essay - der ortswechsel

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Deutschlandfunk – Essay und Diskurs Beitrag vom 09.03.2014 09:30 Uhr URL dieser Seite: http://www.deutschlandfunk.de/ortswechsel-der-umzug-oder-alles-muss- weg.1184.de.html?dram:article_id=277753 Ortswechsel - Der Umzug, oder: Alles muss weg Von Johannes Ullmaier Ich muss umziehen. Alles, was hier steht, muss weg. Ding für Ding. Bis dann und dann. Da und da hin. Die Zukunftsmenschen haben keine Dinge mehr. Ich dafür umso mehr. Vor allem Bücher, Schallplatten und DVDs. Vergangenheit. Ich muss umziehen. Alles, was hier steht, muss weg. Nichts darf bleiben, wo es ist. Die Dinge nicht. Und ich nicht. Bis dann und dann müssen wir weg sein. Ding für Ding. Ich inklusive. Was immer hier nicht Boden, Wand und Decke ist, es muss von hier nach anderswo. Einzeln und in der Gesamtheit. In der kurzen Zeit, die bis zum Wegseinmüssen bleibt, muss ich mich mit meinen Dingen auseinandersetzen. Über alles muss entschieden werden. Und das Urteil muss am Ende immer gleich sein: Weg! Weg mit mir. Weg zu anderen. Oder weg in den Müll. Und je mehr Dinge, und je kürzer die Zeit, desto kruder das Gericht. Der Umzug macht mich zum Standrichter über meine Dinge. Unfreiwillig. Wie der Umzug selbst. Doch ich darf nicht klagen. Eigenbedarfskündigung hin oder her. Druck zu spüren, weil ich zu viele Dinge in zu kurzer Zeit bewegen muss, zeigt doch bloß, wie privilegiert ich bin: Wie viele Menschen haben überhaupt keine Bleibe, weder eine alte noch eine neue. Wie viele werden gekündigt, ausquartiert, vertrieben - ohne Aussicht auf ein neues Heim. Und wie viele haben keine Dinge oder so wenige, dass sie kaum ins Gewicht fallen. Wie viele schließlich können sich, mit oder ohne Dinge, gar nicht selbst bewegen, weil sie zu alt, krank oder eingesperrt sind. Jeder Umzug ist dagegen schon ein Privileg. Ob gewollter oder Zwangsumzug, Zusammenziehen oder Trennung, ob allein, als Paar, Familie oder Gruppe, ob über den Ozean oder ins Nachbarhaus, ob die neue Bleibe größer oder kleiner, teurer oder billiger, schöner oder hässlicher ist. Überhaupt umziehen zu können, ist schon Luxus. Alle Probleme, die man dabei haben kann, sind Luxusprobleme. Umzugsgejammer ist Luxusgejammer. So wie ein guter Teil des bürgerlichen Feuilletons, der bürgerlichen Gegenwartskultur, der bürgerlichen Wirtschaftsseiten, Talkshows, Sachbuch-Bestseller und Online-Diskussionen auch. Aber was ändert das? Schließlich bin ich selber schuld, dass ich so viele Dinge habe. Geschenkte, gekaufte, gefundene, geerbte. Mehr als zum Überleben nötig. Sehr viel mehr. Dieses Mehr ist meine Schuld. Die jeweils aktuelle Summe aus der Schuld des Inbesitznehmens von Dingen. Plus der Schuld des Sie-Behaltens. Durch den Zuwachs werde ich nach und nach zum Esel meiner Dinge. Um beim Umzug plötzlich die gesamte Schuldenlast auf meinem Rücken zu verspüren. Und unter ihr zu ächzen. Doch darüber jammern? Nein, das wäre paradox. Jammern könnte ich allenfalls darüber, dass ich nicht mal jammern darf. Weil ich ja selber schuld bin. Larmoyantes Selbstmitleid ob eigener Schuld. Auch damit wäre ich freilich nicht allein, sondern durchaus im Trend. Und in illustrer Gesellschaft. Hilft jetzt aber alles nichts. Denn egal wie tapfer oder wehleidig ich bin. Die Dinge müssen fort. So oder so. Jede Minute, die ich nicht schon plane, sichte, rubriziere, aussortiere, etikettiere, prospektiere, organisiere, vorpacke und zwischenstaple, ist verloren. Erhöht den Druck. Bringt mich näher an die Katastrophe. An den Umzugs-GAU. Dass der Umzugswagen kommt, der Eigentümer vor der Tür steht, zum Termin - und nichts ist fertig, nichts ist klar. Was soll wohin? Was kommt zuerst? Was passt in welche Kiste? Wie viele Kisten werden gebraucht? Warum steht das hier noch rum? Was ist mit dem da? Und mit dem da? Und mit dem? Ich weiß es nicht. Ich kann nicht

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Der Ortswechsel - Essay

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  • Deutschlandfunk Essay und Diskurs Beitrag vom 09.03.2014 09:30 Uhr

    URL dieser Seite: http://www.deutschlandfunk.de/ortswechsel-der-umzug-oder-alles-muss-weg.1184.de.html?dram:article_id=277753

    Ortswechsel - Der Umzug, oder: Alles muss weg Von Johannes Ullmaier

    Ich muss umziehen. Alles, was hier steht, muss weg. Ding fr Ding. Bis dann und dann. Da und da hin. Die Zukunftsmenschen haben keine Dinge mehr. Ich dafr umso mehr. Vor allem Bcher, Schallplatten und DVDs. Vergangenheit.

    Ich muss umziehen. Alles, was hier steht, muss weg. Nichts darf bleiben, wo es ist. Die Dinge nicht. Und ich nicht. Bis dann und dann mssen wir weg sein. Ding fr Ding. Ich inklusive. Was immer hier nicht Boden, Wand und Decke ist, es muss von hier nach anderswo. Einzeln und in der Gesamtheit. In der kurzen Zeit, die bis zum Wegseinmssen bleibt, muss ich mich mit meinen Dingen auseinandersetzen. ber alles muss entschieden werden. Und das Urteil muss am Ende immer gleich sein: Weg! Weg mit mir. Weg zu anderen. Oder weg in den Mll. Und je mehr Dinge, und je krzer die Zeit, desto kruder das Gericht. Der Umzug macht mich zum Standrichter ber meine Dinge. Unfreiwillig. Wie der Umzug selbst.

    Doch ich darf nicht klagen. Eigenbedarfskndigung hin oder her. Druck zu spren, weil ich zu viele Dinge in zu kurzer Zeit bewegen muss, zeigt doch blo, wie privilegiert ich bin: Wie viele Menschen haben berhaupt keine Bleibe, weder eine alte noch eine neue. Wie viele werden gekndigt, ausquartiert, vertrieben - ohne Aussicht auf ein neues Heim. Und wie viele haben keine Dinge oder so wenige, dass sie kaum ins Gewicht fallen. Wie viele schlielich knnen sich, mit oder ohne Dinge, gar nicht selbst bewegen, weil sie zu alt, krank oder eingesperrt sind. Jeder Umzug ist dagegen schon ein Privileg. Ob gewollter oder Zwangsumzug, Zusammenziehen oder Trennung, ob allein, als Paar, Familie oder Gruppe, ob ber den Ozean oder ins Nachbarhaus, ob die neue Bleibe grer oder kleiner, teurer oder billiger, schner oder hsslicher ist. berhaupt umziehen zu knnen, ist schon Luxus. Alle Probleme, die man dabei haben kann, sind Luxusprobleme. Umzugsgejammer ist Luxusgejammer.

    So wie ein guter Teil des brgerlichen Feuilletons, der brgerlichen Gegenwartskultur, der brgerlichen Wirtschaftsseiten, Talkshows, Sachbuch-Bestseller und Online-Diskussionen auch.

    Aber was ndert das? Schlielich bin ich selber schuld, dass ich so viele Dinge habe. Geschenkte, gekaufte, gefundene, geerbte. Mehr als zum berleben ntig. Sehr viel mehr. Dieses Mehr ist meine Schuld. Die jeweils aktuelle Summe aus der Schuld des Inbesitznehmens von Dingen. Plus der Schuld des Sie-Behaltens. Durch den Zuwachs werde ich nach und nach zum Esel meiner Dinge. Um beim Umzug pltzlich die gesamte Schuldenlast auf meinem Rcken zu verspren. Und unter ihr zu chzen. Doch darber jammern? Nein, das wre paradox. Jammern knnte ich allenfalls darber, dass ich nicht mal jammern darf. Weil ich ja selber schuld bin.

    Larmoyantes Selbstmitleid ob eigener Schuld. Auch damit wre ich freilich nicht allein, sondern durchaus im Trend. Und in illustrer Gesellschaft.

    Hilft jetzt aber alles nichts. Denn egal wie tapfer oder wehleidig ich bin. Die Dinge mssen fort. So oder so. Jede Minute, die ich nicht schon plane, sichte, rubriziere, aussortiere, etikettiere, prospektiere, organisiere, vorpacke und zwischenstaple, ist verloren. Erhht den Druck. Bringt mich nher an die Katastrophe. An den Umzugs-GAU. Dass der Umzugswagen kommt, der Eigentmer vor der Tr steht, zum Termin - und nichts ist fertig, nichts ist klar. Was soll wohin? Was kommt zuerst? Was passt in welche Kiste? Wie viele Kisten werden gebraucht? Warum steht das hier noch rum? Was ist mit dem da? Und mit dem da? Und mit dem? Ich wei es nicht. Ich kann nicht

  • mehr. Ich liege im Chaos. Auf dem Bauch. Es tut mir leid, Herr Eigentmer. Werfen Sie mich bitte mit in den Container. Nichts fr ungut.

    Besitzfesseln am Bein

    Dann doch lieber gleich den Sperrmll rufen. Einfach alles auf die Strae. Weg damit. Was immer es auch sei. Egal. Nur leichter werden. Mich befreien. Von dieser Dingkugel. Besitzfessel am Bein. Ich gehe jetzt. Auf Nimmerwiedersehen.

    Ich gehe jetzt spazieren.

    bersprungs- und Panikfantasien, sicher. Denn sowie ich mich nur umsehe, fallen mir sofort Dinge in die Augen, die ich ungern missen wrde. Schne Dinge, ntzliche Dinge, Dinge voller Erinnerungen.

    Die mir viel zu wichtig sind, um sie nicht mitnehmen zu wollen.

    Das Problem sind weniger die einzelnen Dinge als ihre Totalitt. Die ich nicht mehr heben, nicht mehr stemmen kann. Und die ich so nie intendiert habe. Denn bekommen oder aufgehoben hab ich schlielich jedes Ding fr sich. Nicht deren Gesamtheit. Die hat sich heimlich aufaddiert. Sich quasi hinter meinem Rcken aufgetrmt. Bei jedem Einzelding kann ich erklren, warum es da ist. Sehe mich auch nicht als Messie. Fr das Ganze fllt mir das dagegen schwer. Vor allem jetzt, wo es bewegt sein will. Der Umzug malt ein dickes Minus vor die Summe meiner Dinge. Eine Summe, die ich so nie wollte.

    Ausreden. Natrlich wollte ich auch die Summe. Nicht als ob ich jedes Ding stets parallel benutzen knnte, alle Teller, Bcher, Hosen gleichzeitig. Doch geniee ich die Mannigfaltigkeit des Mglichen, die ihr Hiersein mit sich bringt. Den Luxus ihrer Potenzialitt.

    Aber genau da liegt der Fehler. Denn die Potenzialitt ist virtuell. Die Dinge aber sind real. Das ungelesene Buch im Schrank ist ein Versprechen. Doch einen Schrank voll ungelesener Bcher x-mal umzuziehen und dann zu sterben, ist absurd. Etwas fr Sisyphos. Fr einen Masochisten seiner Mglichkeiten. Aber nicht fr mich.

    Also weg mit all den sowieso nie mehr getragenen, egal wie feinen Hemden. Weg mit dem nur alle Jubeljahre benutzten, egal wie festlichen Fondue. Weg auch mit den alten Unterlagen, die ich blo aus Angst aufhebe. Knnte noch mal wichtig werden. Knnte noch mal Freude machen. Jedes Knnte ein Kilo. Und jedes Kilo zu viel. Wer das wie ich zu spt kapiert, ist irgendwann verloren. Wird zum Idioten seiner Dinge. Smarte Leute kontrollieren deren Zu- und Abfluss so, dass sie beim Wohnen nie zu wenig und beim Umzug nie zu viel haben.

    Wohlverdiente Strafarbeit fr berbordenden Besitz

    Naja, die wirklich smarten Leute passen eher auf, so wohlhabend zu sein, dass ihnen solche Mittelschichts-Weisheiten wurscht sein drfen. Denn so wie der Umzugsstress von unten aus gesehen ein Luxus ist, die wohlverdiente Strafarbeit fr berbordenden Besitz, wirkt er von oben her betrachtet lcherlich.

    Dass jemandem seine Behausung nicht gehrt. Dass man nicht mehrere Huser oder Wohnungen zur Auswahl hat. Dass diese Unterknfte nicht beliebig viele Dinge fassen. Dass man unfreiwillig umziehen muss. Und diesen Umzug mglichst sparsam angehen. Ohne alles blitzblank schlsselfertig vorzufinden.

  • Aus der Sicht des aktuellen Neofeudalismus klingt das alles wie ein blder Witz. Warum ist der Depp nicht einfach reich genug, dass er sich sein Rsonieren schenken und so viele Dinge horten oder transportieren kann, wie oder wohin er will? Wo ist das Problem?

    So gesehen lge meine Schuld blo im Budgetmangel. Nicht in irgendeinem Dingverhltnis. Zu viele Dinge zu besitzen, ist in der allgemeinen Klassenideologie der Gegenwart ein Vorwurf an die Mittelklasse abwrts.

    Entsprechend wird die dynastisch angeschwollene Bibliothek des Adelssprsslings als natrliche Gegebenheit, als Ausdruck seines Stands bestaunt. So wie der bombastische Oldtimer- oder Skulpturenpark des Oligarchen. Whrend der Bafg-Bezieher umgekehrt bereits als Sonderling erscheint, wenn sich in seiner Mini-Bude mehr als hundert Bcher stapeln. Und selbst der ttenberpackte Obdachlose Argwohn weckt: Was fllt ihm ein, dass er so viele Tten hat?

    Was fllt mir ein, dass ich so viele Dinge habe?

    Schleppen knnen oder schleppen lassen knnen. Das ist hier die Frage.

    Die Masse meiner Dinge nimmt mit der Zeit fast automatisch zu

    Freilich wird mir diese Klassenlage auch erst jetzt bewusst. Wo sie mich direkt betrifft. Solange ich mich und meine Dinge nicht bewegen musste, fhlte ich mich einfach "klassenlos". "Normal." So wie die ganze unbewegte Mittelschicht.

    Dabei gibt es in Umzugsdingen keine Norm. Hchstens einen Term mit vielen Variablen. Wovon Reichtum sicher eine ist. Eine andere wre: Alter.

    Als Kind ist man noch selber eher ein Ding. Wird angezogen. Ausgezogen. Und gegebenenfalls auch umgezogen. Erst in dem Ma, wie man autonom wird, bernimmt man auch beim Umziehen selber die Regie. Manche frher, manche spter. Manche nie. Was wiederum von zwei kontrren Variablen abhngt: der Verwurzelung und dem Fernweh.

    Einerseits: Was hlt mich? Tradition? Familie, Liebe, Freunde, Landschaft? Der Hof, die Firma, das Schloss? Heimatglck, Gewohnheit, Angst oder Bequemlichkeit? Oder vielleicht doch - nichts?

    Andererseits: Was drngt mich fort? Enge, Langeweile, Horror? Ein Ausbildungs- oder Berufsziel? Hoffnung auf Abenteuer, Autonomie und fernes Glck? Oder vielleicht doch - nichts?

    Je nachdem, wo und wie ich auf die Welt komme, werde ich entweder stndig, manchmal oder nie umziehen. Und meine Dinge also stndig, manchmal oder nie bewegen mssen. Was nicht ohne Einfluss auf mein Dingverhltnis bleiben wird. Denn je hufiger ich weg will oder muss, desto weniger werde ich zu schleppen haben wollen.

    Unabhngig davon aber nimmt die Masse meiner Dinge mit der Zeit fast automatisch zu.

    Ausnahmen sind Krieg und Katastrophen, Diebstahl und Verlust. Oder ein Habitus des konsequenten Austauschens und Ausrangierens. Hans im Glck. Blo ohne Glck.

    Meistens aber kreuzen sich auf Dauer zwei Tendenzen:

    Das Gewicht des zu Bewegenden wchst an.

    Und die verfgbare Bewegungsenergie nimmt ab.

  • Beim Studentenumzug merke ich noch gar nichts. So schwerelos und stark bin ich. So leicht meine paar Dinge. Und so stark und zahlreich meine Freunde und Helfer.

    Doch mit jedem weiteren Umzug wird es schwerer. Alles: Ich. Die Dinge. Und das Akquirieren der Helfer. Die selbst immer schwerer werden.

    Oder teurer.

    Beim letzten Umzug nehmen alle gleich viel mit

    Frher oder spter ist der Punkt erreicht, wo ich nicht mehr selber umziehen kann. Nur noch umgezogen werden.

    Wie als Kind.

    Was dann noch an Dingen mitkommt, hngt zwar wieder stark vom Umfeld und Budget ab. Aber die Tendenz ist klar.

    Beim letzten Umzug nehmen alle gleich viel mit.

    So weit bin ich aber jetzt noch nicht. Sondern offenbar knapp vor oder knapp nach dem Punkt des Nicht-Mehr-Umziehen-Knnens. Oder Nicht-Mehr-Umziehen-Wollens. Was in unserer flexiblen Turbowelt natrlich einer Kapitulation gleichkme. Einem Offenbarungseid. Immobil zu sein. Verrostet. Kraftlos. Fett.

    Und was ich mir auch gar nicht leisten kann. Denn wer kein Eigenheim bewohnt, muss umzugsfhig sein. Sich am besten immer stets von vornherein und permanent gleich wieder auszugsfertig einrichten.

    Mglichst viel gar nicht erst auspacken. Sondern lieber alles in den Umzugskisten lassen. Die Gerte in den Originalverpackungen. Die Instrumente in den Koffern. Und die Bcher eingeschweit.

    Wer das nicht tut, wer sich zu sehr verstrmt, verankert, installiert, wer seine Dinge allzu innige Symbiosen mit der Wohnung eingehen lsst, den ereilt der nchste Umzug wie die Nemesis. Als Rache fr die Hybris unzulssiger Verwurzelung und Provisoriumsvergessenheit.

    Also Leinen los und auf, ihr Dinge! Alle mir nach!

    Doch die Dinge wollen mir nicht folgen. Stellen sich stur. Ihre Trgheit, die beim Wohnen fr mich war, kehrt sich beim Umzug gegen mich. Zu spt begreife ich das Selbstverstndliche: Dass mit den Dingen wohnen heit, sie einzeln bewegen zu knnen. Whrend mit ihnen umziehen heit, sie alle bewegen zu mssen. Beim Wohnen kontrolliere ich sie. Beim Umzug kontrollieren sie mich.

    Die Dinge machen also, was sie wollen.

    Und das Einzige, was sie von sich aus wollen, ist: kippen, fallen, durcheinanderkommen.

    Ich greife eine Handvoll Bcher aus der Reihe im Regal. Will sie in die Kiste packen. Doch der Rest der Reihe kippt zur Seite. Ich versuche, ihn mit der zweiten Hand zu stabilisieren. Komme knapp zu spt. Einzelne Bcher fallen vorn aus dem Regal. Manche auf den Boden, manche in die Kiste. Ich bcke mich, um sie zu ordnen. Dabei fallen mir die Bcher aus der ersten Hand. Und weitere aus dem Regal. Mir auf den Kopf. Alles ist unten. Alles durcheinander. Einiges zerdetscht. Hinknien. Aufsammeln. Retten, was zu retten ist.

  • Die Dinge nutzen jede Mglichkeit, mir klarzumachen, dass ich selber auch ein Ding bin.

    Jetzt die nchste Bcherreihe. Auch sie will fallen. ALLES WILL FALLEN. Alles will ins maximale Chaos.

    Selbstverstmmelung

    Der Gott der Dinge ist die Entropie. Ihr gehorchen sie. Ihr wollen sie sich opfern. Doch diesmal hindere ich sie. Besiege ihren Gott.

    Und will doch selber fallen.

    Und bin doch selber durcheinander.

    Meine ganze Energie wird jetzt dafr gebraucht, die eigene Huslichkeit zu demolieren. Sie in eine Unbehaustheit, eine Kisten- und Verpackungshlle zu verwandeln. Und das alles blo, um irgendwann wieder zum Ausgangspunkt zurckzukehren. Aus dem Minus bestenfalls wieder auf Null zu kommen.

    Gelingen kann das nicht. Es gibt Verluste. Abhngig von Hast und Ungeschicklichkeit und Pech. Zerbrochenes, Zerrissenes, Zersplittertes, Zerknittertes.

    Ruinen des passiven Dingwiderstands.

    Und naturgem sind es die zarteren Dinge, die vor der Totalmobilmachung als erste desertieren.

    Durch Selbstverstmmelungen.

    Die sie sich durch mich zufgen.

    Alle meine Ordnungen geraten durcheinander. Aber schlimmer noch: Auch alle meine Unordnungen mssen geordnet werden. Die Stapel des Aufgeschlagenen, Abgelegten, Angelagerten. Fr andere schiere Schlamperei. Fr mich jedoch fragile Sedimentschichten des mehr oder weniger Prsenten, Anliegenden, Noch-Nicht- bzw. Nie-Ganz-Wegzurumenden. Die intuitiv gewachsene Greifbarkeits- und Abstandsordnung meiner Dinge.

    Die mit deren Anzahl und dem Raum - oder besser: den Rumen, wo sie sich verteilen, zunehmend komplex geworden ist. Und gleichzeitig im Zuge der Gewhnung nach und nach aus meinem Kopf in meine Krperautomatik ausgelagert wurde. Deshalb wei ich davon gar nicht viel. Doch meine Schritte, Griffe, Wunschroutinen finden - oder besser: fanden sich durchaus darin zurecht.

    In welchem Kchenschrank steht also welcher Topf? Wo ist der se Senf? Und wo der scharfe? So weit weg? Wieso?

    Schwer zu erklren.

    Wo ist der vorvorletzte Bankauszug?

    Da irgendwo.

    Wo irgendwo?

    Moment, ich muss kurz selber gucken.

    Chaos?

  • Sicher. Aber doch mein Chaos.

    Bitte nicht berhren.

    Der Umzug wird so zum Schnellgericht

    Diese halbbewusste Halbordnung, Niederschlag und Ausdruck meiner Feedbackschleifen mit den Dingen, meiner individuellen Mixtur aus Spleen und Pragmatismus, kurz: mein Wohnen selber, kann nicht umgezogen werden. Das Arrangement der halbgefllten Kaffeetasse auf dem Dies-und-Jenes-Stapel kann nicht umgezogen werden.

    Oder allenfalls zum Preis vollkommener Verklumpung und Vermllung.

    Also wird jetzt aufgerumt, abgetragen, kategorisiert, vereindeutigt, entschieden. Alles Unklare, Schwebende, Vertagte liquidiert. Jedes Ding gewogen, fr zu leicht oder zu schwer oder ok befunden. Und an seinen rationalen Ort verbracht.

    Bis zum eigentlichen Umzug darf von meinem Wohnen nichts mehr brig sein.

    Dabei wre eine Generalbewusstmachung und Tiefeninspektion der eigenen Dinge im Prinzip ja durchaus eine Utopie. Als Inventur und Katharsis des eigenen Lebens. Wo jeder Brief, jedes Buch und jedes Sockenpaar so oft und grndlich zu studieren und probieren, so allseitig und allumfassend zu erwgen wre, bis das Ding entweder wohlbedacht entfernt werden oder bis zur nchsten Grund-Selbst-Reinigung seinen perfekten Platz erhalten knnte. Eine Art Idealumzug. Mit oder ohne Ortsvernderung. Auf jeden Fall ohne Termin. Und ohne Alltagsstress.

    Ob ich damit bis zum Lebensende fertig wrde? Ob ich dazu Lust htte? Ich wei es nicht.

    Was ich wei, ist: Der Termin steht. Und der Alltag hrt nicht auf. Der Idealumzug wird so real zum Schnellgericht. Zum Lesen oder Anprobieren ist keine Zeit. Fr Pldoyers noch weniger. Die Urteile sind gruppenweise und ad hoc zu fllen. Justizirrtmer inbegriffen. Revisionen ausgeschlossen.

    Ob den Dingen selbst das alles ganz egal ist? Logisch. Dass ich sie so eifrig personifiziere, soll mich blo von meiner eigenen Verdinglichung zum Umzugsroboter ablenken. Das Ding an sich ist tot. Das Ding an sich ist dumm. Eben deshalb fordert es fr jede nichtdumme Bewegung meine Zuwendung und Lebenskraft. Beim Einpacken, beim Um- und Zwischenstapeln, beim Transport.

    Und beim Auspacken noch einmal umgekehrt.

    Dmmer als Dinge selbst ist nur noch ihr Besitzer. Der die materialistische Dialektik von Besitzen und Besessen-Werden ignoriert hat.

    Aber sind die Dinge wirklich unterschiedslos dumm? Der IKEA-Sitzsack genauso wie die Spinoza-Werkausgabe?

    Absolut. Was ich an Unterschieden wahrnehme, sind wieder blo Vermenschlichungen.

    Fr diese Perspektivverzerrung habe ich zwei Erklrungen. Eine Besondere und eine Allgemeine.

    Im Moment des Umzugs fallen mir alle Legitimationen auf die Fe

    Die erste hngt mit der individuellen Schlagseite meines Dingkosmos zusammen. Jeder Dingsnder hat seine eigene Achillesferse. Die einen hufen Antiquitten an. Andere Kleider oder Schuhe.

  • Wieder andere Hobbywerkzeug. Oder Porzellan. Mbel. Technik. Akten. Kunst. Modelleisenbahnen. Matchbox-Autos. Oder ALLES.

    Bei mir sind es "Kulturtrger". Vor allem Bcher, Schallplatten, CDs und DVDs. Dingspeicher fr mehr oder weniger geistige Gehalte.

    Wie alle mittelstndischen Dingsnder habe auch ich fr deren beschmende bermasse entschuldigende Rationalisierungen parat. Fr andere wie vor mir selbst. "Ich brauche sie fr meine Arbeit." "Mchte kulturell autark sein." "Interessiere mich dafr." "Will die Produzenten untersttzen." Und so weiter.

    Im Moment des Umzugs fallen mir alle diese Legitimationen auf die Fe. Wie die Kultur buchstblich selbst. Ausgerechnet sie ist es, die mich mit ihrer paradoxen Ding-Dummheit herunterzieht. Mir meine Erdenschwere vorfhrt.

    Wenn es wenigstens Aquarien, Obelisken oder Bleisoldaten wren. Wo die Schwere wesentlich dazugehrt. Den Dingsinn mit konstituiert.

    Bei "Kulturtrgern" dagegen ist die Differenz von Ding und Sinn per se absurd. Nur dass sie bei kleineren Dingen und geringer Anzahl nicht so ins Gewicht fllt.

    Dementsprechend macht ein Reclam-Heftchen auf den ersten Blick fr viele einen klgeren Eindruck als ein Schwamm. Wirkt relativ gesehen vielleicht auch klger als ein fetter Foliant. Wo die Diskrepanz von schwerelosem Geistgehalt und kiloschwerer Schwartigkeit bereits am Einzelding akut wird.

    Um wie viel eklatanter und grotesker aber ffnet sich die Schere angesichts von umzuziehenden Bcherwnden! Oder abertausender von Schallplatten! Gravitation und Gravitt. Gebirgsmassive des Geistigen und Flchtigen.

    Gipfel des Absurden.

    Dabei ist die Bcherwand de facto auch nicht dmmer oder klger als ein Felsklotz. Oder jedes andere Ding. Die Eindrucksunterschiede rhren blo aus der Choreografie ihrer Vermenschlichung. Whrend der amorphe Felsklotz seine Dummheit nicht verbirgt - und eben darin wieder klug erscheint, geben sich "Kulturtrger" im Wohnzustand besonders klug - und wirken so beim Umzug umso dmmer.

    berboten wieder nur von der Entgeisterung ihres menschlichen Pendants. Ihres Kulturtrgers. Besitztrgers. Kulturbesitz-Umhertrgers.

    Was zur zweiten, allgemeineren und aktuelleren Erklrung fr die Blickverzerrung hinsichtlich der Dummheit meiner Dinge fhrt. Denn das Gegenteil von dumm ist schon lange nicht mehr "klug". Sondern "smart". Fr die Dinge wie die Menschen gleichermaen.

    Und aus Sicht des smarten Zeitgenossen wirken meine Umzugsschwierigkeiten noch burlesker als fr jene, die qua Reichtum oder Heiligkeit ber den Dingen stehen.

    Alle Schallplatten digitalisieren

    Kulturgebirge zu versetzen - was fr ein nrrischer Anachronismus! Ist das Kulturtrgerproblem doch mittlerweile lngst gelst. Niemand muss mehr tonnenweise Speichermedien horten oder schleppen. Wer es trotzdem tut, soll seinen Umzug als Kulturerbe

  • bei der UNESCO anmelden. Kann sich als analoger Sisyphos frs Wachsfigurenkabinett bewerben.

    Ernstzunehmen ist er nicht mehr.

    Smart wre gewesen, alle Schallplatten zu digitalisieren. Alle Bcher einzuscannen. Oder gleich alles durch E-Books oder Downloads zu ersetzen. Und die Daten dann mit denen der CDs und DVDs auf ein paar Festplatten zu sichern und zu ordnen. Die klobigen Kultur-Altlasten dabei laufend zu entsorgen oder an Liebhaber zu veruern. Also erst verlustfrei leicht und reich zu werden. Um dann mhelos die neue Wohnung zu beziehen.

    Doch wozu noch Festplatten? Noch smarter wre es gewesen, alles in die Cloud zu laden. Die ja immer schon in jeder neuen Wohnung ist. Kein Einpacken, kein Auspacken. Alles gleich wieder parat.

    Wenn es nicht eh schon frei im Netz steht.

    Dem allprsenten All-Archiv fr alle.

    Was die Kultur betrifft, sind alle frheren Dichotomien von Flle und Mangel, Leichtigkeit und Schwere, Ding und Geist weitgehend berwunden. Dank der Technik. Die Quadratur des Kreises ist geglckt.

    Allerdings nur im Prinzip. Denn erstens funktioniert es in der Realitt nicht immer so.

    Zweitens vertausche ich die Last meiner Kulturdinge so nur mit neuen Abhngigkeiten. Von der Kurzlebigkeit und Anflligkeit digitaler Medien. Oder der Gte allmchtiger Cloud-Verwalter oder Netz-Beherrscher. Die mich - mehr als meine dummen Dinge - nach Belieben lenken, berwachen, aussperren und erpressen knnen.

    Drittens verliere ich so alles, was an den Kulturtrgern als Dingen wichtig, schn und teils auch funktional war. Ihren manchmal essenziellen Anteil am Werk selbst. An dessen Wirkung.

    Ferner ihren Wert und ihre Wrde. Ihre Haptik und Geschichtlichkeit.

    Und nicht zuletzt die Mglichkeit, sie in der Badewanne zu benutzen. Oder wtend zu zertrampeln.

    Indes ahne ich, dass solche Souvernitt und solcher luxuriser Fetischismus in der heraufziehenden Smartwelt nur noch exzentrischen Oligarchen zugestanden werden wird. Die anderen sollen geflligst smart genug sein, sich so atavistische Kulturding-Wonnen gar nicht mehr erst anzugewhnen. Sondern sich auf ihre smarten Displays, smarten Brillen und smarten Implantate zu fixieren. Was sie auch gern und ohne Weiteres tun werden. Die Zukunftsangestellten brauchen keine Bcher mehr.

    So gesehen bestnde meine Dingschuld letztlich darin, nicht am allgemeinen Umzug in die Smartwelt teilgenommen, sondern mich an meinem berholten, im vergangenen Jahrtausend eingebten Ding-Kulturverhltnis festgekrallt zu haben. Statt meine Bestnde immer brav ins jeweils neueste Medium umzutopfen, als digitaler Sisyphos, habe ich mich mit ihnen selbst vergngt. Um nun dumm und alt auf meinen dummen alten Dingen festzusitzen. Zur Strafe dafr, noch nicht in der Cloud zu sein.

  • Alles in die Cloud

    Whrend die Welt ringsum sich rasend schlau macht. Und zwar nicht nur die Kulturdinge. Sondern genauso auch die Dingdinge, deren Funktion weitgehend an die materielle Welt gebunden bleibt. Die Khlschrnke, Betten, Schuhlffel und Duschvorhnge. Auch sie werden auf ihre Weise smart.

    Und was wre es jetzt fr ein Segen, wenn sie schon smart genug wren, um alleine umzuziehen! Wenn ich dem Khlschrank und den anderen Dingen blo die neue Adresse mitteilen msste und danach in Urlaub fahren knnte. Und dann wiederkme, in die neue Wohnung - und alle Sachen stnden fertig da. Und sngen ein Begrungsstndchen. Spter wrde jedes Ding erzhlen, wie es hergekommen ist: ob per Drohnenflug, im Google-Auto oder mit dem ffentlichen Nahverkehr.

    Oder noch einfacher: In jeder neuen Wohnung steht standardmig ein 3D-Drucker. Wo ich mir die Dinge aus der alten Wohnung einfach wieder ausdrucke. Die Daten dafr habe ich auf dem USB-Stick. Oder in der Cloud.

    Und meine alten Dinge? Bleiben in der alten Wohnung. Wo sie automatisch eingeschmolzen werden. Fr den Nachbewohner. Der sich daraus seine Dinge neu ausdruckt. Umweltschonend und bequem.

    Auch hier entstehen natrlich neue Fhrnisse: Was, wenn die mobilen Umzugsdinge die Adresse falsch verstehen? Und statt nach Kapstadt zu Karstadt bersiedeln.

    Wenn der Grobildschirm beim Drohnenumzug abstrzt? Und womglich jemanden verletzt?

    Oder wenn aus dem 3D-Drucker statt meiner Barlach-Plastik eine Diddlmaus herauskommt? Weil er spinnt. Oder gehackt wurde.

    Wie immer wird es solche Flle geben. Wie immer werden die Maschinenstrmer sie skandalieren. Doch wie immer werden es im Nachhinein blo Einzelflle oder temporre Strungen gewesen sein. Am Ende siegen doch Komfort und Effizienz.

    Sodass selbst ich mit meinem Old-School-Umzug gar nicht unbedingt zu spt dran wre. Sondern eher knapp zu frh. Womglich ginge schon in ein paar Jahren alles wie von selbst. Vielleicht gibt es bis dahin Nachrst-Tools fr selbstschwebende Kunstbnde. Oder doch einfach smarte Roboter, die alles regeln.

    Andererseits muss ich froh sein, wenn die Dinge nicht zu schnell zu smart werden. Sowie sie nmlich smart genug sind, selber umzuziehen, werden sie vielleicht auch smart genug sein, selber zu entscheiden, wann, wohin, mit wem. Und wer sagt mir, dass die Dinge mich dann nicht beim nchsten Umzug stehenlassen?

    Doch bevor es so weit kommt, ziehe ich vorher lieber insgesamt, als Mensch, schon um. Aus meiner Wohnung in die Cloud. Aus meinem Krper in meine Prothesen. Und aus meinem Hirn in meine Apps. Ein Auszug aus der menschlichen Begrenztheit und Beschwernis in die smarte Leichtigkeit und Freiheit. Nicht nur die eigenen Dinge, auch die eigene Dinglichkeit muss weg. Blo nicht der Letzte sein. Denn wer als Letzter leicht wird, kracht durchs Eis.

    Aber wer wei? Womglich zhlen die eigenen Dinge und die eigene Dinglichkeit inzwischen zum Humansten, was wir haben. Und das Beste, was wir tun knnen, ist, die letzten Dinge vor den letzten Menschen zu bewahren. Oder fr sie. Ding und Mensch zu prparieren fr den Umzug.

    Denn die Zeit luft ab. Sie kommen.