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UmweltMagazin Juli - August 2018 20 Special Recycling Europas modernste LVP-Sortieranlage A b 1. Januar 2019 wird es nochmal ernster für die Recyclingbranche: Das dann in Kraft tretende, neue Ver- packungsgesetz schreibt eine Recyc- lingquote von 50 Prozent für Kunst- stoff-, Metall- und Verbundverpackun- gen vor. Die neue Sortieranlage im hessischen Gernsheim (Landkreis Groß-Gerau) ist die neueste ihrer Art, die konsequent auf die ambitionierte Quote hin konzipiert wurde - und die derzeit modernste in Deutschland und Europa. „Ein Leuchtturm der deut- schen Recyclingwirtschaft“, wie Ge- schäftsführer Michael Wieczorek sagt. 120.000 Tonnen jährlich „Meilo“ ist ein Akronym, zusam- mengesetzt aus den ersten Silben zweier Partner. Betreiber sind zu 50 Prozent die Firmen Meinhardt Städte- reinigung GmbH & Co. KG sowie Lob- be Entsorgung West GmbH & Co. KG. In der hochmodernen Anlage werden die Inhalte aus Gelbem Sack und der Gelben Tonne bzw. Wertstofftonne sortiert, um sie später zu recyceln. Ver- wertet werden hier Verpackungs- leichtfraktionen aus dualen Syste- men, die aus Hessen, Nordbayern, Tei- len Baden-Württembergs und zwei Gebieten Nordrhein-Westfalens stam- men. Die maximale Kapazität von 120.000 Tonnen Leichtverpackungen jährlich entspricht dem Aufkommen von rund 4,5 Millionen Einwohnern oder rund fünf Prozent der deutschen Bevölke- rung. Die Anlage wird von 40 Lkw im Input und 25 Lkw im Output angefah- ren. Zwölf Wertstofffraktionen Insgesamt zwölf unterschiedliche Wertstoff-Fraktionen werden hier sor- tiert und dem Recycling-Prozess zuge- Nach Einschätzung des Betreibers Meilo ist es die modernste Sortieranlage für Leichtverpackungen in Deutschland und Europa: 120.000 Tonnen Leichtverpackungen jährlich sollen in Gernsheim mit bis zu 53 % Recyclingquote sortiert werden – möglich macht das eine besonders ausgefeilte Sortiertechnik. Die neue Sortieranlage Meilo soll bis zu 53% Recyclingquote schaffen.

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Page 1: Europas modernste LVP-Sortieranlage€¦ · Input und 25 Lkw im Output angefah-ren. Zwölf Wertstofffraktionen Insgesamt zwölf unterschiedliche Wertstoff-Fraktionen werden hier sor-tiert

UmweltMagazin Juli - August 201820

Special Recycling

Europas modernste LVP-Sortieranlage

Ab 1. Januar 2019 wird es nochmal ernster für die Recyclingbranche:

Das dann in Kraft tretende, neue Ver-packungsgesetz schreibt eine Recyc-lingquote von 50 Prozent für Kunst-stoff-, Metall- und Verbundverpackun-gen vor. Die neue Sortieranlage im hessischen Gernsheim (Landkreis Groß-Gerau) ist die neueste ihrer Art, die konsequent auf die ambitionierte Quote hin konzipiert wurde - und die derzeit modernste in Deutschland und Europa. „Ein Leuchtturm der deut-schen Recyclingwirtschaft“, wie Ge-schäftsführer Michael Wieczorek sagt.

120.000 Tonnen jährlich„Meilo“ ist ein Akronym, zusam-

mengesetzt aus den ersten Silben zweier Partner. Betreiber sind zu 50 Prozent die Firmen Meinhardt Städte-reinigung GmbH & Co. KG sowie Lob-be Entsorgung West GmbH & Co. KG. In der hochmodernen Anlage werden die Inhalte aus Gelbem Sack und der Gelben Tonne bzw. Wertstofftonne sortiert, um sie später zu recyceln. Ver-wertet werden hier Verpackungs-leichtfraktionen aus dualen Syste-men, die aus Hessen, Nordbayern, Tei-len Baden-Württembergs und zwei

Gebieten Nordrhein-Westfalens stam-men.

Die maximale Kapazität von 120.000 Tonnen Leichtverpackungen jährlich entspricht dem Aufkommen von rund 4,5 Millionen Einwohnern oder rund fünf Prozent der deutschen Bevölke-rung. Die Anlage wird von 40 Lkw im Input und 25 Lkw im Output angefah-ren.

Zwölf WertstofffraktionenInsgesamt zwölf unterschiedliche

Wertstoff-Fraktionen werden hier sor-tiert und dem Recycling-Prozess zuge-

Nach Einschätzung des Betreibers Meilo ist es die modernste Sortieranlage für Leichtverpackungen in Deutschland und Europa: 120.000 Tonnen Leichtverpackungen jährlich sollen in Gernsheim mit bis zu 53 % Recyclingquote sortiert werden – möglich macht das eine besonders ausgefeilte Sortiertechnik.

Die neue Sortieranlage Meilo soll bis zu 53% Recyclingquote schaffen.

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UmweltMagazin Juli - August 2018

Recycling Special

Meilo in Zahlen

– Betreiber: Lobbe Entsorgung West GmbH & Co. KG und Meinhardt Städterei-nigung GmbH & Co. KG– Größe der Anlage: 90 Meter mal 50 Meter mal 13 Meter– Investitionen: 32 Millionen Euro – Bebaute Fläche: 3,2 Ha– Probebetrieb: seit 21.02.2018– Durchsatz: bis zu 120.000 Tonnen Leichtverpackungen jährlich– Arbeitsorganisation: 3-Schicht-Betrieb, 60 Mitarbeiter– Angepeilte Recyclingquote: 53 % recyclingfähiges Material, 47 % energeti-sche Verwertung– Förderbänder: rund 1300 Meter– Technische Einheiten: 3 Siebtrommeln, 4 Magnetabscheider, 2 Wirbelstrom-abscheider, 5 Windsichter, 4 ballistische Separatoren, 22 sensorbasierte Sor-tiermaschinen (Nahinfrarotspektrometer), 1 Paketierpresse, 2 Ballenpressen– Aussortierung Wertstoffe zur stofflichen Verwertung: 3 % Aluminium, 10,2 % Weißblech, 6 % Polypropylen (PP), 8,5 % Folien, 2,2 % Polyethylen (PE), 1,5 % Polyethylenterephthalat (PET) 1,0 % Polystyrol (PS), 10 % Mischkunst-stoffe (PO-flex), 6 % FKN, 5 % PPK

fügt, darunter Weißblech aus Konser-ven, Aluminium aus Getränkedosen, PET-Schalen von Gemüseverpackun-gen sowie Getränkekartons. Letztere finden ihre Abnehmer in der Papierin-dustrie, um an die hochwertigen Pa-pierfasern zu gelangen. „Hier sortie-ren wir zusätzlich noch MPO-Flex“, sagt Klaus Bertmann, der die Anlage

zu Beginn des Probebetriebes unter seinen Fittichen hatte. Er spricht über eine Sonderform Polypropylen-antei-liger Folie im Format kleiner als DIN A4.

1,3 Kilometer SortierbänderDie Grundkonzeption der Meilo ist

kein Hexenwerk. Sie lehnt sich an die

Rohstoffrecyclinganlage in Iserlohn an, die Lobbe vor einigen Jahren kon-zipiert hat und betreibt. Zunächst werden die Gebinde des Sortiergutes mittels Langsamläufer und Schredder geöffnet, anschließend per Förder-band in die Maschinenhalle transpor-tiert (alle Förderbänder der Meilo zu-sammen sind rund 1,3 Kilometer lang). Zunächst sortieren drei Sieb-trommeln mit verschiedenen Öff-nungsweiten das Recyclinggut, vier Magnetabscheider ziehen Weißblech und Aluminium raus.

Zunächst klassische SortiertechnikAnschließend passiert der Strom

fünf Windsichter, die lose Teile wie Fo-lienstücke oder Zeitungsseiten ausbla-sen. Das Sortiergut durchläuft die An-lage in verschiedenen Teilströmen.

Sind die beschriebenen Stationen Stand der Sortiertechnik seit den 80er-Jahren – im Prinzip seit den Anfängen der Sortiertechnik – gelingen die hohe Recyclingquoten nur mit modernen Zusatz-Techniken, also elektronischen bzw. optischen Erkennungssystemen. Nicht-magnetische Anteile wie Verpa-ckungen ziehen zwei Wirbelstrom-Ab-

120.000 Tonnen Leichtverpackungen werden in der Meilo jährlich sortiert. Magnetabscheider trennen Metalle von den anderen Stoffen im Strom.

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scheider, die ein elektrisches Feld er-zeugen, aus dem Sortierstrom heraus.

Anschließend ausgefeilte Infrarot-TechnikKern der Meilo – und vom Bund mit

2,67 Millionen Euro aus dem Umwelt Innovationsprogramm gefördert – ist die besonders aufwändig ausgeführte

Nahinfrarot-Scannertechnik. Das An-lagenkonzept setzt auf eine hohe Zahl dieser Sortierstationen: Nahinfrarot-spektrometer können unterscheiden, ob gerade eine Shampooflasche aus Polyethylen (PE), ein Flasche aus Poly-ethylenterephthalat (PET) oder ein Jo-ghurtbecher aus Polystyrol (PS) die Anlage durchläuft.

Rund 30 Zentimeter hinter dem

Lichtstrahl ist eine Batterie aus Druck-luftdüsen montiert, die per Acht-Bar-Druckimpuls gezielt das zuvor detek-tierte Sortiergut aus dem Strom schießt. In der Meilo arbeiten gleich 22 dieser sensorbasierten Sortierma-schinen (Nahinfrarotspektrometer). Weitere Fortschritte in der Recycling-tiefe sind künftig vor allem an dieser

Special Recycling

Der Balastikseparator nutzt zur Trennung die ver-schiedenen Flugkurven.

KI und die Zukunft der Mülltrennung

Wer KI hört, denkt unwillkürlich an Roboter, die Autoteile montieren, schachspielende Com-puter oder Navigationssysteme für Chirurgen. Aber Abfall? Wertstoffe? Die Entsorgungsbran-che, eine der wachstumsstärksten Branchen in Deutschland, nutzt schon heute KI. So profi-tiert die Wertstoffaufbereitungsanlage von Lobbe in Iserlohn, eine der modernsten in diesem Land, von der dort vorhandenen KI. „Die Anforderungen an solche automatischen Erken-nungs- und Sortierprozesse entwickeln sich weiter. So ändern sich Produktspezifikationen von Kunststoffarten“, sagt Michael Wieczorek, Geschäftsführer Lobbe Entsorgung West GmbH & Co KG.Unter KI werden Verfahren verstanden, bei denen nicht maschinell ein Prozess stets wieder-holt wird, sondern bei dem es um Differenzierung, Entscheidung und Veränderung geht – kurzum, um Mitdenken.KI zeichnet sich durch Lernfähigkeit aus, sodass derartige Systeme auf neue Anforderungen „intelligent“ reagieren können. Entsprechend sollten KI-Systeme menschenähnliche Entschei-dungsstrukturen besitzen.Eine dieser dynamischen Herausforderungen ist die starke Veränderung der Verpackungsmaterialien und -zusammensetzun-gen. Polystyrol, früher die Standardverpackung von Joghurt, stirbt langsam aus. Stattdessen sind gerußte, kristalline oder ge-schäumte Verpackungen auf dem Vormarsch. Und diese muss eine hochmoderne, leistungsfähige Wertstoffsortieranlage un-terscheiden können, damit Anlagen weiterhin hohe Sortierquoten erzielen können. Zugleich muss die Technik erkennen, wel-che Fehlwürfe – beispielsweise Altkleider oder Windeln – nicht ins Recycling kommen.Hier muss KI mitdenken und sich verändernden Rahmenbedingungen anpassen. Denn zum einen schreibt das anstehende Verpackungsgesetz eine höhere Güte des sortierten Materials vor, zum anderen aber kommen immer wieder neue Materialien hinzu, die sortenrein getrennt werden müssen.

Nahinfrarot-Spektrometer unterscheiden Materialien entsprechend ihrer Lichtreflexion.

Lobbe-Geschäftsführer Micheal Wieczorek.

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Recycling Special

Sabine Günther, [email protected], Martin Vogt, [email protected]

Bei der manuellen Trennung werden Fehlwürfe aussortiert.

Nach der Sortierung verlassen sortenreine, gepresste Ballen die Anlage

Bild

er: L

obbe

(7),

Vogt

(2)

Meilo kann sogar drei verschiedene Sorten Folie unterscheiden.

Stelle zu erwarten. Meilo erlaubt, neu für die Branche, bereits die Trennung von PP und OPP.

Manuelle Nachsortierung ist immer noch nötig„Ein großes Problem für das Recyc-

ling sind gerußte, schwarze Verpa-ckungen. Da sie das Licht des Scan-ners nicht reflektieren, können wir diese auch nicht sortieren“, erläutert

Bertmann. So braucht auch die mo-dernste Sortieranlage zuverlässige Hände: Über eine ganze Reihe von pa-rallelen Bändern ist der Kunststoff-Sortierstrom anschließend aufgeteilt – und auf jedem wird händisch nach-gearbeitet, alleine auf drei Bändern laufen Folien.

Die getrennten Ströme landen in Materialbunkern, aus denen sich Pak-tier- und Ballenpresse bedienen und

die getrennten Materialien zu hoch-kompakten Würfeln verpressen. Diese lagern schließlich draußen auf dem Freigelände der Meilo.

Nahe am theoretisch möglichen MaximumSeit 21. Februar 2018 lief die Anlage

im Probebetrieb, um die einzelnen Anlagenteile aufeinander einzuspie-len. Seitdem leitet Manuel Götz, Be-triebsleiter Meilo, die Anlage mit ih-ren 60 Angestellten. Die offizielle Ein-weihung der Anlage erfolgte am 22. Juni 2018. Zunächst noch im Zwei-Schicht-Betrieb, wollen die Betreiber auf drei Schichten aufstocken, um die Anlage im zweiten Halbjahr 2018 auf volle Auslastung hochzufahren.

Mit den angepeilten 53 Prozent Re-cyclingquote, die jetzt bereits fast er-reicht werden, übertrifft die Meilo nicht nur die gesetzlichen Anforde-rungen, sondern liegt sehr nahe am theoretischen Optimum. Denn nach den Erfahrungen der bisherigen Be-triebsmonate enthält die Anlieferung rund 30 Prozent Fehlwürfe - kurioses-ter Fehwurf war eine tote Katze - und 16 Prozent nicht recycelbare Kunst-stoffe. Somit bleiben maximal 54 Pro-zent recycelbares Material übrig.

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