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Entwicklungszusammenarbeit 4.0– Chancen, Risiken und offene Fragen –
Akademie Franz Hitze Haus Münster 6.09.2018
© Prof. Dr. H. Sangmeister 2018
Digitale Agenda 2030Herausforderung Digitalisierung für die entwicklungspolitische Projektarbeit
Prof. (em.) Dr. H. SangmeisterAlfred-Weber-Institut für Wirtschaftswissenschaften
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
© Prof. Dr. H. Sangmeister 2018
Das BMZ hat im Rahmen der Digitalen Agenda der Bundesregierung den
politischen Auftrag, Informations- und Kommunikationstechnologien in allen
Sektoren der deutschen EZ zu verankern.
▪ Die „Digitale Agenda“ des BMZ beschreibt die Strategie des Ministeriums für die
Entwicklungszusammenarbeit in einer digitalisierten Welt.
▪ Mit der „Digitalen Agenda“ will das BMZ aufzeigen, welche Chancen der digitale
Wandel bieten kann, und welche Herausforderungen es dabei zu bewältigen
gilt.
▪ Die „Digitale Agenda“ dient als strategische Orientierung für die
Implementierung von digitalen Projekten und ist die Grundlage neuer digitaler
Ansätze in der Arbeit aller Durchführungsorganisationen der deutschen EZ.
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EZ 4.0 – Chancen, Risiken und offene Fragen
Die Digitale Agenda des BMZ: Die digitale Revolution für nachhaltige Entwicklung nutzen
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Das BMZ nennt sieben Handlungsfelder des digitalen Wandels in der EZ:
z.B. 3D-Drucker für medizinische
Hilfsgüter (wie Nabelschnur-
klemmen u.a.)
1. Digitale Trends und Technologien
4. Wirtschaft und Arbeiten im digitalen Wandel
3. Gesellschaft im digitalen Wandel
5. Digitale Lösungsansätze für Entwicklungsprobleme
2. Digitale Infrastruktur6. Netzpolitik und
Cyber-Resilienz
z.B. Förderung von
jungen Gründer/innen
mit digitalen Anwendungen
(z.B. App-Entwickler)
z.B. Schutz der
Privatsphäre und digitale n
(Menschen-) Rechte
z.B. Transparenz in der gesamten
Lieferkette (Kaffee u.a.)
z.B. Smartphone als
Entwicklungshelfer (z.B. Crowd-
funding)
z.B. Internet-Zugang
für arme Bevölkerungs-
gruppen
7. Innovativer Staat & digitale Leitbilder
z.B. Mindeststandards für Arbeitsschutz in der digitalen
Welt (z.B. Textil)
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EZ 4.0 – Chancen, Risiken und offene Fragen
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Die „Digitale Agenda“ des BMZ nennt fünf strategische Ziele
für Entwicklungspolitik im digitalen Zeitalter:
Ziel 1: Digitale Innovationen nutzen.
Ziel 2: Demokratische Verfahren stärken.
Ziel 3: Menschen auf der Flucht helfen.
Ziel 4: Zukunftssichere Jobs schaffen.
Ziel 5: Menschenrechte und Teilhabe sicherstellen.
http://www.bmz.de/de/themen/nachhaltige_wirtschaftsentwicklung/ikt/digitale_agenda/index.html
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EZ 4.0 – Chancen, Risiken und offene Fragen
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Über die Zielhierarchie dieses entwicklungspolitischen Zielkatalogs für
das digitale Zeitalter kann man kritisch diskutieren.
Ziele wie Demokratisierung, Partizipation und Wahrung der
Menschenrechte waren bereits in den zurückliegenden Entwicklungs-
dekaden feste Bestandteile der entwicklungspolitischen Zielkataloge.
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▪ Was davon wurde tatsächlich erreicht?
▪ Können diese Ziele durch eine digitalisierte EZ besser erreicht werden?
▪ Ist eine digitale Demokratie das Ziel?
▪ Wäre eine digitale Demokratie der liberalen Demokratie vorzuziehen?
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Gesellschaftliche Chancen der Digitalisierung (I):
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▪ Durch Digitalisierung erhalten mehr Menschen Zugang zu Informationen,
die ihnen eine bessere demokratische Partizipation ermöglichen.
▪ Das Internet eröffnet Menschen im globalen Süden die Chance, sich zu
organisieren.
▪ Gruppen können in (a)sozialen Netzwerken ihren politischen Willen
schneller artikulieren, als dies in herkömmlichen demokratischen
Wahlverfahren der Fall ist.
Aber : Autoritäre Regime nutzen die Möglichkeiten einer stärkeren Überwachung
der digitalen Medien und der gezielten Manipulation der anonymen
„Netzgemeinde“. Digital ermöglichte Partizipation kann von einflussreichen
Interessengruppen missbraucht und korrumpiert werden.
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Gesellschaftliche Chancen der Digitalisierung (II):
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▪ Die Digitalisierung gibt Ländern des globalen Südens die Chance,
Entwicklungsrückstände durch Technologiesprünge sehr schnell
aufzuholen.
▪ Die Digitalisierung vereinfacht den innergesellschaftlichen und
internationalen Austausch von Informationen.
▪ Die Digitalisierung lässt mehr Menschen an dem universal verfügbaren
Wissen teilhaben.
▪ Kurzfristig noch bedeutsamer für das Alltagsleben vieler Menschen in
Entwicklungsländern ist die Beschleunigung digitalisierter
Zahlungsvorgänge zu niedrigeren Transaktionskosten, auch über
Landesgrenzen hinweg.
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Grundvoraussetzungen, um die Chancen der Digitalisierung in der EZ
nutzen zu können:
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▪ Um die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien
nutzen zu können, müssen die Menschen „digital alphabetisiert“ sein.
▪ Ohne eine flächendeckende digitale Basisinfrastruktur bleibt der
Internetzugang für viele Menschen beschränkt.
▪ Ob arme Menschen Zugang zu dem Internet haben, ist eine Frage des
Preises für den Internetzugang und eine Frage der entsprechenden
nationalen Regulierungen.
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Die Digitalisierung bietet den Geberländern Vorteile bei der
Durchführung der EZ:
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▪ Abwicklungsroutinen auf der Durchführungsebene der EZ werden
durch Digitalisierung schneller und kostengünstiger.
▪ Digitalisierung in der EZ ermöglicht Bürokratieabbau und
mobilisiert Effizienzgewinne.
▪ Digitalisierung ermöglicht mehr Transparenz in der EZ.
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▪ IATI erleichtert den Zugang zu und das Verständnis von Informationen über EZ-Leistungen.
▪ EZ-Daten, die nach dem IATI-Standard veröffentlicht werden, sind international vergleichbar.
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Transparenz gilt als eine der Grundvoraussetzungen für wirksame EZ. Zu Transparenz gehört die Offenlegung möglichst vieler EZ-Daten entsprechend dem Common Open Standard for Aid Transparency.
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Nutzer der offenen EZ-Daten:
Regierungen derPartner-/Geberländer
Steuerzahler/Spender
Zivilgesellschaft Medien EZ-Management
Aktive Datennutzung und –vernetzung zur Verbesserung der EZ
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Digitalisierung kann die Transparenz der EZ deutlich verbessern –aber entscheidend ist, wie die Transparenz gestaltet wird.
▪ Die Offenlegung von EZ-Daten ist sowohl für die Öffentlichkeit in
Geberländern und Partnerländern von Interesse.
▪ Entwicklungspolitische Vereinbarungen mit Partnerländern können
zeitnahe online gestellt werden.
▪ Evaluierungsergebnisse von EZ-Programmen und -Projekten können in
der digitalisierten EZ online diskutiert und kommentiert werden.
Aber: Soll die zivilgesellschaftliche Bewertung der EZ an der Zahl der Likers und
Haters bei Facebook oder der Zahl der Follower bei Twitter und Instagram
gemessen werden? Müssen wir die Hasskommentare zur Kenntnis nehmen, die auf
solchen EZ-Diskussionsplattformen mit Sicherheit auch gepostet würden?
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Risiken der Digitalisierung der EZ:
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▪ Die digitale Arbeitswelt EZ 4.0 wird sich verändern - sie wird anders sein
als die bisher gewohnte Arbeitswelt.
▪ Es werden Jobs in der digitalisierten EZ verloren gehen; vor allem
einfache Tätigkeiten lassen sich durch die neuen Technologien ersetzen.
▪ Auch mittlere Qualifikationsgruppen verlieren in dem Maße an
Bedeutung, in dem sich mittlere Tätigkeiten formalisieren und
standardisieren lassen.
Es besteht ein Zielkonflikt zwischen Beschäftigungssicherung in den EZ-Institutionen
und Digitalisierung der EZ.
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Für die operative Ausgestaltung der EZ sind die Konsequenzen
des digitalen Wandels noch keineswegs hinreichend geklärt.
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▪ Wird Ownership durch EZ 4.0 gestärkt?
▪ Kann den Zielgruppen der EZ durch die Möglichkeiten der Digitalisierung
mehr Verantwortung für Erfolg und Misserfolg von EZ-Programmen
und -Projekten übertragen werden?
▪ Was bedeutet EZ 4.0 für die Menschen, die in den Durchführungs-
organisationen der EZ tätig sind?
▪ Welche Berufsgruppen werden von EZ 4.0 besonders betroffen sein,
welche können davon profitieren?
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Gesellschaftliche Risiken der Digitalisierung (I):
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▪ Bis zu zwei Drittel der gegenwärtigen Jobs in der Industrie von
Entwicklungsländern könnten durch die zunehmende Digitalisierung und
Automatisierung wegfallen.*
▪ Die digitalisierungsbedingte steigende Kapitalintensität von
Produktionsprozessen führt zu einer Rückverlagerung von
Produktionsprozessen in Industrieländer.
▪ Der digitale Wandel kann in Entwicklungsländern tiefreifende
Veränderungen der Produktionsstrukturen auslösen, die zu einer
Armutsfalle für nicht oder geringqualifizierte Arbeitskräfte werden.
* World Bank: World Bank (2016). World Development Report 2016: Digital dividends. Washington D.C.
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Gesellschaftliche Risiken der Digitalisierung (II):
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▪ Künstliche Intelligenz (KI) droht das Individuum als autonomes
Subjekt zu ersetzen.
▪ Das tägliche Leben wird durch die digitalen Technologien
„kolonisiert“.*
▪ Der digitale Kapitalismus droht an die Stelle des demokratischen
Kapitalismus zu treten.
▪ In der digitalen Arbeitswelt werden Selbstausbeutung und ständige
Verfügbarkeit zu kulturellen Normen.
* Adam Greenfield: Radical technologies. The design of everyday life. London 2017.
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In der digitalen Arbeitswelt werden Selbstausbeutung und ständige Verfügbarkeit zu kulturellen Normen.
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Die Digitalisierung der EZ hat Grenzen:
▪ Entwicklungszusammenarbeit wird auch in Zukunft nicht ohne
menschliches Arbeitshandeln auskommen.
▪ Es werden weiterhin Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für kreative Jobs
gebraucht – die künstliche Intelligenz von IT-Systemen kann immer nur
sehr begrenzt kreativ sein.
▪ In den Institutionen der digitalisierten EZ werden auch weiterhin
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Jobs benötigt, die direkt mit
Menschen zu tun haben.
▪ KI können die Entscheidungen nicht überlassen werden, die Menschen zu
treffen haben, die in der EZ in globaler Verantwortung engagiert sind.
▪ In der binären Logik von Algorithmen ist Empathie nicht verfügbar.
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Die Digitalisierung der EZ ist nicht die zentrale Herausforderung der kommenden Jahre!
▪ Durch die politischen Vorgaben der „Fluchtursachenbekämpfung“
verliert die EZ ihre Glaubwürdigkeit.
▪ Die Sinnhaftigkeit der EZ als Ganzes oder in ihrer jetzigen
Ausrichtung wird zunehmend in Frage gestellt.
▪ Das westliche Entwicklungsparadigma und der damit verbundene
Wertekanon des Westens werden in Teilen der Welt offen
abgelehnt.
▪ Erforderlich ist eine grundsätzliche Debatte über wertegeleitete
Entwicklungszusammenarbeit der Zukunft.
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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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Digitale Agenda 2030Herausforderung Digitalisierung für die entwicklungspolitische Projektarbeit
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Einige Literaturhinweise:
Dierksmeier, Claus (2016): Qualitative Freiheit. Selbstbestimmung in weltbürgerlicher Verantwortung. Transcript Verlag, Bielefeld.
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Eggers, Dave (2014): Der Circle. Kiepenheuer&Witsch, Köln.
Harari, Yuval Noah (2017): Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen. 14.Auflage, C.H.Beck, München.
Sangmeister, Hartmut; Wagner, Heike [Hrsg.](2018): Entwicklungszusammenarbeit 4.0 – Digitalisierung und globale Verantwortung. Nomos, Baden-Baden.