entwicklungszusammenarbeit - technologieeinsatz beim lernen und lehren
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Kapitel des L3T Lehrbuch (http://l3t.eu)TRANSCRIPT
2 — Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien (L3T)
1. Lernen und Lehren in der Entwicklungszusammen-‐arbeit: Capacity Building
Zunächst stellen sich bei diesem Thema die Frage:Was ist Entwicklungszusammenarbeit bzw. Entwick-lungshilfe? Der Begriff der „Entwicklungszusam-menarbeit“ betont, im Gegensatz zum veraltetenKonzept der „Entwicklungshilfe“, den partnerschaft-lichen Charakter der Beziehungen zwischen Entwick-lungs- und Industrieländern. In der Entwicklungszu-sammenarbeit heute steht das gemeinsame Bemühenvon Industrieländern und Entwicklungsländern imVordergrund weltweite Unterschiede in der sozio-ökonomischen Entwicklung und in den allgemeinenLebensbedingungen dauerhaft und nachhaltig abzu-bauen. Ein zentraler Begriff ist hier das „CapacityBuilding“, dessen Verständnis wichtig für die späterbeschriebenen Ausführungen zum Einsatz von tech-nologiegestützten Lernszenarien ist.
Capacity Building (engl. für „Aufbau von Kapa-zität“) ist eine der Methoden, die sich in den letztenJahren als erfolgversprechend (und oftmals auch er-folgreich) für die Entwicklungszusammenarbeit ge-zeigt hat. Es gibt zahlreiche Definitionen für CapacityBuilding. Eine davon deutet Capacity Building als dieVermittlung von Handlungskompetenzen undWissen, frei nach dem Montessori-Grundsatz: „Hilfmir, es selbst zu tun“. Capacity Building bedeutet indiesem Sinne, die Handlungskompetenzen des Ein-zelnen zu stärken und ihn zu befähigen, sein Wissenweiterzugeben. Teilnehmende an Capacity-Building-Programmen tragen ihre neuen Kompetenzen undErfahrungen in ihre Behörden, Verbände, Kammernund Unternehmen, in regionale und überregionaleInstitutionen. Sie tragen ihr Wissen an jene Stellen, andenen Veränderungsprozesse angestoßen werdenkönnen.
Strukturelle Veränderungen können sich aber nurdann langfristig durchsetzen, wenn die entspre-chenden Rahmenbedingungen stimmen. Das be-deutet letztlich, dass Veränderungsprozesse vertikalauf allen Ebenen greifen und horizontal alle Sektorenumfassen sollten, also politische Akteure ebenso wieVertreter/innen aus der Wirtschaft sowie der Zivilge-sellschaft.
2.Warum technologiegestütztes Lernen in der Entwick-‐lungszusammenarbeit?
Auch Entwicklungszusammenarbeit entwickelt sich,im wahrsten Sinne des Wortes. Die Frage, warum nunauch technologiegestütztes Lernen Einzug in Ca-pacity-Building-Maßnahmen der Entwicklungszusam-menarbeit findet, lässt sich sowohl aus der Sicht derGeberländer als auch der Empfänger/innen beant-worten.
Im Folgenden werden wir von den Vorteilen techno-logisch gestütztem Lernen berichten, wie sie sich inbisherigen Projekten darstellten.
Vorteile aus Sicht der Geber/innen und Anbieter/innen
Aus der Sicht der Geber/innen bzw. der Anbieter/in-nen der Bildungsangebote ist technologiegestütztesLehren nur eine von vielen Möglichkeiten, Infor-mation und Wissen zu transferieren und damit zurEntwicklung von Staaten beizutragen. Es macht nichtin jedem Fall Sinn und sollte nicht zum reinen Selbst-zweck werden. Technologiegestütztes Lernen kannfolgende Vorteile haben: Reisekosten für Exper-tinnen und Experten entfallen, Inhalte könnenleichter adaptiert und angepasst werden; darüberhinaus stehen die Lerninhalte den Teilnehmern je-derzeit, auch nach Beendigung des Programms zurVerfügung. Weitere Vorteile sind, dass Fachwissenvon Expertinnen und Experten vermittelt werdenkann, die ansonsten vielleicht nicht zur Verfügungstehen würden: Wer reist schon gerne in ein vonKrieg, Unruhen und Krisen geschütteltes Land wieAfghanistan oder den Irak? Zudem können Lernin-halte vergleichsweise einfach an verschiedenste Ziel-gruppen, unterschiedliche individuelle Bedarfe undunterschiedliche kulturelle Umgebungen angepasstwerden.
Was bedeuten „Veränderungsprozesse“ und „Verände-‐rungsmanagement“? Recherchieren Sie dazu. Inwelcher Weise kann technologiegestütztes Lernen inder Entwicklungszusammenarbeit solche Verände-‐rungsprozesse unterstützen? Entwerfen und disku-‐Keren Sie, am besten im Gespräch mit einer Partnerinoder einem Partner, ein mögliches Szenario.
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Wo sehen Sie die größten Vorteile von technologiege-‐stützten Lernangeboten im Rahmen der Entwicklungs-‐zusammenarbeit? Warum kann es beispielsweisesinnvoll sein, dass eine EntwicklungsorganisaKon fürTeilnehmer/innen aus Namibia eine Schulung zumThema HIV/AIDS-‐PrävenKon als E-‐Learning anbietet?Warum kann das für die Teilnehmer/innen aus Na-‐mibia vorteilhaWer sein, als an einer Präsenzschulungteilzunehmen?
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Entwicklungszusammenarbeit. Technologieeinsatz beim Lernen und Lehren — 3
Vorteile für die Teilnehmer/innen
Mit E-Learning-Angeboten können Zielgruppen an-gesprochen werden, die geographisch nicht ohne wei-teres erreichbar sind. Entscheidungsträger/innen,beispielsweise in der Mongolei, haben so nicht immerZeit und Lust, für ein Seminar eine Anreise von einerWoche auf sich zu nehmen. An einem webbasiertenTraining würden sie eher teilnehmen und somit Ver-änderungsprozesse mittragen können. Es ist auchimmer noch schwierig, Männer für Kindererzie-hungskurse in Aserbaidschan zu begeistern, obwohlsich auch dort die Rollenverteilung drastisch ändert.Aber an E-Learning-Kursen, bei denen sie nicht per-sönlich teilnehmen müssen, sich also nicht „outen“müssen, nehmen sie rege teil, zeigten Evaluierungser-gebnisse der Universität in Baku (Selbstauskunft derUniversität Baku).
Ein weiterer Vorteil liegt in der möglichen Einbe-ziehung von benachteiligten Gruppen durch dieNutzung von Technologien. So haben Frauenmachmal keine Möglichkeit an Präsenztrainings teil-zunehmen, erhalten aber durch E-Learning Zugangzu einzelnen Fortbildungen, sogar Bachelor- undMaster-Programmen. Besonders eindringlich lässtsich dieses an einem Beispiel aus Afghanistan ver-deutlichen: So können dort Frauen, selbst wenn sie inhohen Positionen in Ministerien sitzen, nur an Prä-senztrainings teilnehmen, wenn ein männlicher Ver-wandter sie zumindest begleitet. Es ist dem Seminar-verlauf oft nicht dienlich, wenn hinter jeder Teilneh-merin ein Bruder oder Onkel sitzt. E-Learning isthier eine mögliche Lösung für alle Beteiligten. Wiezahlreiche weitere Beispiele aus Ländern des NahenOstens zeigen, trägt der Austausch mit Angehörigenanderer Kulturen in Foren und Chats weiter zurSelbstbestimmung teilnehmender Frauen bei.
Es gelten also die gleichen Argumente, wie sie inder europäischen Diskussion zum E-Learning ange-bracht werden, also beispielsweise die Zeitersparnis,Flexibilität und Kosteneffizienz. Hinzu kommen aberauch weitere, spezifische Vorteile, beispielsweise dieAnonymität der Teilnahme. Wird in multikulturellenLerngruppen gelernt, das heißt zum Beispiel in einerinternationalen Gruppe, können LerntechnologienWege eröffnen, die auf konventionellem Weg fast un-bezahlbar und unrealistisch sind. Teilnehmer/innenaus den verschiedensten Regionen der Welt könnensich austauschen, vernetzen und gemeinsam Lö-sungen erarbeiten. Es kommt vor allem auch zueinem Dialog, der das „Geber-Nehmer“-Schema derEntwicklungs„hilfe“ durchbricht und insofern in be-sonderem Maße die andere Perspektive der Entwick-
lungsländer in die Entwicklungszusammenarbeit ein-bringt. Dieses wäre auf „konventionellem Weg“ fastunbezahlbar.
3. Besonderheiten des technologiegestützten Lernensin der internaKonalen Entwicklungszusammenarbeit
Die möglichen Vorteile des technologiegestütztenLernens können nur dann wirken, wenn sie für dieZielgruppe erreichbar sind. Zentral sind dabei dieFragen nach der Infrastruktur sowie Voraussetzungenfür den Umgang mit der Technologie und für dasverteilte Lernen, also die entsprechend notwendigenKompetenzen der jeweils angesprochenen Part-ner/innen und Teilnehmer/innen.
Technische Infrastruktur
Der Zugang der Teilnehmer/innen zu Technologienist beschränkt und die Telekommunikationsinfra-strukturen sind häufig noch ziemlich schlecht undteuer. Während man in den USA beispielsweise füreinen Computer statistisch gesehen circa ein Monats-gehalt aufwenden muss, kostet dieser einen Ein-wohner von Bangladesch acht Jahresgehälter(Afemann, 2003). Ähnlich verhält es sich mit den In-ternetkosten. Computer mögen vorhanden sein, dieBandbreite des Internets aber ist sehr beschränkt;neue Software fehlt. Insgesamt besitzen wesentlichweniger Einwohner/innen der Entwicklungsländereinen Zugang zum Internet als in den Industriena-tionen (vgl. Abbildung 1).
Technologiegestützte Lernangebote können, sofernsie die Zielgruppe erreichen, LernseYngs ermög-‐lichen, die im Präzenzunterricht unter Umständen garnicht realisierbar sind.
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Abbildung 1: Internetnutzer/innen je 100Einwohner/innen. Quelle: ITU World Telecommunica-‐tions, URL: http://www.itu.int/ITU-‐D/ict/statistics/index.html [2010-‐12-‐12]
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Eine große Hürde ist bei webbasierten Lern-angeboten das „Bandbreitenproblem“: Zahlreiche derheute genutzten und hoch gelobten, interaktiven undlernmotivierenden Angebote im Internet beruhen aufTechniken, die einen enormen Datentransfer inkurzer Zeit erfordern. Als Beispiel seien hier nurVideos, Audiowiedergabe oder gar bandbreitenin-tensive Angebote wie Videokonferenzen, genannt.Wenn Teilnehmer/innen aus Mali oder aus demmongolischen Gobi-Altai an einem Kurs teilnehmenmöchte, so stellen diese Techniken bei einer 9.600bit/s Modem-Anbindung eine unüberwindbareHürde dar und stellen die Zielerreichung des Pro-gramms der Entwicklungszusammenarbeit mehr alsnur in Frage (siehe Box „In der Praxis“ oben). EinAlternative ist in manchen Fällen, zumindest inLändern in denen die entsprechende Infrastrukturvorhanden ist, die Nutzung von Mobiltelefonen(siehe Box „In der Praxis“ unten). Freilich ergebensich in M-Learning-Szenarien wiederum besondereProbleme für die Aufbereitung des zu vermittelndenWissens.
Weitere Herausforderungen
Andererseits sind aber natürlich auch sprachlicheFragen zu beachten. Dabei gibt es besondere kultu-relle und interkulturelle Aspekte zu berücksichtigen.
Die Gegebenheiten des täglichen Lebens unddes Arbeitsalltags, beispielsweise die Zeit des islami-schen Fastenmonats Ramadan sind teilweise gänzlichanders als bei uns.
Eine Herausforderung stellen auch interkultu-relle Aspekte dar. An Programmen der Entwick-lungszusammenarbeit, und darin liegt ja oftmals auch
der besondere Nutzen und teilweise sogar das Zielbegründet, nehmen Teilnehmer/innen aus den unter-schiedlichsten Kontinenten, Regionen, Ländern, Reli-gionen, Ethnien teil, die verschiedenste Sprachensprechen und verschiedenste Lernerfahrungen ge-macht haben.
Die neuen Lerntechnologien, das Internet, Mobil-telefone, Computer und Kommunikationstechnik be-wegen sich besonders in den Entwicklungsländern ineinem dynamischen Spannungsfeld zwischen traditio-nellen, erprobten Lernmethoden und technologiege-stützten innovativen Lernformen.
All dieses spiegelt sich in der Aufbereitung undDurchführung der Kurse wider: die Didaktik, dasLayout, die Bebilderung und die Sprache stellen be-sondere Herausforderungen dar. Praktiker/innen be-richten dabei auch, dass die Begeisterung für tech-nische Innovationen und neue Medien in Entwick-lungsländern oftmals besonders hoch ist.
In der Praxis: Das Bandbreitenproblem 9600 bit/s entspricht der mobilen GSM-‐Datenrate und be-‐nennt die Übertragungsgeschwindigkeit in "bit per second".Nutzer/innen in Mibeleuropa erleben heute Übertragungs-‐
raten die etwa Hundert Mal höher sind, also bei bis zu 1Mbit/s liegen, als unerträglich langsam und würden frustriertden Web-‐Browser schließen.
Welche Technologien kommen in Kursen zum Einsatz,die Sie kennen? Recherchieren Sie, wie viel Band-‐breite diese benöKgen. Würden Sie diese Technologienoch nutzen, wenn Sie eine sehr langsame Internet-‐verbindung häben?
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Wählen Sie eine Ihrer Lehrveranstaltungen aus: Wiekönnte der Inhalt, möglichst textbasiert und leicht ver-‐ständlich, auhereitet werden?
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In der Praxis: Mobile HIV/Aids-Prävention in SüdafrikaIn keinem anderen Land gibt es mehr Menschen, die anHIV/Aids erkrankt sind als in der Republik Südafrika, die vonder Europäischen Union nicht eindeuKg als Entwicklungslandzugeordnet wird. Um möglichst viele gefährdete Menschen,also vor allem Jugendliche und junge Erwachsene zu er-‐reichen, wird das Mobiltelefon eingesetzt, das die meistenvon ihnen besitzen. Im Projekt „Cellphones 4 HIV“ werden
daher Kurznachrichten verschickt: Mit Hilfe solcher SMSsollen Jugendliche sensibilisiert werden, auf AkKonen undUnterstützung aufmerksam gemacht werden, beispielsweiseauf Kondomausgabestellen.
Quelle: hbp://www.cell-‐life.org/cellphones-‐4-‐hiv [2010-‐12-‐12]; Schneider et al., 2010, 88f
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4. PragmaKscher Umgang mit der TechnikEs gilt also Lösungen zu finden, sich technisch zu be-schränken und eine spezielle Methodik und Didaktikzu entwickeln, die diesen Umständen Rechnung trägt.Dieses stellt eine große Herausforderung für alle Be-teiligten dar, gleich ob Autor/in, Didaktiker/in, tech-nische Entwickler/in, Grafiker/in oder Tutor/in. ▸ Lernmaterialien auf CD-ROM sind vielfach eine
hilfreiche Option, wenn keine ausreichende Inter-netanbindung vorhanden ist.
▸ Häufig sind Mobiltelefone weit verbreitet undstellen damit eine Option in Sachen Erreichbarkeitder Teilnehmer/innen dar.
▸ Bei webbasierten Anwendungen ist ein Verzichtauf statt von bandbreitenintensiven Anwen-dungen, insbesondere Reduktion von Bildern undMultimedia, häufig notwendig.
Kursentwickler/innen haben die Erfahrung gemacht,dass die eingeschränkten Möglichkeiten oft die Kon-zentration auf das, was wirklich wichtig ist, nämlicheine saubere Konzeption und Umsetzung der Kursin-halte, forciert. Vielleicht auch, weil sich schlechte In-halte nicht mehr hinter Animationen, Videos oder Si-mulationen „verstecken“ können.
5. Sensibler Umgang mit (inter-‐) kulturellen Vorausset-‐zungen
Nehmen wir als Beispiel einen Kurs, in dem Teil-nehmer/innen aus Bildungseinrichtungen in Zen-tralasien (Usbekistan, Tadschikistan, Kasachstan, Kir-gisistan) erlernen wollen, wie man mit dem ThemaHIV/AIDS im Gesundheitswesen umgehen kannund welche Konzepte in diesem Bereich bestehenund evtl. übernommen werden könnten.
Die potentiellen Teilnehmer/innen kommen zwaralle aus einer Region (Zentralasien), sprechen aberverschiedene Sprachen (mit Russisch als mögliche ge-meinsame Sprache, die man in allen Ländern, aller-dings in unterschiedlichem Maße, beherrscht), siehaben unterschiedliche Religionen in unterschied-lichen Ausprägungen mit unterschiedlichen Einstel-lungen zu Sexualität und der Rolle der Frau in derGesellschaft. Stereotype und historische Empfind-samkeiten beeinflussen die Wahrnehmung des jeweilsanderen. Im Kommunikationsverhalten, der Gestikund Mimik, Ritualen spiegeln sich unterschiedlicheTabus wider, beispielsweise welche Person eineandere zuerst grüßen sollte und wie dies auf keinenFall geschehen sollte. Auch unterscheidet sich bei-spielsweise eine Usbekin in ihrem Äußeren deutlichvon einer Kirgisin, ein Tschetschene deutlich von
einem Kasachen. Auch gibt es nationale politischeFreund- und Feindschaften sowie entsprechende Ste-reotypen und Vorurteile.
Nehmen wir als Beispiel nur die grafische Ge-staltung des Kurses: Im besten Falle sollte bei jedemBild ein Mensch aus jeder Bevölkerungsgruppe,beider Geschlechter, jedes Landes in jeder Rolle, alsobeispielsweise als Ärztin oder Patientin, zu sehensein. Wird eine die Diversität einer solchen Dar-stellung, sofern sie überhaupt gelingt, als positiv emp-funden? Oder schafft dies erst Raum für Fremden-feindlichkeit, Vorbehalte und entsprechende Refle-xionen der Teilnehmer/innen? Neutrale Strich-männchen sind eine naheliegende Lösung. Aber wäredas dann förderlicher für das Lernen?
Es zeigt sich deutlich: Scheinbar simple Fragennach Inhalten und Darstellung müssen von den Be-teiligten je nach entwicklungspolitischer Zielsetzungdes Capacity Building und je nach regionalem odermultikulturellem Kontext neu gestellt und beant-wortet werden. Das Wissen darüber und ein sensiblerUmgang mit den kulturellen Besonderheiten der Ziel-gruppe ist dabei notwendige Voraussetzung.
6. Technologiegestütztes Lernen als Empowerment
Das Potenzial von technologisch gestütztem Lernenund Lehren in der Entwicklungszusammenarbeit liegtvor allem darin, Know-How im Umgang mit den In-formations- und Kommunikationstechnologien auf-zubauen, also die Fähigkeit, auch in Entwicklungs-ländern selbstständig weltweit verfügbare Informa-tionen und vorhandenes Wissen für sich nutzbar zumachen. Informations- und Kommunikationstechno-logien sind für die Entwicklungszusammenarbeit in-sofern vor allem ein Instrument der Steigerung derAutonomie oder Selbstbestimmung (engl. „Empo-werment“). Sie sind ein Werkzeug, um die Bildungs-chancen der Armen zu erhöhen und um mehr Men-schen die Teilnahme am gesellschaftlichen und wirt-schaftlichen Leben zu ermöglichen. Je schneller dieMenschen, gerade Frauen und Mädchen, aus mög-lichst allen sozialen Schichten an die neue Techno-logie herangeführt werden, umso schneller wird derAnschluss an die globale Informations- und Wissens-gesellschaft gelingen. Und gerade in dieser Hinsichtstößt technologiegestütztes Lernen als Instrument fürEntwicklung und im Einsatz des Capacity Buildingauch an seine Grenzen, nämlich die politisch-wirt-schaftlichen Strukturen: Das Angebot darf nichtallein der städtischen Elite, der Schicht der Reichenund Mächtigen zu Gute kommen. Damit auch länd-liche Regionen und Menschen in Armut davon profi-tieren, bedarf es nationaler, umfassender E-Learning-
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Strategien bzw. einer nationalen E-Policy. Informati-onsfreiheit und Rechtssicherheit müssen gewähr-leistet sein.
Mit der „Global Campus 21 E-Academy“, die imAuftrag des deutschen Bundesministeriums für Wirt-schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung entwi-ckelt wurde, gibt es zudem ein umfassendes Angebotan freien und gebührenpflichtigen Kursen zu fastallen Themen der Entwicklungszusammenarbeit.Nachhaltigkeit spielt dabei eine entscheidende Rolle(siehe Abbildung 2).
7. Förderung von E-‐Learning als Empowerment
Vor dem Hintergrund, dass Kompetenzen imUmgang mit Informationstechnologien und imLernen mit technologischer Unterstützung die Auto-nomie und Selbstbestimmung unterstützen, gibt eszahlreiche Initiativen der Entwicklungszusammen-arbeit, die sich den Ausbau entsprechender Kompe-tenzen auf die Fahne geschrieben haben.
In der Praxis: One Laptop per ChildDas Project „One Laptop per Child“, kurz OLPC, hat denAuWrag, Bildungschancen für die Ärmsten der Welt zuschaffen, indem sie jedes Kind mit einem robusten, kosten-‐günsKgen, stromsparenden Laptop ausstabet. Zu diesemZweck wurden Hardware, Inhalte und SoWware für kollabora-‐Kves, spannendes und selbstbesKmmtes Lernen entwickelt.Mit dem Zugang zu InformaKonen und Technologien wird esgelingen, Kinder lernen, teilen und gestalten zu lassen. Siewerden miteinander verbunden, zur Schaffung einer bes-‐seren ZukunW.
Erste Überlegungen bezüglich eines Wissenstransfers in Ent-‐wicklungs-‐ und Schwellenländer wurden schon in den 1970er
Jahren von MIT-‐Professor Seymour Papert angestellt. Ineinem Forschungsprojekt brachte er Computertechnologie inein afrikanisches Dorf. Er beobachtete, inwieweit die Kinder,die vorher keinen Kontakt damit haben, innerhalb kürzesterZeit lernten, den Computer anzuwenden und sich so neuesWissen aneigneten. Bei weiteren Überlegungen kam am MITdie Idee auf, ein 100-‐Dollar-‐Laptop speziell für Entwicklungs-‐länder zu konzipieren. Als sich abzeichnete, dass das Projekt den Rahmen einesreinen Forschungsprojektes sprengen würde, wurde zudessen Umsetzung in die Praxis die gemeinnützige Gesell-‐schaW One Laptop per Child gegründet.
In der Praxis: „Open Source and more IT for African Business“„Open Source and more IT for African Business“ ist eineSammlung von E-‐Learning-‐Kursen zum effekKven Einsatz vonOpen-‐ Source-‐SoWware in kleinen und mibelständischen Un-‐ternehmen. Alle Kurse dieser Suite sind mit einer CreaKve-‐Commons-‐Lizenz veröffentlich und können damit auch füreigene Schulungsangebote eingesetzt werden. Es werdenhierdurch erfolgreich Unternehmen in die Lage versetzt,
Open-‐Source-‐SoWware einzusetzen; einerseits direkt und an-‐dererseits indem sie andere Unternehmen in der Nutzungdieser kostenlosen und dennoch legalen SoWware schulen. Esist schon Erfolg, das Verständnis für die Nutzung „legaler“SoWware entwickelt wird; die Legalisierung der SoWwarean-‐wendung ist ein Erfolg in der Entwicklung von ganzenStaaten.
Abbildung 2: Überblick über das Kursangebot bei der„GC21 E-‐Academy“. Quelle: http://www.gc21-‐eacade-‐my.org [2010-‐12-‐12]
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Das Schaffen von E-Learning-Kapazitäten inPartnerländern, verfolgt einen dreiteiligen Ansatz.Hier geht es (a) um die Fortbildung von Einzelper-sonen zu E-Learning-Experten, (b) um den Auf- undAusbau von Bildungsinstitutionen zu E-Learning-An-wendern und -Anbietern, und (c) um die Einleitungvon Veränderungsprozessen in Bildungssystemenmittels neuer Lehr- und Lernmethoden. Die Ein-führung und Anwendung von E-Learning ist einidealer Ansatzpunkt für weitere Veränderungspro-zesse in Bildungssystemen. Durch die Einführungvon E-Learning auf institutioneller Ebene ergebensich früher oder später Auswirkungen auf der politi-schen Ebene, so zum Beispiel zur Akkreditierungund Zertifizierung von E-Learning-Institutionen und-Produkten. Damit bewirkt E-Learning mittelbarProzesse, die häufig zum grundlegenden Überdenkenvon Bildungssystemen führen. Ein gutes Beispielhierfür ist Kambodscha, das aktuell eine nationale„E-Policy“ erarbeitet, unter anderem auch zumEinsatz von technologiegestütztem Lernen im Bil-dungssystem. Diese Programme gehen also eineStufe weiter: Sie versetzen Institutionen in die Lage,in Zukunft selbständig E-Learning anzubieten undden Nutzen daraus nachhaltig zu ziehen. So machtEntwicklungszusammenarbeit sich irgendwann selbstüberflüssig, hat also ihr Ziel erreicht.
Zur Umsetzung des zweiten Ansatzes kommenzum Beispiel Kurz- und Langzeitprogramme derdeutschen Entwicklungszusammenarbeit zumEinsatz, die durch das deutsche Bundesministeriumfür Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-wicklung gefördert werden: „eLDI - eLearning Deve-lopment & Implementation“, „eLiP - eLearning inPractice“ und „eAST - eApplication Skills Transfer“.Die Kurse dauern drei Monat bis zu einem Jahr. Siebieten Fortbildungen zu allen zentralen Themen intechnologiegestützter Fernlehre an, beispielsweise zurCurriculumsentwicklung, zum Management vonOnline-Gemeinschaften und zur E-Moderation.Diese Kurse sind als Angebote in der Entwicklungs-zusammenarbeit einzigartig. Seit knapp zehn Jahrenwurden damit mehr als 1.200 Teilnehmer/innen vonmehr als 100 Institutionen aus Lateinamerika, Süd-Ost-Asien, Zentralasien, Sub-Sahara-Afrika und demKaukasus fortgebildet. Diese Länder setzen heute E-Learning als Methode ein und verbreiten eigeneLerninhalte auf diesem Wege. Die Inhalte der ge-nannten E-Learning-Programme wurden partner-schaftlich mit Institutionen aus Entwicklungsländern
entwickelt und sind alle frei zugänglich und nutzbar.Sie verfolgen den Ansatz freier Bildungsmaterialien(siehe Kapitel #openaccess); Bildungsinstitutionenaus Entwicklungs- und Transformationsländernkönnen die Materialien also für ihre eigenen Zweckeoder als Bildungsanbieter in ihrem Land bzw. ihrerRegion weiter verwenden.
8. Fazit
Technologiegestütztes Lernen und Lehren machtauch vor der Entwicklungszusammenarbeit heutenicht mehr Halt. Unter der Bedingung angepassterKonzepte, der richtigen Nutzung der Technik undmit speziell an die Zielgruppen und ihre Bedürfnisseangepassten Inhalten und didaktischen Methoden isttechnologiegestütztes Lernen heute ein wichtiges In-strument des Capacity Building und damit der inter-nationalen Entwicklungszusammenarbeit. Gleich-zeitig können zahlreiche speziell aus den Bedürf-nissen der Entwicklungszusammenarbeit entstandeneKonzepte auch in Industrieländern wertvolle Hin-weise und Anregungen für die weitere Nutzung vonTechnologien in verschiedensten Lernszenarien und-situationen geben.
Literatur
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▸ Niemann, J. (2007). Wesentlicher Inhalt. In: E+Z Entwicklungund Zusammenarbeit, Frankfurt am Main, 48.
▸ Schneider, C., Schön, S. & Wieden-Bischof, D. (2011). MobileLerngemeinschaften. In: S. Schön, D. Wieden-Bischof, C.Schneider & M. Schumann (Hrsg.), Mobile Gemeinschaften.Erfolgreiche Beispiele aus den Bereichen Spielen, Lernen undGesundheit. Salzburg: Salzburg Research, 61-80.
▸ Schönstedt, A. & Sangmeister, H. (2010). Entwicklungszusam-menarbeit im 21. Jahrhundert: Ein Überblick. Baden-Baden:Nomos.