finanzmathematik 1 · dieses skript gibt den inhalt der vorlesung finanzmathematik i: eine einf...
TRANSCRIPT
Prof. Dr. Thilo Meyer-Brandis
Finanzmathematik 1
WS 2012/13
Dieses Skript gibt den Inhalt der Vorlesung Finanzmathematik I: Eine Einfuhrungin diskreter Zeit wieder und basiert auf dem Buch Stochastic Finance vonHans Follmer und Alexander Schied erschienen im De Gruyter Verlag.
Inhaltsverzeichnis
Teil I Arbitragetheorie in diskreter Zeit
1 Arbitragetheorie in einer Periode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31.1 Grundlagen und das Fundamental Theorem of Asset Pricing . . 31.2 Eventualforderungen (Contingent Claims) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131.3 Vollstandigkeit von Marktmodellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252.1 Grundlagen Mehrperiodemodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252.2 Arbitrage und Fundamental Theorem of Asset Pricing . . . . . . . 292.3 Europaische contingent Claims . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452.4 Vollstandige Markte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542.5 Das Binomialmodell (Cox-Ross-Rubinstein-Modell) . . . . . . . . . . 57
3 Amerikanische Contingent Claims . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 673.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 673.2 Bewertung und Hedging in vollstandigen Markten . . . . . . . . . . . 703.3 Arbitragefreie Preise und Replizierbarkeit in generellen
Markten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
Teil II Risikomaße
4 Grundlagen Risikomaße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 854.1 Konvexe Risikomaße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 864.2 Risikomaße und Akzeptanzmengen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 904.3 Robuste Darstellung von konvexen Risikomaßen . . . . . . . . . . . . . 94
4.3.1 Endlich additive Mengenfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 944.3.2 Robuste Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 964.3.3 Konvexe Risikomaße auf L∞ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
VIII Inhaltsverzeichnis
4.4 Portfoliooptimierung und Bewertung mittels Risikomaßen(CAPM) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
Appendix A . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119A.1 Grundlagen der Wahrscheinlichkeitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
A.1.1 Der Wahrscheinlichkeitsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119A.1.2 Unabhangigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120A.1.3 Der Satz von Radon-Nikodym, Dichten . . . . . . . . . . . . . . . 121A.1.4 Die bedingte Erwartung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
A.2 Martingale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125A.3 Konvergenz von zufalligen Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
Appendix B . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129B.1 Geometrische Charakterisierung von arbitragefreien
Marktmodellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129B.1.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129B.1.2 Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
Appendix C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135C.1 Grundlagen der Funktionalanalysis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
C.1.1 Normierte Vektorraume, Banachraume, Hilbertraume . . 135C.1.2 Beispiele normierter Vektorraume, Banachraume,
Hilbertraume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136C.1.3 Trennung in endlichdimensionalen Vektorraumen . . . . . . 137C.1.4 Trennungssatze von Hahn-Banach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
Teil I
Arbitragetheorie in diskreter Zeit
1
Arbitragetheorie in einer Periode
1.1 Grundlagen und das Fundamental Theorem of AssetPricing
Marktmodell und Arbitrage. Fur ein Marktmodell in einer Periode (Ein-periodenmodell) sind gegeben:
(i) d+ 1 Wertpapiere (Assets), d ∈ N,
(ii) zwei Zeitpunkte: t = 0 (heute) und t = 1 (Zukunft).
Zum Zeitpunkt t = 0 sind die Preise (z.B. in EUR) der Wertpapiere bekannt:πi ≥ 0 fur i = 0, . . . , d.
Zum Zeitpunkt t = 1 sind die Kursentwicklungen bzw. Preise hingegen un-sicher. Die zukunftigen Kurse modellieren wir als Zufallsvariablen auf einemgeeigneten Wahrscheinlichkeitsraum (Ω,F ,P):
Si : Ω → [0,∞), i = 0, 1, . . . , d.
Si (ω) ist dann der Preis des i-ten Assets zum Zeitpunkt t = 1 bei gegebenemSzenario ω ∈ Ω.Das 0-te Wertpapier spielt eine besondere Rolle und modelliert ein Bankkonto(Bond). Wir setzen
π0 = 1
undS0 = S0 (ω) = 1 + r,
wobei r > −1, r ∈ R, den Zinssatz modelliert. 1 Euro Startkapital auf meinemBankkonto zum Zeitpunkt t = 0 entwickelt sich also mit dem deterministi-schen Zinssatz r zu (1 + r) Euros zum Zeitpunkt t = 1 (fur das Bankkonto istsomit die Wertentwicklung zum Zeitpunkt t = 1 schon zum Zeitpunkt t = 0bekannt).S0 wird auch als
”riskfree Asset“ und S1, . . . , Sd als
”risky Assets“ bezeichnet.
4 1 Arbitragetheorie in einer Periode
Notation 1.1 Wir notieren
π :=(π1, . . . , πd
)∈ Rd+,
π :=(π0, π1, . . . , πd
)(= (π0, π)) ∈ Rd+1
+ ,
S :=(S1, . . . , Sd
),
S :=(S0, S1, . . . , Sd
)(= (S0, S)).
Definition 1.2 Ein Portfolio oder auch Strategie ist ein Vektor
ξ =(ξ0, ξ
)=(ξ0, ξ1, ..., ξd
)∈ Rd+1,
wobei ξi die Anzahl des i-ten Assets im Portfolio ist (insbesondere entsprichtξ0 dem Geld auf der Bank).Der Anfangswert (Preis) eines Portfolios zur Zeit t = 0 wird gegeben durch
V0 = ξ · π =
d∑i=0
ξiπi
und der Endwert desselben Portfolios zur Zeit t = 1 durch
V1 = ξ · S =
d∑i=0
ξiSi.
Bemerkung 1.3 In der Definition unseres Marktmodells sind folgende An-nahmen impliziert:
(a) ξi < 0 moglich, das heißt”short selling“ ist erlaubt.
(b) Keine Transaktionskosten.
(c) Kein Unterschied zwischen Kauf-/Verkaufspreis (kein Bid/Ask-Spread).
(d) Liquiditat: alle Assets sind in beliebig großer Zahl verfugbar/verkauflich,zudem beliebig stuckelbar.
Definition 1.4 Die diskontierten Preise definieren wir durch
Xi :=Si
1 + r, i = 0, . . . , d
und die diskontierten Wertveranderungen durch
Y i := Xi − πi =Si
1 + r− πi, i = 1, . . . , d.
Weiter definieren wir:
1.1 Grundlagen und das Fundamental Theorem of Asset Pricing 5
X := (X0, X) := (1, X1, . . . , Xd)
und
Y :=(Y 1, . . . , Y d
).
Bemerkung 1.5
(a) Wir betrachten diskontierte Preise, um Preise in t = 1 mit Preisen int = 0 vergleichen zu konnen: 1 Euro heute ist mehr wert als 1 Euro zumZeitpunkt t = 1 (unter der Annahme positiver Zinsen r > 0). Deshalbbetrachten wir Preise nicht in der Einheit
”Wahrung“ sondern in der
Einheit”Bond“ (1 Bond heute ist 1 Bond in t = 1). Fur die diskontierten
Preise verwenden wir daher den Bond als Numeraire.(b) Alternativ konnte jedes andere strikt positive Wertpapier (bzw. Portfolio)
als Numeraire verwendet werden (das heißt, alle Preise werden in Einhei-ten dieses Numeraire ausgedruckt).
Definition 1.6 Ein Portfolio ξ ∈ Rd+1 heißt Arbitragemoglichkeit oder ein-fach Arbitrage, falls
V0 = ξ · π ≤ 0, V1 = ξ · S ≥ 0, P− f.s., und P(ξ · S > 0
)> 0.
Ein Marktmodell(π, S
)nennen wir arbitragefrei, falls es keine Arbitrage
zulasst.
Bemerkung 1.7
(i) Unter einer Arbitragemoglichkeit versteht man also die Moglichkeit,einen
”risikofreien Gewinn“ zu erzielen. Wir gehen davon aus, dass in ef-
fizienten Markten Arbitragemoglichkeiten nicht realisierbar sind. DieseArbitragefreiheit wird im Folgenden unsere Schlusselannahme zur Be-wertung von Finanzprodunkten sein.
(ii) Ist ein Marktmodell arbitragefrei, so gilt Si = 0 P−f.s. falls πi = 0,weshalb wir im Folgenden o. B. d. A. (kurz fur ohne Beschrankung derAllgemeinheit) πi > 0 voraussetzen konnen.
(iii) In der Definition von Arbitrage spielt P nur bei der Festlegung der Null-mengen eine Rolle. Daher gilt: ist Q ein zu P aquivalentes Wahrschein-lichkeitsmaß, so ist ξ eine Arbitragemoglichkeit bezuglich P genau dann,wenn ξ eine Arbitragemoglichkeit bezuglich Q ist.
Lemma 1.8 Es sind aquivalent:
(a) Es existiert eine Arbitragemoglichkeit.
(b) Es existiert ξ ∈ Rd+1, so dass
ξ · π ≤ 0, ξ · X ≥ 0 P− f.s. und P(ξ · X > 0
)> 0,
wobei X :=(X0, . . . , Xd
).
6 1 Arbitragetheorie in einer Periode
(c) Es existiert ξ ∈ Rd mit
ξ · Y ≥ 0 P− f.s. und P (ξ · Y > 0) > 0,
das heißt
ξ · S ≥ (1 + r) ξ · π P− f.s. und P (ξ · S > (1 + r)π) > 0.
Beweis: Ubung. utFundamental Theorem of Asset Pricing. Nun kommen wir zum Haupt-satz des Kapitels. Zunachst fuhren wir folgende Definition ein:
Definition 1.9 Ein Wahrscheinlichkeitsmaß P∗ auf (Ω,F) heißt risikoneu-trales Maß oder Martingalmaß, falls
πi = EP∗
[Si
1 + r
], fur alle i = 0, . . . , d.
Wir notieren mit
P := P∗ | P∗ ≈ P, P∗ ist Martingalmaß
die Menge der aquivalenten Martingalmaße.
Theorem 1.10 (FTAP - Fundamental Theorem of Asset Pricing)Ein Markt ist arbitragefrei genau dann, wenn
P 6= ∅.
In diesem Fall existiert sogar ein P∗ ∈ P mit beschrankter Radon-Nikodym-Dichte dP∗
dP .
Beweis: Angenommen es gelte P 6= ∅. Sei P∗ ∈ P und ξ ∈ Rd+1 eineStrategie, so dass ξ · X ≥ 0 P−f.s. und P
(ξ · X > 0
)> 0. Dann gilt
0 < EP∗[ξ · X
]= ξ · EP∗
[X] Def. 1.9
= ξ · π,
ξ kann also keine Arbitragemoglichkeit sein.
Nun die andere Richtung der Aquivalenz.
(i) Ohne Beschrankung der Allgemeinheit konnen wir EP [‖Y ‖] <∞ anneh-men, das heißt
EP[|Y i|
]<∞ fur alle i = 1, . . . , d,
denn falls E [‖Y ‖] = ∞ ist, betrachte P gegeben durch dPdP = 1
1+‖Y ‖ · c,wobei c := 1
EP[ 11+‖Y ‖ ]
. Dann gilt
1.1 Grundlagen und das Fundamental Theorem of Asset Pricing 7
EP
[dP
dP
]= 1,
dP
dP> 0 und
dP
dP< c.
Damit erhalten wir
EP [‖Y ‖] = EP
[dP
dP‖Y ‖
]
= EP
[1
1 + ‖Y ‖· ‖Y ‖
]· c ≤ c
<∞.
Mit Bemerkung 1.7 folgt nun: Der Markt ist arbitragefrei unter P genaudann, wenn er unter P arbitragefrei ist.
Weiterhin, angenommen es gibt ein P∗ ∈ P mit beschrankter Dichte dP∗
dP.
Dann ist auchdP∗
dP=dP∗
dP· dPdP
beschrankt.
(ii) Sei also EP [‖Y ‖] <∞. Wir definieren:
Q :=
Q | Q Wahrscheinlichkeitsmaß, Q ≈ P, dQ
dPbeschrankt
und
C := EQ [Y ] | Q ∈ Q , 1
wobei EQ [Y ] gerade der Vektor EQ [Y ] :=(EQ[Y 1], ...,EQ
[Y d])
ist.
Es gibt ein aquivalentes Martingalmaß P∗ ∈ P ∩ Q genau dann, wenn0 ∈ C.Angenommen 0 /∈ C. Es gilt offensichtlich, dass P ∈ Q und somit C 6= ∅.Weiter ist C konvex, denn sei 0 < α < 1 und EQ1
[Y ] ,EQ2[Y ] ∈ C, dann
giltαEQ1 [Y ] + (1− α)EQ2 [Y ] = EQα [Y ] ∈ C,
mit Qα = αQ1 + (1− α)Q2 ∈ Q. Aus dem Trennungssatz in endlicherDimension (siehe Satz C.15) folgt nun die Existenz eines ξ ∈ Rd mit
ξ · EQ [Y ] ≥ 0 fur alle Q ∈ Q, (1.1)
ξ · EQ0 [Y ] > 0 fur mindestens ein Q0 ∈ Q. (1.2)
Aus (1.2) folgt
1 EQ[Y i]
= EP[dQdPY i] dQ
dPbeschrankt
≤ c · EP[|Y i|
]< ∞, wobei c ∈ R. Da Y
integrierbar unter P ist folgt nun, dass EQ[Y i]
wohldefiniert ist.
8 1 Arbitragetheorie in einer Periode
Q0 (ξ · Y > 0) > 0.
Da P ≈ Q0, folgt nunP (ξ · Y > 0) > 0.
Bleibt also nur noch zu zeigen, dass ξ · Y ≥ 0 P−f.s..
Dazu definieren wir
ϕn :=
(1− 1
n
)1A +
1
n1AC ,
wobei n = 2, 3, 4, . . . und A := ξ · Y < 0 und AC = Ω \ A die zu Akomplementare Menge ist. Weiter definieren wir WahrscheinlichkeitsmaßeQn ≈ P durch
dQn
dP=
ϕnEP [ϕn]
, fur n = 2, 3, 4, . . . .
Dann gilt 0 < dQn
dP ≤ 1 und damit Qn ∈ Q.
Aus (1.1) folgt nun
ξ · EQn [Y ] = EQn [ξ · Y ] =EP [ξ · Y ϕn]
EP [ϕn]≥ 0
und damit
limn→∞
EP [ξ · Y ϕn] = EP
[ξ · Y lim
n→∞ϕn
]= EP [ξ · Y 1A]
≥ 0,
wobei in der ersten Gleichung der Satz der dominierten Konvergenz an-gewandt wurde. Also P (A) = 0 und somit ξ · Y ≥ 0 P−f.s..
Mit Lemma 1.8 folgt nun, dass ξ eine Arbitragemoglichkeit ist. Dies istaber ein Widerspruch zur Annahme, dass das Marktmodell arbitragefreiist. Das heißt 0 ∈ C.
ut
1.1 Grundlagen und das Fundamental Theorem of Asset Pricing 9
Korollar 1.11 Sei lediglich S = (S0, . . . , Sd) gegeben.
(a) Die Menge aller moglichen abritragefreien Preise ist gegeben durch:
Π :=EQ[X] | Q ∈ Q
,
wobei Q := Q Wahrscheinlichkeitsmaß | Q ≈ P, dQdP beschrankt.
(b) Die Menge Π ist konvex und nicht-leer.
Beweis:
(a) Folgt direkt aus dem Theorem 1.10 (FTAP).
(b) Q ist konvex und nicht-leer und somit auch Π, weil die Abbildung Q 3Q 7→ EQ[X] ∈ Π affin ist.
ut
Beispiel 1.12 Sei (Ω,F ,P) ein Wahrscheinlichkeitsraum mitΩ = ω1, . . . , ωn,F = P(Ω) (Potenzmenge) und P(ωi) =: pi > 0. Wir betrachten einen Marktbestehend aus einem Bond
und aus einem risky Asset
Dabei sei:S1(ω1) =: s1, . . . , S
1(ωn) =: sn.
Wann ist dieses Modell arbitragefrei? Ein Wahrscheinlichkeitsmaß P ≈ P isthier gegeben durch einen Vektor (p1, . . . , pn) mit pi > 0, i = 1, . . . , n, und∑ni=1 pi = 1 (es gilt dann P(ωi) = pi, i = 1, . . . , n). Laut Korollar 1.11 ist der
Markt arbitragefrei genau dann, wenn
π1(1 + r) ∈
n∑i=1
sipi | pi > 0,
n∑i=1
pi = 1
.
Also existiert ein aquivalentes Martingalmaß P∗ genau dann, wennp∗i := P∗(ωi) folgende Bedingungen erfullt:
10 1 Arbitragetheorie in einer Periode
(i) p∗i > 0, p∗1 + · · ·+ p∗n = 1,
(ii) π1(1 + r) = s1p∗1 + · · ·+ snp
∗n.
Falls eine Losung von (i) und (ii) existiert, dann ist sie fur n = 2 eindeutigund fur n > 2 gibt es unendlich viele Losungen.
Replizierbare Auszahlungsprofile und das Gesetz eines eindeutigenPreises
Definition 1.13 Der lineare Vektorraum von Zufallsvariablen
V :=ξ · S | ξ ∈ Rd+1
wird die Menge der replizierbaren Auszahlungsprofile (attainable payoffs) ge-nannt (Payoffs die durch ein Portfolio generiert werden konnen).
Im Allgemeinen existiert fur V ∈ V kein eindeutiges generierendes Portfolio.Es gilt jedoch die folgende Proposition:
Proposition 1.14 (Law of one price)Sei das Marktmodell arbitragefrei und V ∈ V mit V = ξ · S = η · S P − f.s.fur ξ 6= η ∈ Rd+1. Dann gilt ξ · π = η · π und
π(V ) := ξ · π
ist der eindeutige arbitragefreie Preis von V .
Beweis: Wahle P∗ ∈ P2. Dann gilt:
ξ · π = ξ · EP∗ [X]
= EP∗ [ξ · X]
= EP∗ [η · X]
= η · EP∗ [X] = η · π
Alle anderen Preise wurden offensichtlich eine Arbitragemoglichkeit ergeben.ut
Renditen
Definition 1.15 Der Markt sei arbitragefrei und V ∈ V mit π(V ) 6= 0. Danndefinieren wir die Rendite (Return) von V durch:
R(V ) :=V − π(V )
π(V ).
Insbesondere gilt, falls:
2 Da der Markt arbitragefrei ist, gilt laut Theorem 1.10 (FTAP) P 6= ∅.
1.1 Grundlagen und das Fundamental Theorem of Asset Pricing 11
(i) V = S0, so folgt
R(V ) = R(S0)
=S0 − π(S0)
π(S0)
=r + 1− 1
1= r.
(ii) V =∑nk=1 αkVk, 0 6= Vk ∈ V, so folgt
R(V ) =V − π(V )
π(V )
=
∑nk=1 αkVk −
∑nk=1 αkπ(Vk)∑n
k=1 αkπ(Vk)
=
n∑k=1
αkπ(Vk)
π(Vk)· Vk − π(Vk)
αkπ(Vk)
=
n∑k=1
βkR(Vk),
wobei βk = αkπ(Vk)π(V ) .
(iii) V = ξ · S, so folgt aus (ii)
R(V ) =
d∑i=0
ξiπi
ξ · πR(Si).
Proposition 1.16 Sei der Markt arbitragefrei und sei V ∈ V mit π(V ) 6= 0.Dann gilt:
(a) Fur P∗ ∈ P ist EP∗ [R(V )] = r (unter einem aquivalenten MartingalmaßP∗ besitzt jedes Portfolio den risikofreien Zinssatz r als erwartete Rendi-te!).
(b) Fur Q ≈ P∗, P∗ ∈ P mit EP∗ [|S|] <∞ ist
EQ[R(V )] = r − covQ
(dP∗
dQ, R(V )
),
wobei wir mit covQ die Kovarianz bezuglich Q notieren.
Beweis:
12 1 Arbitragetheorie in einer Periode
(a) Da EP∗ [V ] = π(V )(1 + r), gilt:
EP∗ [R(V )] =EP∗ [V ]− π(V )
π(V )= r.
(b) Sei ϕ∗ = dP∗
dQ . Dann gilt:
covQ(ϕ∗, R(V )) = EQ[ϕ∗R(V )]− EQ[ϕ∗]︸ ︷︷ ︸=1
EQ[R(V )]
= EP∗ [R(V )]− EQ[R(V )].
Mit (a) folgt nun die Behauptung.
ut
Bemerkung 1.17 (Redundante Marktmodelle)Das Marktmodell sei arbitragefrei und ξ ∈ Rd+1, so dass ξ · S = 0 P − f.s..Falls ξ 6= 0, existiert i ∈ 0, . . . , d, so dass ξi 6= 0 und
Si = − 1
ξi
∑k=0k 6=i
ξkSk,
πi = − 1
ξi
∑k=0k 6=i
ξkπk.
Das Wertpapier Si ist somit redundant (kann durch die ubrigen Wertpapie-re dargestellt werden) und kann weggelassen werden. O. B. d. A. nehmen wirdeshalb im Folgenden an:
Wenn ξ · S = 0 P− f.s., dann gilt ξ = 0. (1.3)
Falls (1.3) gilt, heißt das Marktmodell nicht-redundant.
Bemerkung 1.18 (Numeraire)Die Definition von Arbitrage ist unabhangig von der Wahl des Numeraires.Daher konnen wir analoge Ergebnisse des Theorems 1.10 (FTAP) fur einenbeliebigen Numeraire herleiten.Nehmen wir zum Beispiel an π1 > 0, S1 > 0 P − f.s., konnen wir das ersteWertpapier als Numeraire, das heißt als Preiseinheit, verwenden.
Definition. P∗ ≈ P ist ein aquivalentes Martingalmaß bezuglich dem NumeraireS1, falls:
πi
π1= EP∗
[Si
S1
], i = 0, . . . , d.
Sei P := P∗ aquivalentes Martingalmaß bzgl. Numeraire S1. Dann gilt:
1.2 Eventualforderungen (Contingent Claims) 13
(a) P =P∗ | dP
∗
dP∗ = S1
EP∗ [S1] , P∗ ∈ P
.
(b) P ∩ P = ∅, falls S1 P− f.s. nicht-konstant.
Beweis: Ubung. ut
1.2 Eventualforderungen (Contingent Claims)
Definition 1.19 Ein Contingent Claim (oder Claim) ist eine ZufallsvariableC auf (Ω,F ,P), so dass
0 ≤ C <∞ P− f.s..
Ein Derivat ist ein Contingent Claim C welcher σ(S0, . . . , Sd)-messbar ist,d.h.
C = f(S0, . . . , Sd),
fur eine messbare Funktion f : Rd+1 → R+.
Bemerkung 1.20
(a) Ein Contingent Claim ist ein Finanzprodukt, bei dem der Verkaufer desClaims sich zur Zahlung von C = C(ω) (Payoff) an den Kaufer zumZeitpunkt t = 1 verpflichtet.
(b) An Finanzmarkten existieren auch Claims/Derivate mit moglichen ne-gativen Payoffs (Kombination von long/short-Positionen in Derivate mitnicht negativen Payoffs).
Beispiel 1.21 (Ein paar Derivate)
(a) FORWARDEin Vertrag in dem zum Zeitpunkt t = 0 ein fester Preis K (forward price)fur ein bestimmtes Wertpapier Si zum Zeitpunkt t = 1 vereinbart wird.
Payoff: C(ω) = Si(ω)−K.
(b) CALL OPTIONEin Vertrag, der dem Kaufer der Call Option die Moglichkeit (Option),aber nicht die Verpflichtung gibt, ein Wertpapier Si zu einem festen PreisK (strike price) zum Zeitpunkt t = 1 zu kaufen.
Payoff: C(ω) = ( Si(ω)︸ ︷︷ ︸Basiswert
−K)+ := maxSi −K, 0.
14 1 Arbitragetheorie in einer Periode
(c) PUT OPTIONEin Vertrag, der dem Kaufer der Put Option die Moglichkeit aber nichtdie Verpflichtung gibt, ein Wertpapier Si zu einem festen Preis K (strikeprice) zum Zeitpunkt t = 1 zu verkaufen.
Zum Zeitpunkt t = 1 gilt:
Si −K = (Si −K)+ − (K − Si)+.
Unter der Arbitragefreiheit muss dann auch die Gleichheit fur die Preisezum Zeitpunkt t = 0 gelten:
πi − K
1 + r= π(Call)− π(Put).
Daraus folgt die sogenannte Put-Call-Paritat :
π(Call) = π(Put) + πi − K
1 + r.
(d) BASKET-OPTIONOptionen/Derivate auf ein Portfolio von Wertpapieren mit V (ω) = ξ·S(ω)als Basiswert. Zum Beispiel:
Call: (V −K)+
Put: (K − V )+.
1.2 Eventualforderungen (Contingent Claims) 15
(e) STRADDLEEine Absicherung dagegen, dass sich ein Portfoliowert V = ξ·S von seinemAnfangswert π(V ) weg bewegt, egal in welche Richtung:
C = (V − π(V ))+ + (π(V )− V )+ (= ”Call” + ”Put”) = |V − π(V )|.
Definition 1.22 (arbitragefreie Preise eines Claims)πC ≥ 0 ist ein arbitragefreier Preis fur einen Claim C, falls der erweiterteMarkt
(π0, . . . , πd, πd+1 = πC),
(S0, . . . , Sd, Sd+1 = C) (1.4)
arbitragefrei ist. Wir notieren die Menge aller arbitragefreien Preise von Cmit Π(C).
Proposition 1.23 Sei C ein Claim in einem arbitragefreien Markt (π, S).Dann ist die Menge Π(C) aller arbitragefreien Preise fur C gegeben durch:
Π(C) =
EP∗
[C
1 + r
]| P∗ ∈ P aquivalentes Martingalmaß mit EP∗ [C] <∞
Π(C) ist ein nicht-leeres Intervall.
Beweis: Sei πC ∈ Π(C). Laut Theorem 1.10 (FTAP) existiert ein aquivalentesMartingalmaß P∗ fur unseren erweiterten Markt (1.4), d.h.
P∗ ≈ P und EP∗
[Si
1 + r
]= πi fur alle i = 0, . . . , d+ 1.
Insbesondere ist dann wegen
16 1 Arbitragetheorie in einer Periode
EP∗
[C
1 + r
]= πC
P∗ ∈ P undEP∗ [|C|] = EP∗ [C] = (1 + r)πC <∞.
Sei nun πC := EP∗[C
1+r
]fur ein P∗ ∈ P. Dann ist P∗ auch ein aquivalentes
Martingalmaß fur den erweiterten Markt (1.4). Laut Theorem 1.10 (FTAP)ist dann πC ∈ Π(C).
Wir zeigen nun, dass Π(C) ein nicht-leeres Interval ist.
(i) Zunachst zeigen wir, dass Π(C) konvex ist: fur P∗1, P∗2 ∈ P mit
EP∗1 ,P∗2[C] <∞ und λ ∈ [0, 1] gilt:
λEP∗1
[C
1 + r
]+ (1− λ)EP∗2
[C
1 + r
]= EP∗
[C
1 + r
]∈ Π(C),
wobei P∗ := λP∗1 + (1− λ)P∗2 ∈ P und EP∗ [C] <∞.
(ii) Nun zeigen wir, dass Π(C) nicht-leer ist. Sei P∗ ≈ P definiert durch
dP
dP=
1
1 + C· 1
EP
[1
1+C
] .Dann gilt:
EP[C] = EP
[1
1 + C· C]
1
EP
[1
1+C
] <∞.Laut Theorem 1.10 (FTAP) existiert ein aquivalentes MartingalmaßP∗ ∈ P mit dP∗
dPbeschrankt, d.h. dP∗
dP≤ k, fur eine Konstante k > 0, so
dass
EP∗ [C] = EP
[C · dP
∗
dP
]≤ K · EP[C] <∞.
Somit gilt πC = EP∗[C
1+r
]∈ Π(C).
ut
Definition 1.24 Die untere bzw. obere Arbitragegrenze eines Claims C istdefiniert als
πinf(C) := inf Π(C) ∈ [0,∞)
bzw.πsup(C) := supΠ(C) ∈ [0,∞].
Theorem 1.25 (Dualitatsrelationen fur Arbitragegrenzen) In einem ar-bitragefreien Marktmodell sind die Arbitragegrenzen eines Claims C gegebendurch
1.2 Eventualforderungen (Contingent Claims) 17
(a)
πinf(C) = infP∗∈P
EP∗
[C
1 + r
]= max
m ∈ [0,∞) | ∃ ξ ∈ Rd mit m+ ξ · Y ≤ C
1 + rP− f.s.
.
(b)
πsup(C) = supP∗∈P
EP∗
[C
1 + r
]= min
m ∈ [0,∞) | ∃ ξ ∈ Rd mit m+ ξ · Y ≥ C
1 + rP− f.s.
.
Beweis: Wir beweisen nur (b), der Fall (a) wird analog bewiesen.Zunachst zeigen wir, dass πsup(C) ≤ infM, wobei
M :=
m ∈ [0,∞] | ∃ ξ ∈ Rd mit m+ ξ · Y ≥ C
1 + rP− f.s.
.
Sei m ∈M und P∗ ∈ P. Dann folgt
EP∗
[C
1 + r
]≤ EP∗ [m+ ξ · Y ]
P∗∈P↓= m
und damit
infM≥ supP∗∈P
EP∗
[C
1 + r
]≥ sup
P∗∈PEP∗ [C]<∞
EP∗
[C
1 + r
]= πsup(C).
Nun zeigen wir infM≤ πsup(C).
1. Der Fall πsup(C) =∞ ist trivial.
2. Sei πsup(C) <∞ und m > πsup(C).Aus Proposition 1.23 folgt die Existenz einer Arbitragemoglichkeit imerweiterten Markt mit πd+1 = m und Sd+1 = C. Also existiert ein(ξ, ξd+1
)∈ Rd+1, so dass
ξ · Y + ξd+1
(C
1 + r−m
)≥ 0 P− f.s.
und
P
(ξ · Y + ξd+1
(C
1 + r−m
)> 0
)> 0 P− f.s..
18 1 Arbitragetheorie in einer Periode
Da das ursprungliche Marktmodell (π, S) arbitragefrei ist, ist ξd+1 6= 0.Desweiteren gilt fur P∗ ∈ P mit EP∗ [C] <∞
EP∗
[ξ · Y + ξd+1
(C
1 + r−m
)]= ξd+1
(EP∗
[C
1 + r
]−m
)≥ 0.
Da m > πsup(C) gilt aber
EP∗
[C
1 + r
]−m < 0.
Und damit ξd+1 < 0. Daraus folgt fur η :=−ξξd+1
m+ η · Y ≥ C
1 + rP− f.s.,
also m ∈M. Es folgt nun
infM≤ πsup(C).
Zuletzt zeigen wir, dass
infM = min
m ∈ [0,∞) | ∃ ξ ∈ Rd mit m+ ξ · Y ≥ C
1 + rP− f.s.
.
Ohne Beschrankung der Allgemeinheit sei infM <∞ und das Marktmo-dell nicht redundant (Bemerkung 1.17).Sei (mn)n∈N ∈M mit
limn→∞
mn = infM = πsup(C)
und wahle fur alle n ∈ N ein ξn ∈ Rd, so dass
mn + ξn · Y ≥C
1 + rP− f.s..
1. Fall: (ξn)n∈N beschrankt (d.h. es existiert k > 0, so dass‖ξn‖ < k fur alle n ∈ N).
Dann existiert eine konvergente Teilfolge ξnkk→∞−−−−→ ξ ∈ Rd, so dass
πsup(C) + ξ · Y = limk→∞
(mnk + ξnkY ) ≥ C
1 + rP− f.s.,
das heißt
πsup(C) ∈M.
1.2 Eventualforderungen (Contingent Claims) 19
2. Fall: (ξn)n∈N nicht beschrankt.Es existiert also eine Teilfolge ξnk , so dass lim
k→∞‖ξnk‖ =∞.
Definiere
ηk :=ξnk‖ξnk‖
, k ∈ N.
Offensichtlich gilt ‖ηk‖ = 1 fur alle k ∈ N. Die Folge (ηk)k∈N ist alsobeschrankt.Es existiert also eine konvergente Teilfolge ηkl
l→∞−−−→ η mit ‖η‖ = 1.Dann gilt
liml→∞
(mnkl
‖ξnkl ‖+ ηkl · Y
)= η · Y ≥ lim
l→∞
C
1 + r
1
‖ξnkl ‖= 0, P− f.s.
Da das Martkmodell arbitragefrei ist, folgt η · Y = 0 P− f.s.Außerdem ist das Marktmodell nicht redundant, was η = 0 impliziert.Dies steht im Widerspruch zu ‖η‖ = 1. Demnach ist nur der erste Fallmoglich.
ut
Definition 1.26 Sei C ein Claim. Ein Portfolio ξ ∈ Rd+1 heißt Sub- bzw.Superhedge von C, falls
ξ · S ≤ C bzw. ξ · S ≥ C P− f.s..
Wir nennen ξ · π Sub- bzw. Superhedgingpreis von C. Gilt sogar ξ ·S = C P−f.s., dann heißt der Claim C replizierbar (oder attainable), d.h. C ∈ V ausDefinition 1.13. Wir nennen ξ Hedge, oder replizierendes Portfolio von C.
Bemerkung 1.27(a) Sei ξ ein Superhedge von C. Fur den Claimpreis πC = ξ · π (Superhed-
gingpreis) kann sich der Verkaufer des Claims mittels Kauf des Superhed-geportfolios gegen jegliche Claimforderung zum Zeitpunkt t = 1 absichern.
(b) Analog bietet fur einen Subhedge ξ der Claimpreis πC = ξ · π (Subhed-gingpreis) dem Kaufer die Moglichkeit den Claimpreis durch Verkauf desSubhedgeportfolios zu decken.
(c) Ist C replizierbar durch ein Portfolio ξ, so ist der Preis ξ ·π des replizieren-den Portfolio sowohl (maximaler) Subhedgingpreis wie auch (minimaler)Superhedgingpreis.
Interpretation von (a) und (b) in Theorem 1.25
zu (b): Ist ξ ein Superhedge von C, so erfullen m := ξ · π und η = ξ
20 1 Arbitragetheorie in einer Periode
m+ η · Y ≥ C
1 + rP− f.s.,
denn es gilt
ξ · S1 + r
≥ C
1 + r
genau dann, wenn
ξ · π︸︷︷︸=m
+ξ · S1 + r
− ξ · π︸ ︷︷ ︸=η·Y
≥ C
1 + r.
Sei umgekehrt m ∈ [0,∞) und η ∈ Rd, so dass
m+ η · Y ≥ C
1 + rP− f.s..
Dann ist ξ = (m− η · π, η) ein Superhedge von C mit ξ · π = m.πsup(C) in (b) ist also der minimale Superhedingpreis.
zu (a): Analog ist πinf(C) in (a) der maximale Subhedgingpreis.
Korollar 1.28 Das Marktmodell sei arbitragefrei, weiterhin sei C ein Claim.
(a) C ist replizierbar genau dann, wenn ein eindeutiger arbitragefreier PreisπC existiert, d.h. | Π(C) |= 1.
(b) Ist C nicht replizierbar, so gilt
πinf(C) < πsup(C)
und
Π(C) = (πinf(C), πsup(C)).
Beweis:
(a) Ist C replizierbar, so gilt
πinf(C)Thm. 1.25
= πsup(C)Prop. 1.23∈ Π(C),
d.h. | Π(C) |= 1.Die Umkehrung folgt aus (b).
(b) Aus Proposition 1.23 folgt, dass Π(C) ein nicht-leeres Intervall ist. Wirzeigen nun
πinf(C), πsup(C) /∈ Π(C).
1.2 Eventualforderungen (Contingent Claims) 21
Aus Theorem 1.25 folgt die Existenz eines ξ ∈ Rd, so dass
πinf(C) + ξ · Y ≤ C
1 + rP− f.s.. (1.5)
Wir betrachten nun den erweiterten Markt((π, πinf(C)), (S,C)
)und das Portfolio (ξ · π − πinf(C),−ξ, 1) ∈ Rd+2.Fur t = 0 gilt dann
ξ · π − πinf(C)− ξ · π + πinf(C) = 0.
Und fur t = 1 erhalten wir
(ξ · π − πinf(C))(1 + r)− ξ · S + C(1.5)
≥ 0 P− f.s.
und
P((ξ · π − πinf(C))(1 + r)− ξ · S + C > 0) > 0 P− f.s.,
da C nicht replizierbar ist.Es existiert also eine Arbitragemoglichkeit im erweiterten Markt. Damitgilt
πinf(C) /∈ Π(C).
Fur πsup(C) /∈ Π(C) folgt der Bewewis analog.
ut
Bemerkung 1.29 Aus Korollar 1.28 folgt:
(i) Ist C replizierbar durch ein Portfolio ξ, so ist der maximale Subhed-gingpreis πinf(C) und der minimale Superhedgingpreis πsup(C) gegebendurch den eindeutigen arbitragefreien Claimpreis ξ · π.
(ii) Ist C nicht replizierbar, sind Sub- bzw. Superhedgingpreise nicht arbi-tragefrei!
Beispiel 1.30 (Universal arbitrage bounds for put and call options)Wir betrachten im Folgenden ein arbitragefreies Marktmodell, sowie Put undCall Optionen auf dem i-ten Wertpapier mit Strike K.
CCall := (Si −K)+ ,
CPut := (K − Si)+.
Offensichtlich gilt CCall ≤ Si, so dass
EP∗
[CCall
1 + r
]≤ πi fur alle P∗ ∈ P, i = 0, . . . , d. (1.6)
22 1 Arbitragetheorie in einer Periode
Andererseits erhalten wir aus der Jensenschen Ungleichung, dass
EP∗
[CCall
1 + r
]≥(EP∗
[Si
1 + r
]− K
1 + r
)+
=
(πi − K
1 + r
)+
, (1.7)
fur i = 0, . . . , d. Aus (1.6) und (1.7) erhalten wir die folgenden Arbitragegren-zen fur eine Call Option:(
πi − K
1 + r
)+
≤ πinf(CCall) ≤ πsup(CCall) ≤ πi,
fur i = 0, . . . , d.Fur CPut ergibt sich analog(
K
1 + r− πi
)+
≤ πinf(CPut) ≤ πsup(CPut) ≤ K
1 + r
fur i = 0, . . . , d. Fur r ≥ 0 gilt weiterhin
(πi −K)+ ≤ πinf(CCall)
fur i = 0, . . . , d. Dabei wird (πi −K)+ intrinsic value gennant, und es folgt,dass fur einen arbitragefreien Preis πCall der Time Value πCall − (πi −K)+
einer Call Option positiv ist. Fur Put Optionen ist der intrinsic value (K−πi)+
nur fur r ≤ 0 eine untere Schranke.Man sagt im Fall
intrinsic value > 0: Option is “in the money”πi = K: Option is “at the money”
sonst: Option ist “out of the money”
1.3 Vollstandigkeit von Marktmodellen
Definition 1.31 Ein Marktmodell heißt vollstandig ( complete), falls jederClaim replizierbar ist.
Theorem 1.32 (Second FTAP) Ein Marktmodell ist arbitragefrei und vollstandiggenau dann, wenn
| P |= 1,
d.h. es existiert genau ein P∗ ∈ P.
1.3 Vollstandigkeit von Marktmodellen 23
Beweis: Angenommen das Marktmodell ist arbitragefrei und vollstandig. Ausder Vollstandigkeit des Marktmodells folgt, dass fur alle A ∈ F die Indikator-funktion 1A ein replizierbarer Claim ist.Korollar 1.28 (a) impliziert nun, dass P∗(A) = EP∗ [1A] unabhangig von derWahl von P∗ ∈ P 6= ∅ ist, da das Marktmodell arbitragefrei ist. Damit ist| P |= 1.Angenommen P = P∗. C sei ein Claim und
Π(C) =
EP∗
[C
1 + r
]| P∗ ∈ P, EP∗ [C] <∞
die nicht-leere Menge der arbitragefreien Preise (Prop.1.23). Da | P |= 1 folgt| Π(C) |= 1. Mit Korollar 1.28 (a) folgt nun, dass C replizierbar ist. ut
Proposition 1.33 Ist das Marktmodell vollstandig, so gilt
L0(Ω,F ,P) = span(S0, . . . , Sd) :=ξ · S | ξ ∈ Rd+1
= V.
Insbesondere ist F = σ(S0, . . . , Sd) modulo P-Nullmengen. Weiterhin exis-tiert eine Partition von Ω in hochstens (d + 1) Atome in (Ω,F ,P). Ist dasModell zusatzlich arbitragefrei, also P = P∗, gilt weiterhin
L0(Ω,F ,P) = L1(Ω,F ,P∗).
Bemerkung 1.34
(a) Zur Erinnerung: Ein Atom aus (Ω,F ,P) ist ein A ∈ F , so dass P(A) > 0und fur alle B ∈ F mit B ⊆ A gilt P(B) = 0 oder P(B) = P(A).
(b) Proposition 1.33 besagt also, dass vollstandige Einperiodenmodelle end-liche Wahrscheinlichkeitsraume implizieren. Vollstandige Modelle in dis-kreter Zeit sind also sehr limitiert!
Beweis: Offensichtlich gilt
L0(Ω,F ,P)
(falls ∃P∗∈P⊇ L1(Ω,F ,P∗)
)⊇ V.
Sei das Modell vollstandig und Z ∈ L0(Ω,F ,P). Dann sind die ClaimsZ− := −min0, Z und Z+ := max0, Z replizierbar und somit in V. DaZ = Z+ − Z−, ist Z auch in V und damit dimL0(Ω,F ,P) ≤ d+ 1. Falls dasMarktmodell nicht-redundant ist, gilt insbesondere dimL0(Ω,F ,P) = d+ 1.Ist das Modell zusatzlich arbitragefrei, also P = P∗, ist
L0(Ω,F ,P) = L1(Ω, σ(S0, . . . , Sd),P) = V.
Wir benotigen das folgende Hilfslemma: Fur p ∈ [0,∞] gilt
24 1 Arbitragetheorie in einer Periode
dimLp(Ω,F ,P)
= supn ∈ N | ∃ Partition A1, . . . , An von Ω mit Ai ∈ F und P(Ai) > 0
.
Beweis des Hilfslemmas: Sei A1, . . . , An eine Partition mit P(Ai) > 0.Dann sind 1A1 , . . . ,1An linear unabhangig in Lp(Ω,F ,P) und somit istdimLp(Ω,F ,P) ≥ n. Sei
n0 := supn ∈ N | ∃ Partition A1, . . . , An von Ω mit Ai ∈ F und P(Ai) > 0
und o.B.d.A. n0 < ∞. Sei A1, . . . , An0 eine entsprechende Partition. Dannist Ai ein Atom, i = 1, . . . , n0, nach der Definition von n0, und somit istZ ∈ Lp(Ω,F ,P) P-f.s. konstant auf Ai, i = 1, . . . , n0. Dann hat Z die Form
Z =
n0∑i=1
zi1Ai
mit zi := Z(ω), ω ∈ Ai. Also bilden 1A1 , . . . ,1An0 eine Basis von Lp(Ω,F ,P)und es gilt
dimLp(Ω,F ,P) = n0.
Somit sind das Hilfslemma und damit auch die Proposition gezeigt. ut
2
Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell
Im Folgenden wollen wir die dynamische Erweiterung des Einperiodenmodellsfur Finanzmarkte auf mehrere Zeitschritte t = 0, ..., T betrachten. Dieses er-weiterte Modell erlaubt dann dynamische Portfolioumschichtungen zu Zeit-punkten t = 0, 1, ..., T .
2.1 Grundlagen Mehrperiodemodelle
Im Folgenden sei wie zuvor (Ω,F ,P) der zugrunde liegende Wahrscheinlich-keitsraum.
26 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell
Definition 2.1 Sei (E, E) ein messbarer Raum. Ein stochastischer ProzessX = (Xt)t∈0,1,...,T mit Werten in (E, E) ist eine Familie von Zufallsvaria-
blen Xt, t = 0, 1, ..., T , mit Werten in (E, E), also messbare Abbildungen
Xt : (Ω,F)→ (E, E) .
Definition 2.2 Eine Familie (Ft)t∈0,1,...,T von σ-Algebren Ft ⊆ F , auf
(Ω,F) heißt Filtration, falls
Fs ⊆ Ft fur alle s < t,
das heißt: F0 ⊆ F1 ⊆ ... ⊆ FT ⊆ F .
Bemerkung 2.3
(i) Im Folgenden gelte stets F0 := ∅, Ω und FT = F .(ii) Den filtrierten Wahrscheinlichkeitsraum notieren wir im Folgenden mit(
Ω, (Ft)t∈0,1,...,T ,F ,P).
(iii) Fur alle t = 0, 1, ..., T modelliert Ft die bis zum Zeitpunkt t beobacht-baren Ereignisse bzw. die verfugbaren Informationen am Markt zumZeitpunkt t.
Definition 2.4 Sei (Xt)t=0,...,T ein stochastischer Prozess auf(Ω, (Ft)t∈0,1,...,T ,F ,P
). Der Prozess heißt
(a) adaptiert, falls fur alle t = 0, ..., T die Zufallsvariable Xt (ω) Ft-messbarist.
(b) vorhersehbar oder previsibel (predictable), falls fur alle t = 1, ..., T dieZufallsvariable Xt (ω) Ft−1-messbar ist.1
Kommen wir nun zu der Spezifikation unseres Marktmodells in mehrerenPerioden (Mehrperiodenmodell). Wie zuvor sind d + 1 Wertpapiere (Assets)gegeben, die notiert sind durch
Si =(Sit)t=0,...,T
, i = 0, ..., d,
wobei nun Si ≥ 0 ein positiver adaptierter Prozess ist fur alle i = 0, ..., d. Wirnotieren weiterhin:
S :=(S0, S
):=(S0t , S
1t , ..., S
dt
)t=0,...,T
2
1 In dieser Definition ist (b) starker als (a). Das heißt, jeder previsibler Prozess istadaptiert, jedoch ist ein adaptierter Prozess nicht zwingend previsibel.
2 S ist ein Rd+1-wertiger stochastischer Prozess und S ist ein Rd-wertiger stochas-tischer Prozess.
2.1 Grundlagen Mehrperiodemodelle 27
Definition 2.5 Eine Strategie oder Portfolio
ξ =(ξt)t=1,...,T
ist ein(Rd+1,B
(Rd+1
))-wertiger, previsibler Prozess. Wir notieren
ξ :=(ξ0, ξ
):=(ξ0t , ξ
1t , . . . , ξ
dt
)t=1,...,T
.
Bemerkung 2.6 Der Wert ξit einer Strategie ξ entspricht der Anzahl desi-ten Wertpapieres Si im Portfolio wahrend der t-ten Handelsperiode von t−1bis t.
ξt wird also auf Grund der zur Zeit t − 1 verfugbaren Information bestimmtund ist damit Ft−1-messbar, also previsibel.
Der einer Strategie ξ zugeordnete Portfoliowert zur Zeit t− 1 ist also
ξt · St−1 =
d∑i=0
ξitSit−1,
der sich bis zur Zeit t zum Wert
ξt · St =
d∑i=0
ξitSit
entwickelt. Zum Zeitpunkt t kann dann die Neustrukturierung des Portfoliosvon ξt nach ξt+1 erfolgen.
Definition 2.7 Eine Strategie ξ =(ξt)t=1,...,T
heißt selbstfinanzierend, falls
ξt · St = ξt+1 · St, fur alle t = 1, ..., T − 1.
Bemerkung 2.8 Fur eine selbstfinanzierende Strategie ξ gilt
ξt+1 · St+1 − ξt · St = ξt+1 ·(St+1 − St
). (2.1)
Das heißt, die Wertveranderung des Portfolios resultiert lediglich aus derWertveranderung (Marktfluktuation) der Wertpapierpreise und nicht aus
28 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell
zusatzlichen Zu- oder Abflussen von Kapital.
Durch Summierung in (2.1) erhalten wir fur alle t = 1, . . . , T
ξt · St = ξ1 · S0 +
t∑k=1
ξk ·(Sk − Sk−1
).
ξ1 · S0 ist also das notige Startkapital zum Kauf des Portfolios ξ, welches sichdann bis zum Zeitpunkt t entsprechend der Wertveranderung der Wertpapiereentwickelt.
Annahme 2.9 Im Folgenden nehmen wir an, dass
S0t > 0 P− f.s. fur alle t = 0, ..., T
und verwenden S0 als Numeraire.
Bemerkung 2.10 Typischerweise modelliert S0 ein (lokal) risikofreies Wert-papier (Bond, Bankkonto):
S00 ≡ 1 und S0
t =
t∏k=1
(1 + rk),
wobei (rk)k=1,...,T ein previsibler Prozess ist.
Verzinsung von x Euro auf dem Bankkonto:
Der Zinssatz rt ist im Mehrperiodenmodell i.A. zwar stochastisch, aber schonzu Anfang t − 1 der Periode [t− 1, t] bekannt (previsibel), in diesem Sinnealso lokal risikofrei.
Definition 2.11 Die diskontierten Preisprozesse notieren wir mit
Xit :=
SitS0t
, t = 0, ..., T, i = 0, ..., d
und den diskontierten Portfoliowertprozess zu einer Strategie ξ mit
V ξ0 := ξ1 · X0 und V ξt := ξt · Xt fur alle t = 1, ..., T,
wobei X =(Xt
)t=0,...,T
:=(X0t , X
1t , ..., X
dt
)t=0,...,T
.
Wie ublich notieren wir X = (Xt)t=1,...,T := (X1t , . . . , X
dt )t=0,...,T , also
2.2 Arbitrage und Fundamental Theorem of Asset Pricing 29
X = (X0, X). Der diskontierte Gewinnprozess (Wertveranderungsprozess,gains-process) zu einer Strategie ξ ist definiert als
G0 := 0 und Gt :=
t∑k=1
ξk · (Xk −Xk−1) fur alle t = 1, ..., T,
wobei (Xk −Xk−1) =(X1k −X1
k−1, ..., Xdk −Xd
k−1
)=: Yk.
Proposition 2.12 Sei ξ eine Strategie. Dann sind aquivalent:
(a) ξ ist selbsfinanzierend.
(b) ξt · Xt = ξt+1 · Xt fur alle t = 1, ..., T − 1.
(c) Vt = V0 +Gt = ξ1 · X0 +∑tk=1 ξk · (Xk −Xk−1) fur alle t = 1, ..., T .
Beweis: Ubung. ut
Bemerkung 2.13
(i) Ist ξ selbstfinanzierend, dann gilt fur die Investition in den Numeraire
ξ0t+1 − ξ0
tProp. 2.12
= − (ξt+1 − ξt) ·Xt fur t = 1, ..., T − 1.
Daξ01 = V0 − ξ1 ·X0,
ist jede selbstfinanzierende Strategie ξ eindeutig gegeben durch dasStartkapital V0 und die Strategie ξ in den Wertpapieren S1, . . . , Sd. Um-gekehrt existiert zu jedem Startkapital V0 und jeder Strategie ξ eineeindeutige selbsfinanzierende Strategie ξ.
(ii) Analog zu Einperiodenmodellen heißt ein Mehrperiodenmodell nicht-redundant, falls:
ξt · (Xt −Xt−1) = 0 P-f.s. ⇒ ξt = 0 P-f.s.
fur alle t ∈ 1, . . . , T und ξt ∈ L0(Ω,Ft−1,P,Rd).
2.2 Arbitrage und Fundamental Theorem of AssetPricing
Definition 2.14 Eine Arbitragemoglichkeit ist eine selbstfinanzierende Stra-tegie ξ mit
V ξ0 ≤ 0 P− f.s., V ξT ≥ 0 P− f.s. und P[V ξT > 0
]> 0.
30 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell
Proposition 2.15 Ein Modell besitzt eine Arbitragemoglichkeit genau dann,wenn es t ∈ 1, . . . , T und η ∈ L0
(Ω,Ft−1,P;Rd
)3 gibt, so dass
η · (Xt −Xt−1) ≥ 0 P− f.s. und P (η · (Xt −Xt−1) > 0) > 0.
Ein Mehrperiodenmodell ist also arbitragefrei genau dann, wenn die jeweili-gen Einperiodenmodelle (mit stochastischen Anfangsbedingungen) arbitrage-frei sind.
Beweis: Sei(ξ0, ξ
)eine Arbitrage und
t := mink | V ξk ≥ 0 P− f.s. und P
(V ξk > 0
)> 0.
Dann gilt t ≤ T und entweder
V ξt−1 = 0 P− f.s. oder P[V ξt−1 < 0
]> 0.
Betrachten wir zunachst den Fall V ξt−1 = 0 P− f.s.. Mit η := ξt gilt dann
η · (Xt −Xt−1) = V ξt − Vξt−1 = V ξt ≥ 0 P− f.s.
undP (η · (Xt −Xt−1) > 0) > 0.
Betrachten wir nun den Fall P(V ξt−1 < 0
)> 0. Sei η := ξt1V ξt−1<0
. Dann
ist η Ft−1-messbar und
η · (Xt −Xt−1) =(V ξt − V
ξt−1
)1
V ξt−1<0.
Weiter gilt(V ξt − V
ξt−1
)1
V ξt−1<0 ≥ −V ξt−11
V ξt−1<0
≥ 0 P− f.s.
und
P
((V ξt − V
ξt−1
)1
V ξt−1<0 > 0
)> 0.
Beweisen wir nun die Ruckrichtung. Fur gegebene η und t definieren wir
ξs :=
η, falls t = s
0, sonst
3 Das heißt mit Werten in Rd.
2.2 Arbitrage und Fundamental Theorem of Asset Pricing 31
und betrachten die eindeutige selbstfinanzierende Strategie ξ =(ξ0, ξ
)mit
V0 = 0 (Bemerkung 2.13 (i)).
Dann ist
V ξT = V ξ0 +
T∑k=1
ξk · (Xk −Xk−1) = η · (Xt −Xt−1) ≥ 0 P− f.s.
undP(V ξT > 0
)> 0.
ξ ist also eine Arbitragestrategie. utIm Folgenden werden wir uns Martingalmaßen im Mehrperiodenmodell zu-wenden:
Definition 2.16 Ein stochastischer Prozess M = (Mt)t=0,...,T auf einem
filtrierten Wahrscheinlichkeitsraum(Ω, (Ft)t=0,...,T ,F ,Q
)heißt Martingal,
falls
(a) M adaptiert an (Ft)t=0,...,T ,
(b) Mt ∈ L1 (Ω,F ,P) fur alle t = 0, . . . , T ,
(c) EQ [Mt | Fs] = Ms fur 0 ≤ s ≤ t ≤ T.
Es ist leicht zu zeigen (Turmeigenschaft der bedingten Erwartung), dass (c)aquivalent ist zu
(c’) E[Mt+1 | Ft] = Mt fur alle t = 0, . . . , T − 1.
Martingalmaße entsprechen der mathematischen Formulierung eines”faire ga-
me“: zu jedem Zeitpunkt ist die bedingte Erwartung des zukunftigen Gewinnsgleich Null.
Beispiel 2.17 (Fairer Munzwurf).(Xi)i=1,...,T sei eine Folge von unabhangigen Zufallsvariablen mit
P (Xi = 1) = P (Xi = −1) =1
2.
Die Filtration (Fn)n=1,...,T sei gegeben durch
Fn := σ (X1, ..., Xn) .
Definiere Mt :=∑ti=1Xi. Dann ist (Mt)t=1,...,T ein Martingal, denn
• Mt ist Ft-messbar fur alle t = 1, ..., T , also adaptiert.
32 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell
• E [|Mt|] ≤∑ti=1E [|Xi|] = t <∞ fur alle t = 1, ..., T .
• E [Mt | Ft−1] = E [Mt−1 +Xt | Ft−1] = Mt−1 + E [Xt]E[Xt]=0
= Mt−1.
Definition 2.18 Ein Wahrscheinlichkeitsmaß Q auf (Ω,F) heißt Martin-galmaß (oder risikoneutrales Maß), falls die diskontierten Preisprozesse Xi,i = 1, ..., d, Q-Martingale bzgl. (Ft)t=0,...,T sind.
Wie zuvor notiert P die Menge der zu P aqivalenten Martingalmaße.
Theorem 2.19 Folgende Aussagen sind aquivalent:
(a) Q ist ein Martingalmaß.
(b) Fur alle selbstfinanzierende Strategien ξ =(ξ0, ξ
)mit ξ beschrankt ist
V = (Vt)t=0,...,T ein Q-Martingal.
(c) Fur alle selbstfinanzierende Strategien ξ mit EQ[V −T]<∞ ist V ein
Q-Martingal, wobei V − := max −V, 0.
(d) Fur alle selbstfinanzierende Strategien ξ mit VT ≥ 0 Q−f.s. istEQ [VT ] = V0.4
Beweis: (a)⇒ (b): Sei Q ein Martingalmaß und ξ selbstfinanzierend mit|ξi| < c fur eine Konstante c > 0, fur alle i = 1, ..., d. Dann gilt:
Vt = ξt ·Xt ist Ft-messbar, t = 0, ..., T
und
|Vt| ≤ |V0|+ c
t∑k=1
|Xk|+ |Xk−1|.5
Da Xk ∈ L1 (Q) fur alle k = 1, ..., T , ist auch Vt ∈ L1 (Q) fur alle t. Fur0 ≤ t ≤ T − 1 ist
EQ [Vt+1 | Ft] = EQ [Vt + ξt+1 · (Xt+1 −Xt) | Ft]= Vt + ξt+1EQ [Xt+1 −Xt | Ft]Q∈P= Vt.
Vt ist also ein Q-Martingal.
(b)⇒ (c): Sei
ξ(a)t := ξt1|ξt|≤a fur a > 0 und t = 1, . . . , T.
4 EQ [VT ] wohldefiniert, da nach Voraussetzung VT ≥ 0 Q−f.s..5 Da Vt = V0 +
∑tk=1 ξk (Xk −Xk−1), mittels Dreiecksungleichung und wegen |ξi| < c.
2.2 Arbitrage und Fundamental Theorem of Asset Pricing 33
Nach (b) gilt dann
EQ
[ξ
(a)t · (Xt −Xt−1) | Ft−1
]= 0,
fur alle t = 1, . . . , T .Wir fuhren den Beweis per Ruckwartsinduktion und betrachten zunachst denZeitpunkt T . Da nach Annahme EQ[V −T ] < ∞, ist EQ[VT | FT−1] wohldefi-niert und es gilt:
EQ [VT | FT−1]1|ξT |≤a = EQ[VT1|ξT |≤a | FT−1
]− EQ
[ξ
(a)T · (XT −XT−1) | FT−1
]= EQ
[VT1|ξT |≤a − ξ
(a)T · (XT −XT−1) | FT−1
]= EQ
[VT−11|ξT |≤a | FT−1
]= VT−11|ξT |≤a.
Fur a→∞ erhalten wir
EQ [VT | FT−1] = VT−1 Q-f.s..
Nehmen wir nun an, es gelte EQ[V −t ] < ∞ und EQ[Vt | Ft−1] = Vt−1 furt ∈ 1, . . . , T. Dann gilt mit der Jensenschen Ungleichung
EQ[V −t−1
]= EQ
[EQ [Vt | Ft−1]
−]≤ EQ
[V −t]<∞,
also ist EQ[Vt−1 | Ft−2] wohldefiniert und analog wie oben mit t − 1 anstattT folgt
EQ [Vt−1 | Ft−2] = Vt−2 Q-f.s..
Durch Ruckwartsinduktion erhalten wir somit fur alle t = 1, . . . , T
EQ[V −t]<∞
und
EQ [Vt | Ft−1] = Vt. (2.2)
Da F0 = ∅, Ω, ist V0, der Startwert des Portfolios, konstant und es gilt
EQ [Vt] = EQ [Vt | F0](2.2)= V0,
und somit Vt ∈ L1 (Q) fur alle t = 0, . . . , T . Folglich ist V ein Q-Martingal.
(c)⇒ (d): Fur alle Q-Martingale M gilt
M0 = EQ [M | F0] , fur alle t = 1, ..., T
34 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell
und wegen F0 = ∅, Ω, ist
M0 = EQ [MT | F0] = EQ [MT ] .
Da VT ≥ 0 Q-f.s., ist nach Voraussetzung in (c) V ein Q-Martingal, also
E[VT ] = V0.
(d) ⇒ (a): Seien i ∈ 0, . . . , d und t ∈ 1, . . . , T gegeben. Wir zeigenzunachst Xi
t ∈ L1(Q). Wir definieren ξis := 1s≤t, ξjs := 0, fur alle j 6= i
und alle 1 ≤ s ≤ T . Nach Bemerkung 2.13 existiert ein eindeutiger previsi-bler Prozess ξ0, so dass (ξ0, ξ) selbstfinanzierendes Portfolio mit StartkapitalV0 = Xi
0 ist. Es gilt:
VT = V0 +
T∑s=1
ξs · (Xs −Xs−1) = Xit ≥ 0.
Also wegen (d) giltEQ[Xi
t ] = EQ[VT ] = V0 = Xi0 (2.3)
undXit ∈ L1(Q),
fur alle i = 1, . . . , d und alle t = 0, . . . , T. Als nachstes zeigen wir die Martin-galeigenschaft von Xi unter Q:
EQ[Xit1A] = EQ[Xi
t−11A]
fur alle A ∈ Ft−1 und t ∈ 1, . . . , T. Definiere nun ξ durch:ξjs := 0 , falls j 6= jξis := 1s<t + 1s=t1Ac , sonst
Laut Bemerkung 2.13 existiert ein eindeutiger previsibler Prozess ξ0, so dass(ξ0, ξ) selbstfinanzierend mit Startkapital V0 = Xi
0 ist. Dann gilt
VT = V0 +
T∑s=1
ξs · (Xs −Xs−1)
= Xit−11A +Xi
t1Ac ≥ 0.
Somit folgt wegen (d)
Xi0 = V0 = EQ[VT ]
= EQ[Xit1A] + EQ[Xi
t−11Ac ]. (2.4)
Andererseits folgt aus (2.3)
2.2 Arbitrage und Fundamental Theorem of Asset Pricing 35
Xi0 = EQ[Xi
t ]. (2.5)
Aus (2.4) und (2.5) folgt dann
EQ[Xit1A] = EQ[Xi
t−11A].
ut
Theorem 2.20 (FTAP Mehrperiodenmodell) Das Marktmodell ist arbitra-gefrei genau dann, wenn P 6= ∅. In diesem Fall existiert ein aquivalentesMartingalmaß P∗ ∈ P mit beschrankter Dichte dP∗
dP .
Beweis: Sei P∗ ∈ P 6= ∅ und ξ eine Arbitragemoglichkeit, d.h. fur die Stra-tegie ξ gilt:
(i) V0 ≤ 0,
(ii) VT ≥ 0,
(iii) P∗(VT > 0) > 0, da P∗ ≈ P.
Daraus folgt
0 ≥ V0Thm. 2.19
=(d)
EP∗ [VT ] > 0,
was offensichtlich ein Widerspruch ist. Also muss der Markt arbitragefrei sein.Um die andere Richtung zu zeigen, betrachten wir, laut Proposition 2.15zunachst die Situation in den einperiodigen Submodellen.Die Fortsetzung des Beweises folgt spater. ut
FTAP im Einperiodenmodell mit stochastischen Anfangsbedingungen
Wir betrachten einperiodige Submodelle auf einem filtrierten Wahrscheinlich-keitsraum (Ω, (Ft)t=0,1,F ,P).
(i) Wir nehmen an, dass in dieser Untersektion F0 eine generelle σ-Algebraund im Allgemeinen nicht die triviale σ-Algebra ∅, Ω ist (stochastischeAnfangsbedingungen).
(ii) Ansonsten gelten die Annahmen und Definitionen wie im generellenMehrperiodemodellen.
Dann folgt aus Proposition 2.15, dass eine Arbitragemoglichkeit genau dannexistiert, wenn es eine Strategie ξ = (ξ0, ξ) ∈ L0(Ω,F0,P;Rd+1) gibt, so dass
ξ · Y := ξ · (X1 −X0) ≥ 0 P− f.s.
undP(ξ · Y > 0) > 0.
36 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell
Notation 2.21 Wir definieren folgende Mengen:
• K := ξ · Y | ξ ∈ L0(Ω,F0,P;Rd),
• Lp+ := Lp+(Ω,F0,P) = Z ∈ Lp | Z ≥ 0 P− f.s., wobei p ∈ [0,+∞],
• Lp− := Lp−(Ω,F0,P) = Z ∈ Lp | Z ≤ 0 P− f.s., wobei p ∈ [0,+∞],
• K − L0+ := Z ∈ L0 | Z = ξ · Y − U fur ξ · Y ∈ K, U ∈ L0
+.
Mit dieser Notation gilt:Der Markt ist arbitragefrei ⇔ K ∩ L0
+︸ ︷︷ ︸alle positive
Gewinnprofile
= 0.
Theorem 2.22 (Fundamental Theorem of Asset Pricing)Es sind aguivalent:
(a) K ∩ L0+ = 0.
(b) (K − L0+) ∩ L0
+ = 0.
(c) Es gilbt P∗ ∈ P mit beschrankter Dichte dP∗
dP .
(d) P 6= ∅.
Problem im Beweis:C := EQ[Y | F0] | Q ≈ P, EQ[‖Y ‖] < ∞ ⊂ L0(Ω,F0,P;Rd), d.h. einTrennungsargument in Rd ist im Allgemeinen nicht moglich, es sei dennF0 = ∅, Ω. Fur den Beweis von Theorem 2.22 benotigen wir zunachst einigeErgebnisse.
Theorem 2.23 (Essentielles Supremum)Sei Φ eine Menge von Zufallsvariablen auf einem Wahrscheinlichkeitsraum(Ω,F ,P). Dann existiert eine numerische Zufallsvariable X∗ : Ω → R∪+∞mit folgenden Eigenschaften:
(a) Fur alle Y ∈ Φ gilt Y ≤ X∗ P− f.s..
(b) Fur alle Z mit Y ≤ Z P− f.s. fur alle Y ∈ Φ gilt:
Z ≥ X∗ P− f.s..
Weiterhin gibt es eine abzahlbare Teilmenge Ψ∗ ⊆ Φ, so dass
X∗ = supY ∈Ψ∗
Y P− f.s..
Wir nennen X∗ das essentielle Supremum von Φ und schreiben:
2.2 Arbitrage und Fundamental Theorem of Asset Pricing 37
ess supΦ := ess supY ∈Φ
Y := X∗.
Mitess inf Φ := ess inf
Y ∈ΦY := − ess sup
Y ∈Φ(−Y )
bezeichnen wir das essentielle Infimum von Φ. Fur eine Zufallsvariable Xdefinieren wir:
ess supX : = infc ∈ R ∪ +∞ | P(X ≤ c) = 1= supc ∈ R ∪ +∞ | P(X > c) = 0
undess inf X := − ess sup(−X).
Theorem 2.24 (Halmos-Savage)Sei Q eine Menge von Wahrscheinlichkeitsmaßen, die alle bezuglich P absolutstetig sind. Falls Q ≈ P6, so gibt es eine abzahlbare Teilmenge Q ⊆ Q mitQ ≈ P, fur alle Q ∈ Q.
Beweis: SeiI(ω) := ess sup
1 dQdP>0(ω) | Q ∈ Q
≤ 1
und A := I < 1 = I = 0. Angenommen P(A) > 0, dann gibt es Q ∈ Qmit Q(A) > 0 (da Q ≈ P). Außerdem gilt
P
(dQ
dP> 0
∩A
)> 0.
AlsoP(I = 1 ∩A) > 0,
was offensichtlich ein Widerspruch ist. Deshalb muss wegen P(A) = 0 gelten
P(I = 1) = 1.
Weiterhin existiert nach Theorem 2.23 eine abzahlbare Teilmenge Q ⊆ Q mit
I = supQ∈Q
1 dQdP>0 P− f.s..
Dann gilt Q ≈ P, denn aus Q(B) = 0, fur ein B ∈ F , fur alle Q ∈ Q folgt:
I · 1B = 0 P− f.s.,
also P(B) = 0. ut
6 ∀Q ∈ Q, Q(A) = 0 ⇔ P(A) = 0, ∀A ∈ F .
38 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell
Theorem 2.25 (Kreps-Yan)Sei C ⊆ L1 ein abgeschlossener, konvexer Kegel7 mit L∞− ⊆ C undC∩L1
+ = 0. Dann existiert ein Z ∈ L∞ mit Z > 0 P−f.s. und E[WZ] ≤ 0,fur alle W ∈ C.
Beweis:
(i) Sei F ∈ L1+ mit P(F > 0) > 0. Wir zeigen, es gibt Z ∈ L∞ mit
Z ≤ 1 P− f.s.
und
E[FZ] > 0.
Sei dazu B := F. Dann ist B konvex und kompakt. Außerdem giltwegen F 6∈ C:
C ∩ B = ∅.
Laut dem Trennungssatz in Banachraumen (siehe Theorem C.21) exis-tiert ein lineares stetiges Funktional l : L1 → R mit
supY ∈C
l(Y ) < l(F ). (2.6)
Da 0 ∈ C, folgt 0 ≤ supY ∈C
l(Y ) < l(F ). Außerdem ist l von der Form
l(X) = E[ZX]
fur alle X ∈ L1 und fur ein geeignetes Z ∈ L∞ (siehe Lemma C.11).Wir konnen o.B.d.A. annehmen, dass
‖Z‖∞ := ess supZ ≤ 1.
Ansonsten betrachten wir Z := Z‖Z‖∞ .
(ii) Wir zeigen, dass Z aus (i) folgende Eigenschaften hat:1) E[ZY ] ≤ 0, fur alle Y ∈ C,
2) Z ≥ 0 P− f.s..
Zu 1):Angenommen es gibt ein Y ∈ C, so dass E[ZY ] > 0. Dann gilt fur t > 0:
0 < tE[ZY ] = E[ tY︸︷︷︸∈C
Z]
7 C ist ein Kegel ⇔ ∀x ∈ C, t ≥ 0 ist t · x ∈ C.
2.2 Arbitrage und Fundamental Theorem of Asset Pricing 39
= l(tY ) = tl(Y )
(2.6)
≤ E[FZ] = l(F ). (2.7)
Da t beliebig war, folgt aus (2.7) l(F ) =∞, was ein Widerpruch ist.Deswegen gilt
E[ZY ] ≤ 0
fur alle Y ∈ C.Zu 2):Da L∞− ⊆ C, ist fur alle A ∈ F , −1A ∈ C. Aus 1) folgt:
l(−1A) = −E[1AZ] ≤ 0,
fur alle A ∈ F . Mit A := Z < 0 folgt P(Z < 0) = 0.
(iii) Die in (i) zu jedem F ∈ L1+\0 gefundenen ZF definieren nach (ii)
ein Wahrscheinlichkeitsmaß QF , so dass QF P mit Radon-NikodymDichte
dQF
dP=
ZF
E[ZF ].
Wir betrachten Q := QF | F ∈ L1+\0. Dann ist Q ≈ P, denn fur
alle A ∈ F mit P(A) > 0 gilt 1A ∈ L1+ und damit
Q1A ∈ Q und Q1A(A) > 0.
Laut Theorem 2.24 existiert eine abzahlbare Teilmenge Q ⊂ Q mitQ ≈ P.Sei nun ˜Q := QF1 ,QF2 , . . ., Zi := ZFi , i ∈ N, und
Z∗ :=∑i∈N
Zi2i≤ 1 P− f.s..
Dann ist Z∗ ∈ L∞8 und P(Z∗ > 0) = 1, denn fur A := Z∗ = 0 ∈ Fgilt 1AZ
∗ = 0, und damit
1AZi = 0 P− f.s.fur alle i ∈ N. Das bedeutet aber QFi(A) = 0 fur alle i ∈ N und damit
P(A) = 0.
Außerdem gilt fur alle W ∈ C
E[Z∗W ]dominierte
=Konvergenz
∑i∈N
1
2iE[ZiW ]
(ii),1)
≤ 0.
8 weil 0 ≤ Zi ≤ 1, P− f.s.
40 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell
ut
Beweis: (von Theorem 2.22)(c)⇒ (d): Klar.(d)⇒ (a): Wie in Theorem 2.20.(a)⇒ (b): Sei K ∩ L0
+ = 0. Fur Z = ξ · Y − U ∈ (K − L0+) ∩ L0
+ gilt:
0 ≤ ξ · Y − U P− f.s.
alsoξ · Y ≥ U ≥ 0 P− f.s..
Damit ist ξ ·Y ∈ K∩L0+, also ξ ·Y = 0 laut Annahme, und damit U = 0, und
schließlich Z = 0 P− f.s..(b)⇒ (a): offensichtlich, da K ⊂ K − L0
+.(b)⇒ (c):
(i) Ohne Beschrankung der Allgemeinheit nehmen wir EP[‖Xt‖] < ∞ furt = 0, 1 an. Ansonsten gehen wir uber zum Maß P ≈ P definiert durch
dP
dP=
1
1 + ‖X0‖+ ‖X1‖· 1
E[ 11+‖X0‖+‖X1‖ ]
.
Der Markt ist arbitragefrei unter P genau dann, wenn er arbitragefreiunter P ist.
(ii) Angenommen C = (K − L0+) ∩ L1 ist abgeschlossen in (L1, ‖ · ‖1). C ist
offensichtlich ein konvexer Kegel mit L∞− ⊆ C und C ∩ L1+︸︷︷︸
⊆L0+
= 0 (nach
(b)). Nach Theorem 2.25 (Kreps-Yan) gibt es Z ∈ L∞ mit
Z > 0 P− f.s.
und
E[ZW ] ≤ 0,
fur alle W ∈ C. Wir definieren P∗ ≈ P durch
dP∗
dP=
Z
E[Z]∈ L∞
(also beschrankte Radon-Nykodym Dichte) und zeigen, dass P∗ ∈ P.Fur alle ξ ∈ L∞(Ω,F0,P;Rd) und fur alle t ∈ R ist tξ · Y ∈ C.Dann gilt aber:
tE[ξ · Y Z] = E[tξ · Y︸ ︷︷ ︸∈C
Z] ≤ 0,
2.2 Arbitrage und Fundamental Theorem of Asset Pricing 41
fur alle t ∈ R, alsoE[ξ · Y Z] = 0.
Außerdem giltE[ξ · Y Z] = E[ξE[Y Z | F0]] = 0.
Da ξ ∈ L∞(Ω,F0,P;Rd) beliebig war, folgt
E[Y Z | F0] = 0 P− f.s..
Also gilt:
EP∗ [Yi | F0] =
EP[Y iZ | F0]
EP[Z | F0]= 0 P− f.s.,
fur alle i = 1, . . . , d. Somit ist P∗ ∈ P.
(iii) Es bleibt noch zu zeigen, dass C in (L1, ‖ · ‖1) abgeschlossen ist. Siehedazu Korollar 2.29 spater.
ut
Lemma 2.26 Sei (ξn)n∈N ⊂ L0(Ω,F ,P;Rd) eine Folge mit
lim infn→∞
‖ξn‖ <∞ P− f.s..
Dann existiert ein ξ ∈ L0(Ω,F ,P;Rd) und eine Folge strikt monoton wach-sender F0-messbarer Zufallsvariablen σm : Ω → N, m ∈ N, so dass gilt
ξσm(ω)(ω)→ ξ(ω) P− f.s..
Beweis: Sei Λ(ω) := lim infn→∞
‖ξn(ω)‖. Wir definieren
σ01(ω) : = 1
und rekursiv
σ0k+1(ω) : =
min
n ∈ N | n > σ0
k(ω), ‖ξn(ω)‖ − Λ(ω) ≤ 1k+1
, falls Λ(ω) <∞
k + 1 , sonst.
Weiter definieren wir rekursiv fur i = 1, . . . , d
ξi := lim infn→∞
ξiσi−1m
und
σi1(ω) : = 1
42 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell
σik+1(ω) : =
min
σi−1n (ω) | σi−1
n (ω) > σik(ω), |ξiσi−1n
(ω)− ξi(ω)| ≤ 1k+1
, falls |ξi(ω)| <∞
k + 1 , sonst,
fur k = 1, 2, . . ..Dann sind σik, i = 0, . . . , d und k ∈ N, F0-messbar (Ubung) und
σik < σik+1,
fur alle i = 0, . . . , d, k ∈ N. Die Folge σm := σdm ergibt dann die gewunschteFolge von Zufallsindizes. ut
Lemma 2.27 Falls K ∩ L0+ = 01, dann ist K − L0
+ abgeschlossen in L0.
Beweis: Sei Wn ∈ (K − L0+), so dass Wn
n→∞−−−−→ W ∈ L0 in Wahrscheinlich-keit.Dann existiert eine Teilfolge, die wir o.B.d.A. wieder mit (Wn)n∈N bezeich-
nen, so dass Wnn→∞−−−−→W ∈ L0 P− f.s..
Seien ξn ∈ L0(Ω,F0,P;Rd), Un ∈ L0+, so dass Wn = ξn · Y − Un.
Wir zeigen
lim infn→∞
‖ξn‖ <∞ P− f.s..
Sei dazu A :=ω ∈ Ω | lim inf
n→∞‖ξn‖ =∞
und setze
ηn :=ξn‖ξn‖
1‖ξn‖>0, n ∈ N.
Dann ist
lim infn→∞
‖ηn‖ ≤ 1.
Aus Lemma 2.26 folgt die Existenz einer Folge von F0-messbaren Zuvallsva-riablen σ1 < σ2 < . . . und einem η ∈ L0(Ω,F0,P;Rd), so dass
ησn −−−−→n→∞
η P− f.s..
Wir erhalten
0 ≤ 1AUσn‖ξσn‖
1‖ξσn‖>0 =
1A
(ησn · Y −
n→∞−−−−→0 auf A P−f.s.︷ ︸︸ ︷Wσn
‖ξσn‖1‖ξn‖>0
)n→∞−−−−→ 1Aη︸︷︷︸
F0-messbar
·Y P− f.s..
1 d.h. das Marktmodell ist arbitragefrei.
2.2 Arbitrage und Fundamental Theorem of Asset Pricing 43
Da K ∩ L0+ = 0, folgt
1Aη · Y = 0 P− f.s..
Sei der Markt nicht redundant, siehe Bemerkung 2.13 (ansonsten ist ein weite-res “orthogonal-decomposition-argument” notig, siehe das Referenzbuch BuchStochastic Finance von Hans Follmer und Alexander Schied).Dann folgt
1Aη = 0 P− f.s..
Andererseits ist
‖ησn‖1A =‖ξσn‖‖ξσn‖
1‖ξσn‖>01A
= 1A1‖ξσn‖>0
und somit
‖η‖1A = limn→∞
‖ησn‖1A
= 1A lim infn→∞
1‖ξσn‖>0
= 1A.
Da 1Aη = 0 P−f.s., ist ‖η‖1A = 0 P−fs., also 1A = 0 P−f.s.. Das heißtP(A) = 0 und lim infn→∞ ‖ξn‖ <∞ P− f.s..Aus Lemma 2.26 folgt die Existenz einer Folge von F0-messbaren Zufallsva-riablen
τ1 < τ2 < . . .
und ξ ∈ L0(Ω,F0,P;Rd), so dass
ξτnn→∞−−−−→ ξ P− f.s..
Also
0 ≤ Uτn = ξτn · Y −Wτnn→∞−−−−→ ξ · Y −W =: U P− f.s.,
das heißt
W = ξ · Y − U ∈ K − L0+.
ut
Korollar 2.28 Angenommen K∩L0+ = 0. Dann ist K abgeschlossen in L0.
Beweis: Die Behauptung folgt aus dem Beweis von Lemma 2.27, wenn wirWn = ξn · Y (also Un = 0) setzen. ut
44 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell
Korollar 2.29 Angenommen (K ∩ L0+) = 0. Dann ist C = (K − L0
+) ∩ L1
abgeschlossen in (L1, ‖ · ‖1).
Beweis: Das Korollar folgt aus Lemma 2.27 und der Tatsache, dass Konver-genz in ‖ · ‖1 die Konvergenz in Wahrscheinlichkeit impliziert. ut
Beweis: (Theorem 2.20 (Fortsetzung))Wir zeigen nun die Ruchrichtung.Angenommen das Mehrperiodenmodell ist arbitragefrei. Dies gilt nach Pro-position 2.15 genau dann, wenn
Kt ∩ L0+(Ω,Ft,P) = 0 fur alle t = 1, . . . , T, (2.8)
wobei
Kt = η · (Xt −Xt−1) | η ∈ L0(Ω,Ft−1,P;Rd), t = 1, . . . , T.
Sei t = T . Nach Theorem 2.22 existiert P ≈ P mit beschrankter DichtedP
dP,
so dass
EP[(XT −XT−1) | FT−1] = 0.
Sei nun t ∈ 1, . . . , T, Pt ≈ P ein Wahrscheinlichkeitsmaß mit beschrankter
DichtedPtdP
und
EP [(Xk −Xk−1) | Fk−1] = 0, fur alle k = t, . . . , T.
Da Pt ≈ P gilt (2.8) fur t− 1 auch mit Pt anstatt P. Aus Theorem 2.22 folgtdie Existenz von Pt−1 ≈ Pt ≈ P mit beschrankter, Ft−1-messbarer DichtedPt−1
dPt, so dass
EPt−1[(Xt−1)−Xt−2 | Ft−2] = 0.
Dann ist auch Pt−1 ≈ P mit beschrankter Dichte
dPt−1
dP=dPt−1
dPt· dPtdP
.
Fur k = t, . . . , T gilt
EPt−1[(Xk −Xk−1) | Fk−1] =
EPt
[(Xk −Xk−1)dPt−1
dPt| Fk−1
]EPt
[dPt−1
dPt| Fk−1
](dPt−1dPt
ist Ft−1-messbar
)↓= EPt [(Xk −Xk−1) | Fk−1] = 0.
Aus der Rekursion folgt dann P∗ := P1 ∈ P mit beschrankter Dichte. ut
2.3 Europaische contingent Claims 45
Bemerkung 2.30 Wie im Einperiodenmodell (1.17) gilt: das arbitragefreieMartkmodell ist unabhangig von der Wahl des Numeraires. Die Menge P deraquivalenten Martingalmaße hangt aber im Allgemeinen vom Numeraire ab.Genauer: Sei Sj > 0 P − f.s. fur j ∈ 1, . . . , d, so dass Sj als Numeraireverwendet werden kann. Wir notieren die diskontierten Preise im NumeraireSj mit
Zit :=Sit
Sjt, i = 0, . . . , d, t = 0, . . . , T.
Sei P die Menge der aquivalenten Martingalmaße fur Z = (Z0, . . . , Zd). Danngilt
(a) P = P∗ | dP∗
dP∗=XjT
Xj0
fur ein P∗ ∈ P.
(b) P ∩ P = ∅, es sei denn XjT ist P− f.s. konstant.
Beweis: Ubung. ut
2.3 Europaische contingent Claims
Definition 2.31 Ein europaischer (contingent) Claim mit FalligkeitszeitpunktT ist eine nicht-negative, FT -messbare Zufallsvariable C.Ein Derivat ist ein σ(St, t = 0, . . . , T )-messbarer europaischer Claim.
Den diskontierten europaischen Claim bezeichnen wir mit H :=C
S0T
.
Bemerkung 2.32 Ein europaischer Claim C ist ein Wertpapier, der zumFalligkeitszeitpunkt T die Auszahlung C(ω) im Falle des Szenarios ω liefert.Europaische Claims stehen im Gegensatz zu amerikanischen Claims, bei de-nen jederzeit eine Auszahlung vom Kaufer des amerikanischen Claims verlangtwerden kann (und nicht nur zum festen Falligkeitszeitpunkt T ). Amerikani-sche Claims betrachten wir zu einem spateren Zeitpunkt.
Beispiel 2.33 (Ein paar europaische Derivate)
(a) Europaische Call bzw. Put Optionen mit Falligkeitszeitpunkt T , Strike Kund Basiswert Si, i ∈ 0, . . . , d sind gegeben durch
CCall = (SiT −K)+ bzw. CPut = (K − SiT )+.
(b) Asiatische Optionen: Der Payoff ist abhangig vom Durchschnittspreis,
Siav :=1
| T |∑t∈T
Sit ,
wobei T ⊆ 0, . . . , T und av fur “average” steht. Zum Beispiel
46 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell
(i) average price call option: C = (Siav −K)+.
(ii) average price put option: C = (K − Siav)+.
(iii) average strike call option: C = (STi − Siav)+.
(iv) average strike put option: C = (Siav − SiT )+.
(c) Barrier Options: Der Payoff hangt davon ab, ob der Basiswert vor demFalligkeitszeitpunkt T ein bestimmtes Niveau (Barriere) erreicht hat odernicht.(i) Knock-in-option: Auszahlung, falls die Barriere vor dem Falligkeitszeitpunkt
T erreicht wird. Zum Beispiel digital-knock-in-options:
Cdig =
1 falls max
0≤t≤TSit ≥ B > Si0
0 sonst.
(ii) Knock-out-option: Verliert den Wert, sobald die Barriere erreicht wird.Zum Beispiel up-and-out-call-option:
Ccallu&o =
(SiT −K)+ falls max
0≤t≤TSit < B > Si0
0 sonst.
(d) Look-back Options: Der Payoff hangt vom Minimum min0≤t≤T
Sit oder max0≤t≤T
Sit
ab:(i) Lookback Call: C = (SiT − min
0≤t≤TSit).
(ii) Lookback Put: C = ( max0≤t≤T
Sit − SiT ).
Definition 2.34 Ein europaischer Claim C heißt replizierbar ( attainable),falls eine selbstfinanzierende Strategie ξ existiert mit
C = ξT · ST P− f.s..
ξ heißt replizierende Strategie (Hedge) von C.Ein Super- bzw. Subhedge von C ist eine selbstfinanzierende Strategie ξ, die
ξT · ST ≥ C bzw. ξT · ST ≤ C P− f.s.
erfullt.
Bemerkung 2.35 Ein europaischer Claim C ist replizierbar mit der Strate-
gie ξ genau dann, wenn der diskontierte Claim H :=C
S0T
mit ξ im diskontierten
Markt replizierbar ist, das heißt
2.3 Europaische contingent Claims 47
H = ξT ·XT = V ξT
= V ξ0 +
T∑k=1
ξk · (Xk −Xk−1).
Analoges gilt fur ein Super- bzw. Subhedge von H.
Annahme 2.36 Im Folgenden sei unser Marktmodell immer arbitragefrei,d.h. P 6= ∅.
Proposition 2.37 Sei C ein replizierbarer europaischer Claim. Fur
H :=C
S0T
gilt dann
EP∗ [H] <∞ fur alle P∗ ∈ P.
Außerdem gilt fur jede Strategie ξ, die C repliziert, dass
V ξt = EP∗ [H | Ft] P− f.s., fur alle t = 0, . . . , T,
also ist insbesondere V ξt ≥ 0 und (V ξt )t=0,...,T ist ein P∗-Martingal fur alleP∗ ∈ P.
Beweis: Dies folgt sofort aus Theorem 2.19, denn H = V ξT ≥ 0. ut
Konsequenz: Sei H :=C
S0T
ein replizierbarer, diskontierter, europaischer
Claim. Dann gilt
(a) Fur zwei replizierende Strategien ξ und η ist
V ξt = V ηt = EP∗ [H | Ft] P− f.s. fur alle t = 0, . . . , T.
Der Wert eines replizierenden Portfolios ist also P− f.s. eindeutig (auchin redundanten Markten).
(b) Fur zwei aquivalente Martingalmaße P∗,Q∗ ∈ P ist
EP∗ [H | Ft] = EQ∗ [H | Ft] fur alle t = 0, . . . , T
unabhangig von dem aquivalenten Martingalmaß.
Insbesondere ist das Startkapital des replizierenden Portfolios
V0 = EP∗ [H], P∗ ∈ P
der eindeutige “faire” preis von H und somit
V0 · S00 = S0
0 · EP∗ [H], P∗ ∈ P,
48 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell
der eindeutige “faire” Preis von C, da alle anderen Preise Arbitrage zulassen.Sei zum Beispiel der Preis π > V0 gegeben, dann ist eine Arbitragemoglichkeit:
t = 0 t = T
Verkaufe H fur π: −π −→ −H
Kaufe ein replizierendes Portfolio: V0 −→ H
Investiere im Numeraire: π − V0 −→ (π−V0)
S00· S0
T
Gesamtportfolio: 0 −→ (π−V0)
S00· S0
T > 0
Generell definieren wir:
Definition 2.38 πH heißt arbitragefreier Preis eines diskontierten europaischen
Claims H =C
S0T
, falls es einen adaptierten, stochastischen Prozess
Xd+1 = (Xd+1t )t=0,...,T gibt, so dass
Xd+10 = πH ,
Xd+1t ≥ 0 P− f.s. fur alle t = 0, . . . , T,
Xd+1T = H P− f.s.,
und der erweiterte Markt (X,Xd+1) = (X0, X1, . . . , Xd, Xd+1) arbitragefreiist.Die Menge der arbitragefreien Preise von H notieren wir mit Π(H). Außer-dem definieren wir
πinf(H) = inf Π(H),
πsup(H) = supΠ(H).
Bemerkung 2.39(a) Offensichtlich gilt, dass (X0, . . . , Xd+1) genau dann arbitragefrei ist, wenn
(S0, . . . , Sd+1, Xd+1 ·S0) arbitragefrei ist. Es folgt, dass πC := πH ·S0 derarbitragefreie Preis des nicht-diskontierten Claims C = H · S0
T ist.
(b) Sei P∗ ∈ P mit EP∗ [H] <∞. Dann erfullt
Xd+1 := EP∗ [H | Ft], t = 0, . . . , T
die Bedingung aus Definition 2.38, d.h.
πH := EP∗ [H]
ist ein arbitragefreier Preis.
2.3 Europaische contingent Claims 49
Theorem 2.40 Die Menge der arbitragefreien Preise des diskontierten eu-ropaischen Claims H ist gegeben durch
Π (H) = EP∗ [H] | P∗ ∈ P und EP∗ [H] <∞ . (2.9)
Desweiteren ist Π(H) ein nicht-leeres Intervall und es gilt
πinf (H) = infπ∗∈P
EP∗ [H]
= maxm ∈ [0,∞) | ∃ ξ selbstfinanzierend, so dass m+
∑Tk=1 ξk (Xk −Xk−1) ≤ H
=
”maximaler Subhedgepreis“
und
πsup (H) = supπ∗∈P
EP∗ [H]
= minm ∈ [0,∞) | ∃ ξ selbstfinanzierend, so dass m+
∑Tk=1 ξk (Xk −Xk−1) ≥ H
=
”minimaler Superhedgepreis“
Beweis: Wegen Bemerkung 2.39 (b) gilt offensichtlich ⊇ in (2.9). Zeigen wirnun die andere Inklusion in (2.9). Sei dazu πH ein arbitragefreier Preis vonH. Dann gibt es einen stochastischen Prozess Xd+1 mit
Xd+10 = πH ,
Xd+1t ≥ 0 P− f.s. fur alle t ∈ 0, . . . , T ,
Xd+1T = H P− f.s.,
und(X,Xd+1
)arbitragefrei. Aus dem Satz 2.20 (FTAP) folgt, dass es ein
aquivalentes Martingalmaß P fur(X,Xd+1
)gibt. Dann ist P aber auch ein
aqivalentes Martingalmaß fur den ursprunglichen Markt X, d.h. P ∈ P und
EP [H] = EP[Xd+1T
]= Xd+1
0 = πH .
Wir zeigen nun, dass Π (H) ein nicht-leers Intervall ist: Sei P ≈ P gegebendurch
dP
dP=
1
1 +H· 1
E[
11+H
] .Dann ist H ∈ L1
(P), und der ursprungliche Markt ist arbitragefrei unter P.
Aus Theorem 2.20 (FTAP) folgt, dass es ein P∗ ∈ P mit beschrankter Dichte
0 <dP∗
dP< k P− f.s. fur ein k ∈ R+
gibt. Dann gilt
EP∗ [H] = EP
[HdP∗
dP
]≤ kEP [H] <∞,
50 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell
d.h. EP∗ [H] ∈ Π (H).Zeigen wir nun die Konvexitat vonΠ (H): Da die MengeQ := P∗ ∈ P mit EP∗ [H] <∞konvex und die Abbildung von Q nach R gegeben durch
P∗ 7−→ EP∗ [H]
affin ist, ist Π (H) konvex.Offensichtlich gilt
πinf (H) = infP∗∈P
EP∗ [H] .
Es gilt auchπsup (H) = sup
P∗∈PEP∗ [H] ,
denn:
(i) Falls es kein P∗ ∈ P mit EP∗ [H] = ∞ gibt, gilt die Behauptung offen-sichtlich.
(ii) Falls es P∗ ∈ P mit EP∗ [H] = ∞ gibt, bleibt zu zeigen, dass es fur allek > 0 ein P ∈ P gibt mit k ≤ E
P[H] <∞. Sei dazu n ∈ N so groß, dass
EP∗ [H ∧ n] ≥ k und sei
Xd+1t := EP∗ [H ∧ n|Ft] fur alle t = 0, ..., T.
Dann ist P∗ ein aquivalentes Martingalmaß fur(X,Xd+1
).
Auch in dem erwiterten Markt ist H ein Claim. Also existiert nachden anfanglichen Betrachtungen ein aquivalentes Martingalmaß P fur(X,Xd+1
)mit E
P[H] <∞. Also ist P ∈ P mit
EP
[H] ≥ EP
[H ∧ n] = EP
[Xd+1T
]= Xd+1
0 = EP∗ [H ∧ n] ≥ k.
Wir zeigen nun, dass πsup (H) ein minimaler Superhedgepreis ist. Sei
M :=
m ∈ [0,∞] | ∃ ξ selbstfinanzierend mit m+
T∑k=1
ξk · (Xk −Xk−1) ≥ H
Es gilt πsup (H) ≤ infM, denn: Sei m ∈M und
Vt = m+
T∑k=1
ξk · (Xk −Xk−1)
der diskontierte Portfoliowert mit V0 = m und VT ≥ 0. Aus Theorem 2.19folgt nun
m = EP∗ [VT ] ≥ EP∗ [H] fur alle P∗ ∈ P,also
m ≥ supP∗∈P
EP∗ [H] = πsup (H) .
Dass πsup (H) = minM, zeigen wir hier nicht.
Analog kann man zeigen, dass πinf (H) ein maximaler Subhedgepreis ist. ut
2.3 Europaische contingent Claims 51
Theorem 2.41 Sei das Marktmodell arbitragefrei und H ein diskontiertereuropaischer Claim. Dann gilt
(a) H ist replizierbar genu dann, wenn
|Π (H) | = 1,
d.h. π (H) = V0, wobei (Vt)t=0,...,T der diskontierte Portfoliowertprozesseiner replizierbaren Strategie ist.
(b) Ist H nicht replizierbar, dann ist
πinf (H) < πsup (H) ,
Π (H) = (πinf (H) , πsup (H)) .
Insbesondere gilt dann πinf (H) , πsup (H) /∈ Π (H)
Beweis:
(a) Sei H replizierbar. Nach Proposition 2.37 gilt dann fur alle P∗,Q∗ ∈ P
EP∗ [H] = EQ∗ [H] .
Also ist |Π (H) | = 1 nach Theorem 2.40. Die Umkehrung folgt aus (b).
(b) Sei H nicht replizierbar. Außerdem sei P∗ ∈ P mit EP∗ [H] < ∞. Wirzeigen, dass es P, P ∈ P gibt mit E
P[H] <∞, EP [H] <∞ und
EP [H] < EP∗ [H] < EP
[H] .
Dann muss nach Theorem 2.40
Π (H) = (πinf (H) , πsup (H))
gelten.
Betrachten wirUt := EP∗ [H|Ft] , t = 0, . . . , T.
Dann ist
H = UT = U0 +
T∑k=1
(Uk − Uk−1) .
Sei
Kt :=η · (Xt −Xt−1) | η ∈ L0
(Ω,Ft−1,P;Rd
)fur t = 0, . . . , T.
Da H nicht replizierbar ist, existiert mindestens ein t ∈ 1, . . . , T, so dass
Ut − Ut−1 /∈ Kt ∩ L1 (Ω,Ft,P∗) .
52 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell
Nun istKt ∩ L1 (Ω,Ft,P∗) , fur t = 0, . . . , T
abgeschlossen in L1 ((Ω,Ft,P∗) , ‖ · ‖1) nach Korollar 2.28.
Dann ist B := Ut − Ut−1 konvex und kompakt und C := Kt∩L1 (Ω,Ft,P∗)konvex und abgeschlossen mit B ∩ C 6= ∅. Nach Theorem C.21 gibt esZ ∈ L∞ (Ω,Ft,P∗) derart, dass
EP∗ [Z (Ut − Ut−1)] > supW∈C
EP∗ [ZW ] .
Da 0 ∈ C, ist EP∗ [Z (Ut − Ut−1)] > 0. O.B.d.A. nehmen wir an, dass|Z| ≤ 1
3 .
Daher definiertdP
dP∗= 1 + Z − EP∗ [Z|Ft−1]
ein Wahrscheinlichkeitsmaß P ≈ P∗. Es gilt
EP
[H] = EP∗ [H (1 + Z − EP∗ [Z|Ft−1])]
= EP∗ [H] + EP∗ [ZEP∗ [H|Ft]]− EP∗ [EP∗ [H|Ft−1]EP∗ [Z|Ft−1]]
= EP∗ [H] + EP∗ [ZUt] + EP∗ [Ut−1Z]
= EP∗ [H] + EP∗ [Z (Ut − Ut−1)]︸ ︷︷ ︸>0
> EP∗ [H] .
Andererseits gilt
EP
[H] ≤ 5
3EP∗ [H] <∞.
Es bleibt also zu zeigen, dass P ein Martingalmaß ist (also P ∈ P). Fur
alle k > t ist Z und damit dPdP∗ Fk−1-messbar. Deshalb gilt, da P∗ ∈ P,
EP
[Xk −Xk−1|Fk−1] = EP∗ [Xk −Xk−1|Ft−1] = 0.
Fur k = t bemerke zunachst, dass EP∗ [ZW ] = 0, fur alleW ∈ C, wegen der Linearitat von C.Insbesondere gilt fur alle A ∈ Ft−1
1A(Xit −Xi
t−1
)∈ C fur i = 1, . . . , d.
Also
EP∗[Z(Xit −Xi
t−1
)|Ft−1
]= 0 fur alle i = 1, . . . , d. (2.10)
Da EP∗[dPdP∗ |Ft−1
]= 1 liefert die Bayes-Formel zusammen mit P∗ ∈ P
und (2.10)
2.3 Europaische contingent Claims 53
EP
[Xit −Xi
t−1|Ft−1
]= EP∗
[(Xit −Xi
t−1
)|Ft−1
]+ EP∗
[(Xit −Xi
t−1
)Z|Ft−1
]−EP∗
[(Xit −Xi
t−1
)EP∗ [Z|Ft−1] |Ft−1
]= 0
Fur k ≤ t− 1 gilt dPdP∗
∣∣∣Fk
= 1 und deshalb
EP[Xik −Xi
k−1 | Fk−1
]= EP∗
[Xik −Xi
k−1|Fk−1
]= 0.
Damit folgt P ∈ P.Sei nun P ≈ P gegeben durch
dP
dP∗= 2− dP
dP∗.
Dann folgtP = 2P∗ − P.
Also P ∈ P und H ∈ L1(P), da.
EP [H] = 2EP∗ [H]− EP
[H]
= 2EP∗ [H]−(EP∗ [H]− E
P[H])
< EP∗ [H] .
ut
Bemerkung 2.42 Fur die Bewertung von Claims C0 mit FalligkeitszeitpunktT0 < T (also C0 ist FT0
-messbar) sind a priori zwei Alternativen moglich:
(i) Anwendung unserer Ergebnisse auf den diskontierten Claim
H0 :=C
S0T0
im Marktmodell mit verkurztem Zeithorizont T0 (das offensichtlich aucharbitragefrei ist).
(ii) Betrachtung des Payoffs
C := C0S0T
S0T0
mit Falligkeit T (was der Investition des Payoffs C0 in den NumeraireS0 zum Zeitpunkt T0 entspricht) mit diskontiertem Payoff
H =C
S0T
=C0
S0T0
.
54 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell
Lemma: Sei P∗0 ∈ P0 ein aquivalentes Martingalmaß im Markt mit Zeithori-zont T0. Dann existiert ein P∗ ∈ P, so dass
P∗|FT0= P∗0.
Beweis: Ubung. ut
Aus dem Lemma folgt nun, dass die Alternativen (i) und (ii) die gleichenarbitragefreien Preise fur den Claim C0 liefern, da H = H0.
2.4 Vollstandige Markte
Definition 2.43 Ein Mehrperiodenmodell heißt vollstandig (complete), fallsalle europaische Claims replizierbar sind.
Theorem 2.44 (Second Fundamental Theorem of Asset Pricing)Das Marktmodell sei arbitragefrei, also P 6= ∅. Dann sind aquivalent:
(a) Der Markt ist vollstandig.
(b) Es gibt genau ein aquivalentes Martingalmaß, das heißt |P| = 1.
Beweis: (a) ⇒ (b). Sei A ∈ FT . Dann ist der Claim H = 1A replizierbar.Laut Theorem 2.41 ist dann |Π (H) | = 1, also gilt fur P∗, P ∈ P
P∗ (A) = EP∗ [1A] = EP
[1A] = P (A) .
Da A ∈ FT beliebig ist, folgt P∗ = P ∈ P.(b)⇒ (a). Sei H ein beliebiger diskontierter Claim. Laut Theoremm 2.40 istΠ (H) = EP∗ [H], da P = P∗ nach Voraussetzung. Laut Theorem 2.41ist H dann replizierbar. ut
Proposition 2.45 Das Marktmodell sei vollstandig. Dann existiert eine Par-tition von (Ω,F ,P) in hochstens (d+ 1)
TAtome.
Beweis: Wir fuhren den Beweis uber Induktion nach T . Fur T = 1 folgt diesaus Proposition 1.33 Wir nehmen an, dass Prop 2.45 fur T − 1 wahr ist. NachVoraussetzung gilt fur 0 ≤ H ∈ L∞ (Ω, FT , P)
H = V0 +
T∑k=1
ξk · (Xk −Xk−1) = VT−1 + ξT · (XT −XT−1) (2.11)
mit VT−1, ξT FT−1-messbar. Da das Marktmodell auch uber (Ω, FT−1, P)vollstandig ist (Ubung), gilt nach Induktionsvoraussetzung, dass (Ω, FT−1, P)
in maximal (d+ 1)T−1
Atome zerlegbar ist und VT−1, ξT konstant auf jedemAtom A von (Ω, FT−1, P) sind. Aus (2.11) folgt also, dass
2.4 Vollstandige Markte 55
dimL∞ (Ω, FT−1, P ( · |A)) ≤ d+ 1.
Aus dem Hilfslemma im Beweis von Proposition 1.33 folgt nun, dass(Ω, FT−1,P ( · |A)) in maximal d+ 1 Atome zerlegbar ist.Das heißt, jedes Atom A ∈ FT−1 zerfallt in maximal d+ 1 Atome in F . Alsozerfallt (Ω, FT , P) in maximal
(d+ 1)T−1
(d+ 1) = (d+ 1)T
Atome. ut
Definition 2.46 Sei K eine konvexe Menge. Ein Element x ∈ K ist einextremer Punkt, falls aus x = λz+(1− λ) y mit z, y ∈ K, 0 ≤ λ ≤ 1 entwederλ = 0 oder λ = 1 folgt.
Sei Q die Menge der Martingalmaße fur unser Marktmodell. Dann sind P undQ konvex.
Theorem 2.47 Fur P∗ ∈ P sind folgende Aussagen aquivalent:
(a) P = P∗, d.h. das Marktmodell ist vollstandig.
(b) P∗ ist ein extremer Punkt in P.
(c) P∗ ist ein extremer Punkt in Q.
(d) Fur alle P∗-Martingale M existiert ein previsibler Prozess ξ, so dass
Mt = M0 +
t∑k=1
ξk · (Xk −Xk−1) fur t = 0, . . . , T.
Die Eigenschaft (d) wird Martingal-Reprasentations (Darstellungs)-Eigenschaftdes P∗-Martingals X genannt.
Beweis: (a)⇒ (c): Sei
P∗ = λQ1 + (1− λ)Q2
fur 0 < λ < 1, Q1,Q2 ∈ Q. Ist P∗ (A) = 0 fur A ∈ FT , folgt
Q1 (A) = Q2 (A) = 0.
Wir definieren:
Pi =1
2
(Qi + P∗
), fur i = 1, 2.
Dann gilt Pi ≈ P∗ fur i = 1, 2 und Pi ist ein aquivalentes Martingalmaß, d.h.Pi ∈ P fur i = 1, 2. Da aber P = P∗ nach Voraussetzung, gilt Q1 = Q2 undP∗ ist ein extremer Punkt in Q.(c)⇒ (b): Klar, da P ⊆ Q.(b)⇒ (a): Sei P ∈ P so, dass P 6= P∗.
56 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell
(i) Wir zeigen: Es gibt P ∈ P, so dass P 6= P∗ und 0 < dPdP∗ < c fur ein c > 0.
Sei A ∈ FT , so dass P (A) 6= P∗ (A) und Xd+1t = E
P[1A|Ft]. Dann ist
das Marktmodell(X0, ..., Xd, Xd+1
)arbitragefrei auf (Ω,FT ,P∗), da P
ein aquivalentes Martingalmaß ist. Aus Theorem 2.20 (FTAP) folgt nun
die Existenz eines P ∈ P mit 0 < dPdP∗ < c fur ein c > 0. Außerdem gilt
EP [1A] = P (A) = Xd+10 = P (A) 6= P∗ (A) .
(ii) Sei also o.B.d.A. (wegen (i)) 0 < dPdP∗ < c, fur ein c > 0. Sei 0 < ε < 1
c
und definiere P ≈ P∗ durch
dP
dP∗= 1 + ε− ε dP
dP∗> 0,
d.h. P = (1 + ε)P∗ − εP. Dann gilt P 6= P∗, P ∈ P und
P∗ =1
1 + εP+
ε
1 + εP.
Dies ist aber ein Widerspruch zur Voraussetzung in (b). Also P = P∗.
(a)⇒ (d): SeiMT = M+
T −M−T fur M+
T ,M−T ≥ 0.
Da der Markt vollstandig ist, gibt es previsible Prozesse ξ+ und ξ−, so dass
M+/−T = V
+/−0 +
T∑k=1
ξ+/−k · (Xk −Xk−1).
Die assoziierten Portfoliowerte
V+/−t = V
+/−0 +
t∑k=1
ξ+/−k · (Xk −Xk−1).
sind nach Proposition 2.37 P∗-Martingale mit V+/−T = M
+/−T . Also gilt
Mt = EP∗[M+T −M
−T
∣∣Ft]= EP∗
[V +T |Ft
]− EP∗
[V −T |Ft
]= V +
t − V −t .
Mit ξ := ξ+ − ξ− gilt
Mt = V ξt = V ξ+t − V ξ−
t ,
also gilt (d) fur M .(d)⇒ (a): Sei A ∈ FT und
2.5 Das Binomialmodell (Cox-Ross-Rubinstein-Modell) 57
Mt := EP∗ [1A|Ft] .
Dann gilt fur das Martingal M nach Voraussetzung
MT = 1A = M0 +
T∑k=1
ξk · (Xk −Xk−1).
Also ist H = 1A durch (ξ,M0) replizierbar. Laut Theorem 2.41 ist EP∗ [1A]der eindeutige arbitragefrie Preis und damit unabhangig von der Wahl desaquivalenten Martingalmaßes. Dies gilt fur alle A ∈ FT . Damit folgt nunP = P∗ . ut
2.5 Das Binomialmodell (Cox-Ross-Rubinstein-Modell)
Sei Ω = −1, 1T = ω = (y1, . . . , yT ) | yi ∈ −1, 1, i ∈ 1, . . . , T,F = P(Ω) und P ein Wahrscheinlichkeitsmaß, so dass P(ω) > 0, fur alleω ∈ Ω. Auf dem Wahrscheinlichkeitsraum (Ω,F ,P) besteht dasBinomialmodell aus
• einem Bond (Numeraire)
S0(t) := (1 + r)t, t = 0, . . . , T,
wobei r > −1,
• einer Aktie (St)t=0,...,T impliziert durch Returns
Rt =St − St−1
St−1,
die als
Rt(ω) = a1− Yt(ω)
2+ b
1 + Yt(ω)
2=
a, falls Yt(ω) = −1b, falls Yt(ω) = 1
definiert sind. Hier ist −1 < a < b und (Yt)t=1,...,T der Koordinatenprozessdefiniert durch
Yt(ω) = Yt((y1, . . . , yT )) := yt.
Dann ist
St = S0
t∏k=1
(1 +Rk),
fur einen Aktienstartwert S0 > 0.
58 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell
• einer diskontierten Aktie von der Form
Xt =St
(1 + r)t= S0
t∏k=1
1 +Rk1 + r
,
• einer Filtration definiert durch
Ft := σ(S0, . . . , St) = σ(X0, . . . , Xt)
= σ(R1, . . . , Rt) = σ(Y1, . . . , Yt),
fur alle t = 0, . . . , T . Es gilt F0 = ∅, Ω und FT = F .
Proposition 2.48 Das Binomialmodell ist arbitragefrei genau dann, wenna < r < b. In diesem Fall ist es auch vollstandig und das eindeutigeaquivalente Martingalmaß P∗ ist charakterisiert durch
P∗(Rt+1 = b | Ft) = P∗(Rt+1 = b) =: p∗ =r − ab− a
, (2.12)
fur alle t = 0, . . . , T − 1, d.h. die Returns R1, . . . , RT sind unabhangig undidentisch verteilt unter P∗.
Bemerkung 2.49 Das eindeutige aquivalente Martingalmaß P∗ in (2.12),und damit auch die Bewertung von Claims, ist also unabhangig von demWahrscheinlichkeitsmaß P.
Beweis: Das Binomialmodell sei arbitragefrei. Laut Theorem 2.20. (FTAP),gibt es ein P∗ ∈ P, so dass der diskontierte Preisprozess (Xt)t=0,...,T einMartingal unter P∗ ist, d.h. es gilt:
Xt = EP∗ [Xt+1 | Ft]
=Xt
1 + rEP∗ [1 +Rt+1 | Ft] P− f.s., (2.13)
fur alle t = 0, . . . , T − 1, wobei die zweite Gleichheit aus der Ft-Messbarkeitvon Xt folgt. Offensichtlich ist (2.13) aquivalent zu:
2.5 Das Binomialmodell (Cox-Ross-Rubinstein-Modell) 59
r = EP∗ [Rt+1 | Ft]= bP∗(Rt+1 = b | Ft) + aP∗(Rt+1 = a | Ft). (2.14)
Da P∗(Rt+1 = a | Ft) = 1− P∗(Rt+1 = b | Ft), folgt aus (2.14):
P∗(Rt+1 = b | Ft) =r − ab− a
,
was offensichtlich deterministisch und unabhangig von t ist. Damit folgt nun:
P∗(Rt = b) =r − ab− a
, t = 1, . . . , T. (2.15)
Somit sind die Zufallsvariablen R1, . . . , RT unabhangig unter P∗ mit gemein-samer Verteilung (2.15) fur alle t = 0, . . . , T . Weiterhin ist P∗ eindeutig undsomit P = P∗. Da P∗ ≈ P, gilt
0 <r − ab− a
< 1,
also a < r < b.
Sei a < r < b. Auf dem messbaren Raum (Ω,F) definieren wir das Maß P∗
mit P∗ ≈ P durch
P∗(ω) =
(r − ab− a
)k (1− r − a
b− a
)T−k> 0,
wobei k = #yi = 1 in ω = (y1, . . . , yT ) ∈ Ω. Dann gilt fur t = 1, . . . , T :
r − ab− a
= P∗(Yt(ω) = yt = 1)
= P∗(Rt(ω) = b)
= P∗(Rt(ω) | Ft−1).
Daraus folgt:
EP∗ [Xt | Ft−1] = Xt−1EP∗
[1 +Rt1 + r
| Ft−1
]=Xt−1
1 + r(1 + EP∗ [Rt | Ft−1])
=Xt−1
1 + r
(1 + b
r − ab− a
+ a
(1− r − a
b− a
))= Xt−1.
Also ist P∗ ein aquivalentes Martingalmaß. Laut Theorem 2.20 (FTAP) istdas Marktmodell arbitragefrei. ut
Bemerkung 2.50 Im folgenden nehmen wir das Binomialmodell immer ar-bitragefrei mit einem aquivalenten Martingalmaß P∗ an.
60 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell
Sei
H =C
S0T
= h(S0, . . . , ST )
ein diskontiertes europaisches Derivat fur eine Funktion h : RT+1+ → R+.
Proposition 2.51 Der diskontierte Portfoliowertprozess
Vt := EP∗ [H | Ft], fur t = 0, . . . , T
einer replizierenden Strategie fur H ist von der Form
Vt(ω) = vt(S0(ω), . . . , St(ω)),
wobei die Funktion vt gegeben ist durch
vt(x0, . . . , xt) = EP∗
[h
(x0, . . . , xt, xt
S1
S0, . . . , xt
ST−tS0
)].
Beweis: Wir konnen schreiben:
Vt = EP∗
[h
(S0, . . . , St, St
St+1
St, . . . , St
STSt
)| Ft
]. (2.16)
Wegen
St+sSt
=S0
∏t+sk=1(1 +Rk)
S0
∏tk=1(1 +Rk)
=
t+s∏k=t+1
(1 +Rk) (2.17)
und da laut Proposition 2.48 Ri, i = 1, . . . , T , unabhangig und identischverteilt sind, ist (2.17) unabhangig von Ft und hat die gleiche Vertilung wie
SsS0
=
s∏k=1
(1 +Rk),
fur alle t < s ≤ T − t. Die Proposition folgt aus der Standardeigenschaft derbedingten Erwartung9, da
EP∗
[h
(S0, . . . , St, St
St+1
St, . . . , St
STSt
)| Ft
]=
EP∗
[h
(x0, . . . , xt, xt
S1
S0, . . . , xt
ST−tS0
)] ∣∣∣∣∣S0=x0,...,St=xt
.
ut
9 Wenn Y unabhangig von G und X G-messbar ist, gilt E[f(X,Y ) | G] =E[f(x, Y ) | G]
∣∣X=x
.
2.5 Das Binomialmodell (Cox-Ross-Rubinstein-Modell) 61
Bemerkung 2.52 Aus Vt = EP∗ [Vt+1 | Ft] folgt die rekursive Formel fur dieFunktion vt:
vT (x0, . . . , xT ) = h(x0, . . . , xT ),
vt(x0, . . . , xt) = p∗vt+1(x0, . . . , xt, xtb) + (1− p∗)vt+1(x0, . . . , xt, xta),
wobei b := 1 + b und a := 1 + a.
Beispiel 2.53 Fur H = h(ST ) ist Vt von der Form Vt(ω) = vt(St(ω)) und vterrechnet sich als Erwartung unter der Binomialverteilung:
vt(xt) =
T−t∑k=0
h(xta
T−t−k bk)(T − k
k
)(p∗)k(1− p∗)T−t−k.
Zum Beispiel ist fur
HCall =(X −K)+
(1 + r)T
und t = 0 der eindeutige arbitragefreie Preis einer diskontierten Call-Optiongegeben durch:
π(HCall) =1
(1 + r)T
T∑k=0
(S0a
T−k bk −K)+(T
k
)(p∗)k(1− p∗)T−k.
Beispiel 2.54 SeiMt := max
0≤s≤tSs
fur 0 ≤ t ≤ T das running Maximum von S und H = h(ST ,MT ). Dann gilt
Vt = vt(St,Mt)
mit
vt(xt,mt) = EP∗
[h
(xtST−tS0
,mt ∨ xtMT−t
S0
)].
Dies folgt aus:
MT = Mt ∨(St max
t≤k≤T
SkSt
),
wobei das maxt≤k≤TSkSt
unabhangig von Ft und gleich verteilt wie MT−tS0
unterP∗ ist.
Proposition 2.55 Die Hedge-Strategie ξ = (ξ0, ξ) eines diskontierten ClaimsH = h(S0, . . . , ST ) (und damit auch des Claims C = H ·S0
T ) ist gegeben durch
ξt(ω) = ∆t(S0, S1(ω), . . . , St−1(ω)),
wobei
∆t(x0, . . . , xt−1) := (1 + r)vt(x0, . . . , xt−1, xt−1b)− vt(x0, . . . , xt−1, xt−1a)
xt−1b− xt−1a.
62 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell
Beweis: Fur eine replizierende Strategie ξ des diskontierten Claims H gilt
V ξt = V ξ0 +
t∑k=1
ξk · (Xk −Xk−1)
fur jedes ω = (y1, . . . , yT ) ∈ Ω und t ∈ 0, . . . , T. Außerdem gilt auch furt = 1, . . . , T :
ξt(ω)(Xt(ω)−Xt−1(ω)) = Vt(ω)− Vt−1(ω). (2.18)
Nun definieren wir ω+ und ω− durch
ω+/− := (y1, . . . , yt−1,±1, yt+1, . . . , yT ).
Da ξt, Xt−1 und Vt−1 Ft−1-messbar sind, gilt:
ξt(ω) = ξt(ω+) = ξt(ω
−),
Xt−1(ω) = Xt−1(ω+) = Xt−1(ω−)
und
V ξt−1(ω) = V ξt−1(ω+) = V ξt−1(ω−).
Außerdem gilt
Xt(ω+) = Xt−1(ω)b(1 + r)−1
Xt(ω−) = Xt−1(ω)a(1 + r)−1.
Nach dem Einsetzen von ω+ und ω− in die Gleichung (2.18), erhalten wir:
ξt(ω) · (Xt−1(ω)b(1 + r)−1 −Xt−1(ω)) = Vt(ω+)− Vt−1(ω)
ξt(ω) · (Xt−1(ω)a(1 + r)−1 −Xt−1(ω)) = Vt(ω−)− Vt−1(ω).
Daraus folgt
ξt(ω) = (1 + r)Vt(ω
+)− Vt(ω−)
Xt−1(ω)(b− a).
Da
Vt(ω+) = vt(S0, . . . , St−1, St−1b)
und
Vt(ω−) = vt(S0, . . . , St−1, St−1a),
folgt die Behauptung. ut
Bemerkung 2.56 Die Abbildung ∆t konnen wir als die ”diskrete Ablei-tung”des Wertprozesses bezuglich der Aktienpreisveranderung betrachten.Außderdem wird ∆t auch Delta-Hedge genannt.
2.5 Das Binomialmodell (Cox-Ross-Rubinstein-Modell) 63
Exotische Derivate
In diesem Abschnitt werden wir geschlossene Formeln fur bestimmte exoti-sche Derivate aus dem Binomialmodell betrachten, die vom Maximum desAktienpreispfads abhangen. Wir nehmen an, dass
a =1
b
ist, wobei a = 1 + a und b = 1 + b. Unter dieser Voraussetzung gilt
St(ω) = S0bZt(ω)
mit Z0 := 0 und Zt := Y1 + · · · + Yt, fur t = 0, . . . , T und wie zuvorYt(ω) = Yt((y1, . . . , yT )) = yt ∈ −1, 1. Sei nun P die Gleichverteilung,die gegeben ist durch
P(ω) :=1
|Ω|=
1
2T, ω ∈ Ω.
Es gilt außerdem:
• Unter P sind Yt, fur t = 1, . . . , T , unabhangig und identisch verteilt mitP(Yt = 1) = 1
2 .
• Unter P ist Zt eine einfache Irrfahrt mit
P(Zt = k) =
2−t(tt+k
2
), falls t+ k gerade
0 , sonst
• Wir erweitern den messbaren Raum (Ω,F), so dass Z bis zum ZeitpunktT + 1 definiert ist und notieren
Mt := max0≤s≤t
Zs.
Proposition 2.57 (Reflection Principle) Fur alle k ∈ N und l ∈ N0 gilt
P(MT ≥ k, ZT = k − l) = P(ZT = k + l) (2.19)
und
P(MT = k, ZT = k − l) = 2k + l + 1
T + 1P(ZT+1 = 1 + k + l). (2.20)
Beweis: Wir definieren durch
τ(ω) := inft ≥ 0 | Zt(ω) = k ∧ T
64 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell
eine Stoppzeit10. Fur ω = (y1, . . . , yT ) ∈ Ω definieren wir
Φ(ω) =
ω , falls τ(ω) = T(y1, . . . , yτ(ω),−yτ(ω)+1, . . . ,−yT ), sonst
Sei Ak,l := ω ∈ Ω |MT ≥ k, ZT = k − l. Dann ist die Abbbildung
Φ : Ak,l → ω ∈ Ω |MT ≥ k, ZT = k + l
eine Bijektion und
ω ∈ Ω |MT ≥ k, ZT = k + l = ω ∈ Ω | ZT = k + l,
da MT = max0≤s≤T Zs. Deswegen gilt:
P(Ak,l) = P(ZT = k + l).
Damit haben wir (2.19) gezeigt.Um (2.20) zu zeigen, bemerken wir zuerst, dass diese Aussage fur T + k + lungerade trivial ist, da in diesem Fall gilt:
P(ZT = k − l) = P(ZT+1 = 1 + k + l) = 0.
Betrachten wir nun den Fall mit T + k + l gerade. Fur j := T+k+l2 gilt:
10 τ ist offensichtlich eine Stoppzeit, da wegen Zt Ft-messbar auch τ = t ∈ Ft.
2.5 Das Binomialmodell (Cox-Ross-Rubinstein-Modell) 65
P(MT = k, ZT = k − l)= P(MT ≥ k, ZT = k − l)− P(MT ≥ k + 1, ZT = k + 1− (l + 1))
(2.19)= P(ZT = k + l)− P(ZT = k + l + 2)
= 2−T(T
j
)− 2−T
(T
j + 1
)= 2−T
(T + 1
j + 1
)2j + 1− TT + 1
= 2k + l + 1
T + 1P(ZT+1 = 1 + k + l).
Damit ist (2.20) auch gezeigt. utUnter P∗ mit
P∗(Zt = k) =
(tt+k
2
)(p∗)
t+k2 (1− p∗) t−k2 , falls t+ k gerade
0 , sonst
gilt ein anderes”Reflection Principle“:
Proposition 2.58 Fur alle k ∈ N und l ∈ N0 gilt:
P∗(MT ≥ k, ZT = k − l) =
(1− p∗
p∗
)lP∗(ZT = k + l)
=
(p∗
1− p∗
)kP∗(ZT = −k − l)
und
P∗(MT = k, ZT = k − l) =1
p∗
(1− p∗
p∗
)lk + l + 1
T + 1P∗(ZT+1 = 1 + k + l)
=1
1− p∗
(p∗
1− p∗
)kk + l + 1
T + 1P∗(ZT+1 = −1− k − l).
Beweis: Siehe Ubung. ut
Beispiel 2.59 In diesem Beispiel beschaftigen wir uns mit der Bewertungeiner
”Up-and-In“ Call Option:
CCallu&i =
(ST −K)+, falls max
0≤s≤TSs ≥ B
0 , sonst
mit B > S0 > K > 0. Der arbitragefreie Preis von CCallu&i ist gegeben durch:
π(CCallu&i ) =
1
S0T
EP∗ [CCallu&i ]
66 2 Arbitragetheorie im Mehrperiodemodell
=1
(1 + r)TEP∗ [C
Callu&i ].
Es gilt:
EP∗ [CCallu&i ] = EP∗ [(ST −K)+1 max
0≤t≤TSt≥B]
= EP∗ [(ST −K)+1ST≥B] + EP∗ [(ST −K)+1 max0≤t≤T
St≥B∩ST<B].
O.B.d.A. konnen wir annehmen, dass es ein k ∈ N gibt mit B = S0bk. Es gilt:
EP∗ [(ST −K)+1 max0≤t≤T
St≥B∩ST<B]
=∑l≥1
EP∗ [(ST −K)+1MT≥k∩ZT=k−l]
=∑l≥1
(S0bk−l −K)+P∗(MT ≥ k, ZT = k − l)
Prop. 2.58=
∑l≥1
(S0bk−l −K)+
(p∗
1− p∗
)kP∗(ZT = −k − l)
=
(p∗
1− p∗
)kb2k∑l≥1
(S0b−k−l −Kb−2k)+P∗(ZT = −k − l)
=
(p∗
1− p∗
)k (B
S0
)2
EP∗ [(ST − K)+1ST<B]
mit K := Kb−2k = K(S0
B
)2und B :=
S20
B . Wie in Beispiel 2.53 erhalten wirdamit:
π(CCallu&i ) =
1
(1 + r)T
(nk∑n=0
(S0bT−2n −K)+(p∗)T−n(1− p∗)n
(T
T − n
)
+
(p∗
1− p∗
)(B
S0
)2 T∑n=nk+1
(S0bT−2n − K)+(p∗)T−n(1− p∗)n
(T
T − n
)),
wobei nk die großte ganze Zahl ist, so dass T − 2n ≥ k.
3
Amerikanische Contingent Claims
3.1 Grundlagen
Im Folgenden sind die Modellannahmen die eines Mehrperiodenmodells, ins-besondere sind alle Markte arbitragefrei, d.h. P 6= ∅.
Definition 3.1 Ein amerikanischer Contingent Claim ist ein nicht-negativerF-adaptierter Prozess C = (Ct)t=0,...,T .Der zugehorige diskontierte amerikanische Claim H = (Ht)t=0,...,T ist gegeben
durch Ht :=CtS0t
, t = 0, . . . , T .
Bemerkung 3.2 Der Kaufer eines amerikanischen Claims kann zu jedemgewunschten Zeitpunkt τ ∈ 0, . . . , T den Claim ausuben und die Zahlung Cτerhalten (und nicht nur zu einem festen Falligkeitszeitpunkt). Nach Ausubungwird der Claim wertlos, also muss spatestens zum Zeitpunkt T der Claim aus-geubt werden.
Beispiel 3.3(i) Amerikanische Put- bzw. Call-Optionen auf das i-te Wertpapier, i ∈1, . . . , d:
CPutt := (K − Sit)+ bzw. CCallt := (Sit −K)+,
fur t = 0, . . . , T.
(ii) Bermuda-Optionen: Konnen zu Zeitpunkten t ∈ T ⊆ 0, . . . , T mit ei-nem Payoff CBt ausgebubt werden, d.h. sie sind als amerikanischer Claimdarstellbar:
Ct =
CBt fur t ∈ T0 sonst.
68 3 Amerikanische Contingent Claims
(iii) Insbesondere ist mit T = T ein europaischer Claim CE mit FalligkeitszeitpunktT darstellbar als amerikanischer Claim:
Ct =
0 fur t = 0, . . . , T − 1CE fur t = T.
Definition 3.4 Eine numerische Zufallsvariable τ : Ω → 0, . . . , T ∪ ∞heißt Stoppzeit (bzgl. (Ft)t=0,...,T ), falls
ω ∈ Ω | τ(ω) = t = τ = t ∈ Ft fur alle t = 0, . . . , T.
Wir setzen
T := τ | τ Stoppzeit mit τ ≤ T.
Bemerkung 3.5 In unserem Modell entsprechen Stoppzeiten τ ∈ T Ausubungsstrategiendes Kaufers fur amerikanische Claims, die auf den verfugbaren Informationenam Markt beruhen. Zu einer gegebenen Ausubungsstrategie τ ∈ T gehortdann das Payoff
Cτ (ω) := Cτ(ω)(ω), ω ∈ Ω.
Lemma 3.6 τ ist eine Stoppzeit genau dann, wenn
τ ≤ t ∈ Ft, fur alle t ∈ 0, . . . , T.
Fur zwei Stoppzeiten τ und δ sind auch
τ ∧ δ, τ ∨ δ und (τ + δ) ∧ T
wieder Stoppzeiten.
Beweis: Ubung. ut
Definition 3.7 Sei Y ein stochastischer Prozess und τ eine Stoppzeit. Derin τ gestoppte Prozess Y τ ist definiert als
Y τt (ω) := Yt∧τ(ω)(ω), ω ∈ Ω, t = 0, . . . , T.
Bemerkung 3.8 Aus der Definition einer Stoppzeit folgt: Falls Y adaptiertist, dann ist auch Y τ adaptiert.
Wir nehmen im Folgenden an, dass Q ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf demfiltrierten Raum (Ω, (Ft)t∈0,...,T,F) ist, wobei F0 = ∅, Ω.
Theorem 3.9 (Doob’s Stopping Theorem, Optional Sampling Theorem)Sei M ein adaptierter Prozess mit Mt ∈ L1(Q) fur alle t = 0, . . . , T .Dann sind aquivalent:
3.1 Grundlagen 69
(a) M ist ein Q-Martingal.
(b) Mτ ist ein Q-martingal fur jede Stoppzeit τ .
(c) EQ[Mt∧τ ] = M0 fur jede Stoppzeit τ .
Beweis:(a)⇒ (b): Sei t ∈ 0, . . . , T. Zunachst folgt aus der Definition einer Stoppzeit,dass auch Mτ
t ∈ L1(Q) gilt. Es gilt Mτt+1 −Mτ
t = (Mt+1 −Mt)1τ>t.Da τ > t ∈ Ft gilt
EQ[Mτt+1 −Mτ
t | Ft] = EQ[Mt+1 −Mt | Ft1τ>t] = 0,
also ist Mτ ein Q-Martingal.(b)⇒ (c): Folgt aus der Martingaleigenschaft (M0 = Mτ
0 ).(c)⇒ (a): Wir zeigen die Martingaleigenschaft von M durch
EQ[MT1A] = EQ[Mt1A], fur alle A ∈ Ft , t ≤ T.
Fur A ∈ Ft definieren wir die Stoppzeit
τ(ω) =
t falls ω ∈ AT falls ω /∈ A .
Daraus folgt nach Annahme in (c)
M0 = EQ[Mτ∧T ] = EQ[Mt1A] + EQ[MT1Ac ]. (3.1)
Analog, fur die Stoppzeit T , ist
M0 = EQ[MT ] = EQ[MT1A] + EQ[MT1Ac ]. (3.2)
Durch die Differenz von (3.1) und (3.2) erhalten wir
EQ[MT1A] = EQ[Mt1A].
utBei der Analyse amerikanischer Claims benotigen wir noch Folgendes.
Definition 3.10 (Erinnerung) Ein adaptierter Prozess (Yt)t=0,...,T heißtQ-Sub- bzw. Supermartingal, falls
(a) Yt ∈ L1(Q), fur alle t = 0, . . . , T und
(b) EQ[Yt | Fs] ≥ Ys bzw. EQ[Yt | Fs] ≤ Ys, fur alle 0 ≤ s ≤ t ≤ T.
Bemerkung 3.11 M ist ein Martingal genau dann, wenn M ein Sub- undSupermartingal ist.
70 3 Amerikanische Contingent Claims
Proposition 3.12 (Doob-Zerlegung) Sei Y ein adaptierter Prozess mitYt ∈ L1(Q) fur alle t = 0, . . . , T .Dann existiert ein eindeutiges Q-Martingal M und ein eindeutiger previsiblerProzess A mit A0 = 0 derart, dass
Y = M −A.
Beweis: Definiere A durch A0 = 0 und
At := At−1 − EQ[Yt − Yt−1 | Ft−1] fur t = 1, . . . , T. (3.3)
Dann ist A previsibel und Mt := Yt +At ein Martingal, denn
EQ[Mt −Mt−1 | Ft−1]
= EQ[Yt − Yt−1 +At −At−1 | Ft−1]
A previsibel↓= EQ[Yt − Yt−1 | Ft−1]−At−1 +At
Def. von A↓= 0.
Weiterhin erfullt jeder Prozess A mit den gewunschten Eigenschaften (3.3),woraus die Eindeutigkeit der Zerlegung folgt. ut
Lemma 3.13 Y ist ein Q-Sub-bzw. Supermartingal genau dann, wenn derProzess A aus der Doob-Zerlegung monoton fallend bzw. wachsend ist.
Beweis: Klar. ut
Korollar 3.14 Sei Y ein adaptierter Prozess, so dass Yt ∈ L1(Q) fur alle t.Dann sind aquivalent:
(i) Y ist ein Q-Sub- bzw. Supermartingal.
(ii) Y τ ist ein Q-Sub-bzw. Supermartingal fur alle Stoppzeiten τ .
Beweis: Sei Y = M −A die Doob-Zerlegung von Y (3.12). Dann ist
Y τ = Mτ −Aτ
die Doob-Zerlegung von Y τ . Aus Theorem 3.9 und Lemma 3.13 folgt dieBehauptung. ut
3.2 Bewertung und Hedging in vollstandigen Markten
Im Folgenden sei der Markt vollstandig, d.h. es gilt P = P∗.
3.2 Bewertung und Hedging in vollstandigen Markten 71
Hedgingstrategien fur den Verkaufer
Wir suchen ein Portfolio, das den Verkaufer gegen das Risiko jedes moglichenPayoffs Hτ , τ ∈ T , hedged (absichert).Sei dazu Ut, t = 0 . . . , T der minimale Betrag, der zu diesem Zweck zumZeitpunkt t notig ist.Zum Zeitpunkt t = T erhalten wir dann
UT = HT .
Zum Zeitpunkt t = T − 1 muss gelten:
(i) UT−1 ≥ HT−1,um die Ausubung in T − 1 abzusichern.
(ii) UT−1 ≥ EP∗ [HT | FT−1] = EP∗ [UT | FT−1],um den Claim zu hedgen, falls die Ausubung in T erfolgt. Also
UT−1 = HT−1 ∨ EP∗ [UT | FT−1].
Durch Ruckwartsiteration erhalten wir also
UT := HT ,
Ut := Ht ∨ EP∗ [Ut+1 | Ft], t = T − 1, . . . , 0.
Definition 3.15 Sei Q ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf (Ω, (Ft)t∈0,...,T,F)und H ein adaptierter Prozess. Weiter sei Ht ∈ L1(Q) fur alle t = 0, . . . , T .Dann heißt der Prozess UQ, definiert durch
UQT := HT ,
UQt := Ht ∨ EQ[Ut−1 | Ft], t = 0, . . . , T − 1,
Schnellsche Einhullende von H unter dem Maß Q.
Das nachste Ergebnis besagt, dass UQ das kleinste Q-Supermartingal ist, wel-ches H dominiert.
Proposition 3.16 Seien H und Q wie in Definition 3.15. Dann ist UQ einQ-Supermartingal derart, dass UQt ≥ Ht Q-f.s. fur alle t = 0, . . . , T . Ist U einanderes Q-Supermartingal, so dass Ut ≥ H Q − f.s. fur alle t = 0, . . . , T ,dann gilt
Ut ≥ UQt Q− f.s. fur alle t = 0, . . . , T.
Beweis: Aus Definiton 3.15 folgt sofort UQt−1 ≥ EQ[UQt | Ft−1] Q− f.s., also
ist UQ ein Supermartingal, und UQt ≥ Ht Q− f.s. fur alle t = 0, . . . , T . Sei Uein weiteres Q-Supermartingal das H dominiert. Dann ist
72 3 Amerikanische Contingent Claims
UT ≥ HT = UQT .
Angenommen Ut ≥ UQt fur ein t ∈ 0, . . . , T − 1. Dann gilt
Ut−1 ≥ Ht−1 ∨ EQ[Ut | Ft−1] ≥ Ht−1 ∨ EQ[UQt | Ft−1] = UQt−1.
ut
Bemerkung 3.17 Die Schnellsche Einhullende UP∗
eines diskontierten ame-rikanische Claims H zusammen mit der Doob-Zerlegung
UP∗
t = Mt −At
von UP∗
unter P∗ ergibt einen (Super-)Hedge des Claims fur den Verkaufer.In der Tat, da M Martingal, A0 = 0 und P = P∗ ist, existiert nach Theorem2.47 (b) eine Strategie ξ, so dass
Mt = UP∗
0 +
t∑k=1
ξk · (Xk −Xk−1) fur alle t = 0, . . . , T. (3.4)
Außerdem gilt
Mt ≥Mt −At = UP∗
t ≥ Ht,
da UP∗
ein Supermartingal und damit A wachsend nach Lemma 3.13 ist.Es existiert also eine selbstfinanzierte Strategie ξ = (ξ0, ξ), die mit einemStartkapital UP
∗
0 einen (Super-)Hedge ergibt:
(Mt =)V ξt ≥ Ht fur alle t = 0, . . . , T.
Wenn der Kaufer zu den Zeitpunkten t = 1, . . . , T den Betrag (At−At−1) ausdem Portfolio entnimmt, ist zu den Zeitpunkten t = 0, . . . , T das resultierendeKapital UP
∗
t . Der Betrag UP∗
t ist dann zum Zeitpunkt t ausreichend, aberauch notwendig als Startkapital fur einen (Super-)Hedge, wie aus Theorem3.18 folgt.
Theorem 3.18 Sei UP∗
die Schnellsche Einhullende eines diskontierten ame-rikanischen Claims H. Dann existiert eine selbstfinanzierte Strategie ξ =(ξ0, ξ), so dass
UP∗
t +
u∑k=t+1
ξk · (Xk −Xk−1) ≥ Hu fur alle t < u ≤ T P− f.s.
Fur jede andere Ft-messbare Zufallsvariable Ut mit
Ut +
u∑k=t+1
ηk · (Xk −Xk−1) ≥ Hu fur alle t < u ≤ T P− f.s.
fur eine Strategie η, gilt
Ut ≥ UP∗
t P− f.s., fur alle t = 0, . . . , T.
3.2 Bewertung und Hedging in vollstandigen Markten 73
Beweis: Mit einer Strategie ξ wie in (3.4) erhalten wir
UP∗
t +
u∑k=t+1
ξk(Xk −Xk−1) = Mt +
u∑k=t+1
ξk(Xk −Xk−1)︸ ︷︷ ︸=Mu
−At
= Mu −AtA wachsend
↓
≥Mu −Au = UP∗
u ≥ Hu
Sei nun Ut wie in der Angabe des Theorems und
Vu := Ut +
u∑k=t+1
ηk(Xk −Xk−1), t ≤ u ≤ T.
Wir zeigen Vu ≥ UP∗
u fur alle u ≥ t durch Ruckwartsinduktion. Es gilt:
(i) VT ≥ HT = UP∗
T .
(ii) Sei Vk+1 ≥ UP∗
u+1.
Da Ω endlich atomar ist (weil der Markt vollstandig ist), ist η beschrankt.Aus Theorem 2.19 (ii) folgt dann
EP∗ [Vu+1 − Vu | Fu] = 0 P− f.s.
und damit
Vu = EP∗ [Vu+1 | Fu] ≥ Hu ∨ EP∗ [UP∗
u+1 | Fu] = UP∗
u , fur alle u ≥ t.
Insbesondere ist dann Vt = Ut ≥ UP∗
t . ut
Ausubungsstrategien fur den Kaufer
Der Kaufer sucht eine Ausubungsstrategie (Stoppzeit) τ∗ ∈ T , die den Wertdes entsprechenden (diskontierten) Payoffs Hτ∗ := Hτ∗(ω)(ω) maximiert. Zueiner Ausubungsstrategie τ ∈ T kann das Payoff Hτ als europaischer Claimaufgefasst werden (bzw. als Summe europaischer Claims mit unterschiedlichenFalligkeitszeitpunkten):
Hτ =
T∑t=0
Ht1τ=t.
Wegen P = P∗ und Bemerkung 2.42 ist der Wert von Hτ der eindeutigearbitragefreie Preis,
T∑t=0
EP∗ [Ht1τ=t] = EP∗ [Hτ ].
74 3 Amerikanische Contingent Claims
Der Kaufer sucht also eine Ausubungsstrategie τ∗ ∈ T , die das folgende Stopp-problem lost:
EP∗ [Hτ∗ ] = supτ∈T
EP∗ [Hτ ]. (OPT)
Eine Stoppzeit τ∗, die (OPT) lost bzw. erfullt, heißt optimal.
Betrachten wir also die Frage, ob eine optimale Stoppzeit von (OPT) existiert?Sei dazu U := UP
∗die Snellsche Einhullende von H bzgl. P∗ und definiere
τ(t)min := minu ≥ t | Uu = Hu (≤ T ), t = 0, . . . , T.
Dann ist
τ(t)min ∈ Tt := τ ∈ T︸︷︷︸
=T0
| τ ≥ t.
Theorem 3.19 Die Snellsche Einhullende U von H erfullt:
Ut = EP∗[Hτ
(t)min
| Ft]
= ess supτ∈T
EP∗ [Hτ | Ft] , fur alle t = 0, ..., T.
Insbesondere giltU0 = EP∗ [Hτmin ] = sup
τ∈TEP∗ [Hτ ] ,
und damit ist τmin := τ(0)min optimal.
Beweis: Da U ein P∗-Supermartingal ist, folgt aus Korollar 3.14, dass furτ ∈ Tt
Ut ≥ EP∗ [Uτ | Ft] ≥ EP∗ [Hτ | Ft] .
Deshalb giltUt ≥ ess sup
τ∈TEP∗ [Hτ | Ft] .
Zu zeigen ist also
Ut = EP∗[Hτ
(t)min
| Ft].
Sei dazu s ∈ t, . . . , T. Dann gilt auf A :=τ
(t)min > s
∈ Fs
1AUτ(t)min∧s
= 1AUs
= 1A (Hs ∨ EP∗ [Us+1 | Fs])= EP∗ [Us+11A | Fs]
= EP∗[Uτ
(t)min∧s+1
1A | Fs].
Auf B :=τ
(t)min ≤ s
= AC ∈ Fs gilt
3.2 Bewertung und Hedging in vollstandigen Markten 75
Uτ
(t)min∧s+1
1B = Uτ
(t)min
1B = Uτ
(t)min∧s
.
Somit erhalten wir:
EP∗[Uτ
(t)min∧(s+1)
| Fs]
= Uτ
(t)min∧s
fur alle s ∈ t, t+ 1, . . . , T .
Also ist(Uτ
(t)min∧s
)s≥t
ein Martingal ab t.
Fur alle t = 0, . . . , T folgt also
EP∗[Uτ
(t)min
| Ft]
= EP∗[Uτ
(t)min∧T
| Ft]
= Uτ
(t)min∧t
= Ut.
Andererseits gilt nach Definition von τ(t)min
EP∗[Uτ
(t)min
| Ft]
= EP∗[Hτ
(t)min
| Ft].
utTatsachlich ist τ
(t)min := τmin sogar die minimale optimale Stoppzeit:
Proposition 3.20 Eine Stoppzeit τ ∈ T ist optimal genau dann, wenn Hτ =Uτ P
∗−f.s. und der gestoppte Prozess Uτ ein Martingal ist. Insbesondere giltdamit fur jede optimale Stoppzeit τ , dass τ ≥ τmin.
Beweis: Wir beweisen zunachst die Ruckrichtung. Aus Theorem 3.19 folgt:
supσ∈T
EP∗ [Hσ] = U0
= EP∗ [UτT ]
= EP∗ [Uτ ]
= EP∗ [Hτ ] .
Nun die Hinrichtung: Sei τ ∈ T optimal. Aus Theorem 3.19, Hτ ≤ Uτ undKorollar 3.14 folgt dann
U0 = EP∗ [Hτ ] ≤ EP∗ [Uτ ] ≤ U0.
Aus den beiden Rechnungen folgt nun
EP∗ [Hτ ] = EP∗ [Uτ ]
und damitHτ = Uτ P∗ − f.s.,
da Hτ ≤ Uτ P∗ − f.s..Da Uτ ein Supermartingal ist, gilt außerdem fur alle t = 0, ..., T , dass
76 3 Amerikanische Contingent Claims
EP∗ [Uτ∧T | Ft] ≤ Uτ∧t P∗ − f.s.
undU0 = EP∗ [Uτ∧T ] ≤ EP∗ [Uτ∧t] ≤ U0.
Damit folgtEP∗ [Uτ∧T | Ft] = Uτ∧t
und Uτ ist ein Martingal. utIm Allgemeinen existieren verschiedene optimale Stoppzeiten. Die großte op-timale Stoppzeit τmax ist der erste Zeitpunkt, zu dem U die Martingaleigen-schaft verliert:
τmax : = inf t ≥ 0 | EP∗ [Ut+1 − Ut | Ft] 6= 0 ∧ T= inf t ≥ 0 | At+1 6= 0 ∧ T.
Theorem 3.21 Die Stoppzeit τmax ist die großte optimale Stoppzeit. Weiter-hin ist eine Stoppzeit τ optimal genau dann, wenn
τ ≤ τmax und Hτ = Uτ P∗-f.s..
Beweis: Aus der Doob-Zerlegung
Uτ = Mτ −Aτ
und der Tatsache, dass A wachsend ist, erhalten wir: Uτ ist ein Martingalgenau dann, wenn Aτ = 0. Deshalb ist Uτ ein Martingal genau dann, wennτ ≤ τmax.Aus Proposition 3.20 folgt dann, dass τ optimal ist.Es bleibt noch zu zeigen, dass Uτmax
= Hτmax.
(i) Auf τmax = T ist die Behauptung klar.
(ii) Auf τmax = t fur t < T gilt:
At = 0 und At+1 > 0,
woraus folgt, dass
EP∗ [Ut+1 − Ut | Ft] = − (At+1 −At) = −At+1 < 0.
Also istUt > EP∗ [Ut+1 | Ft] .
Aus Ut = Ht ∨ EP∗ [Ut+1 | Ft] folgt nun
Ut = Ht.
ut
3.2 Bewertung und Hedging in vollstandigen Markten 77
Bemerkung 3.22 Die vorangegangenen Ergebnisse zum Stoppzeitproblem(OPT) gelten auch ohne die Annahmen, dass
(i) der Markt arbitragefrei oder vollstandig ist,(ii) der Prozess H nicht-negativ ist.
Es wird lediglich benotigt, dass H ein adaptierter Prozess ist mitHt ∈ L1 (P∗) fur alle t = 0, ..., T .
Arbitragefreier Preis und replizierendes Portfolio
Sei wie zuvor M = U −A mit Mt = U0 +∑tk=1 ξk (Xk −Xk−1) das (Super-)
Hedge-Portfolio des Verkaufers, d.h. Mτ ≥ Hτ fur alle τ ∈ T .
Fur eine optimale Ausubungsstrategie τ∗ ∈ T gilt sogar:
Proposition 3.23 Sei τ∗ ∈ T optimal. Dann gilt
Hτ∗ = Mτ∗
= U0 +
τ∗∑k=1
ξk · (Xk −Xk−1) P∗ − f.s..
Beweis: Aus Theorem 3.21 folgt
Hτ∗ = Uτ∗ und Aτ∗ = 0
alsoHτ∗ = Mτ∗ .
utEine optimale Ausubungsstrategie τ∗ ist also nicht nur im Sinne von (OPT)sondern auch
”pfadweise“ optimal: Das (Super-) Hedge-Portfolio M ist ein
Hedge (replizierendes Portfolio) von Hτ∗ . In diesem Sinne ist ist U0 der ein-deutige arbitragefreie Preis des diskontierten amerikanischen Claims H.
Amerikanische Claims versus europaische Claims
Zu einem diskontierten amerikanischen Claim H = (Ht)t=0,...,T betrachtenwir den diskontierten europaischen Claim HT .
Sei Vt := EP∗ [HT | Ft], t = 0, . . . , T, der Wert des Hedge-Portfolios bzw.der eindeutige arbitragefreie Preis von HT . Dann ist der amerikanische Claimmehr Wert als der europaische Claim:
Proposition 3.24 Es gilt
Ut ≥ Vt P∗ − f.s. fur alle t = 0, . . . , T.
Gilt weiterhin Vt ≥ Ht P∗-f.s. fur alle t = 0, . . . , T , dann gilt
Ut = Vt P∗ − f.s. fur alle t = 0, . . . , T.
78 3 Amerikanische Contingent Claims
Beweis: Da U ein Submartingal ist, gilt
Ut ≥ EP∗ [UT | Ft] = Vt, t = 0, . . . , T.
Falls weiterhin Vt ≥ Ht fur alle t = 0, . . . , T , gilt nach Proposition 3.16 Vt ≥ Utfur alle t = 0, . . . , T , da V ein Martingal ist. ut
Bemerkung 3.25 Ist H ein Submartingal, dann wird H von V dominiert:
Vt = EP∗ [VT | Ft] = EP∗ [HT | Ft] ≥ Ht.
Dies ist insbesondere der Fall, wenn
Ht = f (Xt) , fur alle t = 0, . . . , T.
fur eine konvexe Funktion f : Rd −→ R+, da wegen der Jensenschen Unglei-chung
EP∗ [Ht+1 | Ft] = EP∗ [f (Xt+1) | Ft] ≥ f (EP∗ [Xt+1 | Ft]) = f (Xt) = Ht
gilt.
Beispiel 3.26 (Amerikanische Calls versus europaische Calls)
Der diskontierte amerikanische Call ist gegeben durch
HCallt =
(S1t −K
)+S0t
=
(X1t −
K
S0t
)+
, fur alle t = 0, . . . , T.
Angenommen S0t sei wachsend (z.B. Bond). Da f (·) := (· −K)
+konvex ist,
folgt wie im Bemerkung 3.25, dass HCall ein Submartingal ist.
Aus Proposition 3.24 folgt dann
UCallt = V Call
t = EP∗
[(X1T −
k
S0T
)+
| Ft
], fur alle t = 0, . . . , T.
Insbesondere UCall0 = V Call
0 , d.h. die eindeutigen arbitragefreien Preise vonamerikanischen und europaischen Claims sind identisch. Außerdem folgt ausProposition 3.20 , dass τmax = T , d.h. in einem vollstandigen Markt ist eine op-timale Ausubungsstrategie der Falligkeitszeitpunkt T und damit
”entspricht
der amerikanische Call dem europaischen Call“.
Hinweis: Dies gilt nicht fur amerikanische Puts.
3.3 Arbitragefreie Preise und Replizierbarkeit ingenerellen Markten
Falls der Markt nicht vollstandig ist, ist Menge der arbitragefreien Preise zueiner gegebenen Ausubungsstrategie τ mit entsprechenden Payoff Hτ gegebendurch
3.3 Arbitragefreie Preise und Replizierbarkeit in generellen Markten 79
Π (Hτ ) = EP∗ [Hτ ] | P∗ ∈ P und EP∗ [Hτ ] <∞ .
Die vorangegangenen Uberlegungen aus Sektion 3.2. motivieren dann:
Definition 3.27 Die Menge der arbitragefreien Preise eines diskontiertenamerikanischen Claims H ist definiert als
Π (H) :=EP∗ [HτP∗ ] | P∗ ∈ P, Ht ∈ L1 (P∗) ∀t, τP
∗optimal unter P∗
.
Wir setzen
πinf (H) := inf Π (H) und πsup (H) := supΠ (H) .
In Accaio, Svinland: “On the lower arbitrage bond of american claims“, forth-coming in Math. Fin, wird folgende Proposition bewiesen:
Proposition 3.28 π ∈ Π (H) genau dann, wenn
(i)”π ist nicht zu teuer“, d.h. es gibt τ ∈ T mit π ∈ Π (Hτ ),
(ii)”π ist nicht zu billig“, d.h. es gibt kein τ ′ ∈ T , so dass fur alle π′ ∈ Π (Hτ ′)
gilt π < π′.
Theorem 3.29 Sei Ht ∈ L1 (P∗) fur alle P∗ ∈ P, t = 0, ..., T . Dann istΠ (H) ein nicht-leeres Intervall mit Intervallgrenzen
πinf (H) = infP∗∈P
supτ∈T
EP∗ [Hτ ]
πsup (H) = supP∗∈P
supτ∈T
EP∗ [Hτ ] .
Es gilt außerdem eine der folgenden drei Alternativen:
• Π (H) = πsup (H) (d.h. |Π (H) | = 1)• Π (H) =
[πinf(H), πsup(H)
)• Π (H) =
(πinf(H), πsup(H)
).
Beweis: Die Darstellung von πinf(H) und πsup(H) ist klar nach Definition3.27. Außerdem gibt es nach Theorem 3.19 eine optimale Stoppzeit τ ∈ T .Somit ist Π(H) 6= ∅.
(i) Wir zeigen erst, dass Π (H) ein Intervall ist. Seien P∗1, P∗2 ∈ P. Wir
zeigen, dass fur alle α ∈ [0, 1] gilt:
αUP∗10 + (1− α)U
P∗20 ∈ Π(H),
wobei
UP∗10 = sup
τ∈TEP∗1 [Hτ ]
80 3 Amerikanische Contingent Claims
und
UP∗20 = sup
τ∈TEP∗2 [Hτ ].
Sei dazu das folgende Maß definiert:
P∗α := αP∗1 + (1− α)P∗2, fur α ∈ [0, 1].
Außerdem definieren wir
f(α) := UP∗α0 = sup
τ∈TEP∗α [Hτ ], α ∈ [0, 1].
Man kann zeigen, dass f stetig auf [0, 1] mit f(0) = UP∗20 und f(1) = U
P∗10
ist. Somit gibt es zu jedem α ∈ [0, 1] ein α ∈ [0, 1] mit
f(α) = αUP∗10 + (1− α)U
P∗20 = U
P∗α0 ∈ Π(H).
Also ist Π(H) ein Intervall.
(ii) Sei πinf(H) < πsup(H). Wir zeigen πsup(H) 6∈ Π(H). Angenommen
πsup(H) ∈ Π(H). Dann existiert ein P ∈ P und τ ∈ T derart, dass
supP∗∈P
supτ∈T
EP∗ [Hτ ] = πsup(H) = EP
[Hτ ].
Daraus folgtEP
[Hτ ] = supP∗∈P
EP∗ [Hτ ] = πsup(Hτ ).
Also ist der diskontierte europaische ClaimHτ replizierbar (da πsup(Hτ ) ∈Π(Hτ ), siehe Theorem 2.41) und damit
E∗P[Hτ ] = πsup(Hτ ) = πinf(Hτ ) fur alle P∗ ∈ P.
Also gilt insbesondere
πsup(H) = EP
[Hτ ]
= infP∗∈P
EP∗ [Hτ ]
≤ supτ∈T
infP∗∈P
EP∗ [Hτ ]
≤ infP∗∈P
supτ∈T
EP∗ [Hτ ] = πinf(H),
was ein Widerspruch ist. Also muss πsup 6∈ Π(H) wenn πinf(H) <πsup(H).
ut
3.3 Arbitragefreie Preise und Replizierbarkeit in generellen Markten 81
Bemerkung 3.30
(a) Betrachtet man einen europaischen Claim HE wie in Beispiel 3.3 als ame-rikanischen Claim H, dann gilt offensichtlich
Π(HE
)= Π (H) .
(b) Im Gegensatz zu europaischen Claims ist fur amerikanische ClaimsΠinf (H) ∈ Π (H) moglich.
Die Betrachtungen aus Sektion 3.2 motivieren:
Definition 3.31 Ein diskontierter amerikanischer Claim H heißt replizier-bar (attainable), falls τ ∈ T und ein selbstfinanzierendes Portfolio ξ existiert,so dass
V ξt ≥ Ht fur alle t = 0, ..., T
undV ξτ = Hτ .
ξ heißt dann replizierendes Portfolio (oder Hedge) von H.
Theorem 3.32 Sei Ht ∈ L1 (P∗) fur alle t = 0, ..., T und fur alle P∗ ∈ P.Dann sind aquivalent:
(a) H ist replizierbar.
(b) |Π (H) | = 1, d.h. Π (H) = πsup (H).
(c) πsup (H) ∈ Π (H) .
Beweis: (b)⇒ (c): Folgt aus Theorem 3.29
(a) ⇒ (b) Sei ξ ein replizierendes Portfolio und τ ∈ T mit V ξτ = Hτ . Da V ξ
ein Martingal ist und H von V ξ dominiert wird gilt nach Proposition 3.16
V ξ0 ≥ UP∗
0 fur alle P∗ ∈ P.
Andererseits ist fur jedes P∗ ∈ P
V ξ0 = EP∗[V ξτ
]= EP∗ [Hτ ] ≤ EP∗
[UP∗
τ
]≤ UP
∗
0 .
Also gilt UP∗
0 = V ξ0 fur alle P∗ ∈ P und damit
|Π (H) | = 1.
(b)⇒ (a): Zeigen wir nicht. ut
Teil II
Risikomaße
4
Grundlagen Risikomaße
In diesem Kapitel werden wir uns mit der Messung des Risikos von Finanz-positionen zu einem gegebenen zukunftigen Zeithorizont T beschaftigen. Seidazu Ω die Menge der moglichen Szenarien1.
Eine Finanzposition ist durch eine Abbildung X : Ω → R gegeben. X re-prasentiert den diskontierten Wert eines Portfolios zum Zeitpunkt T . Sei Xein gegebener linearer Raum von beschrankten Finanzpositionen, der die Kon-stanten enthalt.
Ein Risikomaß ist eine Abbildung ρ : X → R. ρ(X) quantifiziert also dasRisiko einer Finanzposition X ∈ X .
Beispiel 4.1Sei (Ω,F ,P) ein Wahrscheinlichkeitsraum und damit X ∈ X eine Zufallsva-riable.
(a) Eines der klassischen Risikomaße ist die Volatilitat oder Standardabwei-chung :
σ(X) =√
Var[X], X ∈ X .Oft ist die Volatilitat jedoch nicht als Risikomaß geeignet, da sie Gewinn-und Verlustrisiko symmetrisch messt, oftmals aber nur das Verlustrisikoentscheidend ist.
(b) Eines der beliebtesten Risikomaße ist der Value-at-Risk zum Levelα ∈ (0, 1):
VaRα(X) : = − supm ∈ R | P(X < m) ≤ α (4.1)
= − infm ∈ R | P(X ≤ m) > α
1 Wir betrachten damit nicht notwendigweise einen Wahrscheinlichkeitsraum(Ω,F ,P).
86 4 Grundlagen Risikomaße
= −q+X(α),
wobei q+X(α) das rechtsseitige α-Quantil von X ist. Aus (4.1) erhalten wir
VaRα(X) = infm ∈ R | P(X +m < 0) ≤ α.
Also ist VaR der minimale Cash-Betrag, der der Finanzposition X zu-gefugt werden muss, damit die Verlustwahrscheinlichkeit kleiner als α ist.Potentielle Kritikpunkte am VaR sind, dass er erstens nur die Wahrschein-lichkeit aber nicht die Hohe eines moglichen Verlusts behandelt und zwei-tens “Diversifikation bestrafen” kann.
(c) Der Average-Value-at-Risk, definiert durch
AVaRα(X) :=1
α
∫ α
0
VaRu(X)du ≥ VaRα(X)
greift die Schwachen von Value-at-Risk auf. AVaR wird manchmal auch alsExpected Shortfall bezeichnet und als ESα(X) notiert. Dies ist motiviertdurch die Darstellung
AVaRα(X) = E[−X | −X ≥ VaRα(X)],
falls X eine stetige Verteilungsfunktion besitzt.
4.1 Konvexe Risikomaße
Die Theorie der Risikomaße betrifft hauptsachlich das Risikomanagement ausSicht einer Aufsichtsbehorde. Wir interpretieren ρ(X) als ein notiges Sicher-heitskapital, um die Finanzposition X ausreichend abzusichern. Diese Inter-pretation motiviert bestimmte axiomatische Anforderungen, uber die wir imFolgengen verschiedene Klassen von Risikomaßen definieren.
Definition 4.2 Eine Abbildung ρ : X → R heißt monetares Risikomaß, fallsfur alle X,Y ∈ X gilt
• Monotonie, d.h. falls X ≤ Y , dann gilt ρ(X) ≥ ρ(Y ).
• Cash-Invarianz, d.h. fur m ∈ R gilt ρ(X +m) = ρ(X)−m.
Bemerkung 4.3 Aus der Cash-Invarianz folgt
ρ(X + ρ(X)) = 0
undρ(m) = ρ(0)−m, fur alle m ∈ R.
Meistens konnen wir ohne Beschrankung der Allgemeinheit annehmen, dassρ normalisiert ist, d.h. ρ(0) = 0.
4.1 Konvexe Risikomaße 87
Lemma 4.4 Ein monetares Risikomaß ρ ist Lipschitz-stetig bezuglich der Su-premumsnorm ‖ · ‖∞:
|ρ(X)− ρ(Y )| ≤ ‖X − Y ‖∞ := supω∈Ω|X(ω)− Y (ω)|, X, Y ∈ X .
Beweis: Aus X − Y ≤ ‖X − Y ‖∞ folgt X ≤ Y + ‖X − Y ‖∞. Wegen derMonotonie von ρ erhalten wir somit
ρ(X) ≥ ρ(Y + ‖X − Y ‖∞).
Wegen der Cash-Invarianz gilt nun
ρ(X)− ρ(Y ) ≤ ‖X − Y ‖∞.
Analog folgt mit Y ≤ X + ‖X − Y ‖∞
ρ(Y )− ρ(X) ≤ ‖X − Y ‖∞
und somit die Behauptung. ut
Definition 4.5 Ein monetares Risikomaß ρ heißt konvex, falls gilt: fur alleX,Y ∈ X und alle λ ∈ [0, 1]
• Konvexitat: ρ(λX + (1− λ)Y ) ≤ λρ(X) + (1− λ)ρ(Y ).
Lemma 4.6 Fur ein monetares Risikomaß ρ ist die Konvexitat aquivalentzur schwacheren Eigenschaft
• Quasi-Konvexitat: ρ(λX + (1− λ)Y ) ≤ maxρ(X), ρ(Y ),λ ∈ [0, 1], X, Y ∈ X .
Beweis: Sei ρ ein monetares Risikomaß und quasi-konvex. Dann gilt fur λ ∈[0, 1] und X,Y ∈ X :
ρ(λX + (1− λ)Y )− (λρ(X) + (1− λ)ρ(Y ))
= ρ(λX + (1− λ)Y + λρ(X) + (1− λ)ρ(Y ))
≤ maxρ(X + ρ(X)), ρ(Y + ρ(Y )) = 0,
wobei die erste Gleichung aus der Cash-Invarianz folgt. Somit ist ρ auch einkonvexes Risikomaß. ut
Lemma 4.7 Fur ein normalisiertes konvexes Risikomaß ρ gilt:
ρ(λX) ≤ λρ(X) fur λ ∈ [0, 1]
ρ(λX) ≥ λρ(X) fur λ ≥ 1.
Beweis:
88 4 Grundlagen Risikomaße
(i) Sei erst λ ∈ [0, 1]. Dann gilt:
ρ(λX) = ρ(λX + (1− λ)0) ≤ λρ(X) + (1− λ)ρ(0)
= λρ(X).
(ii) Sei nun λ ≥ 1. Es gilt:
ρ(X) = ρ
(1
λ(λX)
)i)
≤ 1
λρ(λX),
somit folgtρ(λX) ≥ λρ(X).
ut
Definition 4.8 Ein konvexes Risikomaß ρ heißt koharent, falls gilt:
• positive Homogenitat: ρ(λX) = λρ(X), fur λ ≥ 0, X ∈ X .
Bemerkung 4.9 Ein koharentes Risikomaß ρ ist normalisiert, da ρ(0) =0ρ(0) = 0. Außerdem erfullt ρ die
• Subadditivitat: ρ(X + Y ) ≤ ρ(X) + ρ(Y ), fur X,Y ∈ X .
In diesem Fall ist also ein dezentrales Risikomanagement moglich. Das Gesam-trisiko ist durch Aggregation des Einzelrisiken beschrankt. In vielen Situatio-nen wachst allerdings das Risiko nicht linear in der Große der Finanzposition.
Lemma 4.10 Sei ρ ein normalisiertes monetares Risikomaß. Dann implizie-ren jeweils zwei der folgenden Eigenschaften die verbleibende Dritte:
(i) Konvexitat,(ii) Positive Homogenitat,
(iii) Subadditivitat.
Beweis: Ubung. ut
Beispiel 4.11
(a) Die Standardabweichung σ(X) ist weder cash-invariant noch monoton unddamit kein monetares Risikomaß:
(i) σ(X +m) = σ(X), fur alle X ∈ X , m ∈ R.(ii) Seien z.B. X,Y ∈ X gegeben mit
X =
1, mit Wahrscheinlichkeit p > 02, mit Wahrscheinlichkeit 1− p
Y ≡ 0.
4.1 Konvexe Risikomaße 89
Dann ist Y < X fast sicher, aber σ(Y ) = 0 < σ(X).
(b) Aus VaRα(X) = infm ∈ R | P(X + m < 0) ≤ α folgt sofort, dassVaR ein monetares, positiv homogenes Risikomaß ist. Aber VaR ist nichtkonvex und somit auch nicht koharent:Seien X und Y zwei unabhangig identisch verteilte Zufallsvariablen mit
X,Y =
100 , mit Wahrscheinlichkeit 0.99−100, mit Wahrscheinlichkeit 0.01
Dann gilt:
1
2(X + Y ) =
100 , mit Wahrscheinlichkeit 0.98010 , mit Wahrscheinlichkeit 0.0198−100, mit Wahrscheinlichkeit 0.0001
.
Somit erhalten wir:
VaR0.01(X) = VaR0.01(Y ) = −100,
aber
VaR0.01(1
2(X + Y ) = 0.
VaR ist also nicht konvex und kann die Diversifikation des Portfolios be-strafen und die Konzentration auf ein Wertpapier mit hohem Verlust aberniedriger Verlustwahrscheinlichkeit empfehlen.
Bemerkung 4.12 Besteht X aus normal (oder genereller elliptisch) ver-teilten Zufallsvariablen, dann ist VaRα koharent.
(c) AVaRα erbt offensichtlich die positive Homogenitat, Cash-Invarianz undMonotonie von VaRα. Weiterhin ist AVaR auch konvex und damit koharent,was sich aus der folgenden Darstellung ergibt (die wir hier nicht zeigen):
AVaRα(X) = limn→∞
∑[nα]i=1 (−Xi,n)
[nα], (4.2)
wobei• [nα] der ganzzahlige Anteil von nα,
• X1, X2, . . . unabhangige Zufallsvariablen, gleichverteilt wie X,
• und −X1,n ≥ . . . ≥ −Xn,n die Ordnungsstatistik von (−X1, . . . ,−Xn)ist. Mit (4.2) gilt namlich:
AVaRα(X + Y ) = limn→∞
∑[nα]i=1 (−(X + Y )i,n)
[nα]
90 4 Grundlagen Risikomaße
≤ limn→∞
∑[nα]i=1 (−Xi,n) +
∑nαi=1 (−Yi,n)
[nα]
= AVaRα(X) + AVaRα(Y ).
Also ist AVaRα subadditiv und damit koharent nach Lemma 4.10.
4.2 Risikomaße und Akzeptanzmengen
Sei ρ ein monetares Risikomaß. Dann ist die Menge der akzeptablen Finanz-positionen definiert als
Aρ := X ∈ X | ρ(X) ≤ 0.
Aρ heißt Akzeptanzmenge von ρ. Fur X ∈ Aρ ist also kein Sicherheitskapitalnotig.
Proposition 4.13 Sei ρ ein monetares Risikomaß mit Akzeptanzmenge Aρ.Dann gilt:
(a) Aρ ist nicht-leer, abgeschlossen in X bezuglich ‖ · ‖∞ und erfullt:
infm ∈ R | m ∈ Aρ > −∞ (4.3)
undfur X ∈ Aρ, Y ∈ X mit Y ≥ X gilt auch Y ∈ Aρ. (4.4)
(b) ρ kann aus Aρ hergeleitet werden:
ρ(X) = infm ∈ R | X +m ∈ Aρ.
(c) ρ ist konvex genau dann, wenn Aρ konvex ist.
(d) ρ ist positiv homogen genau dann, wenn Aρ ein Kegel ist. Insbesondereist ρ koharent genau dann, wenn Aρ ein konvexer Kegel ist.
Beweis:
(a) Fur alle m ∈ R gilt wegen der Cash-Invarianz ρ(m) = ρ(0) − m. Fallsm ≥ ρ(0), ist m ∈ Aρ und falls m < ρ(0) ist m 6∈ Aρ. Somit ist Aρ 6= ∅und infm ∈ R | m ∈ Aρ > −∞.Sei jetzt X ∈ Aρ und Y ∈ X , so dass Y ≥ X. Dann gilt wegen derMonotonie ρ(Y ) ≤ ρ(X) ≤ 0, also Y ∈ Aρ. Außerdem ist Aρ wegen derLipschitz-Stetigkeit (siehe Lemma 4.4) abgeschlossen in X bezuglich ‖‖∞.
4.2 Risikomaße und Akzeptanzmengen 91
(b) Es gilt:
infm ∈ R | X +m ∈ Aρ = infm ∈ R | ρ(X +m) ≤ 0= infm ∈ R | ρ(X) ≤ m= ρ(X).
(c) Sei ρ konvex. Dann gilt fur alle λ ∈ [0, 1] und X,Y ∈ Aρ:
ρ(λX + (1− λ)Y ) ≤ λρ(X) + (1− λ)ρ(Y ) ≤ 0,
da ρ(X), ρ(Y ) ≤ 0. Damit ist λX + (1 − λ)Y ) ∈ Aρ und Aρ ist konvex.Die Umkehrung folgt aus Proposition 4.14.
(d) Sei ρ positiv homogen. Dann gilt fur X ∈ Aρ und λ ≥ 0:
ρ(λX) = λρ(X) ≤ 0,
da ρ(X) ≤ 0. Daraus folgt λX ∈ Aρ und somit ist Aρ ein Kegel. DieUmkehrung folgt aus Proposition 4.14.
utUmgekehrt sei A ⊆ X eine gegebene Menge, die akzeptable Finanzpositionendefiniert. Fur X ∈ X definieren wir dann
ρA := infm ∈ R | X +m ∈ A
(der minimale Betrag m fur den X +m akzebtabel wird). Fur ein monetaresRisikomaß ρ gilt dann nach Proposition 4.13.(b)
ρ = ρAρ .
Proposition 4.14 Sei A ⊆ X eine nicht-leere Menge, die (4.3) und (4.4)aus Proposition 4.13. erfullt. Dann gilt:
(a) ρA ist ein monetares Risikomaß.
(b) Ist A konvex, dann ist auch ρA konvex.
(c) Ist A ein Kegel, dann ist auch ρA positiv homogen. Insbesondere wenn Aein konvexer Kegel ist, dann ist auch ρA koharent.
(d) A ⊆ Aρ und A = Aρ genau dann, wenn A abgeschlossen in X bezuglich‖ · ‖∞ ist.
Beweis:
92 4 Grundlagen Risikomaße
(a) Es gilt:
ρA(X +m) = infr ∈ R | X +m+ r ∈ A= infr ∈ R | X + r ∈ A −m= ρA(X)−m,
also ist ρA cash-invariant.Sei nun X ≤ Y und m ∈ R, so dass X+m ∈ A. Dann ist Y +m ≥ X+m,und aus (4.4) folgt Y +m ∈ A und damit
ρA(Y ) ≤ ρA(X),
d.h. ρA ist monoton.Nun zeigen wir, dass ρA(X) < +∞ und ρA(X) > −∞ fur alle X ∈ X .Sei Y ∈ A. Fur ein X ∈ X gibt es ein m ∈ R, so dass m+X > Y (da Xund Y beschrankt sind). Dann gilt:
ρA(X)−m = ρA(X +m) ≤ ρA(Y ) ≤ 0,
alsoρA(X) ≤ m <∞.
Wegen infm ∈ R | m ∈ A > −∞ ist ρA(0) > −∞. Sei nun r ∈ R, sodass X + r ≤ 0. Dann folgt aus der Monotonie und Cash-Invarianz
ρA(X) ≥ ρA(0) + r > −∞.
Damit ist ρA ein monetares Risikomaß.
(b) Sei A konvex. Seien X1, X2 ∈ X und m1,m2 ∈ R, so dass Xi + mi ∈ Afur i = 1, 2. Fur λ ∈ [0, 1] gilt:
λ(m1 +X1) + (1− λ)(m2 +X2) ∈ A.
Daraus folgt:
0 ≥ ρA(λ(m1 +X1) + (1− λ)(m2 +X2)
= ρA(λX1 + (1− λ)X2)− (λm1 + (1− λ)m2), (4.5)
wobei die zweite Gleichung aus der Cash-Invarianz folgt. Wegen λm1 +(1− λ)m2 ≥ λρA(X1) + (1− λ)ρA(X2) folgt aus (4.5):
ρA(λX1 + (1− λ)X2) ≤ λρA(X1) + (1− λ)ρA(X2).
(c) Sei X ∈ X und m ∈ R, so dass m + X ∈ A und λ ≥ 0. Sei A ein Kegel,also λ(m+X) ∈ A. Dann gilt:
0 ≥ ρA(λ(m+X))
4.2 Risikomaße und Akzeptanzmengen 93
= ρA(λX)− λm, (4.6)
und damit ρA(λX) ≤ λρA(X). Umgekehrt, sei m < ρA(X). Dann istX +m 6∈ A und damit λ(m+X) 6∈ A fur λ ≥ 0. Also
λm < ρA(λX)
und somitλρA(X) ≤ ρA(λX).
Damit ist ρA positiv homogen.
(d) Sei X ∈ A. Dann ist ρ(X) ≤ 0 und damit X ∈ Aρ. Also A ⊆ Aρ.Angenommen A = Aρ. Dann ist A nach Proposition 4.13. abgeschlossenin X bezuglich ‖ · ‖∞.Sei nun A abgeschlossen in X bezuglich ‖ · ‖∞. Wir zeigen:, Falls X 6∈ A,dann ρ(X) > 0. Sei m > ‖X‖∞. Dann gibt es ein λ ∈ (0, 1), so dass
λm+ (1 + λ)X 6∈ A.
Dann istλm ≤ ρA((1− λ)X).
Laut Lemma 4.4. ist ρA Lipschitz-stetig, und damit:
|ρA((1− λ)X)− ρA(X)| ≤ ‖(1− λ)X −X‖∞= λ‖X‖∞.
Also
ρA(X) ≥ ρA((1− λ)X)− λ‖X‖∞≥ λ(m− ‖X‖∞) > 0.
ut
Beispiel 4.15 Sei X der Raum der beschrankten, messbaren Funktionen aufeinem messbaren Raum (Ω,F) und M1 = M1(Ω,F) die Menge der Wahr-scheinlichkeitsmaße auf (Ω,F).Das “worst-case”-Risikomaß ρmax ist definiert als
ρmax(X) := − infω∈Ω
X(ω) X ∈ X ,
die kleinste obere Schranke aller moglichen Verluste.Es gilt: X ∈ Aρmax
genau dann, wenn X 3 X ≥ 0.Dann ist Aρmax ein konvexer Kegel und ρmax koharent.ρmax ist das “konservativste” monetare Risikomaß, denn
ρ(X) ≤ ρ(
infω∈Ω
X(ω)
)= ρmax(X)
94 4 Grundlagen Risikomaße
fur alle normalisierten, monetaren Risikomaße ρ.Beachte, dass ρmax sich als
ρmax(X) = supQ∈M1
EQ[−X]
schreiben lasst.
Beispiel 4.16 Sei X wie in Beispiel 4.15 und Q ⊆ M1. Sei γ : Q → R, sodass sup
Q∈Qγ(Q) <∞.
Die Menge
A = X ∈ X | EQ[X] ≥ γ(Q) fur alle Q ∈ Q
erfullt offensichtlich 4.3 und 4.4 aus Proposition 4.13 und ist konvex. AusProposition 4.14 folgt, dass das Risikomaß ρA, gegeben durch
ρA(X) = infm ∈ R | X +m ∈ A = supQ∈Q
(γ(Q)− EQ[X]),
konvex ist.Eine alternative Darstellung ist
ρA(X) = supQ∈M1
(EQ[−X]− α(Q)),
wobei die “penalty”-Funktion α :M1 → (−∞,∞] definiert ist als
α(Q) =
−γ(Q) , falls Q ∈ Q∞ , sonst.
Beachte: Falls γ(Q) = 0 fur alle Q ∈ Q, so ist ρA koharent.
4.3 Robuste Darstellung von konvexen Risikomaßen
Sei (Ω,F) ein messbarer Raum (kein Wahrscheinlichkeitsmaß a priori gege-ben; Knightian uncertainty). Wir werden sehen, dass die Darstellungen vonRisikomaßen wie in Beispiel 4.15 und 4.16 “verallgemeinert” gelten.Dazu zunachst ein kleiner Exkurs.
4.3.1 Endlich additive Mengenfunktionen
Eine Abbildung µ : F → R heißt endlich additive Mengenfunktion, fallsµ(∅) = 0 und
µ
(n∑i=1
Ai
)=
n∑i=1
µ(Ai)
4.3 Robuste Darstellung von konvexen Risikomaßen 95
fur disjunkte Ai ∈ F , i = 0, . . . , n, n ∈ N.SeiM1,f =M1,f (Ω,F) die Menge endlich additiver Mengenfunktionen µ, sodass
µ : F → [0, 1]
µ(Ω) = 1.
Die totale Variation einer endlich additiven Mengenfunktion µ ist definiert als
‖µ‖var := sup
(n∑i=1
| µ(Ai) || Ai ∈ F disjunkt , n ∈ N
).
Es sei ba = ba(Ω,F) der Raum der endlich additiven Mengenfunktionen mitendlicher totaler Variation.
Integration von X ∈ X bezuglich µ ∈ ba. Ausgestattet mit ‖ · ‖∞ ist Xein Banachraum. Sei
X0 =
F ∈ X | F =
n∑i=1
αi1A, αi ∈ R, Ai ∈ F disjunkt, n ∈ N
.
Fur F ∈ X0 und µ ∈ ba definieren wir∫Fdµ :=
n∑i=1
αiµ(Ai).
Diese Darstellung ist wohldefiniert, das heißt unabhangig von der Darstellungvon F (leicht zu uberprufen).Es gilt ∥∥∥∥∫ Fdµ
∥∥∥∥ ≤ ‖F‖∞‖µ‖var.
Da X0 dicht in X ist bzgl ‖ · ‖∞, kann∫· dµ auf ganz X fortgesetzt werden.
Fur F ∈ X und Fi ∈ X0, i ∈ N, mit limi→∞ ‖F − Fi‖∞ = 0 definieren wir∫Fdµ := limi→∞
∫Fidµ.
Es gilt M1,f ⊆ ba und wir notieren
EQ[F ] :=
∫FdQ, F ∈ X ,Q ∈M1,f .
Theorem 4.17 Der Raum stetiger, linearer Funktionale auf X ( dualer Raum)kann mit dem Raum ba(Ω,F) identifiziert werden.
Beweis: Fur µ ∈ ba folgt aus den obigen Betrachtungen, dass∫· dµ ein
stetiges, lineares Funktional ist.
96 4 Grundlagen Risikomaße
Umgekehrt definiert ein stetiges, lineares Funktional l eine endliche additiveMengenfunktion durch
µ(A) := l(1A), A ∈ F .
Fur L ≥ 0, so dass l(F ) ≤ L fur ‖F‖∞ ≤ 1, gilt
‖µ‖var ≤ L,
und damit µ ∈ ba. Außerdem gilt∫Fdµ = l(F ) fur alle F ∈ X0 und damit∫
Fdµ = l(F )fur alle F ∈ X (X0 dicht in X ). ut
Korollar 4.18 M1,f kann mit den stetigen, linearen Funktionale l auf X mit
l(1) = 1
l(X) ≥ 0, X ≥ 0,
identifiziert werden.
4.3.2 Robuste Darstellung
Sei α :M1,f → (−∞,∞], so dass
infQ∈M1,f
α(Q) ∈ R.
Da die Abbildung
X 7→ EQ[−X]− α(Q), Q ∈M1,f
konvex, monoton und cash-invariant ist, definiert
ρ(X) := supQ∈M1,f
(EQ[−X]− α(Q))
ein konvexes Risikomaß auf X mit
ρ(0) = − infQ∈M1,f
α(Q).
Wir sagen: α ist eine penalty-Funktion fur ρ auf M1,f und ρ ist durch α aufM1,f dargestellt.
Theorem 4.19 Jedes konvexe Risikomaß ρ ist von der Form
ρ(X) = maxQ∈M1,f
(EQ[−X]− αmin(Q)), X ∈ X ,
mit penalty-Funktion
αmin(Q) := supX∈Aρ
EQ[−X].
Weiterhin gilt fur jede andere penalty-Funktion α, die ρ darstellt
α(Q) ≥ αmin(Q) fur alle Q ∈M1,f .
4.3 Robuste Darstellung von konvexen Risikomaßen 97
Beweis: Sei X ′ := ρ(X) +X ∈ Aρ. Dann gilt fur alle Q ∈M1,f
αmin(Q) ≥ EQ[−X ′] = EQ[−X]− ρ(X).
Daraus folgt
ρ(X) ≥ supQ∈M1,f
(EQ[−X]− αmin(Q)), fur alle X ∈ X .
Wir zeigen, dass ein QX ∈M1,f existiert, so dass
ρ(X) ≤ EQX [−X]− αmin(QX).
O.B.d.A. konnen wir annehmen, dass ρ(X) = 0 (Cash-Invarianz) und ρ(0) =0. Dann gilt
X /∈ B := Y ∈ X | ρ(Y ) < 0 .
B ist nicht-leer, konvex und offen (Lemma 4.4).Nach Korollar C.19 existiert dann ein 0 6= l ∈ X ′ (Dualraum), so dass
l(X) ≤ infY ∈B
l(Y ).
Es gilt l(Y ) ≥ 0 fur Y ≥ 0, denn:Sei λ > 0 und Y ≥ 0. Dann gilt
ρ(λY + 1) = ρ(λY )︸ ︷︷ ︸≤0
−1 < 0,
(ρ(λY ) ≤ 0 da λY ≥ 0 und ρ(0) = 0) und damit
1 + λY ∈ B fur alle λ > 0, 0 ≤ Y ∈ X .
Somit
l(X) ≤ l(1 + λY ) = l(1) + λl(Y )
fur alle λ > 0, Y ≥ 0. Es folgt, dass
l(Y ) ≥ 0 fur alle Y ≥ 0.
Weiterhin gilt l(1) > 0:Da l 6= 0, existiert ein Y ∈ X mit ‖Y ‖∞ < 1, so dass
0 < l(Y ) = l(Y +)− l(Y −).
Da Y − ≥ 0 und 1− Y + ≥ 0 folgt
l(Y +) > 0 und l(1− Y +) ≥ 0.
98 4 Grundlagen Risikomaße
Also
l(1) = l(Y +) + l(1− Y +) > 0.
Zusammen mit Korollar 4.18 existiert dann ein QX ∈M1,f , so dass
EQX [Y ] =l(Y )
l(1)
fur alle Y ∈ X . Da B ⊆ Aρ, gilt
αmin(QX) = supY ∈Aρ
(EQX [−Y ]) ≥ supY ∈B
(EQX [−Y ]) = − b
l(1),
wobei b := infY ∈B l(Y ). Andererseits gilt auch Y + ε ∈ B, ε > 0 fur alle Y ∈Aρ. Also
− b
l(1)≥ αmin(QX)− ε fur alle ε > 0.
Es folgt nun
αmin(QX) = − b
l(1)
und
EQX [−X]− αmin(QX) =1
l(1)(b− l(X)) ≥ 0 = ρ(X).
Sei α eine penalty-Funktion fur ρ. Dann gilt fur alle Q ∈M1,f , X ∈ X
ρ(X) ≥ EQ[−X]− α(Q),
und damit
α(Q) ≥ supX∈X
(EQ[−X]− ρ(X))
≥ supX∈Aρ
(EQ[−X]− ρ(X))
≥ supX∈Aρ
(EQ[−X]) = αmin(Q). (4.7)
ut
4.3 Robuste Darstellung von konvexen Risikomaßen 99
Bemerkung 4.20(i) Mit α = αmin in (4.7) erhalten wir die alternative Formel
αmin(Q) = supX∈X
(EQ[−X]− ρ(X)) .
(ii) Sei ρ = ρA fur eine MengeA ⊆ X . Dann bestimmtA die penalty-Funktionαmin durch
αmin(Q) = supX∈A
EQ[−X],
fur alle Q ∈M1,f . Dies gilt, da fur X ∈ Aρ ist X + ε ∈ A fur alle ε > 0.
Korollar 4.21 Ist ρ ein koharentes Risikomaß, so nimmt αmin nur die Werte0 oder +∞ an. Insbesondere gilt dann
ρ(X) = maxQ∈Qmax
EQ[−X], X ∈ X (4.8)
fur die konvexe Menge
Qmax :=Q ∈M1,f | αmin(Q) = 0
.
Qmax ist die großte Menge, fur die (4.8) gilt.
Beweis: Aρ ist nach Proposition 4.13 ein konvexer Kegel. Damit gilt fur alleλ ≥ 0 und Q ∈M1,f
αmin(Q) = supX∈Aρ
EQ[−X]
= supX∈Aρ
EQ[−λX] = supX∈Aρ
λ · EQ[−X]
= λ · αmin(Q).
Und somit
αmin(Q) = 0 oder αmin(Q) = +∞.
utWann kann ein konvexes Risikomaß ρ mittels Wahrscheinlichkeitsmaßen dar-gestellt werden, das heißt
ρ(X) = supQ∈M1
(EQ[−X]− α(Q)) (4.9)
fur eine penalty-Funktion α. Beispiel 4.15 zeigt, dass in diesem Fall das Su-premum nicht erreicht werden muss.
100 4 Grundlagen Risikomaße
Lemma 4.22 Ein konvexes Risikomaß ρ, das die Darstellung (4.9) zulasst,ist oberhalbstetig (upper-continous) im folgenden Sinne:
Xn X punktweise auf Ω ⇒ ρ(Xn) ρ(X). (4.10)
Desweiteren ist (4.10) aquivalent zu folgender “Fatou-Eigenschaft”:Sei Xn, n ∈ N eine beschrankte Folge in X , so dass Xn → X ∈ X punktweise.Dann gilt
ρ(X) ≤ limn→∞
ρ(Xn).
Beweis: Angenommen es gelte (4.9). Wir zeigen zunachst die Fatou-Eigenschaft.Fur alle Q ∈M1 gilt
EQ[Xn]n→∞−−−−→ EQ[X] (dominierte Konvergenz).
Also
ρ(X) = supQ∈M1
(limn→∞
EQ[−Xn]− α(Q))
≤ lim infn→∞
supQ∈M1
(EQ[−Xn]− α(Q)) = lim infn→∞
ρ(Xn).
Aus der Fatou-Eigenschaft folgt (4.10), denn:Sei Xn X. Dann gilt
ρ(Xn) ≤ ρ(Xm) ≤ ρ(X), n ≤ m.
Nach der Fatou-Eigenschaft gilt dann
ρ(Xn) ρ(X).
Aus (4.10) folgt die Fatou-Eigenschaft, denn:Sei (Xn)n∈N beschrankt mit Xn → X punktweise. Definiere
Ym := supn≥m
Xn ∈ X .
Dann Ym X punktweise. Da ρ(Xn) ≥ ρ(Yn), folgt aus (4.10), dass
lim infn→∞
ρ(Xn) ≥ lim infn→∞
ρ(Yn) = ρ(X).
utDas folgende Theorem liefert eine hinreichende Bedingung dafur, dass jedepenalty-Funktion fur ρ auf M1 konzentriert ist, d.h. jede penalty-Funktionnimmt +∞ außerhalb von M1 an.
Theorem 4.23 Sei ρ konvex. Dann sind aquivalent:
4.3 Robuste Darstellung von konvexen Risikomaßen 101
(a) ρ ist unterhalbstetig, d.h. falls Xn X punktweise auf Ω, dann giltρ(Xn) ρ(X).
(b) αmin (und damit jede andere penalty-Funktion) ist auf M1 konzentriert,d.h. falls αmin(Q) <∞, dann ist Q σ-additiv.
Insbesondere gilt unter jeder der beiden Bedingungen
ρ(X) = maxQ∈M1
(EQ[−X]− αmin(Q)
), X ∈ X .
Fur den Beweis benotigen wir folgende zwei Lemmata.
Lemma 4.24 (Dini’s Lemma) Seien fn, n ∈ N und f stetige Funktionenauf einer kompakten Menge. Gilt fn f punktweise, dann gilt sogar fn → funiform.
Beweis: Fur ε > 0 gilt fur die abgeschlossenen Mengen Kn := fn ≤ f − ε⋂n∈N
Kn = ∅
und damit Km = ∅ fur alle m ≥ n0 fur ein n0. ut
Lemma 4.25 Sei ρ ein konvexes Risikomaß mit penalty-Funktion α auf M1,f
und seiΛc := Q ∈M1,f | α (Q) ≤ c ,
fur c > −ρ (0) = infQ∈M1,fα (Q) . Fur jede Folge (Xn)n∈N in X mit 0 ≤
Xn ≤ 1 sind folgende Aussagen aquivalent:
(a) ρ (λXn)→ ρ (λ) fur alle λ > 0.
(b) infQ∈Λc
EQ [Xn]→ 1 fur alle c > −ρ (0).
Beweis: (a)⇒ (b): Da ρ durch α dargestellt wird, gilt fur alle Q ∈ Λc, Y ∈ Xund λ > 0:
c ≥ α (Q) ≥ EQ [−λY ]− ρ (λY ) .
Teilen mit (−λ) und umstellen der Ungleichung ergibt:
infQ∈Λc
EQ [Y ] ≥ −c+ ρ (λY )
λfur alle λ > 0. (4.11)
Sei nun (Xn)n∈N eine Folge mit
ρ (λXn)n→∞→ ρ (λ) fur alle λ > 0.
Aus (4.11) folgt
102 4 Grundlagen Risikomaße
lim infn→∞
infQ∈Λc
EQ [Xn] ≥ − limn→∞
c+ ρ (λXn)
λ
= −c+ ρ (λ)
λ
= 1− c+ ρ (0)
λ.
Mit λ ↑ ∞ und 0 ≤ Xn ≤ 1 folgt (b).(b)⇒ (a): Offensichtlich gilt fur alle n ∈ N und λ > 0
ρ (λ) ≤ ρ (λXn) = supQ∈M1,f
(EQ [−λXn]− α (Q)) .
Sei Q ∈M1,f , so dassα (Q) > 1− ρ (λ) =: c.
Dann gilt fur alle n ∈ N
EQ [−λXn]− α (Q) ≤ −α (Q)
< −1 + ρ (λ)
≤ −1 + ρ (λXn) .
Es konnen also nur die Q’s mit α (Q) ≤ 1 − ρ (λ) zur Supremumsbildungbeitragen. Es folgt fur alle n ∈ N
ρ (λXn) = supQ∈Λc
(EQ [−λXn]− α (Q)) .
Also
limn→∞
ρ(λXn) = limn→∞
supQ∈Λc
(EQ[−λXn]− α(Q))
(b)= sup
Q∈Λc(−λ− α(Q))
= ρ(λ).
utKommen wir nun zum Beweis von Theorem 4.23.Beweis: (a) ⇒ (b): Aus der Maßtheorie wissen wir: Q ist σ-additiv genau
dann, wenn fur alle (An)n∈N mit An ⊆ An+1 und⋃n∈N = Ω gilt Q (An) 1.
Fur Xn := 1An , An wie oben, gilt nach Voraussetzung
ρ (λXn) ρ (λ) , fur alle λ > 0.
Sei Q∗ ∈ M1,f mit αmin (Q∗) < +∞. Dann gibt es ein c > −ρ (0), so dassQ∗ ∈ Λc.Aus (a)⇒ (b), Lemma 4.25 , folgt dann
4.3 Robuste Darstellung von konvexen Risikomaßen 103
infQ∈Λc
EQ [Xn] 1.
Da Q∗ ∈ Λc, folgt Q∗ [An] 1. Damit ist Q∗ σ-additiv.(b) ⇒ (a): Sei Xn eine Folge mit Xn X. O.B.d.A. konnen wir wegen dercash-Invarianz Xn ≥ 0 fur alle n ∈ N annehmen. Wie im Beweis (b) ⇒ (a)von Lemma 4.25 gilt
ρ (Xn) = maxQ∈M1,f
(EQ [−Xn]− αmin (Q)
)= maxQ∈Λc
EQ [−Xn]− αmin (Q)
mit c := 1− ρ (X).Wir zeigen: Falls Λc ⊂M1 so folgt EQ [−Xn]→ EQ [−X] uniform in Q ∈ Λc.Man kann zeigen, dass Λc kompakt in der weak∗-Topologie auf ba (Ω,F ,P)ist. Weiterhin ist
ln :Λc −→ R
Q 7−→ EQ [−Xn]
eine fallende Folge von stetigen Funktionen auf Λc in der weak∗-Topologie. Istsogar Λc ⊆M1, gilt wegen der monotone Konvergenz
ln (Q) = EQ[−Xn] EQ[X] =: l (Q) ,
fur alle Q ∈ Λc. Da auch l stetig auf Λc in der weak∗-Topologie ist, folgt dieBehauptung aus Dini’s Lemma 4.24 ut
4.3.3 Konvexe Risikomaße auf L∞
Im Folgenden betrachten wir nun einen Wahrscheinlichkeitsraum (Ω,F ,P)und Risikomaße ρ, so dass
ρ (X) = ρ (Y ) , falls X = Y P− f.s.. (4.12)
Diese zusatzliche Struktur auf unserem Szenarienraum ermoglicht weiterge-hende Ergebnisse zu robusten Darstellungen von konvexen Risikomaßen, diewir vorstellen jedoch meistens nicht beweisen werden.
Proposition 4.26 Sei ρ ein konvexes Risikomaß mit penalty-Funktion α, sodass (4.12) gilt. Dann ist α (Q) = +∞ fur alle Q ∈ M1,f (Ω,F), die nichtabsolut stetig zu P sind.
Beweis: Sei Q ∈ M1,f nicht absolut stetig bezuglich P. Dann gibt es einA ∈ F so dassQ (A) > 0 und P (A) = 0. SeiX ∈ Aρ und setzeXn := X−n1A.Da X = Xn P-f.s. folgt Xn ∈ Aρ fur alle n ∈ N.Also folgt:
104 4 Grundlagen Risikomaße
α (Q) ≥ αmin (Q)
≥ EQ [−Xn]
= EQ [−X] + nQ (A)→∞
fur n ↑ ∞. utWir konnen also X mit L∞ := L∞ (Ω,F ,P) idetifizieren und notieren
M1 (P) =M1 (Ω,F ,P)
als die Menge der zu P absolut stetigen Wahrscheinlichkeitsmaße.
Theorem 4.27 Sei ρ : L∞ −→ R ein konvexes Risikomaß. Dann sind fol-gende Aussagen aquivalent:
(a) ρ kann durch eine Penalty-Funktion α auf M1 (P) dargestellt werden:
ρ (X) = supQ∈M1(P)
EQ [−X]− α (Q) , fur X ∈ L∞.
(b) ρ kann durch αmin auf M1 (P) dargestellt werden.
(c) ρ ist oberhalb stetig: Falls Xn X P-f.s., so gilt ρ (X) ρ (X).
(d) ρ besitzt die Fatou-Eigenschaft: Falls (Xn)n∈N eine beschrankte Folge ist,die P−f.s. gegen ein X konvergiert, so gilt
ρ (X) ≤ limn↑∞
inf ρ (Xn) .
Theorem 4.28 Sei ρ ein konvexes Risikomaß auf L∞. Dann sind folgendeAussagen aquivalent
(a) ρ ist unterhalb-stetig: Falls Xn X P−f.s., so gilt ρ (Xn) ρ (X).
(b) ρ besitzt Lebesgue-Eigenschaft: Sei (Xn)n∈N eine beschrankte Folge, sodass Xn −→ X P-f.s.. Dann gilt ρ (X) = lim
n→∞ρ (Xn) .
(c) αmin ist auf M1 (P) konzentriert, das heißt aus αmin <∞ folgtQ ∈M1 (P) und
ρ (X) = maxQ∈M1(P)
(EQ [−X]− αmin (Q)
), X ∈ L∞.
Fur koharente Risikomaße ergibt sich dann:
Korollar 4.29 Sei ρ koharent auf L∞. Dann kann ρ durch eine Menge
Q ⊆M1 (P)
dargestellt werden, das heißt
4.3 Robuste Darstellung von konvexen Risikomaßen 105
ρ (X) = supQ∈Q
EQ [−X] ,
genau dann, wenn eine der Bedingungen aus Theorem 4.27 erfullt ist. Diemaximale Menge, durch die ρ in M1 (P) dargestellte werden kann ist gegebendurch
Qmax ∩M1 (P)
mitQmax :=
Q ∈M1,f | αmin (Q) = 0
.
Korollar 4.30 Sei ρ koharent auf L∞. Dann sind folgende Aussagen aquivalent:
(a) ρ ist unterhalb-stetig.
(b) ρ besitzt Lebesgue-Eigenschaft.
(c) Qmax ⊆M1 (P) .
Es gilt dann
ρ (X) = maxQ∈Qmax
EQ [−X] , fur alle X ∈ L∞.
Sei ρ ein oberhalb-stetiges Risikomaß auf L∞. Es stellt sich die Frage, wanneine Darstellung uber aquivalente Wahrscheinlichkeitsmaße gilt:
ρ (X) = supQ≈P
(EQ [−X]− αmin (Q)
)? (4.13)
Definition 4.31 Ein konvexes Risikomaß ρ auf L∞ heißt sensibel (sensitive)bezuglich P, falls fur alle X ≥ 0 und X nicht konstant ein λ > 0 existiert, sodass
ρ (−λX) > ρ (0) .
Theorem 4.32 Sei ρ ein oberhalb-stetiges, konvexes Risikomaß auf L∞.Dann sind folgende Aussagen aquivalent:
(a) ρ erlaubt die Darstellung (4.13).
(b) ρ ist sensibel bzgluglich P.
(c) Es gibt ein zu P aquivalentes WahrscheinlichkeitsmaßQ mit αmin (Q) <∞.
Beispiel 4.33 Seiπ = (1, π) =
(1, π1, . . . , πd
)S =
(S0, S
)=(S0, S1, . . . , Sd
)ein Einperiode-Finanzmarktmodell auf (Ω,F ,P). Der diskontierte Gewinn ei-nes Porfolios ξ =
(ξ0, ξ
)∈ Rd+1 war definiert als ξ · Y mit Y =
(Y 1, . . . , Y d
)
106 4 Grundlagen Risikomaße
und Y i = Si
1+r − πi, i = 1, . . . , d.
Betrachte das Risikomaß auf L∞ (Ω,F ,P), das durch folgende Akzeptanz-menge definiert ist:
A :=X ∈ L∞ | ∃ ξ ∈ Rd mit X + ξ · Y ≥ 0 P− f.s.
.
Bemerke: X ∈ A genau dann, wenn es ein Portfolio ξ =(ξ0, ξ
)mit ξ · π = 0
gibt (kein Startkapital erforderlich, ξ0 = −ξ · π), so dass
X +ξ · S1 + r
≥ 0 P-f.s..
Also X ∈ A genau dann, wenn X ohne zusatzliche Kosten (super) gehedgedwerden kann.
Proposition. Sei inf m ∈ R | m ∈ A > −∞. Dann ist ρA ein koharentesRisikomaß und ρA ist sensibel genau dann, wenn das Modell arbitragefrei ist.In diesem Fall gilt
ρA (X) = supP∗∈P
EP∗ [−X] , (4.14)
wobei P die Mege der aquivalenten Martingalmaße ist.
Beweis: Da A ein konvexer Kegel ist, folgt aus Proposition 4.14, dass ρA
koharent ist. Es gilt
ρA (X) = inf m ∈ R | m+X ∈ A= inf
m ∈ R | ∃ ξ ∈ Rd so dass m+ ξ · Y ≥ −X P-f.s.
.
Falls das Marktmodell arbitragefrei ist, so folgt aus Theorem 1.25 , dass ρAdie Darstellung (4.14) hat. Somit folgt aus Theorem 4.32, dass ρA sensibel ist.Umgekehrt sei ρA sensibel und es gebe eine Arbitragemoglichkeit. Dann gibt esξ ∈ Rd und ε > 0, so dass ξ ·Y ≥ 0 P−f.s. und P (B) > 0 fur B := ξ · Y ≥ ε.Es folgt −ε1B + ξ · Y ≥ 0 P-f.s. und damit −ε1B ∈ A.Da ρA sensibel ist, folgt die Existenz von λ > 0, so dass
ρA (−λε1B) = λρ (−ε1B) > ρ (0) = 0.
AlsoρA (−ε1B) > 0.
Das heißt−ε1B /∈ AρA .
Dies ist aber ein Widerspruch. ut
Definition 4.34 Ein monetares Risikomaß ρ auf L∞ heißt verteilungsinva-
riant, falls fur alle X,Y ∈ L∞ mit Xd∼ Y (das heißt X und Y sind gleich-
verteilt) giltρ (X) = ρ (Y ) P− f.s..
4.3 Robuste Darstellung von konvexen Risikomaßen 107
Beispiel 4.35 Der”Average Value at Risk“ zum Niveau γ ∈ (0, 1] war defi-
niert als
AVaRγ (X) :=1
γ
∫ γ
0
VaRt (X)dt
= − 1
γ
∫ γ
0
qX (t)dt,
wobei qX(·) eine (beliebige) Quantilsfunktion von X ist. Da qX(·) nun von derVerteilung abhangt, ist AVaR (und naturlich auch VaR) verteilungsinvariant.
Lemma. Sei F (X) eine Verteilungsfunktion von X und U uniform verteilt auf(0, 1) (d.h. P (U ≤ s) = s fur alle s ∈ (0, 1)) und qX (t) eine Quantilsfunktionvon X. Dann gilt
Xd∼ qX (U) .
Es folgt
AVaRγ ≤1
γ
∫ 1
0
|qX(t)| dt
=1
γE [|qX(U)|] (U ∼ Uniform(0, 1))
=1
γE[|X|],
wobei die letzte Gleichheit wegen des vorigen Lemmata gilt. AVaRγ (X) istalso fur alle X ∈ L1 (Ω,F ,P) wohldefiniert.
Theorem 4.36 AVaRγ , γ ∈ (0, 1], ist ein koharentes, unterhalb-stetiges Ri-sikomaß mit der Darstellung
AVaRγ (X) = maxQ∈Qγ
EQ [−X] , X ∈ X , (4.15)
wobei Qγ :=Q P | dQdP ≤
1γ P− f.s.
. Weiterhin ist Qγ = Qmax (verglei-
che dazu Korollar 4.29).
Beweis: Falls γ = 1, folgt Q1 = P und AVaR1 (X) = E [−X].Sei nun γ ∈ (0, 1). Sei weiter
ργ (X) := supQ∈Qγ
EQ [−X] .
Dann ist ργ koharent. Sei zunachst X < 0 P-f.s. und definiere P ≈ P durch
dP
dP=
X
E [X].
108 4 Grundlagen Risikomaße
Dann gilt
ργ (X) =E [−X]
γsup (EP [ϕ] | 0 ≤ ϕ ≤ 1, E [ϕ] = γ)
=E [−X]
γsup (EP [ϕ] | 0 ≤ ϕ ≤ 1, E [ϕ] ≤ γ) .
Aus dem Neyman-Pearson-Lemma (Theorem A.31 Follmer/Schied) folgt, dassdas Supremum erreicht wird mit
ϕ0 := 1X<q +K1X=q, (4.16)
wobei q ein γ-Quantil ist und k ∈ [0, 1], so dass
E [ϕ0] = γ. (4.17)
Also
ργ (X) =E [−X]
γEP [ϕ0] =
1
γE [−Xϕ0] .
Da dQ0
dP := ϕ0
γ ein Wahrscheinlichkeitsmaß aus Qγ definiert, folgt
ργ (X) = maxQ∈Qγ
EQ [−X]
= EQ0[−X]
=1
γ
(E[−X1X<q
]+ E
[−kX1X=q
])=
1
γ
(E[−X1X<q
]− kqP(X = q)
)=
1
γ
(E[−X1X<q
]− qγ + qP(X < q)
)=
1
γE[(q −X)
+]− q,
wobei die vorletzte Gleichheit aus (4.16) und (4.17) folgt. Weiterhin gilt fureine Quantilsfunktion qX mit qX(γ) = q:
1
γE[(q −X)
+]− q =
1
γ
∫ 1
0
(q − qX (t))+dt− q
=1
γ
∫ γ
0
(q − qX (t))dt− q
= − 1
γ
∫ γ
0
qX (t)dt
= AVaRγ (X) .
Die zweite Gleichheit gilt, da qX steigend ist und da qX (γ) = q gilt. Furgenerelle X ∈ L∞ benutze die cash-Invarianz von ργ und AVaRγ , um auf den
4.4 Portfoliooptimierung und Bewertung mittels Risikomaßen (CAPM) 109
Fall X < 0 zu reduzieren.Qγ = Qmax zeigen wir nicht. utBemerkung:
(a) Da P ∈ Qγ , γ ∈ (0, 1], ist αmin (P) < ∞ und aus Theorem 4.32 folgt,dass
AVaRγ (X) = supQ∈Qγ , Q≈P
EQ [−X] , X ∈ L∞.
(b) Aus dem Beweis folgt, dass das Maximum in (4.14) erreicht wird durchQ0 ∈ Qγ mit
dQ0
dP=
1
γ1X<q + k1X=q
mit einem γ-Quantil q von X und
k =
0 falls P (X = q) = 0γ−P(X<q)P(X=q) sonst
AVaRγ ist der essentielle Baustein der Darstellung von verteilungsinvariantenRisikomaßen:
Theorem 4.37 (Ω,F ,P) sei atomfrei. Ein konvexes Risikomaß ρ auf L∞ istverteilungsinvariant und oberhalb-stetig genau dann, wenn
ρ (X) = supµ∈M1((0,1])
∫(0,1]
AVaRγ (X)µ (dγ)− βmin (µ)
mit
βmin (µ) = supX∈Aρ
∫(0,1]
AVaRγ (X)µ (dγ)
.
Korollar 4.38 Ein koharentes Risikomaß ρ ist verteilungsinvariant und oberhalb-stetig genau dann, wenn
ρ (X) = supµ∈M
∫(0,1]
AVaRγ µ (dγ)
fur M⊆M1((0,1]).
4.4 Portfoliooptimierung und Bewertung mittelsRisikomaßen am Beispiel des Capital Asset PricingModel (CAPM)
Sei (π, S) ein Ein-Periode Marktmodell uber einem Wahrscheinlichkeitsraum(Ω,F ,P). Die Renditen (Returns) des i-ten Wertpapiers sind gegeben durch:
110 4 Grundlagen Risikomaße
Ri =Si − πi
πii = 0, . . . , d.
Fur ein Portfolio ξ ∈ Rd+1 ist der Portfolioreturn definiert als
Rξ :=1
V0
d∑i=0
ξi · (Si − πi),
wobei V0 := ξ · π der Startwert des Portfolios ist. Fur ξ ∈ Rd+1 heißen
αi =ξiπi
ξ · πi = 0, . . . , d
Portfoliogewichte zum Portfolio ξ ∈ Rd+1 und wir schreiben
α = (α0, α) = (α0, α1, . . . , αd).
Bemerkung 4.39
(a) Es gilt:
R0 =S0 − π0
π0=
1 + r − 1
1= r.
(b) Offensichtlich gilt auchd∑i=0
αi = 1,
und somit
α0 = 1−d∑i=1
αi.
(c) Ein Startkapital V0 > 0 und Portfoliogewichte α = (α0, α) bestimmeneindeutig ein Portfolio ξ ∈ Rd+1 durch
ξi =αiV0
πi, i = 0, . . . , d.
(d) Fur ein Portfolio ξ ∈ Rd+1 mit Gewichten α ∈ Rd+1 gilt
Rξ =
d∑i=0
ξi
V0(Si − πi) =
d∑i=0
αi
πi(Si − πi)
=
d∑i=0
αiRi =
d∑i=1
αiRi +
(1−
d∑i=1
αi
)r︸ ︷︷ ︸
α0R0
4.4 Portfoliooptimierung und Bewertung mittels Risikomaßen (CAPM) 111
=
d∑i=1
αi(Ri − r) + r.
Die Idee von Markowitz ist ein optimales Portfolio ξ∗ ∈ Rd+1 mit minimalerReturnvarianz Var(Rξ) (also mit minimalem Risiko gemessen in Varianz desReturns) unter allen Portfolios aus der Menge
ξ ∈ Rd+1 | ξ · π = V0 und E[Rξ] = c,
mit c, V0 > 0 vorgegeben, zu finden. Dies kann man umformulieren zumaquivalenten Problem der Mean-Variance-Return-Optimierung :Sei
Uq(X) := E[X]− q
2Var(X), X ∈ L2.
Wir suchen nach einem Portfolio ξ∗ derart, dass
Uq(Rξ∗) = sup
ξ∈Rd+1
ξ·π=V0
Uq(Rξ) (4.18)
fur ein gegebenes Startkapital V0 und Risikoaversion q ∈ R.
Bemerkung 4.40 Der vorgegebene Returnlevel c aus der Markowitzformu-lierung bestimmt die Risikoaversion q in der Mean-Variance-Formulierung undumgekehrt.
Wir nehmen im Folgenden an, dass Ri ∈ L2(Ω,F ,P), i = 0, . . . , d undcov(R) = (cov(Ri, Rj))i,j=1,...,d invertierbar ist.
Theorem 4.41 Das Problem (4.18) besitzt eine Losung ξ∗ ∈ Rd+1, die durchdas Startkapital V0 und Portfoliogewichte α∗ ∈ Rd+1 mit
α∗ =1
qcov(R)−1(E[R]− r · 1) ∈ Rd (4.19)
α∗,0 = 1−d∑i=0
α∗,i, (4.20)
wobei
E[R] =
E[R1]...
E[Rd]
und 1 :=
1...1
∈ Rdgegeben ist.
Beweis: Wir mussen die Funktion f : Rd → R mit
f(α) = Uq
(d∑i=0
αi(Ri − r) + r
)
112 4 Grundlagen Risikomaße
in α maximieren. Da f konkav ist2, ist ∇f(α) = 0 hinreichend fur die Existenzeines Maximums. Es gilt:
f(α) =
d∑i=0
αi(E[Ri]− r) + r − q
2Var
(d∑i=0
αiRi
)und
Var
(d∑i=1
αiRi
)
= E
( d∑i=1
αiRi
)2−( d∑
i=1
αiE[Ri]
)2
=
d∑i=1
(αi)2E[(Ri)2] + 2∑i>j
αiαjE[RiRj ]−d∑i=1
(αi)2E[Ri]2 − 2∑i>j
αiαjE[Ri]E[Rj ]
=
d∑i=1
(αi)2 Var(Ri) + 2∑i>j
αiαj cov(Ri, Rj).
Also
∂f
∂αi(α) = E[Ri]− r − q
αi Var(Ri) +
d∑i=1j 6=i
αj cov(Ri, Rj)
.
Daraus folgt∇f(α) = E[R]− r · 1− q cov(R)α.
Nun ist ∇f(α) = 0 genau dann, wenn cov(R)α = 1q (E[R] − r1), und somit
genau dann, wenn
α =1
qcov(R)−1(E[R]− r · 1).
utWir betrachten mehrere Handler, die ihr Portfolio unter Uq mit unterschiedli-chen Risikoaversionen q optimieren. Seien α∗q die optimalen Portfoliogewichte
und ξ∗q das optimale Portfolio unter Uq. Dann folgt aus Theorem 4.41.:
Korollar 4.42 Seien p, q > 0. Dann ist
α∗p =q
pα∗q .
Beweis: Die Behauptung folgt direkt aus (4.19). ut
2 weil Var konvex ist.
4.4 Portfoliooptimierung und Bewertung mittels Risikomaßen (CAPM) 113
Annahme 4.43 Es existiert q > 0 mit α∗q · 1 > 0. Dann definieren wir
m := q · α∗q · 1.
Dann sind m und α∗m = qmα∗q offensichtlich unabhangig von dem Wahl von
q > 0 mit α∗q ·1 > 0. Außerdem investiert ein Handler, der sein Portfolio unterUm optimiert, nur in die risky Wertpapiere, da
d∑i=1
α∗i = α∗m · 1
=q
mα∗q · 1
=q
qα∗q · 1α∗q · 1 = 1.
Daraus folgt α∗,0m = 0.
Sei Ki die Kapitalisierung des i-ten Assets und
VM =
d∑j=1
Kj
die Gesamtkapitalisierung des risky Markts. Das Portfolio ξM gegeben durchα∗m und VM als Startkapital mit
ξM,0 = 0,
ξM,i =α∗,imπi
VM i = 1, . . . , d,
heißt Marktportfolio.
Bemerkung 4.44 Unter der Annahme, dass alle Handler am Markt Mean-Variance-Handler sind, und ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nach-frage herrscht, erhalten wir (im okonomischen Sinne) als Konsequenz aus Ko-rollar 4.45
α∗,im =Ki∑di=1K
ji = 1, . . . , d.
Offensichtlich gilt dannξM,i · πi = Ki
undξM · π = VM .
Korollar 4.45 (Mutual Fund Theorem)Ein Mean-Variance-Handler mit Risikoaversion q > 0 investiert den relativen
114 4 Grundlagen Risikomaße
Anteil mq seines Startkapitals V0 in das Marktportfolio und den relativen Anteil(1− m
q
)von V0 in das Bankkonto, d.h.
ξ∗,iq =m
qV0
1
VMξM,i =
m
q
V0
VMVM
α∗,imπi
=m
qV0α∗,imπi
und
ξ∗,0q =
(1− m
q
)V0.
Beweis: Fur i = 1, . . . , d gilt nach Theorem 4.41.:
ξ∗,iq =α∗,iqπi
V0 =m
q
α∗,imπi
V0
VM=m
q
V0
VMξM,i.
ut
Capital Asset Pricing Model-Gleichung
Im Theorem 4.41. wurde gezeigt, dass die optimalen Gewichte des Marktport-folios gegeben sind durch
α∗m =1
mcov(R)−1(E[R]− r1).
Dies gilt genau dann, wenn
E[R]− r1 = m cov(R)α∗m.
Bemerkung 4.46 Wir erinnern daran, dass fur die Kovarianz folgendes gilt:
(1) cov(X,Y ) = cov(Y,X),
(2) cov(aX, Y ) = a cov(X,Y ),
(3) cov(X + Y, Z) = cov(X,Z) + cov(Y, Z),
(4) cov(X,Y ) = E[XY ]− E[X]E[Y ] = E[X(Y − E[Y ])],
(5) cov(a,X) = 0,
fur a ∈ R und X,Y, Z ∈ L2.
Nun gilt:
E[Ri]− r = m
d∑j=1
cov(Ri, Rj)α∗,jm
4.4 Portfoliooptimierung und Bewertung mittels Risikomaßen (CAPM) 115
Bem. 4.46= m cov
Ri, d∑j=1
α∗,jm Rj
= m cov(Ri, RξM ). (4.21)
Losen wir diese Gleichung nach den preisen π auf, erhalten wir (CAPM-Preise1. Version):
πiCAPM(1) =E[Si]−m cov(Si, RξM )
1 + rfur alle i = 0, . . . , d.
Insbesondere ist π0CAPM(1) = 1.
Beweis: (CAPM-Preise, erste Version)Es gilt
E[Ri]− r = m cov(Ri, Rj)
genau dann, wenn
1
πiE[Si]− (1 + r) =
m
πicov(Si, RξM ),
was aquivalent ist zu
πi =E[Si]−m cov(Si, RξM )
(1 + r).
utAus (4.21) folgt weiterhin
E[RξM ]− r =
d∑i=0
α∗,im (E[Ri]− r)
(4.21)=
d∑i=0
α∗,im m cov(Ri, RξM )
= m cov
(d∑i=1
α∗,im Ri, RξM
)= mVar(RξM ). (4.22)
Kombinieren wir nun (4.21) mit (4.22), erhalten wir die CAPM-Gleichungen(Security-Market Line):
E[Ri]− r = βi(E[RξM ]− r)
mit
βi =cov(Ri, RξM )
Var(RξM ).
116 4 Grundlagen Risikomaße
Losen wir wieder nach π auf, erhalten wir (CAPM-Preise 2. Version):
πiCAPM(2) =E[Si]
βi(E[RξM ]− r
)+ 1 + r
.
Beweis: (CAPM-Preise, zweite Version)Es gilt:
E[Ri]− r =1
πiE[Si]− (1 + r)
= βi(E[RξM ]− r).
utFur ein Portfolio η ∈ Rd+1 ist der Preis also gegeben durch
πCAPM(1)(η) =
d∑i=1
πiCAPM(1) (4.23)
=E[η · S]−m cov(η · S, RξM )
1 + r(4.24)
=E[ηS(
1−m(RξM − E[RξM ]
))]1 + r
. (4.25)
Idee: Sei C ein Claim. Dann definiert man den CAPM-Preis als
πCAPM(C) =E[C(
1−m(RξM − E[RξM ]
))]1 + r
.
Dabei kommt es jedoch oft zu folgendem Problem:Sei (π, S) ein arbitragefreier Markt. Dann ist der erweiterte Markt ((π, πCAPM(C)), (S, C))im Allgemeinen nicht arbitragefrei. Betrachte wir ein Beispiel:Nehmen wir an, dass
P
(RξM >
1
m+ E[RξM ]
)> 0.
Das ist immer z.B. erfullt, wenn R ∼ N(µ,Σ). Sei der Claim C gegeben durch
C :=1
m(RξM − E[RξM ])− 11A
mit
A :=
RξM >
1
m+ E[RξM ]
.
Dann ist C ein Claim mit P(C > 0) = P(A) > 0. Anderseits
4.4 Portfoliooptimierung und Bewertung mittels Risikomaßen (CAPM) 117
πCAPM(C) =E[−1A]
1 + r=−P(A)
1 + r< 0,
also liefert der Preis Arbitrage, da ein arbitragefairer Preis von der Form
EQ
[C
1+r
]> 0, Q ∈ P ware. Es gilt aber offensichtlich:
Lemma 4.47 Ist (π, S) arbitragefrei und vollstandig, dann ist fur jedenClaim C auch der erweiterte Markt ((π, πCAPM(C)), (S, C)) arbitragefrei undvollstandig.
Bemerkung 4.48 Sei R ∼ N(µ,Σ) und sei ρ ein positiv-homogenes, cash-invariantes und verteilungsinvariantes Risikomaß. Dann ist (4.18) aquivalentzu dem Problem:Finde ein optimales Portfolio ξ∗ ∈ Rd+1, so dass
−ρ(Rξ∗) = sup
ξ∈Rd+1
ξ·π=V0
(−ρ(Rξ)). (4.26)
Es gilt nahmlich fur ξ ∈ Rd+1
ρ(Rξ) = ρ
√Var(Rξ)
Rξ − E[Rξ]√Var(Rξ)
+ E[Rξ]
=
√Var(Rξ)ρ(X)− E[Rξ].
A
Appendix A
A.1 Grundlagen der Wahrscheinlichkeitstheorie
A.1.1 Der Wahrscheinlichkeitsraum
Gegeben sei ein beliebiger Grund- bzw. Ergebnisraum Ω.
Definition A.1 Ein System F ⊆ P(Ω) mit den Eigenschaften
(a) Ω ∈ F ,
(b) A ∈ F ⇒ Ac ∈ F ,
(c) A1, A2, . . . ∈ F (abzahlbar) ⇒⋃i∈N
Ai ∈ F .
heißt σ-Algebra in Ω. Das Paar (Ω,F) heißt dann ein Ereignisraum oder einMessraum.
Definition A.2 Ein Maß ist eine Abbildung µ : F → R+, die folgende Be-dingungen erfullt:
(a) µ(∅) = 0,
(b) fur paarweise disjunkte Ereignisse A1, A2, . . . ∈ F , d.h. Ai ∩ Aj = ∅ furi 6= j, gilt
µ(
∞⋃i=1
Ai) =
∞∑i=1
µ(Ai).
Das Tripel (Ω,F , µ) heißt Maßraum.Ein Maß heißt Wahrscheinlichkeitsmaß, falls zusatzlich gilt:
(c) µ(Ω) = 1.
Das Tripel (Ω,F ,P) heißt dann ein Wahrscheinlichkeitsraum.
120 A Appendix A
Definition A.3 Sei (Ω′,F ′) ein weiterer Messraum. Eine AbbildungX : Ω → Ω′ heißt messbar oder eine Zufallsvariable, falls fur jedes A ∈ F ′gilt:
X−1(A) = ω ∈ Ω | X(ω) ∈ A ∈ F .
Wir schreiben X : (Ω,F)→ (Ω′,F ′).
Definition A.4 Sei X : (Ω,F , µ)→ (Ω′,F ′) eine Zufallsvariable, dann wirddurch
µX(A) := µ(X−1(A)︸ ︷︷ ︸∈F
), A ∈ F ′,
ein Maß auf F ′ definiert, die sogenannte Verteilung von X unter µ.
A.1.2 Unabhangigkeit
Definition A.5 Sei (Ω,F ,P) ein Wahrscheinlichkeitsraum.
(a) Zwei Ereignisse A1, A2 ∈ F heißen (stochastisch) unabhangig, falls
P(A1 ∩A2) = P(A1)P(A2).
(b) Eine Familie (Ai)i∈I von Ereignissen Ai ∈ F heißt (stochastisch) un-abhangig bezuglich P, falls fur jede endliche Teilmenge ∅ 6= J ⊆ I gilt:
P
⋂j∈J
Aj
=∏j∈J
P(Aj).
(c) Eine Familie (Ai)i∈I heißt paarweise unabhangig, falls P(Aj ∩ Ai) =P(Aj)P(Ai), fur alle Ai, Aj mit i 6= j.
(d) Eine Familie (Fi)i∈I von Mengen-Systemen Fi ⊆ F heißt unabhangig,falls fur alle J ⊆ I endlich, gilt:
P
⋂j∈J
Aj
=∏j∈J
P(Aj),
fur Aj ∈ Fj .
(e) Eine Familie von Zufallsvariablen Xi : (Ω,F ,P) → (Ωi,Fi) heißt un-abhangig, falls die Familie (σ(Xi))i∈I = (σ(X−1
i (Ai), Ai ∈ Fi))i∈I vonσ-Algebren unabhangig ist.
A.1 Grundlagen der Wahrscheinlichkeitstheorie 121
(f) Eine Zufallsvariable X : (Ω,F ,P)→ (Ω′,F ′) heißt unabhangig von einerσ-Algebra G ⊆ F , falls σ(X) und G unabhangig sind.
Bemerkung A.6 Die paarweise Unabhangigkeit einer Familie (Ai)i∈I vonEreignissen impliziert nicht deren stochastische Unabhangigkeit.
A.1.3 Der Satz von Radon-Nikodym, Dichten
Definition A.7 Seien µ und ν zwei Maße auf der selben σ-Algebra F .
(a) ν ist absolutstetig bezuglich µ, in Zeichen ν µ, falls fur jedes A ∈ Fgilt
µ(A) = 0 ⇒ ν(A) = 0.
(b) µ und ν sind aquivalent, in Zeichen µ ≈ ν, wenn gilt:
ν µ und µ ν.
Definition A.8 Ist f : (Ω,F , µ) → (R+,B(R+)) eine nicht-negative nume-rische Zufallsvariable, so heißt
ν(A) :=
∫A
fdµ
das Maß mit der Dichte f bezuglich µ.Wir schreiben f = dν
dµ .
Fragestellung. Seien zwei beliebige Maße µ und ν gegeben. Existiert danndie Dichte dν
dµ?
Theorem A.9 (Satz von Radon-Nikodym) Seien µ und ν zwei Maße auf Fin einer Menge Ω. Ist µ σ-endlich, d.h. es existiert eine Folge(An)n∈N ∈ F mit
⋃i∈N
Ai = Ω und µ(Ai) < ∞ fur alle i ∈ N. Dann sind
folgende Aussagen aquivalent:
(a) ν besitzt eine Dichte bezuglich µ.
(b) ν ist absolut stetig bezuglich µ.
Bemerkung A.10(a) Nach Definition ist dν
dµ ≥ 0.
(b) Jedes Wahrscheinlichkeitsmaß P ist σ-endlich.
Bemerkung A.11 Es gilt:
dν
dµ> 0 µ− f.s. ⇔ µ ≈ ν.
122 A Appendix A
Beispiel A.121. Sei λ das Lebesgue-Maß auf (R,B(R)).
i) Die Dichte
Φµ,σ(x) =dΦ
dλ=
1√2πσ2
e−(x−µ)2
2σ2 , µ ∈ R, σ > 0
definiert ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf (R,B(R)), die sogenannteNormalverteilung N (µ, σ2) mit Erwartungswert µ und Varianz σ2.
ii) Die Dichte
γp,b(x) =dγ
dλ(x) :=
bp
Γ (p)xp−1e−bx x ≥ 0
0 x < 0,
wobei Γ (p) =
∞∫0
tp−1e−tdt,
definiert ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf (R,B(R)) bzw. (R+,B(R+)),die sogenannte Gammaverteilung Γ (p, q).Ein Spezialfall der Gammaverteilung,
γ1,b(x) =
be−bx x ≥ 00 x < 0
,
definiert die Exponentialverteilung Exp(b).
iii)
β[a,b]p,q (x) =
dβ
dλ=
1
B(a, b, p, q)(x− a)p−1(b− x)q−11[a,b](x)
definiert ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf ([a, b],B([a, b])), die sogenann-te Betaverteilung B[a,b](p, q).
Bemerkung A.13 Da das Lebesgue-Maß λ σ-endlich ist, sind alle so defi-nierten Wahrscheinlichkeitsmaße absolutstetig bezuglich λ (Radon-Nikodym).
2. Sei P ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf (Ω,F) und φ ∈ L1(Ω,F ,P), d.h.E[|φ|] <∞ mit φ > 0. Dann definiert
dQ
dP=
φ
E[φ]
ein zu P aquivalentes Wahrscheinlichkeitsmaß Q.
A.1 Grundlagen der Wahrscheinlichkeitstheorie 123
3. Sind P und Q zwei aquivalente Wahrscheinlichkeitsmaße auf (Ω,F), wobeiF = σ(A1, . . . , An) mit Ai ∩Aj = ∅ fur i 6= j und P(Ai) > 0,
sowie Ω =n⋃i=1
Ai, dann gilt:
dQ
dP=
n∑i=1
Q(Ai)
P(Ai)1Ai .
Beweis: Unter Berucksichtigung des folgenden Lemmas: ut
Lemma A.14 Sei (Ω,F) ein Messraum, wobei F = σ(A1, . . . , An) mitAi ∩Aj = ∅ fur alle i 6= j . Dann ist jede F-messbare Zufallsvariable auf den
Ereignissen Ai konstant, d.h. Z =n∑i=1
ci1Ai .
Beweis: Angenommen Z habe zwei Werte a, b , a 6= b auf Ai. Dann ware
A := Z = a,Ai = Z−1(a)︸ ︷︷ ︸∈F
∩ Ai︸︷︷︸∈F
∈ F .
Allerdings gilt∅ ( A ( Ai,
also kann A nicht durch A1, . . . , An erzeugt sein. Damit gilt A /∈ F , was einWiderspruch zu unserer Annahme ist. ut
A.1.4 Die bedingte Erwartung
Oft stehen uns nur Teilinformationen uber den Ausgang eines Experimen-tes (Zufallsvariable) X zur Verfugung. Der Begriff der bedingten Erwartungversucht, eine ”moglichst gute“ Approximation an den nicht beobachtbarenWert X(ω) zu finden, wenn nur Teilinformationen uber ω ∈ Ω zur Verfugungstehen.
Definition A.15 Sei X ∈ L1(Ω,F ,P) und G ⊂ F eine Unter-σ-Algebra.Eine Zufallsvariable X : Ω → R heißt bedingte Erwartung von X gegeben G,falls
(a) X G-messbar ist,
(b) fur alle A ∈ G gilt E[X1A] = E[X1A].
Wir schreiben X = EP[X|G].
Bemerkung A.16 X ist nur P−f.s. eindeutig bestimmt. Aussagen uber diebedingte Erwartung sollten deshalb stets das Attribut ”P− f.s.“ tragen.
124 A Appendix A
Lemma A.17 (Eigenschaften der bedingten Erwartung)
(a) EP[X|G] ist integrierbar.
(b) X ≥ 0 ⇒ EP[X|G] ≥ 0 P− f.s..
(c) X ist G-messbar ⇒ EP[X|G] = X P− f.s..
(d) E[X|∅, Ω] = EP[X] P− f.s..
(e) EP[EP[X|G]] = EP[X] P− f.s..
(f) Sei A ⊂ G ein weitere Unter-σ-Algebra von F , dann gilt
EP[EP[X|G]|A] = EP[X|A] P− f.s..
Beweis: Hausaufgabe. ut
Beispiel A.18 Sei G = σ(A1, . . . , An), wobei Ai ∩Aj = ∅,
P(Ai) > 0 und Ω =n⋃i=1
Ai, dann gilt:
EP[X|G] =
n∑i=1
EP[Xi1Ai ]
P(Ai)1Ai
=
n∑i=1
EP[X|Ai]1Ai =
n∑i=1
EP[·|Ai][X]1Ai P− f.s..
Spezialfall: Sei S eine Zufallsvariable die nur endlich viele Werte s1, . . . , snmit positiver Wahrscheinlichkeit annimmt. Dann ist
σ(S) = σ(S = s1, . . . , S = sn)
und somit
EP[X|S] := EP[X|σ(S)] =
n∑i=1
EP[X1S=si]
P(S = si)1S=si.
Lemma A.19 (Weitere Eigenschaften der bedingten Erwartung)
(a) EP[·|G] : L1(Ω,F ,P)→ L1(Ω,F ,P) ist wohldefiniert und linear.
(b) Seien X,Y ∈ L1(Ω,F ,P), dann gilt
X ≤ Y P− f.s.⇒ ∀ G ⊂ F : E[X|G] ≤ E[Y |G] P− f.s..
A.2 Martingale 125
(c) Sei X ∈ L1(Ω,F ,P) und X · Y ∈ L1(Ω,F ,P), wobei Y eine G-messbareZufallsvariable ist. Dann gilt
E[XY |G] = Y E[X|G] P− f.s..
(d) Ist X unabhangig von G, dann gilt
E[X|G] = E[X] P− f.s..
(e) (Jensensche Ungleichung)Fur f : R→ R konvex mit E[|f(X)|] <∞ gilt
E[f(X)|G] ≥ f(E[X|G]) P− f.s..
(Merkregel: 0 ≤ Var(X) = E[X2]− E[X]2f(x)=x2
=⇒ f(E[X]) ≤ E[f(X)])
(f) (Monotone Konvergenz)Sei X ∈ L1(Ω,F ,P), (Xn)n∈N eine Folge von Zufallsvariablen mitXn ≥ 0, so dass Xn
n→∞X, dann gilt
limn→∞
E[Xn|G] = E[ limn→∞
Xn|G] = E[X|G] P− f.s..
(g) (Dominierte Konvergenz)Sei (Xn)n∈N eine Folge von Zufallsvariablen, X eine Zufallsvariable mitXn → X P− f.s.. Falls ein Z ∈ L1(Ω,F ,P) existiert, so dass |Xn| ≤ Zfur alle n ∈ N, dann gilt
limn→∞
E[Xn|G] = E[ limn→∞
Xn|G] = E[X|G] P− f.s.
Beweis: Hausaufgabe. ut
A.2 Martingale
Martingale sind Formulierungen fairer”Gluckspiele “. Um sie zu definieren,
benotigen wir eine Formalisierung des wachsenden Informationsstandes:
Definition A.20 Eine Filtration F = (Fn)n=0,1,... ist eine Familie von σ-Algebren, fur die gilt Fn ⊆ Fn+1 ⊆ F , fur alle n ∈ N.
Definition A.21 Sei F = (Ft)t=0,1,... eine Filtration auf (Ω,F ,P). Ein sto-chastischer Prozess ist eine Familie X = (Xi)i=0,1,... von Zufallsvariablen. Xheißt:
(i) vorhersehbar, falls Xn Fn−1-messbar ist, fur alle n ≥ 1.
126 A Appendix A
(ii) adaptiert, falls Xn Fn-messbar ist, fur alle n ≥ 0.
(iii) integrierbar, falls Xn ∈ L1(Ω,F ,P), fur alle n ≥ 0.
Definition A.22 Sei F eine Filtration auf (Ω,F ,P) Ein integrierbarer F-adaptierter stochastischer Prozess X = (Xn)n=0,1,... heißt:
(i) Martingal, falls fur n,m ∈ 0, 1, . . ., n ≤ m gilt:
E[Xm | Fn] = Xn P− f.s..
(ii) Supermartingal, falls fur n,m ∈ 0, 1, . . ., n ≤ m gilt:
E[Xm | Fn] ≤ Xn P− f.s..
(iii) Submartingal, falls fur n,m ∈ 0, 1, . . ., n ≤ m gilt:
E[Xm | Fn] ≥ Xn P− f.s..
A.3 Konvergenz von zufalligen Folgen
Sei (Xn)n∈N eine Folge von reell-wertigen Zufallsvariablen auf (Ω,F ,P) undX eine weitere Zufallsvariable.
Definition A.23
(a) (Xn)n∈N konvergiert gegen X fast sicher, falls
P( limn→∞
Xn = X) = 1.
Wir schreiben: Xnf.s.−→ X, n ∈ N.
(b) (Xn)n∈N konvergiert stochastisch oder in Wahrscheinlichkeit gegen X,falls
fur alle ε > 0, limn→∞
P(|Xn −X| ≥ ε) = 0.
Wir schreiben: XnP−→ X, n ∈ N.
(c) Seien nun Xn, X ∈ Lp(Ω,F ,P) fur ein p ≥ 1, n ∈ N. (Xn)n∈N konver-giert in Lp gegen X, falls
limn→∞
||Xn −X||p := limn→∞
E[|Xn −X|p]1p = 0.
Wir schreiben: XnLp−→ X, n ∈ N.
A.3 Konvergenz von zufalligen Folgen 127
(d) Sei Fn(c) := P(Xn ≤ c) die Verteilungsfunktion von Xn und F (c) :=P(X ≤ c) die Verteilungsfunktion von X. (Xn)n∈N konvergiert in Vertei-lung gegen X falls
limn→∞
Fn(c) = F (c), fur alle c ∈ C(F ),
wobei C(F ) die Menge aller Stetigkeitsstellen von F ist. Wir schreiben:
XnD−→ X, n ∈ N.
Es gelten die folgenden Zusammenhange:
Bemerkung A.24
(i) Eine Menge Xn | n ∈ N von Zufallsvariablen auf (Ω,F ,P) heißtgleichgradig P-integrierbar, falls fur alle ε > 0 ein c = c(ε) > 0 existiert,so dass gilt: ∫
|Xn|≥c|Xn| dP ≤ ε, fur alle n ∈ N. (A.1)
Dies ist aquivalent zu
limn→∞
E[|Xn|1|Xn|≥c] = 0.
(ii) Sei (Xn)n∈N eine Folge von Zufallsvariablen in Lp(Ω,F ,P), 1 ≤ p <∞und X eine Zufallsvariable, so dass
XnP−→ X, n ∈ N.
Dann sind aquivalent:
128 A Appendix A
a) |Xn|p | n ∈ N ist gleichgradig integrierbar.
b) X ∈ Lp(Ω,F ,P) und XnLp−→ X.
B
Appendix B
B.1 Geometrische Charakterisierung von arbitragefreienMarktmodellen
B.1.1 Grundlagen
Im Beweis des Theorems 1.9. (FTAP) der Vorlesung haben wir insbesonderegezeigt, dass ein Marktmodell genau dann arbitragefrei ist, wenn der Null-punkt 0 ∈ Rd in der Menge
Mb(Y,P) :=
EQ[Y ] | Q ≈ P, dQ
dPist beschrankt, EQ[Y ] <∞
enthalten ist. Dabei ist Y = (Y 1, . . . , Y d) der Zufallsvektor der diskontiertenNettoertrage
Y i =Si
1 + r− πi.
Die Menge Mb(Y,P) und M(Y,P) := EQ[Y ] | Q ≈ P, EQ[Y ] <∞ lassensich auch geometrisch charakterisieren. Dazu betrachten wir die VerteilungPY von Y unter P. PY ist also ein (Borelsches) Maß auf (Rd,B(Rd)). Inden folgenden Definitionen und Beweisen wollen wir mit (Borel-) Maßen auf(Rd,B(Rd)) arbeiten. Dazu gilt zunachst:
Lemma B.1 Es gilt:
Mb(Y,P) = Mb(PY ) :=
=
∫y ν(dy) | ν ≈ PY ,
dν
dPYbeschrankt,
∫|y| ν(dy) <∞
und
M(Y,P) = M(PY ) :=
∫y ν(dy) | ν ≈ PY ,
∫|y| ν(dy) <∞
.
130 B Appendix B
Beweis: Sei ν ≈ PY ein Borelmaß auf (Rd,B(Rd)). Dann definiert die DichtedνdPY
angewandt auf den Vektor Y ein Maß Q ≈ P auf (Ω,F):
dQ
dP(ω) :=
dν
dPY(Y (ω)).
Offensichtlich gilt EQ[Y ] =∫y ν(dy), also M(PY ) ⊆M(Y,P) und Mb(PY ) ⊆
Mb(Y,P).Sei anderseits Q ≈ P auf (Ω,F). Dann gilt fur A ∈ B(Rd):
0 = PY (A)
=
∫1Y ∈A dP
=
∫1Y ∈A︸ ︷︷ ︸≥0
dP
dQ︸︷︷︸>0
1
dQ. (B.1)
Offensichtlich gilt (B.1) genau dann, wenn
1Y ∈A = 0, Q− f.s.,
d.h. Q(Y ∈ A) = QY (A) = 0.Also sind PY undQY aquivalent, und somitM(Y,P) ⊆M(PY ) undMb(Y,P) ⊆Mb(PY ), da offensichtlich EQ[Y ] =
∫y dQY (y) gilt. ut
Definition B.2
(a) Der Trager supp eines Borelschen Wahrscheinlichkeitsmaßes auf (Rd,B(Rd))ist die kleinste abgeschlossene Menge A ⊂ Rd, so dass µ(Ac) = 0:
suppµ =⋂A ∈ B(Rd) | A abgeschlossen, µ(A) = 1.
Fur µ = PY gilt außerdem die Charakterisierung:
suppPY = x ∈ Rd | fur alle ε > 0, P(||Y − x|| ≤ ε) > 0.
(b) Die konvexe Hulle conv des Tragers eines Borelmaßes auf (Rd,B(Rd))ist gegeben durch:
conv suppµ :=
n∑k=1
αkyk | αk ≥ 0,
n∑k=0
αk = 1, yk ∈ suppµ, n ∈ N
.
1 siehe Ubungsblatt 1, Aufgabe 2.
B.1 Geometrische Charakterisierung von arbitragefreien Marktmodellen 131
Beispiel B.3 Sei d = 1. Wir betrachten das Maß µ = 12 (δ−1 + δ1), wo-
bei δx das Dirac-Maß2 ist. Dann ist offensichtlich suppµ = −1, 1 undconv suppµ = [−1, 1].
Bemerkung B.4 Ein Maß ν ist aquivalent zu µ (aus Beispiel B.3) genaudann, wenn ν = αδ−1 + (1− α)δ1 fur ein α ∈ (0, 1). Also gilt:
Mb(µ) =
∫y dν | ν ≈ µ, dν
dµbeschrankt,
∫|y| ν(dy) <∞
=
x ∈ Rd | x Schwerpunkt von ν, ν ≈ µ, dν
dµbeschrankt,
∫|y| ν(dy) <∞
= (−1, 1)
Dies liefert die korrekte Intuition der allgemein geltenden Inklusionen:
Mb(µ) ⊆M(µ) ⊆ conv suppµ.
Es wird sich herausstellen, dass die erste Inklusion in Wahrheit eine Gleichkeitdie zweite Inklusion dagegen fur gewohnlich strikt ist.
Definition B.5 Das relative Innere ri einer konvexen Menge C ⊂ Rd ist dieMenge aller Punkte x ∈ C, so dass
fur alle y ∈ C existiert ε > 0 mit x− ε(y − x) ∈ C.
Wir schreiben ri(C).
Bemerkung B.6
(i) Das topologische Innere int beispielweise einer Kreisscheibe K in R3 istleer, denn int ist definiert als die Punkte in K, fur die eine offene Um-gebung U von Punkten in R3 existiert, so dass U ganz in K enthalten ist.
(ii) Ist das topologische Innere intC einer konvexen Menge nicht leer, so giltintC = riC.
(iii) Fur unsere Theorie von Finanzmarkten ist (ii) insbesondere dann erfullt,wenn die einzelnen Assets nicht-redundant sind (Annahme 1.8.).
Nun sind wir bereit fur das entscheidende Theorem:
Theorem B.7 Es gilt:
Mb(PY ) = M(PY ) = ri conv suppPY .
2 δx(A) :=
1, falls x ∈ A0, falls x 6∈ A
132 B Appendix B
Beweis: Siehe Theorem 1.49. (H. Follmer, A. Schied: Stochastic Finance, 3rdEdition). ut
Bemerkung B.8 Nach dem Theorem 1.10 (FTAP) der Vorlesung ist einMarkt also genau dann arbitragefrei, wenn
0 ∈ ri conv suppPY .
Dies ist naturlich aquivalent zu
π ∈ ri conv suppPX .
B.1.2 Anwendung
Das Theorem B.7. ist insbesondere hilfreich, wenn wir die Menge der arbi-tragefreien Preise eines Claims/Derivats C auf ein oder mehrere Wertpapierebestimmen wollen. Wir betrachten dazu den um C erweiterten Markt, be-stimmen PX , ri conv suppPX und finden anschließend πC in Abhangigkeitvon den gegebenene Ausgangspreisen πi, i = 1, . . . , d.
Beispiel B.9 Gegeben sei ein Marktmodell mit r = 0, einer Aktie S1 mitπi = 2 und PS1 = 1
3 (δ1 + δ2 + δ3). Wir fuhren ein Derivat auf S1 der FormS2 := (S1 − 1.5)+ = maxS1 − 1.5, 0 ein. Wegen PS1 = 1
3 (δ1 + δ2 + δ3) giltPS2 = 1
3 (δ0 + δ0.5 + δ1.5).
Also konnen wir suppP(X1,X2)r=0= suppP(S1,S2) in ein Koordinaten-System
eintragen.
B.1 Geometrische Charakterisierung von arbitragefreien Marktmodellen 133
Es folgt, ΠS2
= (0.5, 0.75).
Diese Vorgehensweise ist in einperiodigen Marktmodellen mit deterministi-schen Anfangsbedingungen oft hilfreich, vor allem wenn beispielsweise S1 ste-tig verteilt ist.
C
Appendix C
C.1 Grundlagen der Funktionalanalysis
C.1.1 Normierte Vektorraume, Banachraume, Hilbertraume
Definition C.1 Sei X ein K-Vektorraum. Eine Abbildung p : X → [0,∞)heißt Halbnorm, falls
(i) p(λx) = λp(x), fur alle λ ∈ K, x ∈ X,(ii) p(x+ y) ≤ p(x) + p(y), fur alle x, y ∈ X (Dreiecksungleichung).
Gilt zusatzlich(iii) p(x) = 0 ⇒ x = 0,dann heißt p eine Norm. Wir schreiben p = ‖ · ‖.
Bemerkung C.2 Auf einen normierten Raum (X, ‖ · ‖) wird in naturlicherWeise eine Metrik d : X ×X → [0,+∞) induziert, durch
d(x, y) = ‖x− y‖ fur alle x, y ∈ X.
Definition C.3 Ein metrischer Raum, in dem jede Cauchy-Folge konvergiertheißt vollstandig. Ein vollstandiger normierter Raum heißt Banachraum.
Definition C.4 Ein normierter Raum (X, ‖ · ‖) heißt Prahilbertraum, wennes ein Skalarprodukt 〈·, ·〉 auf X ×X mit
√〈x, x〉 = ‖x‖ fur alle x ∈ X gibt.
Ein vollstandiger Prahilbertraum heißt Hilbertraum.
Definition C.5 Der Raum L(X,K) der stetigen linearen Funktionale auf ei-nem normiertern Raum X heißt (topologischer) Dualraum von X und wirdoft mit X∗ bezeichnet.
136 C Appendix C
C.1.2 Beispiele normierter Vektorraume, Banachraume,Hilbertraume
Beispiel C.6 Der (endlich-dimensionale) R-Vektorraum Rn, n ≥ 1 ist mitdem euklidischen Skalarprodukt ein Hilbertraum. Sein Dualraum (Rn)∗ istRn selbst, genauer gilt Rn ∼= (Rn)∗, d.h. es existiert ein isometrischer Isomor-phismus T : Rn → (Rn)∗ mit
(Ta)(x) = 〈a, x〉,
d.h. fur alle x′ ∈ (Rn)∗ existiert ein a ∈ Rn so dass
x′(x) = 〈a, x〉 =n∑i=1
aixi fur alle x ∈ Rn.
Die Lp-Raume
Sei (Ω,F ,P) ein Wahrscheinlichkeitsraum. Wir definieren die Raume Lp(Ω,F ,P)wie folgt:
Definition C.7
(i) Fur p ∈ (0,∞] sei Lp(Ω,F ,P) der Raum aller R-wertigen F-messbarenZufallsvariablen auf (Ω,F ,P), so dass ‖Z‖p <∞. Dabei ist
‖Z‖p :=
E[|Z|p]1/p , falls 0 < p <∞infc ≥ 0 | P(|Z| > c) = 0, falls p =∞.
(ii) Der Raum L0(Ω,F ,P) sei der Raum aller P-f.s. endlichen Zufallsva-riablen.
Definition C.8 Fur p ∈ [0,∞] erhalt man den Raum Lp(Ω,F ,P) ausLp(Ω,F ,P) indem man alle Zufallsvariablen miteinander identifiziert, die P-f.s. gleich sind. D.h. der Raum Lp(Ω,F ,P) besteht aus allen Aquivalenzklassenbezuglich der Aquivalenzrelation
Z ∼ Z ⇔ Z = Z P− f.s.
fur Z, Z,∈ Lp(Ω,F ,P).
Lemma C.9 Die Raume Lp(Ω,F ,P) sind fur p ∈ [1,∞] Banachraume.
Lemma C.10 Der Raum L0 ist kein normierter Raum, jedoch metrisierbardurch die Metrik
d(X,Y ) := E[|X − Y | ∧ 1] X,Y,∈ L0.
C.1 Grundlagen der Funktionalanalysis 137
Lemma C.11 Fur p ∈ [1,∞) und q so dass 1p + 1
q = 1 ist der Dualraum
(Lp)∗ gleich Lq, genauer gilt Lq ∼= (Lp)∗, d.h. es existiert ein isometrischerIsomorphismus T : Lq(Ω,F ,P)→ (Lp(Ω,F ,P))∗ gegeben durch
(TZ)(X) := E[ZX] Z ∈ Lq, X ∈ Lp,
d.h. insbesondere, dass fur jede stetige, lineare Abbildung X ′ : Lp(Ω,F ,P)→R genau ein Z ∈ Lq(Ω,F ,P) existiert, so dass
X ′(X) = E[XZ].
Lemma C.12 L2(Ω,F ,P) ist mit dem Skalarprodukt
〈X,Y 〉 := E[XY ]
ein Hilbertraum.
Definition C.13 Eine Abbildung µ : F → R heißt endlich additives signier-tes Maß, falls
1. µ(∅) = 0,2. Fur paarweise disjunkte Mengen A1, . . . , An ∈ F gilt
µ
(n⋃i=1
Ai
)=
n∑i=1
µ(Ai) (endlich additiv).
Nimmt µ nur nicht negative Werte an, so heißt µ ein endlich additives Maß.Die totale Variation ‖µ‖var eines endlich additiven signierten Maßes ist ge-geben durch
‖µ‖var := sup
n∑i=1
µ(Ai) | A1, . . . , An ∈ F , Ai ∩Aj = ∅, fur i 6= j, n ∈ N
.
Sei
bas(P) :=µ : F → R | µ ist ein endlich additives signiertes Maß mit
‖µ‖var <∞ und P(A) ⇒ µ(A) = 0.
Lemma C.14 Der Dualraum von L∞(Ω,F ,P) ist der Raum bas(P) der end-lich additiven signierten Maße µ P, genauer gilt bas(P) ∼= (L∞)∗, d.h. esexistiert ein isometrischer Isomorphismus von bas(P) nach (L∞(Ω,F ,P))∗.
C.1.3 Trennung in endlichdimensionalen Vektorraumen
Theorem C.15 Sei V ein endlichdimensionaler Vektorraum, C ⊆ V konvexund nichtleer mit 0 /∈ C. Dann gibt es ein h ∈ V ∗ mit h (C) ⊆ [0,∞) undh (C) 6= 0.
138 C Appendix C
Beweis: Der Beweis erfolgt uber Induktion nach der Dimension von V .
O.B.d.A. gelte V = R. Dann ist C ⊆ (0,∞) oder C ⊆ (−∞, 0) (insbeson-dere ist C ein Intervall). Ist C ⊆ (0,∞), dann wahle h (x) := x, x ∈ R. IstC ⊆ (−∞, 0), dann wahle h (x) := −x, x ∈ R.Induktionsschluss n→ n+ 1: Sei dim (V ) = n+ 1.Sei H ein Hyperraum (dim (H) = n), der C schneidet, d.h. C0 = C ∩H 6= ∅.Dann ist C0 konvex. Nach der Induktionsvoraussetzung existiert ein h ∈ H∗mit h (C0) ⊆ [0,∞) und h (C0) 6= 0.Idee: Setze h geeignet auf V fort. Sei dazu x ∈ V \H und seienpH : V → H, t : V → R die dazugehorigen Projektionen, d.h.
y = t (y) x+ pH (y) fur alle y ∈ V.
C+ := v ∈ C|t (v) > 0 , C− := v ∈ C|t (v) < 0 , C0 := v ∈ C|t (v) = 0 .
Wir behaupten, dass ∀v+ ∈ C+, v− ∈ C−
h (pH (v+))
t (v+)≥ h (pH (v−))
t (v−)(∗)
gilt. Angenommen (∗) gilt, dann betrachten wir die folgenden Falle:
1.Fall: C+ = C− = ∅: Setze h irgendwie zu einem Vektorraum h ∈ V ∗ fort.2. Fall: C = C0 ∪ C−, d.h. C+ = ∅. In diesem Fall ist h(v) = −t(v), v ∈ V ,eine geeignete Fortsetzung.3. Fall: C = C0 ∪ C+, d.h. C− = ∅. In diesem Fall ist h (v) = t (v), v ∈ V ,eine geeignete Fortsetzung.4. Fall: C+, C− 6= ∅. Laut (∗) gibt es r ∈ R, so dass
supv−∈C−h(pH(v−))t(v−) ≤ r ≤ infv+∈C+
h(pH(v+))t(v+) (∗∗)
Sei nun h (v) := h (pH (v))− r · t (v).Dann leistet h ∈ V ∗ das Gewunschte, denn
(i) h (C) 6= 0 folgt sofort, da h (C0) 6= 0 nach I.V.(ii) h (C) ⊆ [0,∞).
(a) v ∈ C0 ⇒ h (v) = h
v︷ ︸︸ ︷(pH (v))︸ ︷︷ ︸≥0 (I.V.)
+0 ≥ 0
(b) v ∈ C− ⇒ h (v−) = h (pH (v−))− r · t (v−) ≥ 0 nach (∗∗)(c) v ∈ C+ ⇒ h (v+) = h (pH (v+))− r · t (v+) ≥ 0 nach (∗∗).
Also leistet h das Gewunschte.Es bleibt zu zeigen, dass fur alle v− ∈ C−, v+ ∈ C+
h (pH (v−))
t (v−)≤ h (pH (v+))
t (v+)
C.1 Grundlagen der Funktionalanalysis 139
gilt. Wahle v+ ∈ C+, v− ∈ C− und suche λ, so dass λ · v+ + (1− λ) v− =:w ∈ H.
D.h. t (w) = 0 genau dann, wenn λt (v+) + (1− λ) t (v−) = 0
Das gilt genau denn, wenn
λ [t (v+)− t (v−)] + t (v−) = 0,
das heißt,
λ =−t (v−)
t (v+)− t (v−)=
|t (v−) |t (v+) + |t (v−) |
∈ (0, 1) .
Daraus folgt:
1− λ =t (v+)
t (v+) + |t (v−) |.
Aus der Konvexitat von C folgt nun, dass w ∈ C0.
Somit gilt
0 ≤ h (w) = h (pH (w))
= h
[pH
(−t (v−)
t (v+)− t (v−)v+ +
t (v+)
t (v+)− t (v−)v−
)]= − t (v−)
t (v+)− t (v−)h (pH (v+)) +
t (v+)
t (v+)− t (v−)h (pH (v−)) .
Andererseits, falls
t (v−) h (pH (v+)) ≤ t (v+) h (pH (v−)) ,
gilt, dann folgt
h (pH (v−))
t (v−)≤ h (pH (v+))
t (v+).
ut
Bemerkung C.16
(a) Im Beweis des FTAP war V = Rd, V ∗ ∼= Rd (siehe Beispiel C.6), d.h.h (·) = 〈ξ, ·〉 fur ein geeignetes ξ ∈ Rd.
(b) Geometrisch bedeutet Satz U 3.1.1., dass ein ξ ∈ Rd existiert, so dass Ckomplett auf der Seite”F+ =
x ∈ Rd| 〈ξ, x〉 ≥ 0
, der von ξ aufgespann-
ten Hyperflache F =x ∈ Rd| 〈ξ, x〉 = 0
liegt, aber nicht vollstandig in
F .
Erinnerung Appendix B.:
C = Mb (PY ) = ri conv supp PY . In den Ubungsaufgaben zeichnen wirsuppPX . Naturlich gilt:
suppPY = suppPX − π.
140 C Appendix C
C.1.4 Trennungssatze von Hahn-Banach
Problem: Im Grundmodell des ersten Kapitels der Vorlesung werden die Prei-se π =
(π1, . . . , πd
)als Konstanten angenommen. Um im Folgenden Preiss-
trukturen besser modellieren zu konnen, muss man die Definitionen/Konzepteerweitern. Als SZwischenschrittßur Betrachtung mehrperiodiger Marktmodel-le kann deshalb zunachst ein Marktmodell mit stochastischen Preisen/Anfangsbedingungenbeschrieben werden. Hierbei sind die Preise S0 =
(S1
0 , . . . , Sd0
)F0-messbare
Zufallsvariablen, wobei F0 ⊂ F eine Unter-σ-Algebra sei, die den Informati-onsgehalt zum Zeitpunkt t = 0 beschreibt.
Auch in diesem Modell existiert ein Fundamental Theorem of Asset Pricing(FTAP), wobei man im Beweis mit der Menge
C = EQ [Y | F0] | Q ≈ P, EQ [||Y ||] <∞ ⊂ L0 (Ω,F0,P)
arbeitet. L0 (Ω,F0,P) ist jedoch kein endlichdimensionaler Vektorraum.
Also muss das Konzept der ”Trennung”verallgemeinert werden.
Theorem C.17 (Fortsetzunssatz von Hahn-Banach)Sei V ein R-Vektorraum und p : V → R eine sublineare Abbildung, d.h.
(a) fur alle v ∈ V, t ≥ 0 gilt p (tv) = tp (v).(b) fur alle v, w ∈ V gilt p (v + w) ≤ p (v) + p (w).
C.1 Grundlagen der Funktionalanalysis 141
Sei außerdem W ein Unterraum von V und f : W → R linear mitf (w) ≤ p (w), fur alle w ∈ W . Dann existiert eine lineare AbbildungF : V → R mit F |W = f und F (v) ≤ p (v) fur alle v ∈ V .
Beweis: Wir betrachten die folgende Menge:
M :=(U, g) |W ⊂ U ⊂ V, U Unterraum, g : U → R linear, g|W = f,
g (u) ≤ p (u) ∀u ∈ U
Es gilt:
(i) M 6= ∅, da (W, f) ∈M(ii) Wir definieren folgende Ordnung auf M :
(U, g) ≤ (U ′, g′)⇔ U ⊂ U ′ und g′|U = g.Dann hat jede Kette in M bzgl. der obigen Ordnung eine obere Schranke:Sei (Ui, gi)i∈I eine solche Kette.Dann sei U :=
⋃i∈I Ui und g : U → R gegeben durch g (u) = gi (u) fur
ein i mit u ∈ Ui. (U, g) ist eine obere Schranke von (Ui, gi)i∈I .
Laut dem Zornschen Lemma gibt es ein maximales Element(U , g
)in
M (d.h. es gibt kein i, so dass (Ui, gi) >(U , g
)).
Es bleibt zu zeigen: U = V . Angenommen, es existiert x ∈ V \ U , daa
konstruieren wir ein h : U := lin(U , x
)→ R1 linear mit h|U = g und
h (v) ≤ p (v) , fur alle v ∈ U . Dann ist(U , h
)∈M und
(U , h
)≥(U , g
),
was aber ein Widerspruch ist.Jedes u ∈ U lasst sich schreiben als u = u+ λx fur u ∈ U und λ ∈ R.Ansatz zur Konstruktion von h:h (u) := g (u) + r ·λ (bleibt fur jedes r eine lineare Abbildung auf U) furein geeignetes r.Ziel: Finde r so, dass h (u) ≤ p (u) , fur alle u ∈ U .1. Fall: Falls λ > 0, gilt
g (u) + r · λ ≤ p (u+ λx) .
genau dann, wenn
r ≤ p (u)− g (u)
λ= p
(u+ λx
λ
)−g(uλ
)= p
(uλ− x)−g(uλ
), fur alle u ∈ U ,
d.h. wennr ≤ p (u+ x)− g (u) , fur alle u ∈ U .
Daraus folgt:r ≤ inf
u∈Up (u+ x)− g (u) .
1 Mit lin (·, ·) bezeichnen wir die lineare Hulle.
142 C Appendix C
Fur den 2. Fall, wenn λ < 0 gilt analog:
g (u) + rλ ≤ p (u+ λx) ,
und somit:
r ≥ 1
λ(p (u+ λx)− g (u))
= − 1
|λ|(p (u+ λx)− g (u))
= g
(u
|λ|
)− p
(u
|λ|− x),
fur alle u ∈ U , also
r ≥ supu∈U
(g (u)− p (u− x)) .
Es bleibt zu zeigen, dass:
supu∈U
(g (u)− p (u− x)) ≤ infv∈U
p (v + x)− g (v) , (C.1)
denn dann wahle
r ∈[supu∈U (g (u)− p (u− x)) , infv∈U (p (v + x)− g (v))
]und es folgt die Behauptung.Zu (C.1): Sei u, v ∈ U , dann gilt
g (v + u) = g (v) + g (u) ≤ p∈U︷ ︸︸ ︷
(v + u)
= p (v + u+ x− x) ≤ p (v + x) + p (u− x) ,
genau dann, wenn
g (u)− p (u− x) ≤ p (v + x)− g (v) .
ut
Theorem C.18 (Trennungssatz von Hahn-Banach, Version 1)Sei (V, || · ||) ein normierter Vektorraum, C ⊆ V eine offene, konvexe Mengemit 0 ∈ C und u ∈ CC = V \C. Dann gibt es ein stetiges, lineares FunktionalF : V → R, also F ∈ V ∗, mit F (v) < F (u), fur alle v ∈ C.
Beweis: Wir betrachten das Minkowski-Funktional
p (x) = infλ > 0 | x
λ∈ C
, x ∈ V, p (0) = 0
und zeigen, dass p sublinear ist:
C.1 Grundlagen der Funktionalanalysis 143
(i) Fur alle t > 0, x ∈ V : p (tx) = infλ > 0 : txλ ∈ C
= t ·
infλ > 0 : xλ ∈ C
= tp (x)
(ii) Seien x, y ∈ V \ 0, α, β > 0 mit xα ∈ C,
yβ ∈ C.
Da C konvex ist, gilt:
x+ y
α+ β=
α
α+ β· xα
+β
α+ β· yβ∈ C,
das heißtλ > 0,
x+ y
λ∈ C
⊇α > 0 :
x
α∈ C
+
β > 0 :
y
β∈ C
.
Folglich giltp (x+ y) ≤ p (x) + p (y) .
Sei U := lin (u) = λu|λ ∈ R und f : U → R, f (λu) = λf (u), λ ∈ R.Dann gilt f (u) ≤ p (u) fur alle u ∈ U . Also sind die Voraussetzungen desTheorems C.17 erfullt. Somit existiert ein lineares Funktional F : V → Rmit F |U = f und F (v) ≤ p (v) ∀v ∈ V . Es gilt fur alle v ∈ C:
F (v) ≤ p (v) ≤ 1 ≤ p (u) = F (u) (∗)
Da C offen ist, gibt es zu jedem v ∈ C ein ε > 0 mit (1 + ε) v ∈ C. Alsogilt fur (1 + ε) v auch
F (v) ≤ 1
1 + εF (u) < F (u) .
Es bleibt zu zeigen, dass F stetig ist. Da F linear ist, genugt es, dieStetigkeit in 0 zu zeigen.
Sei ε > 0, (xn)n∈N eine Nullfolge in V und n0 ∈ N so, dass ∀n ≥ n0:xn ∈ ε · C. Dann gilt
|F (xn) | ≤ p (xn) ≤ ε.
ut
Korollar C.19 (Trennungssatz, Version 2)Sei (V, || · ||) ein normierter Vektorraum, C ⊂ V konvex und offen. ∅ 6= K ⊂ Vkonvex mit C ∩K = ∅. Dann gibt es ein stetiges, lineares Funktional F : V →R, also F ∈ V ∗, mit F (x) > F (y), fur alle x ∈ K, y ∈ C.
Beweis: Sei U := C − K − a + b, fur ein a ∈ C, b ∈ K. Dann ist 0 ∈U, (a− b− a+ b = 0), und U ist offen und konvex. Außerdem ist b − a /∈ U(sonst ware C ∩K 6= ∅, denn fur c ∈ C, k ∈ K mit c− k− a+ b = b− a warec = k, was aber ein Widerspruch ist). Mit u = b−a konnen wir also Theorem
144 C Appendix C
C.18 anwenden und erhalten ein stetiges lineares Funktional F : V → R mitF (v) < F (u) , ∀v ∈ U . Also gilt fur y ∈ C, x ∈ K
F (y − x− a+ b) < F (b− a)
genau dann, wennF (y) < F (x) .
ut
Korollar C.20 (Trennungssatz, Version 3)Sei (V, || · ||) ein normierter Vektorraum, K ⊂ V konvex und abgeschlossen,u ∈ KC = V \K. Dann existiert ein stetiges, lineares Funktional F : V → R,also F ∈ V ∗, mit
F (u) < infv∈K
F (v) (“strikte Trennung”).
Beweis: Da K abgeschlossen ist, ist KC offen. Da u ∈ KC , existiert eineoffene, konvexe Umgebung U (u) um u mit U (u)∩K = ∅. Nach Korollar C.19gibt es ein stetiges lineares Funktional F : V → R mit
F (u) < F (v) fur alle u ∈ U (u) , v ∈ K.
Angenommen F (u) 6= 0. Da es ein ε > 0 gibt mit (1± ε) u ∈ U (u) schließenwir, dass F ((1 + ε) u) ≤ infv∈K F (v) und F ((1− ε) u) ≤ infv∈K F (v). AlsoF (u) < infv∈K F (v).
Ist F (u) = 0, dann wahlen wir irgendein v ∈ K und ε > 0 so, dass u + εv ∈U (u). Wieder folgt:
0 = F (u) < εF (v) = F (u+ εv) ≤ infv∈K
F (v) .
ut
Korollar C.21 (Trennungssatz, 4. Version)Sei (V, || · ||) ein normierter Vektorraum, K ⊂ V konvex und abgeschlossen,C ⊂ V konvex und kompakt mit C∩K = ∅. Dann existiert ein stetiges linearesFunktional F : V → R, also ein F ∈ V ∗, mit
supv∈C
F (v) < infw∈K
F (w) (“strikte Trennung”).
Beweis: Sei A = K − C := k − c | k ∈ K, c ∈ C. Dann ist A konvex,0 /∈ A und A abgeschlossen. Zur Abgeschlossenheit von A: Sei v ∈ AC . Dannist v /∈ K − w fur alle w ∈ C. Da K − w (offensichtlich) abgeschlossen ist furalle w ∈ C, gibt es eine offene, konvexe Umgebung Uw um 0 mit
(v + Uw) ∩ (K − w) = ∅
C.1 Grundlagen der Funktionalanalysis 145
Da + : V × V → V stetig ist, gibt es offene Umgebungen Uw und Uw um0 mit Uw + Uw ⊆ Uw. Weil C kompakt ist, besitzt die offene Uberdeckung(w + Uw
)w∈C
eine endliche Teiluberdeckung(w + Uw
)w∈L
, L ⊆ C endlich.
Sei nun U :=⋂w∈L U
w. Dann ist v + U eine offene Umgebung um v und esgilt: (
v + U)∩A ⊆
(v + U
)∩⋃w∈L
(K −
(w + Uw
))= ∅,
denn fur alle w ∈ L, u ∈ Uw, u ∈ Uw gilt: u+ u ∈ Uw, also v+ u+ u /∈ A−w,da (v + Uw) ∩ (K − w) = ∅.Daher v+ u /∈ A− (w + u), fur alle w ∈ L. Also liegt v nicht im Abschluss vonA. Es folgt, dass K − C abgeschlossen ist. Wegen C ∩K = ∅ ist 0 /∈ K − C,also konnen wir das Korollar C.20 anwenden und erhalten ein stetiges linearesFunktional F : V → R mit
infv∈A
F (v) > F (0) = 0.
Insbesondere existiert ein α > 0 mit infv∈A F (v) > α. Somit gilt fur allev ∈ K, w ∈ C
α < F
A︷ ︸︸ ︷(v − w) = F (v)− F (w) ⇔ F (w) + α < F (v)
und dahersupw∈C
F (w) < supw∈C
F (w) + α ≤ infv∈K
F (v) .
ut