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Feste und Feiern im Mittelalter Paderborner Symposion des Mediävistenverbandes Herausgegeben von Detlef Altenburg, Jörg Jarnut und Hans-Hugo Steinhoff T Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1991 , j-, ýý$

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Feste und Feiern im Mittelalter

Paderborner Symposion des Mediävistenverbandes

Herausgegeben von Detlef Altenburg, Jörg Jarnut und

Hans-Hugo Steinhoff

T Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen

1991

, j-,

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Die Stadtgesellschaft und ihre Feste

VON THOMAS ZOTZ

»Stadt und Fest« - unter diesem Titel erschien 1987 die Publikation einer Vortragsreihe an der Universität Zürich'. Dort wurde dem breiten Spektrum urbaner Festkultur, auch des Mittelal- ters, Rechnung getragen, einem Spektrum, das in dem hier zur Verfügung stehenden Raum und angesichts des weit aufgefächerten Gesamtthemas »Feste und Feiern im Mittelalter« nur ausschnitthaft und verengt behandelt werden kann. Zunächst soll der Blick räumlich begrenzt nur auf die deutschen Städte des Spätmittelalters geworfen werden, nicht zuletzt deshalb, weil damit eine Grundlage für den Vergleich mit der durch Jacques Heers2, Robert Muchembled3 und Roger Chartier' weitaus intensiver als hierzulande erforschten städtischen Festkultur in Frankreich und Italien geschaffen werden könnte. Überdies gibt das Thema des Beitrags eine inhaltliche Einschränkung vor: Es kann hier nicht um die Feste gehen, die Auswärtige in der Stadt feiern, beispielsweise der einziehende Fürst' oder der turnierende Adel6, sondern um die Feste der Stadtgesellschaft selber, um )ihre< Feste. Gleichwohl erscheint eine solche Separie- rung nicht ohne Willkür; denn auch an Festen der erwähnten Art war die Stadtgesellschaft durchaus beteiligt, sei es als Mitveranstalter, sei es'nur< in der Rolle des Zuschauers, einer für das auf Ostentation ausgerichtete Fest zweifellos wichtigen Rolle.

1 PAUL HUGGER (Hg. ), Stadt und Fest. Zu Geschichte und Gegenwart europäischer Festkultur (1987). Die von Hugger S. 9-24 gegebene Einleitung orientiert aufs beste über Geschichte und Situation der Festforschung. 2 JACQUES HEERS, Fetes des foul et Carnavals (1983), dt. u. d. T.: Vom Mummenschanz zum Machttheater. Europäische Festkultur im Mittelalter (1986). Im folgenden Zitate nach der deutschen Ausgabe. 3 ROBERT MUCHEMBLED, Culture populaire et culture des elites dans laFrance moderne (1978), S. 158ff., dt. u. d. T.: Kultur des Volks - Kultur der Eliten. Die Geschichte einer erfolgreichen Verdrängung (1984), S. 126ff. Im folgenden Zitate nach der deutschen Ausgabe. 4 ROBER CHARTrER, »Phantasie und Disziplin. Das Fest in Frankreich vom 15. bis 18. Jahrhundert«, in: Volkskultur. Zur Wiederentdeckung des vergessenen Alltags (16.20. Jahrhundert), hg. von RICHARD VAN DOLMEN und NORBERT SCHINDLER (1984), 5.153-176. 5 Vgl. THEO KÖLZER, »Adventus regis«, in: Lexikon des Mittelalters 1 (1980), Sp. 170f. und jüngst KLAUS TENFELDE, »Adventus: Die fürstliche Einholung als städtisches Fest«, in: Stadt und Fest (wie Anm. 1), S. 45-60. 6 Hierzu neuerdings THOMAS Zorz, Adel, Bürgertum und Turniere in deutschen Städten vom 13. bis 15. Jahrhundert«, in: Das ritterliche Turnier im Mittelalter. Beiträge zu einer vergleichenden Formen- und Verhaltensgeschichte des Rittertums, hg. von JosEF FLECKENSTEIN (= Veröffentlichungen des Max-Planck- Instituts für Geschichte 80,1985), S. 450-499.

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Ebenso wenig klar ist eine Definition von Stadtgesellschaft< zu geben 7. Zu ihr gehörten die

Bürger und übrigen Einwohner einer Stadt, aber auch die kirchlichen Institutionen, und die Bürgerschaft gliederte sich wiederum in zahlreiche Gruppierungen, in Gesellschaften der Kaufleute, in handwerkliche Zünfte und Gesellenverbände8. Wenn man das Fest als periodi- sche Artikulation einer Gruppenkultur bestimmt, dann hatten sowohl die Stadtgesellschaft als ganze9 wie auch ihre einzelnen sozialen Gruppen ihr Fest10; dies macht das Phänomen

städtischer Feste so kompliziert, aber auch gleichzeitig so interessant. Die hier gebotene Beschränkung kann im übrigen die Feste im Lebenszyklus von Bürgern, vor allem die Hochzeit, nur ganz am Rand zur Geltung kommen lassen, wenngleich auch solche »Familien- feste« gruppenbezogen gefeiert wurden.

Im folgenden seien nun einige Aspekte jahreszyklischer Feste in Stadtgesellschaften des deutschen Spätmittelalters vorgestellt und analysiert; dabei kommen am Beginn und Ende

zwei Beispiele etwas ausführlicher zur Sprache, die zugleich den zeitlichen Rahmen der Untersuchung markieren: nämlich das für die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts überlieferte Magdeburger Gralsfest und die seit den 1430er Jahren gut dokumentierte Nürnberger Fastnacht.

Das Magdeburger Gralsfest" hat schon früh das Interesse der Volkskunde auf sich gezogen: Seinen Elementen und ihrer Wirkungsgeschichte ist Ludwig Wolff 1927 nachgegan- gen; dabei war ihm vor allem die Umprägung ritterlicher Kultur in bürgerlich-städtische Gesinnung ein wichtiges Thema12. Demgegenüber haben jüngere Forschungen vor dem Hintergrund breiterer sozialgeschichtlicher Erkenntnisse eher die Gemeinsamkeiten ritterli- cher und bürgerlicher Kultur im 13. Jahrhundert betont, und an dieser Stelle ist anzusetzen13.

7 Zur Problematik vgl. PHILIPPE DOLLINGER, »Les villes allemandes au moyen äge. Les groupements sociaux«, in: La ville 2, Institutions economiques et sociales (= Recueils de la societe Jean Bodin 7,1955), S. 371-400, dt. Wiedergabe: »Die deutschen Städte im Mittelalter. Die sozialen Gruppierungen«, in: Altständisches Bürgertum 2, hg. von HEINZ STOOB (= Wege der Forschung 417,1978), S. 269-300; JACQuEs LE Gorr, »L'apogee de la France urbaine medievale 1150-1330«, in: Histoire de la France urbaine 2, hg. von GEORGES DUBY (1980), S. 324ff. 8 Vgl. SIEGFRIED SIEBER, »Nachbarschaften, Gilden, Zünfte und ihre Feste«, in: Archiv für Kulturge- schichte 11 (1914), S. 455-482 und 12 (1916), S. 56-78 und neuerdings Gilden und Zünfte. Kaufmännische und gewerbliche Genossenschaften im frühen und hohen Mittelalter, hg. von BERENT SCHWINEKÖPER (= Vorträge und Forschungen 29,1985) und WILFRIED REININGHAus, Die Entstehung der Gesellengilden im Spätmittelalter (= VSWG Beiheft 71,1981). 9 Beispielhaft AcHATz VON MÜLLER, »Die Festa S. Giovanni in Florenz. Zwischen Volkskultur und Herrschaftsinszenierung«, in: Das Fest. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart, hg. von UWE SCHULTZ (1988), S. 153-163. 10 Vgl. HEERS, Mummenschanz (wie Anm. 2), S. 224ff., und MUCHEMBLED, Kultur des Volks (wie Anm. 3), S. 132ff. 11 Vgl. hierzu neuerdings LEOPOLD KRETZENBACHER, Ringreiten, Rolandspiel und Kufenstechen (_ Buchreihe des Landesmuseums für Kärnten 20,1966), S. 81 ff., und WILHELM STÖR11ER, »König Artus als aristokratisches Leitbild während des späteren Mittelalters«, in: Zeitschrift für bayerische Landesge- schichte 35 (1972), S. 946-971, und ZoTz, »Adel« (wie Anm. 6), 5.491 f. 12 LUDWIG WOLFF, »Das Magdeburger Gralsfest Bruns von Schönebeck«, in: Niederdeutsche Zeitschrift für Volkskunde 5 (1927), S. 202-216. 13 Vgl. z. B. HORST WENZEL, Höfische Geschichte. Literarische Tradition und Gegenwartsdeutung in den volkssprachigen Chroniken des hohen und späten Mittelalters (= Beiträge zur Älteren Deutschen Literaturgeschichte 5,1980), S. 191ff.; ERICH MASCHKE, »Bürgerliche und adlige Welt in den Städten der Stauferzeit«, in: Südwestdeutsche Städte im Zeitalter der Staufex, hg. von ERICH MASCHI: E und JÜRGEN

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DIE STADTGESELLSCHAFT UND IHRE FESTE 203

Wie die nach der Mitte des 14. Jahrhunderts verfaßte Magdeburger 'Schöppenchronik für die Zeit um 1280 berichtet, hatten die kunstabelen, das heißt: der rikesten borger kinder, damals die Gewohnheit, zu Pfingsten ritterliche Spiele wie den Roland, den schildekenbom oder die Tafelrunde zu veranstalten". In diesem Rahmen verfaßte einer ihrer Gesellen, der Dichter Brun von Schönebeck 1S, zu einem bestimmten Anlaß einen »Gral« 16, ein ritterli- ches Stechspiel, das auf dem Marsch, der bei Magdeburg gelegenen Elbinsel 17, stattfand.

Hierzu luden die Magdeburger kunstabelen alle Kaufleute, die Ritterschaft üben woll- ten, aus Goslar, Hildesheim, Braunschweig, Quedlinburg und Halberstadt und anderen Städten ein, und so kamen dem Chronisten zufolge alle jungelinge von den genannten Städten nach Magdeburg, wohl am Pfingstsonntag. Die Gäste wußten offenbar besser als die Magdeburger, wie ein rechter Einritt vonstatten geht, denn sie legten Wert darauf, mit Tjosten empfangen zu werden. Am nächsten' Tag zogen die Gäste nach dem Besuch des Gottesdienstes und nach einer Mahlzeit vor den Gral, offenbar eine zum Zweck des Spiels

errichtete Burg, in der sich die Konstablen als Gralsritter aufhielten. Ihre Schilde hingen an einem Baum, und wenn einer der Gäste den Schild eines Magdeburger jungeling berührte, hatte dieser die Burg zum ritterlichen Zweikampf zu verlassen. Es handelte sich also um eine besondere Spielvariante des anfangs erwähnten schildekenbom18. Den ausgesetzten Preis, eine schöne Frau, das heißt hier: eine Prostituierte, soll sich übrigens ein alter Kaufmann aus Goslar errungen haben. Der Bericht der Schöppenchronik schließt mit dem Hinweis darauf, daß von dieser Magdeburger Veranstaltung ein ganz dudesch bok gemacht sei.

Wenn auch die Quelle das Wort >Fest< nicht verwendet - darüber wird weiter unten noch zu reden sein -, so bietet die Darstellung doch in vieler Hinsicht Elemente und Wesenszüge, die für das Fest im allgemeinen wie für die Stadtgesellschaft im besonderen

charakteristisch erscheinen: Erstens handelt es sich um eine Gewohnheit19, also ein alljähr- lich zu einem bestimmten, mit dem kirchlichen Hochfest Pfingsten zusammenfallenden Zeitpunkt wiederholtes und wiederholbares Ereignis in der für das Magdeburger Bürger-

tum zweifellos wichtigen Gesellschaft der kunstabelen: Sie standen den genannten Spielen

vor; der Teilnehmerkreis reichte also über diese Gesellschaft hinaus, aber gleichwohl dürfte

eine solche Art städtischen Fests für die Magdeburger kunstabelen als soziale Gruppe

SYDow (= Stadt in der Geschichte 6,1980), S. 9-27, und THOMAS Zorz, »Städtisches Rittertum und Bürgertum in Köln um 1200, in: Institutionen, Kultur und Gesellschaft. Festschrift für Josef Fleckenstein, bg. von LUTZ FENSKE, WERNER RÖSENER und THOMAS ZoTZ (1984), S. 609-638. 14 »Die Magdeburger Schöppenchronik«, in: Die Chroniken der niedersächsischen Städte. Magdeburg 1, hg. von Ia-HEtm4. (= Die Chroniken der deutschen Städte 7,1869, ND 1962), S. 168f. Zu den kunstabelen vgl. allgemein den Artikel »Konstabel, Konstabler«, in: Deutsches Rechtswörterbuch 7 (1983), Sp. 1256ff. Die hier vorgenommene Einordnung des Magdeburger Belegs unter »Vorsteher« ist allerdings irrig. 15 Zu ihm vgl. LUDWIG WOLFF, »Brun von Schönebeck«, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters, 2. Aufl. hg. von KuRr RuH, 1 (1978), Sp. 1056ff. 16 Zur Problematik des Wortes vgl. Art. »Gral« 3, in: Deutsches Wörterbuch 4,1,5 (1958; Bd. 8 des Neudrucks 1984), Sp. 1743ff. und Woz. FF, »Gralsfest« (wie Anm. 12), S. 215f. 17 Vgl. »Schöppenchronik« (wie Anm. 14), 5.458 s. v. mersche. 18 Zum schildekenbom vgl. KRETZENBACHER, Ringreiten (wie Atun. 11), Register 5.217 s. v. 19 Diese Aussage der Schöppenchronik wird in der bisherigen, auf das geschilderte Ereignis selbst orientierten Literatur nicht genügend berücksichtigt.

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bestätigend. gewirkt haben. Die zugleich gruppenbezogene wie über die Gruppe hinausrei-

chende Funktion des Festes, seine Abgrenzung wie Entgrenzung20, erscheint wesentlich. Ferner sagt der Bericht der Schöppenchronik etwas über die zentrale Frage aus, von wem

das Fest veranstaltet wurde, und dies gleich in historischer Dimension: Danach lagen im späten 13. Jahrhundert die Spiele in Händen der kunstabelen, ein Begriff, der für das Publikum des nach der Mitte des 14. Jahrhunderts schreibenden Heinrich von Lammespringe 2' offenbar nicht mehr geläufig war und daher der Erklärung bedurfte: Es waren die Kinder der reichsten Bürger. Zur Zeit der Chronikniederschrift stand hingegen der Rat den Pfingstspielen in Magdeburg, vor22, und diese Einbindung und damit verbundene Kontrolle derartiger Feste durch die städtische Institution kann als besonderes Merkmal städtischer Festkultur im späten Mittelalter gelten, wie Roger Chartier23 und zuletzt Harry Kühnel24 für die Zeit seit dem 15. Jahrhundert betont haben. Im Falle von Magdeburg läßt sich dieser Vereinnahmungspro- zeß bereits früher beobachten und auf wenige Jahrzehnte zwischen 1280 und 1350 eingrenzen.

Mit der Umschreibung der kunstabelen als »Kinder der reichsten Bürger« ist ein weiteres Stichwort zur Charakterisierung des mittelalterlichen Festwesens gegeben: Es geht um die vielfach bezeugte Aktivität von Jungen25. Im Magdeburger Beispiel erscheinen nicht nur die Veranstalter des Gralsfests, sondern auch die Gäste aus den anderen Städten als Kinder oder jungelinge. Wie sind diese Bezeichnungen zu verstehen? Während die als Zweck der Zusam- menkunft ausgegebene Übung der Ritterschaft nahelegt, an altersmäßig junge Teilnehmer zu denken, macht die Tatsache stutzig, daß ein alter Kaufmann aus Goslar als Sieger im Gralsspiel hervorgegangen sein soll. Vor allem aber gibt die Zeitstellung Bruns von Schönebeck und seiner Werke zu denken: Als er um 1280 den Gral dichtete, muß er nämlich bereits in vorgerücktem Alter gewesen sein26. Er wird aber als Geselle der kunstabelen bezeichnet, gehörte also offensichtlich auch zu den >Kindern der reichsten Bürger(. So bleibt zu erwägen, ob man nicht in den Veranstaltern der Magdeburger Pfingstspiele in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts eine Gesellschaft der unverheirateten, wirtschaftlich unselbständigen Söhne der obersten Kaufmannsfamilien zu sehen hat, die in der Regel, aber nicht notwendig in jugendlichem Alter standen. >Kind< würde dann in solchem Kontext keine Altersstufe, sondern einen Status bezeichnen27.

20 Formulierung nach ARNO BORST, Lebensformen im Mittelalter (1973), S. 96. 21 Zur Verfasserfrage vgl. GUNDOLF KEIL, »Magdeburger Schöppenchronik«, in: Die deutsche Literatur (wie Anm. 15) 5 (1985), Sp. 1132-1142. 22 »Schöppenchronik« (wie Anm. 14), 5.168: dae nu de ratmannen sulven vorstan. 23 CHARTIER, »Phantasie« (wie Anm. 4), S. 161. 24 HARRY KÜHNEL, »Die städtische Fasnacht im 15. Jahrhundert. Das disziplinierte und öffentlich finanzierte Volksfest«, in: Volkskultur des europäischen Spätmittelalters, hg. von PETER DINZELBACHER und HANs-DIETER MÜCK (1987), S. 109-127, hier S. 114ff. 25 Vgl. die Beispiele zum Turnier- und Spielwesen bei Zo rz, »Adel« (wie Anm. 6), S. 491£, ferner JÜRGEN KÜSTER, »Fastnachtsgebote als Quellen«, in: Jahrbuch für Volkskunde NF. 6 (1983), S. 53-74, hier S. 65ff. (Nr. 26,43,129). 26 Dies läßt sich aus Selbstaussagen Bruns in seinem 1276 vollendeten Hohen Lied schließen, in dem er sich besorgt äußert, ob ihm hierfür noch Zeit bleibt. Vgl. WoLFF, »Brun von Schönebeck« (wie Anm. 15), Sp. 1058. Die hier gegebene Einordnung des Gralsgedichts in Bruns jüngere Jahre trifft deshalb von der Chronologie her nicht zu. 27 Vgl. DIETER SCHWAB, »Kind«, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 2 (1978), Sp. 717-725, Zum Phänomen von Junggesellenverbänden vgl. ROBERT MUCHEMBLED, »Die Jugend und

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Das Magdeburger Gralsfest war aber nicht nur ein Fest der dortigen kunstabelen, ' sondern bezog auch andere Städte des norddeutsch-sächsischen Raumes ein. Diese überörtliche Komponente eignete einer ganzen Reihe von Festtypen im Mittelalter, im städtischen Bereich den Schützenfesten 28, im fürstlichen den Hoffesten29 und im ritterlich-adligen den großen Turnierveranstahungen30. Stets wird man am Kreis der eingeladenen Teilnehmer etwas über Gemeinschaften ablesen können, sei es in wirtschaftlicher oder politischer Hinsicht. Was kann

nun um 1280 Kaufleute aus Goslar, Hildesheim, Braunschweig, Quedlinburg, Halberstadt

und anderen Städten mit Magdeburgern zu einem Fest zusammengeführt haben? Sicher nicht nur das im Spielerisch-Vordergründigen angesiedelte Bedürfnis, Ritterschaft zu üben, wie die Schöppenchronik mitteilt31. Dahinter dürften die Bemühungen um eine einheitliche Haltung

sächsischer Städte in Fragen des Handels mit Flandern gestanden haben. Es ist bereits Wilhelm Störmer aufgefallen, daß die beim Fest namentlich vertretenen Städte ebenso wie Magdeburg selbst später der Hanse angehört haben32. Blickt man auf deren Vorgeschichte im 13. Jahrhun- dert, so begegnen bereits damals alle in der Schöppenchronik erwähnten Orte in den Vorstufen zum späteren Sächsischen Städtebund 1267/68 (Auseinandersetzung mit Gent) und 1280/81 (Auseinandersetzung mit Brügge)11. Auch das in der lateinischen Fassung des Festberichts aus der Mitte des 15. Jahrhunderts zusätzlich genannte Halle34 war 1281 in der handelspolitischen Frage engagiert75. So ist es von der Chronologie her durchaus denkbar, daß

die Volkskultur im 15. Jahrhundert. Flandern und Artois', in: Volkskultur (wie Anm. 24), S. 35-58. Zum grundsätzlichen Problem der Junggesellen im Mittelalter fehlt einschlägige Literatur. Vgl. die Hinweise bei JACK GooDY, The Development of the Family and dfarriage in Europe (Cambridge 1983), Index S. 297 s. v. bachelors, dt. u. d. T. Die Entwicklung von Ehe und Familie in Europa (1986) Register S. 340 s. v. Junggesellen, ferner die Einzelstudie von GEORGES DUBY, »Les >jeunes< dans la societe aristocratique dans la France du Nord-Ouest au XIl siecle«, in: Annales 19 (1964), S. 835-846, wieder in: DERS., Hommes et structures du moyen iige (1973), S. 213-225. 28 Hierzu für den deutschen Raum grundlegend AUGusr EDELMANN, Schützenwesen und Schützenfeste der deutschen Städte vom 13. bis 18. Jahrhundert (1890). Vgl. ferner ALWIN SCHULTZ, Deutsches Leben im 14. und 15. Jahrhundert 2 (1892), S. 440ff. und beispielhaft für Augsburg DIETER WEBER, Geschichts- schreibung in Augsburg (= Abhandlungen zur Geschichte der Stadt Augsburg 30,1984), S. 243ff. 29 Vgl. überblickhaft JoAcHlnt BuMKE, Höfttsche Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter 1 (1986), S. 276ff., und thematisch eingegrenzt JosEF FLECKENSTEIN, »Das Turnier als höfisches Fest im hochmittelalterlichen Deutschland«, in: Das ritterliche Turnier (wie Anm. 6), S. 229-256. Zu den dichteri- schen Quellen vgl. bes. ROSEMARIE MARQuARDT, Das höfische Fest im Spiegel der mittelhochdeutschen Dichtung (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik 449,1985). 30 Dazu vgl. CARL HEINRICH FREIHERR Rom VON SCHRECKENSTEIN, Ritterwürde und Ritterstand (1886), S. 610ff. und die Beiträge zum Spätmittelalter in: Das ritterliche Turnier (wie Anm. 6), S. 425ff. 31 Vgl. zum Nebeneinander des spielerischen Vordergrunds und des politischen Hintergrunds eines Festes beispielhaft EUGEN HILLENBRAND, »>die große vaßnacht zu Offenburg< im Jahre 1483«, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 131 (1983), S. 271-288. 32 STÖRMMER, »König Artus« (wie Anm. 11), S. 961. 33 PHILIPPE DOLLINGER, La Hanse (1964), dt. u. d. T. Die Hanse (3. Aufl. 1981), S. 68ff., und neuerdings MATTHIAS PUHLE, Die Politik der Stadt Braunschweig innerhalb des Sächsischen Städtebundes

und der Hanse im späten Mittelalter (= Braunschweiger Werkstücke Reihe A 20,1985), S. 14,19f. 34 Vgl. KARL HELDMANN, Rolandsspielfigurert, Richterbilder oder Königsbilder? (1905), S. 207. 35 Urkundenbuch der Stadt Halle, ihrer Stifter und Klöster, bearb. von ARTHUR BIERBACH (= Ge- schichtsquellen der Provinz Sachsen und des Freistaates Anhalt, Neue Reihe 10,1930), Nr. 368 5.337f.

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der. von Kaufleuten aus dem sächsischen Raum gefeierte Magdeburger Gral die gemeinsame Handelspolitik der dabei vertretenen Städte festlich bekräftigen sollte.

Wie sehr jenes Fest Spuren hinterlassen hat - auch dies gehört zur Festkultur -, zeigen nicht nur der spätere, erstaunlich detaillierte Bericht der Schöppenchronik, sondern auch die

zeitgenössische, leider verlorene Beschreibung in einem deutschen Buch und nicht zuletzt die in einer Magdeburger Stadtkerngrabung gefundenen. Zinnfigurenstreifen mit Szenen aus der Geschichte Parzivals, die mit guten Gründen auf das Gralsfest zu beziehen sind36: Schriftliche und dingliche Erinnerung an ein Fest, so wie ein Fest oft selbst Erinnerung an ein besonderes Ereignis war!

Fassen wir die Aussagen des einzigartig farbigen Berichts über den Magdeburger Gral zusammen: Der Festcharakter manifestiert sich im ritterlichen Kampfspiel zu Pfingsten, dem gewohnheitsmäßigen Termin für das jährliche Fest der Gesellschaft der kunstabelen, im Gottesdienst und im gemeinsamen Essen der Gäste. Ein weiteres Element, das auch zum Fest gehört, der Tanz, wird nicht erwähnt37. Aber auch einen zusammenfassenden Begriff für die Veranstaltung vermißt man im Bericht des Chronisten. Damit ist die Frage der Festterminolo- gie berührt, der hier ein paar Sätze gewidmet seien, auch wenn sie kein Spezifikum des stadtgesellschaftlichen Festes ist.

Es fällt auf, daß das aus dem Lateinischen entlehnte Wort >Fest< in mittelhochdeutscher Zeit äußerst selten begegnet38. Bekanntlich gab es mit althochdeutsch tult39 und mittelhoch- deutsch hochzit40 zwei Wörter zur Bezeichnung der freudigen, besonderen Zeit. Von ihnen ist das erste bis auf regionalen Gebrauch ziemlich früh verschwunden, das zweite bekam seit dem 13. Jahrhundert allmählich die Spezialbedeutung der Vermählungsfeier, die sich schließlich allein erhalten hat. Parallel hierzu wurde ein anderes Wort mitsamt seinen Varianten zur Bezeichnung dessen, was unter Fest zu verstehen ist, nämlich das Wort >Hof<41. Dies gilt gewiß in erster Linie für das fürstliche Hoffest, die curia, aber auch, seit dem 14. Jahrhundert, für den städtischen Bereich. So berichtet die Magdeburger Schöppenchronik über eine Fürstenhochzeit im Jahre 1419 in Breslau: des anderen dages was grote hoveringe mit danzen und torneien42, und anläßlich der Domweihe in Magdeburg 1363 heißt es dort: hir weren vele greven, vrie heren und eddele lude, vruwen und man ...,

de wertlike hoveringe dreven, aver de geistlike hoverie edder hogene was erst unde erlik43. Städtische Verwaltungsquellen sprechen seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts vom >Hof der jungen Bürger< in

36 ERNST NICKEL, »Zur Deutung des Magdeburger Zinnstreifens«, in: Ausgrabungen und Funde 5 (1960), S. 40-42, und neuerdings RAINER SACHS, »Die Magdeburger >Zinnfigurenstreifen< und ihre Funktion«, in: Zeitschrift für Archäologie 17 (1983), S. 249-253. 37 Vgl. Das ritterliche Turnier (wie Anm. 6), Register, S. 663, s. v. Tanz, und BuMKE, Höfische Kultur (wie Anm. 29), S. 309ff. 38 Vgl. MATTHIAS LEXER, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch 3 (1878), - Sp. 326, und Deutsches Wörterbuch 3 (1862, ND 1984), Sp. 1561 f. 39 Vgl. RUDOLF SCHÜTZEICHEL, Althochdeutsches Wörterbuch (1969), S. 201 s. v. tult und Deutsches Wörterbuch 2 (1860 ND 1984), Sp. 1509f. s. v. Dult. 40 MATTHIAS LEXER, Mittelhochdeutsches Wörterbuch 1 (1872), Sp. 1319 s. v. hoch-zit. 41 LEXER, Wörterbuch (wie Anm. 40), Sp. 1320f. s. v. hof, Sp. 1362f. s. v. hovelin, Sp. 1372 s. v. hovieren. 42 »Schöppenchronik« (wie Anm. 14), S. 350. 43 Ebd., S. 250.

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Regensburg44 oder München45. oder vom >gemeinen Hof der Gesellen< in Nürnberg46, von der Familienfeier (Hochzeit, Kindbett) als >Höflein<47; >hofeln< und >hofieren< bedeuteten allge- mein die Pflege festlicher Lustbarkeiten48, letzteres vor allem der Musik49. Aus diesen Belegen

wird wohl besonders deutlich, wie die städtische Festkultur sich am höfischen Vorbild

orientiert hat. Es ist nicht der der Kirchensprache entlehnte Begriff >Fest<, sondern das auf Repräsentation, Demonstration und weltliche Lustbarkeit ausgerichtete Wort >Hof<, worin wir das Selbstverständnis profaner Festkultur im Mittelalter fassen können - bei aller terminlichen Anlehnung an den kirchlichen Festkalender.

Diese terminliche Koinzidenz kann zweifellos als ein weiteres Charakteristikum welt- lichen Festverhaltens im Mittelalter gelten. Kaufleutegesellschaften und Handwerker- zünfte feierten ihr Hauptgelage am Tage ihres Namenspatrons S°. Aber auch festliche rites de passage wie eine Rittererhebung oder eine Hochzeit feierte man in Verbindung mit einem kirchlichen Fest, häufig Pfingsten. Bei näherem Hinsehen gibt sich allerdings eine aufschlußreiche chronologische Feindifferenzierung zu erkennen: Wenn das kirchliche Fest auf einen Sonntag fiel, schlossen sich zugehörige Spiele meistens am Montag und Dienstag ans. Ein ähnliches Verlaufsmuster zeigt sich auch bisweilen bei der städtischen Fastnacht: Der Sonntag Esto milli, die >Herrenfastnacht<, diente der klerikalen Lustbarkeit, während am >geilen Montag( und an dem als rechte< oder >gemeine Fastnacht< bezeichneten Diens- tag die profanen Tänze und Bräuche stattfandenS2. So bemerkt etwa Sebastian Franck: Die

44 Vgl. HANS MOSER, »Archivalisches zu Jahreslaufbräuchen der Oberpfalz«, in: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 1955), S. 157-175, hier S. 167, wieder in: DERS., Volksbräuche im geschichtlichen Wandel. Ergebnisse aus fünfzig Jahren volkskundlicher Quellenforschung (1985), S. 302-326, hier S. 316. Zitate im folgenden aus Wiederabdruck. 45 EDMUND OEFELE, »Zur Geschichte des Alten Hofes in München 1359-64«, in: Oberbayerisches Archiv 33 (1874), S. 341-345, hier S. 345. 46 Satzungsbücher und Satzungen der Reichsstadt Nürnberg aus dem 14. Jahrhundert, bearb. von WERNER SCHULTHEISS (= Quellen zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg 3,1965-1978), S. 319. 47 Ebd., S. 184,257. 48 Vgl. Deutsches Wörterbuch 4,2 (1877; Bd. 10 des Neudrucks 1984), Sp. 1663 s. v. höfeln, Sp. 1681 ff. s. v. hofieren. Vgl. z. B. »Chronik des Jacob Twinger von Königshofen«, in: Die Chroniken der ober- rheinischen Städte. Straßburg 1(= Die Chroniken der deutschen Städte 8,1870, ND 1961), S. 354,483 und 2 (= Chroniken 9,1871, ND 1961), S. 859. 49 Nürnberger Polizeiordnungen aus dem 13. bis 1 S. Jahrhundert, hg. von JOSEPH BAADER (= Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart 63,1861), S. 75f., »Ettliche Geschichten 1488-1491«, in: Die Chroniken der fränkischen Städte. Nürnberg 5 (= Die Chroniken der deutschen Städte 11,1874, ND 1961), 5.717. 50 Nachweise erübrigen sich bei der Verbreitung des Phänomens. Vgl. aber MUCHEMBLED, Kultur (wie Anm. 3), S. 132ff.; LEANDER PETZOLDT, Volkstümliche Feste. Ein Führer zu Volksfesten, Märkten und Messen in Deutschland (1983), S. 233ff. 51 Vgl. beispielhaft das Mainzer Hoffest Friedrich Barbarossas von 1184. Dazu FLECKENSTEIN, »Tur- nier« (wie Anm. 29), S. 236ff., und PETER MoRAW, »Die Hoffeste Kaiser Friedrich Barbarossas von 1184 und 1188«, in: Das Fest (wie Anm. 9), S. 70-83. Vgl. auch oben S. 202ff. zum Magdeburger Gralsfest. 52 Zur Fastnacht vgl. überblicksweise jetzt HARRY KÜHNEL, »Fastnacht«, in: Lexikon des Mittelalters 4, (1989), Sp. 313f. Zu den Fastnachtsterminen und ihren Bezeichnungen vgl. DIETZ-RÜDIGER MOSER, Fastnacht - Fasching - Karneval. Das Fest der verkehrten« Welt (1986), S. 19ff. Die dort geäußerte Ansicht, >Herrenfastnacht< und Bauernfastnacht( spiegelten die beiden konkurrierenden Fastnachtszeiten wider (s. dazu unten S. 208), trifft allerdings nicht zu. Bauernfastnacht< hieß der Dienstag nach Esto mihi. Vgl. HERMANN GROTEFEND, Taschenbuch der Zeitrechnung (11. Aufl. 1971), S. 37.

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herren haben yhr fastnacht an einem sontag, darnach auff den afftermontag (= Dienstag) die leyen53

Dabei ist zu beobachten, daß die Feier der Fastnacht vielfach über das caput ieiunii, den Aschermittwoch, hinausging, mitunter bis in die Woche nach Invocavit hinein; das hing mit dem Usus der >Alten Fastnacht< zusammen, einem seit Beginn des 14. Jahrhunderts belegten Begriff, der das konkurrierende Nebeneinander zweier Fastnachtszeiten anzeigt54. Die Zäsur- funktion des Aschermittwoch war hierdurch zweifellos beeinträchtigt, wie die Klagen etwa eines Johannes Geiler von Kaisersberg55 oder auch Ratsverordnungen aus Göttingen, Konstanz und Bern gegen Tanzen und Gelage in der Fastenzeit56 erkennen lassen. Der zu 1474 bezeugte Beschluß der Weinhändler von Arras, ihr dreitägiges Festgelage vom ersten Fastensonntag auf den Karnevalsdonnerstag vorzuverlegen, dürfte zu den Ausnahmen gehö- ren 57.

Wenn man die Zeugnisse über städtische Feste von einem ihrer konstitutiven Merkmale, dem eben erwähnten Gelage, her sichtet, dann ergeben sich aufschlußreiche Einsichten sowohl in die Gruppenstruktur als auch in die Beziehung zwischen Teilen der Stadtgesellschaft. So zeigen die aus dem Jahre 1421 stammenden Statuten der Lübecker Zirkelgesellschaft58, der seit 1379 nachweisbaren Vereinigung unter den alteingesessenen Kaufmannsfamilien59, daß von den zwei jährlichen Versammlungen nur jene am Sonntag nach Pfingsten, Trinitatis, nach dem die Gesellschaft auch hieß und den Zirkel als Zeichen trug, eigentlich als Fest gelten kann, während die zweite, am ersten Montag im Advent, in erster Linie eine Totenfeier in der Katharinenkirche war, in der die Gesellschaft eine Kapelle besaß. Das dreitägige Fest im Mai aber war wirklich der Höhepunkt im Jahr der Gesellschaft, mit Schinkenmahlzeit, Rechnungs- ablage und Wahlen der Schaffner, woran sich unter Teilnahme der Frauen Tanz und vrolik machen anschloß". Auch am Montag im Mai fand eine Seelenmesse mit den Frauen und Witwen statt, dann wiederum eine gemeinsame Mahlzeit, während am Mittwoch nur die alten und neuen Schaffner zusammen tafelten und vrolik machten. Ein innerhalb des Personenkrei- ses sehr genau differenzierendes dreitägiges Ritual!

In ähnlicher Weise konnte das Festmahl aber auch die Verbindung zwischen verschiedenen Teilen der städtischen Gesellschaft symbolisieren: So hielten in Regensburg im 15. Jahrhun- dert die geistliche und die weltliche Obrigkeit ein gemeinsames Fastnachtsmahl, zum Teil im Rathaus, zum Teil im Bischofshof oder im Kloster St. Emmeram; dabei teilte man sich die Bewirtung: Der Rat sorgte für Wein und Musik, die Geistlichkeit für die Krapfen61. Diese Formen von Gemeinsamkeit und Gleichgewicht in der festlichen Feier sind indes nicht auf das

53 Zitiert nach SCHULTZ, Deutsches Leben (wie Anm. 28), S. 405. 54' Dazu vgl. die Literatur in Anm. 52. 55 Vgl. JACQUES HArr, Une ville du XV° siecle. Strasbourg (Strasbourg 1929), S. 421 f. 56 Nachweise bei KüsTER, »Fastnachtsgebote« (wie Anum. 25), S. 67 Nr. 27,29,32. 57 MUCHEMBLED, Kultur des Volks (wie Anm. 3), S. 132.

58 In: Urkundenbuch der Stadt Lübeck 7 (1885), Nr. 322 S. 302ff. 59 CARL FRIEDRICH WEHRMANN, »Das Lübeckische Patriziat«, in: Zeitschriftdes Vereins für lübeckische Geschichte und Altertumskunde 5 (1988), S. 293-454, und jüngst zusammenfassend ERICH HOFFMANN,

»Lübeck im Hoch- und Spätmittelalter«, in: Lübeckische Geschichte, hg. von ANTJEKATHRIN GRASSMANN (1988), S. 3lOff. 60 »Statuten« (wie Anm. 58), S. 303. 61 Vgl. MOSER, »Jahreslaufbräuche« (wie Anm. 44), S. 315.

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DIE STADTGESELLSCHAFT UND IHRE FESTE 209

Mahl beschränkt, sondern begegnen auch in einem anderen Element des Fests, "der Prozession. Ein sehr anschauliches Beispiel hierfür aus dem städtischen Bereich sind die beiden Kölner

>Gottestrachten<, die von der gesamten Stadtbevölkerung gefeiert wurden62. Es gab die Alte Gottestracht oder Silvesterprozession, am dritten Freitag nach Ostern von der Kirche gefeiert und am Verlauf der Römermauer orientiert, während die Große Gottestracht eine Woche

zuvor vom Rat veranstaltet wurde. Bei dieser schloß der Prozessionsweg die gesamte hochmittelalterliche Stadt ein. Von Interesse ist dabei das Ritual der gegenseitigen Einladung

zu diesem Fest: Am Palmsonntag eines jeden Jahres sagt der Klerus dem Rat seine Beteiligung

an der Großen Gottestracht zu; umgekehrt wird der Rat um Teilnahme an der Alten Gottestracht gebeten.

Bevor noch auf ein besonderes Kennzeichen städtischer Feste, auf ihre Gefährlichkeit, einzugehen ist, liegt mir daran, eine Bemerkung über die Träger des städtischen Festgebarens im späten Mittelalter zu machen. Man sollte hier stärker als bisher zwischen den verschiedenen Elementen eines Fests differenzieren. Das Schlüsselwort zum Problem lautet )Gesellen< - und zwar in doppelter Hinsicht. Zum einen hat die Forschung das Wort häufig als Bezeichnung für die Handwerksgesellen aufgefaßt und nicht die Möglichkeit bedacht, daß es auch die Söhne der städtischen Oberschicht oder die Mitglieder einer patrizischen Gesellschaft meinen konnte63; darauf hat Dietrich Wuttke vor Jahren zu Recht hingewiesen, als er das Problem der Träger von Fastnachtsspielen erörtene6i. Zum anderen zeigt sich, daß zum Beispiel bei öffentlichen Tänzen eines Handwerks die Gesellen, die Knechte, auftraten, während die Meister sich offenbar auf Gelage und Stubentanz beschränkten65. Die Verwirrung um die

>Gesellen< wird noch größer, wenn man an einen Begriff wie den des >Gesellenstechens< denkt, dem überhaupt nichts Städtisches oder gar Handwerkliches anhaftet; als Bezeichnung eines im Adel beliebten Gruppenstechens66 ist es weit davon entfernt, »abgesunkenes Kulturgut« zu sein, wie Leo Zehnder meint67.

62 Vgl. JOSEPH KLERscH, Volkstum und Volksleben in Köln 1 (= Beiträge zur kölnischen Geschichte, Sprache, Eigenart 43,1965), S. 174ff., und neuerdings \VOLFGANG HERBORN, »Fast-, Fest- und Feiertage im Köln des 16. Jahrhunderts«, in: Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 25 (1983/84), S. 27-61, hier S. 46 ff. 63 Vgl. HANS-ULRICH ROLLER, Der Nürnberger Sciembartlauf. Studien zum Fest- und Maskenwesen des späten Mittelalters (= Volksleben 11,1965), S. 147 Anm. 175, und HAGEN BASTIAN, Mummenschanz. Sinneslust und Gefühlsbeherrsdiung im Fastnaditspiel des 15. Jahrhunderts (1983), 5.12. So versteht z. B. KÜHNEL, »Fastnacht« (wie Anm. 24), S. 109 bei der Interpretation des Tagebuchs des Frankfurters Job Rorbach die dort zu 1497 erwähnten jungen gesellen als Handwerksgesellen. Indes gehörten sie zu Familien des Frankfurter Patriziats, denn es handelt sich um die Stubengesellschaft >Laderam<. Hierzu und zur Familie Rorbach vgl. FRANZ LERNER, Die Frankfurter Patriziergesellschaft Alten-Limpurg und ihre Stiftungen (1952), S. 33ff., 166. 64 Fastnachtspiele des 15. und 16. Jahrhunderts, hg. von DIETER WUTrKE (2. Aufl. 1978), S. 436. 65 Vgl. z. B. HAT», Strasbourg (wie Anm. 55), 5.427 betr. den Tanz der Schuhmacherknechte an Fronleichnam; KÜSTER, »Fastnachtsgebote« (wie Anm. 25), S. 65 Nr. 12 betr. den Schwerttanz der Schmiedeknechte und Schusterknechte. Zum Verhältnis des Festgebarens von Meister und Gesellen vgl. beispielhaft HEINZ LENHARDT, »Feste und Feiern des Frankfurter Handwerks«, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 5. Folge 1 (Heft 39) (1950), S. 3-120, hier S. 10. 66 Vgl. dazu ZoTZ, »Adel« (wie Anm. 6), 5.490 Anm. 256. 67 LEO ZEHNDER, Volkskundlidies in der älteren sdiweizerisdien Chronistik (= Schriften der Schweizeri- schen Gesellschaft für Volkskunde 60,1976), S. 287 Anm. 1.

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Nun zum Aspekt der Gefährlichkeit des städtischen Fests: Er ist eng mit der Fastnacht

verbunden, wie Emmanuel LeRoy Ladurie am »Karneval von Romans«, jenem Aufruhr der Handwerker gegen das Patriziat im Jahre 1580, beispielhaft gezeigt hat68. Blickt man auf den deutschen Sprachraum, ' dann zeigt sich bereits früh Vergleichbares, etwa in Braunschweig in der Schicht von 1294 wie auch später in der Schicht der ungehorsamen Bürger von 1445/46. Ohne hier auf die komplizierte Konfliktlage zwischen Rat und Gilden beziehungsweise Altstadt und Hagen einzugehen, möchte ich nur darauf hinweisen, daß im Winter 1294

während einer Phase gegenseitiger Blockade der streitenden Parteien über die Gilden berichtet

wird, sie hätten sunderlike schoduvel-Läufe - also Umzüge von Maskenteufeln - veranstaltet (wohl in der Weihnachtszeit) und an Fastnacht große Tänze und sunderlike lage69. Offenbar

versicherte man sich seiner Zusammengehörigkeit durch solche Bräuche, war aber darauf bedacht, in dieser politisch prekären Situation Zusammenstöße mit der gegnerischen Partei zu vermeiden. Aus dem Spiel der Masken konnte leichtblutiger Ernst. werden. Die zahlreichen Vermummungsverbote städtischer Obrigkeiten im späten Mittelalter sind Zeugnis dieser Sorge 70.

Besonders bekannt wurde die »Böse Fastnacht« 1376 in Basel, als sich die gespannte Lage zwischen der Stadt und dem Herzog Leopold III. von Österreich, der mit seinen Freunden in Basel Fastnacht feierte, zum blutigen Konflikt ausweitete71. Beim Stechen auf dem Münster- platz entstand Unruhe, offenbar von seiten einiger Handwerker angezettelt; Sturmgeläut machte die Bürger gegen die adlige Gesellschaft in der Stadt mobil. Viele Herzogliche wurden getötet oder gefangengenommen; doch brachte dieser Aufruhr der Bürgerschaft nur kurzfri- stigen Erfolg.

Zum Schluß möchte ich noch etwas näher auf die Nürnberger Fastnacht eingehen, zum einen, weil es sich bei diesem Festtyp zweifellos um ein wichtiges und besonderes Merkmal

städtischer Kultur handelt, zum anderen wegen der ungewöhnlich reichhaltigen Überlieferung

zu Nürnberg. Welche Rolle die Fastnacht bei Kaufmannschaft und Handwerk gespielt hat,

zeigen bereits die frühesten Belege im deutschsprachigen Raum um 1200: Caesarius von Heisterbach berichtet von einem Koblenzer carnifex72, einem Metzger (nicht einem Henker,

68 EMMANUEL LE ROY LADURIE, Le Carneval de Romans. De la Chandeleur au mercredi des Cendres, 1579-1580 (1979), dt. u. d. T. Karneval in Romans (1982). 69 »Das Schichtbuch«, in: Die Chroniken der niedersächsischen Städte. Braunschweig 2 (= Die Chroni- ken der deutschen Städte 16,1880, ND 1962), 5.305,332. Dazu HANS MOSER, »Städtische Fasnacht des Mittelalters«, in: Masken zwischen Spiel und Ernst (= Volksleben 18,1967), 5.135-202, hier S. 142, wieder in: MOSER, Volksbräuche (wie Anm. 44), S. 98-140, hier 5.101 (Zitate im folgenden aus dem Wiederab- druck), und zum historischen Zusammenhang ausführlich HANS LEO REIMANN, Unruhe und Aufruhr im mittelalterlichen Braunschweig (= Braunschweiger Werkstücke 28,1962), S. 34,85ff., und MATTHIAS PUHLE, »Die Braunschweiger >Schichten< (Aufstände) des späten Mittelalters und ihre verfassungsrechtli- chen Folgen«, in: Rat und Verfassung im mittelalterlichen Braunschweig (= Braunschweiger Werkstücke 64,1986), 5.235-251, hier S. 237ff., 246ff. 70 KÜSTER, »Fastnachtsgebote« (wie Anm. 25), S. 65 ff.; KÜHNEL, »Städtische Fasnacht« (wie Anm. 24), S. 114ff. 71 Vgl. RUDOLF WACKERNAGEL, Geschichte der Stadt Basel 1 (Basel 1907), S. 294ff., und neuerdings LEANDER PETZOLDT, »Narrenfeste. Fastnacht, Fasching, Karneval in der Bürgerkultur der frühen Neuzeit«, in: Das Fest (wie Anm. 9), S. 140-152, hier S. 148. 72 CAESARIUS VON HEISTERBACH, Dialogus miraculorum X/53, hg. Von JOSEPH STRANGE, 2 (1851),

S. 253 f.

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wie bisweilen geschrieben-wird! 73), der mit seinen collegae in der Nacht zum Aschermittwoch ein Gelage feierte, und Wolfram von Eschenbach erwähnt das spielerische Treiben (von gampelsiten) der koufwip zu Dollnstein an der Altmühl7'.

Im Falle von Nürnberg fügen sich diese beiden Daten >Metzger<75 und >Tanz< zusammen: 1397 ist der Fastnachtstanz der Fleischhacker zum ersten Mal nachweisbar76. Am 7. März, dem Aschermittwoch, dieses Jahres gewährt der Rat diesen hierzu eine Beihilfe (liebung, stewr) von vier Pfund Heller, will das aber in Zukunft nicht mehr tun. Man hat die in diesem Eintrag erkennbare Veränderung bislang nicht beachtet: Bekanntlich begegnen von 1449 an in Nürnberg die berühmten und in ihrem Symbolgehalt umstrittenen Schembartläufe zur Fastnacht, die gleichsam in der Hoheit der Metzger waren77. Ob diese Läufe, wie die Nürnberger Chronistik seit dem späten 15. Jahrhundert erkennen läßt, als Gewohnheit weiter zurückreichen, ist in der Forschung strittig7S. Von 1449 an wurden sie jedenfalls vom Rat durch Hauptleute, die fast durchgängig der Ehrbarenschicht angehörten, organisiert79. Das Datum dieser Neuerung im Nürnberger Festgebaren erscheint nicht zufällig; denn, genau einhundert Jahre zuvor gab es in Nürnberg den großen Aufruhr gegen den Rat, einen Aufruhr, der, wie Wolfgang von Stromer betont hat, eine von wirtschaftlichen Interessen geleitete Auseinandersetzung zwischen der wittelsbachischen und der luxemburgischen Partei in der Stadt und kein Kampf der Handwerker gegen die ehrbaren/ratsfähigen Geschlechter war80. Damals sollen die Metzger auf der Seite des alten, Karl IV. anhängenden Rats gestanden haben

und dafür später, sei es vom Herrscher oder vom Rat, mit dem Tanzprivileg belohnt worden sein. Als eine Art Schutztruppe für, ihren Tanz hätten die in der Stadt wohl nicht einhellig beliebten Metzger die Schembartläufer eingesetzt8'. Möglicherweise diente die noch 1397 erwähnte Ratsbeihilfe hierzu, schien aber nach inzwischen fast fünfzigjährigem Abstand zum Ereignis nicht mehr erforderlich.

73 So noch PETER WEIDKUHN, »Fastnacht - Revolte - Revolution«, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 21 (1969), S. 289-306, hier S. 294. 74 WOLFRAM VON ESCHENBACH, Parzival, B. Buch 409,9, hg. von ALBERT LEITZMANN,

"2 (= Altdeutsche

Textbibliothek 13,4. Aufl. 1955), S. 56. Dazu MosER, Städtische Fastnacht« (wie Anm. 69), 5.104. 75 Zum mittelalterlichen Brauchtum der Metzger vor Beginn der fleischlosen Fastenzeitývgl. allgemein MOSER, »Städtische Fasnacht« (wie Anm. 69), S. 115. 76 Vgl. Die Chroniken der fränkischen Städte. Nürnberg 3 (= Die Chroniken der deutschen Städte 3, 1864, ND 1961), S. 320f. Anm. 8. 77 Dazu SAMUEL L. SUMBERG, The Nuremberg Schembart Carnival (New York 1941, ND 1966), ROLLER, Schembartlauf (wie Anm. 63), JÜRGEN KÜSTER, Spectaculum Vitiorum. Studien zur Intentionali- tät und Geschichte des Nürnberger Schembart-Laufes (= Kulturgeschichtliche Forschungen 2,1983). 78 Vgl. KÜSTER, Spectaculum (wie Anm. 77), S. 58 ff. 79 Die Chronik des Schembartlaufes am leichtesten bei ROLLER, Schembartlauf (wie Anm. 63), S. 206ff., greifbar. Wichtige prosopographische Ergänzungen zu dieser Quelle finden sich bei JOHANNES MÜLLNER, Die Annales der Reichsstadt Nürnberg von 1623, hg. von GERHARD HIRSCHMANN, 2 (= Quellen. zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg 11,1984), S. 406ff. 80 WOLFGANG VON STROMER, »Die Metropole im Aufstand gegen König Karl IV. Nürnberg zwischen Wittelsbach und Luxemburg Juni 1348-September 1349«, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 65 (1978), S. 55-90. Zum Problem der mit dem Aufstand verbundenen Judenpogrome vgl. jetzt FRANTtäEK GRAUS, Pest - Geißler - Judenmorde. Das 14. Jahrhundert als Krisenzeit (= Veröffentli- chungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 86,2. Aufl. 1988), S. 208 ff. 81 Vgl. ROLLER, Schembartlauf (wie Anm. 63), S. 22ff.

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Wenn sich für die Frühgeschichte des Nürnberger Brauchtums auch keine letzte Klarheit

gewinnen läßt, so bleibt doch aufschlußreich genug, daß Fastnachtstanz der Metzger und Schembartlauf von 1449 an vom städtischen Rat kontrolliert wurden, vermutlich in bewußter Erinnerung an einstigen Aufruhr und belohntes Wohlverhalten 82. Mit dem Fastnachtsbrauch- tum war in Nürnberg die, sei es reale, sei es legendäre, Erinnerung an die Wiederherstellung der alten Ordnung verbunden, wie es Hans Sachs dann auch formuliert hat: Der Schembart als ein haymlich figur vergangener auffrur83.

Ich fasse zusammen: Das Fest als Erinnerung - man denke an den in Köln alljährlich gefeierten Tag des Siegs bei Worringen durch eine Ratsprozession und Mahlzeit84 -, das Fest

als Vehikel von Aufruhr, das Fest als zyklische Bestätigung von Gruppengemeinsamkeit - unter diesen zugegebenermaßen nur partiellen Aspekten habe ich die stadtgesellschaftliche Festkultur im deutschen Spätmittelalter zu beleuchten versucht. Die Fülle der Festtage, von den Feiertagen ganz zu schweigen, war hier nicht einzufangen; dies erkennt jeder, der sich etwa bei Jacques Hatt über Straßburg85 oder bei Joseph Klersch und Wolfgang Herborn über Köln86 im Spätmittelalter informiert. Und auch darüber hinaus bleiben zahlreiche Fragen und Forschurigsprobleme zur städtischen Festkultur im europäischen Vergleich: Warum zum Beispiel kam es hier zur Ausbildung des Stadtpatronatsfests, dort aber nicht? Arno Borsts 1966 erhobene Forderung87 nach einer Untersuchung der Stadtpatrone in Deutschland, analog zur Arbeit von Hans Conrad Peyer über Italien", gilt heute immer noch. Vieles war hier

auszuklammern, die Schützenfeste, das Festgebaren der spätmittelalterlichen Gesellengilden, die Stadt-Land-Beziehungen im Spiegel des Fests89 oder die Veranstaltung spontaner Freu- denfeiern90, die zum Schluß mit zwei Nürnberger Beispielen wenigstens kurz zur Geltung kommen sollen: 1433 läutete man hier nach Bekanntwerden von Sigmunds Kaiserkrönung alle Glocken, stimmte in den Kirchen den Lobgesang an; abends brannten auf dem Markt und an anderen Stellen in der Stadt Freudenfeuer, und das Volk tanzte fröhlich bei den Klängen der

von St. Sebald blasenden Musikanten. Am nächsten Tag wurde dann mit dem heiligtum (den

82 In diese Richtung argumentiertauch KÜSTER, Spectaculum (wie Anm. 77), S. 61. 83 HANs SACxs, Der scheinpart-spruch. Ankunfft und desselben Bedeutung, in: Hans Sachs, hg. von ADELBERT VON KELLER, 4 (= Bibliothek des literarischen Vereins 105,1870), S. 200-208, hier: S. 204. Dazu vgl. auch KÜSTER, Spectaculum (wie Anm. 77), S. 55ff. 84 Vgl. WOLFGANG HERBORN, »Die Stadt Köln und die Schlacht von Worringen«, in: Der Name der Freiheit 1288-1988, hg. von WERNER Scsßs E (1988), S. 289-294, hier S. 291, und bereits LEONHARD ENNEN, Geschichte der Stadt Köln 2 (1865), S. 246. Die Ratsfeier hatte in der Stadtbevölkerung wohl wenig Breitenwirkung und war offenbar zu Beginn des 16. Jahrhunderts bereits verschwunden. Vgl. HERBORN,

»Fast-, Fest- und Feiertage« (wie Anm. 62), S. 57f. Zu Schlachtengedenktagen vgl. auch ZEHNDER, Volkskundliches (wie Anm. 67), S. 288ff. 85 HArr, Strasbourg (wie Anm. 55), S. 418ff. 86 KLERSCH, Volkstum (wie Anm. 62), S. 55ff. und HERBORN, »Fast-, Fest- und Feiertage« (wie Anm. 62). 87 ARNO BoRST, »Die Sebaldslegenden in der mittelalterlichen Geschichte Nürnbergs«, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 26 (1966), S. 19-178, hier S. 165 ff. 88 HANS CONRAD PEYER, Stadt und Stadtpatron im mittelalterlichen Italien (= Wirtschaft, Gesellschaft, Staat. Zürcher Studien zur allgemeinen Geschichte 13,1955). 89 Vgl. HATT, Strasbourg (wie Anm. 55), S. 424 und 428 zur Beteiligung der Landbevölkerung am Fest der Domweihe und am Pfingstfest mit Hinweisen auf Zusammenstöße zwischen Landvolk und Städtern. 90 MUCHEMBLED, Kultur des Volks (wie Anm. 3), S. 128ff.

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Kroninsignien) ein Ablaß gewährt91. Wird hier noch einmal das Nebeneinander kirchlicher

und weltlicher Festelemente besonders anschaulich, so läßt der Bericht über eine andere spontane Freudenfeier in Nürnberg die für diesen Ort charakteristische Verbindung von Königtum und Reichsstadt erkennen: Als die Nachricht von der Befreiung des jungen Königs Maximilian aus der Gefangenschaft zu Brügge 1488 nach Nürnberg gelangte, wurden auf Anordnung des Rats nachts die Glocken geläutet, das Tedeum gesungen und zwei Freuden- feuer angezündet, das eine auf der Burg und das andere am Markt, und auf dem Portal der Kapelle unserer lieben Frau am Markt musizierten die städtischen Pfeifer und Trompeter, während vom Simbelturm auf der Nürnberger Burg das kaiserliche Nachthorn geblasen wurde92. Städtische Verfassungsgeschichte im Spiegel der Festtopographie und materiellen Festkultur!

91 Die Chroniken der fränkischen Städte. Nürnberg 1 (= Die Chroniken der deutschen Städte 1,1862, ND 1961), S. 388 und 449. 92 Chroniken Nürnberg 5 (wie Anm. 49), S. 717. Zur Musik als Element städtischer Feste und Feiern vgl. SABINE ZAS, Musik als Ehr und Ziem im mittelalterlichen Reich. Studien zur Musik im höfischen Leben, Recht und Zeremoniell (1979), S. 121ff., hier S. 136.