es steht in den sternen geschrieben · 3 weit gehen, daß man beispielsweise eine bestimmte...

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1 Es steht in den Sternen geschrieben... Zur Sehweise der neuzeitlichen Physik H. Joachim Schlichting Universität Essen Alles was uns hier unten an Gutem und Bösen zustößt, steht dort oben geschrieben. Denis Diderot Entschuldige! Wieso siehst du das nicht? Bist du denn blind? Und er will und will es nicht sehen, was Sie sehen, und wo, wie Sie es sehen. Er aber sieht es, wie er es sieht, für ihn sind Sie blind. Luigi Pirandello Der Blick zum Himmel spielt für die Entwicklung der neuzeitlichen Physik eine wesentliche Rolle. Einerseits steht die regelmäßige Wiederkehr der Sterne und Planeten für den deterministischen Ablauf des Weltgesche- hens. Andererseits liefert die raum - zeitliche Struktur der himmlischen Vorgänge den modellhaften Hinter- grund für die Vorgänge auf der Erde. Aber auch die Bedingungen des Blicks, die Sehweise und Perspektive sind von paradigmatischer Bedeutung für die physikalischen Aktivitäten. Vor diesem Hintergrund wird exem- plarisch die Entwicklung der neuzeitlichen Physik von der kopernikanischen Wende bis zur nichtlinearen Phy- sik unserer Tage als Wechsel von Sehweisen dargestellt. Indem die Grundvoraussetzungen der jeweiligen Seh- weise skizziert werden, wird ein "pluralistisches" Bild der neuzeitlichen Physik entworfen, das m.E. den unter- schiedlichen physikalischen Aspekten der heutigen Welt eher gerecht wird, als die Fixierung auf eine einzige physikalische Wahrheit. Nicht um Dinge geht es, sondern um Ansichten über Dinge (Montaigne) Da das Sehen nicht nur davon abhängt, worauf man blickt, sondern auch davon, worauf zu sehen uns unsere visuell - begriffliche und - ich möchte hinzufügen - gesellschaftliche Erfahrung gelehrt hat [1], genügt es nicht, den Gegenstand, die Welt bzw. Teile derselben, zu betrachten, sondern auch das Sehen selbst ist unter die Lupe zu nehmen. Die Lupe und ganz allgemein die Linse sowie ihre nicht - optischen Nachfolger bis hin zum Elek- tronensynchrotron einerseits und zum Radioteleskop andererseits haben aber den Horizont des Sehens immer weiter hinausgeschoben in mikroskopische und makroskopische Tiefen, so daß weder von einem Sehen noch von Gegenständen im ursprünglichen Verständnis die Rede sein kann. Im Lichte des wissenschaftlichen Zugriffs zerfällt die im Titel gestellte Frage in ein ganzes Spektrum von Teilfragen, die wir - gebunden an die sequentielle Linearität der Sprache - nicht anders als nacheinander an- sprechen können. Dabei soll uns das Sehen im tatsächlichen wie im metaphorischen Sinne und auf verschiede- nen Ebenen naturwissenschaftlicher Aktivitäten - insbesondere mit Blick auf den Unterricht - wie ein Ariad- nefaden durch das Labyrinth der komplexen Problematik hindurchführen 1 . 1 Als Physiker beziehe ich mich vor allem auf Probleme der Physik. Viele Aussagen dürften jedoch mutatis mutandis auch auf die naturwissenschaftlichen Nachbardisziplinen übertragbar sein

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Es steht in den Sternen geschrieben...

Zur Sehweise der neuzeitlichen Physik

H. Joachim Schlichting Universität Essen

Alles was uns hier unten an Gutem und Bösen zustößt,steht dort oben geschrieben.

Denis Diderot

Entschuldige! Wieso siehst du das nicht? Bist du denn blind?Und er will und will es nicht sehen, was Sie sehen, und wo, wie Sie es sehen.

Er aber sieht es, wie er es sieht, für ihn sind Sie blind.

Luigi Pirandello

Der Blick zum Himmel spielt für die Entwicklung der neuzeitlichen Physik eine wesentliche Rolle. Einerseitssteht die regelmäßige Wiederkehr der Sterne und Planeten für den deterministischen Ablauf des Weltgesche-hens. Andererseits liefert die raum - zeitliche Struktur der himmlischen Vorgänge den modellhaften Hinter-grund für die Vorgänge auf der Erde. Aber auch die Bedingungen des Blicks, die Sehweise und Perspektivesind von paradigmatischer Bedeutung für die physikalischen Aktivitäten. Vor diesem Hintergrund wird exem-plarisch die Entwicklung der neuzeitlichen Physik von der kopernikanischen Wende bis zur nichtlinearen Phy-sik unserer Tage als Wechsel von Sehweisen dargestellt. Indem die Grundvoraussetzungen der jeweiligen Seh-weise skizziert werden, wird ein "pluralistisches" Bild der neuzeitlichen Physik entworfen, das m.E. den unter-schiedlichen physikalischen Aspekten der heutigen Welt eher gerecht wird, als die Fixierung auf eine einzigephysikalische Wahrheit.

Nicht um Dinge geht es, sondern um Ansichten über Dinge (Montaigne)Da das Sehen nicht nur davon abhängt, worauf man blickt, sondern auch davon, worauf zu sehen uns unserevisuell - begriffliche und - ich möchte hinzufügen - gesellschaftliche Erfahrung gelehrt hat [1], genügt es nicht,den Gegenstand, die Welt bzw. Teile derselben, zu betrachten, sondern auch das Sehen selbst ist unter die Lupezu nehmen. Die Lupe und ganz allgemein die Linse sowie ihre nicht - optischen Nachfolger bis hin zum Elek-tronensynchrotron einerseits und zum Radioteleskop andererseits haben aber den Horizont des Sehens immerweiter hinausgeschoben in mikroskopische und makroskopische Tiefen, so daß weder von einem Sehen nochvon Gegenständen im ursprünglichen Verständnis die Rede sein kann.

Im Lichte des wissenschaftlichen Zugriffs zerfällt die im Titel gestellte Frage in ein ganzes Spektrum vonTeilfragen, die wir - gebunden an die sequentielle Linearität der Sprache - nicht anders als nacheinander an-sprechen können. Dabei soll uns das Sehen im tatsächlichen wie im metaphorischen Sinne und auf verschiede-nen Ebenen naturwissenschaftlicher Aktivitäten - insbesondere mit Blick auf den Unterricht - wie ein Ariad-nefaden durch das Labyrinth der komplexen Problematik hindurchführen1.

1 Als Physiker beziehe ich mich vor allem auf Probleme der Physik. Viele Aussagen dürften jedoch mutatis mutandis auchauf die naturwissenschaftlichen Nachbardisziplinen übertragbar sein

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Wahrnehmung muß gelernt werden (Kant) Jede Philosophie bezieht ihre Farbe

von der geheimen Lichtquelle eines Vorstellungshintergrundes, der niemals ausdrücklich in ihren Gedankenketten auftaucht.

Alfred N. Whitehead

Wissenschaftler sind sich heute darüber einig, daß uns das Sehen nicht gegeben ist, sondern wie eine Spracheerlernt werden muß. Das beginnt mit der Fähigkeit, aus dem visuellen Chaos der Sinneseindrücke, die durchdie Belichtunge unsere Netzhaut hervorgerufen werden, bedeutungsvolle Strukturen zu gewinnen (Bild 1).

Dazu ist es beispielsweise interessant, sich vor Augenzu führen, daß Blinde, die in späteren Lebensjahrendurch operative Eingriffe im physiologischen Sinne se-hend werden, mit fast unüberwindbaren Schwierigkei-ten zu ringen haben, um schließlich im üblichen Ver-ständnis des Wortes sehen zu können [2].

Hinzu kommt, daß der durch ein Objekt hervorgerufe-ne Sinneseindruck nicht immer in eindeutiger Weiseinterpretiert werden kann:

- Die an der Fensterscheibe krabbelnde Fliege muß vondem unter dem gleichen Sehwinkel durch das Fensterwahrgenommenen Raubvogel unterschieden werdenkönnen.

- Ein wie Superman fliegender Mensch kann nur dannhingenommen werden, wenn man weiß, daß man einenFilm sieht.

Im einen wie im anderen Fall zeigt sich, daß bedeutungsvolles Sehen nur unter Einbeziehung des Kontextes imengeren und weiteren Sinne erfolgen kann.

Zum Kontext gehört auch der kulturelle Hintergrund bzw. das Weltbild des Sehenden. Zum Beispiel: Währendwir im Lichte des neuzeitlich wissenschaftlichen Weltbildes des zentralperspektivischen Sehens (Bild 2) Foto-grafien als objektive, sehweisenunabhängige Abbilder der Realität ansehen, berichten Etnologen davon, daßMenschen aus anderen Kulturkreisen Schwierigkeiten damit haben, diese Perspektive einzunehmen. So wurdebeispielsweise in einer Untersuchung der aufgeschnittene Elefant in Abbildung 3 von Afrikanern als realisti-

scher angesehen als der perspektivische [3]. Selbst am Wechsel von Stilen in der Malerei kann festgestellt wer-den, daß "jede Phase der westlichen Zivilisation ihre eigene 'Perspektive' (hat)..., in der sich eine bestimmteWeltanschauung spiegelt" [4]. Zivilisationsbedingte Einflüsse auf die Perspektive bzw. Sehweise können so

Bild 1: Bedeutungsvolle Strukturen sind nicht immer leichtzu gewinnen. Häufig erlaubt erst der Kontext eine eindeuti-ge Bedeutungzuweisung (siehe Bild 18).

Bild 2: Zeichner mit dem liegenden Weib von Albrecht Dürer: Die nicht nur den Intellekt ansprechende vielgestaltete, far-benprächtige und pralle Realität wird aus der Perspektive des unbeteiligten, objektiven Blicks mit Hilfe von Apparaten re-duziert auf das Meßbare und Berechenbare.

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weit gehen, daß man beispielsweise eine bestimmte Landschaft so sieht, wie sie von einem Maler gemalt wur-de. So erlebt Theodor Adorno eine Allee von Platanen "ein wenig wie gemalte Träume von Henri Rousseau"[5].

Die Perspektive bzw. die Sehweise bestimmt letztlich, wiewir die Realität erfahren und erleben. Wenn man sich die-ser Tatsache nicht bewußt ist, kann es einem gehen wiedem Pariser Huhn, das auf den Eiffelturm stieg: "Mühsamkletterte es Stufe um Stufe empor und erreichte schließlichdie höchste Plattform. Von dort schaute es hinunter und er-blickte Paläste, Monumente und Gärten, die sich in weitemUmkreis erstreckten. Was mag das für eine Stadt sein,fragte sich das Pariser Huhn, dem der Schnabel vor Staunenoffenstand. Eilig hüpfte es die Treppen hinunter, um denWächter nach dem Namen der Stadt zu fragen, die man vonder höchsten Plattform des Eiffelturms aus sehen konnte"[6].

Man muß sich fragen, ob unsere Schülerinnen und Schülervor allem im Physikunterricht zuweilen nicht noch schlim-mer dran sind als das Pariser Huhn. Wird ihnen nichtmanchmal zugemutet, die aus der physikalischen Perspek-tive erfahrene Welt (Bild 2) als die eigentliche, wahre, ihrervertrauten Lebenswelt überlegene Welt anzuerkennen? Si-

cher, die Physiklehrerin und der Physiklehrer werden sich bemühen, soweit der Lehrplan dafür Zeit läßt, diephysikalische Welt aus der Lebenswelt zu entwickeln. Vergleicht man jedoch mit Einstein die Reduktion derLebenswelt auf Physik mit der Reduktion einer Symphonie auf die Luftdruckkurve derselben (Bild 4), so mußman sich fragen, ob die Differenz zwischen Physik und Lebenswelt überhaupt eingeebnet werden kann, undwenn ja, ob es sinnvoll ist?

Sollte man nicht vielmehr angesichts dieses didaktischen Dilemmas die Flucht nach vorn ergreifen und demon-strieren, daß es in der Physik gar nicht um die Beschreibung der Welt an sich geht, sondern der Welt, wie siesich im Lichte spezieller Methoden und Fragen darstellt. Sollte man von den Schülerinnen und Schülern nichteher die Bereitschaft dafür erwarten können, die für sie zunächst unverständlich erscheinenden Aussagen derPhysik zu akzeptieren, wenn sie erkennen, daß dies nur Ausdruck der besonderen Perspektive bzw. Sehweiseist, aus der die Welt betrachtet wird [7]? Jedenfalls gilt nach den heute akzeptierten wissenschaftlichen Über-zeugungen, daß die Frage, inwiefern Beobachtungen und Beschreibungen zu einem sinnvollen System gefügtwerden können, weitgehend durch die Perspektive der Betrachter bestimmt ist.

Bild 3: Der aufgeschnittene Elefant erschien Afrika-nern vertrauter als die perspektivische Darstellung.

Bild 4: In dieser Luftdruckkurve (Druck als Funktion der Zeit in willkürlichen Einheiten) eines größeren (links) und ei-nes kleineren (rechts) Ausschnitts von Beethovens 9. Symphonie ist die für einen Physiker interessante Information ent-halten. Der daraus zu ziehende musikalische Genuß dürfte für einen Musikliebhaber unbefriedigend sein.

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Klassische Physik: Wie im Himmel so auf Erden Man muß schon ein Newton sein, um zu bemerken,

daß der Mond fällt, wenn jeder sieht, daß er nicht fällt.

Paul Valéry

Physikalische Sehweise heißt für die Schulphysik zunächst einmal Sehweise der klassischen Physik, und dieseverdankt sich vor allem dem Blick in den Himmel. Indem Kopernikus die Sonne zum bevorzugten Beobachter-standpunkt macht, legt er ganz andere Folgerungen aus den - in Grenzen - selben astronomischen Beobachtun-gen nahe, als sie aus der Sicht der Erde gezogen wurden. Hier offenbart sich die Abhängigkeit der Beobachtun-gen von der Sehweise bis ins Buchstäbliche ihrer ethymologischen Bedeutung. So gesehen besteht das eigentli-che Verdienst eines Kopernikus, aber auch eines Darwin, nicht so sehr in der Entdeckung einer wahren Theo-rie, sondern eines fruchtbaren neuen Aspekts [8].

Die Fruchtbarkeit zeigt sich darin, daß sich aus der kopernikanischen Perspektive die verschlungenen planeta-rischen Erscheinungen für denjenigen entwirren, der diese Perspektive zumindest imaginativ einzunehmen inder Lage ist (Bild 5). Perspektivische Transpositionen funktionieren nicht nur in einer Richtung: Die klassischeMechanik kann als der Versuch angesehen werden, die Prinzipien des kopernikanischen Systems auf irdischeGegebenheiten zu übertragen. Das mag einer der Gründe dafür sein, daß sich auch auf der Erde wie im Himmelder physikalische Blick vor allem auf getrennte, starre und unveränderliche Objekte richtet, die durch einenluftleeren Raum voneinander geschieden sind und sich darin reibungsfrei bewegen.

Desgleichen wird die Auffassung der Zeit als eine Abfolge von universalen Augenblicken, derart daß Wechsel-wirkungen zwischen den Objekten in einer eindeutigen Ordnung ablaufen können, durch die Betrachtung derplanetarischen Vorgänge nahegelegt. Indem man auf diese Weise Prinzipien übernimmt, die auf der Erde sonicht anzutreffen sind, gelangt man auch hier zu einem eindeutigen, gerichteten kausalen Geschehen, dasdurch die Art der physikalischen Gesetze festgelegt ist, nach denen die Wechselwirkungen erfolgen. "Der Ster-

nenhimmel ist zum Lehrbuch für dieTechnik dessen geworden, was natür-licherweise auf der Erde nicht gefun-den werden kann" [9].

Entscheidend für die Transposition istalso nicht das tatsächliche Vorhan-densein himmlischen Verhältnisse aufder Erde, sondern zunächst nur dieÜberzeugung, daß diese Bedingungenim Prinzip hergestellt werden können.So konnte Galilei den Trägheitssatzals gültig ansehen, ohne daß er einVakuum vorweisen mußte. Erst sei-nem Nachfolger Torricelli gelang es,so etwas wie einen luftverdünntenRaum herzustellen.

Die Berechenbarkeit und Vorhersagbarkeit irdischer Vorgänge muß so gesehen mit einem völlig geändertenEmpirieverständnis erkauft werden. Es geht nicht mehr um eine durch direkte Beobachtung festgestellte Über-einstimmung der "in Ruhe gelassenen" Natur mit einer Vorstellung (Theorie), sondern darum, die Natur durchgezielte Eingriffe (Experimente) dazu zu bringen, sich der Theorie entsprechend zu verhalten. Nicht das Gege-bene, sondern das Konstruierte bzw. Geschaffene ist Gegenstand der Physik, denn nur Geschaffenes läßt sich(experimentell) kontrollieren2. Daher betrifft eine Vorhersage im physikalischen Sinne nicht das Verhalten derNatur an und für sich, sondern die in ihren Bedingungen unter Kontrolle gebrachte Natur.

Um das Verhalten der so präparierten und in handlichen naturwissenschaftlichen Systemen untergebrachtenNatur vorhersagen zu können, erfaßt man die Art und Weise (Dynamik), wie sich die Systeme unter idealen(himmlischen) Bedingungen (z.B. luftleerer Raum) verhalten. Änderungen des Verhaltens eines Systems, ins-

2 Goethe hat sich gegen diese Art der Naturbetrachtung vehement gewehrt. Vor dem Hintergrund seiner naturwissenschaft-lichen Arbeiten werden die Eigenheiten der Newtonschen Physik deutlich.

Bild 5: Beide Bilder enthalten physikalisch gesehen dieselbe Information, diegraphische Darstellung der Planetenbahnen von Merkur, Venus, Erde undMars a) als wirres Knäuel von der Erde und b) als fast kreisförmige Ringe vonder Sonne aus gesehen.

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besondere Änderungen des Bewegungszustandes (Geschwindigkeitsänderungen) sind gleichbedeutend mit derFrage nach der Ursache.

Newton gelingt es in Form von Differentialgleichungen, die Ursache- Wirkungskette von Vorgängen in einemathematische Form zu gießen [10]. Hat man die Dynamik eines Systems durch eine solche Bewegungsglei-chung erfaßt, so muß man nur noch das Verhalten des Systems zu einem bestimmten Zeitpunkt, beispielsweisedem gegenwärtigen, kennen, um den Bewegungszustand (Orte und Geschwindigkeiten) zu einem beliebigenanderen Zeitpunkt in Vergangenheit oder Zukunft exakt vorhersagen zu können.

Die Differentialgleichungen können als die mathematische Sprache angesehen werden, in der sich der Deter-minismus ausdrückt: Sie geben der Zeit Gestalt, die Ewigkeit im gegenwärtigen Augenblick zu besitzen [11]:"Die Herrschaft über den Augenblick ist die Herrschaft über das Leben" (Marie v. Ebner- Eschenbach). DasNewtonsche Universum liegt gewissermaßen offen vor uns, das Zukünftige ist im Gegenwärtigen bereits ent-halten. Oder, wie Leibniz es ausdrückt: "Le present est gros de l'avenir, le futur se pouvait lire dans le passé,l'éloingné est exprimé dans le prochain" [12].3

Neue Perspektiven: Relativitätstheorie und QuantenmechanikIm Sinne unseres Themas kann das Ergebnis der kopernikanischen Revolution in der Überwindung der be-schränkten irdischen Sehweise angesehen werden, die zu einem größeren Überblick und damit zu allgemeine-ren Aussagen führt. Dahinter steckt die Überzeugung, daß wissenschaftliche Erkenntnisse nicht von der spezi-ellen - in diesem Fall - irdischen Perspektive abhängen dürften. Sofern es in der Relativitätstheorie und Quan-tentheorie um den Versuch geht, die Beschränkungen einer bestimmten Sehweise zu überwinden und die wis-senschaftlichen Erkenntnisse gewissermaßen sehweisenunabhängig zu formulieren, verdanken auch sie sich ei-ner kopernikanischen Revolution mit teilweise völlig neuen, aus der alten Perspektive nicht nachzuvollziehen-den Konsequenzen.

Relativitätstheorie - es gibt keine bevorzugte Perspektive

Relativität - Anordnung der Variablen - nach dem Beobachter. Das Absolute ist das, was sich nach beliebiger Umwandlung identisch wiederfindet.

Paul Valéry

Ebenso wie Kopernikus die Auszeichnung der Erde als Beobachtungsbasis in Frage stellt und damit die Über-windung der ptolemäischen Sehweise einleitet, empfindet es Einstein als willkürliche Einschränkung, daßnichtbeschleunigte Systeme eine Sonderstellung einnehmen und es eine absolute Bewegung relativ zu einemunsichtbaren und - vor allem - nicht nachweisbaren Medium, dem Äther, geben sollte.

Mehr noch als Galilei ist er auf Gedankenexperimente angewiesen, um die Notwendigkeit einer neuen Sehwei-se zu begründen. So weist er darauf hin, daß einem mit Lichtgeschwindigkeit bewegten Beobachter das Lichtals eine nicht von der Stelle kommende, stehende Welle erscheinen muß. Sich nicht fortpflanzendes Licht stehtaber einerseits im Widerspruch zur äußerst erfolgreichen Elektrodynamik Maxwells. Einstein ist die universelleGültigkeit physikalischer Gesetze und die damit bedingte Überwindung eines ausgezeichneten "Beobachters"wichtiger als die Unveränderlichkeit der Phänomene. Deshalb unterstellt er (in der speziellen Relativitätstheo-rie), daß die Gesetze nicht davon abhängen, ob man sich im Zustand der Ruhe oder der (gleichförmigen) Be-wegung befindet. Außerdem geht er davon aus, daß die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum konstant ist unab-hängig davon, ob sich die Lichtquelle in Ruhe oder in Bewegung befindet.

Um die Unveränderlichkeit der Gesetze zu erhalten, muß er jedoch in Kauf nehmen, daß die vertrauten Größenwie Zeit, Masse und Länge relativ werden, d.h. vom Bezugssystem abhängen, aus dem heraus sie gemessenwerden: Indem für verschiedene Beobachter Raum und Zeit anders erfahren werden, verlieren diese aus klassi-scher Sicht absoluten Konzepte ihre Eigenständigkeit und Bedeutung. Nur in der Vereinigung der drei Raum-koordinaten mit der Zeit als vierte Koordinate ergibt sich eine als Raumzeit bezeichnete neue Invariante, diefür alle Beobachter dieselbe ist.

3 Daher kann der Determinismus bereits als eine Konzeption der "Raum- Zeit" angesehen werden (siehe unten), "in der dasAntezedenz und das Consequenz gleichsam simultane Teile eines Ganzen sind. Die Zeit ist in jedem Kausationsdenken ei-ne echte Dimension des Raums" [13, S. 202].

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Die Relativitätstheorie kann somit als konsequente Fortsetzung des durch die kopernikanische Wende einge-leiteten Bemühens um größere Einheitin der Physik angesehen werden. In-dem Kopernikus die Erde zu einemPlaneten "macht" und damit aus demMittelpunkt der Erde "entfernt", wirderstmalig in der Geschichte der Physikein Standpunkt außerhalb der Erdeeingenommen und damit eine Ände-rung des Blickwinkels herbeigeführt.Aus diesem Blickwinkel erscheint dieErde selbst als physikalischer Gegen-stand und unterliegt denselben Geset-zen wie etwa ein hochgeworfenerStein: "Von der Welt sprechen heißt,einen Gegenstand annehmen, der sich

in die Hand nehmen läßt" (Paul Valéry)4. Die durch die Relativitätstheorie bedingte Verallgemeinerung bestehtdarin, daß phänomenologisch verschiedene Phänomene durch dieselben Gesetze beschrieben werden. Hier wiedort muß die Aufgabe unmitelbarer Anschauungen als Preis gezahlt werden.

In der allgemeinen Relativitätstheorie setzt Einstein den in der speziellen Relativitätstheorie begonnenen Wegfort, indem er die Bewegungsgleichungen auch gegenüber beschleunigten Bewegungen invariant macht. Aufdiese Weise können Vorgänge nicht nur aus der Sicht beliebiger Bezugssysteme, sondern darüber hinaus auchfür beliebige Bewegungsarten mit denselben physikalischen Gesetzen beschrieben werden. Außerdem erfährtinfolge der Verallgemeinerung die bereits in der klassischen Physik unterstellte Äquivalenz von schwerer undträger Masse eine theoretische Rechtfertigung.

Die Newtonsche Kraft ist seit ihrer Einführung immer wieder als ein mysteriöses Konzept kritisiert worden,weil sie auf physikalisch völlig unverständliche Weise über große Entfernungen wirkt. Im Rahmen der Relati-vitätstheorie wird sie zu einer naheliegenden Eigenschaft der Raumzeit. Nach Einstein kann man sich dieRaumzeit wie eine elastische Folie vorzustellen, die an den Stellen eingedrückt wird, an denen sich Massen be-finden, und durch diese Deformationen die Gravitationsphänomene hervorbringt (Bild 6). Daher kann dieRaumzeit nicht mehr als leerer Behälter angesehen werden, in dem sich die Massen in absoluter zeitlicherOrdnung bewegen, sondern als ein durch die Massen strukturiertes und daher nicht unabhängig von ihnen zudenkendes Gebilde.

Während aus klassischer Sicht das Geschehen der Welt ganz ähnlich wie bei der Betrachtung des nächtlichenHimmels als Film vor einem Beobachter abläuft, der mit diesem Geschehen nichts zu tun hat, wird im Rahmender Relativitätstheorie die Welt zu einer Art Feld, in dem die Vorstellung unabhängig voneinander agierenderGegenstände aufgegeben werden muß (siehe auch Anmerkung 3). Damit wird aber die Existenz einer objekti-ven, unabhängig vom menschlichen Beobachter existierenden Welt, d.h. die eindeutige Trennung der Welt inSubjekt und Objekt und folglich die endgültige Erkennbarkeit der Welt in Frage gestellt.

Quantenmechanik - Unschärfe als physikalisches Prinzip Wir hatten diese Unschärfe schon seit Jahrtausenden nötig.

In seiner Erwartung machten unsere starre Logik und unsere grobschlächtigen Begriffe den Eindruck, als spielte man mit Boxhandschuhen Klavier.

Michel Serres

Obwohl sich der Objektbereich und die Fragestellungen der Quantenmechanik sowohl von der klassischen Phy-sik als auch von der Relativitätstheorie grundlegend unterscheidet, gibt es Gemeinsamkeiten. Zum einen er-weist sich der in den Mikrokosmos gerichtete Blick gewissermaßen als Blick in den Himmel: Allenthalbensieht man winzige Planetensysteme. Zum anderen erfährt die im Zusammenhang mit der Relativitätstheorie

4 Die daraus resultierenden Probleme für das lebensweltliche Verständnis und - das heißt im Physikunterricht - die Lern-schwierigkeiten unserer Schülerinnen und Schüler liegen auf der Hand [14].

Bild 6: Nach Einstein kann man sich die Raumzeit wie eine elastische Folievorstellen, die durch die Massen verformt werden.

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angesprochene Problematik bei der Trennung der Welt in Beobachter und Beobachtungsgegenstand eine weite-re Verschärfung, wenn auch aus ganz anderen Gründen.

Darüber hinaus wird das bereits in der klassischen Physik angelegtes Problem der Diskrepanz zwischenklassischen Teilchen und Wellen virulent. Während die diskreten in Raum und Zeit lokalisierbaren Teilchenauf bestimmten Bahnen fortschreiten, breiten sich aus der - ebenfalls klassischen - Sicht der Elektrodynamikelektromagnetische Wellen in Raum und Zeit ähnlich wie der Schall in der Luft aus. Sie sind daher nichtlokalisierbar und können Interferenzphänomene hervorbringen.

Obwohl sich in dieser Diskrepanz bereits die Unmöglichkeit einer einheitlichen Darstellung raum- zeitlicherPhänomene zeigt, kommt es erst mit der Entdeckung des fotoelektrischen Effektes zum Eklat, der sichschließlich in einer konzeptuellen Revolution entlädt: Indem man das Licht nicht nur als Wellenerscheinung,sondern (in bestimmten Situationen) auch als Strom von Teilchen und - reziprok dazu - Elektronen als Wellenkennenlernt, gerät die klassische Grenze zwischen Ding und Bewegung ins Wanken. Wir haben den ausklassischer Sicht paradoxen Gedanken eines Dings zu akzeptieren, das ebenfalls ein Un- Ding sein kann.

Sieht man jedoch von der darin enthaltenen Auflösung der klassischen Dingvorstellung ab, so nimmt sich dieTatsache, daß hier ein physikalisches Phänomen je nach der konkreten experimentellen Situation mal so undmal so erscheint, mal an ein Teilchen, mal an eine Welle erinnert, gar nicht mehr so paradox aus. Unsere All-tagserfahrung hält zahlreiche Beispiele für diesen Sachverhalt bereit. Durch Einbeziehung des jeweiligenBlickwinkels, der Perspektive, gelingt es uns, diesen Unterschied wegzurationalisieren. Sollte sich nicht auchder Welle- Teilchen- Dualismus durch eine Einbeziehung der jeweiligen Beobachterperspektive auf ähnlicheWeise entschärfen lassen?

Auf die Quantenmechanik bezogen heißt das konkret, daß die Messung von Impuls und Ort in unterschiedli-chen experimentellen Situationen erfolgt und daher verschiedene Perspektiven betrifft, so daß diese Größensich nicht aus einer Perspektive, d.h. gleichzeitig beliebig genau feststellen lassen: Je schärfer die eine Größegemessen wird, desto unschärfer erscheint die andere. Wie Werner Heisenberg in seiner berühmten Unschärfe-relation zum Ausdruck bringt, kann das Produkt der Unschärfen von Ort und Impuls nicht genauer erfaßt wer-den, als durch die universelle Konstante des Planckschen Wirkungsquantums angegeben wird5.

Wenn man sich vor Augen führt, was es physikalisch bedeutet, einen Gegenstand zu "sehen" bzw. zu registrie-ren, so erscheint dieser Sachverhalt gar nicht so mysteriös: Ein Gegenstand wird mit Licht bestrahlt und wirftdieses in charakteristischer Weise verändert zurück. Unsere Augen nehmen das so veränderte Licht auf undlassen daraus zusammen mit dem Gehirn ein Bild eines an einem bestimmten Ort befindlichen ruhenden oderbewegten Gegenstandes entstehen.

Bei den Mikroobjekten der Quantenwelt ist es im Prinzip nicht anders. Der Ort und der Bewegungszustand ei-nes Teilchens, z.B. eines Elektrons, kann (mit entsprechenden Apparaten) nur dadurch festgestellt werden, daßman es mit Licht von passender Wellenlänge bestrahlt, und das durch den Gegenstand verändert zurückge-worfene Licht interpretiert. Im Unterschied zu einem klassischen Gegenstand, der von dem auftreffenden undreflektierten Licht so gut wie gar nichts "merkt", wird ein quantenmechanischer Gegenstand durch den Be-schuß mit Teilchen von vergleichbarer "Größe" zwangsläufig beeinflußt: Zu dem Zeitpunkt, da man das zu-rückgeworfene Licht als Ausdruck einer bestimmten Bahn des Teilchens registriert, verfolgt dieses schon nichtmehr dieselbe Bahn, weil sein Impuls durch das auftreffende Licht geändert wurde.

Benutzt man Licht von geringerer Energie (niedrigerer Frequenz), so wird das Teilchen zwar weniger stark vonseiner Bahn abgelenkt, aber das zurückgestrahlte Licht wird auch weniger scharf lokalisiert, wodurch die Orts-bestimmung ungenauer wird. Mit anderen Worten: Je genauer man den Ort eines Teilchens kennt, desto unge-nauer kennt man seinen Impuls und umgekehrt6.

So unzulänglich unsere in der makroskopischen Welt geprägten Anschauung im Bereich der Mikrophysik auchsein mag, eine durch Beobachtung eines Gegenstandes erfolgende Einflußnahme auf den Gegenstand kannauch hier zuweilen merkbare Ausmaße annehmen: Der Blick (eines Beobachters) kann eine Person zum Errö-ten bringen, so daß der anschließende Blick dieselbe Person in einem anderen Zustand vorfindet. Die klassischeSubjekt- Objekt- Trennung kann aus der verallgemeinerten quantenmechanischen Perspektive als Grenzprinzip 5 So gesehen ist die Unschärferelation ein mathematischer Ausdruck für die Grenzen, innerhalb der-er ein Teilchen lokali-sierbar ist

6 Die Unschärfe ist demnach nicht bloß durch die begrenzte Genauigkeit der Meßgeräte bedingt, sondern auf grundsätzli-che Weise mit dem Meßprozeß selbst verknüpft. Sie ist gewissermaßen Aus-druck der Unmöglichkeit, ein System anders"wahrzunehmen" bzw. zu messen, als mit ihm in Wechselwirkung zu treten.

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erkannt werden, das um so mehr gerechtfertigt erscheint, jekleiner der Einfluß der Beobachtung auf den Gegenstand ist7.

Da physikalische Erkenntnis nicht durch passives Beobach-ten der Natur zustande kommt, sondern das Ergebnis theo-riegeleiteter, aktiver Eingriffe in die Natur darstellt, hat diequantenmechenische Perspektive unmittelbaren Einfluß aufunsere Vorstellungen von der Realität. Man muß sich bei-spielsweise fragen, ob man weiterhin - wie gewohnt - davonausgehen kann, daß ein Gegenstand einen bestimmten Werthatte, bevor er gemessen wurde. Das heißt aber, sich zu fra-gen, ob es überhaupt sinnvoll ist, etwas als real anzusehen,das niemals wahrgenommen (gemessen) werden kann. FürHeisenberg ist "das, was wir beobachten, nicht die Naturselbst..., sondern Natur, die unserer Art der Fragestellungausgesetzt ist" [15]. Er schlägt daher vor, daß man die klassi-sche Auffassung einer objektiven Realität als Ding an sichersetzen sollte durch die Wahrscheinlichkeit oder Tendenz zuexistieren.

Nichtlineare Physik: Strukturen zwischen Ordnung und ChaosDie bereits in der Quantenphysik sichtbar gewordenen Risse im deterministischen Gewebe der neuzeitlichenPhysik erlangen in unseren Tagen aus der Sicht der nichtlinearen Physik eine fundamentale Bedeutung: DerZufall wird nicht länger (unter großen Opfern an Glaubwürdigkeit) verdrängt, sondern gewissermaßen wiederin seine alten metaphysischen Rechte eingesetzt. In Anspielung auf Wittgenstein läßt sich die Situation folgen-dermaßen umschreiben: "Falls die Welt alles ist, was der Fall ist, dann ist sie in diesem seltsamen Sinn aleato-risch" [16]. Die Kehrseite des damit verbunden weitgehenden Verlustes an deterministischer Geschlossenheitund Vorhersagbarkeit ist jedoch ein tieferes physikalisches Verständnis komplexer Strukturbildungsvorgänge,wie sie für das Leben auf der Erde typisch sind.

Wettervorhersagen und Determinismus

Die Natur ordnete stumm ihr Chaos im Gewitter

Jean Paul

Auch in diesem Fall kann der kritische Blick zum Himmel als einer der Auslöser für die neue Sehweise ange-sehen werden. Seit den Vorsokratikern [9] wundern sich Wissenschaftler und Philosophen darüber, daß man -wie Georg Christoph Lichtenberg es umschreibt - "Durchgänge der Venus voraus sagen (kann), aber nicht dieWitterung und ob heute in Petersburg die Sonne scheinen wird" [17]. Hermann von Helmholtz, einem derVollender der klassischen Physik, klingt es "wie Spott, den er nicht ganz abzuschütteln vermag..., daß unterdemselben Himmelsgewölbe, an welchem die ewigen Sterne als das Sinnbild unabänderlicher Gesetzmäßigkeitder Natur einher ziehen" die Wettererscheinungen als das andere Extrem auftreten, "flüchtig und unfaßbar je-dem Versuche entschlüpfend, sie unter den Zaum des Gesetzes zu fangen" [18].

Es ist interessant festzustellen, daß Helmholtz die Ursachen für diesen Befund mit Worten beschreibt, die ausder Feder eines zeitgenössischen Chaosphysikers hätten stammen können. Er kommt nämlich zu dem Schluß,"dass wir nur solche Vorgänge in der Natur vorausberechnen und in allen beobachtbaren Einzelheiten verste-hen können, bei denen kleine Fehler im Ansatze der Rechnung auch nur kleine Fehler im Endergebniss her-vorbringen. Sobald labiles Gleichgewicht sich einmischt, ist diese Bedingung nicht mehr erfüllt" (ebd.). Dannkönnen nämlich, wie man es vom Verhalten eines auf die Spitze gestellten Bleistiftes weiß, kleinste zufälligeEinflüsse zu beliebig großen Auswirkungen führen. Weit davon entfernt, darin eine Grenze der naturwissen-schaftlichen Möglichkeiten zu sehen, lastet Helmholtz die Wirkung des Zufalls der menschlichen Unzuläng-lichkeit an und verläßt sich lieber auf die übermenschlichen Fähigkeiten eines Geistes, den bereits Laplace be-

7 : Auch hier erkennt man unschwer die kopernikanische Verallgemeinerung, die aber im konkreten Fall die Situation sogarverkomplizieren kann

Bild 7: Chaotische Bahn eines kleineren Himmels-körpers (3), der sich im Gravitationsfeld zweiergrößerer Himmelskörper (1 und 2) befindet, ausder Sicht des Inertialsystems.

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schworen hatte, und der seitdem als Garant des klassischen Determinismus gilt: "Ein Geist, der die genaueKenntniss der Thatsachen hätte und dessen Denkoperationen schnell und präcis genug vollzogen würden, umden Ereignissen vorauszueilen, würde in der wildesten Launenhaftigkeit des Wetters nicht weniger, als imGange der Gestirne, das harmonische Walten ewiger Gesetze anschauen, das wir nur voraussetzen und ahnen"(ebd.).

Henri Poincaré ist da weniger zuversichtlich. Ihm offenbart der Blick zum Himmel, daß selbst der Gang derGestirne, wie er in den einfachen, überschaubaren Planetenbewegungen zum Ausdruck kommt, vor dem Zufallnicht sicher ist, und das harmonische Walten ewiger Gesetze ins Chaos führt [19]. Poincaré zeigt, daß die vonLaplace behauptete Stabilität des Planetensystems streng genommen nur für zwei Planeten gilt. Bei Berück-sichtigung eines dritten Planeten (Dreikörperproblem) ist es nur näherungsweise möglich, aus der Lage derPlaneten zu einem bestimmten Zeitpunkt deren Lage zu einem anderen Zeitpunkt zu bestimmen.

Die Näherung ist jedoch von der Art, daß man keine Kontrolle darüber hat, wie gut die so getroffenen Vorher-sagen tatsächlich sind. Unter Umständen kann sich ein kleiner zufälliger Einfluß zu völlig irregulären, nichtberechenbaren Bahnen aufschaukeln (Bild 7).

Neuere computergestützte Untersuchungen zeigen, daß das Verhalten unseres Planetensystems jenseits einesVorhersagehorizontes von einigen hundert Millionen Jahren alles andere als stabil und vorhersagbar ist. Ko-meten, Asteroiden und selbst Planeten führen chaotische Bewegungen aus. Damit läßt sich begründen, daß dasPlanetensystem in der derzeitigen Konstellation als Ergebnis einer von Katastophen gekennzeichneten Ent-wicklung anzusehen ist (vgl. [20], [21]). Aus der Perspektive des Lebens auf der Erde mag der Vorhersagehori-zont groß genug erscheinen. Im kosmologischen Maßstab nimmt er sich eher bescheiden aus. Darauf hat MaxBorn, noch bevor von nichtlinearer Physik die Rede war, durch einen eindrucksvollen Vergleich hingewiesen:"Ist es denn nun aber sicher, daß die klassische Mechanik wirklich unter allen Umständen Vorherbestimmungerlaubt? Zweifel daran steigen auf, wenn man die Zeitskalen in der Astronomie und in der Atomphysik ver-gleicht. Das Alter der Welt wird auf einige 109 Jahre, d.h. Perioden des Erdumlaufs, geschätzt. Die Zahl derPerioden im Grundzustand des Wasserstoffatoms aber ist von der Größenordnung 1016 pro Sekunde. Gemessenin den jeweiligen natürlichen Einheiten der Zeit, ist also die Sachlage gerade umgekehrt wie die naive Mei-nung: Die Sternenwelt ist kurzlebig, die Atomwelt äußerst langlebig. Ist es nicht gewagt, aus Erfahrungen inder kurzlebigen Welt Schlüsse zu ziehen, die auch für die langlebige gelten sollen?" [22].

Komplexität im Einfachen Die Ursache ist winzig, der Effekt gewaltig;

sie ist unendlich klein, er unendlich groß;sie ist zufallsbedingt, er notwendig.

Michel Serres

Die Poincaréschen Entdeckung unvorhersagbarer, chaotischer Verhältnisse inmitten der Bastion der klassi-schen Physik, der Himmelmechanik, werden zunächst durch die Aktivitäten der Wissenschaftler im Bereichder Quanten- und Relativitätstheorie in den Hintergrund gedrängt. Sie bleibt allerdings bis in unsere Tage vi-rulent und zeigt schließlich in einem Bereich Wirkung, der die Wissenschaftler wiederholt herausgeforderthatte, in der Wetterkunde. So ist es nicht weiter verwunderlich, daß ein Metorologe, Edward Lorenz, im Jahre1963 anhand einer einfachen Modellierung entdeckt, daß das Wettergeschehen sich prinzipiell einer weitrei-chenden Vorhersage entzieht. Er öffnet damit den Naturwissenschaftlern, allen voran den Physikern, die Au-gen. Jetzt beginnt man einzusehen, daß Zufälligkeit, Chaos und Komplexität nur für den Preis aus der Physikverbannt werden können, daß wesentliche Zusammenhänge übersehen werden.

Paradoxerweise erfährt Lorenz die Komplexität des Wettergeschehens dadurch, daß er es auf einen ähnlicheinfachen Vorgang wie die Planetenbewegungen reduziert, den Energietransport von der erwärmten Erdober-fläche zu den höher gelegenen kälteren Teilen der Atmosphäre (Bild 8)8. Dies entspricht dem bereits früher vonRayleigh und Bénard untersuchten System einer Flüssigkeitsschicht, die von unten geheizt wird und oben mitder kälteren Umgebung in Kontakt steht (Bénardkonvektion).

Symmetriebruch und dissipative Struktur Um zu beharren, muß das Neue so geartet sein,

8 Offenbar läßt sich auch komplexes Verhalten (im Sinne von algorithmisch irreduzibel) nur in ein-fachsten Zusammen-hängen identifizieren.

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daß es länger andauert als die Alternativen.

Gregory Bateson

Wenn man eine Flüssigkeit allmählich von unten aufheizt, gelangtdie Energie zunächst durch Wärmeleitung zur Oberfläche undwird dort an die Umgebung abgegeben. Dabei bleibt die Form bzw.Symmetrie der Flüssigkeit erhalten. Erst wenn der Energiestromeinen kritischen Wert überschreitet, gerät die Flüssigkeit in Bewe-gung, ihre Symmetrie wird gebrochen: Die Auftriebskraft der er-wärmten Flüssigkeitsschicht übersteigt das reibungsbedingte Be-harrungsvermögen und ruft eine Konvektionsbewegung hervor.Interessanterweise organisiert sich die Konvektion nicht in einemeinzigen Wirbel, sondern in einem polygonalen Zellenmuster wohlaufeinander abgestimmter Wirbel (Bild 9). Dabei kann man imeinzelnen folgendes beobachten (vgl. [23] - [25]) :

3. Das aus den Konvektionszellen bestehende dynamische Systemwird durch einen ständigen Zufluß hochwertiger Energie (Auf-nahme von Wärme bei hoher Temperatur) und einen ebensogroßenAbfluß minderwertiger Energie (Abgabe von Wärme bei Umge-bungstemperatur) in einem Zustand fernab vom thermodynami-schen Gleichgewicht gehalten. Da auf diese Weise die Energie des

Systems im Mittel konstant bleibt, findet lediglich eine Entwertung bzw. Dissipation der Energie beim Durch-gang durch das System statt, die daher als "Antrieb" des System angesehen werden kann (Einzelheiten dazusiehe [23]). Man spricht deshalb auch Ilya Prigogine zufolge von einer dissipativen Struktur [26].

4. Von Bedeutung ist darüber hinaus, daß es am kritischen Punkt zu einer drastischen Reduktion der Freiheits-grade des Systems kommt. Aus der unüberschaubarenVielfalt möglicher Verhaltensweisen schält sich ein einfa-ches zelluläres Muster von nur wenigen (im vorliegendenFall drei) Freiheitsgraden heraus. Die einzelnen Konvekti-onswirbel können durch ein mechanisches System model-liert werden, einer Art Wasserrad, das die gleichen makro-skopischen Verhaltensweisen aufweist wie das Vielteil-chensystem [27]. Darin kommt auf anschauliche Weisezum Ausdruck - und das ist eine der zentralen Erkenntnisseder nichtlinearen Physik - daß extrem einfache aber nicht-lineare Systeme jene Komplexität hervorbringen können,die sich als typisch für kreative Strukturen der Realität er-weist: "Die Verbindungen von simpeln Gesetzen (können)sehr verwickelte Erscheinungen gewähren" (G. Chr. Lich-tenberg).

Bild 8: Wolkenstraßen lassen die Konvekti-onswalzen aufsteigender warmer und absin-kender kalter Luft erkennen.

Bild 9: Polygonartige Zellenmuster offenbaren die innere Dynamik einer dissipativen Struktur; hier dargestellt am Beispielder Bénardkonvektion. Im rechten Bild ist das mit Hilfe einer Computersimulation gewonnene vertikale Geschwindigkeits-feld dargestellt.

Bild 10: Schematische Darstellung gegeneinander wir-kender nichtlinerarer „Kräfte“, durch die die stationäreRotationsgeschwindigkeit eingeregelt wird.

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Zufall und Kreativität

Nur das allein zählt, was sich unendlich, unbestimmt der ANALYSE entzieht- dieses Nichts, dieser Rest, diese äußerste Dezimale.

Paul Valéry

An welcher Stelle der Flüssigkeitsschicht setzt das Konvektionsgeschehen ein? Im Falle einer ideal gleichmä-ßigen Schicht wäre das System genauso blockiert wie Buridans Esel, der exakt in der Mitte zwischen zweiidentischen Heuhaufen verhungern müßte (Bild 10)9. Zum Glück ist das System ebenso wie der Esel in einem

derartigen labilen Gleichgewicht hochgradig sensitiv: Kleinste, zufallsbedingte Schwankungen reichen aus, dieSymmetrie zu brechen: In einem selbstverstärkenden Akt wird eine neue makroskopische Struktur hervorge-bracht, in der der Zufall gleichsam konserviert ist. Der Zufall muß daher als das kreative, von vornherein nichtbestimmbare Element der Strukturbildung angesehen werden. "Ein Lärmschauer, das kleine Zufallselement,transformiert ein System oder eine Ordnung in ein anders System, eine andere Ordnung" (Michel Serres [28]).

Eine solche Entstehung von Ordnung aus Schwankungen (l'ordre par fluctuations) ist nach Prigogine [26] einephysikalische Antwort auf die Frage, wie Neues entsteht, wie Innovation und Schöpfung einer physikalischenBeschreibung zugänglich werden. Dies ist bereits im Ansatz an einem so einfachen System wie der von untengeheizten Flüssigkeit erkennbar.

Nachdem das System aufgrund der Sensitivität unter Vermittlung des Zufalls hervorgebracht worden ist, zeich-net es sich durch eine auffällige Stabilität gegen jeden weiteren Einfluß zufälliger Störungen aus. Sensitivitätund Stabilität werden durch dieselbe Systemeigenschaft hervorgebracht, der Nichtlinearität. Sie besteht an-schaulich gesprochen darin, daß sich die die Konvektionsbewegungen antreibenden (Auftrieb) und dämpfenden"Kräfte" (innere Reibung) gegenseitig "überholen" und somit begrenzen können. Das ist möglich, weil Antriebund Dämpfung unterschiedlich "stark" mit der Geschwindigkeit der Rotationswirbel variieren. Die Dämpfungvariiert mit einer höheren Potenz der Geschwindigkeit (nichtlinear) als der Antrieb derart, daß bei niedrigenGeschwindigkeiten die zugeführte Energie vorwiegend dem Antrieb dient und eine Erhöhung der Geschwin-digkeit bedingt. Diese selbstverstärkende Geschwindigkeitszunahme kann nicht unbegrenzt weitergehen, weilgleichzeitig in noch stärkerem Maße die dem Antrieb entgegen wirkende Dämpfung wächst. Infolgedessenstellt sich schließlich eine stationäre Geschwindigkeit ein, bei der Antrieb und Dämpfung ein dynamischesGleichgewicht annehmen. Eine zufallsbedingte Zunahme der Geschwindigkeit über den stationären Wert hin-aus führt zu einer stärkeren Dämpfung, so daß dem System zusätzlich Energie entzogen wird, die zu einer Ab-nahme der Geschwindigkeit unter den stationären Wert führt. Dann überwiegt der Antrieb, so daß die Ge-schwindigkeit wieder zunimmt, mit der Folge, daß sie wieder abnimmt usw. (Bild 11).

Der darin zu erkennende Zirkel ist nicht vitiös, sondern - wie Francisco Varela es ausdrückt - virtuos, kreativ:Die Nichtlinearität durchbricht die Kausalität in ihrer primitiven Form einer starren Verkettung von Wirkun-

9 Dieses seit den Vorsokratikern diskutierte Problem erlangt hier erstmalig Bedeutung in einem physikalischen Kontext. Inder Göttlichen Komödie Dantes heißt es dazu: Zwischen zwei Speisen, lockend und entfernt/ auf gleiche Weise, stürb maneher Hungers, / als daß man EINE frei zum Munde führte. So stände auch, gehemmt von gleicher Angst,/ ein Lamm zwi-schen zwei gierig wilden Wölfen, und, so gehemmt, ein Hund zwischen zwei Hinden.

Bild 11: Exakt in der Mitte zwischen zwei Heuhaufen stehend wäre Buridans Esel verhungert, wenn die Symmetrie derSituation nicht durch eine kleine Fliege gebrochen worden wäre, die den Esel veranlaßt, sich einem bestimmten Haufen zu-zuwenden.

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gen und Ursachen und ersetzt sie durch eine zirkuläre Kausalität, wonach "jede Ursache... die Wirkung ihrereigenen Wirkung" (Ibn' Arabi) darstellt. Sie sorgt dafür, daß die gegeneinander wirkenden Kräfte sich nichteinfach in ihrer Wirkung aufheben, sondern eine neue Qualität hervorbringen. In einer solchen polaren Dyna-mik manifestiert sich ein wesentlicher Strukturzusammenhang der Natur, der seit Anaximander im naturphilo-sophischen Denken immer wieder von Bedeutung gewesen ist.

In einem größeren Zusammenhang gesehen, können die Konvektionswirbel als Metapher der Selbstorganisati-on in der Natur angesehen werden: "Der Wirbel ist nicht etwas Feststehendes, sondern beständig Wandelbaresaber in jedem Augenblick neu Reproduziertes. Kein Produkt in der Natur ist also fixiert, sondern in jedem Au-genblick durch die Kraft der ganzen Natur reproduziert" [29].

Chaotische Strukturen

Ist dies schon Tollheit, hat es doch Methode

William Shakespeare

Die Verhaltensmöglichkeiten unserer Flüssigkeitsschicht erschöpfen sich nicht in der Ausbildung eines geord-neten Musters. Erhöht man die Temperaturdifferenz durch fortgesetzte Steigerung der Energiezufuhr, so trittbei Erreichen eines weiteren kritischen Wertes ein erneuter Symmetriebruch auf. Die Konvektionszellen gera-ten in Unordnung, das gleichbleibende Muster bricht zusammen und wird durch ein ständiges Entstehen undVergehen von Rotationszellen ersetzt. Das einzig Gleichbleibende dieser Struktur ist die Veränderung.

Die Ursache für ein derartiges chaotisches Verhalten ist darin zu sehen, daß die Sensitivität nicht auf einenPunkt beschränkt ist, sondern längs der gesam-ten Trajektorie des Systems wirksam bleibt. Da-her wirken anders als im Bereich des regulärenVerhaltens die Einflüsse zufälliger Schwankun-gen nicht im Sinne eines Abbaus dieser Störun-gen auf die Anfangsbedingungen zurück, son-dern im Sinne einer Verstärkung, so daß sie dasSystemverhalten dominieren (Bild 12). Die Um-gebung "füttert" das System gewissermaßenständig mit neuen, vom Zufall bestimmten An-fangsbedingungen. Während der Zufall im Falleder Bénardzellen lediglich an der Entstehungder Struktur beteiligt ist, wirkt er nunmehrständig, was in den Strukturschwankungen zumAusdruck kommt. Zwar bleibt die Dynamik desSystems insofern deterministisch als sie durch

Differentialgleichungen eindeutig festgelegt wird. Da jedoch aufgrund der Sensitivität infinitesimale Unter-schiede in den Anfangsbedingungen nach kürzester Zeit zu völlig unterschiedlichen Bewegungsfiguren führen,schrumpft der Vorhersagehorizont auf irrelevant kleine Zeiträume.

Hier versagen selbst die Fähigkeiten des Laplaceschen Dämons, von dem man erwartet, daß er die Anfangsbe-dingungen beliebig genau festzulegen vermag. Denn es liegt in der nichtlinearen Natur der Sache, daß bei-spielsweise eine Verzehnfachung der Vorhersagezeit eine Steigerung der Genauigkeit der Anfangsbedingungenum den Faktor e10 ~ 22000 erforderlich machen würde. "Es bleibt bei völliger Ungewißheit, sie verringert sichnicht in dem Maß, in dem die Genauigkeit zunimmt. Damit ist der Laplacesche Dämon, der große Berechnerder Bahnen endlich tot, und zwar für immer, weil die Wissenschaft ihn getötet hat, die ihn erzeugte" [30].

Die nichtlineare Physik hat die darin enthaltene Herausforderung angenommen und kann bereits mit erstaunli-chen Ergebnissen aufwarten. Dies setzt allerdings erneut voraus, den physikalischen Blick zu ändern: DerStock muß am anderen Ende aufgenommen werden (Thomas S. Kuhn).

Bild 12: Sensitivität: In einem labilen Gleichgewicht reagiert dasSystem sensitiv auf kleine Störungen

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Die Attraktion im Zustandsraum

Die Attraktion scheint bei der leblosen Materie das zu sein, was die Selbstliebe bei der lebendigen ist

Georg Christoph Lichtenberg

Angesichts des irregulären Verhaltens chaotischer Systeme stellt sich die Frage, worin der Unterschied zu reinstochastischen Vorgängen besteht, die sich durch Strukturlosigkeit und Beliebigkeit jedem physikalisch zunennender Zugang entziehen. Läßt man beispielsweise die chaotischen Signale der Bénardkonvektion einigeZeit auf sich wirken (Bild 13), so ergeben sich so gut wie keine Anhaltspunkte für eine wie auch immer gear-tetete Regelmäßigkeit.

Betrachtet man jedoch das Verhaltendes Systems aus der Perspektive desZustandsraums10, in dem das Lang-zeitverhalten in komprimierter Formdargestellt wird, so offenbaren sichStrukturen, die in Verfolgung ein-zelner Trajektorien im Anschau-ungsraum nicht zu erkennen sind.So wird etwa im chaotischen Be-reich der Bénardkonvektion die Ro-tation - ausgedrückt durch die Win-kelgeschwindigkeit einer Konvekti-onswalze - durch ein völlig irregulä-res, nicht vorhersagbares Signalcharakterisiert (Bild14). Im Zu-standsraum des Systems erzeugt die-selbe Bewegung eine achterbahnar-tige Spur, die sich im unregelmäßi-gen Wechsel um zwei Fixpunkteherumwindet. Dieser sogenanntechaotische (Lorenz-) Attraktor istein für die chaotische Bénardkon-vektion typisches Gebilde.

Obwohl zur Beschreibung einesVielteilchensystems ein Zustands-raum mit einer astronomisch hohenDimension erforderlich ist, stellt derAttraktor ein ziemlich kompaktes,klar begrenztes, niedrigdimensio-nales Gebilde dar. Er zieht gewis-sermaßen das Systemverhalten anund beschränkt es auf ein kleinesGebiet im Zustandsraum. Darinkommt zum Ausdruck, daß zwareinzelne Bahnen (Trajektorien) desSystems nicht vorhersagbar sind,

wohl aber alle möglichen Bahnen zusammen: Im regulären wie im chaotischen Bereich kooperiert die großeZahl der Teilchen des Systems in einer sinnvollen Wechselwirkung und legt ein kollektives, in gewisser Weiseeinheitliches Verhalten an den Tag.

10Der Zustandsraum eines Systems ist ein abstrakter Raum, der durch einen Satz Systemvariablen aufgespanntwird. Im einfachsten Fall eines eindimensionalen Systems werden Ort und Geschwin-digkeit gegeneinanderaufgetragen.

Bild 13: Chaotisches Verhalten: Die Rotationsgeschwindigkeit der Konvekti-

Bild 14: Dasselbe Signal wie in Bild 13 dargestellt im dreidimensionalen x-y-Z-Zustandsraum des Systems (Zur besseren Orientierung ist die Projektion desAttraktors auf die x-y- Ebene mitgezeichnet). Weitere Einzelheiten in [24].

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Die endliche Dimension des Attraktors eröffnet überhaupt erst die Möglichkeit, ihn als einheitliches Ganzes zuerfassen und (mathematisch) zu behandeln. Der Unterschied zum regulären Verhalten des Systems besteht al-lerdings darin, daß es trotz dieser Beschränkung immer noch unendlich viele Verhaltensmöglichkeiten gibt, diesich in einer erstaunlichen Feinstruktur des Attraktors bemerkbar machen.

Der Lorenzattraktor stellt mit seinen Spiralen - an-schaulich gesprochen - nicht nur ein einfach gefaltetesBlatt im dreidimensionalen Raum dar, sondern offen-bart bei näherer Betrachtung ein ganzes System solcherBlätter. Es sind nicht weniger als unendlich viele. IvarEkeland erinnert der Lorenzattraktor an eine mythologi-sche Darstellung (Bild 15) [31]. Dabei handelt es sichum ein vierblättrigem Klee ähnliches Labyrinth, dessenBlätter nacheinander durchlaufen werden. Das Lorenz-system stellt so gesehen unendlichblättrigen Klee dar,dessen Blätter auf unvorhersehbare Weise durchlaufenwerden. Auf diesen unendlich vielen, unendlich dichtgepackten und daher als einheitliches Ganzes erschei-nenden Blättern steht wie in einem Buch die gesamteInformation des Systems geschrieben.

Solche vielblättrigen Gebilde nennt man Fraktale. Siestellen im Rahmen der fraktalen Geometrie ein mächti-ges Mittel dar, Objekte wie den Lorenzattraktor physi-kalisch in den Griff zu bekommen. Ob Jorge Luis Bor-ges mit seinem "Sandbuch" das Konzept des Fraktalswenigstens in metaphorischer Umschreibung vorweg-genommen hat? "Denn auch das Sandbuch hat wie der

Sand weder Anfang noch Ende... Er forderte mich auf, das erste Blatt zu suchen. Ich drückte die linke Handauf das Titelblatt und schlug das Buch auf, den Daumen fest an den Zeigefinger gepreßt. Alles war zwecklos:Immer schoben sich einige Blätter zwischen Titelblatt und Hand. Es war, als brächte das Buch sie hervor "[32].

Fraktale Geometrie der Natur Fraktal heißt...

das nichttopologische Moment einer Form

Norbert Bolz

Die Geometrisierung der Physik

Die physikalische Beschreibung nichtlinearer Phänomene hat den Blick von der numerischen Erfassung ein-zelner Bahnen (Trajektorien) auf die geometrischen Charakterisierung des Verhaltens aller möglichen Bahneneines nichtlinearen Systems gelenkt. Darin sollte keine Schwäche der nichtlinearen Physik gesehen werden,sondern ein typisches Merkmal der Beschaffenheit unserer Welt: Im Vordergrund steht nicht mehr ausschließ-lich die exakte, für alle Zeiten gültige, aber in vielen Fällen irreale Vorhersage von Ereignissen, sondern diefaktischen Offenheit und Freiheit von Entwicklungen insbesondere komplexer Systeme: "Das Chaos als verein-heitlichendes Element entspricht der Vorstellung von einer offenen, sich entwickelnden Welt, in der, um PaulValéry zu zitieren, 'die Zeit Konstruktion ist'" [34]. Mit anderen Worten: Chaotisches Verhalten wird nichtlänger als Grenze physikalischer Erkenntnis angesehen, sondern wird selbst zum Gegenstand der Erkenntnis.

In der Geometrisierung der Vorgänge wird wohl erstmalig das kreative Vermögen des Menschen zur Musterer-kennung explizit für die Forschung ausgenutzt mit dem Ergebnis, daß von "außen" betrachtet völlig irreguläreErscheinungen geordnete Strukturen offenbaren, die mit herkömmlichen Methoden nicht zu entdecken wären.Bei der Betrachtung dieser geometrischen Objekte gewinnt man nicht selten den Eindruck, daß die Natur eini-ge ihrer schönsten Muster für den Zustandsraum erschafft: Die Schönheit der Strukturen und ihr Gestaltreich-tum demonstrieren eindrücklich eine dem Chaos zugrundeliegende Ordnung. Die Chaosforschung ist dabei,diese Strukuren zu entschlüsseln und mit physikalischem Inhalt zu füllen.

Bild 15: Vierblättriger mythologischer Vorläufer des Lo-renzattraktors.

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Die Morphologie des Verhaltens

Figur = Bewegung -das ist das reinste morphologische Paradies

Paul Valéry

Die perspektivische Verschiebung der physikalischen Sehweise bei der Untersuchung nichtlinearer Systemevon der quantitativen Vorhersage hin zur geometrischen Charakterisierung eines Systems lenkt ganz allgemeindie Aufmerksamkeit auf die morphologische Beschaffenheit der Welt. Dabei werden erstaunliche strukturelleÄhnlichkeiten zwischen - wenn man so sagen darf - der Morphologie des Verhaltens der Systeme im Zustands-raum und dem äußeren Aussehen der Systeme erkennbar. Diese Ähnlichkeiten werden zunehmend als Anzei-chen für ähnliche Mechanismen erkannt, die einerseits dem Verhalten zugrundeliegen und andererseits zumjeweiligen Aussehen des Systems geführt haben.

Mathematische Grundlage für die Beschreibung morphologischer Aspekte von Systemen ist u.a. die von BenoîtMandelbrot so genannte fraktale Geometrie der Natur. Mit Hilfe der darin zentralen Größe der fraktalen Di-mension gelingt es, die euklidisch nicht mehr beschreibbare Komplexität von verästelten und verkrumpeltenStrukturen zu charakterisieren, wie sie sowohl beim zeitlichen Verhalten - beispielsweise in Form eines At-traktors - als auch bei der räumlichen Struktur eines Systems auftreten (vgl. [34] [35]).

Läßt man beispielsweise eine Flüssigkeit geringerer Viskosität eine Flüssigkeit höherer Viskosität durchdrin-gen [36], so erhält man eine mehr oder weniger stark verästelte Struktur (viskoses Verästeln) (Bild 16). Daran

ist zweierlei bemerkenswert. Er-stens: Je feiner die Verästelung ist,desto mehr ähnelt die Fläche desGebildes einer Linie. In Überein-stimmung mit diesem Eindruckermittelt man eine fraktale Dimen-sion zwischen 1 und 2, die somitdas Linienhafte einer Fläche bzw.Flächenhafte einer Linie quantita-tiv erfaßt. Zweitens: Obwohl derZufall bei der Ausbildung des kon-

kreten Musters eine entscheidende Rolle spielt und daher auch bei gleichen Bedingungen nie die gleichen Ge-bilde erhält, besteht zwischen ihnen eine erstaunliche morphologische Ähnlichkeit. Ebenso wie man auf einenBlick eine Buche von einer Eiche unterscheiden kann, gelingt es dem geschulten Blick auch bei viskosen Ver-ästelungen das jeweilige Flüssigkeitspaar zu erkennen. In der Struktur dieser fraktalen Gebilde offenbaren sichgewissermaßen die Entstehungsmechanismen.

Was hier als Kuriosität erscheinen mag, hat eine durchaus reale Bedeutung. Geht man nämlich davon aus, daßLebewesen durch die Oberflächen ihrer Zellen und Organe mit Energie und Stoffen versorgt werden, so erwar-tet man, daß die Stoffwechselintensität I (mit dem Stoffwechsel verbundener Energiestrom) proportional mitder Oberfläche bzw., da die dadurch zu versorgende Masse m proportional zum Volumen ist, I ~ m2/3 gilt.

Sorgfältige Messungen ergeben allerdings I ~ m3/4. Faßt manKörper oder Organe als Fraktale auf, so wird dieser merkwürdigeBefund verständlich. Denn wenn beispielsweise die Lunge oderder Darm (Bild 17) nicht einfach als volumenartiges Gebilde an-gesehen wird, das von einer Oberfläche begrenzt ist, sondern alsein hybrides Objekt zwischen Fläche und Volumen, so muß maneinen Exponenten zwischen 2/3 und 1 geradezu erwarten [35].Für diese Auffassung spricht u.a. die Tatsache, daß die Lungebzw. der Darm eines Menschen in einem relativ kleinen Volu-men eine Oberfläche von ca. 100 m2 bzw. 200 m2 unterbringt,ein Wert, der noch größer ausfallen würde, wenn man ein noch

feineres Meßverfahren zur Hand hätte.

Die Entstehung der viskosen Verästelungen aufgrund des Transports einer Flüssigkeit durch eine andere hin-durch legt außerdem nahe, daß auch die Morphologie der Organe durch Stoffwechselvorgänge mitbestimmtwerden, so wie umgekehrt der Stoffwechsel teilweise durch die Morphologie determiniert wird. Organe sind

Bild 16: Hele- Shaw- Flächenfraktale aufgrund der fingerartigen Durchdringungenzweier verschiedener viskoser Flüssigkeiten mit grober und filigraner Veräste-lungsstruktur.

Bild 17: Projektion des Darmsystems einesWurms. Die Ähnlichkeit mit viskosen Veräste-lungen ist frappierend.

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andererseits dissipative Strukturen, die in einem ständigen Auf und Abbau begriffen sind. Das verleiht ihneneine gewisse Fluidität und ermöglicht es ihnen, auf äußere Einflüsse (geänderte Umweltbedingungen) mit einerpassenden Form zu antworten. Hier zeigt sich eine tiefere Beziehung zwischen dem Verhalten bzw. der Funkti-on und der geometrischen Gestalt eines Systems. Dies ist nur einer der zahlreichen Aspekte, die die zukünftigeForschung im Bereich der nichtlinearen Physik und fraktalen Geometrie prägen werden.

Konsequenzen für den PhysikunterrichtDie Lockerung des Denkens scheint mir der größte Segen,

den die heutige Wissenschaft uns gebracht hat.Ist doch der Glaube an eine einzige Wahrheit

und die Überzeugung, deren einziger Besitzer zu sein,die tiefste Wurzel allen Übels in der Welt.

Max Born

Physiklernen als Lernen über Physik

Ausgehend von der Tatsache, daß sich die physikalische Erkenntnis nur auf quantifizierbare Aspekte der Weltbezieht, haben wir die Entwicklung der neuzeitlichen Physik bis in unsere Tage hinein als eine Abfolge vonperspektivischen Verschiebungen und den damit verbundenen Änderungen der physikalischen Sehweise be-schrieben. Dadurch wird nicht nur der üblichen Ansicht widersprochen, die Physik befinde sich auf dem Wegezu einer immer besseren Erkenntnis der Welt und zu einem endgültigen Wissen, sondern vor allem die Ein-sicht nahegelegt, daß es selbst im relativ eng begrenzten Erkenntnisbereich der Physik verschiedene Perspekti-ven mit unvergleichbaren und daher nicht gegeneinander auszuspielenden Erkenntnissen gibt. Das Bewußtseineines solchen Perspektivismus relativiert die Frage nach der Richtigkeit und Relevanz von Wissensbeständenund macht es leichter, mit verschiedenen physikalischen Entwürfen der Welt umzugehen. Im Hinblick auf denPhysikunterricht scheint mir dies der Rahmen zu sein, in dem alle anderen unterichtlichen Aktivitäten ihrenOrt und Stellenwert erhalten.

Erst in diesem Rahmen ist es u.a. möglich, die Beziehungen zwischen Physik und Realität in sinnvoller Weisezu organisieren. Indem die Schülerinnen und Schüler erfahren, daß physikalische Erkenntnisse nicht das Er-gebnis direkter Eindrücke aus der Lebenswelt sind, sondern nach Maßgabe genauer physikalischer Vorstellun-gen (Theorien) konstruiert werden, wird nicht länger die niemals einzulösende Erwartung aufgebaut, Physikund Common Sense müßten zur Deckung gebracht werden [38]: Nicht in der Beseitigung der Differenz zwi-schen beiden, sondern in der Wahrnehmung dieser Differenz kann so etwas wie physikalisches Verstehen zu-stande kommen. Den Problemen bei der Gestaltung des menschlichen Lebensraumes ist heute nicht mehr aus-schließlich mit Mitteln des Common Sense, jener nivillierenden "gemeinen Sense" (Oskar Pastior), beizukom-men. Im Gegenteil: Der an das Durchwursteln glaubende Common sense immunisiert die Menschen gegen ak-tives Handeln (Hans Magnus Enzensberger). Diese Einsicht muß als wesentliches übergeordnetes Lernziel desPhysikunterrichts angesehen werden. Paradoxerweise läßt es sich jedoch ohne Common Sense nicht erreichen.Im Physikunterricht muß daher mehr über Physik gesprochen werden [39].

Physik und Lebenswelt

Diese Forderung bleibt nicht ohne Auswirkungen auf den naturwissenschaftlichen Unterricht selbst. In demMaße, wie die naturwissenschaftliche Technik unseren Alltag bestimmt, muß wenigstens exemplarisch gelerntwerden, wie naturwissenschaftliche Prinzipien auf typische Bereiche des Alltags angewendet werden11. Dies istschwieriger als normalerweise unterstellt wird, weil dabei die Differenz zwischen Lebenswelt und Naturwissen-schaft in konkreter Weise ins Spiel kommt. Denn die Alltagsgegenstände haben beispielsweise den physikali-schen Aspekt nicht gleichsam ablesbar an sich [40]. Er muß ihnen erst einmal abgerungen werden. Dabeireicht das im Physikunterricht häufig praktizierte Verfahren, von einem technischen Gegenstand, etwa demStaubsauger, auszugehen und fünf Minuten später bereits über das Induktionsgesetz zu sprechen, bei weitemnicht aus. Hinzu kommt, daß sich in komplexen Alltagssituationen aus physikalischer Sicht oft Fragen ergeben,die in einer rein physikalischen Experimentalsituation gar nicht auftreten. Man denke beispielsweise an die

11: Heinz Muckenfuß hat diesen Aspekt einer eingehenden Untersuchung unterzogen. Dabei steht insbesonderedie sinnstiftende Funktion von Alltagssituationen im Physikunterrichts im Vordergrund [37].

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Frage, warum man in der Sauna nicht aber in der Badewanne eine Temperatur von 100 Grad einige Zeit zu er-tragen vermag.

Wiederannäherung an die "irdische" Komplexität

Von aktueller Bedeutung auch und gerade hinsichtlich der Übertragung naturwissenschaftlicher Prinzipien aufdie uns umgebende Welt scheinen mir die Erkenntnisse der nichtlinearen Physik und der fraktalen Geometriezu sein. Nicht nur, daß ihre unterrichtliche Erschließung die Möglichkeit bietet, die Schulphysik wieder in einegrößere Nähe zur Forschung zu bringen (die Blütezeit der klassischen Physik liegt weit über 100 Jahre zurück).Da sich die nichtlineare Physik vor allem auf die Erfassung komplexer Zusammenhänge bezieht, erscheinen sieaußerdem eher geeignet, auf die Umwelt der Lernenden angewendet zu werden, als von der klassischen Physikerwartet werden kann.

Während Prigogine zufolge in der klassischen Physik "die Kluft zwischen einem Universum, das als ein Auto-mat beschrieben wird, und dem Menschen mit seiner Geschichte und seiner Kreativität.. durch nichts zu über-brücken" ist [33], bietet die nichtlineare Physik die Chance, näher an die Dinge heranzukommen, so wie siesind. Der damit verbundene Preis einer eingeschränkten Vorhersagbarkeit des Verhaltens der Systeme solltem.E. jedoch nicht überschätzt werden.

Da ich mir der Tragweite dieser heute noch zumindest mit Skepsis angesehenen Aussagen bewußt bin, möchteich als Anwalt Sir James Lighthill zitieren, der 1986 als Präsident der International Union of Theoretical andApplied Mechanics, feierlich erklärte: "Wir sind unsheute sehr der Tatsache bewußt, daß die Begeiste-rung, die unsere Vorgänger für den phantastischenErfolg der Newtonschen Mechanik empfanden, sieauf diesem Gebiet der Vorhersagbarkeit zu Verall-gemeinerungen verleitet hat, an die wir vor 1960möglicherweise allgemein geglaubt haben. Wirmöchten uns gemeinsam dafür entschuldigen, daßwir das gebildete Publikum in die Irre geführt haben,indem wir bezüglich des Determinismus von Syste-men, die Newtonschen Bewegungsgesetzen genügen,Ideen verbreitet haben, die sich nach 1960 als inkor-rekt erwiesen haben" [41].

Zum Schluß möchte ich feststellen, daß die Natur-wissenschaftler in unseren Tagen beginnen, von derlinearen Urwerkwelt, in der die absolute Erkennbar-keit und Vorhersagbarkeit zumindest im Prinzip vor-ausgesetzt wird, zu verabschieden. Sie sehen dieWelt ein bißchen mehr aus der Perspektive des"richtigen" Lebens. In dieser Situation des Umbruchs sollte die Schule die Chance zu einer Diskussion mit demZiel einer grundlegenden Erneuerung des Physik und allgemein des naturwissenschaftlichen Unterrichts nut-zen.

Literatur[1] Kuhn, T. S.: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Frankfurt: Suhrkamp 1973.

[2] Gregory, R.L., Wallace, J.G.: Recovery from Early Blindness: A Case Study, in Tibbets, P. (Hrsg.): Perception. NewYork: Quadrangle/ New York Times Book 1969.

[3] Deregowsky, J.: Pictorial Perception and Culture. In: Image, Object, and Illusion. San Francisco: Freeman 1974, Kap. 8;z.n. Zajonc, A.: Die gemeinsame Geschichte von Licht und Bewußtsein. Reinbek: Rowohlt 1994., S.83.

[4] Panofsky, E.: Die Perspektive als symbolische Form. In: Hessling, B.: Die Perspektive als 'symbolische Form'. Berlin1964, S. 99ff.

[5] Adorno, Th. W.: Ohne Leitbild. Parva Aesthetica. Suhrkamp 1967, S. 131.

[6] Malerba, L.: Die nachdenklichen Hühner. Frankfurt: Fischer 1991, S. 59.

Bild 18: Auflösung des in Bild 1 aufgegebenen Rätsels. ImKontext fällt es leicht, den Kopf einer Kuh zu erkennen.

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[7] Schlichting, H.J.: Physik - eine Perspektive der Realität. Probleme des Physikunterrichts. Physik in der Schule. ZurVeröffentlichung.

[8] Wittgenstein, L.: Bemerkungen über Farben. Über Gewißheit. Zettel. Vermischte Bemerkungen. Frankfurt: Suhrkamp1973, S. 475.

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[10] H. J. Schlichting. Naturwissenschaft zwischen Zufall und Notwendigkeit. Praxis der Naturwissenschaften Physik 42/1,35, (1993).

[11] Ekeland, I.: Das Vorhersehbare und das Unvorhersehbare. Berlin: Ullstein 1989, S.36.

[12] Leibniz, G.W.: Principes de la Nature et de la Grace, fondées en raison. In: Gerhardt, C.J. (Hrsg.): Die philosophischenSchriften von Gottfried Wilhelm Leibniz. Hildesheim 1961, 6:604.

[13] Valéry, P.: Cahiers/Hefte. Frankfurt: Fischer 1988.

[14] H. J. Schlichting: Galilei und der physikalische Blick. Physik in der Schule 32/4, 154 (1994).

[15] Heisenberg, W.: Physik und Philosophie. Berlin: Ullstein 1977, S. 40.

[16] Flusser, V.: Nachgeschichten. Düsseldorf: Bollmann 1990.

[17] Lichtenberg, G. Chr. : Sudelbücher. München: Hanser 1968.

[18] H. Helmholtz: Wirbelstürme und Gewitter. In: Vorträge und Reden, Bd. 2. Braunschweig: Vieweg 1896, S. 37ff.

[19] Richter, H.P., Scholz, H.J.: Der goldene Schnitt in der Natur. In: Küppers, B.O. (Hrsg.): Ordnung aus dem Chaos.München: Piper 1987.

[20] Wisdom, J.: Chaotic behavior in the solar system. Proc. Roy. Soc. London 413 A, 109 (1987).

[21] Laskar, J., Froeschlé, C.: Le Chaos dans le système solaire. La Recherche 232/22, 572 (1991).

[22] M. Born: Physik im Wandel meiner Zeit. Braunschweig: Vieweg 1966, S.161.

[23] Schlichting, H.J: Energie, Entropie, Synergie Ein Zugang zur nichtlinearen Physik. Der mathematische und naturwis-senschaftliche Unterricht 46/3, 138 (1993).

[24] Schlichting, H.J.: Strukturen im Chaos. Einfache Systeme als Zugang zu einem neuen Forschungsbereich der Physik.Physica didactica 18/1, 14 (1991).

[25] Schlichting, H.J.: Prozeß und Struktur. Probleme der Selbstorganisation im Bereich der unbelebten Natur. Physik inder Schule 32/11, 392 u. 32/12, 430 (1994).

[26] Prigogine I., Stengers, I.: Dialog mit der Natur. Müchen: Piper 1983, S. 147 ff.

[27] Schlichting, H.J., Backhaus, U., Küpker, H.G.: Chaos beim Wasserrad - ein einfaches mechanisches Modell für dasLorenz-System. Physik und Didaktik 3, 196 (1991).

[28] Serres, M.: Der Parasit. Frankfurt: Suhrkamp 1984, S.

[29] Schelling, F.W.J.: Werke III. Stuttgart etc.: Cotta 1856, S. 18.

[30] Prigogine, I., Stengers, I., Pahaut, S.: Die Dynamik- von Leibniz zu Lukrez. In: Prigogine et al. : Anfänge. Berlin: Mer-ve 1991, S. 54.

[31] Ekeland, I.: Zufall, Glück und Chaos. München: Hanser 1992, S. 125.

[32] Borges, J.L.: Die zwei Labyrinthe. München: Hanser 1986.

[33] Prigogine, I., Stengers, I.: Das Paradox der Zeit. Zeit Chaos und Quanten. München: Piper 1993.

[34] Schlichting, H.J.: Schöne fraktale Welt. Annäherungen an ein neues Konzept der Naturwissenschaften. Der mathema-tische und naturwissenschaftliche Unterricht 45, 202 (1992).

[35] Schlichting, H.J.: Auf der Grenze liegen immer die seltsamsten Geschöpfe. Nichtlineare Systeme aus der Perspektiveihrer fraktalen Grenzen. Der mathematische und naturwissenschaftliche Unterricht 47/8, 451 (1994).

[36] Schlichting, H.J.: Fraktales Wachstum am Beispiel der fingerartigen Durchdringung zweier Flüssigkeiten. Physik inder Schule 31/3, 113 (1993).

[37] Muckenfuß, H.: Lernen im sinnstiftenden Kontext. zur Veröffentlichung.

[38] Jung, W.: Was heißt Physiklernen?. In: Ewers (Hrsg.): Naturwissenschaftliche Didaktik zwischen Kritik und Kon-struktion. Weinheim: Beltz 1975, S. 139.

[39] Wagenschein, M.: Erwiederung auf W. Kroebels Kritik an meinen Vorschlaägen zum Physikunterricht. In: MNU 21(1968) 11, S. 374-ff.

[40] Redeker, B.: Zur Sache des Lernens am Beispiel des Physiklernens. Braunschweig: Westermann 1992.

[41] Lighthill, J.: The Recently Recognized Failure of Predictability in Newtonian Dynamics. Proc. Roy. Soc. London A407, 35 (1986). �