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S E H T R A I N I N G
Brille weg mit Augen-Yoga?Rollen, drücken, sonnen: Gegen Fehlsichtigkeit hilftAugentraining, behaupten Sehtrainer. Die Übungen sollen Brillenüberflüssig machen. Ein SelbstversuchVON Tina Groll | 02. August 2013 - 17:29 Uhr
© Fräulein.Palindrom / photocase.com
Frau mit Brille
Mit meinen schlechten Augen befinde ich mich in bester Gesellschaft. Laut dem
Berufsverband der Augenärzte sind fast zwei Drittel der Deutschen fehlsichtig, gut 40
Millionen Bundesbürger tragen Brille oder Kontaktlinsen. Das lasse sich mit gezieltem
Training korrigieren, behaupten Anbieter von Sehschulungen. Regelmäßige Augenübungen
könnten Sehschwächen um ein bis zwei Dioptrien verbessern, heißt es. Der Erfolg ist
wissenschaftlich nicht erwiesen – Befürworter schwören aber auf die Methode. Ich will es
ausprobieren.
Seit meinem 18. Lebensjahr bin ich weitsichtig. Damit sich das ändert, melde ich mich für
ein zweitägiges Seminar bei dem Sehtrainer Heimo Grimm an.
Der 73-Jährige arbeitet als Ernährungsberater und Gesundheitstrainer. Im ersten
Berufsleben war er Koch. Dann, so sagt er, sei er schwer erkrankt. Als die Ärzte ihm
keine Besserung in Aussicht stellen konnten, habe er begonnen, sich mit alternativen
Heilmethoden zu beschäftigen. Traditionelle Chinesische Medizin zählt er ebenso zu
seiner Expertise wie Atemtraining, Shiatsu und Qi Gong. Grimm ist davon überzeugt, dass
alternative Methoden die konventionelle Medizin sinnvoll ergänzen können. Heute sei er
kerngesund. Und eine Brille trägt er auch nicht.
Grimm hält das Seminar an einem Wochenende in Wien ab, im Weiterbildungszentrum
eines Spitals. 180 Euro kosten die zwei Tage. Acht Teilnehmer sind gekommen, darunter
eine Schauspielerin, die zusätzlich zur Kurzsichtigkeit mit beginnender Weitsichtigkeit
kämpft. Ihr Mann, ein Softwareentwickler, wurde schon als Kind am Auge operiert. Auch
bei ihm haben sich die Augen verschlechtert. Ein Kardiologe macht ebenfalls mit. Der
Mediziner ist dem alternativen Ansatz gegenüber offen eingestellt.
Zunächst machen wir einen gewöhnlichen Sehtest. Grimm hat zuvor den Abstand
ausgemessen und auf dem Boden eine Linie markiert. Von hier aus sollen wir auf Sehtafeln
an der Wand die Zahlenreihen vorlesen – mit und ohne Brille. Mit sehr viel Mühe kann ich
immerhin noch die zweitletzte Reihe entziffern. Dann dürfen wir ohne Sehhilfe so nah an
die Tafeln herantreten, bis wir alles problemlos lesen können. Die Frau neben mir, extrem
kurzsichtig, muss sich ganz nah an die Tafel stellen.
Wirksamkeit nicht wissenschaftlich erwiesen
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Sein Training sei natürlich ganzheitlich, erklärt der Trainer. Ausreichend Bewegung, eine
ausgewogene Ernährung und genügend Entspannung seien auch für die Augen wichtig.
Viele Augenerkrankungen würden durch Stress verschlimmert. Grimm regt an, darüber
nachzudenken, wann sich unser Sehvermögen verschlechtert hat. Könnten auch belastende
Lebensumstände einen Einfluss darauf gehabt haben?
© ZEIT ONLINE
T INA GROLL
Tina Groll ist Redakteurin im Ressort Karriere beiZEIT ONLINE. Ihre Profilseite finden Sie hier.
Damit unsere Augen wieder lernen, zu entspannen, zeigt der Trainer jetzt eine
Schwingübung nach William Bates. Der amerikanische Augenarzt entwickelte in den
1920er Jahren ein Sehtraining, das die Augenmuskeln stärken und Entspannung fördern
soll . Bates nahm an, dass die Augenmuskulatur eine Fehlsichtigkeit beeinflusse und sich
diese mit entsprechenden Übungen quasi wegtrainieren lasse. Die Wirksamkeit von Bates'
Sehübungen konnten Forscher nie belegen. Trotzdem wurde seine Lehre zur Grundlage für
viele Sehschulen.
Der Oberkörper wird leicht von einer zu andere Seite gedreht, auch Kopf und Augen
wandern mit. Das leichte Wiegen entspannt, zugleich wird die Durchblutung angeregt.
Besser gucken kann man damit aber nicht.
Klassische Schulmediziner wie Dieter Friedburg, Professor der Augenheilkunde und Leiter
des Ressorts Ophthalmologische Optik beim Berufsverband der Augenärzte, erstaunt das
nicht. "Die Vorstellung, dass Fehlsichtigkeit durch Muskeltraining zu behandeln sein
könnte, ist absurd. Die Muskeln bewegen das Auge nur. Bei Fehlsichtigkeit spielen aber die
Länge des Auges sowie Krümmungen der Linse und Hornhaut eine Rolle", sagt er.
Eine andere Übung nach Bates ist das sogenannte Palmieren. Erst werden die Hände
gegeneinander gerieben und so erwärmt. Dann verschließt man mit dem Handteller
die Augen. Wenn alles ganz schwarz ist, soll man sich für ein paar Minuten nur darauf
konzentrieren.
Außerdem empfiehlt Bates das Augensonnen, einen kurzen Blick mit geschlossenen Augen
in die Sonne. Die Idee ist, mit der Wärme Krankheiten zu lindern. Allerdings dürfe man
die Übung auf keinen Fall in der prallen Mittagssonne machen, warnt der Trainer. Mir
kommt die Übung suspekt vor. Kann das schaden? Später frage ich den Schulmediziner.
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Der gibt Entwarnung: "Höchstens wenn die Augen zu heiß werden. Aber das wird wohl
kein Mensch machen."
Auch lernen wir im Seminar Augen-Yoga. Dabei werden die Augen erst langsam nach
links und rechts bewegt, nach oben und unten sowie diagonal nach rechts oben und
links unten sowie umgekehrt. Man kann die Übung mit offenen Augen machen und
beispielsweise den Finger zu Hilfe nehmen – oder mit geschlossenen Augen. Die Übung
soll die Muskulatur stärken und das Gesichtsfeld erweitern. Ein Teilnehmer meint
tatsächlich, an den Seiten schon mehr sehen zu können. Ich merke keinen Unterschied. Das
sei auch nach so kurzer Zeit gar nicht zu erwarten, sagt der Gesundheitstrainer. Ein Effekt
sei erst nach monatelangem Training spürbar. Augenarzt Friedburg bezweifelt das. "Das
Gesichtsfeld wird durch die Netzhaut, die Retina, begrenzt. Die Muskeln spielen dabei
keine Rolle."
Übungen, die zumindest nicht schaden
Soforthilfe bei verspannten Augen verspricht uns Grimm mit Akupressur. Wir sollen mit
Daumen und Zeigefinger die Punkte seitlich vom Nasenflügel drücken, da wo sonst die
Brille sitzt. Das entspannt. Auch das Pressen und Reiben unterhalb der Augen, wo die
Wangenknochen beginnen, macht müde Augen wieder munter. Stimmt, stelle ich fest.
Mit entspannten Augen zeigt uns Grimm dann endlich Übungen gegen Fehlsichtigkeit,
etwa mit gezielter Akkommodation. Die natürliche Anpassungsfähigkeit der Brechkraft des
Auges lasse sich mitsamt Retina- und Linsenmuskeln auch trainieren, erklärt der Trainer.
Zunächst sollen wir unseren Zeigefinger etwa 20 Zentimeter vor die Nase halten und
abwechselnd vom Finger in den Hintergrund schauen. Die Augen wechseln so zwischen
Nah- und Fernsicht ab. Die Kurzsichtigen fangen vorne beim Finger an, die Weitsichtigen
in der Ferne. Wenn wir diese Übung täglich über mehrere Monate machen, werden wir bald
besser gucken können, verspricht der Trainer.
"Ab Ende 60 ist es vorbei mit der Akkommodation", sagt der Augenmediziner Friedburg
dazu. Nicht ganz ausschließen will er aber, dass sich mit gezielten Training die Fähigkeit
noch leicht aufrechterhalten lässt. Eine Altersfehlsichtigkeit halte dies eher nicht auf.
Stündlich das Tibetische Rad abfahren
Auch Hornhautverkrümmungen sollen sich wegtrainieren lassen. Dafür gibt uns der Trainer
ein Blatt Papier mit einem Muster darauf, das sich "Tibetisches Rad" nennt. Man hält
es etwa zwei bis drei Zentimeter vor die Nase und fährt mit den Augen das Muster ab.
Es ist furchtbar anstrengend, und man muss die Augen ordentlich verdrehen. Angeblich
lässt sich damit schon nach ein bis vier Wochen die Hornhautverkrümmung reduzieren –
vorausgesetzt man wiederhole diese Übung jeden Tag mindestens stündlich, sagt Grimm.
Hanebüchen lautet das Urteil des Schulmediziners. Das funktioniere nicht. Ist das
alternative Sehtraining also völliger Blödsinn? "Aus wissenschaftlich-medizinischer
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Sicht kann man daran wenig Wirksames erkennen. Aber schädlich ist es auch nicht", sagt
Augenarzt Friedburg.
Informationen über den Aufbau des Auges, zumindest interessante Ernährungstipps ("viele
blaue Beeren essen") und jede Menge Spiele mit optischen Täuschungen runden das
Seminar ab. Meine Brille bin ich in den zwei Tagen nicht losgeworden. Dafür kenne ich
jetzt sofort wirkende Augenübungen zur Entspannung bei der Bildschirmarbeit. Ist ja auch
was.
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