaben. Nachdem die Planunterlagen in der Zeit vom 17. Februar 2011 bis
zum 16. März 2011 ausgelegen hatten, erhoben die Antragsteller sowohl in individuellen
Schreiben als auch in einem von ihrem Bevollmächtigten auch für zahlreiche weitere Per-
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sonen verfassten umfangreichen Schreiben fristgerecht Einwendungen gegen die Pla-
nungen. Auch zu Planänderungen, die im Januar 2013 von den Vorhabensträgern einge-
reicht worden waren, erhoben die Antragsteller Einwendungen.
Am 26. Juni 2013 stellte die Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation als Planfest-
stellungsbehörde den Plan für die Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße nebst An-
passung von Eisenbahnbetriebsanlagen fest. Die festgestellten Pläne sehen auch die
Errichtung von Lärmschutzwänden entlang der verlegten Straßentrasse sowie entlang der
Bahntrasse vor. Soweit Überschreitungen der Lärmgrenzwerte verbleiben, werden dem
Grunde nach Ansprüche auf Entschädigung für Schallschutzmaßnahmen bzw. wegen
Einschränkungen in der Nutzung von Außenwohnbereichen gewährt. Mit der Verkehrs-
freigabe wird die neu gebaute Straße zur Bundesfernstraße gewidmet und Bestandteil der
Bundesstraße 75; gleichzeitig werden die bisherigen Bundesautobahnen A 252 und 253
zu einer Bundesstraße (B 75) abgestuft. Die Bestandstrasse der Wilhelmsburger Reichs-
straße von der AS HH-Wilhelmsburg-Süd bis zur Kreuzung mit den Bahnanlagen westlich
der AS HH-Georgswerder wird eingezogen. Der Planfeststellungsbeschluss wurde durch
Auslegung in der Zeit vom 1. bis 15. Juli 2013 öffentlich bekannt gemacht.
Die Antragsteller haben am 2. August 2013 zusammen mit weiteren Personen Klage mit
dem Ziel erhoben, den Planfeststellungsbeschluss aufzuheben, hilfsweise ihn für rechts-
widrig und nicht vollziehbar zu erklären (Verfahren 1 E 12/13.P); hierüber ist noch nicht
entschieden.
Auf den Antrag der Vorhabenträger ordnete die Planfeststellungsbehörde am 8. August
2013 die sofortige Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses (nur) hinsichtlich näher
bezeichneter Baumaßnahmen an den Bahnanlagen (v.a. Verlegung des Gleises 8 nach
Osten an die vorhandenen Bahngleise; Beseitigung und Neubau von Abstell- und Puffer-
gleisen auf der Westseite der Bahnanlagen; Errichtung von Lärmschutzwänden auf Bahn-
gelände) an. Das Oberverwaltungsgericht lehnte einen hiergegen (nicht von den Antrag-
stellern des vorliegenden Verfahrens) gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes mit Beschluss vom 24. Oktober 2013 (1 Es 4/13.P) ab.
Auf weiteren Antrag der Vorhabenträger vom 6. Januar 2014 ordnete die Planfeststel-
lungsbehörde am 31. Januar 2014 die sofortige Vollziehung des Planfeststellungsbe-
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schlusses auch im übrigen an. Hiergegen richtet sich der vorliegende Antrag der Antrag-
steller vom 21. Februar 2014. Sie berufen sich auf ihr umfangreiches Vorbringen im Kla-
geverfahren. Die dort gerügten Fehler führten dazu, dass der Planfeststellungsbeschluss
im Ergebnis zumindest als rechtswidrig und nicht vollziehbar erklärt werden müsse; ange-
sichts dessen überwiege ihr Interesse an einer Aussetzung der Vollziehbarkeit des Be-
schlusses. Aber auch bei offenen Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage überwiege das
Aussetzungsinteresse der Antragsteller. Der von den Vorhabensträgern und der Planfest-
stellungsbehörde behauptete Sanierungsbedarf der bestehenden Wilhelmsburger Reichs-
straße werde nicht näher belegt, rechtfertige jedenfalls aber keine Verlegung der Straße.
Die Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss vom
26. Juni 2013 in der durch Planänderungsbeschluss vom 9. Oktober 2014 geän-
derten Form anzuordnen, soweit die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehbarkeit
am 31. Januar 2014 ergänzend zur Anordnung vom 8. August 2014 angeordnet
hat.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie betont den schlechten Zustand insbesondere der Brücke über den Ernst-August-
Kanal, weist darauf hin, dass die Straße Kornweide nur auf einer für Schwertransportfahr-
zeuge nicht befahrbaren Behelfsbrücke über die bestehende Wilhelmsburger Reichsstra-
ße geleitet wird und vertieft ihre Ansicht, dass die Klage der Antragsteller in der Hauptsa-
che voraussichtlich keinen Erfolg haben werde.
Die Beigeladene hat sich inhaltlich nicht geäußert.
II.
A.
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Über den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes entscheidet gemäß § 48
Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 und 8 sowie § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO das Oberverwaltungsgericht
als Gericht der Hauptsache.
Der Senat sieht keinen Anlass, mit der Entscheidung über den Antrag zuzuwarten, bis die
Antragsteller zu dem am 9. Oktober 2014 ergangenen Planänderungsbeschluss Stellung
genommen haben. Dieser Änderungsbeschluss betrifft sie unter keinem denkbaren Ge-
sichtspunkt. Hiermit hat die Antragsgegnerin lediglich eine Unklarheit im ursprünglichen
Planfeststellungsbeschluss beseitigt, die hinsichtlich des Umfangs der Inanspruchnahme
eines Grundstücks nordwestlich der umzubauenden AS HH-Wilhelmsburg-Süd und des
Bahndamms der in den Hafen führenden Güterbahnstrecke 1254 bestanden hat.
B.
Der von den Antragstellern gestellte Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden
Wirkung ihrer Klage (§ 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) ist zulässig. Er
bezieht sich nach der Antragsformulierung, wie sie im Schriftsatz vom 21. Februar 2014
enthalten ist, nur auf die in der Anordnung vom 31. Januar 2014 bezeichneten Maßnah-
men, nicht hingegen auch auf die Maßnahmen, für die die Antragsgegnerin den Sofort-
vollzug bereits am 18. August 2013 angeordnet hatte. Daran sollte die Anpassung des
Antrags im Schriftsatz vom 14. Oktober 2014 (Einbeziehung des Planänderungsbeschlus-
ses vom 9. Oktober 2014) ersichtlich nichts ändern. Der Antrag wurde innerhalb der Mo-
natsfrist des § 17e Abs. 3 Satz 1 FStrG gestellt und begründet. An der Antragsbefugnis
der Antragsteller entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO bestehen keine Zweifel. Zwar werden
ihre Grundstücke für das planfestgestellte Vorhaben nicht in Anspruch genommen, doch
sind sie jedenfalls infolge der vorhabensbedingten Immissionen durch den Planfeststel-
lungsbeschluss mittelbar betroffen.
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C.
Der Antrag hat keinen Erfolg. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der
in der Anordnung vom 31. Januar 2014 näher bezeichneten Maßnahmen ist in der An-
ordnung in einer Weise begründet worden, die den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO
genügt (1.). Die Abwägung der einander gegenüber stehenden Interessen führt zu einem
Überwiegen des öffentlichen Interesses (2.).
1. Die Antragsgegnerin ist der aus § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO folgenden formellen Pflicht,
in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse an der Vollzie-
hung eines Verwaltungsakts schriftlich zu begründen, nachgekommen. Sie hat sich nicht
auf formelhafte Wendungen zurückgezogen, sondern hat in eingehender Weise über
mehrere Seiten auf den konkreten Einzelfall abstellende tatsächliche Gründe angeführt,
die darlegen, warum der angefochtene Planfeststellungsbeschluss nun auch hinsichtlich
der Straßenbaumaßnahmen aus ihrer Sicht sofort und nicht erst nach Eintritt der Be-
standskraft vollzogen werden muss. Auch hat sie ausgeführt, weshalb aus ihrer Sicht eine
Beschränkung der Sofortvollzugsanordnung auf einzelne Bauwerke nicht sinnvoll sei.
Diese Begründung wird der Informationsfunktion, die dem Begründungserfordernis im
Hinblick auf den Adressaten, insbesondere im Interesse einer Einschätzung seiner
Rechtsschutzmöglichkeiten zukommt, ebenso gerecht wie der Warnfunktion gegenüber
der Behörde selbst, durch die dieser der Ausnahmecharakter der sofortigen Vollziehung
vor Augen geführt werden soll (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.10.2012, 7 VR 11.12, juris,
Rn. 6 m.w.N.).
2. Die Abwägung des öffentlichen Interesses bzw. des hiermit gleichliegenden Interesses
der Vorhabenträger an der sofortigen Vollziehung der Straßenbaumaßnahmen mit dem
Aussetzungsinteresse der Antragsteller führt zu einem Überwiegen des öffentlichen Inte-
resses. Das Gericht hat bei seiner Entscheidung gemäß §§ 80a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5
Satz 1 VwGO eine eigenständige Abwägung der entgegenstehenden Interessen vorzu-
nehmen und ist nicht auf eine Überprüfung der behördlichen Sofortvollzugsanordnung
beschränkt (vgl. Külpmann in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz
im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Aufl. 2011, Rn. 963, 1065). Für die Gewichtung des
Aussetzungsinteresses der Antragsteller hat das Gericht eine eingehende Prüfung der
voraussichtlichen Erfolgsaussichten der Klage vorgenommen. Danach wird es in der
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Hauptsache mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht dazu kommen, dass der Planfeststel-
lungsbeschluss vom 26. Juni 2013 aufgehoben oder für rechtswidrig und nicht vollziehbar
erklärt werden wird (2.1.). An der sofortigen Vollziehung des Planfeststellungsbeschluss
besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse (2.2.).
2.1. Nach der vom Gericht vorgenommenen eingehenden Prüfung wird die Klage der
Antragsteller aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben, soweit sie die Aufhebung des
Planfeststellungsbeschlusses und hilfsweise die Feststellung anstreben, dass der Plan-
feststellungsbeschluss rechtswidrig und nicht vollziehbar ist. In diese Prüfung wurden
auch die Maßnahmen einbezogen, die bereits mit der Anordnung vom 18. August 2013
für sofort vollziehbar erklärt worden waren, da jedenfalls Teile hiervon Voraussetzung
dafür sind, dass das Straßenbauvorhaben ausgeführt werden kann.
2.1.1. Zu Recht wurde auf der Grundlage von § 78 HmbVwVfG ein gemeinsames und
einheitliches Planfeststellungsverfahren für das Straßenbauvorhaben und für die "Anpas-
sung von Eisenbahnbetriebsanlagen" (so die Bezeichnung im Titel des Planfeststellungs-
beschlusses) durchgeführt. Die Zuständigkeit richtet sich gemäß § 78 Abs. 2 Satz 1
HmbVwVfG in diesem Fall nach den Vorschriften über das Planfeststellungsverfahren,
das für diejenige Anlage vorgeschrieben ist, die einen größeren Kreis öffentlich-rechtlicher
Beziehungen berührt. Das ist hier ohne Zweifel das Straßenbauvorhaben, so dass die
Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation der Antragsgegnerin für die Durchführung
des gemeinsamen Planfeststellungsverfahrens zuständig ist (§§ 17b Nr. 6, 22 Abs. 4
FStrG i.V.m. Ziffer I Abs. 1 der Anordnung zur Durchführung des Bundesfernstraßenge-
setzes).
Entgegen der Auffassung der Antragsteller handelt es sich bei den Bahnmaßnahmen
nicht nur um notwendige Folgemaßnahmen des Straßenbauvorhabens im Sinn von § 75
Abs. 1 Satz 1 HmbVwVfG. Es kann daher dahinstehen, ob die Antragsteller aus einer
falschen Anwendung von § 78 HmbVwVfG etwas herleiten könnten (§ 46 HmbVwVfG).
Auch dann, wenn die Ansicht der Antragsteller zuträfe, wäre die Behörde für Wirtschaft,
Verkehr und Innovation der Antragsgegnerin als Planfeststellungsbehörde zuständig,
ebenfalls wäre das Verfahren nach den gleichen Vorschriften durchzuführen gewesen.
Das im Planfeststellungsverfahren anzuwendende materielle Recht wird durch § 78
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HmbVwVfG hingegen nicht modifiziert (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.4.2007, 4 C 12.05,
BVerwGE 128, 358, 363, Rn. 28).
a) Folgemaßnahmen im Sinne von § 75 Abs. 1 Satz 1 HmbVwVfG müssen von der Pla-
nung eines Vorhabenträgers veranlasst sein. Hierzu gehören alle Regelungen außerhalb
der eigentlichen Zulassung des Vorhabens, die für eine angemessene Entscheidung über
die durch das Vorhaben aufgeworfenen Probleme erforderlich sind. Das Gebot der Prob-
lembewältigung rechtfertigt es indessen nicht, andere Planungen mit zu erledigen, obwohl
sie ein eigenes umfassendes Planungskonzept erfordern. Insoweit unterliegt der Begriff
der notwendigen Folgemaßnahme wegen seiner kompetenzerweiternden Wirkung räumli-
chen und sachlichen Beschränkungen. Solche Maßnahmen dürfen über Anschluss und
Anpassung nicht wesentlich hinausgehen. Das gilt auch dann, wenn der für die andere
Anlage zuständige Planungsträger mit einer weitreichenden Folgemaßnahme einverstan-
den ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.2.2005, 9 A 62.03, NVwZ 2005, 813, 814 m.w.N. = juris Rn.
23). Selbst unvermeidbare Anpassungen fallen nicht unter den Begriff der Folgemaßnah-
men, wenn sie ein umfassendes eigenes Planungskonzept voraussetzen (vgl. BVerwG,
Beschl. v. 13.7.2010, 9 B 103.09, NVwZ 2010, 1244, 1245, Rn. 5).
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen stellen die Bahnmaßnahmen ein eigenständiges
Vorhaben dar, auch wenn sie in den Planunterlagen wiederholt als "Bahnfolgemaßnah-
men" bezeichnet werden (z.B. in der Umweltverträglichkeitsstudie - UVS - [Unterlage
12.1], S. 188; ebenso in der Allgemeinverständlichen Zusammenfassung gemäß § 6
UVPG [Unterlage 1A], S. 4 und in den Lageplänen "Bahnfolgemaßnahmen" [Unterlage
15.3]). Sie beinhalten nicht nur die Verlegung des aktiven Gleises 8 und die Beseitigung
nicht mehr in Betrieb befindlicher Gleisanlagen, um so Raum für die neue Straßentrasse
zu schaffen, sondern auch die Neuverlegung verschiedener Abstell- und Puffergleise.
Zusätzlich sieht die Planung den zweigleisigen Ausbau der Güterzugstrecke 1254 vor.
Diese Maßnahmen entspringen einer umfassenderen bahneigenen Planung, nämlich der
bahneigenen Knotenstudie Wilhelmsburg (vgl. Erläuterungsbericht [Unterlage 1 bzw. 1Ä],
jeweils S. 43), aus der vorliegend die Maßnahmen herausgegriffen wurden, die mit der
Umverlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße durchzuführen sind. Dem Erläuterungsbe-
richt (S. 45) zufolge ist "die hier geplante Maßnahme … der erste Schritt zur Realisierung
des sog. Endzustandes im Bereich Wilhelmsburg. Dieser sieht die höhenfreie Überleitung
von der Strecke 1255 zur Strecke 1280 mit Hilfe eines Kreuzungsbauwerks unter der
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Strecke 2200 vor. Die hier vorgelegte Planung berücksichtigt bereits in weiten Teilen die
zukünftige Gleislage und ermöglicht die Errichtung des Kreuzungsbauwerks."
c) Auch die weiteren Voraussetzungen des § 78 Abs. 1 HmbVwVfG sind hier erfüllt. Mit
der Straßenbauplanung und der Planung der Bahnmaßnahmen treffen mehrere Vorhaben
derart zusammen, dass zumindest für Teile von ihnen nur eine einheitliche Entscheidung
möglich ist. Hierfür ist Voraussetzung, dass jeder der Vorhabenträger zur sachgerechten
Verwirklichung seines Planungskonzepts darauf angewiesen ist, dass über die Zulassung
der zusammentreffenden Vorhaben nur in einem Verfahren entschieden wird (vgl.
BVerwG, Urt. v. 18.4.1996, 11 A 86.95, BVerwGE 101, 73, 78 = juris Rn. 29).
Die Notwendigkeit einer einheitlichen Entscheidung zumindest für wesentliche Teile der
beiden Vorhaben ergibt sich hier insbesondere aus der Tatsache, dass die verlegte Stra-
ße und die Schienentrasse über eine längere Strecke mit sehr geringem Abstand parallel
geführt werden (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 27.11.1996, 11 A 99.95, Buchholz 316 § 78
VwVfG Nr. 8 = juris Rn. 22). Hieraus folgen, worauf die Antragsteller im Planfeststellungs-
verfahren selbst hingewiesen haben, spezifische Problemstellungen wie z.B. die Anord-
nung von Sicherheitsvorkehrungen in Gestalt eines Fahrzeug-Rückhaltesystems, die
Notwendigkeit eines aufeinander abgestimmten Rettungswegekonzepts oder auch die
Positionierung der Lärmschutzwände. Ferner resultiert die Notwendigkeit einer einheitli-
chen Entscheidung auch daraus, dass sich die verlegte Straße im Süden des Planungs-
gebiets mit den Schienenstrecken 1253 und 1254 kreuzt und die neue Eisenbahnbrücke
auf die künftig zweigleisig geführte Strecke 1254 hin dimensioniert werden muss.
Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 78 VwVfG beschränkt sich die Konzentrations-
wirkung nicht nur auf den Überschneidungsbereich, sondern erfasst die gesamte Planung
(BVerwG, Urt. v. 9.2.2005, 9 A 62.03, NVwZ 2005, 813, 815 = juris Rn. 29; Urt. v. 18.4.
1996, 11 A 86.95, BVerwGE 101, 73, 80 = juris Rn. 32).
2.1.2. Die Angriffe, die die Antragsteller gegen die Umweltverträglichkeitsprüfung vorbrin-
gen, werden aller Voraussicht nach nicht zum Erfolg der Klage führen. Sie machen gel-
tend, wenn es sich beim Gesamtvorhaben um mehrere selbständige Vorhaben handle,
seien auf die einzelnen Vorhaben gesondert bezogene Umweltverträglichkeitsprüfungen
sowie eine Betrachtung der kumulierenden Wirkungen des Gesamtvorhabens erforderlich.
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In der UVS fehle schon eine isolierte Darstellung der Umweltauswirkungen der als eigen-
ständiges Vorhaben eingestuften Lärmschutzanlagen. Auch würden dort die Umweltaus-
wirkungen der Bahnfolgemaßnahmen nicht eigenständig betrachtet, es gebe stattdessen
lediglich eine den Bahnmaßnahmen zuzuordnende nachträgliche Separierung der bereits
zuvor einheitlich dargelegten Gesamtumweltauswirkungen. Die Betrachtung der kumulati-
ven Auswirkungen fehle vollständig. Schließlich fehlten Anpassungen von UVS und Um-
weltverträglichkeitsprüfung an die Planänderungen; insoweit hätte auch die Öffentlichkeit
beteiligt werden müssen.
a) Im Ansatz ist es richtig, dass die Antragsteller nicht nur das Fehlen einer erforderlichen
Umweltverträglichkeitsprüfung rügen können (§ 4 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 UmwRG), sondern
auch geltend machen können, dass eine durchgeführte Umweltverträglichkeitsprüfung
Mängel aufweise (EuGH, Urt. v. 7.11.2013, C-72/12 "Altrip", NVwZ 2014, 49). Allerdings
kann ein solcher Fehler nur dann zum Erfolg der Klage führen, wenn der Fehler kausal für
das die Antragsteller belastende Ergebnis der Planfeststellung war, wenn also die konkre-
te Möglichkeit besteht, dass ohne den Verfahrensfehler die angegriffene Entscheidung
anders ausgefallen wäre (st.Rspr. des BVerwG, vgl. Beschl. v. 10.1.2012, 7 C 20.11,
NVwZ 2012, 448, 450, Rn. 39 m.w.N.). Dies steht vom Grundsatz her mit Unionsrecht in
Einklang (EuGH, Urt. v. 7.11.2013, a.a.O., S. 52, Rn. 42 ff.).
b) Zu Unrecht berufen sich die Antragsteller für ihre Auffassung, es hätten getrennte
Umweltverträglichkeitsprüfungen durchgeführt werden müssen, auf den Hinweisbeschluss
des Bundesverwaltungsgerichts zu dem Verfahren über die Weservertiefung (BVerwG,
Beschl. v. 11.7.2013, 7 A 20.11, DVBl. 2013, 1453, 1454, Rn. 13). Der dortige Fall unter-
scheidet sich wesentlich von der vorliegenden Konstellation. Im Fall der Weservertiefung
geht es um drei Vorhaben, die nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.,
Rn. 5 f.) jeweils eigenständig Sinn machten und unabhängig voneinander verwirklicht
werden könnten, ohne dass die Erreichung des Ziels einer Maßnahme durch Verzicht auf
die anderen Maßnahmen auch nur teilweise vereitelt würde. Im vorliegenden Fall liegen
zwar auch mehrere Vorhaben im planungsrechtlichen Sinn vor (s. oben bei 2.1.1.), für die
aber nur eine einheitliche Entscheidung möglich ist (§ 78 Abs. 1 HmbVwVfG). Auch ist
zumindest das Straßenbauvorhaben ohne Durchführung wesentlicher Teile der Bahn-
maßnahmen gar nicht durchführbar, würde also – gemäß der Formulierung des Bundes-
verwaltungsgerichts – "vereitelt", wenn wesentliche Teile der Bahnmaßnahmen nicht
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durchgeführt würden. Wenn § 78 HmbVwVfG, wie unter 2.1.1. dargelegt, Rechtsfolgen für
das Verfahrensrecht hat, spricht viel dafür, dass sich aus der Anwendung dieser Vorschrift
auch Auswirkungen auf das UVP-Recht ergeben. Die Durchführung der Umweltverträg-
lichkeitsprüfung im Rahmen von Planfeststellungsverfahren gehört zum Verfahrensrecht
(vgl. die Formulierung der Frage Nr. 3 im Vorlagebeschluss des BVerwG v. 10.1.2012,
7 C 20.11, NVwZ 2012, 448); auch die Antragsteller bringen ihre diesbezügliche Rüge
unter der Überschrift "Formellrechtliche Mängel" vor.
Nach Ansicht des Senats spricht viel dafür, dass bei mehreren im Sinn von § 78 Hmb-
VwVfG zusammentreffenden Verfahren nur ein (1) Vorhaben im UVP-rechtlichen Sinn
vorliegt und demnach eine einheitliche Umweltverträglichkeitsprüfung ausreicht. Das dürf-
te jedenfalls hier gelten, wo beide Maßnahmen nur gemeinsam durchgeführt werden sol-
len und die Straße über einen ganz erheblichen Abschnitt auf bisherigem Bahngelände
gebaut werden soll. Mögen die Bahnmaßnahmen für sich unabhängig von der Verlegung
der Wilhelmsburger Reichsstraße durchgeführt werden können, so kann doch die Straße
nur dann so wie geplant gebaut werden, wenn vorher etliche der Bahnmaßnahmen aus-
geführt werden. Daher ist bereits bei der UVS für die Straßenbaumaßnahme mitzube-
trachten, welche Umweltauswirkungen das Vorhaben auf der bisherigen Bahnfläche ha-
ben würde.
Angesichts dessen dürfte nichts dagegen sprechen, die Umweltauswirkungen der beiden
Vorhaben Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße und Anpassung der Bahnbe-
triebsanlagen in einer gemeinsamen UVS darzustellen und zwar in der Form, wie dies
vorliegend geschehen ist. Die Errichtung der Lärmschutzanlagen ist entgegen der Ansicht
der Antragsteller kein eigenes Vorhaben, vielmehr handelt es sich hierbei um Schutzanla-
gen als Folge der Straßen- und Bahnplanungen. Ihre Auswirkungen werden aber an ver-
schiedenen Stellen der UVS berücksichtigt. Abgesehen davon ist in der UVS ausreichend
deutlich ausgeführt, welche Wirkungen durch die Planungen auf den bisherigen Bahnflä-
chen hervorgerufen werden. Im Abschnitt 4 (Auswirkungsprognose und Variantenver-
gleich – Straße, S. 124 ff.) werden ausdrücklich auch die Auswirkungen der erforderlichen
Bahnfolgemaßnahmen in den Vergleich mit eingestellt. Das geschieht im Text an zahlrei-
chen Stellen (S. 153, 154, 155, 156, 157, 160, 164, 165, 166, 167, 171, 173, 176, 182,
185). Die Auswirkungsprognose (Bahnfolgemaßnahmen) in Abschnitt 5 der UVS (S. 186
ff.) ist zwar bei isolierter Betrachtung weniger deutlich. Zunächst heißt es, da die Bahnan-
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lagen separate Zulassungsverfahren erforderten, würden hiermit die erforderlichen Unter-
lagen gemäß § 6 UVPG vorgelegt. Im weiteren Text (S. 195) wird allerdings darauf hin-
gewiesen, dass nur diejenigen Auswirkungen dargestellt würden, die zusätzlich zur Verle-
gung der B4/75 durch die Bahnfolgemaßnahmen entstünden. Umweltauswirkungen, die
ursächlich auf die Verlegung der B 4/75 zurückzuführen seien, blieben hier unberücksich-
tigt, auch wenn die Bahn infolge erforderlicher vorbereitender Gleisverlegungen Ausfüh-
render des Eingriffs sei. Allerdings heißt es schon zu Beginn dieses Abschnitts (S. 186),
dass die zusätzlichen Umweltauswirkungen der Bahnfolgemaßnahmen bereits in die
Auswirkungsprognose und den Variantenvergleich der Straßenverlegung eingeflossen
seien.
Soweit die Antragsteller eine Betrachtung der kumulativen Wirkungen der verschiedenen
Maßnahmen vermissen, steht dieser Vorwurf in Widerspruch zum eigenen Vortrag, in
dem sie rügen, die Darstellung der Folgen der Bahnmaßnahmen in der UVS sei "lediglich
eine eher den Bahnmaßnahmen zuzuordnende nachträgliche Separierung von einigen
der zuvor bereits einheitlich im Kapitel 4 dargelegten Gesamtumweltauswirkungen" (Kla-
gebegründung vom 13.9.2013, S. 12; textidentisch in der ergänzenden Begründung des
Eilantrags, Schriftsatz vom 5.3.2014, S. 12).
Selbst wenn in dieser Vorgehensweise ein Verfahrensfehler zu sehen wäre, wäre nicht
erkennbar, wie sich dieser auf die Entscheidung ausgewirkt haben sollte. Den Ausführun-
gen im Planfeststellungsbeschluss lässt sich hinreichend sicher entnehmen, dass die ge-
troffene Entscheidung nicht anders ausgefallen wäre, wenn es vollständig getrennte (und
damit notwendigerweise in hohem Maße sich wiederholende) Umweltverträglichkeitsstu-
dien für die Straßenbaumaßnahme einerseits, die Bahnmaßnahme andererseits und
schließlich die kumulierende Betrachtung beider Maßnahmen gegeben hätte. Da die
Straße zu erheblichen Teilen auf bisherigem Bahngelände gebaut werden soll, ist eine
solche Trennung im Grunde gar nicht möglich. Es ist im übrigen auch nicht ersichtlich, in-
wieweit die Antragsteller als Teil der betroffenen Öffentlichkeit im Sinn der UVP-Richtlinie
durch die gewählte Art der Darstellung der Umweltauswirkungen in der UVS gehindert
gewesen sein sollen, Zugang zu einschlägigen Informationen zu erhalten (vgl. hierzu
EuGH, Urt. v. 7.11.2013, C-72/12, NVwZ 2014, 49, 52 f., Rn. 49 ff.; Antwort auf die dritte
Vorlagefrage).
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c) Schließlich ist nicht zu beanstanden, dass es zu den im Januar 2013 eingereichten
Planänderungen keine geänderte UVS gegeben hat. Die UVS ermittelt und bewertet die
mit dem Vorhaben zu erwartenden Umweltauswirkungen eher zusammenfassend. An
etlichen Stellen verweist sie auf tiefergehende Einzeluntersuchungen wie die Fachbeiträ-
ge Tiere und Pflanzen, den Artenschutzbeitrag, die Schalltechnische Untersuchung (Un-
terlage 11) und v.a. auch auf den Landschaftspflegerischen Begleitplan (Unterlage 12.2).
Deren Aufgabe ist es, Art und Umfang der erforderlicher Vermeidungs- und Kompensati-
onsmaßnahmen im einzelnen festzulegen. Mit den Planänderungen sind daher auch so-
wohl die Schalltechnische Untersuchung als auch der Landschaftspflegerische Begleit-
plan geändert worden. Insofern fand zwar keine erneute Auslegung statt, doch hat die
Planfeststellungsbehörde den bekannten Betroffenen die Änderungen mitgeteilt und ihnen
Gelegenheit zu Stellungnahmen und Einwendungen innerhalb von zwei Wochen gege-
ben; auch die Vereinigungen im Sinne der §§ 17a Nr. 2 FStrG, 18a Nr. 2 AEG wurden
entsprechend beteiligt (§§ 73 Abs. 8 HmbVwVfG, 17a Nr. 6 FStrG). Darüber hinaus wies
die Planfeststellungsbehörde auf die Planänderungen auch durch öffentliche Bekanntma-
chung im Amtlichen Anzeiger vom 15. Januar 2013 hin.
Auch hier ist nicht zu erkennen, inwiefern ein etwaiger Verfahrensfehler die Entscheidung
beeinflusst haben sollte.
2.1.3. Die Zweifel der Antragsteller am Bestehen einer Planrechtfertigung werden im
Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach weder hinsichtlich der Bahnmaßnahmen
noch hinsichtlich der Straßenplanung durchgreifen.
a) Nach Auffassung des Senats können die Antragsteller als mittelbar Betroffene der
Planfeststellung eine angeblich fehlende Planrechtfertigung rügen. Die Planrechtfertigung
ist nicht nur zu prüfen, wenn Dritte für das Vorhaben enteignet werden sollen, sondern
immer dann, wenn das Vorhaben mit Eingriffen in ihre Rechte einhergeht. Art. 14 Abs. 1
GG schützt den Eigentümer auch vor mittelbaren Beeinträchtigungen seines Eigentums
durch ein planfeststellungsbedürftiges Vorhaben. Auch derartige Eigentumsbeeinträchti-
gungen müssen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Ein mittelbar eigen-
tumsbetroffener Kläger kann deshalb geltend machen, dass für das beabsichtigte Vorha-
ben – gemessen an den Zielsetzungen des jeweiligen Fachplanungsgesetzes – kein Be-
darf bestehe (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.4.2007, 4 C 12.05, BVerwGE 128, 358, 373, Rn. 48;
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Urt. v. 9.11. 2006, 4 A 2001.06, BVerwGE 127, 95, 102, Rn. 33; zustimmend Kopp/Ram-
sauer, VwVfG, 15. Aufl. 2014, § 75 Rn. 73; a.A.: BVerwG, Urt. v. 24.11.2011, 9 A 24.10,
NuR 2013, 184, 186, Rn. 27, ohne Begründung).
Allenfalls lässt sich zweifeln, ob die Antragsteller hinsichtlich der Rüge einer fehlenden
Planrechtfertigung der Bahnmaßnahmen ein Rechtsschutzbedürfnis haben. Im Haupt-
sacheverfahren haben sie selbst vorgetragen (Schriftsatz vom 22.4.2014, S. 6), dass die
Bahnmaßnahmen bei isolierter Betrachtung ihre Rechte nicht verletzten. Allerdings ist zu
berücksichtigen, dass die Wilhelmsburger Reichsstraße nur dann wie planfestgestellt ver-
legt werden kann, wenn das Gleis 8 verlegt und eine Reihe alter Abstellgleise beseitigt
wird; insofern ist es sachgerecht, auch im vorliegenden Verfahren die Planrechtfertigung
für die Bahnmaßnahmen zumindest inzident mitzuprüfen.
b) Die Antragsteller haben in ihren Einwendungen rechtzeitig das Fehlen einer Planrecht-
fertigung für die Straßenbaumaßnahme gerügt. Auch hinsichtlich der Bahnmaßnahmen
dürften sie mit dem Einwand einer fehlenden Planrechtfertigung nicht präkludiert sein,
auch wenn sie hierzu im Planfeststellungsverfahren nichts vorgetragen haben.
Entgegen der Ansicht der Antragsteller hatten die Planunterlagen diesbezüglich allerdings
eine ausreichende Anstoßwirkung; insoweit wird auf die obigen Ausführungen unter
2.1.1.b) verwiesen. Es erscheint jedoch schon fraglich, ob der Einwand einer fehlenden
Planrechtfertigung überhaupt der Präklusion unterliegen kann (bejahend BVerwG, Beschl.
v. 29.4.2001, 9 VR 2.01, juris Rn. 13; OVG Münster, Urt. v. 19.4.2013, 20 D 84/12.AK,
juris Rn. 83 ff.; OVG Greifswald, Beschl. v. 28.10.2009, 5 M 146/09, NordÖR 2010, 67, 71
= juris Rn. 54). Dagegen könnte sprechen, dass jede staatliche Planung, die in irgendei-
ner Weise in die Rechtssphäre von Bürgern eingreift, einer Rechtfertigung bedarf und die
Planrechtfertigung somit ein ungeschriebenes Erfordernis jeder Fachplanung und eine
Ausprägung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns ist (vgl. BVerwG,
Urt. v. 26.4.2007, 4 C 12.05, BVerwGE 128, 358, 372, Rn. 45). Aber auch dann, wenn
Betroffene hinsichtlich des Einwands mangelnder Planrechtfertigung grundsätzlich ausge-
schlossen sein können, wird man nicht verlangen können, dass in einem Fall wie hier der
entsprechende Einwand auch hilfsweise vorgetragen werden muss. Die Antragsteller ha-
ben in der durch ihren Bevollmächtigten eingereichten Sammeleinwendung ausführlich
geltend gemacht, dass nur ein einziges Vorhaben (Straßenplanung mit bahntechnischen
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Folgemaßnahmen) vorliege. Von diesem Ausgangspunkt aus bedürften die Bahnmaß-
nahmen keiner eigenen Planrechtfertigung. Es dürfte wohl die Anforderungen an das Gel-
tendmachen von Einwendungen überziehen, wenn für den Fall, dass der – jedenfalls nicht
völlig fernliegenden – Sichtweise eines Einwenders nicht gefolgt wird, zur Vermeidung
einer Präklusion auch "Hilfs-Einwendungen" gefordert würden.
c) Letztlich kann dies dahinstehen, weil nach Ansicht des Senats die Planrechtfertigung
für beide Vorhaben gegeben ist.
aa) Eine Planung ist gerechtfertigt, wenn für das beabsichtigte Vorhaben nach Maßgabe
der vom Fachgesetz verfolgten Ziele einschließlich sonstiger gesetzlicher Entscheidungen
ein Bedürfnis besteht, die Maßnahme unter diesem Blickwinkel also objektiv erforderlich
ist. Die Planrechtfertigung erfordert mithin die Prüfung, ob das Vorhaben mit den Zielen
des Gesetzes übereinstimmt (fachplanerische Zielkonformität) und ob das Vorhaben für
sich in Anspruch nehmen kann, in der konkreten Situation erforderlich zu sein. Das ist
nicht erst bei Unausweichlichkeit des Vorhabens der Fall, sondern bereits dann, wenn es
vernünftigerweise geboten ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.11.2006, 4 A 2001.06, BVerwGE
127, 95, 102, Rn. 34 m.w.N.; st. Rspr.).
Die Frage der Planrechtfertigung ist eine Rechtsfrage, das Gericht kann sie daher anders
als die im Planfeststellungsbeschluss hierfür gegebene Begründung beurteilen und sie
dennoch bejahen (BVerwG, Urt. v. 24.11.1989, 4 C 41.88, BVerwGE 84, 123, 131 = juris
Rn. 49 f.).
bb) Der Planrechtfertigung für das Straßenbauvorhaben steht der Umstand nicht entge-
gen, dass für die geplante Maßnahme durch die gesetzliche Bedarfsplanung weder ein
"vordringlicher" noch ein "weiterer" Bedarf festgestellt ist. Damit fehlt lediglich die in § 1
Abs. 2 Fernstraßenausbaugesetz geregelte verbindliche Feststellung, dass die im Be-
darfsplan genannten Maßnahmen den Zielsetzungen des § 1 Abs. 1 FStrG entsprechen.
Die vorliegende Planung beinhaltet die Neutrassierung einer Straße, die Teil der durchge-
henden Bundesstraßen 4 und 75 ist (künftige Bezeichnung hier nur noch: B75). Als solche
dient sie dem überörtlichen Verkehr, hat allerdings auch große Bedeutung für den Verkehr
z.B. zwischen der Hamburger City und Harburg. Der neue Straßenabschnitt ist anstelle,
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nicht etwa zusätzlich zu einer bestehenden Straße geplant. Er ist im maßgeblichen Pla-
nungsabschnitt als anbaufreie Bundesfernstraße in einer Dimensionierung geplant, die
zur möglichst störungsfreien Abwicklung der gegebenen (derzeit ca. 53.000 Kfz/d) und
künftig erwarteten erheblichen Verkehrsmenge (für 2025 prognostiziert: ca. 66.000 Kfz/d
sowohl im Prognose-Planfall als auch im Prognose-Nullfall) geeignet ist. Dies entspricht
einer in § 3 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 FStrG genannten Zielsetzung, nämlich dafür zu sor-
gen (durch Bau, Unterhaltung oder Erweiterung von Straßen), dass Bundesfernstraßen
dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis des weiträumigen Verkehrs genügen. Hierbei darf
auf die planerischen Vorgaben in den einschlägigen Planungsrichtlinien abgestellt wer-
den. Die Richtlinien für die Anlage von Autobahnen (RAA) sehen für autobahnähnliche
Straßen (Entwurfsklasse 2) schon für eine Kapazität bis zu 30.000 Kfz/d den Regelquer-
schnitt RQ 28 vor. Diese Richtlinien bringen die anerkannten Regeln für die Anlage von
Straßen zum Ausdruck; Straßenplanungen, die sich an den Vorgaben dieser Richtlinien
orientieren, verstoßen nur in besonderen Ausnahmefällen gegen das fachplanerische
Abwägungsgebot (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.3. 2003, 9 A 33.02, NVwZ 2003, 1120, 1122 =
Rn. 34 ff., 37). Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht diese Aussage im Rahmen der
Prüfung der fachplanerischen Abwägung und nicht bei der Planrechtfertigung gemacht.
Die Straße, um die es in der zitierten Entscheidung ging, war indes mit ihrem Ausbaupro-
gramm im Fernstraßenausbaugesetz als vordringlicher Bedarf enthalten, so dass der ver-
kehrliche Bedarf für die Planfeststellung verbindlich war.
Da die bestehende Straße von der AS HH-Wilhelmsburg-Süd bis über die Brücke über
den Ernst-August-Kanal insgesamt nur 14,20 m breit ist, ist es ein legitimes planerisches
Ziel dafür zu sorgen, dass künftig eine Straße vorhanden sein wird, die einen richtlinien-
konformen Ausbauzustand aufweist, wie dies auch bei den südlichen und nördlichen Fort-
setzungen der Fall ist. Ob auf der Wilhelmsburger Reichsstraße nach Einbau von Beton-
gleitwänden noch eine besondere Unfallhäufigkeit besteht, ist daher für die Frage der
Planrechtfertigung ebenso nicht von entscheidender Bedeutung wie die Frage, ob die
bestehende Trasse Tragfähigkeitsdefizite aufweist. Ob die Schaffung eines richtlinienkon-
formen Zustands auf einer neuen Trasse oder durch Ausbau der bestehenden Trasse
geschieht, ist keine Frage der Planrechtfertigung, sondern der im Rahmen der fachplane-
rischen Abwägung zu treffenden Variantenwahl (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.5.2009, 9 A
72.07, BVerwGE 134, 45, 51, Rn. 47).
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Die Planrechtfertigung entfällt nicht dadurch, dass jedenfalls hinsichtlich der Varianten-
wahl andere als rein straßenfachplanerische Ziele im Vordergrund stehen (vgl. BVerwG,
Urt. v. 23.4.2014, 9 A 25.12, juris Rn. 75 am Ende m.w.N.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 15.
Aufl. 2014, § 74 Rn. 47 am Ende; OVG Hamburg, Beschl. v. 16.4.2014, 1 Bs 337/13
[Wasserhaushalt Alte Süderelbe], S. 10/11).
cc) Auch die Bahnmaßnahmen sind nach Maßgabe des einschlägigen Fachplanungs-
rechts gerechtfertigt.
Es mag dahinstehen, ob die Gründe, die der Planfeststellungsbeschluss (S. 51 f.) hierfür
anführt, als Planrechtfertigung ausreichen könnten. Nach der dortigen Darstellung ent-
wickle das Schienenbauvorhaben vordergründig betrachtet keine Vorteile für den Schie-
nenverkehr; die vorgesehenen Maßnahmen verfolgten nur das Ziel, bereits vorhandene
Verkehrsqualitäten auf weniger Fläche zu verwirklichen, um die frei werdenden Flächen
für den Straßenbau nutzen zu können. Diese Darstellung wird aber den Ausführungen in
den Planunterlagen zu den Zwecken der Bahnmaßnahmen nicht gerecht. So wird in der
UVS (S. 188) ausführlich die sich abzeichnende Notwendigkeit dargestellt, ein Kreu-
zungsbauwerk zu errichten, über das Güterzüge ohne höhengleiche Querung der Regio-
nal- und Fernbahnstrecke 2200 von der Güterzugstrecke 1280 auf die Strecke 1255 bzw.
umgekehrt wechseln können. In der Vorplanung der Bahnmaßnahmen seien mehrere
Varianten untersucht worden, von denen "zwei Lösungen die unmittelbar mit der Straßen-
baumaßnahme zusammenhängenden Infrastrukturänderungen (betrachteten) und zwei
die daraus zu entwickelnde Lösung mit Kreuzungsbauwerk Wilhelmsburg". Das zeigt,
dass die Anpassungsmaßnahmen der Bahn ein vorgezogener Teil einer umfangreicheren
Umbauplanung der Bahnanlagen im Bereich Wilhelmburg sind, die der Erhöhung der
Leistungsfähigkeit des Schienennetzes in diesem Bereich dient. Dieses ist ein von § 1
Abs. 1 AEG gebilligter Gesetzeszweck (vgl. Hermes in: Hermes/Sellner, Beck´scher AEG-
Kommentar, 2. Aufl. 2014, § 1 Rn. 2).
Hinsichtlich des zweigleisigen Ausbaus der (kurzen) Verbindungsstrecke 1254 (Verbin-
dung zwischen den von Nord nach Süd verlaufenden Güterzuggleisen und den Hafen-
bahngleisen der HPA) liegt die fachplanerische Rechtfertigung in der Erhöhung der Leis-
tungsfähigkeit des Schienennetzes, die von der absehbaren Verkehrsentwicklung in den
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bzw. aus dem Hafen erfordert wird. Insoweit stellen die Antragsteller die Rechtfertigung
allerdings auch nicht in Abrede.
2.1.4. Die Entscheidung der Vorhabenträger und der Planfeststellungsbehörde, die Wil-
helmsburger Reichsstraße zu verlegen und nicht die Bestandstrasse auszubauen, ist aller
Voraussicht nach von Rechts wegen nicht zu beanstanden.
a) Die Alternativenprüfung vollzieht sich auf der Ebene der Abwägung. Nach der Recht-
sprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.2010, 9 A 13.09,
BVerwGE 138, 226, 238, Rn. 54) können sich mittelbar Betroffene insoweit darauf beru-
fen, dass die ausgewählte Variante für sie mit größeren Belastungen verbunden sei als
eine andere Trassenführung und ausgehend davon geltend machen, dass die für die aus-
gewählte Variante sprechenden öffentlichen Belange fehlerhaft bewertet und mit der dar-
aus folgenden Fehlgewichtung ihren geschützten Privatbelangen gegenübergestellt wor-
den seien. Nach Ansicht des Senats spricht manches dafür, die Rügebefugnis mittelbar
Betroffener darüber hinaus auch darauf zu erstrecken, dass gegen die ausgewählte Vari-
ante sprechende Gesichtspunkte zu gering gewichtet worden seien; auch eine hieraus
folgende Fehlgewichtung kann in der Gesamtabwägung den Ausschlag dafür geben, die-
jenige Variante zu wählen, die mittelbar Betroffene stärker belastet. Dies bedarf hier aber
keiner weiteren Vertiefung, da sich vorliegend kein anderes Ergebnis der gerichtlichen
Prüfung ergibt.
b) Die Antragsteller bemängeln zu Unrecht einen unzureichenden Vergleich der beiden
Hauptalternativen. Sie rügen, die Planfeststellungsbehörde habe den sich ernsthaft anbie-
tenden Ausbau der Bestandstrasse nicht mit der gleichen Gründlichkeit wie die planfest-
gestellte Verlegung geprüft; ohnehin genieße der Ausbau einer Bestandstrasse den Vor-
rang vor einer Neutrassierung. Städtebauliche Kriterien seien keine originären Ziele des
Fernstraßengesetzes und dürften daher keine vorrangige Rolle spielen. Infolge der Vor-
festlegung sei nicht einmal eine grobe technische Planung für die Ausbauvariante erstellt
worden. Auch die "Knoflacher-Variante" sei unzureichend untersucht worden. Hiermit
können die Antragsteller im Ergebnis nicht durchdringen.
aa) Ein Planungsträger darf mit einer Planung auch andere als die im einschlägigen
Fachplanungsgesetz umschriebenen Ziele verfolgen; dadurch entfällt nicht etwa die nach
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Maßgabe des Fachplanungsrechts zu beurteilende Planrechtfertigung (vgl. BVerwG, Urt.
v. 23.4.2014, 9 A 25.12, juris Rn. 75 m.w.N.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 15. Aufl. 2014,
§ 74 Rn. 47 am Ende; OVG Hamburg, Beschl. v. 16.4.2014, 1 Bs 337/13, S. 10/11). Ne-
ben den planerischen Absichten, für die Wilhelmsburger Reichsstraße einen sowohl der
aktuellen als auch der prognostizierten Verkehrsbelastung gerecht werdenden verkehrssi-
cheren Zustand durch einen breiteren Querschnitt der Gesamttrasse zu erreichen und
den Instandsetzungsrückstand zu bewältigen, gehören vorliegend zu den Planungszielen
v.a. eine stärkere Berücksichtigung der städtebaulichen Entwicklungsmöglichkeiten in
Wilhelmsburg, indem die Zerschneidungswirkung durch die bestehende Straßentrasse
aufgehoben wird, und eine Reduzierung des Lärmkorridors durch die Bündelung der
Emissionsquellen Straße und Schiene.
Die Ziele des Fernstraßengesetzes, die für die Planrechtfertigung entscheidend sind, lie-
ßen sich sowohl mit der Ausbau- als auch mit der Verlegungsvariante erreichen; das wird
auch vom Vorhabenträger des Straßenbauvorhabens und von der Planfeststellungsbe-
hörde nicht bestritten. Dürfen aber auch andere Belange wie stadtentwicklungspolitische
bzw. städtebauliche Ziele die Variantenwahl zielführend beeinflussen, ist zu prüfen, durch
welche Variante die entsprechenden Zwecke überhaupt bzw. besser als durch andere
Varianten erreicht werden können. Der Planungsträger braucht sich nicht auf eine Alterna-
tivlösung verweisen zu lassen, mit dem die von ihm in zulässiger Weise verfolgten Ziele
nicht mehr verwirklicht werden könnten (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.4.2014, 9 A 25.12, juris
Rn. 78 m.w.N.). Die Vorauswahl darf auf der Grundlage grober Bewertungskriterien vor-
genommen werden; eine exakte Ermittlung des Abwägungsmaterials für jede zunächst
denkbare Variante, die jedenfalls die fachplanerischen Ziele erfüllen kann, ist in diesem
Stadium nicht erforderlich. Es genügt, das Abwägungsmaterial nur so genau und vollstän-
dig zu ermitteln, dass es die erste vorauswählende Entscheidung zulässt (BVerwG, Urt. v.
5.3.1997, 11 A 25.95, BVerwGE 104, 123, 128 = juris Rn. 113 f.). Dieses Erfordernis ist in
der UVS (Unterlage 12.1, v.a. S. 124 ff.) in ausreichender Form erfüllt worden.
Zu Unrecht entnehmen die Kläger der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
eine Aussage des Inhalts, der Ausbau eines Verkehrswegs habe einen grundsätzlichen
und vor allem auch rechtlich beachtlichen Vorrang vor dessen Verlegung. Sie berufen sich
auf eine Aussage des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. v. 24.1.2012, 7 VR 13.11, juris
Rn. 10; Urt. v. 5.3.1997, 11 A 25.95, BVerwGE 104, 123, 128 = juris Rn. 113), wonach der
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Ausbau bestehender Trassen gegenüber einem Neubau spezifische Vorteile habe. Hier-
bei handelt es sich aber lediglich um eine Feststellung, die in etlichen Fällen zutreffen
mag, aus der aber kein rechtlicher Vorrang des Ausbaus einer Bestandstrasse abzuleiten
ist. Sie wurde vom Bundesverwaltungsgericht zudem in Fällen getroffen, in denen Kläger
– gerade anders als hier – bemängelt hatten, es seien Neutrassierungen nicht hinreichend
untersucht worden. Das Bundesverwaltungsgericht betonte in den beiden genannten Ent-
scheidungen die Befugnis der Planfeststellungsbehörde, eine Vorauswahl theoretisch in
Frage kommender Alternativen aufgrund grober Bewertungskriterien zu treffen und weni-
ger geeignet erscheinende auszuscheiden. "Dabei darf die Behörde gerade auch die spe-
zifischen Vorteile berücksichtigen, die der Ausbau einer bestehenden Strecke gegenüber
einer Neutrassierung aufweist" (so das BVerwG im Beschl. v. 24.1.2012, a.a.O.). Wenn
aber gerade mit dem Ausbau einer bestehenden Strecke die Planungsziele nicht erreich-
bar sind, gehen die "spezifischen Vorteile" eines Trassenausbaus ins Leere.
Da sich somit nicht zwei Alternativen gegenüber standen, mit denen die Planungsziele in
etwa gleicher Art und Weise erreicht werden können, ist es nicht zu beanstanden, dass
die Planfeststellungsbehörde den von den Antragstellern bereits in ihren Einwendungen
geltend gemachten Kostenfaktor mit der Bemerkung "weggewogen" hat, die billigere Vari-
ante dränge sich nicht auf, wenn die teurere mehr bzw. andere Vorteile habe. Sie betrach-
te im wesentlichen den Nutzen und überlasse es den haushaltsrechtlichen Entscheidun-
gen der Vorhabenträger, ob sie bereit seien, die damit einhergehenden Kosten zu tragen
(Planfeststellungsbeschluss, S. 149). Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 24. November 2011 (9 A 23.10, BVerwGE 141, 171,
193 f., Rn 73). Dort ging es um einen Vergleich von Kosten verschiedener Baumethoden
(Bohrtunnel oder Absenktunnel): Bei Anwendung der erheblich teureren Methode hätte
auf das Grundstück eines Betroffenen nicht zugegriffen werden müssen. Hier durfte dem
Gebot der sparsamen und wirtschaftlichen Mittelverwendung als eigenständigem öffentli-
chem Belang in der Abwägung Rechnung getragen und letztlich auf das Grundstück zu-
gegriffen werden. Daraus kann aber nicht die Forderung abgeleitet werden, dass auch
eine (unterstellt) billigere Trassenführung selbst dann zu wählen sei, wenn mit ihr wesent-
liche Ziele der Planung nicht erreicht werden können.
Es bedarf keiner näheren Prüfung, ob die mit der Wahl der Verlegungstrasse verfolgten
städtebaulichen Ziele mit der hier in Rede stehenden Planfeststellung sämtlich in optima-
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ler Weise erreicht werden. Für die Entscheidung gegen den Ausbau der Bestandstrasse
genügt die Feststellung, dass mit der Ausbauvariante die Ziele jedenfalls nicht erreichbar
wären.
bb) Die Antragsteller werden voraussichtlich auch mit dem Vorwurf nicht durchdringen,
die Planfeststellungsbehörde habe die im "Gutachten: Wilhelmsburger Reichsstraße" von
Knoflacher/Frey/Schumich von Dezember 2012 vorgeschlagene Querschnittsreduzierung
zu oberflächlich abgetan. Das von einem Beratungsgremium des Bezirks Hamburg-Mitte
in Auftrag gegebene Gutachten beurteilt die Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße
an die Bahnlinie grundsätzlich positiv, hält aber eine Querschnittsreduzierung im wesentli-
chen durch Verzicht auf Seitenstreifen (stattdessen einige Pannenbuchten im Grünstrei-
fen) für angebracht. Der Planfeststellungsbeschluss (S. 58 f.) zählt die von den Gutach-
tern angenommenen Vorteile einer Querschnittsreduzierung auf und setzt sich hiermit in
ausreichender Weise auseinander. Zu Recht weist die Planfeststellungsbehörde darauf
hin, dass die Gutachter die unterschiedlichen Querschnitte für ähnlich leistungsfähig hal-
ten (Gutachten S. 15); die Verkehrsbelastung auf der Wilhelmsburger Reichsstraße wird
somit bei einem reduzierten Querschnitt kaum geringer sein als bei dem planfestgestellten
Querschnitt. Davon gehen auch die Verkehrsuntersuchungen (Unterlage 17) aus: Das
PTV-Gutachten (S. 31) prognostiziert selbst für den sog. Prognosenullfall (u.a. keine Ver-
änderung der Wilhelmsburger Reichsstraße) eine erhebliche Verkehrszunahme auf
63.300 bis 66.000 Kfz/d. Da der von Knoflacher et al. vorgeschlagene reduzierte Quer-
schnitt nicht zwingend eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf maximal 70 km/h fordert
(vgl. Gutachten S. 17 f.), andererseits die planfestgestellte Straßenbreite eine Geschwin-
digkeitsreduzierung auf unter 80 km/h ermöglicht (Planfeststellungsbeschluss, S. 58), ist
nicht erkennbar, inwiefern sich die Betroffenheit der Antragsteller im Fall der "Knoflacher-
Variante" – Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße mit reduziertem Querschnitt –
merklich verändern würde.
c) Die Antragsteller machen geltend, die Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße sei
mit dem geltenden Flächennutzungsplan der Freien und Hansestadt Hamburg nicht ver-
einbar; darin sei die Wilhelmsburger Reichsstraße an der Stelle dargestellt, wo sie aktuell
verlaufe. Auch dieses Vorbringen führt nicht zum Erfolg.
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aa) Nach § 7 Satz 1 BauGB haben öffentliche Planungsträger, die im Aufstellungsverfah-
ren für den Flächennutzungsplan beteiligt worden sind, ihre Planungen dem Flächennut-
zungsplan insoweit anzupassen, als sie diesem Plan nicht widersprochen haben. Die Bin-
dung des § 7 Satz 1 BauGB gilt gemäß § 38 Satz 2 BauGB auch für die Fachplanungs-
träger von Planfeststellungsverfahren. Die Darstellungen des Flächennutzungsplans sind
für den öffentlichen Planungsträger rechtlich bindende Vorgaben. Der öffentliche Pla-
nungsträger darf sich nicht in Gegensatz zur Flächennutzungsplanung setzen. Eine
Nichtbeachtung dieser Bindung führt zur Fehlerhaftigkeit des Plans (vgl. BVerwG, Urt. v.
24.11.2010, 9 A 13.09, BVerwGE 138, 226, 231 ff., Rn. 36 ff.).
Die Antragsteller als mittelbar Betroffene können einen Verstoß gegen das Anpassungs-
gebot des § 7 BauGB insofern rügen, als dieser Verstoß materiellrechtlich auch die dem
Abwägungsgebot unterliegende Variantenprüfung "infiziert" (so BVerwG, Urt. v. 24.11.
2010, 9 A 13.09, a.a.O., S. 238, Rn. 54). § 7 BauGB ist für sich genommen zwar nicht
drittschützend, sondern dient der Wahrung der gemeindlichen Planungshoheit und einer
geordneten städtebaulichen Entwicklung. Wenn allerdings ein Verstoß gegen das Anpas-
sungsgebot dazu führen konnte, dass die für das Vorhaben sprechenden öffentlichen Be-
lange fehlerhaft bewertet und mit der daraus folgenden Fehlgewichtung den geschützten
Privatbelangen der Kläger gegenübergestellt worden sind, können sich auch mittelbar
betroffene Kläger auf den Rechtsverstoß berufen (BVerwG, Urt. v. 24.11.2011, 9 A 24.10,
NuR 2013, 184, 187, Rn. 29).
bb) Der bei Erlass des Planfeststellungsbeschlusses, dem maßgeblichen Zeitpunkt für
die Beurteilung seiner Rechtmäßigkeit, geltende Flächennutzungsplan für die Freie und
Hansestadt Hamburg in der Fassung der Neubekanntmachung vom 22. Oktober 1997
(HmbGVBl. S. 485) bis einschließlich der 131. Änderung vom 19. Juni 2013 (HmbGVBl.
S. 311) sieht den Verlauf der Wilhelmsburger Reichsstraße auf ihrer bisherigen Trasse als
eine "Autobahn oder autobahnähnliche Straße mit Anschlussstellen" mit der Bezeichnung
B4/B75 vor. Die zeichnerischen Darstellungen sehen im Verlauf der Trasse von Süd nach
Nord eine Anschlussstelle an die Kornweide, eine Anschlussstelle an die Mengestraße/
Neuenfelder Straße sowie eine Anschlussstelle beim Übergang in die Bundesautobahn
A 252 vor. Die planfestgestellte Straßentrasse soll in ihrem überwiegenden Verlauf auf
einer Fläche geführt werden, für die der Flächennutzungsplan in einer nachrichtlichen
Übernahme eine "Fläche für Bahnanlagen" darstellt. Nördlich der bestehenden AS HH-
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Wilhelmsburg-Süd führt die planfestgestellte Trasse in einer Länge von ca. 400 – 500 m
über einen Bereich, der im Flächennutzungsplan als Grünfläche dargestellt ist. Im Norden
führt die planfestgestellte Trasse östlich des Jaffe-Davids-Kanals durch einen Bereich, der
im Flächennutzungsplan als "Gewerbliche Baufläche" dargestellt ist. An Stelle der im Flä-
chennutzungsplan dargestellten AS HH-Wilhelmsburg sieht der Planfeststellungsbe-
schluss die AS Rotenhäuser Straße vor. Der Erläuterungsbericht zum Flächennutzungs-
plan (s. www.hamburg.de/flaechennutzungsplan) enthält keine konkreten planerischen
Ausführungen zur Führung der Wilhelmsburger Reichsstraße.
cc) Der Planfeststellungsbeschluss führt zu der vorliegenden Problematik aus (S. 170,
227 f.), es könne offen bleiben, ob die Grundkonzeption des Flächennutzungsplans erhal-
ten bleibe. Funktional sei das sicher der Fall, weil sowohl die im Flächennutzungsplan
dargestellte Fernstraße als auch die Nutzungsgebiete in der Umgebung unverändert blie-
ben. Nur die Lage der Fernstraße und eine Anschlussstelle änderten sich. Zudem habe
die Hamburgische Bürgerschaft als Verantwortliche für den Flächennutzungsplan durch
ihre Drucksachen 19/7116 vom 31. August 2010 und 20/1453 vom 6. September 2011
dem Vorhaben zugestimmt und habe diese Zustimmung u.a. durch die Bereitstellung von
Mitteln zur Mitfinanzierung der Maßnahme manifestiert.
Diese Ausführungen sind zumindest insofern bedenklich, als eine Zustimmung der Bür-
gerschaft zu Senatsmitteilungen und die Bereitstellung von Haushaltsmitteln für Planungs-
und Baumaßnahmen nicht ausreichen können, die Bindungswirkung von Darstellungen im
Flächennutzungsplan aufzuheben. Die Bindungswirkung eines Flächennutzungsplans
kann aus Gründen der Rechtsklarheit nur durch eine förmliche Änderung des Plans nach
außen dokumentiert werden (BVerwG, Urt. v. 24.11.2010, 9 A 13.09, BVerwGE 138, 226,
236, Rn. 48). Eine solche gibt es aber hinsichtlich der Trassenführung der Wilhelmsburger
Reichsstraße nicht.
dd) Die planfestgestellte Straßentrasse verstößt dennoch nicht gegen das Anpassungs-
gebot an Darstellungen des Flächennutzungsplans, weil die zeichnerische Darstellung
des Trassenverlaufs der Wilhelmsburger Reichsstraße im Flächennutzungsplan nicht
Ausdruck einer planerischen Konzeption ist, sondern insofern nur Vorhandenes nachricht-
lich übernimmt. Die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zu verschiedenen
Abschnitten der A 281 in Bremen (Urteile v. 24.11.2010 und 24.11.2011, jeweils a.a.O.)
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lassen sich hinsichtlich der Einzelheiten nicht auf den vorliegenden Fall übertragen, weil
es in den dortigen Fällen um Darstellungen einer noch nicht vorhandenen Autobahn im
Flächennutzungsplan ging, während der Flächennutzungsplan der Freien und Hansestadt
Hamburg eine seit den 1950er Jahren existierende Straßenführung abbildet.
Auch der Erläuterungsbericht zum Flächennutzungsplan in der Fassung der Neube-
kanntmachung vom Oktober 1997 spricht im Ergebnis davon, dass es sich bei der Dar-
stellung von Hauptverkehrsachsen im wesentlichen nur um nachrichtliche Übernahmen
handelt. So heißt es im "Kapitel 10. Verkehr" unter "10.4 Planungen / Darstellungen"
(S. 90 ff.), abgesehen von den aufgegebenen Planungen der Osttangente und eines Au-
tobahnzubringers in Bahrenfeld würden die bisherigen Darstellungen von Autobahnen und
autobahnähnlichen Straßen beibehalten. Neu dargestellt werde die im Bau befindliche
Umgehung Fuhlsbüttel. Wegen der noch nicht abgeschlossenen Linienführung könne die
Hafenquerspange noch nicht im Flächennutzungsplan selbst dargestellt werden; sie sei
als Prinzipdarstellung im Beiblatt "Nachrichtliche Übernahmen, Kennzeichnungen und
Vermerke" enthalten (S. 91). Der Flächennutzungsplan stelle eine Auswahl der städti-
schen Hauptverkehrsstraßen dar, die u.a. als Träger des weiträumigen, ortsteilverbinden-
den Kraftfahrzeugverkehrs eine herausgehobene funktionelle Bedeutung besäßen. Dazu
zählten u.a. die durch das Stadtgebiet geführten Bundesstraßen. die Ringstraßen, die
Zubringerstraßen zu den Autobahnanschlussstellen, die Verbindungsstraßen zwischen
Hamburg und seinem Umland sowie die vorhandenen und geplanten innerörtlichen Um-
gehungs- und Entlastungsstraßen. Mit dem dargestellten Netz der Autobahnen, auto-
bahnähnlichen Straßen und sonstigen Hauptverkehrsstraßen solle das Prinzip des abge-
stuften, hierarchisch gegliederten Straßennetzes verdeutlicht werden (S. 92).
Zumindest Indizien dafür, dass die Hamburgische Bürgerschaft die Darstellung der Wil-
helmsburger Reichsstraße im Flächennutzungsplan nur als Bestandsdarstellung ohne
planerische Entscheidung über deren konkreten Verlauf versteht, geben die Begründun-
gen zu zwei Änderungen des Flächennutzungsplans (112. Änderung vom 8.6.2010,
HmbGVBl. S. 439; 115. Änderung vom 5.10.2010, HmbGVBl. S. 569; Begründung jeweils
unter www.hamburg.de/flaechennutzungsplan - Änderungen seit 1997). In beiden Fällen
wird auf die Planungen zur Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße nach Osten
durch Bündelung mit der Bahntrasse hingewiesen, ohne dass es als erforderlich angese-
hen wird, die Darstellung der Führung dieser Straße im Flächennutzungsplan zu ändern.
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Zudem ist zu berücksichtigen, dass – wie die Vorhabensträger in ihrer Stellungnahme zu
den Einwendungen u.a. der Antragsteller zutreffend geltend gemacht haben (vgl. Plan-
feststellungsbeschluss, S. 169) – der Hamburgischen Bürgerschaft als für die Flächennut-
zungsplanung zuständigem Organ eine Darstellung der planfestgestellten Trassenführung
im Flächennutzungsplan bisher rechtlich gar nicht möglich war. Der überwiegende Teil
des für die neue Trasse benötigten Geländes ist noch als Bahnanlage gewidmet und des-
halb einer Bauleitplanung durch die Hamburgische Bürgerschaft nicht zugänglich; der
Planfeststellungsbeschluss stellt unter Ziffer 1.5 seiner Entscheidung (S. 28) die entspre-
chenden Flächen erst mit der Freigabe für den Verkehr auf dem planfestgestellten Ab-
schnitt der Bundesfernstraße gemäß § 23 AEG von Eisenbahnbetriebszwecken frei. Pla-
nerische Aussagen – seien es Darstellungen eines Flächennutzungsplans oder Festset-
zungen in einem Bebauungsplan –, die sich mit der besonderen Zweckbestimmung einer
bestehenden Bahnanlage inhaltlich nicht vereinbaren lassen, darf die Gemeinde aber
nicht treffen (BVerwG, Urt. v. 16.12.1988, 4 C 48.86, BVerwGE 81, 111, 116 f., Rn. 29).
2.1.5. Die Planfeststellungsbehörde hat sich in ausreichender Weise mit den spezifischen
Problemen befasst, die von der Verlegungstrasse hervorgerufen werden. Im Ergebnis ist
die Auffassung nicht zu beanstanden, die Probleme seien lösbar und führten nicht zur
Notwendigkeit, auf die Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße an die Bahntrasse zu
verzichten.
a) Entgegen einer zumindest missverständlichen Formulierung im Planfeststellungsbe-
schluss hat die Planfeststellungsbehörde die mit der AS Rotenhäuser Straße verbunde-
nen Auswirkungen auf das nachgeordnete Straßennetz geprüft, bewertet und die sich dort
ergebenden Probleme in vertretbarer Weise als lösbar angesehen.
aa) Der Planfeststellungsbeschluss vergleicht auf S. 55 ff. die Vor- und Nachteile der
Varianten Ausbau und Verlegung. Dabei werden hinsichtlich der Verlegungstrasse die
starken verkehrlichen Auswirkungen im Bereich der AS Rotenhäuser Straße als nachteilig
gegenüber einem Ausbau der Bestandstrasse (mit beibehaltener AS HH-Wilhelmsburg)
anerkannt. Nach einer zustimmenden Wiedergabe von Bewertungen der Umweltverträg-
lichkeitsstudie heißt es auf S. 57 oben:
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"Wie bereits angesprochen, verbleiben als Nachteile die durch die neue An-schlussstelle Rotenhäuser Straße verursachten Problemstellungen, die jedoch nach derzeitigem Stand der Dinge zu bewältigen sind und - vorbehaltlich näherer Prüfung - voraussichtlich nicht ein Gewicht erreichen, das die mit der Verlegung verbundenen Vorteile zunichtemachte."
Die Formulierung "nach derzeitigem Stand der Dinge" dürfte in nicht zu beanstandender
Weise die bei Prognosen naturgemäß gegebene Ungewissheit zum Ausdruck bringen.
Allerdings darf die Gewichtung eines in die Abwägung einzustellenden Belangs im Plan-
feststellungsbeschluss nicht "näherer Prüfung" vorbehalten bleiben, besonders wenn nicht
ausgeschlossen werden kann, dass das Gewicht der erkannten Nachteile das Gewicht
der angenommenen Vorteile noch übersteigen und somit Einfluss auf das Gesamtergeb-
nis der Abwägung haben kann. Die Gesamtabwägung hinsichtlich eines planfeststel-
lungspflichtigen Vorhabens findet mit dem Erlass des Planfeststellungsbeschlusses ihren
Abschluss; für eine nachgehende nähere Prüfung ist insofern kein Raum mehr.
bb) Eine nähere Analyse des Planfeststellungsbeschlusses zeigt indes, dass die zitierte
Formulierung nicht die abschließende Behandlung der Problematik zum Ausdruck bringt.
Vielmehr hat sich die Planfeststellungsbehörde an verschiedenen anderen Stellen in aus-
reichender Tiefe mit den verkehrlichen Auswirkungen der neuen Anschlussstelle befasst
und ist dort zur Einschätzung gelangt, dass diese Probleme bewältigt werden können und
daher kein Gewicht haben, das die angenommenen Vorteile der Verlegungstrasse über-
wiegt.
Hierbei hat sie auch zutreffend angenommen, dass Regelungen bzw. Änderungen im
nachgeordneten Stadtstraßennetz – über die Anpassung des Knotens Dratelnstraße/Rub-
bertstraße/Rotenhäuser Straße hinaus – nicht im Rahmen des Planfeststellungsbeschlus-
ses zu treffen sind. Zwar hat die Planfeststellungsbehörde im Rahmen der Problembewäl-
tigung auch notwendige Folgemaßnahmen an anderen Anlagen festzustellen (§ 75 Abs. 1
Satz 1 HmbVwVfG). Das Gebot der Problembewältigung rechtfertigt es allerdings nicht,
andere Planungen mitzuerledigen, die ein eigenes umfassendes Planungskonzept erfor-
dern. Insoweit unterliegt der Begriff der notwendigen Folgemaßnahme wegen seiner
kompetenzerweiternden Wirkung räumlichen und sachlichen Beschränkungen. Folgemaß-
nahmen dürfen über Anschluss und Anpassung nicht wesentlich hinausgehen. Der Vor-
habenträger darf dementsprechend nicht alles, was in Bezug auf andere Anlagen in der
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Folge des Vorhabens wünschenswert und zweckmäßig erscheint, in eigener Zuständig-
keit planen und ausführen. Das gilt selbst für unvermeidbare Anpassungen, wenn sie ein
umfassendes eigenes Planungskonzept voraussetzen und auch dann, wenn der für die
andere Anlage zuständige Planungsträger mit einer weitreichenden Folgemaßnahme ein-
verstanden ist; denn die gesetzliche Kompetenzordnung ist allen Hoheitsträgern vorgege-
ben (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.7.2010, 9 B 103.09, NVwZ 2010, 1244, 1245, Rn. 4 f.
m.w.N.). Den anderen Planungsträgern dürfen allerdings keine unlösbaren Probleme
überbürdet werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.2.2005, 4 A 5.04, BVerwGE 123, 23, 28 =
juris Rn. 28).
Neben etlichen Stellen, an denen die hier angesprochene Problematik allenfalls kurso-
risch gestreift wird, geht der Planfeststellungsbeschluss v.a. auf S. 247-251 im Rahmen
der Auseinandersetzung mit Einwendungen zum Thema "Beeinträchtigungen durch Ver-
kehrszunahme" und auf S. 307-312 bei der Befassung mit der Stellungnahme der Behör-
de für Inneres und Sport auf die Auswirkungen der neuen AS Rotenhäuser Straße auf das
nachgeordnete Straßennetz ein. Es wird dabei deutlich, dass sich die Planfeststellungs-
behörde eingehend mit den vorgelegten Verkehrsgutachten (Unterlage 17), insbesondere
der ARGUS-Untersuchung "Kleinräumige Verkehrsverlagerungen bei einer Verlegung der
B 4/75" einschließlich deren Ergänzung vom 8. November 2012 befasst hat.
Zutreffend wird auf S. 249 des Planfeststellungsbeschlusses zunächst darauf hingewie-
sen, dass ein Großteil der verkehrlichen Entwicklung unabhängig von der Verlegung der
Wilhelmsburger Reichsstraße auf die in der Zukunft zu erwartenden städtebaulichen Ent-
wicklungen zurückzuführen sei. In der Tat geht die von der PTV AG erstellte "Verkehrs-
prognose 2025 und Berechnung von Planfällen" (Unterlage 17) sogar im Prognosenullfall
(S. 31), bei dem das aktuell bestehende Straßennetz ohne Verlegung der Wilhelmsburger
Reichsstraße zugrunde gelegt wird, von einer deutlichen Zunahme der Verkehrsbelastung
allein aufgrund der siedlungsstrukturellen Entwicklung in Wilhelmsburg und der Maßnah-
men HafenCity, Masterplan Elbbrücken und Kleiner Grasbrook aus. Auf der Wilhelmsbur-
ger Reichsstraße sei mit einer Belastung von 66.000 Kfz/d südlich und 63.300 Kfz/d nörd-
lich der AS HH-Wilhelmsburg zu rechnen. Nicht nur auf den Hauptstraßen in Wilhelms-
burg, sondern nahezu flächendeckend sei mit zum Teil erheblichen Verkehrszunahmen
zu rechnen.
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Die Planfeststellungsbehörde erkennt im weiteren an, dass es infolge der zur Rotenhäu-
ser Straße verlegten Anschlussstelle Mehrverkehre im nachgeordneten Stadtstraßennetz
geben werde, die dort Anpassungsmaßnahmen teilweise nicht nur wünschenswert, son-
dern auch geboten erscheinen ließen. Dabei stützt sie sich auf Ausführungen in der er-
gänzenden Stellungnahme von ARGUS vom 8. November 2012, deren Zahlen für den
Prognoseplanfall 2015_01 sie im Planfeststellungsbeschluss auf S. 250 wiedergibt. Dabei
bezieht sich die dort genannte sehr hohe Zahl von 20.600 Kfz/d für die Dratelnstraße nur
auf den kurzen Abschnitt zwischen der AS Rotenhäuser Straße und dem Knoten Drateln-
straße/Rubbertstraße/Rotenhäuser Straße, wie die Abbildungen 3 und 6 auf S. 4 bzw. 7 in
der ARGUS-Stellungnahme vom 8. November 2012 belegen. Dieser auszubauende Ab-
schnitt ist aber als notwendige Folgemaßnahme im Sinn von § 75 Abs. 1 Satz 1
HmbVwVfG bereits von der Planfeststellung umfasst.
Auch die gegenüber dem gegenwärtigen Zustand künftig wesentlich stärkere Belastung
der Thielenstraße (derzeit 4.600 Kfz/d) rührt nicht allein aus der Verlegung der An-
schlussstelle, sondern auch aus der geplanten Siedlungsentwicklung im Wilhelmsburger
Bahnhofsviertel, wie die Zahlen für den Prognosenullfall 2025_04 (ohne Verlegung der
Wilhelmsburger Reichsstraße) zeigen (Unterlage 17, ARGUS-Gutachten, S. 36, Abbil-
dung 16, S. 40, Tabelle 9), die hierfür eine Verkehrsstärke von 6.100 Kfz/d nennen.
Zutreffend überlässt die Planfeststellungsbehörde etwa weiter notwendige Anpassungs-
maßnahmen dem Stadtstraßenbaulastträger (Planfeststellungsbeschluss S. 251 und
312). Von dieser Seite wird diesbezüglich auch nicht geltend gemacht, dass solche Maß-
nahmen nicht möglich oder nicht erfolgversprechend seien. So wird auf S. 312 darauf
hingewiesen, dass das von der Freien und Hansestadt Hamburg erarbeitete Gesamtmobi-
litätskonzept Süderelbe von der Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße als "indispo-
nibles Vorhaben" ausgehe und aus den verkehrlichen Wirkungen und den resultierenden
Verkehrsstärken auf den Straßen im Planungsraum dann die erforderlichen Maßnahmen
ableite. Hieraus ist zu schließen, dass die Folgewirkungen als planerisch zu bewältigend
angesehen werden. Das lässt sich auch aus einer Stellungnahme des hierfür zuständigen
Referats der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation vom 20. Dezember 2012
(Sachakte 150.1409-003, Bd. 6, Bl. 37) schließen (in Bezug genommen im Planfeststel-
lungsbeschluss S. 251). In dieser wird es als "zwingend erforderlich" angesehen, dass mit
Inbetriebnahme der verlegten Wilhelmsburger Reichsstraße auch im einzelnen genannte
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Verkehrsknoten in der Dratelnstraße so hergestellt seien, dass die prognostizierten Ver-
kehrsstärken auch hier problemlos abgewickelt werden könnten; die Stellungnahme
macht aber gerade nicht geltend, dass dies nicht möglich sei.
b) Die Planungsträger und die Planfeststellungsbehörde haben sich auch mit der Be-
fürchtung der Antragsteller ausreichend auseinandergesetzt, die AS Rotenhäuser Straße
habe aufgrund ihrer Ausgestaltung keine ausreichende Kapazität, um die von der Wil-
helmsburger Reichsstraße abfließenden Verkehre abzuleiten, so dass sich erhöhte Un-
fallgefahren ergäben.
Die Planungen für die südöstliche und aufgrund der Planänderung vom Januar 2013 auch
die nordwestliche Abfahrts-Rampe (vgl. hierzu Erläuterungsbericht, Unterlage 1Ä, S. 40)
sehen jeweils Aufweitungen auf zwei Fahrspuren vor, um genügend Stauraum vor den
Ampeln hinter den Ausfahrten zu haben und möglichst einen Rückstau auf die Wilhelms-
burger Reichsstraße zu vermeiden. Im Planfeststellungsbeschluss (S. 487) wird hierzu
anerkannt, dass die dort gegebene Verkehrsqualität "D" (gemäß der Definition des Hand-
buchs für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen, herausgegeben von der For-
schungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V., Köln) zwar durch hohe Belas-
tungen gekennzeichnet sei, die zu deutlichen Beeinträchtigungen in der Bewegungsfrei-
heit der Verkehrsteilnehmer führten. Dennoch sei der Verkehrszustand bei dieser Ver-
kehrsqualität noch stabil. Eine bessere Verkehrsqualität wäre zwar wünschenswert, sei
aber nicht zwingend bzw. könne auch durch Maßnahmen des Stadtstraßenbaulastträgers
mit bewirkt werden, so dass insoweit keine weiteren Anordnungen der Planfeststellungs-
behörde ergingen. Das ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden.
Darüber hinaus hat gerade auch die als notwendige Folgemaßnahme mit planfestgestellte
Anpassung des Straßenknotens Dratelnstraße/Rubbertstraße/Rotenhäuser Straße den
Zweck, die an der AS Rotenhäuser Straße von der Wilhelmsburger Reichsstraße abflie-
ßenden Verkehre zügig in das Stadtstraßennetz überleiten zu können. Der Planfeststel-
lungsbeschluss (S. 120 f.) erläutert dies damit, dass ohne die Anpassung dieses Knotens
nachhaltige Störungen der Funktionsfähigkeit der Stadtstraßen in diesem Bereich zu er-
warten wären. Aufgrund der Nähe dieses Knotens zu den Rampen der Anschlussstelle sei
hier wenig Stauraum vorhanden. Der notwendige Stauraum müsse durch die Schaffung
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zusätzlicher Fahr- und Abbiegestreifen geschaffen werden. Daher werde der Querschnitt
der Rotenhäuser Straße aufgeweitet.
c) Auch die Sicherheitsfragen, die durch die geplante Parallelführung von Straße und
Schiene aufgeworfen werden, sind von der Planfeststellungsbehörde ausreichend unter-
sucht und im Planfeststellungsbeschluss ihrer Bedeutung entsprechend behandelt wor-
den.
Zu Unrecht machen die Antragsteller geltend, die Forderung nach Einholung eines Gut-
achtens zur Beurteilung der Sicherheit der Parallelführung sei unberücksichtigt geblieben.
Die Planfeststellungsbehörde hat sich mit diesem Problem eingehend befasst. Sie hat im
Mai 2012 Stellungnahmen der Feuerwehr, der Polizei, des Katastrophenschutzes und des
Eisenbahn-Bundesamtes zu Unfallgefahren und zu Fluchtmöglichkeiten bei Parallelfüh-
rung beider Verkehrswege angefordert. Die Antworten ergaben, dass unter Beachtung
bestimmter Maßgaben keine Bedenken gegen die Parallelführung bestünden. Vor dem
Hintergrund von Bedenken, die in der Entwurfsfassung des Gutachtens von Knoflacher et
al. zu diesem Thema geäußert wurden, wandte sich die Planfeststellungsbehörde ferner
Anfang Dezember 2012 an das Eisenbahn-Bundesamt und fragte nach etwaigen Vorga-
ben bezüglich der Sicherheit bei Parallelführung der Verkehrswege. Hierauf übersandte
das Eisenbahn-Bundesamt die "Richtlinien für passiven Schutz an Straßen durch Fahr-
zeug-Rückhaltesysteme", Ausgabe 2009 (RPS 2009) und Auszüge aus der Druckschrift
DS 800 01. Auf der Grundlage dieser Richtlinien sowie eines schweizerischen For-
schungsauftrags zur Parallelführung von Straße und Schiene nahm schließlich die
DEGES im März 2013 Stellung. Die gewählte Lösung sei fachtechnisch geprüft und im
Rahmen der Entwurfsplanung als "besondere Vorkehrung" im Sinn der DS 800 01 bestä-
tigt worden. Gemessen an den Empfehlungen des schweizerischen Modells bestehe ein
"tragbares Risiko". Zu der gleichen Einschätzung gelangte auch das Gutachten von
Knoflacher et al. in der Schlussfassung (S. 17, 21), nachdem klargestellt worden war,
dass die Parallelführung von Straße und Schiene im wesentlichen Abstellgleise betrifft.
Der Planfeststellungsbeschluss geht inhaltlich auf dieses Problem durch die Nebenbe-
stimmung Nr. 2.21 (S. 43 mit Begründung auf S. 265 f.) ein und ordnet auf der Ostseite
der neuen B 75 von Baukilometer 1+000 bis Baukilometer 2+800 parallel zu den Bahnan-
lagen den Einbau eines Fahrzeugrückhaltesystems einer näher bestimmten Aufhaltestufe
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gemäß den RPS 2009 an. Die Planfeststellungsbehörde hat sich damit auch insoweit in
ausreichender Weise mit den spezifischen Problemen im Zusammenhang mit der Verle-
gungstrasse befasst.
2.1.6. Auch mit ihren Angriffen gegen das vorgesehene, von ihnen als unzureichend kriti-
sierte Lärmschutzkonzept werden die Antragsteller aller Voraussicht nach im Hauptsache-
verfahren nicht durchdringen.
Die Antragsteller kritisieren, dass die von der verlegten Straße und von der Bahntrasse
ausgehenden Lärmbeeinträchtigungen getrennt ermittelt worden seien; dies stelle eine
künstliche Aufspaltung der Lärmquellen dar. Stattdessen müsse eine Gesamtlärmbetrach-
tung erfolgen; die hiernach ermittelten Beurteilungspegel müssten die Immissionsgrenz-
werte der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) einhalten. Wenn dies nicht ge-
linge, müssten die aktiven Lärmschutzvorrichtungen so konzipiert werden, dass die
Grenzwerte eingehalten würden. Aber auch die von den Vorhabenträgern durchgeführte
Gesamtlärmbetrachtung, die an erheblich großzügigeren Grenzwerten gemessen worden
sei, sei rechtswidrig, weil sie übersehe, dass schon aufgrund Verfassungsrechts auch
ohne das planfestgestellte Vorhaben Lärmsanierungsmaßnahmen durchgeführt werden
müssten.
a) Die Rüge, den zu erwartenden Lärmbelastungen sei im Planfeststellungsbeschluss
nicht angemessen Rechnung getragen worden, kann nur dann dazu führen, dass der
Planfeststellungsbeschluss aufgehoben oder zumindest für rechtswidrig und nicht voll-
ziehbar erklärt wird, wenn der etwaige Mangel für die Planungsentscheidung insgesamt
von so großem Gewicht ist, dass dadurch die Ausgewogenheit der Gesamtplanung oder
eines abtrennbaren Planungsteils überhaupt in Frage gestellt wird. Lassen sich im Plan-
feststellungsbeschluss nicht angeordnete oder unzureichende Schutzauflagen nachholen
oder nachbessern, ohne dass dadurch die Gesamtkonzeption der Planung in einem we-
sentlichen Punkt berührt und ohne dass in dem Interessengeflecht der Planung nunmehr
andere Belange nachteilig betroffen werden, so besteht kein subjektiver Anspruch des
Betroffenen auf Planaufhebung, sondern allein ein Anspruch auf Planergänzung um wei-
tere Schutzauflagen (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.11.2005, 9 A 28.04, NVwZ 2006, 331, 332,
Rn. 17; Urt. v. 5.3.1997, 11 A 25.95, BVerwGE 104, 123, 129 = juris Rn. 115).
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b) Das planfestgestellte Gesamtvorhaben löst in unterschiedlicher Weise Lärmvorsor-
geansprüche gemäß § 41 Abs. 1 BImSchG i.V.m. § 1 der 16. BImSchV aus. Während die
Neutrassierung der Wilhelmsburger Reichsstraße über eine Strecke von mehreren Kilo-
metern im Rechtssinne ein Neubau ist (vgl. auch Nr. 10.1 Abs. 1 der VLärmSchR 97,
VkBl. 1997, 434), handelt es sich bei der Verlegung des Gleises 8 nach Westen in enger
Parallellage zur vorhandenen Strecke um die Änderung eines Schienenwegs, nicht um
einen Neubau. Das beruht auf dem trassenbezogenen Verständnis des Begriffs "Schie-
nenweg" in § 1 der 16. BImSchV (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.11.2004, 9 A 67.03, NVwZ
2005, 591, 592 = juris Rn. 25). Dabei ist es für Lärmschutzansprüche von erheblicher Be-
deutung, ob es sich um eine Änderung in Form der baulichen Erweiterung eines Schie-
nenwegs um ein durchgehendes Gleis (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der 16. BImSchV) handelt
oder um eine Änderung durch einen (sonstigen) erheblichen baulichen Eingriff, der näher
umschriebene Steigerungen des Beurteilungspegels mit sich bringt (§ 1 Abs. 2 Satz 1
Nr. 2 und Satz 2 der 16. BImschV). Im erstgenannten Fall wäre die Schienenverlegung in
ihrem gesamten räumlichen Umgriff als "wesentliche Änderung" anzusehen mit der Folge,
dass ohne weitere Voraussetzungen die in § 2 der 16. BImSchV normierten Immissions-
grenzwerte einzuhalten wären. Andernfalls löst die Änderung nur dann Lärmvorsorgean-
sprüche aus, wenn sich die näher definierten Pegelerhöhungen – bezogen auf die jeweili-
gen Grundstücke Betroffener (BVerwG, Urt. v. 10.11.2004, a.a.O., S. 593 = juris Rn. 36) –
ergeben.
Im vorliegenden Fall handelt es sich bei der Verlegung des Gleises 8 um eine Änderung
im Sinn von § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bzw. Satz 2 der 16. BImSchV. Das neue Gleis der
Bahnstrecke 1255 beginnt – von Norden her gesehen – in Höhe der bisherigen und künf-
tigen Unterführung der B4/75 unter den Bahngleisen bei Bahnkilometer 11,745 und fädelt
nach ca. 2,2 km über die neue Weiche 4227 bei Bahnkilometer 9,503 (nördlich der Über-
führung der Neuenfelder Straße) in die Bestandsstrecke ein. Für die rechtliche Einord-
nung ist maßgeblich, dass auch das bisherige Gleis 8 zum hier zu betrachtenden Schie-
nenweg gehört. Hierbei ist das räumliche Erscheinungsbild zu würdigen (vgl. BVerwG,
Urt. v. 10.11.2004, a.a.O., S. 592 = juris Rn. 25, 29). Zwar ist das bisherige Gleis 8 südlich
und in noch stärkerem Maße nördlich der Thielenbrücke durch einen ca. 75-90m breiten
und mit Sträuchern und Bäumen bewachsenen Streifen von den weiter östlich verlaufen-
den Gleisen getrennt. In dem genannten Grünstreifen befanden sich aber im maßgebli-
chen Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses noch zahlreiche alte, seit
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längerem nicht mehr genutzte Gleisanlagen des früheren Rangierbahnhofs Wilhelmsburg,
die gemäß dem Bauwerksverzeichnis (Unterlage 5, ab 50.40 ff.) im Zuge der Umsetzung
des planfestgestellten Gesamtvorhabens zurückgebaut werden sollen; erst danach wird
diese Fläche gemäß § 23 AEG von Bahnbetriebszwecken freigestellt (vgl. zur Bedeutung
des rechtlichen Fortbestands einer Fläche als Bahnbetriebsfläche BVerwG, Urt. v.
10.11.2004, a.a.O., S. 593 = juris Rn. 35). Damit gehört auch das alte Gleis 8 der Strecke
1255 im hier entscheidenden Abschnitt zu dem aus durchgehenden Gleisen und aus au-
ßer Betrieb befindlichen Abstellgleisen bestehenden "Schienenweg".
c) Zutreffend hat die Schalltechnische Untersuchung (Unterlage 11) die Immissionen, die
von der Straße und von der Bahnanlage auf die in der Umgebung liegenden Grundstücke
einwirken, getrennt betrachtet; der Planfeststellungsbeschluss (S. 100) hält eine Gesamt-
lärmbetrachtung zu Recht für grundsätzlich nicht geboten.
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 21. März 1996 (4 C 9.95, BVerwGE
101, 1 ff.) entschieden, dass beim Bau oder der wesentlichen Änderung einer Straße ein
Anspruch auf Lärmschutz grundsätzlich nur bestehe, wenn der von der neuen oder geän-
derten Straße ausgehende Verkehrslärm den nach § 2 Abs. 1 der 16. BImSchV maßgeb-
lichen Immissionsgrenzwert überschreite. Der maßgebliche Beurteilungspegel sei grund-
sätzlich nicht als Summenpegel unter Einbeziehung von Lärmvorbelastungen durch be-
reits vorhandene Verkehrswege zu ermitteln. Das Gericht hat dies aus dem Wortlaut der
Verordnung, einer systematischen Auslegung und der Entstehungsgeschichte hergeleitet.
Die VLärmSchR 97 (VkBl. 1997, 434) übertragen in ihrem Abschnitt 10.6 Abs. 2 diese
Rechtsprechung auch auf den Fall, in dem Gegenstand einer Planfeststellung der Bau
eines Verkehrsweges und – als notwendige Folgemaßnahme – die Änderung eines ande-
ren Verkehrswegs sind.
Die Antragsteller berufen sich für ihre gegenteilige Auffassung auf Ausführungen des
Bundesverwaltungsgerichts in einer neueren Entscheidung (BVerwG, Urt. v. 19.3.2014,
7 A 24.12, U