essen, trinken und ein dach über dem kopf...friedensnobelpreisträger nathan...

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I hr Ausgangspunkt war die Sorge für die Armen, die sozialen Rand- gruppen, die sich am Ende des 19. Jahrhunderts in den Städten als Folge von Industrialisierung und Landflucht gebildet hatten. Das Überangebot an Arbeitskräften be- dingte niedrige Löhne. Wer seine Arbeitsstelle verlor, dem drohte der Ruin, da soziale Sicherungssysteme damals noch nicht existierten. Um den Lebens- unterhalt der Familien zu sichern, waren oft auch die Mütter berufstä- tig; Kinderarbeit war an der Tages- ordnung. Auch das Bettelwesen war weit verbreitet. Die Bayerische Evangelisch-Lu- therische Kirche hatte 1849 als erste aller evangelischen Kirchen in Deutschland einen Erlass vorgelegt, in dem ihrer Geistlichkeit und den Kirchengemeinden die soziale Frage ans Herz gelegt wurde. Darin hieß es: „Die innere Mission, deren Auf- gabe darin besteht, die leiblichen und geistlichen Notstände des evan- gelischen Volkes nach allen Seiten Sorge für die Grundbedürfnisse des Lebens Essen, Trinken und ein Dach über dem Kopf 36 Die 125-jährige Geschichte der Inneren Mission München ist eine Geschichte der tätigen Nächstenliebe. 1801: Johann Balthasar Michel, Weinwirt und Pferde- händler aus der Pfalz, erhält – auf Geheiß des bayerischen Königshauses – als erster Protestant in München das Bürgerrecht. 1838: In München wird der „Protestantische Armenver- ein“ gegründet. Fünf Waisenkinder in Feldkirchen, deren Mutter auf der Flucht an Typhus starb (1948).

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Page 1: Essen, Trinken und ein Dach über dem Kopf...Friedensnobelpreisträger Nathan Söderblom,derweitsichtigdieKon-takte der lutherischen Kirchen in Europauntereinanderförderte,lud SchaudigzueinerBitt-undWerbe-reise

Ihr Ausgangspunkt war die Sorge

für die Armen, die sozialen Rand-

gruppen, die sich am Ende des

19. Jahrhunderts in den Städten als

Folge von Industrialisierung und

Landflucht gebildet hatten. Das

Überangebot an Arbeitskräften be-

dingte niedrige Löhne.

Wer seine Arbeitsstelle verlor,

dem drohte der Ruin, da soziale

Sicherungssysteme damals noch

nicht existierten. Um den Lebens-

unterhalt der Familien zu sichern,

waren oft auch die Mütter berufstä-

tig; Kinderarbeit war an der Tages-

ordnung. Auch das Bettelwesen war

weit verbreitet.

Die Bayerische Evangelisch-Lu-

therische Kirche hatte 1849 als erste

aller evangelischen Kirchen in

Deutschland einen Erlass vorgelegt,

in dem ihrer Geistlichkeit und den

Kirchengemeinden die soziale Frage

ans Herz gelegt wurde. Darin hieß

es: „Die innere Mission, deren Auf-gabe darin besteht, die leiblichenund geistlichen Notstände des evan-gelischen Volkes nach allen Seiten

Sorge für die Grundbedürfnisse des Lebens

Essen, Trinken und einDach über dem Kopf

36

Die 125-jährige Geschichte der Inneren Mission München

ist eine Geschichte der tätigen Nächstenliebe.1801: Johann Balthasar

Michel, Weinwirt und Pferde-

händler aus der Pfalz, erhält –

auf Geheiß des bayerischen

Königshauses – als erster

Protestant in München das

Bürgerrecht.

1838: In München wird der

„Protestantische Armenver-

ein“ gegründet.

Fünf Waisenkinder in

Feldkirchen, deren Mutter auf

der Flucht an Typhus starb

(1948).

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thasar Michel, ein Weinwirt und Pferdehändler aus

der Pfalz – auf Geheiß des bayerischen Königshauses

das Bürgerrecht erhalten hatte, war die Zahl der Pro-

testanten schnell gewachsen. Bereits 1821 wurde für

die Armen unter ihnen ein so genannter „Almosen-

pfleger“ von der Münchner evangelischen Gemein-

de eingestellt. 1838 wurde der „Protestantische Ar-

menverein“ gegründet.

Als die Innere Mission am 26. März 1884 vom da-

maligen Münchner Dekan Karl Buchrucker ins Le-

37

hin zu erforschen und durch die Verkündigung desgöttlichen Wortes und die Handreichung brüderli-cher Liebe zu heben, ist eine Lebensfrage unsererZeit. (…) Die Not ist zu einer unermeßlichen und fastunglaublichen Höhe herangewachsen, und das so hochgesteigerte Elend der Armen und Verwahrlosten imVolke forderte auch in gleicher Weise gesteigerteTeilnahme und Abhilfe.“

Seit im Jahre 1801 in der damals rein katholischen

Stadt München der erste Evangelische – Johann Bal-

Das „Evangelische Eck Münchens“: Seit 1906 war der Verein für Innere Mission hier an der Ecke Mathilden-/Landwehrstraße

zu finden. Nebenan residierte der Handwerkerverein, es gab einen Schriftentisch und ein christliches Hospiz.

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sche Christen. Das Stadtleben war

von einer breiten Oberschicht ge-

prägt. Dies kam der Arbeit der Inne-

ren Mission zugute. Ein Großteil der

rund 2.000 Mitglieder, die der Verein

um die Jahrhundertwende hatte,

waren Männer aus der Staatsver-

waltung, dem Offizierskorps, den

Hochschulen, den Banken, dem Un-

ternehmertum und wohlhabende

Witwen. Die Arbeit der Inneren Mis-

sion resultierte schnell in der Grün-

dung von stationären Hilfeeinrich-

tungen, die zum Teil noch heute be-

stehen, wie demAltenheim imWest-

end oder dem Löhe-Haus mit seinen

vielfältigen Aufgaben in der Bluten-

burgstraße. Von Anfang an aber

kam der punktuellen, direkten und

auch aufsuchenden Hilfe für Bedürf-

tige eine große Bedeutung zu.

ben gerufen wurde, baute sie stark

auf die Arbeit des Armenvereins und

auf das Wirken des 1848 gegründe-

ten Evangelischen Handwerkerver-

eins auf. Dieser eröffnete 1870 ein

Vereinshaus in der Landwehrstraße

und gliederte ihm eine „Herberge

zur Heimat“, ein Übernachtungs-

heim für herumziehende Handwer-

ker, an. Das „Evangelische Eck“, das

um diese Gebäude herum entstand,

war eine Keimzelle des Protestantis-

mus in München. Dort hatten dann

auch die ersten Vereinsgeistlichen

der Inneren Mission ihren Sitz.

München war im 19. Jahrhundert

von einer kleinen, beschaulichen

Residenzstadt zu einer Großstadt mit

rund 500.000 Einwohnern gewor-

den; davon waren 70.000 evangeli-

1848: Der „Evangelische

Handwerkerverein“ wird

gegründet.

1870: Am Evangelischen Eck

in der Mathildenstraße

entsteht die evangelische

„Herberge zur Heimat“, ein

Übernachtungsheim für

herumziehende Handwerker.

38

Ruhe und Beschaulichkeit prägten die Atmosphäre im Altenheim im Westend.

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abzogen, auch wohl dann und wann einer, der tätlichvorgehen wollte...“

Über die Möglichkeit zu helfen, schrieb er: „So gutes gehen wollte, ist doch vielen geholfen worden. (…)Zum Aufsuchen der Leute blieb dem Vereinsgeistli-chen freilich noch keine Zeit. Aber ich denke mitDankbarkeit meiner Hilfsarbeiter: Was haben diesetrefflichen Männer Jahr für Jahr, Tag für Tag fürGänge und Besuche zu machen gehabt, Straßen aufund ab, in die Wohnungen des Elends und in die desReichtums, wenn es galt, besondere Gaben oder Für-sprache für einen besonderen Fall zu erbitten. Undebenso sei mit großem und bewunderndem Dank un-serer Gemeindeschwestern des Armenvereins ge-dacht. Neben anderen steht mir vor Augen die klei-ne Schwester Hedwig Köhler aus Bayreuth, die Haus-haltungsschwester, in allen unseren Armenfamilienwohlbekannt, unermüdlich in Krankenpflege, an Wo-chenbetten, im Beischaffen von Unterstützungen,Haushaltungsgegenständen, Betten, Kleidung und Kin-derschuhen, und das alles in der Selbstverständlich-keit eines Dienstes um Jesu willen...“

Und weiter: „Es war schon ein Großes, dass wir ei-ne Schreibmaschine anschafften, nicht ohne Beden-ken, ob das nicht ein Luxus sei, dessen Ausgabe sichnicht verantworten ließe. Vielgestaltig war die zuführende Korrespondenz: Anfragen nach dem Ver-bleib von Familienangehörigen, meist jugendlichen,und Rückfragen von solchen ans Elternhaus, Fragenund Bitten um irgend welche Berufsversorgung,Stellengesuche, Versöhnungsversuche zwischen Ehe-gatten, zwischen Eltern und Kindern, oft ergreifen-de Schuldbekenntnisse nach seelsorgerlicher Aus-sprache, Anfragen ins Ausland für dort Weilendeoder dorthin Verreisende, auch was bereits die per-sönliche Aussprache zu Tage gefördert hatte, fandseinen Niederschlag im schriftlichen Verkehr, fürden Seelsorger ein reiches Arbeitsfeld zumal bei Ir-renden, Zweifelnden und Verzagten.“ Etwa 5.000 Fäl-le pro Jahr registrierte der Vereinsgeistliche um die

Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. 39

Die Anfangsjahre der Inneren Mission

1888 beschrieb der erste Vereinsgeistliche, Pfarrer

Karl Ostertag, die Aufgabe des neuen Sozialwerkes

in seinem Jahresbericht so: „Die Kirche übte von An-fang an Liebesthätigkeit, und die schönsten Blätterder Kirchengeschichte sind die mit den Werkenchristlicher Barmherzigkeit beschriebenen. (…)(Jetzt), als die zu lange unbemerkt gebliebenenWunden im Volksleben mit einem Male offen dala-gen, rafften sich die christlichen Kreise von un-fruchtbaren Klagen zu rettenden Thaten auf und be-gannen nach dem Vorbilde des größten Leibes- undSeelenarztes Samariterdienste an dem Volke zuthun. (…) Die freiwillige evangelische Liebesthätig-keit zur Wiederaufrichtung und Erhaltung christli-chen Glaubens und Lebens wurde in dem Namen derInneren Mission zusammengefaßt.“

Der spätere Oberkirchenrat D. Karl Prieser, der von

1903 bis 1912 die Stelle des 1. Vereinsgeistlichen be-

kleidete, beschrieb seine Arbeit in diesen Jahren

rückblickend so: „Den Vormittag über, oft bis überdie Mittagszeit hinaus, war Sprechstunde zu halten.Mancher Arzt oder Rechtsanwalt hätte über einsolch gefülltes Vorzimmer sich freuen können. Waszogen da alles für Menschenschicksale an einem vo-rüber: Die zerrütteten Ehen, die verkrachten Exis-tenzen, die hungernden Künstler, die nie anerkanntenErfinder, der stellungslose Kaufmann, der von den El-tern ungerecht und hartherzig verstoßene Sohn, derim Zustand der Ernüchterung jede Besserung gelo-bende Trinker, der Hochstapler, der auch im herun-tergekommenen Zustand seine Allüren nicht verleug-nen kann, und dann die viele wirkliche Not, die abge-härmten Frauen, die verlassenen Mütter, die Alten,deren niemand mehr sich annehmen mag, Leute, dieaus glänzenden Verhältnissen bettelarm gewordenwaren, Böse und Gute, Wahrhaftige und Heuchler,Verzweifelte und Leichtfertige, in wirklicher See-lennot Anklopfende und um einen frommen Spruchnicht Verlegene, solche, die mit augenblicklichemSelbstmord drohten und dann mit 2 Mark befriedigt

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Konsolidierung um die

Jahrhundertwende

Die Innere Mission hatte zu dieser

Zeit aber bereits ihre Lehrjahre hin-

ter sich und war zu einem sozialen

Faktor in der Münchner Stadtgesell-

schaft geworden. Pfarrer Prieser

schrieb im Jahresbericht 1906/1907:

„Der Verein Innere Mission wird (...)mit der in den letzten Jahren über-aus vielgestaltig angewachsenen, all-gemeinen Wohlfahrtspflege in einsgerechnet. Wir dürfen es als einenbemerkenswerten Sieg christlicherIdeen betrachten, daß der Gedankeder allgemeinen Hilfeleistung unddes berechtigten Anspruchs an sieim Bewusstsein unseres Volkes soreale Gestalt gewonnen hat.“

Allerdings spürt die kirchliche So-

zialarbeit zusehends auch die Kon-

kurrenz der weltlichen Organisatio-

nen und betont die eigenen

Wurzeln. Prieser: „Die humanitäreLiebesarbeit hat von der kirchlichendie Wege und Mittel gelernt, aberihr Objekt sucht sie wo ganz andersals wir. Die hat es mit dem Leib zutun; ihr Ziel liegt im Diesseits.An die Stelle des Geistlichen trittder Arzt oder Volkswirtschaftler;an die Stelle der Religion tritt dieBildung. (...) Demgegenüber bringtdie Religion vielmehr das Bestehinzu; sie lehrt alle Liebeserweiseerkennen als den Abglanz der ewigenVaterliebe Gottes, der auch seineverlassenen Kinder nicht vergessenhat, sondern Gebete erhört undLiebe austeilt mit reicher und güti-ger Hand.“

Die Berufung auf den biblischen

Auftrag hindert die Innere Mission

aber nicht daran, neue Erkenntnisse

und Methoden entschlossen zu über-

nehmen: Ein wichtiger Schritt in den

Jahren vor dem Ersten Weltkrieg war

die Straffung der eigenenOrganisati-

on. Pfarrer Prieser formuliert das in

seinem Bericht zum 25-jährigen Be-

stehen der InnerenMissionMünchen

1909 so: „Mit der fortschreitendenOrganisation wuchs ihr Bekanntwer-den, wuchsen die Aufgaben, die Geld-mittel und noch mehr ihre Inan-spruchnahme. Im Kampf mit dem Bet-tel und ungerechtfertigten Forderun-gen, in der Mühe um Erlangung vonArbeitsgelegenheit und Versorgung,im Aufsuchen verschämter und darumbitterster Armut kann allein einefestgefügte und tadellos laufendeOrganisation Ersprießliches leisten.“

Neben der Arbeit in den festen An-

laufstellen der Inneren Mission im

Stadtgebiet spielte die aufsuchende

Sozialarbeit und Seelsorge eine im-

mer wichtigere Rolle. Dafür leistete

der inzwischen angestellte Stadtdia-

kon entscheidende Beiträge. Für das

Jahr 1906 beispielsweise hielt Prieser

aus der Arbeit seines Diakonskolle-

gen Karl Müller folgendes fest: „In1.664 Hausbesuchen und Berufsgän-gen hat er die nötigen Ermittlungenbetrieben. Für 39 verwahrloste undverlassene Kinder mußte die Unter-bringung in Anstalten besorgt wer-den. 90 Mädchen, die zwei- odermehrmals illegitim geboren hatten,wurden durch den Diakon besuchtund beraten. 55 wilde Ehen suchtenwir zu bürgerlicher und kirchlicher

„Im Kampf mit dem Bettel

und gegen bitterste Armut

kann allein eine festgefügte

und tadellos laufende Organi-

sation Ersprießliches leisten.“

Karl Prieser, 1. Vereinsgeist-

licher von 1903 bis 1912

1906: Stadtdiakon Karl Müller

hat 1.664 Hausbesuche

gemacht, 39 verwahrloste

Kinder untergebracht und

von 55 wilden Ehen 26 zur

bürgerlichen und kirchlichen

Eheschließung veranlasst.

40

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ne wichtige Hilfe für Trinker ist die Pflege derchristlichen Gemeinschaft, um den Neugewonnenendie Geselligkeit des alten Wirtshauslebens zu erset-zen und die Mitglieder reger miteinander zu verbin-den. Ihr dienen auch gemeinsame Sonntagsausflügeund gegenseitige Besuche. Als sehr notwendig hatsich mehr und mehr die Arbeit an den Frauen und Fa-milien der Trinker herausgestellt. Hier finden beson-ders die dem Verein angehörigen Frauen ein weitesWirkungsfeld. Die Arbeit hat mit vielen Schwierig-keiten und Mißverständnissen nicht nur von Seitender Trinker selbst zu rechnen. Doch wiegt eine demElend entrissene Trinkerfamilie unendlich viel auf.“ 41

Eheschließung zu bringen, was in 26 Fällen gelungenist. Vielfach wurde die Tätigkeit des Diakons auchzur Vermittlung von Lehrlingsstellen und sonstigerArbeitsbeschaffung und Stellenvermittlung in An-spruch genommen. Die uns von der Polizei überlasse-nen Adressen von neuzugezogenen jungen Männernwerden, soweit möglich, vom Diakon aufgesucht unddie Leute auf den Anschluß an den EvangelischenHandwerkerverein oder den Christlichen Verein jun-ger Männer hingewiesen.“ Als wichtige Aufgabe siehtdie Innere Mission in diesen Jahren auch die Hilfe für

süchtige Menschen an und arbeitet eng mit dem

Blau-Kreuz-Verein München zusammen. Prieser: „Ei-

Originalunterschrift: „Prinz und Prinzessin Ludwig im Knabenheim“. Die Majestäten besuchten das Löhe-Haus des Öfteren.

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Rückschläge durch Ersten

Weltkrieg und Geldentwertung

Die aufblühende Arbeit der Inneren

Mission München wurde durch den

erstenWeltkrieg, die politischen Um-

wälzungen nach dem Fall der Mo-

narchie und die horrende Geldent-

wertung der Jahre 1922/23 schwer

belastet. Dr. Hilmar Schaudig, der

von 1912 bis 1925 1. Vereinsgeistli-

cher war, schreibt über diese Zeit:

„Zu Beginn meiner Arbeit erlebteich sonnige Friedenstage, in denenuns schwere finanzielle Sorgen fastunbekannt waren. Dann der Welt-krieg, dann die Narrheit der Rätere-publik und dann die Zeiten der Infla-tion, welche unser Vermögen und dasunserer großzügigen Wohltäter zu-sammenschmelzen ließ, und dann kamdie Zeit, da man wieder mühsam auf-zubauen versuchte, was in einemJahrzehnt zusammengestürzt war.“

In den Berichten für die Jahre

1917 - 1920 schreibt Schaudig: „Vie-le suchen beim Verein Rat und Hilfein äußeren und inneren Nöten. Wirtun Blicke in großes verschuldetesund unverschuldetes Leid. Durch dieenge Verbindung des Vereins für In-nere Mission mit dem Protestanti-schen Armenverein kann in äußererBedrängnis rasch Hilfe gebrachtwerden, wo die öffentliche Armen-pflege zu langsam arbeitet oder woverschämte Armut ängstlich sich vorden neugierigen Augen der Welt zuverbergen sucht. Ebenso haben sichim Laufe der Jahre auch die nahenBeziehungen zum EvangelischenHandwerkerverein bewährt. (…) Ob-

dachlose Männer können wir in derHerberge unterbringen. Lehrlingensteht das 40 Plätze zählende Lehr-lingsheim offen. Im Hospiz findendie Gäste christliche Hausordnungund verspüren etwas vom christli-chen Geist.“

Schaudig berichtete in einem

Rückblick anlässlich des 50. Jahres-

tages der Gründung der Inneren

Mission (1934) aber auch davon,

wie immer wieder unerwartete Spen-

den eintrafen. „Es hat sich immer

wieder gezeigt, dass in München die

edle Gilde der fröhlichen Geber

nicht ausstirbt.“ Wesentlich für die

Arbeit der Inneren Mission wurde

auch die Unterstützung von Chris-

ten aus dem Ausland. „Von Chica-

go, von Rio de Janeiro und aus der

Schweiz flogen uns wertvolle Brief-

lein ins Haus.“

Der schwedische Erzbischof und

Friedensnobelpreisträger Nathan

Söderblom, der weitsichtig die Kon-

takte der lutherischen Kirchen in

Europa untereinander förderte, lud

Schaudig zu einer Bitt- und Werbe-

reise in sein Land ein. „Unsere so

sehr in Anspruch genommene

Hauptkasse konnte sich erholen und

ihren Anforderungen genügen.“

Neuer Aufbruch und Bedräng-

nis durch Weltwirtschaftskrise

und NS-Staat

Mitte der zwanziger Jahre konsoli-

dierte sich die Arbeit der Inneren

Mission wieder. Der Verein wurde

Gastgeber für die „Erste kontinenta-

1922/23: Die horrende

Geldentwertung läßt das

Vereinsvermögen – und das

der Wohltäter – drastisch

zusammenschmelzen.

„Der aus dem Zusammen-

bruch wiedererstandene

Staat hat als Wohlfahrtsstaat

zur Bekämpfung der Massen-

nöte des Volkes eine umfas-

sende öffentliche Fürsorge

aufgebaut.“

1. Vereinsgeistlicher Friedrich

Wunsiedler in seinem

Jahresbericht von 1926.

1932: In diesem Notjahr gibt

die Innere Mission im

Mathildenhospiz täglich bis

zu 20.000 Essensportionen

aus.

42

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ne Hoffnung. (…) Ach, es waren ja so nüchterne Din-ge, die man von uns erbat: ein Lebensmittelpaket, ei-ne Speisenmarke, Kleider und Schuhe, Betten undKohlen oder ein Nachtquartier...“

Und weiter: „Vor allem dies eine Wort stand voruns: Winterhilfe. Im Sommer mußten jeweils schondie Pläne dafür gemacht werden. Da galt es Spei-sungsstellen einzurichten. Wärmestuben wurden er-öffnet, wo die, denen es daheim an Kohlen fehlte, vorder Kälte Schutz suchten, auch gegen Abend eineTasse Milch und ein Stück Brot empfingen. Fürwahr,es mußte einem ans Herz gehen, wenn man sah, wiedie vielen Männer und Frauen in ihrer schlechtenKleidung geduldig frierend vor den Türen standen,um dieser kleinen Gaben willen.“

Die Innere Mission stemmte sich gegen jede Not,

die an ihre Pforten klopfte: Alleine im Mathilden-

hospiz in der Münchner City werden im Notjahr

1932 täglich bis zu 20.000 Essensportionen ausge-

geben, wie im Jahresbericht von 1932 zu lesen ist. 43

le Konferenz für Innere Mission und Diakonie“. Der

Vereinsgeistliche ist Mitglied des städtischen Wohl-

fahrtshauptausschusses und der „Arbeitsgemein-

schaft der freien und öffentlichenWohlfahrtspflege“

und kann dort die kirchlichen Belange einbringen.

Und die öffentliche Anerkennung für die Arbeit der

Inneren Mission drückte sich auch dadurch aus,

dass der Vereinsgeistliche vom Reichsminister des In-

nern zum Beisitzer der Filmprüfungskammer beru-

fen wurde. „Mit Staunen verfolgt man die Fort-

schritte der Filmtechnik und sieht, welche wertvol-

len Bildungselemente hier beschlossen liegen“,

schreibt Pfarrer Schaudig.

Sein Nachfolger Dr. FriedrichWunsiedler kann im

Jahresbericht 1926 zufrieden feststellen: „Der ausdem Zusammenbruch wiedererstandene Staat hatals Wohlfahrtsstaat zur Bekämpfung der Massen-nöte des Volkes eine umfassende öffentliche Für-sorge aufgebaut. (…) Die Innere Mission und die an-deren großen Verbände der freien Fürsorge sinddurch die neue Wohlfahrtsgesetzgebung des Rei-ches und der Länder als wichtige und unentbehrlicheGlieder in den großen Organismus der Fürsorge miteingeschaltet.“ In diese frühe sozialstaatliche Idylle

schlägt dann der Blitz der schwarzen Börsentage En-

de Oktober 1929 und der folgendenWeltwirtschafts-

krise ein. Wichtige Spender der sozialen Arbeit ver-

loren ihre Vermögen. Die Arbeitslosigkeit nahm la-

winenartig zu; die Bedürftigen hatten oft nicht ein-

mal mehr das Existenzminimum zur Verfügung.

Pfarrer Friedrich Hofmann, der von 1932 bis zum

Ende des Krieges 1. Vereinsgeistlicher der Inneren

Mission war, beschreibt in einem Beitrag für das 50-

jährige Jubiläum 1934 die Jahre der schlimmsten

Not so: „Elend und Verwahrlosung waren zu alltägli-chen Bildern geworden, die uns auf der Straße zu je-der Stunde des Tages entgegentraten. Wenn wir amMorgen früh unsere Büros in der Mathildenstraßeaufsuchten, standen und saßen sie schon am Gang undauf den Treppen, die Vielen ohne Obdach, ohne Nah-rung, ohne Kleidung, ohne Arbeit, ohne Glauben, oh-

Die Winterhilfe versorgte die frierenden Menschen in

München mit Nahrungsmitteln, Kleidern und Kohlen.

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Mitglieder der Kirchengemeinden

wurden mobilisiert, um Spenden zu

verteilen, Kohlen auszuladen und zu

verteilen und andere Hilfe zu über-

bringen. Die Innere Mission organi-

sierte einen Jugenddienst und später

einen Freiwilligen Arbeitsdienst, der

Arbeitslosen eine Aufgabe gab und

Bedürftigen vielfache Hilfe leistete.

Die Nationalsozialisten, die im Ja-

nuar 1933 an die Macht kamen, be-

anspruchten solch innovative Ar-

beitsgebiete für sich und inkorpo-

rierten sie in ihr System, den Reichs-

arbeitsdienst.

Und Friedrich Hofmann begrüßte

zunächst das sozialstaatliche Han-

deln der neuenMachthaber und sah

die Innere Mission als genuin kirch-

liche Aufgabe. In der Festschrift zum

50-jährigen Bestehen des Vereins

1934 schreibt er: „Welche Zukunftwird unserem Werk beschiedensein? Wird es für die Innere Missi-on auch künftig noch Arbeit undAufgaben geben? (...) Überflüssigwird die Innere Mission und ihrWerk nie sein, weil und solange siesich als Lebensäußerung der Kircheweiß und fühlt. Sie wird sich im neu-en Staat klarer als in früheren Jah-ren auf ihre eigentliche Bestimmungbesinnen müssen, die Wichern ‚diefreie Liebestätigkeit des heilerfüll-ten Volkes zur Verwirklichung derchristlichen und sozialen Wiederge-burt des heillosen Volkes’ nennt.“

Die Gleichschaltung sozialer Ar-

beit durch die braune Diktatur ging

aber viel weiter als Hofmann ge-

dacht hatte. Bereits 1934 änderten

1934: Die Nationalsozialisten

ändern das Sammlungsge-

setz: Die freien Wohlfahrts-

verbände dürfen nur noch bei

eigenen Mitgliedern Geld

sammeln.

1939: Im letzten Friedensjahr

betreibt die Innere Mission

noch sechs Einrichtungen mit

insgesamt 468 Plätzen.

44

die Nationalsozialisten das Samm-

lungsgesetz: Die freien Wohlfahrts-

verbände durften nun nur noch bei

den eigenen Mitgliedern Sammlun-

gen abhalten. Damit verlor auch die

Innere Mission München eine wich-

tige Finanzierungsquelle. Der Verein

hoffte trotzdem, wenigstens die Ju-

gendhilfe im alten Rahmen erhal-

ten zu können. Das durchkreuzte

der nationalsozialistische Staat

ebenfalls und der Inneren Mission

blieben nur noch Vormundschaften

für körperlich und geistig behinder-

te Kinder.

Die Bahnhofsmission, die die In-

nere Mission 1933 übernommen

hatte, musste auf Druck der Natio-

nalsozialisten aufgelöst werden. Ih-

re Arbeit übernahm die „National-

sozialistische Volkswohlfahrt“. Der

Verein für Arbeiterkolonien hatte

1894 Herzogsägmühle gegründet.

Die Einrichtung wurde 1936 vom

nationalsozialistisch geprägten

„Landesverband für Wanderdienst

in Bayern“ übernommen, nachdem

nicht zuletzt die nationalsozialisti-

sche Politik dem ehemaligen Träger

die wirtschaftliche und ideelle

Grundlage entzogen hatte. Trotz des

Drucks aber gibt die Innere Mission

nicht auf. 1939 wird zu den beiden

Vereinsgeistlichen Friedrich Hof-

mann und Leonhard Henninger ein

dritter berufen: Pfarrer Johannes

Zwanzger ist für das zunehmend

wichtige Gebiet der Altenfürsorge

zuständig.

Im letzten Friedensjahr 1939 be-

treibt die Innere Mission noch sechs

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Lehrlingsheim in der Magdalenenstraße sowie das

Erholungsheim Lindenhof bei Murnau. Im Krieg

wird ein Teil der Gebäude beschädigt oder zerstört;

viele Mitarbeiter müssen an die Front.

45

Einrichtungenmit insgesamt 468 Plätzen: das Säug-

lings- und Kinderheim Löhe-Haus in der Bluten-

burgstraße, Kindergarten und Altenheim im West-

end, das Mädchenerziehungsheim Feldkirchen, das

Das Sekretariat der Hauptverwaltung des Vereins in der Mathildenstraße. Die Aufnahme entstand 1934.

Die Münchner Bahnhofsmission – die 1897 als erste ökumenisch arbeitende Bahnhofsmission des Deutschen Reichs

gegründet worden war – muss auf Druck der Nationalsozialisten geschlossen werden.

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„Doch kann sich der Kern der Inne-ren Mission in München, was die ei-gene Mitarbeiterschaft, das Fach-wissen und die Vereinsstrukturenbetrifft, erhalten und über den Zu-sammenbruch des Dritten Reichshinwegretten“, urteilt Basilios My-

lonas, Mitarbeiter der Inneren Mis-

sion seit 1992, der 2002 eine um-

fangreiche Dissertation „Der

Wiederaufbau der verbandlichen

Sozialen Arbeit in München am

Beispiel der Inneren Mission Mün-

chen 1945 - 1955“ an der Universi-

tät Augsburg vorgelegt hat. Hof-

mann wurde nach dem Krieg im

Entnazifizierungsverfahren von der

Spruchkammer als unbelastet ein-

gestuft, weil er viele positive Refe-

renzen vorweisen konnte – unter

anderem von Probst Grüber.

Neue Chancen für die

kirchliche Sozialarbeit nach

demWeltkrieg

Das Ende des zweiten Weltkriegs

brachte für die Überlebenden zu-

nächst eine Phase purer Lebenssi-

cherung mit sich. Ein Stück Brot, ei-

ne gespendete abgetragene Jacke,

eine Adresse, die Hilfe versprach –

für viele blieb über Monate, für

manche über Jahre die Sicherung

des einfachsten Lebensbedarfes das

vornehmliche Ziel. Ströme entwur-

zelter Menschen zogen durch

Deutschland und Europa. Bald aber

wurde auch sichtbar, dass der Über-

lebenswille von Millionen nie ge-

ahnte Kräfte freisetzte. Der Wunsch,

etwas Neues aufzubauen und die

Zeit der Tyrannei undMenschenver-

achtung auch innerlich zu überwin-

den, bewirkte auch eine Neubesin-

nung auf uralte Werte. Das kam den

Kirchen und den konfessionellen

Wohlfahrtsverbänden zugute.

Pfarrer Leonhard Henninger (Jahr-

gang 1908), der als 1. Vereinsgeistli-

cher die Innere Mission München

vom Oktober 1945 bis 1976 wesent-

lich prägte, beschreibt den Umbruch

von der Diktatur zur langsam auf-

blühenden zweiten deutschen De-

mokratie aus dem Blick der Kirche

so: „Nachdem Gott der deutschenChristenheit in der nationalsozialis-tischen Zeit 12 Jahre das Bekennenund Kämpfen abverlangt hatte, er-wartete er nach 1945 postwendend

1937: Die Jugend- und

Freizeitenkirche in Eichenau

wird eingeweiht, um die

evangelische Jugendarbeit

trotz der Beschränkungen

durch die braunen Machtha-

ber fortzuführen – die erste

und einzige Kirche ihrer Art in

ganz Deutschland.

46

„Geprägt durch mein Elternhaus, ist mirdie Arbeit der Inneren Mission München vonKindheit an vertraut. Durch Mutter undVater wurde mir eine innere Lebenslinievorgezeichnet. Verkündigung und die Werkeder Barmherzigkeit gehören in der Kircheunaufgebbar zusammen.“

Friedgard Habdank, Tochter von Friedrich Hofmann, dem 1. Vereinsgeistlichender Inneren Mission in der Zeit zwischen 1931 und 1945

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Der Landeskirche und der Inneren Mission gelang

es aber, auch mit Hilfe von Sympathisanten im Par-

teiapparat, Henninger vor dem Zugriff der braunen

Machthaber zu schützen.

Henningers persönliche und politische Integrität

war ein wichtiger Faktor beim schnellen Wiederauf-

bau der Strukturen der Inneren Mission nach dem

Kriege. Er war ein wichtiger Ansprechpartner für die

amerikanische Besatzungsmacht und für die neue

demokratische Verwaltungsspitze in München. Ba-

silios Mylonas schreibt dazu: „Beide konfessionellenVerbände (Innere Mission und Caritas) konntenschon zu einem sehr frühen Zeitpunkt die eigenenArbeitsbereiche ausdifferenzieren und gegenübermöglichen Konkurrenten abgrenzen. Dabei zeigte dieMünchner Innere Mission von Anfang an einen er-staunlichen Pragmatismus, was die Auswahl ihrer Tä-tigkeiten anbelangte. Sie verfiel nicht in kaum reali-sierbare Utopien, sondern beschränkte sich zu-nächst vor allem auf Arbeitsfelder, die dringendstim Interesse der Bevölkerung abgedeckt werden 47

von uns das Lieben in einem nicht gekannten Ausmaßin den Jahren, in denen die Not wirklich apokalypti-sche Ausmaße hatte.“

Henninger war seit 1935 bereits 2. Vereinsgeistli-

cher der Inneren Mission sowie Bezirksjugend- und

Krankenhauspfarrer. Er stand von Anfang an in in-

nerem und oft auch äußerem Gegensatz zum Na-

tionalsozialismus und versuchte, einen Rest an un-

abhängiger kirchlicher Jugendarbeit zu retten: Ein-

zigartig im damaligen Deutschen Reich blieb die Er-

richtung der Jugend- und Freizeitenkirche in Eiche-

nau, in der sich die Münchner Gemeindejugend zwi-

schen 1937 und 1940 noch treffen konnte. Dann un-

tersagte das nationalsozialistische Regime auch die-

se Treffen: Die kirchliche Jugendarbeit war in die Hit-

lerjugend zwangsaufgelöst worden. Der Geheimen

Staatspolizei war die Gesinnung Henningers be-

kannt. In einem Gestapo-Bericht vom 29. Februar

1940 heißt es: „Er ist als einer der typischen Vertre-

ter der Bekenntnisfront anzusprechen, dem die Be-

lange der Kirche höher stehen als die des Staates.“

Die Evangelische Jugend- und Freizeitenkirche in Eichenau wurde am 4. Juli 1937 feierlich eingeweiht. Vom Hauptbahnhof

aus fuhr ein Sonderzug; es kamen rund 4.000 Besucher. Der Gottesdienst musste mit Lautsprechern übertragen werden.

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schreibt er: „Nach dem Zusammen-bruch 1945 schwoll der Strom de-rer, die Hilfe brauchten, an wie niezuvor in der deutschen Geschichte.In normalen Zeiten war in unserembayerischen Land knapp 1 Prozentder Bevölkerung hilfsbedürftig.Nach dem 2. Weltkrieg waren es 33Prozent und nach dem hereinkom-menden Flüchtlingsstrom 40 Pro-zent. In normalen Zeiten betrug dasVerhältnis der Erwerbstätigen zuden Erwerbsunfähigen 50 zu 50.Nach 1945 waren nur noch 36 Pro-zent erwerbsfähig. Früh um 7 Uhrstanden oft schon 300 bis 400Hilfssuchende bei unserer Hilfs-werkstelle Schlange und waren froh,wenn sie ein Stück Brot und ein paarKartoffeln bekamen.“

Schon in den ersten Tagen nach

Kriegsende vereinbarten Caritas und

Innere Mission den sofortigen Be-

ginn einer Lebensmittelsammlung.

Die Innere Mission sammelte in den

evangelischen Dekanaten Oettin-

gen, Nördlingen und Wassertrüdin-

gen im Donau-Ries. Henninger:

„Wochenlang starteten um Mitter-nacht dreimal in der Woche Lastzü-ge ins Ries, fuhren von Gemeinde zuGemeinde, luden den ganzen Tag bisin die Nacht Kartoffeln und andereLebensmittel auf und kamen voll be-laden gegen 5 Uhr morgens im Hofdes Löhe-Hauses an. Viele tausendZentner konnten hauptsächlich anAlte, Kranke und Kinder verteiltwerden...“ Die gespendeten Eier, But-

ter und Fett kamen beispielsweise

auch den Kriegswaisen im Feldkir-

chener Kinderheim zugute.

Gemeinden in den Dekanaten

Oettingen, Nördlingen und

im Donau-Ries sammeln

Lebensmittel für die Stadt-

bewohner, um die größte

Not in der Nachkriegszeit zu

lindern.

1945: 33 Prozent der

bayerischen Bevölkerung

sind hilfebedürftig; mit an-

schwellendem Flüchtlings-

strom steigt die Zahl auf

40 Prozent an.

48

mussten. (…) Dass die Ausweitungder Arbeitsfelder zu diesem frühenZeitpunkt die Innere Mission finan-ziell nicht überforderte, verdanktsie der Spendenfreudigkeit derMünchner Bevölkerung.“

Ein Stück Brot

und ein paar Kartoffeln

Die Wertschätzung Henningers

kommt auch dadurch zum Aus-

druck, dass er als einer der ersten So-

zialexperten des neuen deutschen

Staates in die USA eingeladen wird.

Die gewonnenen Einsichten sichern

der Inneren Mission einen Moderni-

tätsvorsprung. In seiner Schrift zum

100. Jubiläum der Inneren Mission

1984 beschrieb Henninger die bis-

herige Geschichte und legte dabei

besondere Aufmerksamkeit auf die

Notjahre nach dem Kriege, in denen

er auch zahlreiche Chancen sah. So

Pfarrer Henninger, genannt: „Bivi“, war

von 1935 bis 1976 als 2. und 1. Vereins-

geistlicher der Inneren Mission tätig.

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tisch mit etwa den Worten: ‚Alles in mir freut sich,dass ich auch noch helfen kann’ (...) Nicht seltenwarfen Frauen und Jugendliche ihre Goldringe undHalsketten in den Opferstock.“

Das zweite Jahr nach dem Krieg wurde für den Ver-

ein ein besonders wichtiges Jahr, denn die Besat-

zungsmacht genehmigte jetzt offiziell die Spenden

aus dem Ausland, die auch vorher schon in Einzel-

fällen viel Not gelindert hatten. Da die meisten die-

ser Gaben Sachspenden waren, kamen Güter ins

Land, über die die einheimische Bevölkerung schon

lange nicht mehr verfügt hatte. Ein wichtiger Ne-

beneffekt war, dass dadurch die deutschen Kontakte

ins Ausland ausgeweitet werden konnten. Das Jahr

49

„Da gab es in einem Dorf vor München die schöneÜbung, dass Erwachsene und Kinder nicht zum Got-tesdienst gingen, ohne einen Scheit Holz mitzubrin-gen für frierende, alte und kranke Münchner. (...)Aber auch die Münchner selber halfen den ausge-bombten und hereingeströmten Flüchtlingen in ein-drucksvoller Weise. Rund eine halbe Million Beklei-dungsstücke, rund 46.000 Möbelstücke und großeMengen an Hausrat konnte unsere Hilfswerkstellein den ersten Jahren nach 1945 verteilen. Das wa-ren schon bewegte Jahre, die nicht nur von riesigerNot, sondern auch von einem großartigen Helferwil-len gezeichnet waren. Da kamen Lehrlinge zu unsund brachten ihren ersten Lohn, da kamen Arbeits-lose und legten ein paar Mark auf unseren Schreib-

Getroffen, aber nicht zerstört: Das Löhe-Haus nach dem Bombentreffer im Oktober 1943. Verletzt wurde niemand.

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1946 festigte auch die Zusammenar-

beit zwischen der Inneren Mission

und der Stadt. Wichtige gemeinsame

Hilfsprojekte waren die Volksküchen

(alleine die Innere Mission gibt

22.000 Essensportionen pro Tag aus

und fährt sie in alle Stadtteile), die

Wärmestuben, die Flüchtlingsbe-

treuung und der Beginn der Schul-

speisungen aus Schweizer Spenden.

Jetzt beginnt auch die Reparatur

und der Wiederaufbau der zerstör-

ten Häuser: Von den 18 Objekten

waren im Krieg elf restlos zerstört

worden, fünf teilweise, eines wurde

ausgeplündert und nur das Erho-

lungsheim Lindenhof, im bayeri-

schen Oberland bei Murnau gele-

gen, hatte den Krieg ohne Schaden

überstanden. Um die Arbeit wieder

aufnehmen zu können, mietet der

Verein außerhalb Münchens Heime

für Kinder, Jugendliche und Alte an.

Die Bahnhofsmission, die nach dem

Krieg zunächst in Laim Anlaufstelle

für Tausende von Flüchtlingen war,

bezieht im zerstörten Hauptbahnhof

eine Baracke; 100 notdürftige Über-

nachtungsmöglichkeiten gibt es

dort. Einer der heimkehrenden Sol-

daten schreibt der Inneren Mission:

„Nach der Ankunft zwischen denRuinen eines ehemaligen Hauptbahn-hofs ging von der Baracke der Evan-gelischen Bahnhofsmission der Geistaus, der es gerade uns so wertmacht, nach Deutschland zurückzu-kehren. So bin ich denn, der ich inGefangenschaft mir immer so armvorkam, innerlich reich geworden,weil ich, ohne zu suchen, Menschenfand, für die Heimat, Glaube und

1945: Von den 18 Gebäuden

des Vereins sind nach dem

Krieg elf restlos zerstört, fünf

teilweise.

1946: In München entstehen

die Volksüchen, um die notlei-

dende Bevölkerung zu versor-

gen. Allein die Innere MIssion

gibt pro Tag 22.000 Essens-

portionen aus.

1948: München hat wieder

fast 800.000 Einwohner. Drei

Jahre früher waren es noch

weniger als 500.000 gewesen.

50

Aufrichtigkeit noch einen Begriffbedeuten. Damit besteht die Hoff-nung, dass Ruinen und Schutt all-mählich verschwinden und damitauch die Schatten unserer Tage.“

Und sechzig Jahre nach Kriegsen-

de erreichte ein Brief die Geschäfts-

stelle, in dem sich eine mittlerweile

79-jährige Dame für die Hilfe der

Bahnhofsmission bedankte. Die ge-

bürtige Berlinerin schrieb folgendes:

„Sehr geehrte Damen und Herren,bei Erhalt dieses Briefes werden Siesich sicherlich wundern. Es ist eineAngelegenheit, die ich schon längsterledigen wollte und die mir sehr amHerzen liegt.

Ich gehöre der älteren Generationan und muss zurückgreifen auf dasJahr 1945 im August. Als mein Mannaus englischer Kriegsgefangen-schaft entlassen wurde – das musstein den früheren Heimatort erfolgen(in diesem Fall Oldenburg in Olden-burg/Niedersachsen), war natürlichkein Geld für die Fahrkarte vorhan-den. Sie, als Innere Mission, habendas Geld für die Fahrkarte aufge-bracht, wofür ich Ihnen noch heutesehr dankbar bin. Insofern schuldeich Ihnen noch etwas. Das wäreselbstverständlich auch im Sinnemeines Mannes gewesen, den ich lei-der nach einer schweren Krankheitverloren habe. Wir haben oft darü-ber gesprochen. Durch Herzogsäg-mühle bin ich auf Ihre Anschrift ge-stoßen. Die beigefügten 100 Eurosind eine kleine Wiedergutmachung.Vielleicht können Sie damit eineähnliche Hilfe leisten.“

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51

Von der Armenfürsorge

zur Fachbetreuung

Die Innere Mission nimmt in den folgenden Jahren

eine Reihe von Arbeitsfeldern dazu. Ende 1947 ist die

Zahl der Mitarbeiter von 70 gleich nach dem Kriege

bereits auf 400 gewachsen. Zu Beginn des Jahres

1948 hat München wieder fast 800.000 Einwohner.

Die Vorkriegszahl lag bei 850.000 – bei Kriegsende

war sie auf 500.000 gesunken. Viele der Neuzugezo-

genen sind Flüchtlinge, die aus evangelischen Ge-

bieten des ehemaligen Deutschen Reiches stammen.

Auf den evangelischen Wohlfahrtsverband in der

Stadt kommen dadurch weitere Aufgaben zu: In

Großhadern entsteht ein Flüchtlingsheim und der

Verein übernimmt das Heimkehrer-Genesungsheim

in Niederpöcking. Durch die Währungsreform im

Mai 1948 verlieren die Wohlfahrtsverbände viel

Geldvermögen. Die Innere Mission kann aber ihre

Belegschaft halten. Allerdings erhalten die Mitar-

beiter ab Juli ein gekürztes Gehalt und erklären sich

mit Abtretungen zugunsten der Betreuten bereit. Ih-

re Treue hilft dem Verein, auch diese schwierige Zeit

zu überstehen.

Dieser profitiert zudem von der Gründung eines

Diakonissen-Mutterhauses nach dem Kriege, da die

Schwestern über ein hohes Fachwissen und eine ho-

he Motivation verfügen, aber – unabhängig von ih-

rer jeweiligen wirtschaftlichen Situation – keine fi-

nanzielle Vergütung für ihre tägliche Arbeit bekom-

men. Basilios Mylonas wertet in seiner Doktorarbeit

das Jahr 1948 als wichtiges Übergangsjahr für die

soziale Arbeit: „Von jetzt an beginnt für die Politikund Gesellschaft der langsame und schrittweise Wegin die Normalität der jungen Bundesrepublik. Auchfür die Innere Mission gehen damit die Zeiten desImprovisierens zu Ende.“

Es beginnt eine Zeit, in der sich der Dienst an den

Armen im klassischen Sinne hin zur Fachbetreuung

von Menschen in besonderen Problemlagen verla-

gert. Materielle Hilfe, seelische Stützung und geist-

liche Stärkung gehen dabei ineinander über. Basilios

Mylonas hat den Wiederaufbau der verbandlichen

sozialen Arbeit in München in den ersten zehn Jah-

ren nach dem Kriege exakt beschrieben. Er kommt

zu folgendenWertungen in Bezug auf die Innere Mis-

sion: „Als Teil der Evangelischen Kirche konnte sieüber den Zusammenbruch hinaus ihre Arbeit fort-führen. Es spielte dabei keine Rolle, dass die Bevöl-kerung Münchens mehrheitlich katholisch war. Be-reits der Druck des ‚Dritten Reiches’ hatte vielesfrüher Trennende zwischen beiden Konfessionen auf-gehoben und einer guten Zusammenarbeit in den fol-genden Jahren den Weg geebnet.“

„Ein für die Innere Mission wichtiges Ereignis die-ser Zeit ist auch die Anbindung der Anstalt Herzog-sägmühle an den Verein, gelang es ihr doch damit,endgültig aus der Beschränkung ihrer Tätigkeit aufMünchen auszubrechen.(...) Daneben engagiert sichdie Innere Mission intensiv in der neuen Arbeitsge-meinschaft der freien Wohlfahrtspflege und wird

„Eine kleine Spende für die Innere Mission“ – mit diesem

Spruch sammelten Konfirmanden noch bis weit in die 70-er

Jahre für die Arbeit des Vereins. Heutzutage haben die

Sammelbüchsen aus Blech nahezu ausgedient.

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dort für die nächsten Jahre Motorder Zusammenarbeit und des Aus-tausches der Verbände untereinan-der.(…) Es beginnt in dieser Zeitauch die Stunde eines immer stär-ker werdenden Staates, der mit Hil-fe der Besatzungsmacht Rahmen-bedingungen für die Gesellschaftsetzt, bei denen soziale Belange nureine Nebenrolle spielen.(...) Diefreie Wohlfahrtspflege, und mit ihrauch der Münchner Verein der In-neren Mission, werden zum Kostgän-

ger der Stadt und des Staates.(...)Im Jahr 1955 sind alle Schäden derKriegszeit, sowohl was die baulich-materielle als auch was die in-haltlich-ideelle Substanz betrifft,überwunden. Der Verein ist stärkerals jemals zuvor in seiner Geschich-te. Er ist in den alten und auch invielen neuen Arbeitsfeldern erfolg-reich tätig.(...) Was die eigene Mit-arbeiterschaft angeht, kann dieMünchner Innere Mission auf einpositives Klima verweisen. Sie profi-tiert auch von einer von ihr selbstmit angestoßenen neuen Sammlungs-ordnung. Somit hat sie gute Voraus-setzungen für die vielen neuen

Aufgaben im Jugendbereich, derBetreuung psychisch kranker Men-schen und die anderen Aufgabenge-biete, die im Zuge der Entwicklungder jungen Bundesrepublik noch aufsie zukommen werden.“

Neue Armut in einem

reichen Land

Die sichtbaren Folgen des 2.Welt-

Kriegs werden in der Bundesrepublik

Deutschland – anders als im Osten

des Landes – schneller überwunden

als gedacht. Ende der 50-er Jahre

sind die meisten Menschen, die kei-

ne dauerhaften gesundheitlichen

Kriegsschäden erlitten haben, in

Lohn und Brot. 1959 liegt die Ar-

beitslosenquote bereits unter drei

Prozent. Der Begriff des Wirtschafts-

wunders taucht auf; zehn Jahre spä-

ter ist die Vollbeschäftigung erreicht.

Im Jahresdurchschnitt 1970 werden

nur 149.000 Arbeitslose (0,7 Prozent)

registriert. Der Arbeitsmarkt ist leer

gefegt. Darunter leidet auch der Aus-

bau des sozialen Sektors. Denn Ar-

beit gibt es auch in diesem Bereich

genug.

„Im Jahr 1955 sind die

Schäden der Kriegszeit,

sowohl was die baulich-

materielle als auch die inhalt-

lich-ideelle Substanz betrifft,

überwunden.“

Basilios Mylonas, langjähriger

Mitarbeiter der Inneren Missi-

on und des Evangelischen

Hilfswerks, in seiner Doktor-

arbeit.

1959: Die Arbeitslosenquote

liegt unter drei Prozent. Alle

sprechen vom Wirtschafts-

wunder.

1977: Das Münchner Arbeits-

losenzentrum wird als erste

Beratungseinrichtung dieser

Art in Bayern gegründet.

1979: Die Innere Mission

eröffnet in der Zenettistraße

die Teestube „komm“, einen

Treffpunkt für obdachlose

Männer.

52

„Ich bin froh, dass ich mich von denStreetworkern der Teestube ‚komm’ habebreitschlagen lassen und nach mehreren Jah-ren Obdachlosigkeit im Juni in ein Wohn-heim eingezogen bin. Seitdem geht es mirviel besser. Ich weiß, dass der Sprung zumAlleinewohnen nicht leicht ist, wenn manjahrelang ‚Platte gemacht’ hat. Deshalbwill ich mich auf jeden Fall noch ein Jahrnachbetreuen lassen.“

Werner H., Klient der Teestube „komm“

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einzelnen Träger differenziert sich immer mehr.

Neue wissenschaftliche Erkenntnisse beleben und

fundieren die Sozialarbeit. Ein gesellschaftlicher En-

thusiasmus macht sich breit, dass früher oder spä-

ter eine Lösung für alle sozialen Probleme gefunden

werden könne.

53

Beratungsdienste für Erziehungs-, Ehe-, Familien-

und allgemeinen Lebensfragen, Kindertagesstätten

und Heime der Jugendhilfe, Schulen und Internate,

Behindertenhilfe, Altenhilfe, psychosoziale Hilfen

und die Betreuung ausländischer Arbeitnehmer wer-

den vom Verein auf- oder ausgebaut. Die Arbeit der

In der Teestube „komm“ in der Zenettistraße können obdachlose Menschen ihre Wäsche waschen, eine Mahlzeit zubereiten

oder einfach nur ihre Zeit verbringen. Die Pädagogen beraten sie, wie sie vom Leben auf der Straße wegkommen.

Das Münchner Arbeitslosenzentrum (MALZ) hat sich in den Jahren seines Bestehens zu einer wichtigen Institution in der

Stadt entwickelt – hier ein Foto mit der SPD-Politikerin Adelheid Rupp (2.v.r.) aus dem Jahr 2003.

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mand, dass eines nicht sehr fernen

Tages von einer ‚neuen Armut’ die

Rede sein wird.

Mitte der 70-er Jahre sind in der

Bundesrepublik infolge konjunktu-

reller Krisen wieder eine Million

Menschen arbeitslos. 1977 wird in

München das erste Beratungszen-

trum für Arbeitslose in Bayern von

einem arbeitslosen Soziologen und

einer Sozialpädagogin gegründet:

Das Münchner Arbeitslosenzen-

trum (MALZ) versteht sich als Bera-

tungs-, Kontakt- und Bildungszen-

trum und wird ein Modell für ähnli-

che Einrichtungen in ganz Deutsch-

land. Die Innere Mission übernimmt

1980 die Trägerschaft. Als die Ein-

Aber es gibt Randgruppen in der

Gesellschaft, für die die Wohlfahrts-

verbände weiterhin die Grundbe-

dürfnisse des Lebens – Essen, Trin-

ken und ein Dach über dem Kopf –

sichern müssen, da sie sich aus eige-

ner Kraft nicht helfen können. Die

Innere Mission eröffnet 1979 in der

Zenettistraße eine Teestube für ob-

dachlose Männer; später kommt ein

Treffpunkt für Frauen in der Drei-

mühlenstraße hinzu. Streetworker

beginnen ihre Arbeit und suchen

diejenigen auf, die aus der Gesell-

schaft herausgefallen sind. Das dy-

namische Tempo der wirtschaftli-

chen Entwicklung fordert zusätzli-

che Opfer. Eine wachsende Zahl von

Menschen kommt ‚einfach nicht

mehr mit’. Noch ahnt aber kaum je-

1995: Die diakonia Dienstleis-

tungsbetriebe werden ge-

gründet – das erste Projekt in

gemeinsamer Trägerschaft

des Evangelischen Dekanats-

bezirks München und der

Inneren Mission.

1997: Im wiedervereinten

Deutschland gibt es mittler-

weile wieder 4,3 Millionen

arbeitslose Menschen.

54

Im Jahr 2009 feiert das GebrauchtWarenhaus der diakonia in der Landshuter Allee 38

sein zehnjähriges Bestehen. Gebraucht wird das Warenhaus heute mehr denn je.

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tun. Zudem entstehen Arbeitsplätze für Menschen,

die keine Chance mehr auf dem allgemeinen Ar-

beitsmarkt hatten. Durch persönliche Begleitung,

Qualifizierungsmaßnahmen und Vermittlungsbe-

mühungen, bei denen Arbeitgeber direkt angespro-

chen werden, gelingt es, viele von ihnen wieder für

den ersten Arbeitsmarkt fit zu machen.

Auch die Wohnungslosenhilfe der Inneren Missi-

on wird weiter ausgebaut. Es geht dabei nicht nur

darum, Wohnraum zu finden, sondern die Bedürfti-

gen durch persönliche und therapeutische Beglei-

tung auf ein Leben in Selbstständigkeit und Selbst-

verantwortung vorzubereiten. Prominente wie der

Münchner Modeschöpfer Rudolph Moshammer en-

gagieren sich für diese Arbeit, spenden Gelder, ver-

mitteln Sponsoren und werden Fürsprecher für sie in

der Öffentlichkeit. Nach seinem gewaltsamen Tod

hilft der von ihm gegründete Verein „Licht für Ob-

dachlose“ immer wieder tatkräftig weiter. „Dank sei

allen, die unsere Spenden sinnvoll verwenden und

tatkräftig umsetzen“, sagt der Vereinsvorsitzende

Florian Besold beim Überreichen eines Schecks. 55

richtung 1997 ihr 20-jähriges Bestehen feiert, gibt es

im inzwischen wiedervereinigten Deutschland be-

reits wieder 4,3 Millionen Arbeitslose. „Zunehmen-

de Perspektivlosigkeit, komplizierte Sozialgesetzge-

bung und steigende Verarmung lassen die Nachfra-

ge an sozialpädagogischer und rechtlicher Beratung

ständig anwachsen“ heißt es dazu im „Diakonie-Re-

port“, der 1995 gegründeten Vierteljahreszeitung

der Inneren Mission.

1995 steht eine weitere Neugründung an: Der

Evangelische Dekanatsbezirk München und die In-

nere Mission gründen die gemeinnützige „diakonia

Dienstleistungsbetriebe GmbH“ – die gemeinsame

Trägerschaft eines Projektes hatte es bis zu diesem

Zeitpunkt nicht gegeben. Vier Jahre später eröffnet

die diakonia in der Landshuter Allee 38 das Ge-

brauchtWarenhaus, das die Angebote der traditio-

nellen Kleiderkammer ergänzt. Menschen in Not

können hier für geringes Geld das Notwendigste an-

schaffen. Und Bürger der Stadt haben die Möglich-

keit, mit nicht mehr gebrauchten Möbeln, Elektro-

geräten, Kleidern oder ähnlichem etwas Gutes zu

Das Frauenobdach „Karla 51“ bietet erstmals eine Unterkunft für wohnungslose Frauen in München. Dass es dafür einen

dringenden Bedarf gibt, zeigen die Belegungszahlen: Die Zimmer in dem Haus sind stets alle belegt.

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Nach den positiven Erfahrungen

in der Frauenteestube entsteht mit

Karla 51 erstmals eine Übergangs-

unterbringung für wohnungslose

Frauen in der Landeshauptstadt. Die

Einrichtung mit ihren 40 Zimmern

in der Nähe des Hauptbahnhofs ist

stets voll belegt. Sechs fest angestell-

te Sozialpädagoginnen und rund 30

Ehrenamtliche helfen und beraten.

Das Bodelschwingh-Haus, ebenfalls

in der Nähe des Hauptbahnhofs,

bietet strafentlassenen Männern ein

Dach über dem Kopf, umfassende

soziale und rechtliche Beratung und

Hilfe bei der Vermittlung in Arbeit.

Jeder Bewohner muss an den päda-

gogischen Angeboten teilnehmen

und die Ursachen seiner Straffällig-

keit zu erkunden versuchen. Ihre Ar-

beit an den Ärmsten der Armen or-

ganisiert der Verein 2003 in einer ei-

genen gemeinnützigen Gesellschaft,

dem neugegründeten Evangelischen

Hilfswerk München.

Um die Jahrtausendwende leben

in Bayern rund 500.000 Haushalte

(9,3 Prozent) in Armut. Nach Defi-

nition der EU sind das „Einzelperso-

nen oder Familien, deren (materiel-

le, kulturelle und soziale) Mittel der-

art gering sind, dass sie von Lebens-

weisen, die in einem Mitgliedsstaat,

in dem sie leben, als Mindeststan-

dard gelten, ausgeschlossen sind“.

Das Evangelische Hilfswerk hilft,

wo es geht, beispielsweise durch ihr

Nachbarschaftsbüro an der Nord-

heide im Münchner Norden oder

durch andere Treffpunkte in sozia-

len Brennpunkten der Stadt. Um der

Vereinsamung und Isolierung ent-

gegenzuwirken und Selbsthilfekräf-

te zu aktivieren, werden niedrig-

schwellige Angebote wie Treffpunk-

te für Senioren, Mutter-Kind-

Gruppen, Frühstücksgruppen, Floh-

märkte, Sommerfeste, Ausflüge zu

kulturellen Ereignissen und Nach-

mittagsbetreuung mit Hausaufga-

benhilfe angeboten.

In verschämter Armut leben über-

all im Land insbesondere alleiner-

ziehende Mütter, ältere Frauen und

alt gewordene Immigranten. Innere

2008: Die Bahnhofsmission

verzeichnet 16.644 Bera-

tungsgespräche pro Jahr,

das macht im Durchschnitt

46 Gespräche am Tag.

„Armut ist auch eine große

Hypothek für die nächste

Generation. Wer in prekären

Verhältnissen lebt, wird auch

bei der Bildung der Kinder

sehr viel vorsichtiger planen.“

Sabine Walper, Armuts-

forscherin an der Ludwig-

Maximilians-Universität.

56

„Im Juni 1997 stand ich kurz davor, meineWohnung zu verlieren. Bei KARLA 51 bekamich innerhalb von zwei Stunden ein Zimmer.Dort wohnte ich vier Wochen, kam zur Ruheund schöpfte wieder Hoffnung.Danach zog ich in eine betreute Wohnge-meinschaft und schließlich wieder in eineeigene Wohnung, in der ich seit fast zehnJahren lebe. Ohne KARLA 51 wäre ich wahr-scheinlich seit langem obdachlos.“

Ursula K. kommt nach wie vor regelmäßig ins Frauenobdach Karla 51, besuchtdas Café und holt sich Rat, wenn sie ihn braucht.

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entwickelt neue Konzepte. So kamen zu stationären

Wohnplätzen betreute Wohngemeinschaften als

Starthilfe in ein neues Leben hinzu.

Die Armutsforscherin Sabine Walper von der

Münchner Universität weist in einem Gespräch mit

dem „Diakonie-Report“ auf einen weiteren Grund

hin, warum die Hilfe für bedürftige Menschen so

wichtig ist: „Armut ist auch eine große Hypothek für

die nächste Generation. Wer in prekären Verhält-

nissen lebt und nicht weiß, ob es in absehbarer Zeit

wieder besser geht, wird auch bei der Bildung der

Kinder sehr viel vorsichtiger planen. Also lieber kei-

ne lange Schulbildung oder Ausbildung, sondern

möglichst schnell dazuverdienen.“

Wer sich um das täglich Notwendigste sorgen

muss, hat kaum offene Augen oder Ohren für die Er-

fordernisse anderer oder kulturelle Fragen. Entspre-

chend dem Motto der Heilsarmee – soup, soap, sal-

vation – kommt die Suppe vor der Predigt. 57

Mission und Evangelisches Hilfswerk bauen deshalb

ihre Dienste für diese Personengruppen kontinuier-

lich weiter aus. Die Bahnhofsmission am Gleis 11 ist

Anlaufstelle für Menschen in Not, da sie an 365 Ta-

gen im Jahr rund um die Uhr offen hat. In den Mo-

naten nach der Grenzöffnung der DDR imNovember

1989 bekommen viele Menschen hier konkrete Hil-

festellungen bei ihren ersten Schritten im unbe-

kannten Westen.

Zur Aufgabe der Bahnhofsmission, Reisenden

beim Umsteigen oder in Notfällen zu helfen, kom-

men zusätzliche Anforderungen hinzu: „Die Leute

fragen vermehrt, ob sie von uns kostenlos Kleidung

oder Essen bekommen können“, sagt Leiterin Ga-

briele Ochse. Die Anzahl der Beratungsgespräche

steigt 2008 auf 16.644 pro Jahr, das macht im

Durchschnitt 46 Gespräche pro Tag.

Der Evangelische Beratungsdienst für Frauen in

der Heßstraße blickt 2008 auf 42 Jahre Erfahrung in

Hilfe und Beratung für Frauen in Not zurück und

Seit 43 Jahren erfolgreich im Einsatz an sozialen Brennpunkten: Der Evangelische Beratungsdienst in der Heßstraße hilft

Frauen in persönlichen Notlagen.

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Impressum

Herausgeber:

Dr. Günther Bauer, Geschäftsführer

Innere Mission München – Diakonie in München und Oberbayern e.V.

Landshuter Allee 40, 80637 München; Telefon 089 / 12 69 91- 0

Redaktion:

Klaus Honigschnabel, Leiter Unternehmenskommunikation

E-Mail: [email protected]

Autoren:

Dr. Günther Bauer, Heinz Brockert,

Prof. Dr. Dr. h.c. Günter Heinritz

Mitarbeit:

Silvia Fella-Werner, Claus Liebich, Diana Riske, Istvan Velsz

Nachdruck – auch auszugsweise – nur mit Genehmigung des Herausgebers.

Fotos:

Titelbild:

Archiv Innere Mission, Oliver Bodmer, Sabine Gaßner, Erol Gurian, Michael Hanke

Innenteil:

Archiv Innere Mission München (6, 10, 14, 15, 19, 20, 22, 23, 26, 36, 37, 38, 41, 43, 45, 47,

48, 49, 51, 60, 61, 62, 66, 73, 77, 78, 83, 85, 91, 92, 93, 94, 96, 97, 99, 101, 103, 113, 115,

133, 140, 141, 153, 154); Kurt Bauer (72, 109, 123, 125); Markus Blaszczyk (163); Oliver Bodmer

(55, 84); Simon Dettweiler (139); Rainer Ehrenreich (143); Erol Gurian (13, 32, 33, 34, 52, 57,

71, 73, 86, 87, 88, 89, 100, 102, 103, 105, 106, 107, 116, 117, 118, 121, 129, 130, 132, 135,

142, 144, 146, 147, 148, 155, 157, 165); Christa Habersetzer (68); Denise Höfle (117); Klaus

Honigschnabel (29, 53, 58, 68, 75, 76, 82, 83, 90, 107, 108, 111, 112, 120, 127, 141, 160,

162); Mike Jäger (110); Martina Kostial (64); Werner Krüper /epd-Bild (128); Münchner Stadt-

archiv (11, 13, 17); Nursen Özlükurt (21, 62, 65); Karsten Pfeifer (53); Hartmut Pöstges (115);

Rauhes Haus Hamburg (9, 90); Stephan Rumpf (67); Jan Scheffner (131); Scherl /SZ-Photo (137);

Marcus Schlaf (54, 69); Bernadette Schmid (56); Wally Schmidt (95); Rick Schulze (69); Rudolf

Branko Senjor (81); Nicole Üblacker (114); Michael Westermann (119); Ursula Zeidler (33)

Gestaltung:

Nicole Üblacker Graphik, München (www.ueblacker-graphik.de)

Druck:

Druckhaus Kastner, Wolnzach

Buchbindearbeiten:

Conzella Verlagsbuchbinderei, Pfarrkirchen

Wir danken allen, die zum Entstehen dieses Buches beigetragen haben. Insbesondere geht der

Dank an Julie und Ludwig Bullemer, die Enkel von Ludwig Thiersch, die uns die Zeichnung auf

Seite 7 zur Verfügung stellten, sowie an Dr. Basilios Mylonas für die Erlaubnis, ausführlich aus

seiner Promotion zitieren zu dürfen.

Wir danken der Kastner AG in Wolnzach herzlich für

die freundliche Unterstützung beim Druck dieses Buches.

Page 24: Essen, Trinken und ein Dach über dem Kopf...Friedensnobelpreisträger Nathan Söderblom,derweitsichtigdieKon-takte der lutherischen Kirchen in Europauntereinanderförderte,lud SchaudigzueinerBitt-undWerbe-reise

Im Zuge

ihres 125. Grün-

dungsjubiläums

geht die Innere

Mission Mün-

chen auch daran, ihre bislang weitgehend unbekannte

Geschichte während der nationalsozialistischen Gewalt-

herrschaft aufzuarbeiten: Der Kirchenhistoriker Helmut

Baier, ehemaliger Leiter des Landeskirchlichen Archivs

in Nürnberg, schließt mit seinem rund 330 Seiten um-

fassenden Werk (Band 87 der „Arbeiten zur Kirchenge-

schichte Bayerns“) diese Lücke und untersucht, unter

welchen Bedingungen diakonische „Liebestätigkeit

unter dem Hakenkreuz“ stattfinden konnte.

Im Zentrum der historischen Betrachtung steht dabei

Friedrich Hofmann, der als 1. Vereinsgeistlicher die

Geschicke der Inneren Mission in den Jahren zwischen

1932 und 1945 maßgebend lenkte. Baiers Buch zeich-

net die Entwicklung des Pfarrers nach, der sich vom

Partei-Mitglied zum NS-Skeptiker wandelte. Dennoch:

Ein Widerstandskämpfer war der damalige Leiter der

Inneren Mission nicht. Das Urteil des Verfassers ist

knapp und klar: „Hofmanns erstaunliche Leistungen,

sein Arbeitswille und seine physische Kraft sind unbe-

stritten, sein politischer Weg ist es nicht.“

Es lohnt sich,

einen Blick

auf Karl Buch-

rucker zu

werfen: Als

eine herausragende Gestalt der bayerischen evangeli-

schen Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts, als typi-

schen Vertreter seiner Generation evangelischer Pfarrer,

als großen Moderator und Organisator der Kirche und

als visionären Gründer des Vereins für Innere Mission

München und des Landesvereins für Innere Mission.

Er verstand beide Vereine als Antwort auf die Probleme

von Industrialisierung und Urbanisierung in Bayern.

Zu seinen herausragenden Fähigkeiten gehörten die

Kunst des Predigens, Überzeugungskraft, Führungs-

qualitäten und Organisationsgeschick. Mit Augenmaß

gelang es ihm, Visionen Wirklichkeit werden zu lassen.

So war Buchrucker der geschickte Organisator der

Versöhnung und des Ausgleichs zwischen Johann Hin-

rich Wichern und Wilhelm Löhe, zwischen seiner frän-

kischen Heimat und dem katholischen Altbayern, zwi-

schen Arm und Reich, zwischen Arbeitern und Bürgern.

Durch sein umfängliches katechetisches Werk war er

auch der wichtigste „Religionslehrer“ der Bayerischen

Landeskirche.

Helmut Baier

Liebestätigkeit unter dem Hakenkreuz –Die Innere Mission Münchenin der Zeit des Nationalsozialismus

ISBN 978-3-940803-03-0

29,80 Euro

Zu beziehen über die Geschäftsstelleder Inneren Mission, Landshuter Allee 40,80637 München, Telefon 089/12 69 91 100 oderper E-Mail an: [email protected] über den Buchhandel.

Marita Krauss

Evangelisch in München –Karl Buchrucker (1827-1899),Wegbereiter der bayerischen Diakonie

ISBN: 978-3-937200-64-4

19,90 Euro

Das Buch ist vom 12. Mai 2009 an erhältlich bei derGeschäftsstelle der Inneren Mission, Landshuter Allee 40,80637 München, Telefon 089/12 69 91 100, oderper E-Mail an: [email protected] über den Buchhandel.

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