erlebenswelt ,wirklichkeit

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PRAXIS Erlebenswelt und ,Wirklichkeit' Auf .psychotisches' Verhalten eingehen und suchend reagieren Wahn und Halluzinationen bei Menschen mit Demenz sind nicht mit „klassischen Psychosen" gleichzusetzen, meint die Krankenschwester und Historikerin DR. CORA VAN DER KOOIJ. In ihrem Maeutischen Pflegemodell ermutigt sie Pflegende, sich kreativ und einfühlend auf das anscheinend psychotische Verhalten einzulassen und immer wieder passende Möglichkeiten des Um- gangs zu suchen. Das kann vielen Betroffenen helfen, ihrer Albtraumwelt zu entkommen. D; i as Chaos in einem von Demenz betroffenen Menschen ahnelt dem Chaos, das wir bei Menschen mit Psy- chosen erleben. Unter einer Psychose verstehen wir, dass sich ein Mensch in einer exklusiv von ihm wahrgenom- menen und erfahrenen inneren Welt befindet. Es ist eine Erlebenswelt, die ihn unter Umstanden fast zu Tode be- ^ droht. Er hort beispielsweise Stimmen, ' die ihm Auf trage erteilen, oder sieht Furcht erregende Kreaturen. Seine ver- traute Welt verwandelt sich zuweilen in einen Albtraum. Zurzeit gibt es Filme und Compu- terspiele, die diese Welt von Furcht und Flucht nachahmen. Aber derjenige, der spielt, weiB, dass er spielt. Ein psycho- tischer Mensch weiB das nicht. Seine innere Welt ist so beangstigend und bedrohlich, dass er sich zurückzieht oder gegebenenfalls andere Menschen anschreit oder angreift. Die Ursachen sind vielfaltig und gehören in den Fachbereich der Psychiatrie. Menschen, die nie eine Psychose durchlebt haben, können in ihrer De- menz .psychotisch' werden. Sie sind dann schwer oder nicht zu erreichen, wie bei einer klassischen Psychose, Ihr Verhalten, wie verwirrt und .psycho- tisch' es scheint, hat jedoch fast immer eine Bedeutung. Es erzahlt etwas über Gefühle, Bedürfnisse und Vergangen- heit. Wie können Pflegende diese Be- deutung verstehen und wie sollen sie reagieren? Reaktionen auf psychotisches Verhalten .Das ist nicht die Wirklichkeit' Die erste und zumeist intuitive Reakti- on ist, dem Gegenüber klar zu machen, dass die Welt, in der er sich befindet, nicht die Wirklichkeit ist. Mit solch einer Reaktion bleiben sie, die Pflege- krafte, in ihrer mit anderen „norma- len" Menschen geteilten Realitat und stellen sich gleichzeitig als Halt und Schutz zur Verfügung. Denn Berufs- krafte sind geistig gesunde Menschen, die wissen, was wahr und wirklich ist. Manchmal allerdings ist der psycho- tische Mensch so von seiner inneren Welt verschlungen, so angstlich oder wütend, dass man ihn alleine lasst, bis er wieder selbst aus seiner Isolierung in die gemeinsame und sichere Welt zurückkehrt. Dem Menschen folgen Andererseits gibt es Erzahlungen von Betreuenden, die versuchten, psycho- tischen Menschen in deren Wirklich- keit zu folgen. Sie fragten sie, was die Stimmen sagten oder benannten die Gefühle der Betroffenen. Spater erin- nerten sich Patiënten daran, wie sie sich dadurch getröstet gefühlt natten. Suchend reagieren Damit will ich nicht sagen, dass es einen richtigen Weg zum Umgang mit psychotischem Erleben bei Men- schen mit Demenz gibt. In dem von mir entwickelten „Maeutische Pflege- und Betreuungsmodell" werden Pflegende aufgefordert, immer wieder aus meh- reren Möglichkeiten zu wahlen, also „suchend zu reagieren". Sowohl eine Richtlinie wie „Man muss die Betroffe- nen unbedingt immer mit der Realitat konfrentieren" wie auch der Ansatz des standigen „Mitgehens" in die Ge- fühlswelt des betroffenen Menschen ware falsch. Jedoch sollte man immer bewusst reagieren und handeln und das nachher verantworten können. Dies wird zu Ergebnissen führen und kontaktbringend sein. Wichtig ist die Reflexion der Situation mit den ent- standenen Wirkungen mit den Kolle- ginnen und Kollegen. Entwicklung der „Maeutischen Methode" Der Ursprung der maeutischen Me- thode liegt in den achtziger Jahren. Ich war Praxisanleiterin in einem Pflegeheim und auf der Suche nach Methoden, Pflegekrafte in ihrer Profes- sionalitat zu starken. Ich hatte mich zu- nachst entschieden, mit der Einführung des damals hochgelobten Konzepts der Realitats-Orientierung anzufan- gen. Eine der erste Fragen, die bei mir und meinen Mitarbeitern aufkam, war: Warum denken wir, dass wir über die pflegen: Demenz 1112009 21

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Page 1: Erlebenswelt ,Wirklichkeit

PRAXIS

Erlebensweltund ,Wirklichkeit'

Auf .psychotisches' Verhalten eingehenund suchend reagieren

Wahn und Halluzinationen bei Menschen mit Demenzsind nicht mit „klassischen Psychosen" gleichzusetzen,meint die Krankenschwester und Historikerin DR. CORAVAN DER KOOIJ. In ihrem Maeutischen Pflegemodellermutigt sie Pflegende, sich kreativ und einfühlend aufdas anscheinend psychotische Verhalten einzulassenund immer wieder passende Möglichkeiten des Um-gangs zu suchen. Das kann vielen Betroffenen helfen,ihrer Albtraumwelt zu entkommen.

D;i as Chaos in einem von Demenzbetroffenen Menschen ahnelt dem

Chaos, das wir bei Menschen mit Psy-chosen erleben. Unter einer Psychoseverstehen wir, dass sich ein Mensch ineiner exklusiv von ihm wahrgenom-menen und erfahrenen inneren Weltbefindet. Es ist eine Erlebenswelt, dieihn unter Umstanden fast zu Tode be-

^ droht. Er hort beispielsweise Stimmen,' die ihm Auf trage erteilen, oder sieht

Furcht erregende Kreaturen. Seine ver-traute Welt verwandelt sich zuweilen ineinen Albtraum.

Zurzeit gibt es Filme und Compu-terspiele, die diese Welt von Furcht undFlucht nachahmen. Aber derjenige, derspielt, weiB, dass er spielt. Ein psycho-tischer Mensch weiB das nicht. Seineinnere Welt ist so beangstigend undbedrohlich, dass er sich zurückziehtoder gegebenenfalls andere Menschenanschreit oder angreift. Die Ursachensind vielfaltig und gehören in denFachbereich der Psychiatrie.

Menschen, die nie eine Psychosedurchlebt haben, können in ihrer De-menz .psychotisch' werden. Sie sind

dann schwer oder nicht zu erreichen,wie bei einer klassischen Psychose, IhrVerhalten, wie verwirrt und .psycho-tisch' es scheint, hat jedoch fast immereine Bedeutung. Es erzahlt etwas überGefühle, Bedürfnisse und Vergangen-heit. Wie können Pflegende diese Be-deutung verstehen und wie sollen siereagieren?

Reaktionen auf psychotischesVerhalten

.Das ist nicht die Wirklichkeit'Die erste und zumeist intuitive Reakti-on ist, dem Gegenüber klar zu machen,dass die Welt, in der er sich befindet,nicht die Wirklichkeit ist. Mit solcheiner Reaktion bleiben sie, die Pflege-krafte, in ihrer mit anderen „norma-len" Menschen geteilten Realitat undstellen sich gleichzeitig als Halt undSchutz zur Verfügung. Denn Berufs-krafte sind geistig gesunde Menschen,die wissen, was wahr und wirklich ist.Manchmal allerdings ist der psycho-tische Mensch so von seiner inneren

Welt verschlungen, so angstlich oderwütend, dass man ihn alleine lasst, biser wieder selbst aus seiner Isolierungin die gemeinsame und sichere Weltzurückkehrt.

Dem Menschen folgenAndererseits gibt es Erzahlungen vonBetreuenden, die versuchten, psycho-tischen Menschen in deren Wirklich-keit zu folgen. Sie fragten sie, was dieStimmen sagten oder benannten dieGefühle der Betroffenen. Spater erin-nerten sich Patiënten daran, wie siesich dadurch getröstet gefühlt natten.

Suchend reagierenDamit will ich nicht sagen, dass eseinen richtigen Weg zum Umgangmit psychotischem Erleben bei Men-schen mit Demenz gibt. In dem von mirentwickelten „Maeutische Pflege- undBetreuungsmodell" werden Pflegendeaufgefordert, immer wieder aus meh-reren Möglichkeiten zu wahlen, also„suchend zu reagieren". Sowohl eineRichtlinie wie „Man muss die Betroffe-nen unbedingt immer mit der Realitatkonfrentieren" wie auch der Ansatzdes standigen „Mitgehens" in die Ge-fühlswelt des betroffenen Menschenware falsch. Jedoch sollte man immerbewusst reagieren und handeln unddas nachher verantworten können.Dies wird zu Ergebnissen führen undkontaktbringend sein. Wichtig ist dieReflexion der Situation mit den ent-standenen Wirkungen mit den Kolle-ginnen und Kollegen.

Entwicklung der„Maeutischen Methode"

Der Ursprung der maeutischen Me-thode liegt in den achtziger Jahren.Ich war Praxisanleiterin in einemPflegeheim und auf der Suche nachMethoden, Pflegekrafte in ihrer Profes-sionalitat zu starken. Ich hatte mich zu-nachst entschieden, mit der Einführungdes damals hochgelobten Konzeptsder Realitats-Orientierung anzufan-gen. Eine der erste Fragen, die bei mirund meinen Mitarbeitern aufkam, war:Warum denken wir, dass wir über „ die

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PRAXISBEISPIEL

Suchend Reagieren - Hilfe gegen Schmerz und Wut

Dies ist die Geschichte der 99-jahrigen Anna Cornelissen, die immer wieder unruhig wurde undnach Hause wollte, um ihre Mutter zu vërsorgen. In solchen Phasen war es schwer, mit ihr um-zugehen. Sie schrie und schimpfte. Wenn die Pflegenden sie zum Schutze der anderen Bewohnerin solchen Momenten auf ihr Zimmer brachten, wurde sie wütend, schlug um sich und beschuldigtealle Mitarbeiter, sie zu qualen und zu schikanieren.

Eine Pflegekraft nahm sich die Zeit und versuchte zu ergründen, was die Bewohnerin im Innernbeschaftigte. Allmahlich wurde klar, dass sie als Kind viel gequalt war und

sichselbst demzufolge immer hasslich gefunden hatte. Auch musste sie immer ihre Mutterhelfen, wahrend ihre Schwester sich mit lustigeres beschaftigte. Immer wieder ging die Pflegekraftzu ihr. Die Frau war wechselnd abwehrend, schimpfend, gelegentlich aber auch offen für Kontakt.Vor dem Hintergrund des Erfahrenen begann die Pflegerin, sie zu verstehen. Ihr Lebensthemawar es, dass sie nie Wertschatzung anderer erfahren hatte. Davon war sie fest überzeugt.Sie hatte ihre Gefühle immer verdrangt, nün aber schaumte sie aufgrund dieser Erfahrungen vorWut. Es war so, als ob diese Wut, dieses Toben sie aufrecht hielt.

Die Pflegekraft reagierte nicht abweisend, sondern suchend. Wenn diese es zulieB, umarmtedie Pflegende die Bewohnerin und spendete Trost. Sie teilte ihr aber auch wahrheitsgemaB mit,dass ihre Mutter und Schwester bereits gestorben seien. Das war bei dieser alten Dame offenbarder richtige Weg, denn sie nahm es an, ohne zu welnen.

Die Wut, der Arger, das Bedürfnis nach Liebe und Anerkennung - jedes Gefühl wurde von derPflegenden wertgeschatzt („validiert"). Das Ergebnis ihrer Versuche, in Kontakt zu kommen war,dass sich die Wut allmahlich auf die Vergangenheit nicht aber weiterhin auf Mitarbeiterlnnen undMitbewohner richtete.Sie vermittelte ihren Kolleginnen, die ihr die Zeit dafür gegeben haften, was sie entdeckt hatte undwas Anna Cornelissen wirklich brauchte. So wusste letztendlich das ganze Team mit dem Verhaltender alten Frau umzugehen. Sie hatte noch immer ihre Aüsbrüche, aber die Pflegenden warenbesser dazu imstande, sie zu ertragen und mitzugehen. Sie verstanden ihre Gefühle.

Wirklichkeit" Bescheid wissen? Was isteigentlich „ die Wirklichkeit" ?

Auf einer sogenannten Realitatso-rientierungs-Tafel trugen die Mitglie-der der Gruppe die Pakten des Tageswie Jahreszeit, Datum und Wetter ein.Aber eigentlich hörte darnit unsere mit-einander geteilte Wirklichkeit haufigschon auf. „Glücklicherweise bin ichnoch gesund, und mein Mann auch, ichmuss nicht daran denken, mal ins Heimziehen zu mussen", sagte eine verwit-wete Bewohnerin einer Alteneinrich-tung nachdrücklich. Wir verstandensehr bald, dass die gemeinsame Reali-

tat begrenzt war und dass wir über diesogenannte „objektive Wirklichkeit"schnell am Ende unseres Gesprachs-stoffes waren.

Hingegen haften fast alle Be-wohner eine sehr persönliche eigeneWirklichkeit. Die erste Lektion, die ichlernte, war: Die innere Wirklichkeiteines jeden einzelnen Menschen istunendlich reich. Sie beinhaltet unteranderem unsere Erinnerungen, un-sere Lebensphasen, unsere Wünscheund unsere Enttauschungen, unsereTraunie, Verniste, Trauer, Scham undFreude.

Als Pflegender sich indie Unsicherheit begeben

Vielfach erleben wir in der Pflege, wiesich bei Menschen mit Demenz langzurückgehaltene Erlebnisse und damitverbundene Gefühle ihren Weg nachaufien bahnen. Dagegen gehen vielePakten einer „objektiven Wirklichkeit"verloren. Wer mit einem Demenzer-krankten in Kontakt treten will, stehtvor der Aufgabe, die eigene vertraute,geordnete Realitat loszulassen und sichauf innere Wirklichkeit dieses Men-schen einzustimmen. Der Pflegende

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PRAXIS

muss die eigenen Sicherheiten, Pakten,die Allwissenheit und Überlegenheitloslassen und sich in eine für ihn un-bekannte Wirklichkeit begeben. Damitmacht er sich unsicher und verletzlich.

Beispiele für Pflegehandlungen

Den Menschen beruhigenViele Beispiele aus der .Praxis, die mirvon Pflegenden erzahlt wurden, sindahnlich. Wenn Bewohner eines Pflege-heirns beim Zubettgehen berichten, dasses unheimliche Vogel am Fenster oderauch einen groBen Hund unter ihremBett gibt, verscheuchen Pflegende diesemanchmal mit Bewegungen und Gerau-schen. Die Betreuenden fragen: „Sollich sie wegjagen?" Sie machen dannbeispielsweise Gerausche wie „Kssch,kssch" oder schliefien das Fenster oderdie Tür. Oftmals sind die Bewohner zu-frieden und schlafen beruhigt ein. Han-delt es sich hierbei um echte Halluzi-nationen? In rneinen Augen vermutlichnicht. Dann ware das Problem auf dieseWeise nicht so schnell zu lösen.

In die psychotische Realitat mitgehen

Eine andere demenzerkrankte Dameerzahlte, dass sie zwei Katzen habe.Sie sahe sie im Wohnzimmer, zeigteauf sie und hatte offenbar Freude anihnen. Die Dame hatte nie Tiere ge-habt, weil ihr Mann es nicht wollte.Die Mitarbeiter reagierten zunachstin folgender Weise: „Sie sehen Katzenund das macht Sie froh, aber ehrlichgesagt sehen wir sie nicht". Eine ande-re Pflegekraft ging mit in das Erlebenund fragte, ob die Katzen genügend zufressen hatten oder ob sie noch etwasbrauchten. Die Bewohnerin sagte: „Ja,sie kommen nicht zu kurz." Die Be-wohnerin war zufrieden.

Man kann Demenzerkrankte beipsychotischem Erleben beruhigen oderunter Umstanden in die psychotischeRealitat mitgehen - je nach Situationund dem Verhaltnis, das man zu ihnenhat. Beides kann richtig sein.

Wenn die Seele nach Erlösung suchtEin beeindruckendes Beispiel fandich in einem hollandischen Buch. Ein

Maeutik ist „Hebammenkunst für Pflegetalente"Die Begrifte Maeutik (Hebammenkunst) und maeutisch (erlösend oder be-

freiend) leiten sich aus der Sokratischen Philosophie und dort im Speziellenvon der Art der Gesprachsführung des griechischen Philosophen Sokrates'

mit seinen Schülern ab. (Hallwirth-Spörk, 2005).Cora van der Kooij definiert ihr Pfiege- und Betreuungsmodell als „Hebam-

menkunst für Pflegetalente". Vieles in der Maeutik entstammt der von Naomi

Feil entwickelten „Validation". Trotzdem unterscheidet sich die auch als

„erlebensorientierte Pfiege" bezeichnete Methode in diversen, entscheidenden

Punkten. Maeutik in der Pfiege steht für einen Prozess des Bewusstwerdens.

Ein Team, das maeutisch arbeitet, tauscht Erfahrungen aus und stellt

sich beispielsweise folgende Fragen: Was bedeutet das Verhalten diesesBewohners? Woher kommt es und was braucht er? Wie können wir Kontakt

oder sogar eine Beziehung zur Stande bringen? Wer hatte schon malguten Kontakt?

Kasten 1

Sohn erzahlt darin von seiner demen-zerkrankten Mutter, die regelmafiigin eine Psychose geriet. Sie war dannmisstrauisch, schrie, schimpfte, erzahl-te Dinge, die völlig irrational waren,wehrte sich kraftig und war anschlie-

Kasten 2

fiend völlig erschöpft. „Wir mussteneine Wirklichkeit erkunden und akzep-tieren, die uns fremd war und eine Spra-che verstehen, die für uns völlig neu war.Wir entschieden uns, alles, was sie sagte,ernst zu nehmen."

Suchend Reagieren:Wahi zwischen orientieren und validieren

In diesem Kasten werden ein realitatsorientierender und

ein validierender Zugang gegenübergestellt.

Orientieren

Wirklichkeit (objektiv/faktisch)Tatsachen (Zeit)

Begriffe, Kategorien

Kognitiv/logischProthetisch1 sein:

Unterstützung des Gedachtnisses

und des DenkensHerreichen von Pakten und Begriffe

Struktur und Sicherheit

Korrigieren, zurückholen

in die .gemeinsame Realitat'

1 prothetisch: ersetzend, substituierend

Validieren

Innere Wirklichkeit (subjektiv)

Gefühle (ohne Zeit)Bedürfnisse

Assoziativ/emotionalAuthentisch sein:

GefühlsmaRig abstimmen

Explorieren, verbal und nonverbal

Gefühle und Bedürfnisse benennenChaos (Wirrwarr) und Kreativitat

Mitgehen in die innere Welt,mitleben, bestatigen

pflegen: Demenz 1112009 23

Page 4: Erlebenswelt ,Wirklichkeit

PRAXIS

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tobe mlon aucn von seiner natter „etrenn

Sie war fuer ihn immer sehr wichtig.

Sie blieben bei ihr und begleiteten sie,wenn sie sich in ihre Abgründe begab.Denn sie sahen in diesem Zustand kei-ne „sinnlose Psychose", sondern die„Stimme der Seele, die auf diese WeiseErlösung finden wollte".

Wahrend einer psychotischen Pha-se schaute sie ihre Söhne an, als seiensie ihre Feinde, beschuldigte sie derschrecklichsten Dinge. Die Kinderverstanden allmahlich, dass diese Er-lebensinhalte mit Sexualitat zu tunhatten. Letztendlich konnten sie dieBetreuung nicht mehr durchhalten undbrachten die Mutter in ein Pflegeheim

Dort hiefi man sie heiter willkom-men, als ob sie in einem Ferienparkgelandet sei: „Was machen Sie gerne,was essen Sie am liebsten?" Für denInhalt ihrer vermeintlichen Psychoseninteressierte sich niemand. Die alteFrau bekam Medikamente. Nach vierWochen ging es ihr so schlecht, dassman sie ins Krankenhaus brachte. DieGeschichte endete damit, dass derEhemann und die Söhne herausfanden,dass ihre Frau und Mutter als Kind se-xuell von ihren Brüdern missbrauchtwurde und sogar als 13-Jahrige eineAbtreibung durchgestanden hatte.

So war sie offenbar in ihrer De-menz damit beschaftigt, etwas zuerzahlen und zu verarbeiten, was sieimmer verschwiegen hatte. Niemandhatte davon gewusst. Sie starb, alsihre Familie sie verstanden und sie mitdiesem neuen Wissen wieder in Liebeangenommen und getröstet hatte.

Diese Geschichte macht klar, wie Psy-chosen tatsachlich isolieren, aber auch- wenn die Erlebensinhalte ernst ge-nommen werden - zu einer Form vonErlösung führen können.

Zeit und ZuwendungEin demenzerkrankter Mensch kannfür eine Psychose typische Symptomezeigen. Genau wie bei einer Psycho-se kann ein von Demenz betroffe-ner Mensch sich aggressiv, wütend,extrem angstlich verhalten. Genauwie bei einer Psychose kann dieserMensch nicht erreichbar sein, sichvöllig in seinem inneren Gefangnisisolieren. Und was sollen wir danntun? Mussen wir ihm sagen, dass sei-ne Wirklichkeit nicht stimmt und dassdie Welt sicherer und anders ist, als ersie jetzt erfahrt? Aber wieso meinenwir, dass wir die „Wahrheit" und die„Wirklichkeit" besser verstehen alser? Dies ist aber offenbar nicht seineRealitat und Wahrheit.

Wir sollten uns bemühen, uns aufsein Erleben einzustimmen, dies zubenennen und dann danach zu suchen,was er braucht und was ihn stützt.Was genau das Verhalten hervorruftund was der Mensch braucht, ist nurmit Hilfe des „suchenden Reagierens"und im Austausch im Team herauszu-finden. Ich kenne mehrere Teams, dieso arbeiten und teile gerne mit ihnendie Freude und Befriedigung, die sieauf diese Weise erreichen. Dieser Wegbraucht Zuwendung, Prasenz, Ausdau-

er, viel gefühlsbetonte Kommunikationund gemeinsames Empfinden und Ent-decken. •

»> KontaktDR. CORA VAN DER KOOIJ

(http://akademiefuermaeeutik.eu)

Veranstaltungen über Maeutik:www.IMOZ.de in Zusammenarbeit mitKompetenz-Zentrum-Demenz, Lebach,E-mail: hans@straesser-lebach

LITERATUR

DECONINCK, C; KOOIJ, C. VAN DER (2005)Freibeuter im Pflegeheim -Ein lastiger Bewohner als Lehrmeisterim LoslassenZorgtalent Producties:http://www.pflegetalent.de

HALLWIRTH-SPÖRK, C. (2005)

Merkmale der sokratischen Methode immaeutischen Pflege- und Betreuungs-modell von Cora van der Koolj.Zorgtalent Producties:http://www.pflegetalent.de

KOOIJ, C.VAN DER (2007)Ein Lacheln im Vorübergehen -Erlebensorientierte Altenpflege mitHilfe der MaeutikBasel: Huber Verlag

HANS SIEPEL (2007)

Stemmen van de ziel. Vergetenwaarheid van dementie.Stimmen der Seele. VergesseneWahrheit von Demenz.Leeuwarden: Uitgeverij Elikser B.V.

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