faszination belval

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LuxemburgerWort 26 SÜDEN Samstag, den 9. August 2014 VON NICOLAS ANEN 23 Jahre lang war Jean Goedert Ar- chitekt der Stadt Esch, bevor er 2011 in Rente ging. Ganz loslassen konnte er von seiner früheren Akti- vität aber nicht. Geprägt vom Pro- jekt Belval, ein Unternehmen, das er von Anfang an verfolgt und mitge- staltet hat, zieht es ihn regelmäßig zurück, um jetzt Besucher durch das zukünftige Universitätsviertel zu führen und Hintergrundinformatio- nen zu liefern. „Belval ist schon außergewöhn- lich“, unterstreicht Jean Goedert immer wieder. Nicht nur, weil es die Universität beherbergen wird, sondern, weil es einen Teil der lu- xemburgischen Geschichte resü- miert. Dafür müsse man sich in die Zeit vor der Eisenindustrie und dem Belvaler Hüttenwerk zurück- versetzen, als das Areal noch aus dem „Clair-Chêne“-Wald bestand, erkärt er. Damit das Werk entstehen konnte, stellte die Gemeinde das Gebiet damals zur Verfügung: Der Wald musste dem Werk weichen. Dies stelle die Evolution Luxem- burgs vom Agrarstaat ins indust- rielle Zeitalter dar. Heute folge auf demselben Gebiet eine weitere Stufe: den Schritt in die Wissens- gesellschaft. Die Universität soll nicht nur neue Betriebe anziehen, sondern sich positiv auf die gesamte Ge- sellschaft auswirken. „Deshalb ge- staltet sich Belval sehr offen“, er- klärt Jean Goedert weiter. Die Na- men der Unigebäude, „Maison du savoir“, „Maison du nombre“, „Maison du livre“, usw. sollen wie in einer Stadt Häuser darstellen, die zugänglich sind. Deshalb sind in den Untergeschossen vieler Unigebäude Cafés oder Ge- schäftsflächen vorgesehen, was gleichzeitig auch das Gelände mit Leben füllt. Wie eben in einer Stadt. „Die Universität soll kein Fremdkörper werden“ Von Anfang an wurde Sorge ge- tragen, das Univiertel nicht als se- paraten Campus außerhalb von Esch/Alzette zu planen, sondern es als neues Viertel in die bestehen- de städtische Struktur zu integ- rieren, unterstreicht Jean Goer- gen. „Die Universität soll kein Fremdkörper werden“. Auf den Einwand, dass das Viertel derzeit gefühlt eher an Be- les als an Esch angesiedelt sei, er- klärt Jean Goedert, dass langfristig eine direktere Verbindung mit Esch vorgesehen ist. Wenn die „Li- aison Micheville“ bis fertiggestellt wird (Horizont 2018), wird der Kreisverkehr Raemerich nicht mehr in der aktuellen Größe not- wendig sein. Wird auch noch das neue „Südspidol“ Realität, dann wird eine Verbindung mit Esch, im Bereich der Nonnewisen, entste- hen. Auch die „Waassertrap“ die langfristig eine grüne Schneise von Beles über Belval bis nach Esch führen wird, soll dazu beitragen. Weiter gibt er zu bedenken, dass aktuell viele Studentenwohnun- gen in Esch entstehen und dass sich im Zentrum der Minettemetro- pole Strukturen befinden, die es nicht in Belval gibt, wie das Stadt- theater. Auch müssten, langfristig gesehen, die Wohngebiete von Be- les, Esch/Alzette, Monnerich und Schifflingen als ein Ballungsraum betrachtet werden. Dem sich auch das französische Pendant zu Bel- val, die geplante Ecocité, zufügen könnte. Auf die Frage, was man beim Projekt Belval im Nachhinein wohl anders hätte anpacken sollen, er- klärt Jean Goedert, dass man be- treffend das kommerzielle Ange- bot wahrscheinlich besser getan hätte, eher auf kleinere, flexiblere Strukturen zu setzen, die sich mit dem Viertel entwickelt hätten, als sofort auf ein großes Einkaufs- zentrum. Doch hätte dies auch In- vestitionen bedeutet, die sich wahrscheinlich weniger schnell rentabel gestaltet hätten. Insge- samt zeigt sich Jean Goedert aber positiv darüber überrascht, dass die Projekte in Belval so schnell vorankommen: „Davor muss man seinen Hut ziehen“. „Die Leute sind erstaunt, wenn sie zum ersten Mal Belval sehen“, weiß Jean Goedert auch aus Er- fahrung. Dazu kämen die schönen Landschaftsbilder der Region, die die früheren Tagebaugebiete an- bieten. „Das passt nicht in das Bild, das sich viele vom Süden ma- chen“. Außerdem sei der Süden es ge- wohnt, mit Immigrationswellen umzugehen. Die nächste, die be- vorstehe, sei die der Studenten und Professoren. Dank seiner Ge- schichte seien Belval und der Sü- den gewappnet, um diese Heraus- forderung zu meistern. Bis dass es so weit ist, will Jean Goedert noch zahlreichen Personen den Süden näherbringen. Und mit ihnen sei- ne Faszination für Belval teilen. Führung am 20. September Die nächste Führung von Jean Goe- dert findet am 20. September, von 10.30 bis 12.30 in Belval statt. Ein- schreibungsmöglichkeiten und mehr Informationen gibt es auf: n www.redrock.lu Hochöfen geben dem Standort seine Identität Belval. Vieles vom heutigen Aussehen Belvals lässt sich durch die industriel- len Infrastrukturen erklären, die auf dem Standort bestanden, erklärt Jean Goe- dert. So zum Beispiel die Hochöfen, die Eisenbahnlinie, aber auch die geraden Verkehrsachsen, die übernommen wur- den. Bei seinen Touren habe er bereits den Vorwurf gehört, dass „zu dicht“ gebaut werde. Diesen lässt er allerdings nur be- dingt gelten. Denn auf dem Gelände sei noch viel Platz übrig, um über bauliche Reserven zu verfügen. So zum Beispiel, um das RBC-Gebäude auszubauen. Wei- ter gibt er zu bedenken, dass die Ge- bäude der Hochofenterrasse nur einen Teil des Gesamtprojektes darstellen. Auch wurde von manchen bemän- gelt, dass zu nah an den Hochöfen ge- baut werde. Doch das Konzept, das für Letztere ausgesucht wurde, sei das des „Monument dans la Cité“. „Die Hoch- öfen werden manchmal mit Kathedra- len verglichen“. Doch auch die Kathe- dralen seien in einem dichten Raum ent- standen. Belval sei übrigens der einzige Ort weltweit, in dem die Hochöfen in ei- nem urbanen Feld erhalten wurden. Deren Instandsetzung habe viel ge- kostet (etwa 40 Millionen Euro, Anm. der Redaktion), doch geben sie dem Standort eine Identität und ermögli- chen es, sich von anderen ähnlichen Projekten abzuheben. Dies sei wichtig um potenzielle Investoren anziehen zu können. Womit diese Instandsetzung sich mit der Zeit bezahlt machen wer- de, auch wenn dies schwer zu beziffern sei. (na) Für Jean Goedert stellt Belval in zahlreichen Hinsichten ein außerge- wöhnliches Projekt dar. (FOTO: TANIA BETTEGA) Vor weniger als 20 Jahren war in Belval noch ein Hochofen in Betrieb. Vor der Schnelligkeit, mit der die Unigebäude aus dem Boden geschossen seien, müsse man seinen Hut ziehen, so der frü- here Stadtarchitekt Jean Goedert. (FOTO: CLAUDE PISCITELLI) Früherer Escher Stadtarchitekt gibt geführte Touren im neuen Universitätsviertel Faszination Belval „Die Leute sind erstaunt, wenn sie zum ersten Mal Belval sehen“, so Jean Goedert

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Page 1: Faszination belval

LuxemburgerWort26 SÜDEN Samstag, den 9. August 2014

VON NICOLAS ANEN

23 Jahre lang war Jean Goedert Ar-chitekt der Stadt Esch, bevor er2011 in Rente ging. Ganz loslassenkonnte er von seiner früheren Akti-vität aber nicht. Geprägt vom Pro-jekt Belval, ein Unternehmen, das ervon Anfang an verfolgt und mitge-staltet hat, zieht es ihn regelmäßigzurück, um jetzt Besucher durch daszukünftige Universitätsviertel zuführen und Hintergrundinformatio-nen zu liefern.

„Belval ist schon außergewöhn-lich“, unterstreicht Jean Goedertimmer wieder. Nicht nur, weil esdie Universität beherbergen wird,sondern, weil es einen Teil der lu-xemburgischen Geschichte resü-miert. Dafür müsse man sich in dieZeit vor der Eisenindustrie unddem Belvaler Hüttenwerk zurück-versetzen, als das Areal noch aus

dem „Clair-Chêne“-Wald bestand,erkärt er.

Damit das Werk entstehenkonnte, stellte die Gemeinde dasGebiet damals zur Verfügung: DerWald musste dem Werk weichen.Dies stelle die Evolution Luxem-burgs vom Agrarstaat ins indust-rielle Zeitalter dar. Heute folge aufdemselben Gebiet eine weitereStufe: den Schritt in die Wissens-gesellschaft.

Die Universität soll nicht nurneue Betriebe anziehen, sondernsich positiv auf die gesamte Ge-sellschaft auswirken. „Deshalb ge-staltet sich Belval sehr offen“, er-klärt Jean Goedert weiter. Die Na-men der Unigebäude, „Maison dusavoir“, „Maison du nombre“,„Maison du livre“, usw. sollen wiein einer Stadt Häuser darstellen,die zugänglich sind. Deshalb sindin den Untergeschossen vielerUnigebäude Cafés oder Ge-

schäftsflächen vorgesehen, wasgleichzeitig auch das Gelände mitLeben füllt. Wie eben in einerStadt.

„Die Universität sollkein Fremdkörper werden“

Von Anfang an wurde Sorge ge-tragen, das Univiertel nicht als se-paraten Campus außerhalb vonEsch/Alzette zu planen, sondern esals neues Viertel in die bestehen-de städtische Struktur zu integ-rieren, unterstreicht Jean Goer-gen. „Die Universität soll keinFremdkörper werden“.

Auf den Einwand, dass dasViertel derzeit gefühlt eher an Be-les als an Esch angesiedelt sei, er-klärt Jean Goedert, dass langfristigeine direktere Verbindung mitEsch vorgesehen ist. Wenn die „Li-aison Micheville“ bis fertiggestelltwird (Horizont 2018), wird derKreisverkehr Raemerich nicht

mehr in der aktuellen Größe not-wendig sein. Wird auch noch dasneue „Südspidol“ Realität, dannwird eine Verbindung mit Esch, imBereich der Nonnewisen, entste-hen. Auch die „Waassertrap“ dielangfristig eine grüne Schneise vonBeles über Belval bis nach Eschführen wird, soll dazu beitragen.

Weiter gibt er zu bedenken, dassaktuell viele Studentenwohnun-gen in Esch entstehen und dass sichim Zentrum der Minettemetro-pole Strukturen befinden, die esnicht in Belval gibt, wie das Stadt-theater. Auch müssten, langfristiggesehen, die Wohngebiete von Be-les, Esch/Alzette, Monnerich undSchifflingen als ein Ballungsraumbetrachtet werden. Dem sich auchdas französische Pendant zu Bel-val, die geplante Ecocité, zufügenkönnte.

Auf die Frage, was man beimProjekt Belval im Nachhinein wohl

anders hätte anpacken sollen, er-klärt Jean Goedert, dass man be-treffend das kommerzielle Ange-bot wahrscheinlich besser getanhätte, eher auf kleinere, flexiblereStrukturen zu setzen, die sich mitdem Viertel entwickelt hätten, alssofort auf ein großes Einkaufs-zentrum. Doch hätte dies auch In-vestitionen bedeutet, die sichwahrscheinlich weniger schnellrentabel gestaltet hätten. Insge-samt zeigt sich Jean Goedert aberpositiv darüber überrascht, dassdie Projekte in Belval so schnellvorankommen: „Davor muss manseinen Hut ziehen“.

„Die Leute sind erstaunt, wennsie zum ersten Mal Belval sehen“,weiß Jean Goedert auch aus Er-fahrung. Dazu kämen die schönenLandschaftsbilder der Region, diedie früheren Tagebaugebiete an-bieten. „Das passt nicht in das Bild,das sich viele vom Süden ma-chen“.

Außerdem sei der Süden es ge-wohnt, mit Immigrationswellenumzugehen. Die nächste, die be-vorstehe, sei die der Studenten undProfessoren. Dank seiner Ge-schichte seien Belval und der Sü-den gewappnet, um diese Heraus-forderung zu meistern. Bis dass esso weit ist, will Jean Goedert nochzahlreichen Personen den Südennäherbringen. Und mit ihnen sei-ne Faszination für Belval teilen.

Führung am 20. September

Die nächste Führung von Jean Goe-dert findet am 20. September, von10.30 bis 12.30 in Belval statt. Ein-schreibungsmöglichkeiten und mehrInformationen gibt es auf:

n www.redrock.lu

Hochöfen geben dem Standort seine Identität

Belval. Vieles vom heutigen AussehenBelvals lässt sich durch die industriel-len Infrastrukturen erklären, die auf demStandort bestanden, erklärt Jean Goe-dert. So zum Beispiel die Hochöfen, dieEisenbahnlinie, aber auch die geradenVerkehrsachsen, die übernommen wur-den.

Bei seinen Touren habe er bereits denVorwurf gehört, dass „zu dicht“ gebautwerde. Diesen lässt er allerdings nur be-dingt gelten. Denn auf dem Gelände seinoch viel Platz übrig, um über baulicheReserven zu verfügen. So zum Beispiel,um das RBC-Gebäude auszubauen. Wei-ter gibt er zu bedenken, dass die Ge-bäude der Hochofenterrasse nur einenTeil des Gesamtprojektes darstellen.

Auch wurde von manchen bemän-gelt, dass zu nah an den Hochöfen ge-

baut werde. Doch das Konzept, das fürLetztere ausgesucht wurde, sei das des„Monument dans la Cité“. „Die Hoch-öfen werden manchmal mit Kathedra-len verglichen“. Doch auch die Kathe-dralen seien in einem dichten Raum ent-standen. Belval sei übrigens der einzigeOrt weltweit, in dem die Hochöfen in ei-nem urbanen Feld erhalten wurden.

Deren Instandsetzung habe viel ge-kostet (etwa 40 Millionen Euro, Anm.der Redaktion), doch geben sie demStandort eine Identität und ermögli-chen es, sich von anderen ähnlichenProjekten abzuheben. Dies sei wichtigum potenzielle Investoren anziehen zukönnen. Womit diese Instandsetzungsich mit der Zeit bezahlt machen wer-de, auch wenn dies schwer zu beziffernsei. (na) Für Jean Goedert stellt Belval in zahlreichen Hinsichten ein außerge-

wöhnliches Projekt dar. (FOTO: TANIA BETTEGA)

Vor weniger als 20 Jahren war in Belval noch ein Hochofen in Betrieb. Vor der Schnelligkeit, mit der die Unigebäude aus dem Boden geschossen seien, müsse man seinen Hut ziehen, so der frü-here Stadtarchitekt Jean Goedert. (FOTO: CLAUDE PISCITELLI)

Früherer Escher Stadtarchitekt gibt geführte Touren im neuen Universitätsviertel

Faszination Belval„Die Leute sind erstaunt, wenn sie zum ersten Mal Belval sehen“, so Jean Goedert