ernst haas - erlangenernst haas, ca. 2009 ernst haas, 1995 (foto: cilly voßwinkel) 1986 im...
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Ernst Haas
Loewenichsches Palais | Nürnberger Str. 9 | 91052 Erlangen | 0 91 31/20 41 55
Di – Fr 11 – 18 Uhr | Sa/So/feiertags 11 – 16 Uhr
Ausstellung im Kunstmuseum Erlangen11. Dezember 2011 bis 8. Januar 2012
Zeichnungen und Gemälde 1945 – 2010
KulturStiftungErlangen
und dann die Sammlung des Kunstmuseums, das
notabene Ernst Haas 1989 mitbegründet hat, durch
eine „nahrhafte“ Schenkung und eine ebenso stattliche
Dauer leihgabe zu bereichern. Beide erlauben es nun
dem Kunsthistoriker, zunächst dem Zeichner und dann
dem Maler Haas für die 40er, 50er und 60er Jahre
genauer auf die Finger zu schauen.
Auch viele seiner späteren, expressiven Atelier-
Landschaften verraten nicht, daß sie sich – die „Land-
schaftsnotizen“ aus dem Chiemgau in unserer Aus-
stellung zeigen es zum Beispiel – oft auf genaue
topographische und atmo sphärische Wahrnehmungen
gründen.
Als sympathisches Charakteristikum dieses Künstlers
darf aber wohl gelten, daß er die Nebenwege zu
ungegenständlichen „Farbspielen“ offenbar nur
halbherzig (und m. E. noch am befriedigendsten in
kleinformatigen Aquarellen) beschritten hat und dem
„Königsweg“, das Elementare und den Zauber unserer
vielfältigen Natur- und Kulturlandschaft eigenständig
zu begreifen und zu gestalten, im wesentlichen treu
geblieben ist.
Den zahlreichen Leihgebern von Haas-Bildern aus
Erlanger Privatbesitz ist herzlich zu danken, ebenso
Birgit Ramsauer, Gertraud Lehmann und Peter Hörndl
für ihre gediegene Mitarbeit am Katalog.
Und ohne die erhebliche finanzielle Unterstützung der
Kulturstiftung Erlangen wäre der Katalog in dieser Form
gar nicht möglich gewesen. Dafür großen Dank!
Schließlich gebührt dem bewährten „Hänge-Team“
– Barbara, Christian und Renate – für den perfekten
Auf- und Abbau dieser umfangreichen Ausstellung
großes Lob.
Jürgen Sandweg
Die letzte Ausstellung des Kunstmuseums Erlangen im
Jahre 2011 gilt einem in Erlangen sehr geschätzten, ja
verehrten Künstler: Ernst Haas.
Sie war, im schon fast gewohnten Zehnjahresrhythmus
– zur Erinnerung: 1991 in der Orangerie, 2001 bei uns
im Loewenichschen Palais –, zum 90. Geburtstag
geplant. Der Tod hat diesem Vorhaben einen Strich
durch die Rechnung gemacht.
Nun ist es die siebte „in memoriam“-Ausstellung
geworden – aber nicht mehr nur zwischen dem
zweiten Weihnachtsfeiertag und Dreikönig, sondern
als größere Retrospektive länger in der Dauer und
mit Vernissage und Katalog.
Zu danken ist natürlich in erster Linie Sieglinde Haas
für ihre Groß zügigkeit, mich für die Ausstellung frei
aus dem künstlerischen Nachlaß auswählen zu lassen
Ernst Haas, um 1952
Soweit in diesem Katalog abgebildete Werke ohne Herkunfts-angabe sind, stammen sie aus dem Nachlass von Ernst Haas. Die Bildtitel in Anführungszeichen stammen vom Künstler.
10/9/1921
in Rothenburg ob der Tauber geboren;
Kindheit, Schule und Abitur in Erlangen;
Kriegsdienst (1941 – 1945)
1945
nach Kriegsende freischaffender Maler in Erlangen;
Mitglied der „Freien Gruppe Erlangen“;
erste Ausstellungen
1947
Studium an der Akademie Nürnberg (Schloss Ellingen)
in der Meisterklasse Hermann Wilhelm
1949
Mitbegründer der „Ellinger Freien Gruppe“
(Ausstellungsgemeinschaft von Wilhelm-Schülern)
1952 – 1953
Studium an der Hochschule für Bildende Künste
München: Staatsexamen in Kunsterziehung;
Spanienreise
1954 – 1958
Kunsterzieher am Staatlichen Landschulheim
in Marquartstein
24/7/1958
Heirat mit Sieglinde Weiß (*1937)
1958 – 1961
Kunsterzieher am Ohm-Gymnasium in Erlangen
26/8/1959
Geburt des Sohnes Hans-Joachim
1961
Berufung an die Pädagogische Hochschule Nürnberg
1980
Ernennung zum Extraordinarius für Kunsterziehung
der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der
Universität Erlangen-Nürnberg
Ernst Haas, ca. 2009
Ernst Haas, 1995 (Foto: Cilly Voßwinkel)
1986
im Ruhestand wieder als freier Maler in Erlangen tätig
1989
Gründungs- und Vorstandsmitglied des Fördervereins
Kunstmuseum Erlangen e. V.
1995
Umzug von Erlangen nach Marquartstein
2002
Kunstpreis der Nürnberger Nachrichten (Anerkennung)
21/6/2010
in Traunstein gestorben.
Zwei Blätter aus einer Serie kleinformatiger Bleistift-, Tusche- und Aquarell-Skizzen zum Thema „Armin (der Cherusker)“ (1939 – 1942), 13,3 x 12,3 cm (oben)und 18,3 x 11,7 cm (rechts)
Aquarell-Veduten des zerstörten Nürnbergs (8.4.1946) und des unzerstörten Erlangen (1945), je 20,0 x 28,3 cm
Blick in einen Innenraum der mit Objekten aus den Univer-sitätssammlungen gefüllten Erlanger Orangerie (1945), Aquarell, 20,0 x 28,3 cm
Kriegs- und erste nachkriegsjahre
In Schloss Ellingen, wohin die Akademie ausgelagert
war, wurde Haas Meisterschüler von Hermann Wilhelm.
Sein Zeichentalent schulte er in vielen Bleistift-,
Tinten- und Tuscheskizzen, ebenso in seinen Porträt-
skizzen und in aquarellierten (Stadt)Landschaften.
Die Empfindung für die Farbe, sein feines Gespür für
die Anwendung von Farbe in der Fläche, bildete sich
nach und nach.
Nach Kriegsende setzten sich die jungen Künstler
zuerst mit den Impressionisten auseinander, dann mit
den Expressionisten. Für Haas selbst war Henri Matisse
von Bedeutung, obwohl er später meinte, dass dieser
nicht habe zeichnen können. Wichtiger aber noch sei
für ihn die Anregung durch den Fauvismus gewesen.
Im Grunde sei er, sagte er, ein Fauve.
Ernst Haas nahm sofort an mehreren Ausstellungen
fränkischer Künstler teil, die seit Ende 1945 in Erlangen
und in der Region veranstaltet wurden. Er war Gründungs-
mitglied der „Ellinger Freien Gruppe“, einer Vereinigung
zumeist von Wilhelm-Schülern, denen es früh gelang,
eine Reihe vielbeachteter Kunstausstellungen zu organi-
sieren, und dies nicht nur in Erlangen und Nürnberg,
sondern z. B. auch in München, Karlsruhe, Düsseldorf.
1952/53 setzte Haas sein Studium zum Kunsterzieher
in München fort. Während dieser Zeit unternahm er die
ersten Auslandsreisen, z. B. nach Spanien. Nach dem
Staatsexamen unterrichtete er bis 1958 am Staatlichen
Landschulheim in Marquartstein, danach bis 1961 am
Ohm-Gynasium in Erlangen.
„Ich habe den versperrten Blick gern“, sagt Ernst Haas
über seine Kunst, das heißt, ihm liegt daran, dem
Betrachter seiner Bilder auch Rätsel aufzugeben, ihn
gelegentlich in die Irre zu führen bei dem, was er als
erstes zu erkennen glaubt. Für Haas ist der Inbegriff
von Kreativität: „den Zufall zum Einfall zu machen“.
Gertraud Lehmann
Der Kriegsgefangenschaft konnte der 24-jährige Ernst
Haas zum Glück entgehen. Im Mai 1945 wurde er vom
Lazarett nach Hause entlassen: nach Erlangen, wo der
Lehrersohn zur Schule gegangen war, Peter Bina ihn
im Zeichnen unterrichtet hatte und seine Eltern lebten.
Nach dem Abitur am Humanistischen Gymnasium 1940
war ihm gerade ein Jahr als Student an der TH München
vergönnt gewesen – dann folgte die Einberufung zur
Wehrmacht. Vier Jahre musste er Soldat sein, im Flak-
dienst an der „Heimatfront“.
Wegen des großen Andrangs konnte der Kriegsheim-
kehrer sein Studium als Zeichenlehrer in München
zunächst nicht wiederaufnehmen, so dass er in
Erlangen blieb und sich als freier Künstler durchschlug.
„In der schlechten Zeit“ malte Ernst Haas gelegentlich
Stadtansichten und tauschte sie bei einem Händler in
der Hauptstraße gegen Zigaretten und wenig Geld ein.
Um die Zeit zu überbrücken, bis er wieder ordentlich
studieren konnte, absolvierte er eine zweijährige Lehre
samt Gesellenprüfung bei dem Malermeister Bräuer
(dem Vater von Hildegard Grau) und hörte nebenbei
Vorlesungen des Kunsthistorikers Rudolf Kömstedt an
der Universität Erlangen. Künstlerische Dekorationen
für den Redoutensaal an Fasching gehörten ebenso
zu seinem Metier wie das Ausmalen einiger Clubs von
US-Offizieren.
In dieser Übergangszeit, 1947, erhielt er einen Studien-
platz an der Akademie für Bildende Künste in Nürnberg.
„im Grunde bin ich ein Fauve“
Aus einem Gespräch mit Ernst Haas am 8. Juni 1995 (Variante einer Erstveröffentlichung in den „Erlanger Nachrichten“ vom 17.12.1996)Lit.: „jung nach ’45. Kunst in Nürnberg – Ein Jahrzehnt und eine Generation.“ Ausstellungskatalog. Kunsthalle Nürnberg 1995, S. 78f., Abb. S. 79
Selbstporträt, Öl/Holz, 1945/46, 44,5 x 59,0 cm (Kunstmuseum Erlangen)
„Gelbes Feld“, Öl/Holz, 1950, 60,8 x 49,3 cm (Erlanger Privatbesitz)
Frauenakt, Kaltnadelradierung, 1959, 11,8 x 9,0 cm
Stadteinfahrt, Öl/Karton, undat., 38,0 x 29,5 cm
Akademiestudie, Öl/Karton, undat., 43,7 x 31,5 cm
Landschaft mit Dorfrand, Öl/Lw., 1953 (?), 49,0 x 40,0 cm
aufbruch in die 50er Jahre
Ortseingang, Tusche/Papier, 1952, 20,3 x 29,4 cm
„Landschaft mit Aquädukt“, Öl/Karton, 1945/46, 27,2 x 32,7 cm
Passagiere, Kaltnadelradierung, 1959, 21,0 x 14,8 cm
Epiphanie (?), Kaltnadelradierung, 1959, 14,3 x 21,6 cm
in amt und Würden als Kunsterzieheram Gymnasium und an der Universität
Menschengruppe, Öl/Holz, undat., 48,0 x 42,7 cm
Städtchen im Mittelmeerraum, Öl/Holz, undat., 44,5 x 65,0 cm
„Großwolfinger Hof (Tirol)“, Öl/Lw., 1981, 75,0 x 79,8 cm (Kunstmuseum Erlangen)
„Kapellenweg“, Öl/Lw., 1978, 60,5 x 59,5 cm
Stadt in den Bergen, Öl/Lw., 1978, 46,5 x 71,0 cm
Obstbaumblüte im Gebirge, Öl/Lw., 1977, 80,3 x 90,0 cm
Die Welt ist farbig. Farbe bedeutet Leben. In Goethes
„Faust“ heißt es: „Am farbigen Abglanz haben wir das
Leben.“ Ich liebe das Leben und die Farbe: Daher bin
ich „von ganzem Herzen“ Maler. Für mich ist Bilder-
machen ein lustvolles Gestalten mit Farbe.
Meine Bilder sind grundsätzlich von der Farbe her
vorgestellt. Und hier kann das Malen zum gestalte-
rischen Abenteuer werden. Es ist für mich ein beson-
derer Reiz, wenn sich beim Übermalen von Bildern,
die mich nicht zufriedenstellen, zufällig Farbkonstella-
tionen ergeben, die, aus dem Zusammenhang gelöst,
die Idee zu einem neuen Bild hervorrufen. Jemand hat
einmal definiert: „Kreativ ist, den Zufall zum Einfall
machen zu können.“
Auf einen Gegen-Stand bezogen – und die Landschaft
kann beispielsweise ein solcher im weiteren Sinn sein –
wird das Spiel mit Farben zu einer ernsten künstleri-
schen Auseinandersetzung. Der Farbfleck verlangt
nach einer gegenständlichen Identifikation, nach
einer dinglichen Form und einem damit verbundenen
Aus druckswert im Farbgefüge. Dabei wird der
Realitäts anspruch der Natur- und Dingformen vom
Erscheinungsanspruch in der farbigen Gesamt-
gestaltung überspielt.
Georges Braque meint dazu: Der Gegenstand kann nur
in dem Maße natürlich erscheinen, wie es die Malerei
erlaubt. Und sie stellt ihre Ansprüche, die Malerei!
Die gegenständliche Thematik meiner Malerei ist in der
Hauptsache die Landschaft. Sie ist ein Gegen-Stand,
der jeden ansprechen kann, weil seine „Sprache“ ohne
weiteres „lesbar“, d. h. erlebbar ist – und weil es über
den Inhalt „Landschaft“ keine Verständigungsschwie-
rigkeiten gibt.
Als Bild-Gegenstand ist die Landschaft für mich ein
sachlich-dingliches Korrektiv, das mir aufzeigt, wie gut
die mit diesem Thema verbundene bildnerische und
darstellerische Problematik gelöst wurde. Ich möchte
vor allem eine charakteristische Aussage über meine
Seh-Erlebnisse erreichen. Deren Darstellungsprobleme
im Bildnerischen bestimmen die formale und farb-
gestaltliche Konzeption. Daher bemühe ich mich
um eine möglichst treffsichere und aussagekräftige
Komposition meiner Vorstellungsbilder. Dazu strebe
ich eine signifikante Vereinfachung der Form an, um
der Farbe mehr Bedeutung und Wirkung zu geben.
Beim Aufbau eines Bildes aus Farbflächen kann ich
allerdings auf lineare Elemente als Ausdrucksmittel
nicht verzichten: Sie ordnen, strukturieren, schaffen
sofort ins Auge springende Bewegungsrichtungen
und geben der Farbkomposition als Gerüst Halt.
Meine Bilder – auch die Landschaftsbilder – entstehen
ausnahmslos im Atelier. Sie werden aus jeweils
charakteristischen Formbeständen meiner Erinnerung
und Farbvorstellung zu einer aussagekräftigen Kompo-
sition zusammengebaut (nicht nur zusammengestellt!).
Sie sind also, was die Landschaftsdarstellung betrifft,
„erfundene“ Landschaften, für die sich eine bestimmte
Örtlichkeit nicht benennen lässt. In dieser eigenen
Ausdruckssprache verselbständigen sie sich im Bild.
Sie sind kein Abbild, kein Konterfei und keine Vedute.
Im Umgang mit den Möglichkeiten der Farbgestaltung
habe ich für meine Malerei das Aquarell neu entdeckt.
Ich traktiere diese Technik allerdings nicht als stilisti-
sches Prinzip und habe mich bewusst frei gemacht von
den mit dem Begriff „Aquarell“ verbundenen tech-
nischen Zwängen und gestalterischen Vorurteilen.
Zum Beispiel mag ich die wasserdünne, kontrastarme,
„zarte“ Farbgebung nicht, sie ist mir zu ausdrucks-
schwach. Ich will Farbe bekennen und trage daher
die Wasserfarben meist satt, bisweilen dick und mit
Deckweiß versetzt auf, lasse sie aber auch fließen und
ineinanderlaufen. Man kann auch durch Nass-im-Nass-
Malen, durch Auswaschen und Übermalen mit kräftigen
und mit Deckweiß gemischten Farben ein homogenes
Wirkungsgebilde herstellen, dem das Spritzige, Impul -
sive und auf Anhieb Hingesetzte, das „man“ beim
Aquarell zu sehen wünscht, nicht abzugehen braucht.
In dieser Weise sind z. B. meine „Farbspiele“ traktiert.
„meine Lust an der Farbe“
In meiner Malerei erlaube ich es mir, nicht unter allen
Umständen „aktuell“ zu sein, mich nicht dem kunst-
politischen Diktat einer Kunstszene zu unterwerfen,
bei der das „Zeitgemäße“ und das „Aktuelle“ per se
künstlerisch qualifiziert zu sein scheint.
Wohl sollen meine Bilder von einer eigenen Hand-
schrift geprägt sein, aber sie müssen sich nicht einem
bestimmten Stil verpflichtet fühlen.
Stil als Gestaltungsziel meint, so glaube ich, die
Verpackung, weniger den Inhalt, Gehalt. Bewusst
angepeilt, dient er, meiner Meinung nach, häufig einer
Profilneurose und wird leicht zur bloßen Manier.
Ernst Haas
Maler und Modell im Atelier, Aquarell, undat., 32,0 x 42,3 cm (Erlanger Privatbesitz)
„Heim zum Vater“, Öl/Holz, 1996, 66,7 x 80,0 cm
Abendgespräch, Öl/Karton, undat., 60,0 x 50,0 cm
„Kleines Hafenbild“, Öl/Holz, 1978, 40,3 x 51,8 cm (Kunstmuseum Erlangen)
„Venedig“, Öl/Holz, 1994, 47,0 x 75,0 cm (Kunstmuseum Erlangen)
ein Markenzeichen von Ernst Haas durch zwei Jahrzehnte: gute Landschaftsaquarelle
1991, 35,0 x 44,7 cm (Erlanger Privatbesitz)
2005, 35,7 x 47,8 cm
2010, 35,2 x 46,5 cm
„Antike Stätte“, 1997, 33,7 x 45,8 cm
„1962 in Deutschland geboren. Seit 1992 lebe ich
in Berlin. (www.birgitramsauer.net)
Ich verstehe mich im wesentlichen als Performance-
künstlerin, die nicht nur den eigenen Körper und die
eigene Persönlichkeit in unterschiedliche gesellschaft-
liche Zusammenhänge stellt, sondern auch bewusst
sichtbare Spuren hinterlässt. In der Tradition der
amerikanischen und deutschen Performance Art greife
ich in fremde Kontexte ein und markiere die zufälligen
Markierungen, die andere Menschen unbewusst
hinterlassen.
In meinen Performances agiere ich als Moderatorin und
visuelle Übersetzerin von alltäglichen, eher unschein-
baren menschlichen Handlungen, die sich überall auf
der Welt abspielen können. Dabei betreibe ich mit den
›Spurensicherungen‹ auf mehreren Ebenen eine Art
kulturspezifische Analyse, denn dem eigentlichen Akt
der Performance geht immer eine ausführliche Studie
der Räume und Gesellschaft voraus.
Das achtlose Fallenlassen eines Einwickelpapiers
auf der Straße ist für mich bereits – unbewusste –
Performance (›Art : home-less‹ Projekt New York,
Marseille, Moskau, Berlin). Diese Spur markiere ich
und halte sie gleich einer Archäologin fest als ver-
gangenen Gestus. Gleichzeitig rekonstruiere ich ihre
innere psychosoziale Struktur, die in diesem Falle aus
einer der Umwelt und anderen Menschen gegenüber
achtlosen Verhaltensform besteht.
In der Performance ›Walk the Wall‹ markiere ich
temporär mit losen weißen Steinen den Berliner Mauer-
verlauf und weise mit einem Achtungsschild darauf hin,
dass es sich um die Arbeit eines Künstlers handelt.“
Künstlergruß einer ehemaligen schülerin
Ernst Haas – ein widmungsgedicht
der neonzerkratzte malerzirkel
ein langer Raum mit Neonröhren: eine nicht sehr
inspirierende, unkünstlerische Umgebung für
angehende Malereistudenten ……………
…………………. aber der Schaukasten vor der Türe
birgt ein großes Ölgemälde, das vor Farbe sprüht:
ein lebendiges Symbol einer anderen Welt –
der Malerei.
die orange-blauen luftfarben
Diese Welt in lebendigem Orange, hellen und dunklen
aus sich herausglühenden Blautönen und eine Tiefe
mit einem Schuss von klaren Luftfarben: Neben seinem
knorrigen mit dem Stock einen Takt klopfenden Freund
und Kollegen Professor Kaufmann war Professor Ernst
Haas die Seele der Erziehungswissenschaftlichen
Fakultät, Fachrichtung Kunsterziehung in der Univer-
sität Erlangen-Nürnberg.
Die Formen der unmittelbaren Umgebung der knorrigen
Obstbäume, der Fischteiche und der zerklüfteten
Mittelgebirgsstrukturen der fränkischen Landschaft
gaben – erst seinen vor Ort skizzierten Aquarellen und
anschließend in Öl gemalten Bildern die Inspiration.
die kräutergewürzte luft malen
Mit einem alten roten Skoda stand ich in den frühen
80er Jahren als Studentin Ernsts bald ebenso inmitten
der Felder der Knoblauchslandbauern rund um Nürnberg
und malte, auf der Schnauze meines Wagens Farben
und Papier gelegt: Leben, Farben inmitten der würzigen
Luft, ausgeströmt von Kräutern und unterschiedlich-
sten Gemüsesorten. Morgengrauen auf dem Walberla
ergießt sich mit dem ersten Licht die Blütenfülle der
blühenden Obstbäume und der Schlehenbüsche über
die Hügel wie ein weißes Flirren – daneben die wacke-
lige Staffelei und eine frierende Malerin, ihre Schwe-
ster – wie kitschig und doch wie prägend als ein
beinahe körperliches Erlebnis. Diese Liebe zur Farbe
und die Kunst vor Ort, im Geschehen, hat mich in
meiner Arbeit im öffentlichen Raum der Großstadt
unterstützt. Die Rhythmen und Wellen der Metropolen
fließen nun direkt in meine Arbeit in einer gewollten
Interaktion mit dem Leben, den Anwohnern, der
Architektur, den Autoritäten und Zuständigkeiten.
Geräusche, Farben, Bewegung, das Wetter, die Tages-
und Jahreszeit – die eigene und vorgefundene Ge-
schichte, Kultur, all das ist das Leben und soll in der
Kunst als Lebensgefühl sein. So habe ich Ernst Haas
verinnerlicht. Diese Grundlage hat mich in meinen
Konzepten und später sehr anderen Ausprägungen und
Kunstformen – Performances, Videos, Installationen,
Kooperationen, Photos etc. – begleitet. Die Kunst als
Lebensform und Freude am Leben, an der Kunst.
der abhang erklommene abschied vom studenten
Als eine Studienzeit zu Ende geht, in der ein Lehrer
zum Freund wird, hat die Einladung zu einem Ausflug
zu den Anfängen seiner Biographie, nach Rothenburg,
einen heiteren und wunderbaren Abschluss der Studien-
zeit geformt. Drei Studenten der Abschlussklasse des
Hauptfaches Kunsterziehung für Realschule standen
wir das erste Mal mit Ernst Haas zusammen an der
Staffelei. Bei herrlichstem Wetter fuhren wir am Tag
nach unserer praktischen Kunstprüfung für Kompo-
sition und Malerei zu einem Steilhanggegenüber
der Stadt Rothenburg: das Auto nahe dem Abhang
geparkt, plaudernd und malend auf dem spätherbst-
lichen warmen Gras, erfuhren wir Geschichten aus
Ernst Haasens früher Zeit in Rothenburg als junger
Referendar. Der Blick auf das Tal mit dem beeindru-
ckenden Riemenschneideraltar habe ihn geprägt.
Die kleingliedrigen Gassen inmitten einer durchgehend
erhaltenen Stadtmauer waren ihm sehr nahe, die
Schönheit von Landschaft und Kultur zusammen mit
dem nahen Jagsttal eine Inspirationsquelle zum Anfang
seiner Lehre. Vom schroffen Fels direkt an der Burg,
der auf die tief eingeschnittenen Wege hin zur Kapelle
mit dem Altar blickt, habe er sich immer wieder ange -
zogen gefühlt.
Dieser Tag gab vom Pädagogen etwas preis –
Freundschaft wuchs.
der abstraktere sprachmalversuch
Ein Anruf, besser ein Besuch war in nicht regelmäßigen
Abständen mit einer lebhaften Diskussion über immer
experimentellere Arbeiten in meinem Œuvre verbun-
den mit einer Sichtung seiner neuesten Arbeiten der
Malerei. Die versammelte Familie Haas nahm mich mit
Wärme auf. Aus einem gemeinsamen Dialog entwuchs
Ernsts Versuch in Collage und Aquarell in einer abstrak-
teren Bildsprache, die in seiner Landschaftsmalerei
in den geometrischen Grundformen und einer klaren
Komposition bereits angelegt war. In diesem neuen
Dialog versanken Freunde. Das Abstrakte als etwas
Verbotenes, das sich der Maler noch einmal gönnte,
heimlich. Die reine Hingabe zu Farbe und Form. Eine
Purheit auch im Glauben, zum Menschen, die zuletzt
immer mehr im Motiv auftauchten – eine Frage? Eine
Suche? Eine Intensivierung der Magie der Natur, des
Transzendenten im Nächsten durch das Alter, die Nähe
zum eigenen Wenigerwerden?
menschmalerverwehen
Das endende Malerleben als ein Nachlassen der
Sehkraft nicht zur Last werden zu lassen – eine scharfe
und klare Analyse der Lücken und Spuren des Alters
und Nachlassens der Farberkennung. Nachpensionierte
Freude am Medium Malen an sich verkürzt nun durch
das Unvermögen des Körpers – so viel Malen, wie
möglich, ehe es zu spät wird.
ein weihnachtswink
Lieber Ernst, dieser kleine Essay zu Deiner Ausstellung
in Erlangen als Weihnachtsgruß – wie ich von Dir mit
schöner Regelmäßigkeit jedes Jahr ein Original mit
einem herzlichen handgeschriebenen kleinen Brief
bekommen habe.
Deine Birgit
Berlin, Dezember 2011.
verquere chancen
Die Jubiläumsausstellung der ersten Akademiegenera-
tion aus Nürnberg, ausgelagert nach Ellingen ins
Schloss – Ernsts Kunst als Nachkriegsgeneration holt
die Moderne sich heran – nacherleben, was längst in
Europa angekommen war – exilierte Kunst sehen und
empfinden im Tun. Die abstrakten Reliefs aus bemaltem
Styropor aus Ellingen sind ihm aus der Erinnerung
Spiel, Experiment, jugendlicher Übermut der eigenen
Formenvielfalt zur Moderne. Erst beim Malen ist er
angekommen. Seine Frage, ob die Moderne nicht mehr
nachholbar war für seine Generation, für ihn, bleibt im
Raum stehen – Zuspätgekommene?
zwischenspiele
In der Ausstellung im Kunstverein Wasserburg –
weit angereist in hohem Alter.
Das Verstehen der Konzepte im Kopf, die Abwehr der
Materialien im Herz, die Liebe zum Menschen in mir.
Zu den Konzepten von Taubenabweiserzirkeln und
-objekten der feine Hinweis des Farbliebhabers:
„Malerei, Farben auf der Leinwand sind ein so ein
feines Instrument für den Künstler. Schönheit ist
in der heutigen Zeit nicht geschätzt, aber so wichtig
für die Seele.“
malerei, ein suchtsyndrom mit farbfeldwechsel
Ebenso im Dialog kehrte immer seine stets neckisch
und ernst zugleich vorgetragene Frage nach meiner
Rückkehr in die Welt der Malerei wieder. Das konnte
ich erst vor einigen Jahren mit dem Zyklus „Paris in
my mind“ mit „Ja“ beantworten. Im Rahmen dieser
„neuen Malerei“ (Robert C. Morgan, art press, 2008,
NYC) wende ich mich mit der Polaroidkamera und
dem Computer in einem Lichtkasten mit aus der
Gegenwart gegebenen Mitteln wieder der Sprache
und Farbigkeit der Malerei zu. „Malerei“ hat wieder
Anteil in meiner Kunst.
„Farbspiele“
2003, 33,8 x 44,6 cm
2010, 35,0 x 46,0 cm
sechs „Jahres(wechsel)gaben“ für den sammler Friedrich von Mallinckrodt
1/1/2000, 15,5 x 19,0 cm
22/12/2001, 12,5 x 15,5 cm
2004, 19,3 x 27,4 cm
30/4/2003, 14,7 x 20,5 cm
12/12/2004, 16,0 x 21,9 cm
28/12/2001, 12,4 x 17,8 cm
Dorf im Voralpenland, Aquarell/Bleistift, 1989, 11,6 x 15,2 cm (Sammlung v. Mallinckrodt)
„bei Chieming“, Aquarell/Tusche, 1997, 10,5 x 14,2 cm
„Landschaftsnotizen“ aus dem Chiemgau
„zwischen Grassau u. Pettendorf“, Aquarell/Tusche, 1992, 11,7 x 17,5 cm
„Manzenberg“, Aquarell/Tusche, 1991, 1o,5 x 14,8 cm
vier Kostproben aus Erlanger Privatbesitz
„Fränkische Landschaft“, Öl/Holz, 2004, 59,5 x 70,5 cm
„Braune Erde“, Öl/Lw., 2008, 61,5 x 69,5 cm
Ort im Hochgebirge, Öl/Holz, 1981, 58,8 x 76,3 cm
Abendlicht, Öl/Lw., 1995, 60,0 x 80,0 cm
2010, 36,0 x 48,0 cm
1990, 34,0 x 45,5 cm
1990, 35,0 x 44,7 cm
2010, 36,0 x 48,0 cm
2007, 36,0 x 48,0 cm
1991, 35,0 x 45,0 cm
aquarellierte Menschengruppen
Feuerwerk, Öl/Holz, undat., 60,0 x 80,0 cm
„Lampionzug“, Öl/Pappe, 2007, 60,0 x 80,0 cm
Bilder aus den letzten Jahren
„Auf der Schiffslände“, Öl/Holz, 2008, 60,0 x 80,0 cm
„Seefest“, Öl/Pappe, undat., 50,0 x 70,0 cm
„Birken II“, Öl/Pappe, 2010, 50,0 x 70,0 cm
Waldlichtung, Öl/Pappe, 2009, 60,0 x 78,5 cm
„Nasser Schnee“, Öl/Lw., 2006, 60,0 x 70,0 cm
„Gebirgswasserfall“, Öl/Lw., 2007, 50,0 x 60,0 cm
Haus in den Bergen, Öl/Pappe, 2009, 50,0 x 60,0 cm
„Weiße Bergwelt“, Öl/Lw., 2001, 60,0 x 80,0 cm
Blick auf die Berge, Öl/Pappe, 2004, 44,0 x 56,0 cm
Helles Haus vor dunklen Bergen, Öl/Pappe, 2009, 50,0 x 60,0 cm
„Walddickicht“, Öl/Pappe, 2009, 60,0 x 70,0 cm
„am Wasser“, Öl/Lw., 2006, 70,0 x 80,0 cm (Kunstmuseum Erlangen)
Impressum:
© Kunstmuseum Erlangen
Auflage: 100 Exemplare
Redaktion: Jürgen Sandweg
Gestaltung: Nashornstudio Peter Hörndl
Bergwald, Öl/Lw., 1955, 42,5 x 55,0 cm
Titelseite: „Capri“ (das letzte von Ernst Haas gemalte Bild), Öl/Lw., 2010, 60 x 70 cm